Marx und Nietzsche mischen sich ein - Die heillose Kultur - Band 1.1 - Dr. Phil. Monika Eichenauer - E-Book

Marx und Nietzsche mischen sich ein - Die heillose Kultur - Band 1.1 E-Book

Dr. Phil. Monika Eichenauer

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Beschreibung

In den Büchern zur Heillosen Kultur wird nach Erklärungen für millionenfaches Leid, das sich in unterschiedlichen Auswirkungen in Natur und Mensch präsentiert, geforscht. Medien- und Pressemitteilungen bilden den Ausgangspunkt einer Dokumentation von Lebensrealitäten von 2005 bis 2010. Mitteilungen und Geschehnisse, politische und wirtschaftliche Entscheidungen oder auch die Umsetzung neuer Gesetze, die massive Lebensveränderungen für Millionen von Menschen bedeuten, werden in Beziehung gesetzt zu den vier Konstanten in unserer Kultur. Beleuchtet werden die Auswirkungen des folgenden kulturellen Quartetts auf den Menschen 1. aus der Ökonomie, 2. durch die Bevorzugung des männlichen Geschlechts, 3. bezüglich des cartesianischen Wissenschaftsparadigmas und 4. in der Verleugnung von Seele und Psyche jedes einzelnen Menschen, die dazu führt, dass unsere emotionale und damit auch unsere existenzielle Vergangenheit nur bruchstückhaft individuell und gesellschaftlich aufgearbeitet ist. Diese letzte Konstante führte in der Vergangenheit und führt gleichfalls in der Gegenwart dazu, dass der psychischen Verarbeitung von traumatischen Ereignissen (z.B. Krieg) und politischen Veränderungen in Menschen kaum Bedeutung beigemessenen wurde und wird: Menschen haben mit dem fertig zu werden, was von ihnen verlangt wird. Summa summarum zeigt sich als bedeutsame und gravierende Erklärung für millionenfaches Leid die Vernachlässigung einer Werthaltung für das menschliche Wesen. In unserer Kultur wird nur und einzig und allein einem Wert unter allen Umständen zugesprochen: Kapital und Geld. Aktuelle Auswirkungen finden in den Büchern anhand von Presse und Medienmitteilungen Darstellung. Der Mensch wird neben dieser ultimativen und ausschließlichen Alleinstellung von Kapital und Geld bedeutungslos: Er wird selbst kapitalisiert. Er ist Material. Psyche und Seele haben zu schweigen. Es wurden u.a. neue Begriffe, wie z.B.

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Seitenzahl: 924

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Bücher

In den Büchern zur Heillosen Kultur wird nach Erklärungen für millionenfaches Leid, das sich in unterschiedlichen Auswirkungen in Natur und Mensch präsentiert, geforscht.

Medien- und Pressemitteilungen bilden den Ausgangspunkt einer Dokumentation von Lebensrealitäten von 2005 bis 2010. Mitteilungen und Geschehnisse, politische und wirtschaftliche Entscheidungen oder auch die Umsetzung neuer Gesetze, die massive Lebensveränderungen für Millionen von Menschen bedeuten, werden in Beziehung gesetzt zu den vier Konstanten in unserer Kultur.

Beleuchtet werden die Auswirkungen des folgenden kulturellen Quartetts auf den Menschen 1. aus der Ökonomie, 2. durch die Bevorzugung des männlichen Geschlechts, 3. bezüglich des cartesianischen Wissenschaftsparadigmas und 4. in der Verleugnung von Seele und Psyche jedes einzelnen Menschen, die dazu führt, dass unsere emotionale und damit auch unsere existenzielle Vergangenheit nur bruchstückhaft individuell und gesellschaftlich aufgearbeitet ist. Diese letzte Konstante führte in der Vergangenheit und führt gleichfalls in der Gegenwart dazu, dass der psychischen Verarbeitung von traumatischen Ereignissen (z.B. Krieg) und politischen Veränderungen in Menschen kaum Bedeutung beigemessenen wurde und wird: Menschen haben mit dem fertig zu werden, was von ihnen verlangt wird.

Summa summarum zeigt sich als bedeutsame und gravierende Erklärung für millionenfaches Leid die Vernachlässigung einer Werthaltung für das menschliche Wesen. In unserer Kultur wird nur und einzig und allein einem Wert unter allen Umständen zugesprochen: Kapital und Geld. Aktuelle Auswirkungen finden in den Büchern anhand von Presse und Medienmitteilungen Darstellung.

Der Mensch wird neben dieser ultimativen und ausschließlichen Alleinstellung von Kapital und Geld bedeutungslos: Er wird selbst kapitalisiert. Er ist Material. Psyche und Seele haben zu schweigen. Es wurden u.a. neue Begriffe, wie z.B. Psychoökonomie, von der Autorin aus der Reflexion des Materials heraus geschaffen.

Die drei Bücher zu Band 1 wurden mit „Selbstwert statt Mehrwert“ getitelt, um von vornherein auf die notwendige Richtigstellung unserer Werteordnung hinzuweisen. Weiter tragen alle Bücher den generellen Untertitel Nachtrag zum Jahr der Geisteswissenschaften 2007, weil das Thema der Bevorzugung der Naturwissenschaften gegenüber den Geisteswissenschaften in Deutschland nicht deutlich genug aufgegriffen wird. Eine Parallele findet diese Bevorzugung in der Vorrangstellung der Männer gegenüber Frauen.

Die vier kulturellen Konstanten finden Sie unterschiedlich gewichtet in jedem Buch, wobei in Band 1 die fehlende Vergangenheitsbewältigung, in Band 1.1 unsere kulturellen Wurzeln, wie sie durch Nietzsche und Marx bezüglich des Selbstwertes von Menschen vorliegen, neu belebt in Erinnerung gerufen werden, in Band 1.2 die Ökonomie und das Geschlechterverhältnis von Mann und Frau in Bezug auf unsere gültige Werteordnung betrachtet wird, in Band 2 gezeigt wird, wie die Seele per Ökonomie und Berufsinhalte im Gesundheitswesen ausgetrieben und in Band 3 die Vernichtung von Heilung per Ökonomie im Gesundheitswesen abgewickelt wird.

Autorin

Dipl-Psych. Dr. phil. Monika Eichenauer arbeitet erfolgreich als Psychologische Psychotherapeutin in ihrer Praxis in Dortmund. Viele Jahre war sie als Regionalgruppenleiterin des BDP tätig und initiierte 2010 die Ärzte der Kultur und gründete das Institut für medizinisches Heilungsmanagement.

Monika Eichenauer

SELBSTWERT STATT MEHRWERT

„Marx und Nietzsche mischen sich ein.....!“

Plädoyer einer Psychologischen Psychotherapeutin für das menschliche Wesen und seinen Selbstwert.

Imprint

Die heillose Kultur - Band 1.1

Selbstwert statt Mehrwert

Marx und Nietzsche mischen sich ein

- Monika Eichenauer -

Copyright Monika Eichenauer, Dortmund 2011

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung der Autorin reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Layout, Satz, Formatierung - Michael Schulte, [email protected]

Foto: Neuseeland, von Ulla Kallert

Buchcover: Gestaltung Monika Eichenauer und Ulla Kallert

Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin,www.epubli.de

Printed in Germany

ISBN 978-3-8442-1772-8

Von dem, was einer vorstellt.

„Die Wurzel und der Ursprung des jedem, nicht ganz verdorbenen Menschen einwohnenden Gefühls für Ehre und Schande, wie auch des hohen Wertes, welcher ersterer zuerkannt wird, liegt in Folgendem.

Der Mensch für sich allein vermag gar wenig und ist ein verlassender Robinson: nur in der Gemeinschaft mit den anderen ist und vermag er viel.

Dieses Verhältnisses wird er inne, sobald sein Bewusstsein sich irgend zu entwickeln anfängt, und alsbald entsteht in ihm das Bestreben, für ein taugliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu gelten, als für eines, das fähig ist, pro parte virli mitzuwirken, und dadurch berechtigt, der Vortheile der menschlichen Gemeinschaft theilhaft zu werden.

Ein solches nun ist er dadurch, daß er, erstlich, Das leistet, was man von Jedem überall, und sodann Das, was man von ihm in der besonderen Stelle, die er eingenommen hat, fordert und erwartet.

Eben so bald aber erkennt er, daß es hierbei nicht darauf ankommt, daß er es in seiner eigenen, sondern daß er es in der Meinung der Anderen sei. Hieraus entspringt demnach sein eifriges Streben nach der günstigen Meinung Anderer und der hohe Werth, den er auf diese legt: Beides zeigt sich mit der Ursprünglichkeit eines angeborenen Gefühls, welches man Ehrgefühl und, nach Umständen, Gefühl der Schaam (verecundia) nennt.

Dieses ist es, was seine Wangen röthet, sobald er glaubt, plötzlich in der Meinung anderer verlieren zu müssen, selbst wo er sich unschuldig weiß; sogar da, wo der sich aufdeckende Mangel eine nur relative, nämlich willkürlich übernommene Verpflichtung betrifft: und andererseits stärkt nichts seinen Lebensmuth mehr, als die erlangte, oder erneuerte Gewissheit von der günstigen Meinung Anderer;

Und weil der Mensch ein Mensch ist …

Zweiklassengesellschaft prägt eine Zweiklassenmedizin, die sich für die Mehrheit der Menschen in Deutschland als bedrohlich für Leib, Seele und Leben darstellt. Die Frage „Kommt jetzt die Zweiklassenmedizin“ ist mehr als vier Jahre verspätet: Sie ist längst eingeführt und etabliert. (DIE ZEIT, 1.Oktober 2009, Titelseite) Bedrohung von Gesundheit und Existenz sind für viele Bürger bereits Lebensrealität geworden: Armut oder Verarmung, soziale, seelische und leibliche Folgeprobleme stehen auf der Tagesordnung. Missliche Veränderungen im Arbeitsleben und durch politische Verfügungen etabliert, zogen tief greifende Veränderungen der existenziellen Lebensbedingungen nach sich. Mit dem Regierungswechsel 2009 sind diese Folgen nicht wieder gutzumachen. Sie haben Spuren hinterlassen, die nicht wieder zu löschen sind. Menschen werden stetig weitere Opfer abgerungen, Verzicht und Einschränkung von ihnen erzwungen. Kinder und Jugendliche, denen durch Armut, Medieneinflüsse, Handyspektakel, Mobbing, Kriminalisierung in und außerhalb der Schulen und schlechte medizinische Versorgung in den letzten Jahren Entwicklungsmöglichkeiten entzogen wurden, sind gezeichnet auf ihrem weiteren Lebensweg. Die Mehrzahl der Betroffenen geht „zur Tagesordnung“ über, findet sich ab und nimmt hin. Gewöhnung tritt ein und wird in der Gegenwart zur Selbstverständlichkeit.

