Abenteuer eines Döner-Checkers - Stefan Gemmel - E-Book

Abenteuer eines Döner-Checkers E-Book

Stefan Gemmel

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Beschreibung

Einmal Döner mit allem! Aber vor allem: mit viel Humor

»24 Stunden lang am PC Zombies jagen? Ohne Schlaf? Ohne Vitamine? Kann ich! Kein Problem!«
Einen Computer zum Zocken und ab und zu einen Döner zwischen die Kiemen – mehr braucht Chris nicht, um gechillt durchs Leben zu gehen. Doch sein Patenonkel will ihn an die frische Luft locken und bietet Chris ein tolles Bike und dazu 1.000 € an, wenn er damit in den Ferien 1.000 Kilometer zurücklegt. Doch so einfach lässt sich Chris nicht aus seiner dämmrigen Wohnhöhle locken. Erst als der Onkel Geld und Fahrrad an Chris' Cousin übergeben will, schlägt Chris ein. Die Challenge seines Lebens beginnt …

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Seitenzahl: 172

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Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

E-Book-Ausgabe März 2024

© 2022 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Innenillustration: Martina Hillemann

Umschlaggestaltung: Guter Punkt

Umschlagmotive: iStockphoto (Hein Nouwens, Neliakott, Ondřej Pros, bonezboyz, Roi and Roi, Anastasiia_New, hatchakorn Srisook, Natalia Misintseva), Shutterstock.com (Alexander_P)

skn · Herstellung: ang

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN 978-3-641-28151-9V004

www.cbj-verlag.de

Logbuch-Eintrag 1

24 Stunden lang am PC Zombies jagen, ohne Schlaf und Vitamine? Kann ich. Kein Problem.

12 Stunden lang vor mich hinstarren, ohne zu zucken?

Schon tausendmal gemacht. Kein Problem.

Eine Stunde Blödsinn labern, ohne nachzudenken?

So hab ich die mündliche Nach-Prüfung in Mathe geschafft. Kein Problem. Aber zehn Minuten Fahrrad fahren – also draußen – mit Natur in Real-3D-Optik? Auf keinen Fall. Never-Ever. Nicht ich. Dachte ich. Bis heute Morgen. Bis zu dem Moment, als ich in die Pedale trat. Also ich. In Pedale. Wohl gemerkt: Pedale. An einem Fahrrad. An einem Fahrrad in Bewegung. Und ich obendrauf. Das ist wie ein Yeti im Solarium oder Prinzessin ­Lillifee in der Geisterbahn. Das ist Brokkoli-Eis im Becher oder Lachkrampf bei einer Beerdigung. Und dennoch war es so: Ich, durch die Landschaft radelnd. Schuld waren meine Turnschuhe. Meine Sneakers. Die ­waren schuld. Ich glaub, die mögen mich nicht.

ENDE LOGBUCH-Eintrag 1

Chris hörte nicht das Klopfen an der Tür und auch nicht den Ruf: »Bist du da drin?«

Er war versunken in eine heiße Diskussion mit seinen Turnschuhen. Grund dafür waren die Blicke aus diesen vierundzwanzig leeren, kugelrunden Augen. Sie starrten ihn an. Er starrte zurück auf seine Turnschuhe. Sie versperrten ihm wieder einmal die Sicht auf seinen Bildschirm. Er hatte die Füße hochgelegt, um auf seinen Beinen die Tüte mit dem gelieferten Döner abstellen zu können. Jetzt lugten die beiden Schuhe rechts und links der Dönertüte zu ihm ­herüber und starrten ihn aus diesen zwölf leblosen Schnürsenkel-Löcher-Augen an.

Chris konnte sie regelrecht sprechen hören: »Welchen Teil des Wortes Turnschuh hast du nicht verstanden?«, glaubte er sie sagen zu hören.

