Maximen und Reflexionen - Johann Wolfgang Goethe - E-Book

Maximen und Reflexionen E-Book

Johann Wolfgang Goethe

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Beschreibung

Die "Maximen und Reflexionen" sind eines der populärsten Werke Goethes – er selbst aber hat unter diesem Titel nie etwas veröffentlicht. In der heute bekannten Form wurden diese Aphorismen und Gedankensplitter, Notate und Lesefrüchte Goethes erst 1907 von Max Hecker zusammengestellt – eine Fundgrube geschliffener Formulierungen und origineller Gedanken.Die Ausgabe gibt die Urfassung sämtlicher Aphorismen getreu wieder, bietet einige Ergänzungen und kommentiert ausführlich. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Seitenzahl: 698

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Johann Wolfgang Goethe

Maximen und Reflexionen

Herausgegeben und kommentiert von Benedikt Jeßing

Reclam

2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2021

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-961885-2

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-018698-5

www.reclam.de

Inhalt

Maximen und Reflexionen

Aus den Wahlverwandtschaften.

Aus Kunst und Alterthum.

Aus Kunst und Alterthum.

Aus Kunst und Alterthum.

Aus Kunst und Alterthum.

Aus Kunst und Alterthum.

Aus Kunst und Alterthum.

Aus Kunst und Alterthum.

Aus Kunst und Alterthum.

Aus den Heften zur Morphologie.

Aus den Heften zur Naturwissenschaft.

Aus Wilhelm Meisters Wanderjahren.

Aus Wilhelm Meisters Wanderjahren.

Aus dem Nachlaß.

Aus dem Nachlaß.

Aus dem Nachlaß.

Aus dem Nachlaß.

Nachlese aus dem Nachlaß.

Anhang

Aus den »Materialien zur Geschichte der Farbenlehre«

Zu dieser Ausgabe

Anmerkungen

Datierung der Maximen und Reflexionen

Literaturhinweise

Nachwort

Schlagwort-/Sachregister

Namenregister

Verzeichnis der Anfänge

Inhalt

[5]Maximen und Reflexionen

[7]Aus den Wahlverwandtschaften.

1809.
(Ottiliens Tagebuch.)

1. Wir blicken so gern in die Zukunft, weil wir das Ungefähre, was sich in ihr hin und her bewegt, durch stille Wünsche so gern zu unsern Gunsten heranleiten möchten.

2. Wir befinden uns nicht leicht in großer Gesellschaft, ohne zu denken, der Zufall, der so viele zusammenbringt, solle uns auch unsre Freunde herbeiführen.

3. Man mag noch so eingezogen leben, so wird man, ehe man sich’s versieht, ein Schuldner oder ein Gläubiger.

4. Begegnet uns jemand, der uns Dank schuldig ist, gleich fällt es uns ein. Wie oft können wir jemand begegnen, dem wir Dank schuldig sind, ohne daran zu denken.

5. Sich mitzutheilen ist Natur; Mitgetheiltes aufzunehmen, wie es gegeben wird, ist Bildung.

6. Niemand würde viel in Gesellschaften sprechen, wenn er sich bewußt wäre, wie oft er die andern mißversteht.

7. Man verändert fremde Reden bei’m Wiederholen wohl nur darum so sehr, weil man sie nicht verstanden hat.

8. Wer vor andern lange allein spricht, ohne den Zuhörern zu schmeicheln, erregt Widerwillen.

9. Jedes ausgesprochene Wort erregt den Gegensinn.

10. Widerspruch und Schmeichelei machen beide ein schlechtes Gespräch.

11. Die angenehmsten Gesellschaften sind die, in welchen eine heitere Ehrerbietung der Glieder gegen einander obwaltet.

[8]12. Durch nichts bezeichnen die Menschen mehr ihren Charakter als durch das, was sie lächerlich finden.

13. Das Lächerliche entspringt aus einem sittlichen Contrast, der auf eine unschädliche Weise für die Sinne in Verbindung gebracht wird.

14. Der sinnliche Mensch lacht oft, wo nichts zu lachen ist. Was ihn auch anregt, sein inneres Behagen kommt zum Vorschein.

15. Der Verständige findet fast alles lächerlich, der Vernünftige fast nichts.

16. Einem bejahrten Manne verdachte man, daß er sich noch um junge Frauenzimmer bemühte. »Es ist das einzige Mittel«, versetzte er, »sich zu verjüngen, und das will doch jedermann.«

17. Man läßt sich seine Mängel vorhalten, man läßt sich strafen, man leidet manches um ihrer willen mit Geduld; aber ungeduldig wird man, wenn man sie ablegen soll.

18. Gewisse Mängel sind nothwendig zum Dasein des Einzelnen. Es würde uns unangenehm sein, wenn alte Freunde gewisse Eigenheiten ablegten.

19. Man sagt: »Er stirbt bald«, wenn einer etwas gegen seine Art und Weise thut.

20. Was für Mängel dürfen wir behalten, ja an uns cultiviren? Solche, die den andern eher schmeicheln als sie verletzen.

21. Die Leidenschaften sind Mängel oder Tugenden, nur gesteigerte.

22. Unsre Leidenschaften sind wahre Phönixe. Wie der alte verbrennt, steigt der neue sogleich wieder aus der Asche hervor.

[9]23. Große Leidenschaften sind Krankheiten ohne Hoffnung. Was sie heilen könnte, macht sie erst recht gefährlich.

24. Die Leidenschaft erhöht und mildert sich durch’s Bekennen. In nichts wäre die Mittelstraße vielleicht wünschenswerther als im Vertrauen und Verschweigen gegen die, die wir lieben.

25. Man nimmt in der Welt jeden, wofür er sich gibt; aber er muß sich auch für etwas geben. Man erträgt die Unbequemen lieber, als man die Unbedeutenden duldet.

26. Man kann der Gesellschaft alles aufdringen, nur nicht, was eine Folge hat.

27. Wir lernen die Menschen nicht kennen, wenn sie zu uns kommen; wir müssen zu ihnen gehen, um zu erfahren, wie es mit ihnen steht.

28. Ich finde es beinahe natürlich, daß wir an Besuchenden mancherlei auszusetzen haben, daß wir sogleich, wenn sie weg sind, über sie nicht zum liebevollsten urtheilen; denn wir haben so zu sagen ein Recht, sie nach unserm Maßstabe zu messen. Selbst verständige und billige Menschen enthalten sich in solchen Fällen kaum einer scharfen Censur.

29. Wenn man dagegen bei andern gewesen ist und hat sie mit ihren Umgebungen, Gewohnheiten, in ihren nothwendigen unausweichlichen Zuständen gesehen, wie sie um sich wirken oder wie sie sich fügen, so gehört schon Unverstand und böser Wille dazu, um das lächerlich zu finden, was uns in mehr als Einem Sinne ehrwürdig scheinen müßte.

30. Durch das, was wir Betragen und gute Sitten nennen, soll das erreicht werden, was außerdem nur durch [10]Gewalt, oder auch nicht einmal durch Gewalt zu erreichen ist.

31. Der Umgang mit Frauen ist das Element guter Sitten.

32. Wie kann der Charakter, die Eigenthümlichkeit des Menschen mit der Lebensart bestehen?

33. Das Eigenthümliche müßte durch die Lebensart erst recht hervorgehoben werden. Das Bedeutende will jedermann, nur soll es nicht unbequem sein.

34. Die größten Vortheile im Leben überhaupt wie in der Gesellschaft hat ein gebildeter Soldat.

35. Rohe Kriegsleute gehen wenigstens nicht aus ihrem Charakter, und weil doch meist hinter der Stärke eine Gutmüthigkeit verborgen liegt, so ist im Nothfall auch mit ihnen auszukommen.

36. Niemand ist lästiger als ein täppischer Mensch vom Civilstande. Von ihm könnte man die Feinheit fordern, da er sich mit nichts Rohem zu beschäftigen hat.

37. Zutraulichkeit an der Stelle der Ehrfurcht ist immer lächerlich. Es würde niemand den Hut ablegen, nachdem er kaum das Compliment gemacht hat, wenn er wüßte, wie komisch das aussieht.

38. Es gibt kein äußeres Zeichen der Höflichkeit, das nicht einen tiefen sittlichen Grund hätte. Die rechte Erziehung wäre, welche dieses Zeichen und den Grund zugleich überlieferte.

39. Das Betragen ist ein Spiegel, in welchem jeder sein Bild zeigt.

40. Es gibt eine Höflichkeit des Herzens; sie ist der Liebe verwandt. Aus ihr entspringt die bequemste Höflichkeit des äußern Betragens.

[11]41. Freiwillige Abhängigkeit ist der schönste Zustand, und wie wäre der möglich ohne Liebe!

42. Wir sind nie entfernter von unsern Wünschen, als wenn wir uns einbilden, das Gewünschte zu besitzen.

43. Niemand ist mehr Sklave, als der sich für frei hält, ohne es zu sein.

44. Es darf sich einer nur für frei erklären, so fühlt er sich den Augenblick als bedingt. Wagt er es, sich für bedingt zu erklären, so fühlt er sich frei.

45. Gegen große Vorzüge eines andern gibt es kein Rettungsmittel als die Liebe.

46. Es ist was Schreckliches um einen vorzüglichen Mann, auf den sich die Dummen was zu Gute thun.

47. Es gibt, sagt man, für den Kammerdiener keinen Helden. Das kommt aber bloß daher, weil der Held nur vom Helden anerkannt werden kann. Der Kammerdiener wird aber wahrscheinlich seines Gleichen zu schätzen wissen.