Aber wo lassen die Menschen diese Emotionen prägenden und einschneidenden sozialen Veränderungen? Was stellen sie mit sich selbst an, damit sie nicht mehr spüren, fühlen, nicht mehr handeln und Klartext sprechen und sich stattdessen schnell und effizient wirtschaftlich und politisch auf Misslichkeiten bis zu existenziellen Krisen einstellen und anpassen? Sie sprechen über den Gartenzaun, maulen am Stammtisch oder beim Kaffeeklatsch. Dort wird über Politik, Wirtschaft und Krankheiten gesprochen. Verbindungen zwischen Lebensveränderungen und Krankheit wird selten ernsthaft hergestellt.

Es taucht die Frage auf, wie und wo in unserer Kultur ein Raum geschaffen wird, in dem real stattfindendes emotionales Leben von Menschen wie in ein schwarzen Loch eingesogen und bis zur Unkenntlichkeit und Bedeutungslosigkeit verkleinert wird? Im täglichen Leben wird mehr oder weniger unsichtbar, verschwindet hinter den Fassaden, was existenziell für den einzelnen Menschen vernichtend wirkt. Nach außen erscheint alles ganz normal und angepasst, als wäre nichts geschehen... Dem gegenüber stehen Zahlen über Zunahmen von Erkrankungen in allen medizinischen Fachbereichen, besonders aber im Fachbereich Psychotherapie. Über Zahlen, Informationen, Mitteilungen, Fakten wird in Zeitungen berichtet, politisch debattiert, in Strukturen gegossen und Gesetze schwarz auf weiß gedruckt. Leid und Not wird ein Verwaltungsakt. Alltägliches Leben wird mittels Formen, die menschliches Leben entstellen, in Leiber gepresst, die Seele abgestempelt, wie der betreffende Mensch, der psychisch ausdrückt, was unerträglich geworden ist. Leben folgt nicht mehr organischen Gegebenheiten des menschlichen Wesens in einem Leib, das zu Werten des Lebens in einer Kultur findet, sich abbildet und gestaltet. Geprägt ist Leben durch wesensfremde Gesetzmäßigkeiten: Herzschlag, Schlafwachrhythmus, Blutkreislauf, leiblicher Allgemein- und Hormonzustand folgen den Auswirkungen des Kapitals bei Fuß in jedem Körper. Es ist eine falsche Vorstellung, zu glauben, das menschliche Wesen mit den wirtschaftlichen existenziellen Grundlagen einerseits und andererseits körperlichen oder seelischen Erkrankungen getrennt zu denken und heilen zu können. Leben, Menschen, Kultur und wirtschaftliche Struktur prägen sich gegenseitig. In diesem Prozess der Beeinflussung dürfen Prozesse der Prägung nicht ignoriert werden, die das menschliche Wesen abwerten und in der Lage sind, es zu vernichten. Den Mehrwert vor jeden anderen Wert und vor allen Dingen vor den Selbstwert des Menschen zu setzen, spiegelt eine Menschen verachtende und letztlich vernichtende Werteordnung wieder.

Im vorliegenden Buch wird zunächst die gesellschaftlich prägende Verzahnung der Entbehrlichkeit individueller emotionaler Erfahrung des Einzelnen als Essenz kapitalistischer Wirtschaftsordnung und tabuisierter Repräsentanz derselben in der Kultur angerissen und ein Bogen zur fehlenden Positionierung des menschlichen Wesens an der Spitze der Werteordnung in der Gegenwart geschlagen. Die Brisanz fehlender emotionaler Aufarbeitung individuell-emotionaler Kriegserfahrungen aus der jüngsten Vergangenheit erscheint als Garant für das Weiterschweigen über Konsequenzen kapitalistischer Gier in der Gegenwart im Leben von Menschen. Für Millionen von Menschen in Deutschland bedeutet dies Verzicht, Not, Verarmung und Leid. Gefühle interessieren nicht und werden nicht zur politischen Leitlinien für Handlungen und Entscheidungen. Auch im Krieg hatten Gefühle nichts zu suchen, mussten abgespalten werden, die Seele hatte und hat die Klappe zu halten, wenn der Mensch auf den Feind, den fremden Menschen schießen musste. Dieser Ausnahmezustand forderte, dass Menschen mit Umständen und Handlungen fertig werden mussten, mit denen Menschen in ihrem und in einem Leben nicht fertig werden und wurden. Es bleiben Andenken und Erbschaften in Seele und Leib, die sich in Gefühlen konzentrieren, die manchmal jahrzehntelang hinter Wänden und Mauern aus Angst und Schrecken verborgen, ein Leben hervorbringen, das auf Sparflamme brennt. Gefühle werden in Symptomen, Blockierungen, Erstarrungen, schweren Krankheiten und Wiederholungen oder Reinszenierungen durch die hilflose Seele in den Körper projiziert, um der Psyche Kund zu geben, dass im Leben keinesfalls alles in Ordnung ist, wie es in der Gesellschaft dargestellt wird. Der normale individuelle Prozess der Verarbeitung in der Gegenwartskultur ist primär durch gewünschte Abwehr von persönlicher Geschichte und individuellem Erleben zu beschreiben. Offenbares politisches Ziel ist es, Bewusstseinsprozesse zu steuern bzw. zu minimieren, um Gefühle in Menschen unklar und bedeutungslos in Bezug auf sich selbst, ihren Leib und ihr Leben werden zu lassen.

Schweigen und warum weiter geschwiegen wird, greift das zentrale Thema des Bandes 1 zur Heillosen Kultur als Einführung für das vorliegende Buch wieder auf, um dann zu Werten kapitalistischer Wirtschaft überzuleiten, die kein Interesse an Selbstwert, individuelle Geschichte und Kulturgestaltung menschlicher Wesen hat. Es widerspricht kapitalistischen Interessen, den Menschen an die erste Stelle der Werteordnung zu stellen. Das menschliche Wesen wird nicht oder nur unzureichend geschützt. Kurz: Der Mensch steht nicht zum Menschen. Der Mensch steht zu fremden Interessen, die er im Interesse seines Überlebens zu seinen eigenen macht.

Nicht einmal die Polizei steht zum Menschen, für den sie im Auftrag des Staates zum Schutz von Bürgern bezahlt wird. Aktuelles Beispiel aus Dortmund: Drei Ausländer pöbeln im Bus vier Frauen auf fiese und beleidigende Art an, belästigen und beleidigen sie, wie Arne Niehörster am 19. Februar 2009 in den Ruhr Nachrichten mitteilt. Jochen Buchholz saß auch im Bus. Er überlegte, sitzen zu bleiben und die Klappe zu halten oder aber aufzustehen. Er stand auf und sagte schlicht: „Ruhe jetzt!“ Ein kurzes Wortgefecht folgt. An der Haltestelle Von-der-Tann-Straße wurde er krankenhausreif geschlagen: „’Ich bin ausgestiegen und wollte genau vor dem Bus die Straße überqueren. Dann ist mir einer der drei in den Rücken gesprungen.’ Der 39-jährige stürzte zu Boden, sofort hagelte es Fußtritte und Fäuste auf den Kopf., Die Fußabdrücke konnte man in der Notaufnahme immer noch gut erkennen.’ Nach der Attacke konnte er sich irgendwie zurück in den Bus retten, der Fahrer hat sofort die Tür geschlossen., Die drei Schläger sind dann noch wie verrückt vor dem Bus herumgehüpft’ und hätten brüllend mit den Fäusten und dem Zeichen für, Kehle durchschneiden’ gedroht. Bis ein Streifenwagen vorfuhr. Buchholz wunderte sich noch,, warum die die Typen nicht sofort verfolgt haben. Die Polizistin sagte mir aber,, Darum kümmern sich Kollegen.’“ Jochen Buchholz kam ins Krankenhaus. Der Bruch wird vielleicht in zehn Tagen verheilt sein, das Erlebnis wird er als Andenken sein Leben lang behalten. Bedenkens- wie bemerkenswert ist, dass weder Polizei, noch Servicemitarbeiter noch die übrigen Insassen im voll besetzten Bus eingriffen: „Was sagt er zur aufgeflammten Diskussion über Zivilcourage?, Ich bin aufgestanden, die anderen nicht. Fertig. Auch nicht die Service-Mitarbeiter.’ Zwei haben nach seiner Aussage hinter ihm gesessen.’“ (Ruhr Nachrichten, 19. Februar 2009) Warum handelte die Polizei nicht sofort? Die Anzeige hätte später aufgenommen werden können. Jetzt muss nach den drei Schlägern gefahndet werden. Wieder einmal siegt Schweigen, Nichthandeln und Delegation von Dienstinhalten. Gewalt siegt. Weiter muss nun reflektiert werden, dass Polizisten und Servicemitarbeiter auch nur Menschen sind und vor Gewalt zurückschrecken, weil sie primär sich selbst schützen wollten?

Die Informationslage in einem Artikel „Bewährung für brutales Schläger-Duo“ der Ruhr Nachrichten vom 2. März 2010, also etwas mehr als ein Jahr später, folgt dem Kinderreim „Zehn kleine Negerlein.“ So heißt es dann in der Berichterstattung, es seien nur zwei Frauen belästigt worden (statt vier Frauen) und verurteilt wurden zwei statt drei Schläger. Darüber hinaus hatte die DSW nicht ihre eigenen Sicherheitsleute, wie aus dem neueren Artikel zu schließen ist, sondern Sicherheitsleute einer Fremdfirma beauftragt. Ob die Sicherheitsbehörden, die von der DSW eingesetzt wurden, in ihrem Arbeitsvertrag stehen haben, in solchen Fällen, wie dem obigen einzugreifen, wurde durch die Staatsanwaltschaft Dortmund (Ina Holznagel) bis März 2010 nicht geklärt!!! Vor Gericht sagten die beiden Schläger, zwei Schwarze, die Frauen hätten sich nicht belästigt gefühlt und außerdem seien sie rassistisch beleidigt worden. Sie hätten sich provoziert gefühlt und deshalb hätten sie überreagiert. Jochen B., der im Krankenhaus behandelt werden musste, wies dies zurück. Sie sind jeweils zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt worden. (Vgl. Ruhr Nachrichten, 2. März 2010) Ob eine solche Rechtsprechung für Schutz sorgt, sei dahin gestellt. Wer soll sich denn für andere Menschen einsetzen? Wer lässt sich ggf. zusammenschlagen, wenn klar ist, dass derartige Schläger auf freien Fuß gesetzt werden, sprich, eine Bewährungsstrafe bekommen? Sollten sie nicht besser mal den Sicherheitsdienst zur Strafe für zwei Jahre unentgeltlich und täglich zu vier Stunden in ihrer Freizeit, sprich im Nachtexpress-Bus, versehen? Denn die Täter schrecken ja wohl nicht davor zurück, einzugreifen. Selbstverständlich müssen sie vorher ein Training absolvieren, dass sie diesen Dienst nicht für eigene Gewaltgelüste nutzen...! Sie müssten ihre Dienste jeweils in Begleitung mit ausgebildetem, aber nicht feigem, Sicherheitspersonal der DSW versehen.

