Maybe You? Entscheide sich, wer kann! - Tina Brömme - E-Book

Maybe You? Entscheide sich, wer kann! E-Book

Tina Brömme

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Beschreibung

ES DARF DANN JETZT ENTSCHIEDEN WERDEN! Annika ist mit den Nerven am Ende! Gerade hat sie in der U-Bahn den Überlebenskünstler Kuschi kennen gelernt, der sie mit einem sexy Lächeln auf ein Date eingeladen hat. Kurz darauf sitzt sie bei einem Interview dem attraktiven Schauspieler Malik gegenüber, der ihr total den Kopf verdreht. Von Annikas Exfreund Tim, der ihr verspricht, sie auf Händen zu tragen, wenn sie ihm noch eine Chance gibt, mal ganz abgesehen. Die Wahl zu haben zwischen drei Männern? Klingt zu schön, um wahr zu sein? Von wegen! Denn Annika ist die schlechteste Entscheiderin der Welt! Wen soll sie bloß wählen? Malik, Kuschi oder Tim? Die Lösung liegt auf der Hand, Pardon, in der Hand - nämlich in deiner. In diesem Roman entscheidest du, wie es weitergeht! Hilf Annika!

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Vorwort von Tina Brömme

… uuund Action!

Klappe, die erste: Malik

Klappe, die erste: Kuschi

Klappe, die erste: Tim

Und nun – Malik?!

Und nun – Kuschi?!

Klappe, die zweite: Kuschi

Klappe, die zweite: Malik

Die Autorin

Tina Brömme bei LYX

Impressum

TINA BRÖMME

Maybe you?

Entscheide sich, wer kann!

Roman

ZudiesemBuch

Nach einem einjährigen Auslandsaufenthalt hat die 26-jährige Annika sich endlich wieder einigermaßen in ihrer Heimatstadt München eingelebt. Dort macht sie ein Praktikum in der Online-Redaktion eines Fernsehsenders. Theoretisch zumindest. Lieber verbringt sie ihre Zeit damit, nicht an Joshua zu denken, den Mann, in den sie sich in Neuseeland Hals über Kopf verliebt hat. Sie musste sich von ihm trennen, als sie nach Deutschland zurückging. Denn (und da ist Annika sich hundertprozentig sicher): Eine Beziehung über diese Entfernung kann keine Zukunft haben. Sie vermisst Joshua, aber ihr neuer Job macht ihr Spaß und lenkt sie ab. Sie schaut sich sogar langsam wieder nach neuen Männern um … So findet sie den Jungschauspieler Malik, den sie eigentlich nur interviewen soll, unheimlich attraktiv. Und den Lebenskünstler Kuschi, den sie zufällig in der U-Bahn kennenlernt. Und ihrem Exfreund Tim, der ihr auf Schritt und Tritt folgt und ihr verspricht, sie auf Händen zu tragen, kann sie auch nicht immer nur die kalte Schulter zeigen … Aber drei Männer sind mindestens zwei zu viel! Und das Problem ist: Annika ist die schlechteste Ent-scheiderin der Welt. Wenn schon der Besuch eines Restaurants mit stinknormaler Speisekarte sie in Panik versetzt, wie soll sie zwischen Malik, Kuschi und Tim wählen?

Die Lösung liegt auf der Hand. Pardon: in der Hand – nämlich in deiner: Entscheide du, mit wem Annika ihr Glück versuchen soll!

Liebe Leserin, lieber Leser,

wie schön, dass du den Entscheidungsroman Maybe you? Entscheide sich, wer kann! ausgewählt hast. Vielen Dank dafür!

Die Heldin Annika tut sich dagegen mit jeder Art von Entscheidung sehr viel schwerer – vor allem, was Männer angeht. Und dann stehen ihr und dem Glück gleich drei Männer im Weg. Welchen soll sie bloß wählen? Wenn man nur vorab wüsste, wie das Leben an der Seite dieser drei aussehen würde …