48. Es gibt keinen größern Trost für die Mittelmäßigkeit, als daß das Genie nicht unsterblich sei.

49. Die größten Menschen hängen immer mit ihrem Jahrhundert durch eine Schwachheit zusammen.

50. Man hält die Menschen gewöhnlich für gefährlicher, als sie sind.

51. Thoren und gescheidte Leute sind gleich unschädlich. Nur die Halbnarren und Halbweisen, das sind die gefährlichsten.

52. Man weicht der Welt nicht sicherer aus als durch die Kunst, und man verknüpft sich nicht sicherer mit ihr als durch die Kunst.

53. Selbst im Augenblick des höchsten Glücks und der höchsten Noth bedürfen wir des Künstlers.

[12]54. Die Kunst beschäftigt sich mit dem Schweren und Guten.

55. Das Schwierige leicht behandelt zu sehen, gibt uns das Anschauen des Unmöglichen.

56. Die Schwierigkeiten wachsen, je näher man dem Ziele kommt.

57. Säen ist nicht so beschwerlich als ernten.

[13]Aus Kunst und Alterthum.

Ersten Bandes drittes Heft.

1818.
(Naivität und Humor.)

58. Die Kunst ist ein ernsthaftes Geschäft, am ernsthaftesten, wenn sie sich mit edlen heiligen Gegenständen beschäftigt; der Künstler aber steht über der Kunst und dem Gegenstande: über jener, da er sie zu seinen Zwecken braucht, über diesem, weil er ihn nach eigner Weise behandelt.

59. Die bildende Kunst ist auf das Sichtbare angewiesen, auf die äußere Erscheinung des Natürlichen. Das rein Natürliche, in so fern es sittlich gefällig ist, nennen wir naiv. Naive Gegenstände sind also das Gebiet der Kunst, die ein sittlicher Ausdruck des Natürlichen sein soll. Gegenstände, die nach beiden Seiten hinweisen, sind die günstigsten.

60. Das Naive als natürlich ist mit dem Wirklichen verschwistert. Das Wirkliche ohne sittlichen Bezug nennen wir gemein.

61. Die Kunst an und für sich selbst ist edel; deßhalb fürchtet sich der Künstler nicht vor dem Gemeinen. Ja indem er es aufnimmt, ist es schon geadelt, und so sehen wir die größten Künstler mit Kühnheit ihr Majestätsrecht ausüben.

62. In jedem Künstler liegt ein Keim von Verwegenheit, ohne den kein Talent denkbar ist, und dieser wird besonders rege, wenn man den Fähigen einschränken und zu einseitigen Zwecken dingen und brauchen will.

[14]63. Raphael ist unter den neuern Künstlern auch hier wohl der reinste. Er ist durchaus naiv, das Wirkliche kommt bei ihm nicht zum Streit mit dem Sittlichen oder gar Heiligen. Der Teppich, worauf die Anbetung der Könige abgebildet ist, eine überschwänglich herrliche Composition, zeigt von dem ältesten anbetenden Fürsten bis zu den Mohren und Affen, die sich auf den Kamelen mit Äpfeln ergötzen, eine ganze Welt. Hier durfte der heilige Joseph auch ganz naiv charakterisirt werden als Pflegevater, der sich über die eingekommenen Geschenke freut.

64. Auf den heiligen Joseph überhaupt haben es die Künstler abgesehen. Die Byzantiner, denen man nicht nachsagen kann, daß sie überflüssigen Humor anbrächten, stellen doch bei der Geburt den Heiligen immer verdrießlich vor. Das Kind liegt in der Krippe, die Thiere schauen hinein, verwundert, statt ihres trockenen Futters ein lebendiges, himmlisch-anmuthiges Geschöpf zu finden. Engel verehren den Ankömmling, die Mutter sitzt still dabei; St. Joseph aber sitzt abgewendet und kehrt unmuthig den Kopf nach der sonderbaren Scene.

65. Der Humor ist eins der Elemente des Genies, aber sobald er vorwaltet, nur ein Surrogat desselben; er begleitet die abnehmende Kunst, zerstört, vernichtet sie zuletzt.

66. Hierüber kann eine Arbeit anmuthig aufklären, die wir vorbereiten: sämmtliche Künstler nämlich, die uns schon von so manchen Seiten bekannt sind, ausschließlich von der ethischen zu betrachten, aus den Gegenständen und der Behandlung ihrer Werke zu entwickeln, was Zeit und Ort, Nation und Lehrmeister, was eigne unzerstörliche Individualität beigetragen, sie zu dem zu bilden, was sie wurden, sie bei dem zu erhalten, was sie waren.

[15]Aus Kunst und Alterthum.

Zweiten Bandes drittes Heft.

1820.
(Bedenklichstes.)

67. Gar oft im Laufe des Lebens, mitten in der größten Sicherheit des Wandels bemerken wir auf einmal, daß wir in einem Irrthum befangen sind, daß wir uns für Personen, für Gegenstände einnehmen ließen, ein Verhältniß zu ihnen erträumten, das dem erwachten Auge sogleich verschwindet; und doch können wir uns nicht losreißen, eine Macht hält uns fest, die uns unbegreiflich scheint. Manchmal jedoch kommen wir zum völligen Bewußtsein und begreifen, daß ein Irrthum so gut als ein Wahres zur Thätigkeit bewegen und antreiben kann. Weil nun die That überall entscheidend ist, so kann aus einem thätigen Irrthum etwas Treffliches entstehen, weil die Wirkung jedes Gethanen in’s Unendliche reicht. So ist das Hervorbringen freilich immer das Beste, aber auch das Zerstören ist nicht ohne glückliche Folge.

68. Der wunderbarste Irrthum aber ist derjenige, der sich auf uns selbst und unsere Kräfte bezieht, daß wir uns einem würdigen Geschäft, einem ehrsamen Unternehmen widmen, dem wir nicht gewachsen sind, daß wir nach einem Ziel streben, das wir nie erreichen können. Die daraus entspringende Tantalisch-Sisyphische Qual empfindet jeder nur um desto bitterer, je redlicher er es meinte. Und doch sehr oft, wenn wir uns von dem Beabsichtigten für [16]ewig getrennt sehen, haben wir schon auf unserm Wege irgend ein anderes Wünschenswerthe gefunden, etwas uns Gemäßes, mit dem uns zu begnügen wir eigentlich geboren sind.

[17]Aus Kunst und Alterthum.

Dritten Bandes erstes Heft.

1821.
(Eigenes und Angeeignetes in Sprüchen.)

69. Wenn der Mensch alles leisten soll, was man von ihm fordert, so muß er sich für mehr halten als er ist.

70. So lange das nicht in’s Absurde geht, erträgt man’s auch gern.

71. Die Arbeit macht den Gesellen.

72. Gewisse Bücher scheinen geschrieben zu sein, nicht damit man daraus lerne, sondern damit man wisse, daß der Verfasser etwas gewußt hat.

73. Sie peitschen den Quark, ob nicht etwa Crême daraus werden wolle.

74. Es ist weit eher möglich, sich in den Zustand eines Gehirns zu versetzen, das im entschiedensten Irrthum befangen ist, als eines, das Halbwahrheiten sich vorspiegelt.

75. Die Lust der Deutschen am Unsichern in den Künsten kommt aus der Pfuscherei her; denn wer pfuscht, darf das Rechte nicht gelten lassen, sonst wäre er gar nichts.

76. Es ist traurig anzusehen, wie ein außerordentlicher Mensch sich gar oft mit sich selbst, seinen Umständen, seiner Zeit herumwürgt, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen. Trauriges Beispiel: Bürger.

77. Die größte Achtung, die ein Autor für sein Publicum haben kann, ist, daß er niemals bringt, was man erwartet, [18]sondern was er selbst auf der jedesmaligen Stufe eigner und fremder Bildung für recht und nützlich hält.

78. Die Weisheit ist nur in der Wahrheit.

79. Wenn ich irre, kann es jeder bemerken, wenn ich lüge, nicht.

80. Der Deutsche hat Freiheit der Gesinnung, und daher merkt er nicht, wenn es ihm an Geschmacks- und Geistesfreiheit fehlt.

81. Ist denn die Welt nicht schon voller Räthsel genug, daß man die einfachsten Erscheinungen auch noch zu Räthseln machen soll?

82. Das kleinste Haar wirft seinen Schatten.

83. Was ich in meinem Leben durch falsche Tendenzen versucht habe zu thun, hab’ ich denn doch zuletzt gelernt begreifen.

84. Die Freigebigkeit erwirbt einem jeden Gunst, vorzüglich wenn sie von Demuth begleitet wird.

85. Vor dem Gewitter erhebt sich zum letztenmale der Staub gewaltsam, der nun bald für lange getilgt sein soll.

86. Die Menschen kennen einander nicht leicht, selbst mit dem besten Willen und Vorsatz; nun tritt noch der böse Wille hinzu, der alles entstellt.

87. Man würde einander besser kennen, wenn sich nicht immer einer dem andern gleichstellen wollte.

88. Ausgezeichnete Personen sind daher übler dran als andere: da man sich mit ihnen nicht vergleicht, paßt man ihnen auf.

89. In der Welt kommt’s nicht drauf an, daß man die Menschen kenne, sondern daß man im Augenblick klüger sei als der vor uns Stehende. Alle Jahrmärkte und Marktschreier geben Zeugniß.

[19]90. Nicht überall, wo Wasser ist, sind Frösche; aber wo man Frösche hört, ist Wasser.

91. Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nichts von seiner eigenen.

92. Der Irrthum ist recht gut, so lange wir jung sind; man muß ihn nur nicht mit in’s Alter schleppen.

93. Alle travers, die veralten, sind unnützes ranziges Zeug.

94. Durch die despotische Unvernunft des Cardinal Richelieu war Corneille an sich selbst irre geworden.

95. Die Natur geräth auf Specificationen wie in eine Sackgasse: sie kann nicht durch und mag nicht wieder zurück; daher die Hartnäckigkeit der Nationalbildung.

96. Metamorphose im höhern Sinn durch Nehmen und Geben, Gewinnen und Verlieren hat schon Dante trefflich geschildert.

97. Jeder hat etwas in seiner Natur, das, wenn er es öffentlich ausspräche, Mißfallen erregen müßte.

98. Wenn der Mensch über sein Physisches oder Moralisches nachdenkt, findet er sich gewöhnlich krank.

99. Es ist eine Forderung der Natur, daß der Mensch mitunter betäubt werde, ohne zu schlafen; daher der Genuß im Tabakrauchen, Branntweintrinken, Opiaten.

100. Dem thätigen Menschen kommt es darauf an, daß er das Rechte thue; ob das Rechte geschehe, soll ihn nicht kümmern.

101. Mancher klopft mit dem Hammer an der Wand herum und glaubt, er treffe jedesmal den Nagel auf den Kopf.

102. Die französischen Worte sind nicht aus geschriebenen lateinischen Worten entstanden, sondern aus gesprochenen.

[20]103. Das Zufällig-Wirkliche, an dem wir weder ein Gesetz der Natur noch der Freiheit für den Augenblick entdecken, nennen wir das Gemeine.

104. Bemahlung und Punctirung der Körper ist eine Rückkehr zur Thierheit.

105. Geschichte schreiben ist eine Art, sich das Vergangene vom Halse zu schaffen.

106. Was man nicht versteht, besitzt man nicht.

107. Nicht jeder, dem man Prägnantes überliefert, wird productiv; es fällt ihm wohl etwas ganz Bekanntes dabei ein.

108. Gunst, als Symbol der Souveränität, von schwachen Menschen ausgeübt.

109. Es gibt nichts Gemeines, was, fratzenhaft ausgedruckt, nicht humoristisch aussähe.

110. Es bleibt einem jeden immer noch soviel Kraft, das auszuführen, wovon er überzeugt ist.

111. Das Gedächtniß mag immer schwinden, wenn das Urtheil im Augenblick nicht fehlt.

112. Die sogenannten Naturdichter sind frisch und neu aufgeforderte, aus einer überbildeten, stockenden, manierirten Kunstepoche zurückgewiesene Talente. Dem Platten können sie nicht ausweichen, man kann sie daher als rückschreitend ansehen; sie sind aber regenerirend und veranlassen neue Vorschritte.

113. Keine Nation gewinnt ein Urtheil, als wenn sie über sich selbst urtheilen kann. Zu diesem großen Vortheil gelangt sie aber sehr spät.

114. Anstatt meinen Worten zu widersprechen, sollten sie nach meinem Sinne handeln.

115. Die Natur verstummt auf der Folter; ihre treue [21]Antwort auf redliche Frage ist: Ja! ja! Nein! nein! Alles Übrige ist vom Übel.

116. Die Menschen verdrießt’s, daß das Wahre so einfach ist; sie sollten bedenken, daß sie noch Mühe genug haben, es praktisch zu ihrem Nutzen anzuwenden.

117. Ich verwünsche die, die aus dem Irrthum eine eigene Welt machen und doch unablässig fordern, daß der Mensch nützlich sein müsse.

118. Eine Schule ist als ein einziger Mensch anzusehen, der hundert Jahre mit sich selbst spricht und sich in seinem eignen Wesen, und wenn es auch noch so albern wäre, ganz außerordentlich gefällt.

119. Eine falsche Lehre läßt sich nicht widerlegen, denn sie ruht ja auf der Überzeugung, daß das Falsche wahr sei. Aber das Gegentheil kann, darf und muß man wiederholt aussprechen.

120. Man streiche zwei Stäbchen, einen roth an, den andern blau, man bringe sie neben einander in’s Wasser, und einer wird gebrochen erscheinen wie der andere. Jeder kann dieses einfache Experiment mit den Augen des Leibes erblicken; wer es mit Geistesaugen beschaut, wird von tausend und aber tausend irrthümlichen Paragraphen befreit sein.

121. Alle Gegner einer geistreichen Sache schlagen nur in die Kohlen, diese springen umher und zünden da, wo sie sonst nicht gewirkt hätten.

122. Der Mensch wäre nicht der Vornehmste auf der Erde, wenn er nicht zu vornehm für sie wäre.

123. Das längst Gefundene wird wieder verscharrt; wie bemühte sich Tycho, die Cometen zu regelmäßigen Körpern zu machen, wofür sie Seneca längst anerkannt!

[22]124. Wie lange hat man über die Antipoden hin und her gestritten!

125. Gewissen Geistern muß man ihre Idiotismen lassen.

126. Es werden jetzt Productionen möglich, die Null sind, ohne schlecht zu sein, Null, weil sie keinen Gehalt haben, nicht schlecht, weil eine allgemeine Form guter Muster den Verfassern vorschwebt.

127. Der Schnee ist eine erlogene Reinlichkeit.

128. Wer sich vor der Idee scheut, hat auch zuletzt den Begriff nicht mehr.

129. Unsere Meister nennen wir billig die, von denen wir immer lernen. Nicht ein jeder, von dem wir lernen, verdient diesen Titel.

130. Alles Lyrische muß im Ganzen sehr vernünftig, im Einzelnen ein bißchen unvernünftig sein.

131. Es hat mit euch eine Beschaffenheit wie mit dem Meer, dem man unterschiedentliche Namen gibt, und es ist doch endlich alles gesalzen Wasser.

132. Man sagt: »Eitles Eigenlob stinket«. Das mag sein; was aber fremder und ungerechter Tadel für einen Geruch habe, dafür hat das Publicum keine Nase.

133. Der Roman ist eine subjective Epopee, in welcher der Verfasser sich die Erlaubniß ausbittet, die Welt nach seiner Weise zu behandeln. Es fragt sich also nur, ob er eine Weise habe; das andere wird sich schon finden.

134. Es gibt problematische Naturen, die keiner Lage gewachsen sind, in der sie sich befinden, und denen keine genug thut. Daraus entsteht der ungeheure Widerstreit, der das Leben ohne Genuß verzehrt.

135. Das eigentlich wahrhaft Gute, was wir thun, geschieht größtentheils clam, vi et precario.

[23]136. Ein lustiger Gefährte ist ein Rollwagen auf der Wanderschaft.

137. Der Schmutz ist glänzend, wenn die Sonne scheinen mag.

138. Der Müller denkt, es wachse kein Weizen, als damit seine Mühle gehe.

139. Es ist schwer, gegen den Augenblick gerecht sein: der gleichgültige macht uns lange Weile, am guten hat man zu tragen und am bösen zu schleppen.

140. Der ist der glücklichste Mensch, der das Ende seines Lebens mit dem Anfang in Verbindung setzen kann.

141. So eigensinnig widersprechend ist der Mensch: zu seinem Vortheil will er keine Nöthigung, zu seinem Schaden leidet er jeden Zwang.

142. Die Vorsicht ist einfach, die Hinterdreinsicht vielfach.

143. Ein Zustand, der alle Tage neuen Verdruß zuzieht, ist nicht der rechte.

144. Bei Unvorsichtigkeiten ist nichts gewöhnlicher, als Aussichten auf die Möglichkeit eines Auswegs zu suchen.

145. Die Hindus der Wüste geloben, keine Fische zu essen.

146. Ein unzulängliches Wahre wirkt eine Zeitlang fort, statt völliger Aufklärung aber tritt auf einmal ein blendendes Falsche herein; das genügt der Welt, und so sind Jahrhunderte bethört.

147. In den Wissenschaften ist es höchst verdienstlich, das unzulängliche Wahre, was die Alten schon besessen, aufzusuchen und weiter zu führen.

148. Es ist mit Meinungen, die man wagt, wie mit Steinen, die man voran im Brette bewegt: sie können [24]geschlagen werden, aber sie haben ein Spiel eingeleitet, das gewonnen wird.

149. Es ist so gewiß als wunderbar, daß Wahrheit und Irrthum aus Einer Quelle entstehen; deßwegen man oft dem Irrthum nicht schaden darf, weil man zugleich der Wahrheit schadet.

150. Die Wahrheit gehört dem Menschen, der Irrthum der Zeit an. Deßwegen sagte man von einem außerordentlichen Manne: »Le malheur des temps a causé son erreur, mais la force de son âme l’en a fait sortir avec gloire«.

151. Jedermann hat seine Eigenheiten und kann sie nicht los werden; und doch geht mancher an seinen Eigenheiten, oft an den unschuldigsten, zu Grunde.

152. Wer sich nicht zu viel dünkt, ist viel mehr, als er glaubt.

153. In Kunst und Wissenschaft so wie im Thun und Handeln kommt alles darauf an, daß die Objecte rein aufgefaßt und ihrer Natur gemäß behandelt werden.

154. Wenn verständige sinnige Personen im Alter die Wissenschaft gering schätzen, so kommt es nur daher, daß sie von ihr und von sich zu viel gefordert haben.