Zurück zum Überblick des Buches: An die Einführung über die Kontinuität von Gefühl, Erleben, Erinnerung aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart, schließen sich Reflexionen über Kapitalismus anhand von Entwicklungen und Handlungsbeispielen der Wirtschaft in den letzten Jahren an, um dann zu zwei deutschen Philosophen überzuleiten, die aus völlig unterschiedlichen philosophischen Sichtweisen und mit völlig anderen Worten und Analysemitteln zum gleichen Appell gelangen: „Der Mensch muss im Mittelpunkt des Menschen stehen.“

Forderung und Fazit habe ich kurz in dem Begriff Selbstwert zusammengefasst und dem Kern und Ziel kapitalistischer Wirtschaft gegenüber gesetzt: Selbstwert statt Mehrwert. Kernaussagen von Karl Marx und Friedrich Nietzsche werden aufgegriffen und mit dem grundsätzlich menschlich anständigem Ziel tiefenpsychologischer Psychotherapie, Menschen in ihrem Selbst und/oder Selbstwert zu stärken und handlungsfähig wie gesund oder gesünder werden zu lassen, ergänzt. Warum Psychotherapie gesellschaftlich abgewertet und als Methode für Personen non grata gehandelt wurde, bestätigt auch noch in der Gegenwart trotz gesetzlich geregelter Psychotherapie die Brisanz der Zielsetzung psychotherapeutischer Behandlung. Darüber können Sie sich, lieber Leser, dann in den beiden nachfolgenden Bänden II und III, in denen es um die Entwicklung Psychologischer Psychotherapie im Gesundheitswesen und die Rolle der Ärzteschaft – wobei die zugelassenen Psychologischen Psychotherapeuten als Fachärzte für Psychotherapie eingeordnet wurden – in der Gesundheitswirtschaft geht, genauer über die Zusammenhänge informieren lassen, wenn Sie mögen.

Wie Vergangenheit in der Gegenwart in Menschen wirkt

Generell sind Menschen, und insbesondere Patienten, leiblich-seelische Zeugen menschlicher Entwicklungen und Entwicklungsmöglichkeiten heutiger Tage. Wenn sie nicht mehr allein im Leben klar kommen oder sie körperlich krank sind, suchen sie einen Arzt auf. Die Gründe sind so individuell wie sie selbst. Aber es liegen ähnliche Gründe, wie sie durch Gesellschaftsstrukturen und Kultur gegeben sind, vor, die zu Symptomen und in die Psychotherapeutischen Praxen führen. Sie geben Kunde, auf welchem Stand Menschen heutzutage in ihrer Entwicklung im Einklang der politisch-wirtschaftlichen Gemeinschaft gelangt sind. Die Frage ist andererseits, ob das, was Patienten mitteilen, gehört und verstanden wird und ob dem angemessen Behandlungsempfehlungen folgen. Psychologische Psychotherapeuten und Ärzte sind gleichfalls durch gesellschaftliche, kulturelle und wissenschaftliche Ausbildungsstandards geprägt. Insofern ist es wesentlich, wie sie ausgebildet sind und welches Verständnis ihnen vom Menschen vermittelt worden ist. Denn es nützt nichts, wenn Patienten dezidiert mitteilen, was sie haben und der Behandler beachtet diese Mitteilungen nicht. Dann versickert wichtiges Erfahrungsgut von Patienten in Behandlungszimmern und der Patient wird seine Mitteilungen über sich selbst unbestätigt oder unbeachtet gleichfalls als nicht wichtig für seinen Gesundungsprozess erachten und ratlos zurückbleiben. Oder aber er wird belehrt, etwas völlig anderes zu haben, als er dachte und er wird entsprechend der Sichtweise des Behandlers durch Behandlungen geführt. Viele Jahrzehnte war es üblich, dass nur die Ärzte wussten, was einem Patienten tatsächlich fehlt und woran er erkrankt war. Die Ärzte sprachen wenig mit Patienten. Dies folgte dem propagierten Selbstbild des Arztes in der wissenschaftlich-kulturellen Gemeinschaft in unserem Lande, die maßgeblich aus wirtschaftlichen Interessen im Hintergrund gesteuert wurde und bezog sich auch auf den Umgang mit psychischem Leid und sozialen Folgen (wie zum Beispiel Kriegen, Arbeitslosigkeit, Hunger etc.). Leid und Not hinterlässt Spuren in Menschen, die bis heute erhalten sind und die in unserem Gesundheitswesen nicht von belang waren und mittels Gesetzeslage von vornherein abgeblockt wurden, weil die Bearbeitung dieses Leids und dieser Not nicht von Krankenkassen oder Rentenversicherungsträgern getragen werden sollte. Zum Beispiel die Tränen eines 68-jährigen Mannes, der im mitgebrachten Buch, Die vergessene Generation von Sabine Bode, der Tochter im Jahre 2008 liest: also 63 Jahre nach Ende des Krieges. Er sitzt am Küchentisch. Unwillkürlich und ungewollt weint er. Er gibt Zeugnis, dass Erfahrungen im Menschen gespeichert werden und sowohl individuelle Geschichte des Betreffenden wie Gesellschaftsgeschichte widerspiegelt: „Ich kann auch kein Brot wegwerfen...“ Er erzählt dann weiter, wie diese Kriegs- und Nachkriegszeit für ihn war und immer noch ist. Er weint und berichtet von diesem furchtbaren Hunger, den er erlitten hat. Und er weint an vielen anderen Stellen des Buches, weil sie sofort die Erinnerung an eigene Erlebnisse wachrufen, die weder vergessen, noch tatsächlich verarbeitet, noch Konsequenzen für eine eigene Haltung, eine eigene Sicht auf Erlebnisse und Sachverhalte zeitigte. Die Angst sitzt tief.

Ich persönlich kenne diesen zehrenden und vernichtenden Hunger durch die Schilderungen meiner Großmutter und Mutter. Jeden Donnerstag kam meine Großmutter zu Besuch zu uns und verkochte das von meiner Mutter gesammelte Brot zu einer Brotsuppe mit Milch und Rosinen: Brot wurde nicht weggeschmissen. Die Brotsuppe wurde zur Mahnung an Hunger und Krieg und gleichzeitig zur Achtung und Ehrung von Brot: Jahrzehntelang nach dem Krieg. Meine Großmutter starb am 11. November 2003 an Darmkrebs. Sie hatte monatelang unendlich gelitten. Sie schrie vor Schmerzen. Die Ärzte wurden gefragt, wie die Schmerzen zu lindern sind, denn selbst Morphium und künstliche Ernährung brachten keine Linderung. Meiner Mutter wurde von Ärzten die Entscheidung angetragen, ob meine Großmutter weiterhin künstlich ernährt werden sollte oder nicht. Das Martyrium für meine Oma zu beenden war oberstes Ziel. Nach schweren Tagen und Wochen fällte meine Mutter die Entscheidung im Kreise unserer Familie: Meine Großmutter wurde nicht mehr künstlich weiter ernährt. Für sie wurde die schmerzliche Erfahrung und Angst am Ende ihres Lebens zugleich zum Helfer ins Jenseits: Sie verhungerte. Qual und Leid hatten ein Ende. Ihre größte Angst, nämlich Hunger leiden zu müssen, begleitete sie bis in den Tod. Gesteigert gesehen, war der Hunger das Mittel, um von Schmerzen erlöst zu werden.

Oder ein Sohn, der plötzlich begreift, warum sein Vater sich jahrzehntelang mit strategischen Schlachtplänen des Krieges mit Datum und Zahlen von Toten beschäftigte: Ein Versuch, die Wand der Gefühllosigkeit zu durchstoßen. Das Unfassliche des Krieges soll irgendwie zum persönlich Fassbaren durch Nacherleben werden. Ein Heilungsversuch, um den Gespenstern der Vergangenheit zu entkommen, die viele Menschen nicht schlafen lassen. Ein hilfloser Versuch, um im Nachkriegsleben ein Gefühl von Sicherheit gegen die erfahrene Todesangst zu setzen.

Eine Tochter, die begreift, warum ihre Mutter fast immer hilflos und inkompetent in sozialen Situationen dastand und sich nichts zutraut. Die Tochter versteht, warum sie selbst dauernd unter Schuldgefühlen leidet, ihrer Mutter nicht vertrauen konnte und sich unendlich allein in der Familie fühlte und tatsächlich auch war.

Kinder, die Symptome der Eltern übernehmen, weil sie das Unglück, das Leid aus der Welt der Eltern verbannen wollen: Sie möchten, dass ihre Eltern glücklich und frei sind – und am Ende haben alle in der Familie ähnliche Symptome und Krankheiten. Geteiltes Leid ist dann nicht halbes, sondern doppeltes und dreifaches Leid! Leid wird dann kleiner, wenn einem Menschen zugehört wird, wenn er fühlend erzählt, was ihm angetan wurde.

Die Deutschen haben mit aller jedem Einzelnen zur Verfügung stehenden Kraft versucht, ihre Geschichte zu verarbeiten – aber es fehlten die richtigen Hilfsmittel. Ob wir sie heute haben, ist ungewiss. Vielleicht hilft tatsächlich nur, den Berg von Leiden irgendwie Leid für Leid abzubauen und in Gegenwart und Zukunft Schädliches konsequent von Menschen fern zu halten.