»Wir sind TURNschuhe. Keine CHILL-Schuhe, keine Abhäng-Schuhe, keine Bloß-keinen-Waldweg-benutz-und-dreckig-werd-Schuhe – wir sind TURNschuhe. Das hat mit Turnen zu tun. Also mit Sport und mit Bewegung.«

Chris blickte seine Turnschuhe nachdenklich an. Und dann? Dann gab er ihnen recht. Sie wollten Bewegung. Die konnten sie haben.

»Wie wäre es mit einem 6-Punkte-Training?«, schlug Chris seinen Turnschuhen vor. »Das ist doch ’ne Menge für den Anfang, oder?«

Weil es keine Widerworte gab, geriet Chris in Bewegung. In – für seine Verhältnisse – sehr viel Be­wegung: Er legte zunächst den Controller für seine Spiele-Konsole zur Seite (Bewegung Nr. 1), hob den Döner mit der Tüte in die Höhe (Bewegung Nr. 2), zog die Knie an (Bewegung Nr. 3), streifte die Turnschuhe von seinen Füßen (Bewegung Nr. 4), ging zurück in seine ausgestreckte Player-Position (Bewegung Nr. 5), sagte noch: »Wenn ihr euch bewegen wollt, nur zu. Ich halte euch nicht auf.« Zum Abschluss der Übung streckte er ihnen den längsten Finger seiner Hand entgegen (Bewegung Nr. 6).

Ermattet von dieser Gymnastik wanderte sein Blick wieder nach vorn, über die Dönertüte hinweg, an den Turnschuhspitzen vorbei, auf den Bildschirm, wo er gerade in dem Spiel »Olympics_2030« einer der schnellsten Läufer im Stadion war. Er schnappte sich den Controller (wow, Bewegung Nr. 7 – er musste darauf achten, sich nicht zu übernehmen), als das Klopfen an der Tür erneut zu hören war. Wieder gefolgt von dem Ruf: »Chris, bist du da?«

Chris erkannte die Stimme und wusste, dass sein Besucher sich nicht abschütteln lassen würde, und antwortete hastig: »Nein!«

Draußen gab es ein kurzes Gekicher, dann erklang die Frage: »Kann ich reinkommen?«

»Nein!«

Schon öffnete sich die Tür und eine aufdringlich gut gelaunte Stimme rief: »Wow! Es stimmt also doch: Der Mensch kann ohne Sauerstoff und Licht überleben.«

»Und ohne Besuch«, gab Chris zurück. Er mochte seine muffige, dunkle Bude und hatte langsam keine Lust mehr auf diese ewigen Anspielungen.

»Tja, damit hattest du in letzter Zeit wohl keine Probleme«, tönte es zurück. »Soll ich mal schätzen, wie viele Besucher vor mir hier waren? Vielleicht in den vergangenen sechs Monaten? Ich kann ja auf die Null abrunden.«

Chris verdrehte die Augen. »Was’n los?«

Steffen drückte auf den Lichtschalter und zerstörte so in weniger als einer Sekunde Chris’ geliebte Höhlen-Atmosphäre und die Illusion seines Online-Spiels.

»Ich wollte mal Hallo sagen!«

Chris hielt schützend die Hand über die Augen. »Super. Hast du ja jetzt getan«, war seine Antwort, in der Hoffnung auf Ruhe.

»Und ich wollte dir etwas vorschlagen«, sagte Steffen gut gelaunt.

Chris verzog seine Miene. Also doch keine Ruhe!

»Vorschlagen?«, versuchte es Chris in dem höflichsten Ton, der ihm gelingen wollte. »Das klingt ja nicht mal so uninteressant.«

Steffen lachte gekünstelt und machte einen weiteren Schritt ins Zimmer hinein. »Du mal wieder!«

Chris gab den Widerstand auf. Er kannte seinen Onkel. Der würde sich erst wieder entfernen, wenn er sein Anliegen losgeworden war. Also rappelte sich Chris in seinem Sessel auf: »Magst du dich ­setzen?«

Steffen ließ den Blick durch das Zimmer schweifen, sah sich die vielen leeren Cola-Flaschen, Chips-Tüten, Dönertüten und die gebrauchten Wäschestücke an, die sich über Bett, Schreibtisch, Schrank und Aquarium verteilten und antwortete rasch: »Nein, lieber nicht.«

Also sackte Chris in seinem Sessel wieder zusammen. »Schön. Dann dauert es nicht lange.«

Steffen seufzte. Mit einem Mal war seine auf­gesetzte gute Laune verschwunden.