155. Ich bedauere die Menschen, welche von der Vergänglichkeit der Dinge viel Wesens machen und sich in Betrachtung irdischer Nichtigkeit verlieren. Sind wir ja eben deßhalb da, um das Vergängliche unvergänglich zu machen; das kann ja nur dadurch geschehen, wenn man beides zu schätzen weiß.

156. Ein Phänomen, Ein Versuch kann nichts beweisen, es ist das Glied einer großen Kette, das erst im Zusammenhange gilt. Wer eine Perlenschnur verdecken und nur die schönste einzelne vorzeigen wollte, verlangend, wir sollten [25]ihm glauben, die übrigen seien alle so: schwerlich würde sich jemand auf den Handel einlassen.

157. Abbildungen, Wortbeschreibung, Maß, Zahl und Zeichen stellen noch immer kein Phänomen dar. Darum bloß konnte sich die Newtonische Lehre so lange halten, daß der Irrthum in dem Quartbande der lateinischen Übersetzung für ein paar Jahrhunderte einbalsamirt war.

158. Man muß sein Glaubensbekenntniß von Zeit zu Zeit wiederholen, aussprechen, was man billigt, was man verdammt; der Gegentheil läßt’s ja auch nicht daran fehlen.

159. In der jetzigen Zeit soll niemand schweigen oder nachgeben; man muß reden und sich rühren, nicht um zu überwinden, sondern sich auf seinem Posten zu erhalten; ob bei der Majorität oder Minorität, ist ganz gleichgültig.

160. Was die Franzosen tournure nennen, ist eine zur Anmuth gemilderte Anmaßung. Man sieht daraus, daß die Deutschen keine tournure haben können; ihre Anmaßung ist hart und herb, ihre Anmuth mild und demüthig, das eine schließt das andere aus und sind nicht zu verbinden.

161. Einen Regenbogen, der eine Viertelstunde steht, sieht man nicht mehr an.

162. Es begegnete und geschieht mir noch, daß ein Werk bildender Kunst mir bei’m ersten Anblick mißfällt, weil ich ihm nicht gewachsen bin; ahnd’ ich aber ein Verdienst daran, so such’ ich ihm beizukommen, und dann fehlt es nicht an den erfreulichsten Entdeckungen: an den Dingen werd’ ich neue Eigenschaften und an mir neue Fähigkeiten gewahr.

163. Der Glaube ist ein häuslich heimlich Capital, wie es öffentliche Spar- und Hülfscassen gibt, woraus man in [26]Tagen der Noth einzelnen ihr Bedürfniß reicht; hier nimmt der Gläubige sich seine Zinsen im Stillen selbst.

164. Das Leben, so gemein es aussieht, so leicht es sich mit dem Gewöhnlichen, Alltäglichen zu befriedigen scheint, hegt und pflegt doch immer gewisse höhere Forderungen im Stillen fort und sieht sich nach Mitteln um, sie zu befriedigen.

165. Der eigentliche Obscurantismus ist nicht, daß man die Ausbreitung des Wahren, Klaren, Nützlichen hindert, sondern daß man das Falsche in Curs bringt.

[27]Aus Kunst und Alterthum.

Vierten Bandes zweites Heft.

1823.
(Eigenes und Angeeignetes.)

166. Der Irrthum ist viel leichter zu erkennen, als die Wahrheit zu finden; jener liegt auf der Oberfläche, damit läßt sich wohl fertig werden; diese ruht in der Tiefe, danach zu forschen ist nicht jedermanns Sache.

167. Wir alle leben vom Vergangnen und gehen am Vergangenen zu Grunde.

168. Wie wir was Großes lernen sollen, flüchten wir uns gleich in unsre angeborne Armseligkeit und haben doch immer etwas gelernt.

169. Den Deutschen ist nichts daran gelegen, zusammen zu bleiben, aber doch, für sich zu bleiben. Jeder, sei er auch, welcher er wolle, hat so ein eignes Fürsich, das er sich nicht gern möchte nehmen lassen.

170. Die empirisch-sittliche Welt besteht größtentheils nur aus bösem Willen und Neid.

171. Der Aberglaube ist die Poesie des Lebens; deßwegen schadet’s dem Dichter nicht, abergläubisch zu sein.

172. Mit dem Vertrauen ist es eine wunderliche Sache. Hört man nur Einen: der kann sich irren oder sich betrügen; hört man viele: die sind in demselbigen Falle, und gewöhnlich findet man da die Wahrheit gar nicht heraus.

173. Unreine Lebensverhältnisse soll man niemand wünschen; sie sind aber für den, der zufällig hineingeräth, [28]Prüfsteine des Charakters und des Entschiedensten, was der Mensch vermag.

174. Ein beschränkter, ehrlicher Mensch sieht oft die Schelmerei der feinsten Mächler (faiseurs) durch und durch.

175. Wer keine Liebe fühlt, muß schmeicheln lernen, sonst kommt er nicht aus.

176. Gegen die Kritik kann man sich weder schützen noch wehren; man muß ihr zum Trutz handeln, und das läßt sie sich nach und nach gefallen.

177. Die Menge kann tüchtige Menschen nicht entbehren, und die Tüchtigen sind ihnen jederzeit zur Last.

178. Wer meine Fehler überträgt, ist mein Herr, und wenn’s mein Diener wäre.

179. Memoiren von oben herunter oder von unten hinauf: sie müssen sich immer begegnen.

180. Wenn man von den Leuten Pflichten fordert und ihnen keine Rechte zugestehen will, muß man sie gut bezahlen.

181. Das sogenannte Romantische einer Gegend ist ein stilles Gefühl des Erhabenen unter der Form der Vergangenheit oder, was gleich lautet, der Einsamkeit, Abwesenheit, Abgeschiedenheit.

182. Der herrliche Kirchengesang: Veni Creator Spiritus ist ganz eigentlich ein Appell an’s Genie; deßwegen er auch geist- und kraftreiche Menschen gewaltig anspricht.

183. Das Schöne ist eine Manifestation geheimer Naturgesetze, die uns ohne dessen Erscheinung ewig wären verborgen geblieben.

184. Aufrichtig zu sein, kann ich versprechen, unparteiisch zu sein, aber nicht.

185. Der Undank ist immer eine Art Schwäche. Ich habe [29]nie gesehen, daß tüchtige Menschen wären undankbar gewesen.

186. Wir alle sind so bornirt, daß wir immer glauben, Recht zu haben; und so läßt sich ein außerordentlicher Geist denken, der nicht allein irrt, sondern sogar Lust am Irrthum hat.

187. Reine mittlere Wirkung zur Vollendung des Guten und Rechten ist sehr selten; gewöhnlich sehen wir Pedanterie, welche zu retardiren, Frechheit, die zu übereilen strebt.

188. Wort und Bild sind Correlate, die sich immerfort suchen, wie wir an Tropen und Gleichnissen genugsam gewahr werden. So von je her, was dem Ohr nach innen gesagt oder gesungen war, sollte dem Auge gleichfalls entgegenkommen. Und so sehen wir in kindlicher Zeit in Gesetzbuch und Heilsordnung, in Bibel und Fibel sich Wort und Bild immerfort balanciren. Wenn man aussprach, was sich nicht bilden, bildete, was sich nicht aussprechen ließ, so war das ganz recht; aber man vergriff sich gar oft und sprach, statt zu bilden, und daraus entstanden die doppelt bösen symbolisch-mystischen Ungeheuer.

189. »Wer sich mit Wissenschaften abgibt, leidet erst durch Retardationen und dann durch Präoccupationen. Die erste Zeit wollen die Menschen dem keinen Werth zugestehen, was wir ihnen überliefern, und dann gebärden sie sich, als wenn ihnen alles schon bekannt wäre, was wir ihnen überliefern könnten.«

190. Eine Sammlung von Anekdoten und Maximen ist für den Weltmann der größte Schatz, wenn er die ersten an schicklichen Orten in’s Gespräch einzustreuen, der letzten im treffenden Falle sich zu erinnern weiß.

191. Man sagt: »Studire, Künstler, die Natur!« Es ist aber [30]keine Kleinigkeit, aus dem Gemeinen das Edle, aus der Unform das Schöne zu entwickeln.

192. Wo der Antheil sich verliert, verliert sich auch das Gedächtniß.

193. Die Welt ist eine Glocke, die einen Riß hat: sie klappert, aber klingt nicht.

194. Die Zudringlichkeiten junger Dilettanten muß man mit Wohlwollen ertragen: sie werden im Alter die wahrsten Verehrer der Kunst und des Meisters.

195. Wenn die Menschen recht schlecht werden, haben sie keinen Antheil mehr als die Schadenfreude.

196. Gescheute Leute sind immer das beste Conversationslexikon.

197. Es gibt Menschen, die gar nicht irren, weil sie sich nichts Vernünftiges vorsetzen.

198. Kenne ich mein Verhältniß zu mir selbst und zur Außenwelt, so heiß’ ich’s Wahrheit. Und so kann jeder seine eigene Wahrheit haben, und es ist doch immer dieselbige.

199. Das Besondere unterliegt ewig dem Allgemeinen; das Allgemeine hat ewig sich dem Besondern zu fügen.

200. Vom eigentlich Productiven ist niemand Herr, und sie müssen es alle nur so gewähren lassen.

201. Wem die Natur ihr offenbares Geheimniß zu enthüllen anfängt, der empfindet eine unwiderstehliche Sehnsucht nach ihrer würdigsten Auslegerin, der Kunst.