Genauso fehlen für die im Nachkriegsdeutschland geborenen Menschen die Blickwinkel zu begreifen, wie sie mit ihrer eigenen Familie emotional verwoben sind, warum sich Wände und Mauern auftun, die nicht überbrückbar scheinen. Ein emotionaler Austausch in Familien bleibt weitestgehend in den persönlichen Beziehungen versagt – wenn dem doch so sein sollte, können sich viele Menschen schon glücklich schätzen. Denn nicht wenige im Nachkriegsdeutschland Geborene haben zusätzlich gewaltsame Erlebnisse wie Schläge und bisweilen Vergewaltigungen, mindestens jedoch verbale Gewalt durch Eltern erlebt, die Kriegszeiten unter Hitler erlebten – und mit ihm die Favorisierung barbarischer Erziehungsmethoden erworben. Sei es durch Väter, nahe Verwandte oder Nachbarn – die Mütter schweigen oftmals dazu, wenn sie nicht selbst in irgendeiner Form missbräuchlich tätig wurden. Auch in der Gegenwart muss vor Gerichten über Gewalt und Missbrauch in Heimen, wie zum Beispiel im Rheinischen Erziehungsheim in Süchteln, verhandelt und geurteilt werden: „In einem Kellerraum musste ich mich vor anderen entkleiden. Mein Kopfhaar wurde mir brutal entfernt. Ich wurde mit einem Wasserschlauch abgespritzt und mit Desinfektionspulver überschüttet.“ (Ruhr Nachrichten, 18. Februar 2009) Diese Vorgänge ereigneten sich von 1968 bis 1973. Der Betroffene stand unter Aufsicht staatlicher Fürsorge. Warum? „Er habe lange Haare getragen, Lernschwierigkeiten in der Schule gehabt, immer wieder geschwänzt.“ Nun wird im Bundestag über eine Wiedergutmachung für Betroffene nachgesonnen. Die katholische Kirche stehe zweifellos in der Verantwortung teilte der Beauftragte des Caritasverbandes, Mario Junglas, mit. „Schläge im Namen des Herrn“, ein Buch des Journalisten Peter Wensierski brachte das Thema 2006 in die Öffentlichkeit: „Nach den Recherchen des Autors wurden in den 1950er und 1960er Jahren mehr als 600.000 Kinder und Jugendliche in rund 3.000 überwiegend kirchlichen aber auch staatlichen Erziehungsheimen sexuell missbraucht und körperlich schwer misshandelt. Auch aus den siebziger Jahren sind noch Fälle bekannt.“ (Ruhr Nachrichten, 18. Februar 2009)

Die Wirkungen von Vergewaltigungen sind in Tageszeitungen für jeden Bürger nachlesbar: „42-Jährige wurde als Kind vom Vater vergewaltigt und kämpft noch heute gegen Schmerz und Angst an.“ (WR, 7.8.2007). Als Zehnjährige wollte die Tochter mit ihrem Vater im Bett nur kuscheln. Der Vater wollte Sex: „Er vergewaltigte mich, während meine Mutter daneben stand und ihn mit den Worten anfeuerte:, Reite sie ein fürs Leben’.“ Es war nicht die Drohung der Eltern, die diese Frau zum Schweigen veranlasste. Schweigen ließ sie die schier unerschütterliche Liebe, die jedes Kind den eigenen Eltern gegenüber empfindet. Eine Liebe, die so stark ist, dass sie den Gedanken daran, dass diese Eltern Böses tun, kategorisch ausschließt. „Ich habe immer geglaubt, selbst daran schuld zu sein, dass meine Eltern mich so behandelt haben, wie sie mich behandelt haben,“ sagt Tanja Bergmann. (Name von der Redaktion geändert) Erst dreißig Jahre später gelingt es dieser Frau nach zahlreichen Therapieversuchen und drei gescheiterten Ehen zusammen mit ihrem vierten Ehemann, zu dem sie Vertrauen fasste, ihre Geschichte so zu bearbeiten, dass sie in der Lage war, Anzeige gegen die Eltern zu erstatten.

Aber: „Kindesmissbrauch verjährt 20 Jahre nach dem 18. Geburtstag.“ Man fragt sich, wie der Gesetzgeber zu einer derartigen Verjährungsfrist bezüglich Vergewaltigung und Missbrauch gelangen konnte. Die Betroffene fragt dann auch folgerichtig, wie es möglich sei, dass Mord nicht verjähre, aber Kindesmissbrauch und Vergewaltigung. Dem kann ich mich nur anschließen – insbesondere dann, wenn ich mich an bestimmte Patientinnen erinnere, die ich diesbezüglich behandelt habe – oder an Frauen im Frauenhaus, die von Misshandlungen durch ihre Ehemänner berichteten. Tatsache ist, dass derartige Erlebnisse Jahrzehnte brauchen, bis sie von Opfern in Gänze überhaupt emotional begriffen werden. Natürlich können heutzutage vergewaltigte Mädchen und Frauen und Männer und Jungen Anzeige erstatten – aber das Leid kann sich trotz Kriseninterventionen und Traumabehandlungen hinsichtlich der erfahrenen Gefühlsqualität ins Leben der Betroffenen in völlig anderer Hinsicht ausbreiten – bis eben nach zwanzig oder dreißig Jahren oder noch länger die Gänze dessen, was eigentlich passiert ist, im Lebensverlauf sichtbar geworden ist, das Leid die Qualität von Unerträglichkeit erreicht hat.

So muss eine heute etwa 50-jährige Frau in den unmöglichsten Situationen, wie zum Beispiel in Dienstzimmern von Ämtern oder in Geschäften, haltlos weinen, weil in ihr plötzlich Erinnerungen aus der Kindheit unkontrolliert hochsteigen. Zum Beispiel, wie ihr Bruder sie cirka seit ihrem 11. Lebensjahr, wenn er aus der Kneipe zurückkam, sexuell missbrauchte. Die „Kinder“ schliefen zu mehreren auf einem Zimmer. Wer mag sich vorstellen, dass eine Mutter von 12 oder 13 Kindern eines ihrer Kind straft, in dem sie nur dieses eine Kind mit nur einer Unterhose bekleidet zwang, auf dem nackten Fußboden zu schlafen (auch im Winter) und auf der Toilette das Essen einzunehmen – während die restliche große Familie ordentlich am Tisch saß? Oder weiter, der Bruder mit der misshandelten Schwester eine Inzestbeziehung führt? Oder eine andere Frau und ihre Geschwister die regelmäßigen Wut- und Demütigungsanfälle des Vaters nicht einfach vergessen können und der Vater die gesamte Familie zwang, am Tisch sitzen zu bleiben und Rede und Antwort zu stehen... Oder ein Mann seine Frau zwingt, sich selbst im Badezimmer die Pulsadern aufzuschneiden und wenn sie es nicht tue, tue er es...! Oder eine Frau wegen unerklärlicher epileptischen Anfällen vor vielen Jahren in meine Praxis kam und mir dann eine Kindheitsgeschichte erzählte, die schier unglaublich klang: So wurde sie mit nacktem Popo als kleines Kind auf den heißen Ofen gesetzt, damit es hört und tut, was die Eltern wollten! Mit sieben wurde sie auf den Strich geschickt, um Geld zu verdienen. Es handelte sich um eine intelligente junge Frau, als sie zu mir kam, die verzweifelt versuchte, den Schatten ihrer Vergangenheit zu entkommen. Durch die Therapie bekam sie mehr Selbstbewusstsein, sie heiratete und bekam Kinder... dann wurde es noch einmal schwierig: wie die Kinder behandeln und erziehen und den Impulsen entkommen, sie so zu behandeln, wie sie selbst behandelt und erzogen worden ist? Ich habe nun schon viele Jahre nichts mehr von ihr gehört und so nehme ich an, sie hat geschafft, was sie sich so sehr wünschte: ein Leben in Frieden zu führen.

Die betroffene Frau aus dem oben zitierten Zeitungsartikel fühlte sich zum ersten Mal in ihrem Leben stark, als sie begriff, dass sie es geschafft hat, sich über die Drohungen ihrer Eltern hinweg zu setzen. Aber auch andere Töchter haben den Verrat durch ihre eigene Mutter erlebt: 2010 war von einer weiteren Mutter zu lesen, die dem Lebensgefährten half, die Tochter zu vergewaltigen! „Mutter half bei Missbrauch der Tochter.“ (Ruhr Nachrichten, 3.8.2010) Der 28-jährige Mann soll das Kind selbst auch in zahlreichen Fällen vergewaltigt haben. Bei einer Gelegenheit soll die Mutter ihre Tochter festgehalten haben, so dass diese sich gegen die Übergriffe nicht wehren konnte.“ Das Kind war anfangs 10 Jahre alt...

Ein weiterer Fall macht in der Zeitung von sich reden: „Gedemütigt, geschlagen und misshandelt.“ Im Artikel selbst heißt es: „Stunden dauerte das Martyrium des fünfjährigen Julian aus Delligsen (Niedersachsen) bis er an inneren Blutungen starb. Der Lebensgefährte der Mutter hat vor dem Haftrichter zugegeben, das Kind gequält und umgebracht zu haben.“ (Ruhr Nachrichten, 20.8.2010) Der 26-jährige Täter sitzt nun mit einer Mordanklage im Gefängnis. Im August gab er kurz nach seiner Verhaftung ein Statement ab: „Grund waren Nichtigkeiten wie Pinkeln ins Bett., Er hat mich so sehr zur Weißglut gebracht. Ich bin einfach ausgetickt.’“ (Ruhr Nachrichten, 16.11.2010)

In Bochum wurde nun ein 49-jähriger Familienvater wegen sexuellen Kindesmissbrauchs zu neun Jahren Haft verurteilt: die Staatsanwaltschaft hatte nur fünf Jahre beantragt, das Bochumer Landgericht ging darüber weit hinaus. Der Vater war angeklagt, sich an beiden Söhnen zwischen 1995 bis 2005 vergangen zu haben. „Es soll zu 160 Taten gekommen sein.“ (Ruhr Nachrichten: „Neun Jahre für Kindesmissbrauch.“ 21.8.2010)

Am 1. September 2010 nun die Schlagzeile aus einem anderen Fall von Missbrauch und Vergewaltigung. Die Tochter wurde von 1999 bis 2001 von ihrem Stiefvater missbraucht. Sie bekam im Alter von 14 Jahren ein Kind. Sie hielt den Namen des Vaters ihres Kindes geheim. Erst dadurch, dass sich die junge Frau ihrem Freund anvertraut hatte, kam die Geschichte ans Tageslicht. Der Vater legte ein Geständnis ab. Er bekam 3 Jahre Gefängnis. Und nun kommt die Begründung des Richters für die milde Strafe: „Dieses Geständnis und vor allem die Tatsache, dass die Taten schon ein Jahrzehnt zurückliegen, begründen die vergleichsweise milde Strafe., Sonst müssten Sie mit mindestens sieben Jahren rechnen’, sagte der Vorsitzende Richter Peter Marchlewski.“ (Ruhr Nachrichten: „Milde Strafe nach Missbrauchsserie“, 1.9.2010) Die Tochter hat lebenslang ein Kind von ihrem Stiefvater, was der Stiefvater aber wohl bisher nicht wirklich realisiert hat: „Als der Mann davon berichtete, dass er bis zum Abbruch des Kontaktes im Herbst 2009 den Sohn des Opfers, immer wie sein eigenes Kind’ behandelt habe, unterbrach ihn der Richter:, Entschuldigung, aber es ist doch ihr eigenes Kind. Das haben Sie offenbar bis heute nicht realisiert.’“(Ebda.)