»Ich mach mir Sorgen«, sagte er.

Chris winkte ab. »Du auch? Zieh draußen ’ne Nummer. Ich rufe dich auf, wenn mir nach Mitleid zumute ist.«

»Du verkriechst dich nur noch in diesem … ich nenne es mal Zimmer«, sagte Steffen und ließ den Blick erneut über Chris’ Tüten-und-Klamotten-Sammlung schweifen. »Du kommst kaum noch raus. Das sagt auch deine Mutter.«

»Ich muss ja nicht rauskommen. Es kommt doch dauernd einer rein.« Chris zeigte auf seinen Onkel, um die Wirkung seiner Worte zu ­unterstreichen.

»Gesund ist das nicht, Chris.«

»Aber gemütlich!«

»Für die Schule machst du auch nur das Nötigste, sagt deine Mutter.«

»Immerhin mach ich was, oder?«

Steffen seufzte erneut, dieses Mal tiefer und lauter als zuvor. Er blickte sich um, überlegte, wo er am ehesten Platz nehmen konnte und entschied sich für den Schreibtischstuhl. Mit einer Handbewegung stieß er eine Döner-Tüte vom Stuhl, wischte die gebrauchten Socken darunter von der Sitzfläche, nahm mit einem Pinzettengriff die vergammelten Paprikastücke, die dort lagen, legte sie auf eine der Tüten und nahm endlich Platz. Mit nachdrücklichem Ton erklärte er: »Wir machen uns alle Sorgen um dich.«

»Braucht ihr nicht«, brummte Chris zurück. »Mir geht’s gut.«

»Klingt überzeugend«, ulkte Steffen und setzte hinterher: »Ich möchte dir ein Angebot machen.«

Alle Warnglocken in Chris schrillten auf. »An­gebot? Das klingt nach Stress.«

»Es ist eher eine Wette.«

»Das klingt nach doppeltem Stress. Dann lieber Angebot. Egal. Erfahre ich jetzt, warum du wirklich hier bist?«

»Als dein Patenonkel hab ich eine gewisse Ver­antwortung für dich«, eröffnete Steffen, doch Chris brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.

»Oh, nicht so viel Verpackung! Bitte nur Inhalt.«

»Was?«

»Nicht drum herum reden. Sag mir einfach, was Sache ist, ja?«

Steffen lächelte. Immerhin interessierte sich Chris für sein Anliegen. Er entschied sich für die »Schlagzeilen-Methode«: Kurz und bündig das Interessanteste aussprechen, in reißerischen Worten, und dann schauen, wie das Gegenüber reagiert. Also sagte er knapp: »Ich habe 1000 Euro für dich!«

Die reißerische Methode wirkte tatsächlich. Chris riss die Füße vom Stuhl, die Plastiktüte von den Beinen und die Augen auf.

»Was? Du veräppelst mich!«

Steffen zog ein Bündel Scheine aus der Jacken­tasche und sagte: »Sieht das nach Veräppeln aus?«

Logbuch-Eintrag 2

Ich Vollpfosten! Ich Pfeife! Schrumpfhirn! Hohlraum-Schädel! Warum hab ich nicht »Nein« gesagt? Ich kann das doch sonst immer super, dieses »Nein« sagen.Willst du nicht mal dein Zimmer aufräumen? NEIN! Willst du nicht mal Opa besuchen? NEIN!

Ob du wohl mal einen Tag ohne Konsole klarkommst? NEIN!

Döner ohne Knobi? NEIN!

Willst du nicht einmal im Leben … NEIN!

Hast du …? NEIN!

Bist du …? NEIN!

Kannst du …? NEIN!

Ich bin echt gut im »Nein«-Sagen. Bloß anscheinend nicht, wenn’s drauf ankommt.