202. Die Zeit ist selbst ein Element.

203. Der Mensch begreift niemals, wie anthropomorphisch er ist.

204. Ein Unterschied, der dem Verstand nichts gibt, ist kein Unterschied.

[31]205. In der Phanerogamie ist noch soviel Kryptogamisches, daß Jahrhunderte es nicht entziffern werden.

206. Die Verwechselung eines Consonanten mit dem andern möchte wohl aus Unfähigkeit des Organs, die Verwandlung der Vocale in Diphthongen aus einem eingebildeten Pathos entstehen.

207. Wenn man alle Gesetze studiren sollte, so hätte man gar keine Zeit, sie zu übertreten.

208. Man kann nicht für jedermann leben, besonders für die nicht, mit denen man nicht leben möchte.

209. Der Appell an die Nachwelt entspringt aus dem reinen lebendigen Gefühl, daß es ein Unvergängliches gebe und, wenn auch nicht gleich anerkannt, doch zuletzt aus der Minorität sich der Majorität werde zu erfreuen haben.

210. Geheimnisse sind noch keine Wunder.

211.I convertiti stanno freschi appresso di me.

212. Leichtsinnige leidenschaftliche Begünstigung problematischer Talente war ein Fehler meiner frühern Jahre, den ich niemals ganz ablegen konnte.

213. Ich möchte gern ehrlich mit dir sein, ohne daß wir uns entzweiten; das geht aber nicht. Du benimmst dich falsch und setzest dich zwischen zwei Stühle, Anhänger gewinnst du nicht und verlierst deine Freunde. Was soll daraus werden!

214. Es ist ganz einerlei, vornehm oder gering sein: das Menschliche muß man immer ausbaden.

215. Die liberalen Schriftsteller spielen jetzt ein gutes Spiel, sie haben das ganze Publicum zu Suppleanten.

216. Wenn ich von liberalen Ideen reden höre, so verwundere ich mich immer, wie die Menschen sich gern mit leeren Wortschällen hinhalten: eine Idee darf nicht liberal [32]sein! Kräftig sei sie, tüchtig, in sich selbst abgeschlossen, damit sie den göttlichen Auftrag, productiv zu sein, erfülle. Noch weniger darf der Begriff liberal sein; denn der hat einen ganz andern Auftrag.

217. Wo man die Liberalität aber suchen muß, das ist in den Gesinnungen, und diese sind das lebendige Gemüth.

218. Gesinnungen aber sind selten liberal, weil die Gesinnung unmittelbar aus der Person, ihren nächsten Beziehungen und Bedürfnissen hervorgeht.

219. Weiter schreiben wir nicht; an diesem Maßstab halte man, was man tagtäglich hört!

220. Es sind immer nur unsere Augen, unsere Vorstellungsarten; die Natur weiß ganz allein, was sie will, was sie gewollt hat.

221. »Gib mir, wo ich stehe!«

Archimedes.

»Nimm dir, wo du stehest!«

Nose.

Behaupte, wo du stehst!

G.

222. Allgemeines Causalverhältniß, das der Beobachter aufsucht und ähnliche Erscheinungen einer allgemeinen Ursache zuschreibt; an die nächste wird selten gedacht.

223. Einem Klugen widerfährt keine geringe Thorheit.

224. Bei jedem Kunstwerk, groß oder klein, bis in’s Kleinste kommt alles auf die Conception an.

225. Es gibt eine Poesie ohne Tropen, die ein einziger Tropus ist.

226. Ein alter gutmüthiger Examinator sagt einem [33]Schüler in’s Ohr: »Etiam nihil didicisti« und läßt ihn für gut hingehen.

227. Das Fürtreffliche ist unergründlich, man mag damit anfangen, was man will.

228.Aemilium Paulum – virum in tantum laudandum, in quantum intelligi virtus potest.

229. Ich habe mich so lange um’s Allgemeine bemüht, bis ich einsehen lernte, was vorzügliche Menschen im Besondern leisten.

[34]Aus Kunst und Alterthum.

Fünften Bandes erstes Heft.

1824.
(Einzelnes.)

230. Indem ich mich zeither mit der Lebensgeschichte wenig und viel bedeutender Menschen anhaltender beschäftigte, kam ich auf den Gedanken: es möchten sich wohl die einen in dem Weltgewebe als Zettel, die andern als Einschlag betrachten lassen; jene gäben eigentlich die Breite des Gewebes an, diese dessen Halt, Festigkeit, vielleicht auch mit Zuthat irgend eines Gebildes. Die Schere der Parze hingegen bestimmt die Länge, dem sich denn das Übrige alles zusammen unterwerfen muß. Weiter wollen wir das Gleichniß nicht verfolgen.

231. Auch Bücher haben ihr Erlebtes, das ihnen nicht entzogen werden kann.

Wer nie sein Brot mit Thränen aß,

Wer nicht die kummervollen Nächte

Auf seinem Bette weinend saß,

Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.

Diese tiefschmerzlichen Zeilen wiederholte sich eine höchst vollkommene angebetete Königin in der grausamsten Verbannung, zu gränzenlosem Elend verwiesen. Sie befreundete sich mit dem Buche, das diese Worte und noch manche schmerzliche Erfahrung überliefert, und zog [35]daraus einen peinlichen Trost; wer dürfte diese schon in die Ewigkeit sich erstreckende Wirkung wohl jemals verkümmern?

232. Mit dem größten Entzücken sieht man im Apollosaal der Villa Aldobrandini zu Frascati, auf welche glückliche Weise Domenichin die Ovidischen Metamorphosen mit der schicklichsten Örtlichkeit umgibt; dabei nun erinnert man sich gern, daß die glücklichsten Ereignisse doppelt selig empfunden werden, wenn sie uns in herrlicher Gegend gegönnt waren, ja daß gleichgültige Momente durch würdige Localität zu hoher Bedeutung gesteigert wurden.

233. Poesie wirkt am meisten im Anfang der Zustände, sie seien nun ganz roh, halbcultivirt oder bei Abänderung einer Cultur, bei’m Gewahrwerden einer fremden Cultur, daß man also sagen kann, die Wirkung der Neuheit findet durchaus statt.

234.Mannräuschlein nannte man im siebzehnten Jahrhundert gar ausdrucksvoll die Geliebte.

235.Liebes gewaschenes Seelchen ist der verliebteste Ausdruck auf Hiddensee.

236. Das Wahre ist eine Fackel, aber eine ungeheure; deßwegen suchen wir alle nur blinzend so daran vorbei zu kommen, in Furcht sogar, uns zu verbrennen.

237. »Die Klugen haben mit einander viel gemein.« Äschylus.

238. Das eigentlich Unverständige sonst verständiger Menschen ist, daß sie nicht zurecht zu legen wissen, was ein anderer sagt, aber nicht gerade trifft, wie er’s hätte sagen sollen.

239. Ein jeder, weil er spricht, glaubt, auch über die Sprache sprechen zu können.

[36]240. Man darf nur alt werden, um milder zu sein; ich sehe keinen Fehler begehen, den ich nicht auch begangen hätte.

241. Der Handelnde ist immer gewissenlos; es hat niemand Gewissen als der Betrachtende.

242. Ob denn die Glücklichen glauben, daß der Unglückliche wie ein Gladiator mit Anstand vor ihnen umkommen solle, wie der römische Pöbel zu fordern pflegte?

243. Den Timon fragte jemand wegen des Unterrichts seiner Kinder. »Laßt sie«, sagte der, »unterrichten in dem, was sie niemals begreifen werden.«

244. Es gibt Personen, denen ich wohl will und wünschte, ihnen besser wollen zu können.

245. Der eine Bruder brach Töpfe, der andere Krüge. Verderbliche Wirthschaft!

246. Wie man aus Gewohnheit nach einer abgelaufenen Uhr hinsieht, als wenn sie noch ginge, so blickt man auch wohl einer Schönen in’s Gesicht, als wenn sie noch liebte.

247. Der Haß ist ein actives Mißvergnügen, der Neid ein passives; deßhalb darf man sich nicht wundern, wenn der Neid so schnell in Haß übergeht.

248. Der Rhythmus hat etwas Zauberisches, sogar macht er uns glauben, das Erhabene gehöre uns an.

249. Dilettantismus, ernstlich behandelt, und Wissenschaft, mechanisch betrieben, werden Pedanterei.

250. Die Kunst kann niemand fördern als der Meister. Gönner fördern den Künstler, das ist recht und gut; aber dadurch wird nicht immer die Kunst gefördert.

251. »Deutlichkeit ist eine gehörige Vertheilung von Licht und Schatten.« Hamann. Hört!

252. Shakespeare ist reich an wundersamen Tropen, die [37]aus personificirten Begriffen entstehen und uns gar nicht kleiden würden, bei ihm aber völlig am Platze sind, weil zu seiner Zeit alle Kunst von der Allegorie beherrscht wurde.

Auch findet derselbe Gleichnisse, wo wir sie nicht hernehmen würden; zum Beispiel vom Buche. Die Druckerkunst war schon über hundert Jahre erfunden, demohngeachtet erschien ein Buch noch als ein Heiliges, wie wir aus dem damaligen Einbande sehen, und so war es dem edlen Dichter lieb und ehrenwerth; wir aber broschiren jetzt alles und haben nicht leicht vor dem Einbande noch seinem Inhalte Respect.

253.Herr von Schweinichen ist ein merkwürdiges Geschichts- und Sittenbuch; für die Mühe, die es kostet, es zu lesen, finden wir uns reichlich belohnt; es wird für gewisse Zustände eine Symbolik der vollkommensten Art. Es ist kein Lesebuch, aber man muß es gelesen haben.