Die junge Frau wird immer mit ihrer Vergangenheit konfrontiert sein: bis ins Grab. Und darüber hinaus wird der kleine Sohn gleichfalls für sein Leben gezeichnet sein... Der Stiefvater geht drei Jahre ins Gefängnis und dann? Dann kümmert er sich um seinen Sohn? Oder der Sohn wird nun ohne seinen leiblichen Vater aufwachsen? Wird dem Sohn verheimlicht, wer sein Vater ist? Wird er irgendwann fragen, wer sein leiblicher Vater ist? Wird er die Antwort hören wollen? Wie würde er mit dieser Antwort fertig werden in seinem Leben? Übernimmt ein anderer Mann die Vaterrolle? Dann hätte der kleine Sohn gleichfalls einen Stiefvater – so, wie seine Mutter auch einen Stiefvater hatte... Glauben Sie nicht auch, lieber Leser, dass dieser kleine Junge nicht spürt, dass irgendetwas in der Beziehung zu seiner Mutter und seinem Vater oder Stiefvater nicht stimmt? Meinen Sie nicht, dass er dann diese Gefühle aus den Beziehungen auf sich selbst bezieht und glaubt,mit ihm stimme etwas nicht?Wo wird der Stiefvater verpflichtet, Gutes für das Opfer und den kleinen Jungen zu tun? Und wie könnte das „Gute“ aussehen, wo der Stiefvater offenbar ernsthaft bisher weder realisiert noch fühlt,DASS ER DER VATER IST?Dass Kontakte zwischen Täter und Opfer, sowie dem aus dem Missbrauch resultierenden Kind, undenkbar sind, ist selbstverständlich.

Um Missverständnissen vorzubeugen, sei gesagt, dass an der Höhe der Strafe keineswegs der Grad an Erkenntnis für den Täter ablesbar werden kann. Die Höhe der Strafe ist eher ein emotionales Barometer dafür, für wie inakzeptabel das Verhalten eines Täters gesellschaftlich gehalten wird – unabhängig von juristischen Differenzierungen, die in das Strafmaß einfließen und es bestimmen. Aber gesellschaftlich ist es wichtig,Fühlen über Verhalten, das zu derartigen Taten führt, herzustellen. Und für dieses Fühlen müssen Täter Gelegenheit bekommen. Sie kennen alle den Spruch aus der Kindheit: Wer nicht hören kann, muss fühlen. Eben, wer nicht hören kann und versteht, dass ein bestimmtes Verhalten nicht anzuwenden ist an einem anderen Menschen, weil es schädlich ist, muss fühlen lernen, wenn er es mental nicht schafft, zu der Erkenntnis zu gelangen. Psychotherapie kann unterstützen, aber nicht strafmindernd wirken. Vielleicht kann bezüglich der Fähigkeit zur emotionalen Selbstreflexion auch zunächst schlicht mit Unterricht im Knast über das menschliche Wesen, was ihm zuträglich ist und was nicht, begonnen werden. Mancher Täter wird entdecken können, warum er so und nicht anders gehandelt hat – ob man allerdings gesellschaftlich bereit ist, nachzuvollziehen, was in den Tätern vor sich ging und geht und wer dann im Zuge der Aufarbeitung aus der Vergangenheit mit in Erscheinung tritt, bleibt abzuwarten. Notwendig ist diese Arbeit zweifelsfrei und zwar für komplimentierende Feststellungen, was dem menschlichen Wesen allgemein zugemutet werden kann und was nicht.

Einfach nur ein Geständnis abliefern reicht nicht aus, um von einer Verarbeitung oder einem Verstehen dessen, was geschehen ist, zu sprechen. Schon gar nicht reichen Geständnisse aus, die unter richterlichem Druck lapidar abgeliefert werden, weil im Falle der Geständnisverweigerung die Strafe höher ausfallen würde (s. Artikel im Stern Nr. 33 oder im vorliegenden Buch S. 169). Ebenso wenig reicht eine Begründung wie „die Tat sei schon so lange her...“ als Voraussetzung für Strafminderung aus: Im Gegenteil muss bei diesem Argument der „Verjährung“ umgekehrt berücksichtigt werden, dass Menschen, je älter sie werden desto genauer Ereignisse aus Kindheit, Jugend und frühem Erwachsenenalter erinnern und nicht nur erinnern, sondern emotional eine quälende Präsenz im Falle von Missbrauch und Vergewaltigung oder Gewalttaten spüren und ihnen bisweilen wortwörtlich erliegen. Bisweilen äußern sie sich in psychosomatischen und schlagen sich in rheumatischen Erkrankungen im Bewegungsapparat nieder. Abgelaufene Verjährungsfrist für Täter und Präsenz emotionaler Erfahrungen für Opfer verlaufen reziprok, d.h. je länger die Tat für das Opfer her ist, desto lähmender der Schmerz für die Opfer und der als dringlich erlebte Wunsch, Klärung herbei zu führen: ob dies Bestrafung für Täter oder Beziehungsklärungen in der Familie oder Familiengeheimnisse oder ähnliche Beziehungskonstellationen betreffen. Generell kann wohl gesagt werden, dass „Verjährungsargumente“ für jedes Opfer demütigend sind: Für sie verjährt nichts. Im Prinzip müsste die Umkehrung, je länger eine derartige Straftat unentdeckt und ungeklärt bleibt, desto höher das Strafmass oder die Forderung nach intensiver emotionaler Auseinandersetzung mit den Taten. Denn in der seit der Tatzeit verstrichenen Zeit hat das Opfer eines getan: gelitten und zwar auf zig verschiedenen Arten und Weisen. Es hat vielleicht ein Leben geführt, das es überhaupt nicht wollte und nicht als sein eigenes erkennt. Es ist ein fremdbestimmtes Leben.

All’ diese Überlegungen legen eines nahe: Es ist darüber nachzudenken, wie ein Menschen schädigendes Verhalten in der Gesellschaft wirkungsvoll unterbunden werden kann.

Ich denke, Fälle von Kindesmissbrauch werden oftmals unter dem Mantel der Verschwiegenheit der Opfer in Familien konserviert: Diese Vorgänge werden nicht thematisiert. Und wenn doch, dann werden sie verleugnet und das Opfer der Spinnerei oder Unverschämtheit bezichtigt – ebenso, wie Kinder aus Inzestbeziehungen...

Über den sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen hinaus sei auch auf psychischen Missbrauch und den täglichen Terror durch Eltern, die sich nicht mehr verstehen, sowie die Vorenthaltung der wahren Lebensgeschichten von Eltern verwiesen... Dasjenige, was an Beziehung strukturell und inhaltlich emotional gelebt wird, hat immer und in jedem Falle Auswirkungen auf die Kinder.

In diesen Zusammenhängen sollte auch das Buch „Rabenliebe“ (2010) von Peter Wawerzinek nicht unerwähnt bleiben. Er spricht von „Mutterverschweigen“ in der Adoptivfamilie. Das Buch handelt von der verzweifelten Suche nach seiner Mutter aus der Nachkriegskindheit. „Es versteht sich nicht von selbst, dass Mütter ihre Kinder lieben. Unter Tieren ist die Brutpflege eine Regel, die Ausnahmen kennt. Bei Primaten wurde der Infantizid beobachtet, die Tötung des Nachwuchses. Manche Naturvölker lassen Gebärende von kundigen Frauen begleiten – nicht allein, um ihnen die Niederkunft zu erleichtern, sondern auch, um sie daran zu hindern, das Neugeborene umzubringen. Die Mutterliebe, Gegenstand zahlloser Mythen und heroischer Erzählungen, ist kein Naturgesetz, sondern ein zivilisatorischer Standard, der verletzt werden kann. Die Nachricht von misshandelten, verhungerten, ermordeten Kindern ereilt uns in regelmäßigen Abständen. Wir neigen dazu, derlei als beklagenswerte Abweichung vom Normalfall zu betrachten. Doch selten ist die Perversion keineswegs,“ schreibt Ulrich Greiner unter dem Titel „Der Schrei nach der Mutter.“ (In: Die Zeit Nr. 34, 2010, S. 49) Der Roman von Peter Wawerzinek wurde in Klagenfurt mit dem Ingeborg Bachmann-Preis gekrönt. Vertreter der Theorie, man könne die (biologische)Tiefe einer Mutter-Bindung auch auf den Vater übertragen, werden sich enttäuscht sehen: „Warum schreit er nicht nach dem Vater? Wir sind doch gerade dabei, uns in die Einsicht zu üben, dass der Vater, um der Mutter ihren gleichberechtigten Weg in die Berufswelt zu ebnen, die Rolle der Bezugsperson genauso gut einnehmen kann, wenn er nur will. Wir setzen doch, jedenfalls im öffentlichen Diskurs, alles daran, die Mutter entbehrlich zu machen. Nein, sagt Wawerzinek, die Gebärerin, aus deren Leib das Kind kommt und wohin es nicht selten zurück will, hat eine ungleich größere symbiotische Bedeutung als der Zeuger. Auf die Mutter kommt alles an. Und gerade deshalb, weil sich die Mutterliebe nicht von selbst versteht, ist sie unersetzlich. Diese Botschaft wird vielen missfallen. Insofern ist Peter Wawerzineks Rabenliebe nicht nur ein literarisches Ereignis, sondern auch eine Provokation.“ (Greiner, Ulrich, 2010, S. 49)

Der Film „Into the wild“ (Sean Penn) zeigt, wie der Protagonist Chris McCandless aussteigt aus Gesellschaftund Familie. Er entsagt Swimmingpool, Geld, Auto, Zigaretten, kurz, dem Konsum, um zu sehen, was in ihm steckt und wer er ist. Der Film beginnt im Schlafzimmer der Eltern. Die Mutter schreckt aus dem Bett in der Nacht hoch. Sie hat die Stimme von Chris gehört: „Mama, hilf mir...“ Im Film werden fragmentarisch Gedanken und Erkenntnisse mitgeteilt. Beispiel: „Mancher Mensch glaubt, dass er der Liebe nicht wert sei und geht in die Einsamkeit, um die Lücken in der Vergangenheit zu schließen...“ Hinzugefügt sei: Viele Menschen, die dies tun, tun dies oft nicht, weil sie nichts Besseres zu tun wüssten, sondern weil sie es als dringliche Notwendigkeit emotional erleben, der sie nachkommen müssen, um zu leben oder zu überleben. Chris geht in die Wildnis, um seine Lücken und Wunden zu schließen – dafür schließt er sich von der Zivilisation ab. Die Eltern wissen, dass man Kristall vorsichtig behandeln muss – aber sie wissen nichts davon, wie zerbrechlich die Seele von Chris, ihrem Sohn, ist. Ein sehenswerter Film.