Auf einmal hat Steffen gegrinst.

Auf einmal stand dieses Fahrrad vor der Tür. Auf einmal saß ich auf dem Rad und hab in die Pedale getreten. Ich Neandertaler! Oh, Mann! 1000 Euro. Wegen einer Wette mit Steffen.

ENDE LOGBUCH-EINTRAG 2

Chris saß auf dem Rad und trat in die Pedale. Dabei versuchte er über das nachzudenken, was passiert war. Das fiel ihm nicht leicht. Schon immer hatte er das Gefühl gehabt, sein Kopf sei nicht zum Nachdenken geschaffen. Eher zum Schnell-Reagieren, wenn ihn tödliche Aliens angriffen, oder um Strategien zu entwickeln, wenn es darum ging, den Schatz der ­Desperados aus den Fängen irgendwelcher Grabräuber in Diamond-Hunter_6.0 zu ergattern. Nun begab sich sein Hirn aber auf völlig neue Pfade: Es ver­suchte, mit der Realität klarzukommen. Das fühlte sich merkwürdig an.

Um sein Hirn etwas zu unterstützen, ging Chris einfach das gestrige Gespräch mit Steffen noch einmal durch. Gedanklich. Dabei sah er seinen Onkel vor sich. Auf dem Schreibtischstuhl sitzend. Und er hörte Steffen in seiner Erinnerung fragen: »Sieht das nach Veräppeln aus?«

»Wen soll ich erwürgen?«, fragte Chris, ohne den Blick von den Scheinen abzuwenden. »Oder ist das Schweigegeld?«

Steffen lachte. »Schweigegeld? Du quatschst doch sowieso nicht. Ich kenne niemanden außer dir, der mit drei Sätzen durch den Tag kommt. Niemanden, der so viel an diesen Geräten daddelt und so viel Döner bestellt wie du. Dein Leben besteht fast nur noch aus Daddeln und Dönern, Daddeln und Dönern …«

Chris legte den Kopf schief. »Verstehe: Die Kröten in deiner Hand sind Schmerzensgeld, weil ich mir dein Wort zum Sonntag anhöre. Wie scheiße ich bin und …«

Steffen sprang auf: »Hey! Du bist nicht scheiße. Das hab ich nicht gesagt und werd ich auch nicht ­sagen. Aber das hier …« Er deutete auf die ­Unordnung in Chris’ Zimmer. »… kann es doch auch nicht sein.«

»Was kann es denn sein?«, erwiderte Chris und wollte eher fragen: »Wie komm ich an die Kohle in deiner Hand?«

»Draußen steht ein Fahrrad«, antwortete Steffen und setzte sich wieder auf den Schreibtischstuhl. »Na­gelneu. Ein Mountain-Bike für dich.«

Chris war überrascht. »Ich denke, eure Firma läuft so gut. Musst du die Dinger jetzt verschenken?«

Steffen lachte kurz auf. »Die Firma läuft noch ­immer gut. Unsere Fahrräder werden massenhaft gekauft.«

»Trotz der hohen Preise?«

»Ist ja auch hohe Qualität.«

»Meine Fahrkunst nicht.«

»Was?«

Chris fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Hast du mich mal auf einem Rad gesehen? Ich sitze so schief auf dem Bock – das ist ’ne Beleidigung für jedes Bike.«

»Haust du diese Sprüche nur so raus oder glaubst du den Kram, den du von dir gibst?«, entgegnete Steffen.

Chris sah seinem Onkel rasch ins Gesicht, ob er verärgert war oder ihn aufzog. Aber da war immer noch dieselbe nervende Fröhlichkeit zu sehen wie zuvor.

»Wette!«, raunte Chris daher. »Du hast was von ’ner Wette gesagt.«

Steffen erhob sich wieder von seinem Stuhl. Chris wurde klar, dass sein Onkel sich jetzt schon mehr in diesem Raum bewegt hatte als Chris den ganzen Tag über.