254. Der thörigste von allen Irrthümern ist, wenn junge gute Köpfe glauben, ihre Originalität zu verlieren, indem sie das Wahre anerkennen, was von andern schon anerkannt worden.

255. Die Gelehrten sind meist gehässig, wenn sie widerlegen; einen Irrenden sehen sie gleich als ihren Todfeind an.

256. Die Schönheit kann nie über sich selbst deutlich werden.

257. Sobald man der subjectiven oder sogenannten sentimentalen Poesie mit der objectiven, darstellenden gleiche Rechte verlieh, wie es denn auch wohl nicht anders sein konnte, weil man sonst die moderne Poesie ganz hätte ablehnen müssen, so war voraus zu sehen, daß, wenn auch wahrhafte poetische Genies geboren werden sollten, sie [38]doch immer mehr das Gemüthliche des inneren Lebens als das Allgemeine des großen Weltlebens darstellen würden. Dieses ist nun in dem Grade eingetroffen, daß es eine Poesie ohne Tropen gibt, der man doch keineswegs allen Beifall versagen kann.

[39]Aus Kunst und Alterthum.

Fünften Bandes zweites Heft.

1825.
(Einzelnes.)

258. Madame Roland, auf dem Blutgerüste, verlangte Schreibzeug, um die ganz besondern Gedanken aufzuschreiben, die ihr auf dem letzten Wege vorgeschwebt. Schade, daß man ihr’s versagte; denn am Ende des Lebens gehen dem gefaßten Geiste Gedanken auf, bisher undenkbare; sie sind wie selige Dämonen, die sich auf den Gipfeln der Vergangenheit glänzend niederlassen.

259. Man sagt sich oft im Leben, daß man die Vielgeschäftigkeit, Polypragmosyne, vermeiden, besonders, je älter man wird, sich desto weniger in ein neues Geschäft einlassen solle. Aber man hat gut reden, gut sich und anderen rathen. Älter werden heißt selbst ein neues Geschäft antreten; alle Verhältnisse verändern sich, und man muß entweder zu handeln ganz aufhören oder mit Willen und Bewußtsein das neue Rollenfach übernehmen.

260. Große Talente sind selten, und selten ist es, daß sie sich selbst erkennen; nun aber hat kräftiges unbewußtes Handeln und Sinnen so höchst erfreuliche als unerfreuliche Folgen, und in solchem Conflict schwindet ein bedeutendes Leben vorüber. Hievon ergeben sich in Medwins Unterhaltungen so merkwürdige als traurige Beispiele.

261. Vom Absoluten in theoretischem Sinne wag’ ich nicht zu reden; behaupten aber darf ich, daß, wer es in der [40]Erscheinung anerkannt und immer im Auge behalten hat, sehr großen Gewinn davon erfahren wird.

262. In der Idee leben heißt das Unmögliche behandeln, als wenn es möglich wäre. Mit dem Charakter hat es dieselbe Bewandtniß: treffen beide zusammen, so entstehen Ereignisse, worüber die Welt vom Erstaunen sich Jahrtausende nicht erholen kann.

263. Napoleon, der ganz in der Idee lebte, konnte sie doch im Bewußtsein nicht erfassen; er läugnet alles Ideelle durchaus und spricht ihm jede Wirklichkeit ab, indessen er eifrig es zu verwirklichen trachtet. Einen solchen innern perpetuirlichen Widerspruch kann aber sein klarer unbestechlicher Verstand nicht ertragen, und es ist höchst wichtig, wenn er, gleichsam genöthigt, sich darüber gar eigen und anmuthig ausdrückt.

264. Er betrachtet die Idee als ein geistiges Wesen, das zwar keine Realität hat, aber, wenn es verfliegt, ein Residuum (caput mortuum) zurückläßt, dem wir die Wirklichkeit nicht ganz absprechen können. Wenn dieses uns auch starr und materiell genug scheinen mag, so spricht er sich ganz anders aus, wenn er von den unaufhaltsamen Folgen seines Lebens und Treibens mit Glauben und Zutrauen die Seinen unterhält. Da gesteht er wohl gern, daß Leben Lebendiges hervorbringe, daß eine gründliche Befruchtung auf alle Zeiten hinauswirke. Er gefällt sich zu bekennen, daß er dem Weltgange eine frische Anregung, eine neue Richtung gegeben habe.

265. Höchst bemerkenswerth bleibt es immer, daß Menschen, deren Persönlichkeit fast ganz Idee ist, sich so äußerst vor dem Phantastischen scheuen. So war Hamann, dem es unerträglich schien, wenn von Dingen einer [41]andern Welt gesprochen wurde. Er drückte sich gelegentlich darüber in einem gewissen Paragraphen aus, den er aber, weil er ihm unzulänglich schien, vierzehnmal variirte und sich doch immer wahrscheinlich nicht genug that. Zwei von diesen Versuchen sind uns übrig geblieben; einen dritten haben wir selbst gewagt, welchen hier abdrucken zu lassen, wir durch Obenstehendes veranlaßt sind.

266. Der Mensch ist als wirklich in die Mitte einer wirklichen Welt gesetzt und mit solchen Organen begabt, daß er das Wirkliche und nebenbei das Mögliche erkennen und hervorbringen kann. Alle gesunde Menschen haben die Überzeugung ihres Daseins und eines Daseienden um sie her. Indessen gibt es auch einen hohlen Fleck im Gehirn, das heißt eine Stelle, wo sich kein Gegenstand abspiegelt, wie denn auch im Auge selbst ein Fleckchen ist, das nicht sieht. Wird der Mensch auf diese Stelle besonders aufmerksam, vertieft er sich darin, so verfällt er in eine Geisteskrankheit, ahnet hier Dinge aus einer andern Welt, die aber eigentlich Undinge sind und weder Gestalt noch Begränzung haben, sondern als leere Nacht-Räumlichkeit ängstigen und den, der sich nicht losreißt, mehr als gespensterhaft verfolgen.

267. Wie wenig von dem Geschehenen ist geschrieben worden, wie wenig von dem Geschriebenen gerettet! Die Literatur ist von Haus aus fragmentarisch, sie enthält nur Denkmale des menschlichen Geistes, in so fern sie in Schriften verfaßt und zuletzt übrig geblieben sind.

268. Und doch bei aller Unvollständigkeit des Literarwesens finden wir tausendfältige Wiederholung, woraus hervorgeht, wie beschränkt des Menschen Geist und Schicksal sei.

[42]269. Da wir denn doch zu dieser allgemeinen Weltberathung als Assessoren, obgleich sine voto, berufen sind und wir uns von den Zeitungsschreibern tagtäglich referiren lassen, so ist es ein Glück, auch aus der Vorzeit tüchtig Referirende zu finden. Für mich sind von Raumer und Wachler in den neusten Tagen dergleichen geworden.

270. Die Frage, wer höher steht, der Historiker oder der Dichter, darf gar nicht aufgeworfen werden; sie concurriren nicht mit einander, so wenig als der Wettläufer und der Faustkämpfer. Jedem gebührt seine eigene Krone.

271. Die Pflicht des Historikers ist zwiefach: erst gegen sich selbst, dann gegen den Leser. Bei sich selbst muß er genau prüfen, was wohl geschehen sein könnte, und um des Lesers willen muß er festsetzen, was geschehen sei. Wie er mit sich selbst handelt, mag er mit seinen Collegen ausmachen; das Publicum muß aber nicht in’s Geheimniß hineinsehen, wie wenig in der Geschichte als entschieden ausgemacht kann angesprochen werden.

272. Es geht uns mit Büchern wie mit neuen Bekanntschaften. Die erste Zeit sind wir hoch vergnügt, wenn wir im Allgemeinen Übereinstimmung finden, wenn wir uns an irgend einer Hauptseite unserer Existenz freundlich berührt fühlen; bei näherer Bekanntschaft treten alsdann erst die Differenzen hervor, und da ist denn die Hauptsache eines vernünftigen Betragens, daß man nicht, wie etwa in der Jugend geschieht, sogleich zurückschaudere, sondern daß man gerade das Übereinstimmende recht festhalte und sich über die Differenzen vollkommen aufkläre, ohne sich deßhalb vereinigen zu wollen.

273. Eine solche freundlich-belehrende Unterhaltung ist mir durch Stiedenroths Psychologie geworden. [43]Alle Wirkung des Äußern auf’s Innere trägt er unvergleichlich vor, und wir sehen die Welt nochmals nach und nach in uns entstehen. Aber mit der Gegenwirkung des Innern nach außen gelingt es ihm nicht eben so. Der Entelechie, die nichts aufnimmt, ohne sich’s durch eigene Zuthat anzueignen, läßt er nicht Gerechtigkeit widerfahren, und mit dem Genie will es auf diesem Weg gar nicht fort; und wenn er das Ideal aus der Erfahrung abzuleiten denkt und sagt: das Kind idealisirt nicht, so mag man antworten: das Kind zeugt nicht; denn zum Gewahrwerden des Ideellen gehört auch eine Pubertät. Doch genug, er bleibt uns ein werther Gesell und Gefährte und soll nicht von unserer Seite kommen.