So wenig wie Kriegserfahrungen oder Mord verjähren, so wenig verjähren Kindesmissbrauch und Vergewaltigung. Man fragt sich, warum die Taten der Täter verjähren sollen, wo die Opfer bis ins Grab mit diesen Erlebnissen zu tun haben. Es bedarf nicht nur der Weiterentwicklung psychotherapeutischer Methoden für Betroffene, es Bedarf eines Wandels im Umgang mit derartigen Erfahrungen in der Kultur: Als Mensch kann man eigentlich nur mit aller Kraft dafür eintreten, Kriege zu verhindern und Menschen, die als Schläger, Vergewaltiger und Kindesmissbraucher auffällig werden, dementsprechend zu bestrafen – und zu therapieren, wie ich es oben kurz andeutete.

Die Zusammenhänge, was von was kommt, und was Opferschaft im Leben von Menschen bedeutet, muss jedem Menschen klar werden. Nur das Wissen um die Zusammenhänge und das Mitgefühl für diejenigen, die unter derartigen Erlebnissen leiden, kann dann vielleicht irgendwann bewirken, dass ein Mensch dem anderen so ein Leid nicht antut und generell dafür sorgt, dass derartiges Leid niemanden angetan wird.

Das Bewusstsein, nicht „nur“ dem Opfer zu schaden, sondern auch den Kindern von Opfern, muss realisiert werden. Täter müssen wissen, dass auch sie (vermutlich emotional) blind Grausamkeit durch ihr eigenes Verhalten weitergegeben haben, das sie selbst irgendwann einmal erfahren haben. Oder, dass sich Grausamkeit durch Familienmitglieder auf sie übertragen hat und sie schlicht Ausführungsorgan für Grausamkeit in jeder Form waren. Generell sind Täter nicht sensibilisiert für Grausamkeit – sonst hätten sie Gewalt, Missbrauch, Vergewaltigung oder sonstige Gräueltaten nicht ohne Gefühl weitergeben können. Abschließend wäre zu sagen, auch Täter können auf ihre eigenen Kinder/Enkel ihr Täterverhalten unbewusst übertragen.

Liest man das Interview von Martin Walker, das er mit der Psychoanalytikerin Marina Gambaroff in dem Buch „Angst Lust – das furchtbar Weibliche“ führte, in dem er der Frage nachgeht, woher der Sadismus der Männer Frauen gegenüber stammt und sich insbesondere in Kriegszeiten offenbart(e), wird der hier gestiftete Zusammenhang von Vergewaltigung/Kriegserlebnisse/Missbrauch und dem Verhalten von Tätern, Müttern und Vätern, heutzutage plausibler:

Frauen wurden quer durch alle Zeiten körperlich an den Geschlechtsteilen verstümmelt, undenkbarer Grausamkeit und Sadismus ausgesetzt und selbst aus Schwangeren wurden Kinder herausgeschnitten und getötet, Frauen aufgespießt. Es scheint, hinsichtlich der Ausübung von Grausamkeiten gibt es keine Grenzen. Gambaroff:

„Es gab bei der Vernichtung der Armenier in der Türkei, Anfang des Jahrhunderts, grausamste Vergehen an Frauen, auch an schwangeren Frauen. Es fällt auf, gleich wo, durch welche Nation und von den Anhängern welcher Religion auch immer solche Grausamkeiten verübt werden, wenn sie gegen Frauen gerichtet sind, dann geht es in besonders sadistischer Weise um die Geschlechtsmerkmale und die Fortpflanzungsfähigkeit der Frau. Und es scheint wirklich so zu sein, wie du sagst, dass es gerade in Situationen sozialer Auflösung zu diesen schrecklichen Übergriffen gegen Frauen kommt. Nun müsste man sich fragen, warum ist das so? Soziale Auflösung ist äußerlich wie innerlich immer eine Existenzbedrohung, eben weil schützende und stabilisierende Strukturen, die dem einzelnen und dem Kollektiv Halt geben, zusammenbrechen. Kommen noch Kriegshandlungen hinzu, wächst die Bedrohung weiter an.“ (Block M. E.)

Frau Gambaroff verfolgt hier die psychoanalytische Hypothese, dass Männer, die ihre Mütter in ihrer Kindheit als wenig Sicherheit, Schutz und Halt gebend erlebten, in Kriegszeiten diese Gefühle der Schutzlosigkeit erneut in der Regression, ausgelöst durch die Kriegswirren, erleben. Herr Walker fasst diesen Zusammenhang im Interview so zusammen:

„Die Mutter, die das Leben gibt, gibt uns gleichzeitig den Tod mit. Das wäre dann eine typische metonymische Verwechslung. Man erhält die Macht über den Tod, indem man der, Todesbringerin’ den Garaus macht.“ (1994, S.14)

Damit wäre ein Kreislauf für Frauen und Männer geschlossen: Frauen geben Grausamkeiten weiter, weil Generationen von Frauen Grausamkeiten erlebten – die sich möglicherweise als wenig Halt, Sicherheit und Schutz gebend in der Betreuung ihrer männlichen Kinder äußerte – was aber durch geschlechtsspezifische Sozialisationsforschung nicht bestätigt wird. Danach erhalten männliche Säuglinge und Kleinkinder mehr Aufmerksamkeit, Zuwendung, längere Stillzeiten als weibliche. (Vgl. z. B. Scheu, U. 1977; Bilotti, E. G., 1973–1977 u. a.) Psychoanalytische Beziehungs- und Objektforschung könnte mit der Objektverlusterklärung helfen, die Lücke zu schließen: Männer müssen sich im Laufe der Entwicklung von der Mutter trennen, um eine männliche Identität aufzubauen – das müssen weibliche Kinder nicht. Damit fällt es den männlichen Kindern schwer nach der (ausführlichen) Bemutterung, die Mutter loszulassen. Sie müssen das Anderssein, das Männlichsein erkennen und in diesem Prozess den Verlust des Liebes- und Identifikationsobjektes verarbeiten und anerkennen. Das kann Wunden und Reste von Wut und Aggression beinhalten, je nachdem wie die Beziehung mit der Mutter sich gestaltete und dieser Ablösungsprozess letztlich erfolgte. Männer folgen damit (wahrscheinlich) dem Kreislauf der erlebten Unsicherheit und Schutzlosigkeit und erleben diese in Situationen sozialer Instabilität oder im Krieg wieder:

„Wenn Sozialstrukturen im Laufe ihrer Destabilisierung sowohl ihren intrapsychisch bedeutsamen Aspekt väterlicher Normenregulierung als auch den mütterlich haltender Funktion verlieren und im Gegenteil das gesellschaftliche Chaos zu einer „verfolgenden Mutter“ wird, dann kann ein ganzes Kollektiv auf eine sehr frühkindliche Stufe von Reaktionsweisen regredieren. Dann sind die Menschen diesen archaischen Ängsten ausgesetzt, die innerpsychisch nicht mehr zu kanalisieren sind. Dies dürfte vielleicht ganz besonders auf Kollektive Krieg führender Männer zutreffen, die ja in der Tat ganz real durch den Feind von Vernichtung und Tod bedroht sind. Die Weltwahrnehmung wird, je regressiver sie ist, desto weniger komplex, sprich: immer primitiver im Sinne von sich immer stärker vereinfachenden Mustern.“ (Gambaroff, 1994, S. 12 ff.)

Interessant wären an dieser Stelle Zahlen von Kindesmissbrauch, Vergewaltigung der letzten fünf, sechs Jahre, in denen sich soziale Sicherungssysteme qua Politik auflösten und die wirtschaftliche Unsicherheit in Deutschland zunahm. Gewalt- und generell Aggressionszunahme pfeifen die Spatzen von den Dächern – insbesondere von Schuldächern. Allgemein wird von einer hohen Dunkelziffer gesprochen – 12.765 Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern wurden laut Statistik des Bundeskriminalamtes 2006 erfasst. Aber: „Experten und Behörden sind sich einig, dass die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher liegt.“ (WR, 7.8.2007) Ergänzend wäre die Mitteilung des Verkehrsclub Deutschland (VCD) auf der Grundlage der vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Zahlen vom 8.7.2009 weiterzugeben: täglich sterben in Deutschland 12 Menschen pro Tag auf deutschen Straßen und mehr als 70.000 Menschen werden schwer verletzt. (Verkehrsunfallzahlen 2008: Vcd-blog.de 2009-o7-08.de)

Andererseits sollen Menschen in Deutschland aber mittels Abbau von Grundrechten gegen Terroristen geschützt werden, obwohl in Deutschland meines Wissens bisher kein Mensch durch terroristische Akte ums Leben gekommen ist. Seit Jahren wird für einen wirksamen Schutz gegen Gewalt, Vergewaltigung, Missbrauch und Raserei gerungen. Bezüglich Raserei auf den Straßen werden bevorzugt diejenigen zur Kasse gebeten, die in 30 und 50 Stundenkilometer-Zonen ein wenig schneller fahren und das manchmal auch nur deshalb, weil die Situation es erfordert, um eine mögliche Gefahr abzuwenden: eine Statistik darüber, wie hoch die Abweichungen vom geforderten Kilometerlimit waren, für die Bußgelder verschickt wurden und durch welche Art von Autofahrer der Staat Geld eintreibt, wäre hier sicherlich aufschlussreich. Ebenso wären die eingesetzten Mittel, wie Raser dingfest zu machen sind, von Interesse.