»Es sind Sommerferien«, eröffnete Steffen mit einer Stimme wie ein Bürgermeister bei der Eröffnung eines Möbelhauses. »Sechs Wochen schulfrei, und ich befürchte, diese Zeit willst du hier verbringen.«

»Dönernd und daddelnd. Jawohl«, tönte Chris.

Doch Onkel Steffen war nicht mehr nach ­Sprüchen zumute.

»Dachte ich mir. Pass auf: Ich schenke dir eines unserer Hochleistungs-Bikes. Und du, du musst dafür nur in die Pedale treten. 1000 Kilometer in den Ferien, dann gibt es 1000 Euro bar auf die Hand und …«

»Was?« Jetzt erhob sich sogar Chris von seinem Sessel. »1000 Kilometer? Geht’s nicht ein bisschen menschlicher? Tausend Kilometer. Ich! Da kannst du auch meinen Goldfisch fragen, ob er eine Runde um das Haus fliegen will.«

Steffen drehte den Kopf und sah zu dem ­Goldfisch, der einsam im Aquarium seine Runden drehte und der recht überernährt aussah.

»Quatsch!«, gab er zurück. »Bei über sechs ­Wochen Sommerferien sind das nur läppische 25 Kilometer am Tag. Das sollte zu schaffen sein. Und für ein Preisgeld von 1000 Euro kann man sich schon mal ein wenig anstrengen.« Er lachte: »Überleg doch mal, wie viele Kilo Döner das umgerechnet sind.« Er versuchte Chris zu motivieren, doch der ­zögerte noch.

»Und wenn ich einfach Rasen mähe?«, versuchte er sich herauszuwinden, aber Steffen schüttelte den Kopf. »Unsere Fahrräder sind zum Rasenmähen nicht geeignet«, witzelte er, wurde aber schnell wieder ernst: »Nein, Chris. 1000 Kilometer. Nicht weniger, gerne mehr. Und um das alles zu überprüfen, führst du ein Tagebuch, in dem du über deine Rad-Touren be­richtest.«

Chris riss die Augen auf. »Schreiben soll ich auch noch was? Ich denke, das sollen Ferien sein.« Er ließ sich in den Sessel fallen. »Uff! Und Tagebuch? Bin ich neun Jahre alt? Trage ich Kleidchen und Zöpfchen?«

»Als ob nur Mädchen Tagebücher schreiben würden.«

Chris blieb bei seiner Meinung: »Hey, ­versprochen: Kein Junge aus meiner Klasse schreibt Tagebuch!«

Steffen nickte. »Okay. Dann … dann nennen wir es anders. Nennen wir es Logbuch. Logbücher schreiben auch Jungs. Logbücher schreiben sogar echte Kerle. Käpt’n Kirk und Käpt’n Picard von der Enterprise haben beide Logbücher geschrieben. Und?«

Chris überlegte. Suchte fieberhaft nach einer Möglichkeit, sich aus dem Ganzen herauszuwinden. Sein Onkel hatte gute Argumente. Aber dagegen musste sich doch etwas tun lassen, dachte Chris. Da bemerkte er, wie mit Steffen etwas vor sich ging. Chris konnte seinem Onkel ansehen, dass er gern ­etwas sagen würde, doch noch zögerte und darüber nachdachte, ob er das wirklich aussprechen sollte.

»Ist noch was?«, versuchte Chris ihm Hilfestellung zu geben.

Steffen zögerte noch immer, doch dann platzte es aus ihm heraus: »Wenn du nicht annimmst oder die Abmachungen nicht einhältst, bekommt eben Tom das ganze Geld.«

Chris traute seinen Ohren nicht. Sein Cousin Tom! Der Sportler … Der Streber. Der Sportstreber. Chris musste nur an die Wand in Toms Zimmer denken, die über und über mit Pokalen und Medaillen geschmückt war, schon kam ihm jeder einzelne Döner der letzten Wochen hoch! Tom!