274. Wer viel mit Kindern lebt, wird finden, daß keine äußere Einwirkung auf sie ohne Gegenwirkung bleibt.

275. Die Gegenwirkung eines vorzüglich kindlichen Wesens ist sogar leidenschaftlich, das Eingreifen tüchtig.

276. Deßhalb leben Kinder in Schnellurtheilen, um nicht zu sagen in Vorurtheilen; denn bis das schnell, aber einseitig Gefaßte sich auslöscht, um einem Allgemeinern Platz zu machen, erfordert es Zeit. Hierauf zu achten, ist eine der größten Pflichten des Erziehers.

277. Ein zweijähriger Knabe hatte die Geburtstagsfeier begriffen, an der seinigen die bescherten Gaben mit Dank und Freude sich zugeeignet, nicht weniger dem Bruder die seinigen bei gleichem Feste gegönnt.

Hiedurch veranlaßt, fragte er am Weihnachtsabend, wo so viele Geschenke vorlagen, wann denn sein Weihnachten komme. Dieß allgemeine Fest zu begreifen, war noch ein ganzes Jahr nöthig.

278. Die große Schwierigkeit bei psychologischen [44]Reflexionen ist, daß man immer das Innere und Äußere parallel oder vielmehr verflochten betrachten muß. Es ist immerfort Systole und Diastole, Einathmen und Ausathmen des lebendigen Wesens; kann man es auch nicht aussprechen, so beobachte man es genau und merke darauf.

279. Mein Verhältniß zu Schiller gründete sich auf die entschiedene Richtung beider auf Einen Zweck, unsere gemeinsame Thätigkeit auf die Verschiedenheit der Mittel, wodurch wir jenen zu erreichen strebten.

Bei einer zarten Differenz, die einst zwischen uns zur Sprache kam, und woran ich durch eine Stelle seines Briefs wieder erinnert werde, macht’ ich folgende Betrachtungen.

Es ist ein großer Unterschied, ob der Dichter zum Allgemeinen das Besondere sucht oder im Besondern das Allgemeine schaut. Aus jener Art entsteht Allegorie, wo das Besondere nur als Beispiel, als Exempel des Allgemeinen gilt; die letztere aber ist eigentlich die Natur der Poesie, sie spricht ein Besonderes aus, ohne an’s Allgemeine zu denken oder darauf hinzuweisen. Wer nun dieses Besondere lebendig faßt, erhält zugleich das Allgemeine mit, ohne es gewahr zu werden, oder erst spät.

280. Den einzelnen Verkehrtheiten des Tags sollte man immer nur große weltgeschichtliche Massen entgegensetzen.

[45]Aus Kunst und Alterthum.

Fünften Bandes drittes Heft.

1826.
(Einzelnes.)

281. Eigentlich weiß man nur, wenn man wenig weiß; mit dem Wissen wächs’t der Zweifel.

282. Die Irrthümer des Menschen machen ihn eigentlich liebenswürdig.

283.Bonus vir semper tiro.

284. Es gibt Menschen, die ihr Gleiches lieben und aufsuchen, und wieder solche, die ihr Gegentheil lieben und diesem nachgehn.

285. Wer sich von jeher erlaubt hätte, die Welt so schlecht anzusehen, wie uns die Widersacher darstellen, der müßte ein miserables Subject geworden sein.

286. Mißgunst und Haß beschränken den Beobachter auf die Oberfläche, selbst wenn Scharfsinn sich zu ihnen gesellt; verschwistert sich dieser hingegen mit Wohlwollen und Liebe, so durchdringt er die Welt und den Menschen, ja er kann hoffen, zum Allerhöchsten zu gelangen.

287.Panoramic ability schreibt mir ein englischer Kritiker zu, wofür ich allerschönstens zu danken habe.

288. Einem jeden wohlgesinnten Deutschen ist eine gewisse Portion poetischer Gabe zu wünschen als das wahre Mittel, seinen Zustand, von welcher Art er auch sei, mit Werth und Anmuth einigermaßen zu umkleiden.

289. Den Stoff sieht jedermann vor sich, den Gehalt [46]findet nur der, der etwas dazu zu thun hat, und die Form ist ein Geheimniß den meisten.

290. Die Menschen halten sich mit ihren Neigungen an’s Lebendige. Die Jugend bildet sich wieder an der Jugend.

291. Wir mögen die Welt kennen lernen, wie wir wollen, sie wird immer eine Tag- und eine Nachtseite behalten.

292. Der Irrthum wiederholt sich immerfort in der That, deßwegen muß man das Wahre unermüdlich in Worten wiederholen.

293. Wie in Rom außer den Römern noch ein Volk von Statuen war, so ist außer dieser realen Welt noch eine Welt des Wahns, viel mächtiger beinahe, in der die meisten leben.

294. Die Menschen sind wie das rothe Meer: der Stab hat sie kaum aus einander gehalten, gleich hinterdrein fließen sie wieder zusammen.

295. Pflicht des Historikers, das Wahre vom Falschen, das Gewisse vom Ungewissen, das Zweifelhafte vom Verwerflichen zu unterscheiden.

296. Eine Chronik schreibt nur derjenige, dem die Gegenwart wichtig ist.

297. Die Gedanken kommen wieder, die Überzeugungen pflanzen sich fort; die Zustände gehen unwiederbringlich vorüber.

298. »Unter allen Völkerschaften haben die Griechen den Traum des Lebens am schönsten geträumt.«

299. Übersetzer sind als geschäftige Kuppler anzusehen, die uns eine halbverschleierte Schöne als höchst liebenswürdig anpreisen: sie erregen eine unwiderstehliche Neigung nach dem Original.

[47]300. Das Alterthum setzen wir gern über uns, aber die Nachwelt nicht. Nur ein Vater neidet seinem Sohn nicht das Talent.

301. Sich subordiniren ist überhaupt keine Kunst; aber in absteigender Linie, in der Descendenz etwas über sich erkennen, was unter einem steht!

302. Unser ganzes Kunststück besteht darin, daß wir unsere Existenz aufgeben, um zu existiren.

303. Alles, was wir treiben und thun, ist ein Abmüden; wohl dem, der nicht müde wird!

304. »Hoffnung ist die zweite Seele der Unglücklichen.«

305. »L’amour est un vrai recommenceur.«

306. Es gibt im Menschen auch ein Dienenwollendes; daher die chevalerie der Franzosen eine servage.

307. »Im Theater wird durch die Belustigung des Gesichts und Gehörs die Reflexion sehr eingeschränkt.«

308. Erfahrung kann sich in’s Unendliche erweitern, Theorie nicht in eben dem Sinne reinigen und vollkommener werden. Jener steht das Universum nach allen Richtungen offen, diese bleibt innerhalb der Gränze der menschlichen Fähigkeiten eingeschlossen. Deßhalb müssen alle Vorstellungsarten wiederkehren, und der wunderliche Fall tritt ein, daß bei erweiterter Erfahrung eine bornirte Theorie wieder Gunst erwerben kann.

309. Es ist immer dieselbe Welt, die der Betrachtung offen steht, die immerfort angeschaut oder geahnet wird, und es sind immer dieselben Menschen, die im Wahren oder Falschen leben, im letzten bequemer als im ersten.

310. Die Wahrheit widerspricht unserer Natur, der Irrthum nicht, und zwar aus einem sehr einfachen Grunde: [48]die Wahrheit fordert, daß wir uns für beschränkt erkennen sollen, der Irrthum schmeichelt uns, wir seien auf ein- oder die andere Weise unbegränzt.

311. Es ist nun schon bald zwanzig Jahre, daß die Deutschen sämmtlich transscendiren. Wenn sie es einmal gewahr werden, müssen sie sich wunderlich vorkommen.

312. Daß Menschen dasjenige noch zu können glauben, was sie gekonnt haben, ist natürlich genug; daß andere zu vermögen glauben, was sie nie vermochten, ist wohl seltsam, aber nicht selten.

313. Zu allen Zeiten sind es nur die Individuen, welche für die Wissenschaft gewirkt, nicht das Zeitalter. Das Zeitalter war’s, das den Sokrates durch Gift hinrichtete, das Zeitalter, das Hussen verbrannte: die Zeitalter sind sich immer gleich geblieben.

314. Das ist die wahre Symbolik, wo das Besondere das Allgemeinere repräsentirt, nicht als Traum und Schatten, sondern als lebendig-augenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen.

315. Alles Ideelle, sobald es vom Realen gefordert wird, zehrt endlich dieses und sich selbst auf. So der Credit (Papiergeld) das Silber und sich selbst.

316. Die Meisterschaft gilt oft für Egoismus.

317. Sobald die guten Werke und das Verdienstliche derselben aufhören, sogleich tritt die Sentimentalität dafür ein, bei den Protestanten.

318. Es ist eben, als ob man es selbst vermöchte, wenn man sich guten Raths erholen kann.

319. Die Wahlsprüche deuten auf das, was man nicht hat, wornach man strebt. Man stellt sich solches wie billig immer vor Augen.

[49]320. »Wer einen Stein nicht allein erheben mag, der soll ihn auch selbander liegen lassen.«

321. Der Despotismus fördert die Autokratie eines jeden, indem er von oben bis unten die Verantwortlichkeit dem Individuum zumuthet und so den höchsten Grad von Thätigkeit hervorbringt.

322. Alles Spinozistische in der poetischen Production wird in der Reflexion Machiavellismus.

323. Man muß seine Irrthümer theuer bezahlen, wenn man sie los werden will, und dann hat man noch von Glück zu sagen.

324. Wenn ein deutscher Literator seine Nation vormals beherrschen wollte, so mußte er ihr nur glauben machen, es sei einer da, der sie beherrschen wolle. Da waren sie gleich so verschüchtert, daß sie sich, von wem es auch wäre, gern beherrschen ließen.