Ein größerer Erklärungsrahmen wird jedoch fällig, wenn die Frage gestellt wird, warum nach dem Krieg Missbrauch, Vergewaltigung, Inzest, Brutalität und Erziehungsmethoden aus der Hitlerzeit sich immer noch und weiter in Familien halten konnten. Die Frage ist, und dies berührt die Zusammenhangsstiftung im vorliegenden Kapitel, warum trotz Friedensvertrag die „Hitlerei, also die menschliche Niedertracht,“ wie Herr Seligmann im Zusammenhang mit der deutschen Traurigkeit anmerkt, nicht aufhört(e)? (Seligmann, Rafael, April, 2006, S. 87) Man kann der langen Tradition der Melancholie in Deutschland nicht nur mit dem immer gleichen Namen begegnen und erklären wollen, wie Seligmann schreibt: Diese Ansicht teile ich – die deutsche Geschichte reicht nicht nur bis Hitler zurück. Die Antwort auf die deutsche Melancholie und Traurigkeit gibt Seligmann über ein Zitat von Heinrich Böll: „Gehorsam, alle Lebensfreude niederdrückende Folgsamkeit.“ (2006, S. 89)

Seligmann: „Gehorsam wird uns von Kindesbeinen an aufgezwungen. Die Zeit der körperlichen Züchtigungen ist vorbei. Heute greifen die Sanktionen direkt die Seele an.“ (ebd.)

Auch wenn der Angriff auf die Seele das Thema des vorliegenden, mehrbändigen Buches ist, so ist direkte körperliche Gewalt in Deutschland keineswegs gebannt.

Anzumerken ist ebenso, dass ich Seligmanns Hypothese der Melancholie und Traurigkeit der Deutschen eher als ein dünnes Flüsschen, denn als Deutschland bestimmenden emotionalen Strom sehe. Es ist eher diagnostisch von differenzierten Ausprägungsgraden des depressiven Formenkreises aufgrund fehlender Trauer- und Traumaverarbeitung auszugehen, die als Ergebnis sicherlich auch bisweilen Traurigkeit als residuales Symptom noch vorhandener Lebensgeister hervorbringt. Wären die Deutschen traurig, würden weinen, hieße das, sie gestatten es sich, sich zu erinnern oder noch genauer, sie könnten sich ohne Scham und Angst erinnern – statt in ihrem Lebensausdruck fast wie tot, ausgestorben und distanziert freudlos zu wirken und zu leben – und sich schweigend unterzuordnen. Aber dies nur am Rande.

Kehren wir zum aufgenommenen Ausgangsgedanken zurück: Die körperlichen Züchtigungen in der Familie gibt es dennoch weiterhin, auch wenn inzwischen Jugendliche ihre Eltern anzeigen können. Ebenso wie es weiterhin Missbrauch, Vergewaltigung, Entführungen gibt – und Zunahme von Gewalt unter Jugendlichen in der deutschen Gegenwart. Missstände bei der Integration ausländischer Mitbürger, die aus Not ihre Heimat verließen, um in Deutschland ein besseres Leben anzufangen. Die Ausländer wurden zunächst in der Wirtschaft gut gebraucht als billige Arbeitskräfte. Jetzt, wo die Wirtschaft sie nicht mehr braucht, weil die Chinesen und Inder noch billiger sind, wird der Standort entweder dorthin verlegt oder sie werden nur vereinzelt und gut ausgebildet als fachlich gebildete Spezialisten nach Deutschland geholt. Demütigung der breiten Masse deutscher Bürger, die glaubten, ihre Kinder würden in den staatlichen Schulen bestens beschult und die erst viel später verstanden, dass die Wirtschaft nur wenige, gut ausgebildete, Menschen braucht. Und die übrigen sollten auch gar nicht so viel wissen: Denn sonst hätten sie Fragen gestellt, warum sie nicht die gleichen Chancen schulisch und beruflich haben, wie Kinder von reichen Menschen.

Fasst man Deutschland als Organismus auf, der zu untersuchen ist, konzentrieren sich grundsätzliche Einflussfaktoren im entnommenen Substrat. Man stelle sich vor, man hätte eine Spritze zur Verfügung, um diesem Organismus „Deutschland“ Blut zu entnehmen und zu analysieren. Das Blutbild würde sich als mit alten, schädlichen Faktoren, zusätzlich mit den Faktoren der Folgen des Alten, die Einflussnahme und Beschädigung des neu initiierten Lebens und mit fehlender Abwehrkraft, die notwendig ist, um tatsächlich zu neuen Entscheidungen kommen zu können, darstellen.

Vor allen Dingen würden sich aber zwei Faktoren zeigen: Der Faktor, der alles dominiert, Geld und dessen Macht – und seine Auswirkung auf die Seele des Menschen:

Was der Mensch dem Menschen ist und wie er sich selbst und andere sieht und behandelt.

Dann käme man auf die Darstellung des Verhältnis von Mann und Frau im deutsch-kapitalistischen Blutbild – und hier dringt die Spritze oder der Bohrer tiefer in den Boden ein und es schließt sich der Kreis, der in diesem Kapitel mit Frau Gambaroff begonnen wurde:

Was ist das Lebendige in diesem Kreislauf, Mann zu Frau, Frau zu Mann – ergänzt um das Verhältnis von Profit und Macht? Schlussendlich dient Profit nur der Macht und der Tatsache Einfluss nehmen zu können – der Bruch könnte also wieder gekürzt werden: Der Rest bestünde wieder aus dem Verhältnis Mann zu Frau und Frau zu Mann. An dieser Stelle des Kreises gelangt man wieder zu Kriegen, zu Grausamkeiten, zu Mord und Totschlag, zu Verarmung und vor allen Dingen zur Verschleierung dieser Beziehungen. Hier ist der Weg nicht weit, um über die gesellschaftlich wirksamen Spirale zur Funktion von Medien, Filmen, Öffentlichkeitsarbeit und politischen Entscheidungen, die im Dienste derer stehen, die das Geld haben und einsetzen können, wieder in den Kreislauf des Organismus Deutschland zu gelangen.

Verherrlichung von Gewalt entpuppt sich ebenso als lukrativ wie es sich politisch bewährt, wichtige Entscheidungen harmlos oder nebensächlich in der Öffentlichkeit mitzuteilen.

Beispiel: Die Steuer-Identifikationsnummer (TIN) 2003 von der rot-grünen Bundesregierung beschlossen, taucht nun, nach den Debatten bezüglich Gesundheitskarte, genehmigter Anti-Terror-Gesetzen und Hartz-IV in der Presse am 8. August 2007 wieder auf.

Die WR ordnet die Information an Hand von Fragen: Wer profitiert von der Aktion? Die Steuerbehörden! Aufgedeckt werden Steuertricksereien im Zusammenhang mit dem Missbrauch von Sozialleistungen von BÜRGERN. Meine Frage: Und die Steuertricksereien der Wirtschaft, der Unternehmer? Unklar bleibt im Artikel, ob Unternehmer diesbezüglich ebenso durchforstet werden wie Mittellose. Welchen Vorteil haben Bürger?

Sie brauchen sich bei einem Umzug nicht beim Finanzamt ummelden – die Steuernummer gilt sogar noch zwanzig Jahre nach dem Tod! Das ist überaus beruhigend, sich nicht noch aus dem Grab heraus bemühen zu müssen, sich dem Finanzamt gegenüber äußern. Denn bis jetzt werden Tote postalisch angefragt, wohin z.B. Gelder aus Grundstücksverkäufen nach ihrem Tod geflossen seien, und man erwarte, von Amtswegen, eine zügige Antwort. Der Tote wird darüber hinaus befragt, ob der Nachsendeantrag an die Erben nach dem Tod des Betroffenen auch richtig aufgenommen worden sei. Lachen Sie nicht! Diese Anfragen von Finanzamt und Post gingen und gehen selbstverständlich an die Verstorbenen, ich habe es selbst erlebt! Man fragt, so muss man schließen, in Deutschland die „falschen“ Toten, um Sachverhalte zu klären. Die Telekom – vom Wettbewerb in Deutschland durchgeistigt, oder sollte man sagen umnächtigt – steht dem Finanzamt diesbezüglich in nichts nach und teilt Lebenden den eigenen Tod mit: „Eine 85-jährige Dortmunderin hat ein Kondolenzschreiben der Telekom zu ihrem eigenen Tod aus dem Briefkasten geholt. Darin stand, was sie einen Tag vorher schon missmutig bemerkt hatte: Das Kommunikationsunternehmen hatte der alten Dame den Anschluss gekappt.“ (Ruhr Nachrichten: „Telekom teilt Kundin den eigenen Tod mit.“ 12.8.2009) Die Telekom ist eben Konkurrenten immer eine Nasenlänge voraus: Sie kontrolliert ihre Kunden ebenso wie Kommunikation oder Nicht-Kommunikationsmöglichkeiten für Kunden der Konkurrenzunternehmen über die staatseigenen Leitungen: Daumen rauf, Daumen runter. Analog zu den Göttern in weiß wäre von den Göttern der Telekommunikationsleistungen zu sprechen, die ihren Draht nun auch in noch höhere als die gewohnten in geistige Dimensionen ausstrecken und den lieben Gott spielen nachdem sie ihre Nase nachhaltig in Dimensionen des privaten Lebens, die dem Datenschutz unterliegen, in den letzten Jahren gesteckt hatte und sich als Spitzel von Intimsphäre der Mitarbeiter outete. Der Telekom ist weder Hölle noch Himmel fremd oder heilig und zeigt sich in der (schamanischen) Mittelwelt als strahlender Sieger des Wettbewerbs! Der Mensch heutiger Zeit wird auf vielen Ebenen daran gewöhnt, dass er eine kontrollierbare Nummer und ohne persönlichen Wert ist. Leben wie Namen sind Schall und Rauch und interessieren nur solange, wie Zahlungsfähigkeit vermutet werden kann.