Steffen hob die Geldscheine in seiner Hand in die Höhe und setzte nach: »Tom wäre dir bestimmt ­außerordentlich dankbar, wenn er dieses Geld bekommen würde.«

»Auf keinen Fall!«, hörte Chris sich rufen. Und bevor er verhindern konnte, dass sein Mund es aussprach, hörte er seine Stimme sagen: »Ich nehme an! 1000 Kilometer! Ist mir doch wurscht!«

Logbuch-Eintrag 3

Variante A? Variante B? Oder Variante C? Was war es wohl? Was war der ausschlaggebende Punkt ­gewesen, mich auf diese Ochsentour einzulassen?

War es A: Ich hab nur zugestimmt, damit Steffen endlich die Babbel hält und aus meinem Zimmer verschwindet?

War es B: 1000 Euro sind 1000 Euro. Selbst in Schot­ter umgerechnet sind 1000 Steine eine Menge Kies.

Oder war es C: Tom? Allein schon der Name: Tom. Ich hasse ihn. Wobei »hassen« zu harmlos ist. Ich kann ihn auf den Tod nicht ausstehen. Ich stehe eher auf den Tod als auf Tom. Oder so: Wenn ich die Wahl hätte, eine Woche nur Tofu-Gulasch oder eine Stunde mit Tom … Ich würde zeitweise Veganer werden.

Tom. Es gibt keinen Moment, an den ich zurück­denke, an dem Tom mir nicht auf den Zeiger gegangen ist. Tom. Wenn der Teufel in seiner Hölle mal aus Versehen seinen Dreizack verlegt und die armen Seelen nicht mehr piesacken kann, dann nimmt er ein Foto von Tom, um sie zu quälen.

Tom. Das »S« in seinem Namen steht für ­Sympathie.

Tom. Würde morgen die Welt untergehen, würde ich alles daran setzen, um ihm noch mal den Stinke­finger zu zeigen.

Tom. Meine Mutter sagt immer, ich solle ihn zum Vorbild nehmen. Und das tu ich auch. Wenn ich mich für irgendwas entscheiden muss im Leben, dann überlege ich, was Tom wohl tun würde und ­mache das Gegenteil.

Ende Logbuch-Eintrag 3

»Tom. Tom. Tom. Tom.« Das war der Rhythmus. »Tom. Tom. Tom. Tom.« Das war der Takt, in dem Chris’ Füße auf- und abschwangen. »Tom. Tom. Tom. Tom.«

Während Chris in die Pedale trat, stellte er sich vor, Tom vor sich zu haben und nicht bei jeder Bewegung in die Pedale zu treten, sondern gegen die Pokale an Toms Zimmerwand.

»Tom. Tom. Tom. Tom.«

Chris stellte sich auf und trat heftiger in die ­Pedale.

»Tom. Tom. Tom. Tom.«

Er spürte, wie gut ihm das tat. Seine Wut schwächte sich ab. Sein Zorn verwandelte sich in Müdigkeit, in Erschöpfung, in Verzweiflung. Und mit einem Mal tat ihm nichts mehr gut.

Chris’ Blick ging zu dem digitalen Tachometer, der in das teure Fahrrad eingebaut war. Drei Kilometer, verriet die Anzeige. Drei Kilometer und 107 Meter, um genau zu sein. Chris wischte sich den Schweiß aus der Stirn. Er fühlte sich, als habe er die benötigten 1000 Kilometer längst überschritten.

Er atmete tief aus und setzte sich wieder auf den Sattel. Der Tachometer war kaputt. Ganz bestimmt. Das musste so sein. Chris fühlte sich ja auch kaputt.

Und natürlich … natürlich führte die Straße ab dieser Stelle bergauf! Es war Chris’ Schulstrecke, die er jeden Tag mit dem Bus fuhr. Dass sie eine solche Steigung aufwies, war ihm noch nie aufgefallen. Für diese Missachtung wurde er nun abgestraft. Bei jedem Tritt in die Pedale schossen ihm Flammen durch die Muskeln seine Oberschenkel. Jedes Schnaufen wurde zur Qual. Chris schwitzte und fluchte. Er zwang sich, weiter in die Pedale zu treten, und wunderte sich, warum er nicht einfach aufhörte. Doch er hörte nicht auf. Aus der Ferne drang Motorenlärm an sein Ohr. Ein Wagen näherte sich. Ein Auto, dessen Motor viel zu hoch drehte und dabei Geräusche machte, als ginge es ihm noch schlechter als Chris auf dem Rad.