325. »Nihil rerum mortalium tam instabile ac fluxum est quam potentia non sua vi nixa.«

326. »Es gibt auch Afterkünstler: Dilettanten und Speculanten; jene treiben die Kunst um des Vergnügens, diese um des Nutzens willen.«

327. Geselligkeit lag in meiner Natur; deßwegen ich bei vielfachem Unternehmen mir Mitarbeiter gewann und mich ihnen zum Mitarbeiter bildete und so das Glück erreichte, mich in ihnen und sie in mir fortleben zu sehn.

328. Mein ganzes inneres Wirken erwies sich als eine lebendige Heuristik, welche, eine unbekannte geahnete Regel anerkennend, solche in der Außenwelt zu finden und in die Außenwelt einzuführen trachtet.

329. Es gibt eine enthusiastische Reflexion, die von dem [50]größten Werth ist, wenn man sich von ihr nur nicht hinreißen läßt.

330. Nur in der Schule selbst ist die eigentliche Vorschule.

331. Der Irrthum verhält sich gegen das Wahre wie der Schlaf gegen das Wachen. Ich habe bemerkt, daß man aus dem Irren sich wie erquickt wieder zu dem Wahren hinwende.

332. Ein jeder leidet, der nicht für sich selbst handelt. Man handelt für andere, um mit ihnen zu genießen.

333. Das Faßliche gehört der Sinnlichkeit und dem Verstande. Hieran schließt sich das Gehörige, welches verwandt ist mit dem Schicklichen. Das Gehörige jedoch ist ein Verhältniß zu einer besondern Zeit und entschiedenen Umständen.

334. Eigentlich lernen wir nur von Büchern, die wir nicht beurtheilen können. Der Autor eines Buchs, das wir beurtheilen könnten, müßte von uns lernen.

335. Deßhalb ist die Bibel ein ewig wirksames Buch, weil, so lange die Welt steht, niemand auftreten und sagen wird: ich begreife es im Ganzen und verstehe es im Einzelnen. Wir aber sagen bescheiden: im Ganzen ist es ehrwürdig und im Einzelnen anwendbar.

336. Alle Mystik ist ein Transscendiren und ein Ablösen von irgend einem Gegenstande, den man hinter sich zu lassen glaubt. Je größer und bedeutender dasjenige war, dem man absagt, desto reicher sind die Productionen des Mystikers.

337. Die orientalische mystische Poesie hat deßwegen den großen Vorzug, daß der Reichthum der Welt, den der Adepte wegweis’t, ihm noch jederzeit zu Gebote steht. Er [51]befindet sich also noch immer mitten in der Fülle, die er verläßt, und schwelgt in dem, was er gern los sein möchte.

338. Christliche Mystiker sollte es gar nicht geben, da die Religion selbst Mysterien darbietet. Auch gehen sie immer gleich in’s Abstruse, in den Abgrund des Subjects.

339. Ein geistreicher Mann sagte, die neuere Mystik sei die Dialektik des Herzens und deßwegen mitunter so erstaunenswerth und verführerisch, weil sie Dinge zur Sprache bringe, zu denen der Mensch auf dem gewöhnlichen Verstands-, Vernunfts- und Religionswege nicht gelangen würde. Wer sich Muth und Kraft glaube, sie zu studiren, ohne sich betäuben zu lassen, der möge sich in diese Höhle des Trophonios versenken, jedoch auf seine eigene Gefahr.

340. Die Deutschen sollten in einem Zeitraume von dreißig Jahren das Wort Gemüth nicht aussprechen, dann würde nach und nach Gemüth sich wieder erzeugen; jetzt heißt es nur Nachsicht mit Schwächen, eignen und fremden.

341. Die Vorurtheile der Menschen beruhen auf dem jedesmaligen Charakter der Menschen, daher sind sie, mit dem Zustand innig vereinigt, ganz unüberwindlich; weder Evidenz noch Verstand noch Vernunft haben den mindesten Einfluß darauf.

342. Charaktere machen oft die Schwäche zum Gesetz. Weltkenner haben gesagt: »Die Klugheit ist unüberwindlich, hinter welcher sich die Furcht versteckt.« Schwache Menschen haben oft revolutionäre Gesinnungen; sie meinen, es wäre ihnen wohl, wenn sie nicht regiert würden, und fühlen nicht, daß sie weder sich noch andere regieren können.

343. In eben dem Falle sind die neuern deutschen [52]Künstler: den Zweig der Kunst, den sie nicht besitzen, erklären sie für schädlich und daher wegzuhauen.

344. Der Menschenverstand wird mit dem gesunden Menschen rein geboren, entwickelt sich aus sich selbst und offenbart sich durch ein entschiedenes Gewahrwerden und Anerkennen des Nothwendigen und Nützlichen. Praktische Männer und Frauen bedienen sich dessen mit Sicherheit. Wo er mangelt, halten beide Geschlechter, was sie begehren, für nothwendig und für nützlich, was ihnen gefällt.

345. Alle Menschen, wie sie zur Freiheit gelangen, machen ihre Fehler gelten: die Starken das Übertreiben, die Schwachen das Vernachlässigen.

346. Der Kampf des Alten, Bestehenden, Beharrenden mit Entwicklung, Aus- und Umbildung ist immer derselbe. Aus aller Ordnung entsteht zuletzt Pedanterie; um diese los zu werden, zerstört man jene, und es geht eine Zeit hin, bis man gewahr wird, daß man wieder Ordnung machen müsse. Classicismus und Romanticismus, Innungszwang und Gewerbsfreiheit, Festhalten und Zersplittern des Grundbodens: es ist immer derselbe Conflict, der zuletzt wieder einen neuen erzeugt. Der größte Verstand des Regierenden wäre daher, diesen Kampf so zu mäßigen, daß er ohne Untergang der einen Seite sich in’s Gleiche stellte; dieß ist aber den Menschen nicht gegeben, und Gott scheint es auch nicht zu wollen.

347. Welche Erziehungsart ist für die beste zu halten? Antwort: die der Hydrioten. Als Insulaner und Seefahrer nehmen sie ihre Knaben gleich mit zu Schiffe und lassen sie im Dienste herankrabeln. Wie sie etwas leisten, haben sie Theil am Gewinn; und so kümmern sie sich schon um [53]Handel, Tausch und Beute, und es bilden sich die tüchtigsten Küsten- und Seefahrer, die klügsten Handelsleute und verwegensten Piraten. Aus einer solchen Masse können denn freilich Helden hervortreten, die den verderblichen Brander mit eigener Hand an das Admiralschiff der feindlichen Flotte festklammern.

348. Alles Vortreffliche beschränkt uns für einen Augenblick, indem wir uns demselben nicht gewachsen fühlen; nur in so fern wir es nachher in unsere Cultur aufnehmen, es unsern Geist- und Gemüthskräften aneignen, wird es uns lieb und werth.

349. Kein Wunder, daß wir uns alle mehr oder weniger im Mittelmäßigen gefallen, weil es uns in Ruhe läßt; es gibt das behagliche Gefühl, als wenn man mit seines Gleichen umginge.

350. Das Gemeine muß man nicht rügen; denn das bleibt sich ewig gleich.

351. Wir können einem Widerspruch in uns selbst nicht entgehen; wir müssen ihn auszugleichen suchen. Wenn uns andere widersprechen, das geht uns nichts an, das ist ihre Sache.

352. Es ist soviel gleichzeitig Tüchtiges und Treffliches auf der Welt, aber es berührt sich nicht.

353. Welche Regierung die beste sei? Diejenige, die uns lehrt, uns selbst zu regieren.

354.Dociren kannst du Tüchtiger freilich nicht; es ist, wie das Predigen, durch unsern Zustand geboten, wahrhaft nützlich, wenn Conversation und Katechisation sich anschließen, wie es auch ursprünglich gehalten wurde. Lehren aber kannst du und wirst du, das ist: wenn That dem Urtheil, Urtheil der That zum Leben hilft.

[54]355. Gegen die drei Einheiten ist nichts zu sagen, wenn das Sujet sehr einfach ist; gelegentlich aber werden dreimal drei Einheiten, glücklich verschlungen, eine sehr angenehme Wirkung thun.

356. Wenn die Männer sich mit den Weibern schleppen, so werden sie so gleichsam abgesponnen wie ein Wocken.

357. Es kann wohl sein, daß der Mensch durch öffentliches und häusliches Geschick zu Zeiten gräßlich gedroschen wird; allein das rücksichtslose Schicksal, wenn es die reichen Garben trifft, zerknittert nur das Stroh, die Körner aber spüren nichts davon und springen lustig auf der Tenne hin und wider, unbekümmert, ob sie zur Mühle, ob sie zum Saatfeld wandern.

358.Arden von Feversham, Shakespeare’s Jugendarbeit. Es ist der ganze rein-treue Ernst des Auffassens und Wiedergebens, ohne Spur von Rücksicht auf den Effect, vollkommen dramatisch, ganz untheatralisch.

359. Shakespeare’s trefflichsten Theaterstücken mangelt es hie und da an Facilität: sie sind etwas mehr, als sie sein sollten, und eben deßhalb deuten sie auf den großen Dichter.

360. Die größte Wahrscheinlichkeit der Erfüllung läßt noch einen Zweifel zu; daher ist das Gehoffte, wenn es in die Wirklichkeit eintritt, jederzeit überraschend.

361. Allen andern Künsten muß man etwas vorgeben, der griechischen allein bleibt man ewig Schuldner.

362. »Vis superba formae.