Warum werden die Bürger nicht gefragt, die lebendig mittels unterschiedlicher Registrierungen, Kontrollen und Bespitzelungen in der Demokratie begraben werden? Aber das tut man jetzt: Wer spürt die Auswirkungen der neuen Steueridentifikations-Nummer als erstes? Die Rentner! Warum? Weil diese keine so hohe Lebenserwartung mehr haben, ließe sich fragend anfügen. „Hat ein Ruheständler übersehen, dass er wegen Alterseinkünften Steuern zahlen muss, kann er aus dem Datenpool herausgefischt und zur Kasse gebeten werden.“ (WR: Staat schafft gläserne Steuerbürger, 8.8.2007) In der Öffentlichkeit lässt man 2009 verlautbaren, dass man keine Rücksicht und keine Nachsicht bei sündigen Rentnern, die vielleicht vergessen haben, ihre Steuern anzumelden, walten lassen wird.

Aber es fließen zwei Gesetze an dieser Stellein eine Hand, in die staatliche Hand: „Wovor haben Datenschützer Angst? Peter Schaar, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, und seine Kollegen in den Ländern befürchten, dass die Eindämmung auf rein steuerliche Fragen von den Behörden nach und nach aufgeweicht wird. Als Beleg dafür dient den Kritikern das Kontenabrufverfahren. Einst nur zur Aufdeckung von Terroristen gedacht, wird es nun auch für Zwangsvollstreckung bei Hartz-IV-Empfängern eingesetzt.“ (Ebda. 8.8.2007) Wofür die Anti-Terrorgesetze noch nützlich sein werden oder schon sind, wird sich zeigen. Der zeitliche Grad der Aufklärungsgeschwindigkeit in der Gegenwart wird zeigen, ob Menschen einen falschen Instinkt hatten, als sie dieses Gesetz ablehnten und vereiteln wollten.

Wie bekannt, ist das „Hartz-Konzept“ eine Bezeichnung für Vorschläge der Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“, die unter der Leitung von Peter Hartz tagte und im August 2002 ihren Bericht vorlegte. „Die Kommission wurde von der Bundesregierung unter Gerhard Schröder eingesetzt. Sie sollte Vorschläge dazu unterbreiten, wie die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland effizienter gestaltet und die staatliche Arbeitsvermittlung reformiert werden könne. Anlass dafür war unter anderem das Bekanntwerden von geschönten Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit über deren Vermittlungserfolge und über den Umfang des Verwaltungspersonals (etwa 85.000) im Verhältnis zur Zahl der Vermittler (etwa 15.000). Erklärtes Ziel des Hartz-Konzeptes war es, innerhalb von vier Jahren die Arbeitslosenzahl von damals vier Millionen zu halbieren. Dieses Ziel konnte nicht annähernd erreicht werden.“ (Wikipedia, Stichwort Peter Hartz; 4.9.2008)

Wie man in Akte 07 im ZDF (2008) hören und sehen konnte, sind 100.000 Verfahren von Hartz-IV-Empfängern bei den Sozialgerichten anhängig – diese Sozialgerichtsverfahren sind für Bürger kostenlos. Dem Staat entstehen aufgrund dieser Tatsache hohe Kosten. Zu fragen bliebe, ob nun möglicherweise die Sozialgerichtsverfahren durch diese Regelung vermindert oder gar abgekoppelt werden können, um dem Staat Geld zu sparen? Wie seit Jahren zu hören ist, gibt es immer wieder Falschberechnungen und Verzögerungen in der Überweisungspraxis der Arbeitsämter bei Hartz-IV-Empfängern. Nun werden Hartz-IV-Empfänger verklagt, Rückzahlungen an den Staat zu leisten. Dagegen können sich Hartz-IV-Empfänger mittels kostenlosen Sozialgerichtsverfahren wehren. Könnte es also sein, dass künftig der Staat aufgrund dieser Kombination der Gesetzeslage das Recht hätte, kurzerhand von den mageren Konten der Hartz-IV-Empfänger schlicht die Rückzahlungsbeträge abbuchen zu können – egal, ob zu Recht oder zu Unrecht und damit das Sozialgerichtsverfahren der Hartz-IV-Empfänger kostendämpfend aushebeln?

Anhand dieses Vorganges scheint der Verdacht, die Anti-Terror-Gesetze werden zu Instrumenten funktionalisiert, die sich gegen Bürger richten, nicht weit. Sind die Bürger am Ende die „Bürger-Terroristen“, die man von Anfang an im Auge hatte und gegen die man vorgehen kann, wenn sie für ihr verbürgtes Recht und den ihnen zugewiesenen schmalen Grad finanzieller Unterstützung kämpfen wollen? Wird ihnen von vornherein jegliche Handlungsgrundlage, sich äußern, sich gegen Falschberechnungen zur Wehr setzen zu können, genommen? Sollen sie auch in dieser Hinsicht schweigen? Unter Hartz-IV nahm die Arbeitslosigkeit um so viel zu, wie ursprünglich abgebaut werden sollte: Statt 2 Millionen weniger, sind es nun 2 Millionen Arbeitslose mehr. Das Problem der Schwarzarbeit, das mit dem Hartz-Konzept ausgehebelt werden sollte, nahm eklatant zu. In diesem politischen Fahrwasser wurde dann der 1-Euro-Job kreiert. Hierzu ist bei Wikipedia nachzulesen:

„Auch wenn von Seiten der Bundesregierung davon gesprochen wird, dass die sog. „1-Euro-Jobs“ nur in Bereichen entstehen sollen, die ansonsten nicht vom Markt oder öffentlichen Einrichtungen bedient werden, kritisieren insbesondere Gewerkschaften und lokale mittelständische Betriebe und Wirtschaftsverbände diese Regelung.

Eine Abgrenzung zwischen Tätigkeiten, die ansonsten nicht angeboten werden, 

und möglichen Geschäftsfeldern und öffentlichen Leistungen ist schwer bzw. 

vom jeweiligen Stand der öffentlichen Versorgung abhängig.

Über de facto subventionierte Arbeitsverhältnisse könnte so bestehenden Einrichtungen 

und Firmen Konkurrenz gemacht werden sowie der Druck auf entsprechende Löhne verstärkt werden.“

(Wikipedia, Stichwort Peter Hartz).

Die politische Entwicklung in 2004, die ja noch gar nicht so lange her ist, und doch aus der Perspektive 2008 wie alter Tobak anmutet, weil längst in kurzer Zeit Gewöhnung an die Hartz-IV und 1-Euro-Job Realität eingetreten ist, wurde bisweilen durch Nachrichten in der Zeitung durchbrochen, die den weiteren Sozialabbau offenbar werden ließen. Ein-Euro-Jobs waren hart diskutiert und stifteten so manchen Gedanken an, der sich mit anderen gesellschaftlichen Entwicklungen verquickte. So schrieb ich in meinem ersten Manuskript zu Oben hui, Untern pfui 2004:

Adorno, ein bekannter deutscher und linker Nachkriegs-Philosoph sagte sinngemäß einmal: Langeweile ist der Reflex auf das objektive Grau. Ja, da sagt man sich dann vielleicht in folgenden Worten: „Ist sowieso immer dasselbe, Arbeitslosigkeit, Politiker, Gesundheitswesen - man möchte es schon gar nicht mehr lesen, denn man „weiß“ ja schon so viel darüber, nämlich dass es nicht bergauf geht. Und dann das Wetter: Es wird heute schlecht, schön, kalt oder warm. Gut.

Da tauchen plötzlich ein paar „alte Bankräuber“ in Hagen (64, 73 und 74 Jahre alt) auf. (www.süddeutsche.de vom 3.5.2005). Sie sind die Neuigkeit des Tages – und man denkt sich lächelnd, es gar nicht glauben könnend: „Das kann Zukunft haben.....eine Bank ausrauben...und dann geht man ins Gefängnis, wird verpflegt, hat sein Bett, bekommt Essen, keine Sorgen mehr wegen Gesetzesänderungen oder Finanzamt, für eine Beschäftigung und den geregelten Tagesablauf ist gesorgt, Besuch kann ich auch bekommen und Bücher kann ich ausleihen.“

 Plötzlich könnte man bemerken, wie Werte sich innerlich kaum merklich bei diesen Gedanken verschieben: Das Undenkbare wird plötzlich denkbar. Seltsam. Meine Gedanken vagabundieren: „Das ist auch Demokratie und Meinungsäußerung? Vielleicht muss dann irgendwann beschlossen werden, dass Menschen nicht mehr ins Gefängnis kommen, wenn sie sich etwas stehlen oder nehmen, wofür sie nicht bezahlen. Denn es könnte teuer werden für den Staat, wenn das Schule macht: Krankenversicherung ist im Gefängnis inklusive. Zumindest hätte man noch nichts Gegenteiliges gehört. Haben die Politiker an diese Möglichkeit auch mal gedacht, dass wenn die Werte und die Ethik so wenig Wert sind oder gar keinen Wert mehr haben, ganz andere Probleme drohen könnten?

Zum Beispiel könnte es ja sein, dass die Ladenbesitzer dazu übergehen, Dieben noch etwas dazuzugeben, damit sie nicht in ihrem, sondern in einem anderen Laden klauen. Oder Ladenbesitzer werden geschult, eine quasi soziale Perspektive einzunehmen, in der ihnen klar gemacht wird, wenn sie zu viele Diebe anzeigen, sie eine Pauschale abzutreten haben, weil die Gefängnisse hohe Defizite in den Staatshaushalt reißen. Sollen diese Menschen Sozialdienste im Sinne von Ein-Euro-Jobs ableisten? So viele Jobs gibt es vermutlich gar nicht - schon gar nicht in der Zukunft, wie es aussieht! Eine Differenzierung von Diebstählen ließe dies schon jetzt zu: „Mundraub“, kleine Diebstähle bis 5,00 Euro bis zu Banküberfällen. Also ins Gefängnis kämen nur Menschen, die einen „richtigen Bruch“ oder „Überfall“ in eine Bank oder sonstiges verüben – wenn aber viele Menschen dazu übergehen?“

Soweit dieser kleine Einschub, Hartz-IV und die Opa-Bankräuber, wie sie in der Presse genannt wurden. Wie können sich nun Eltern hinsichtlich ihrer Erziehungspraxis ihren Kindern gegenüber aufgrund dieser Entwicklung politischer Realität in Deutschland einrichten?

Soll den Kindern dieser Menschen durch ihre Eltern vermittelt werden, es nütze überhaupt nichts, sich wehren zu wollen, der Staat habe immer den längeren Arm – dann lassen sie sich in zehn, zwanzig Jahren besser in Gettos einpflegen, in die ihnen vom Staat das Mittagessen gebracht wird?