Dann war der Wagen gleichauf mit ihm. Wobei der Begriff Wagen schon ein reichlich übertriebenes Kompliment für das Ding war, das Chris gerade einholte. Diese Karre war eine knallrote Beleidigung für die Augen. Beulen und Roststellen wechselten sich ab mit rostigen, verbeulten Stellen. Ein aufgeklebter Drache breitete auf der Motorhaube seine Flügel aus. Das sollte wohl einschüchternd wirken und cool, aber irgendwie sah es eher danach aus, als wollte der Drache die klapprige Karre nur ­zusammen­halten.

Noch hässlicher als das Äußere des Wagens waren allerdings die Menschen in dem Wagen. Chris ­kannte sie. Enno am Steuer, Basti auf dem Beifahrersitz und Ferdi auf dem Rücksitz. Enno, Basti und Ferdi, das klang schon wie die B-Mannschaft der Teletubbies.

Keine Schulpause ohne Ärger durch die drei, dachte Chris noch, als die Autohupe kreischte. In dem Moment streckte Basti den Kopf durch das Seitenfenster und seine Stimme war zu hören: »Ey, ich glaub’s nicht!« Bastis Stimme klang noch schriller als die Autohupe. »Heutzutage lassen die aber auch ­alles auf die Straße. Wieso bist du hässlicher Grottenolm denn aus deiner Höhle gekrochen, hm?«

Vom Steuer her hörte man lautes Lachen. Chris drehte den Kopf und sah Ennos schiefes Grinsen. ­Enno, der schon so oft sitzen geblieben war, dass er bereits in der 9. Klasse den Führerschein besaß und mit diesem roten VW-Blechmüll die Straßen häss­licher machte.

Chris schaute wieder nach vorn auf die Straße. Er konzentrierte sich auf den Seitenstreifen und darauf, seine Besucher zu ignorieren. Doch das fiel nicht leicht bei Bastis schneidender Stimme: »Fahr mal ­näher ran, Enno! Was ’n das für ’n cooles Bike?«

Enno drehte am Lenkrad und der rote ­Blechhaufen kam gefährlich nahe an Chris heran.

»Wahnsinn!«, rief Basti mit Autohupenstimme. »Das ist das Neueste vom Neuen. Kostet locker mehrere 1000 Mücken! Wie kommt denn ein Loser wie du an so ein geiles Teil?«

Chris blickte weiter stur vor sich hin. Jetzt nicht provozieren lassen, dachte er nur.

Doch Basti ließ nicht locker: »Ey, ­Fahrradschänder! Ich red mit dir!«

Chris schoss heißer Schweiß auf die Stirn, was nichts mit der Steigung der Straße zu tun hatte. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Er hätte alles gegeben für eine riesige Mausehöhle, in der er hätte verschwinden können, oder für ein Wurmloch oder ein verschobenes Raum-Zeit-Kontinuum. Hauptsache, weg von hier!

»Bring den mal zum Stehen!«, brüllte Basti nun stinksauer Enno zu und brachte damit Chris ­vollends in Panik. Er lief Gefahr, schon am ersten Tag der ­Wette Steffen ein kaputtes Fahrrad zurückzubringen. Wahrscheinlich mit gebrochenen Beinen und einer abgeknickten Nase.

Doch bevor Enno reagieren konnte, war vom Rücksitz zu hören: »Boah, echt jetzt? Müssen wir uns um diesen Loser kümmern? Ich hab Hunger. Hab ich doch schon vor ’ner Stunde gesagt. Hunger!«

Basti wandte sich zu Ferdi um. »Na, gut«, gab er schließlich nach und schrie Chris aus dem Fenster zu: »Aber wir sind noch nicht fertig, klar?«