Du, liebe Leserin, lieber Leser, musst dich nicht entscheiden – du kannst erfahren, wie Annikas Leben mit Malik, Kuschi und Tim tatsächlich verläuft. Aber du musst wählen, welchen Handlungsstrang du verfolgen möchtest. Soll Annika ihr Glück an der Seite des sexy Schauspieler-Stars Malik versuchen? Oder lieber die Liebe bei ihrem süßen Exfreund Tim wiederfinden? Oder ist vielleicht der spontane Lebenskünstler Kuschi ihr Traummann? Unter dem Motto »Hilf Annika!« kannst du die Heldin auf ihrer Liebesreise begleiten und jeweils im spannendsten Moment dirigieren, ob und wie es weitergeht mit Kuschi, Malik und Tim. Vielleicht möchtest du auch alle Möglichkeiten kennen lernen – dann liest du einfach alle fünf Handlungsstränge. Einen Klick weiter geht’s schon los mit dem Startkapitel und ich nehme dich mit in Annikas »Maybe-you-Welt«. Ich freue mich, wenn du mich begleitest!

Herzlichst,

Deine

1. KAPITEL

95 % aller Entscheidungen haben nichts mit rationalem Denken zu tun.

»Schwarz!«

»Weiß!«

»Schwarz!«

»Weiß!«

»Wenn sie Weiß anzieht, denken alle, sie gehört zum Personal.«

»Und wenn sie Schwarz trägt, glauben alle, sie will auf eine Beerdigung.«

»Rosa?«, schlage ich leise vor.

»Nein!« Darin sind sich die beiden Teufel auf meinen Schultern einig.

Natürlich sitzen keine Teufel auf meinen Schultern, das weiß ich auch. Es ist nämlich viel schlimmer: Sie sitzen in meinem Kopf und klammern sich jeder an einem Innenohr fest, damit ich sie auch gut hören kann.

Aber wenn ich mich im großen Spiegel meines Kleiderschranks betrachte, sehe ich sie ganz genau, wie sie da so auf meinen Schultern rumzappeln und mir diesen Scheißmorgen noch mehr vermiesen. Zudem hat der eine Teufel den eher spießigen als lässigen Dreitagebart meines Vaters, der andere irritierenderweise die kupferroten, langen Locken meiner Mutter.

Seufz! Es ist drei Uhr fünfundvierzig. Am Sonntagmorgen. Nein, ich habe nicht die Nacht durchgezecht. Auch nicht durchgetanzt. Nein, durchgeliebt gleich gar nicht. Ich muss mich fertig machen, um zur Arbeit zu gehen. Ist das schon an normalen Wochentagen zu normalen Uhrzeiten Strafe genug, ist es heute echt Folter. Und es ist auch noch meine eigene Idee. Wie blöd kann man eigentlich sein?

In zwei Tagen ist mein halbjähriges Praktikum beendet. Auch wenn Steffi nicht nur meine Chefin, sondern auch meine beste Freundin ist, heißt das nicht automatisch, dass sie mich übernehmen wird. Ich muss mir den Arbeitsvertrag hart erkämpfen. Schwerer vermutlich als jemand, mit dem sie nicht befreundet ist. Etwas Spektakuläres ist nötig, um sie endgültig davon zu überzeugen, dass es total richtig ist, ja, geradezu unumgänglich, mich weiterzubeschäftigen. Auch wenn ich manchmal unpünktlich bin. Oder gelegentlich siebzehn Anläufe brauche, um mir eine treffende Überschrift auszudenken. Oder sich der Kantinenstau bis weit vor die Eingangstür zieht, weil ich mich nicht zwischen Pellkartoffeln und Kartoffelbrei entscheiden kann. Glücklicherweise hatte ich eine spektakuläre Idee, die mir meinen Arbeitsplatz bis zur Rente sichern wird. Bis zur Rente mit zweiundsiebzig. In exakt sechsundvierzig Jahren. So lange habe ich also noch Zeit, mir einzureden, dass der Job der richtige für mich ist.

Wenn ich nicht jetzt schon scheitere, weil ich mal wieder nicht weiß, was ich anziehen soll. Eigentlich wollte ich mir gestern Abend ja Klamotten rauslegen. Aber dann habe ich länger als geplant mit Joshua gechattet. Und Kira hat mir eine Dreiviertelstunde von ihrer neuesten Online-Eroberung erzählt (ein Anwalt! Aus New York! Mit Aussicht auf den Titel ›sexiest man alive‹! Und eigenem Learjet!). Dann war mir klar geworden, dass ich die Interviewfragen noch nicht vorbereitet hatte. Und ich die Filmpreisverleihung im Fernsehen nicht versäumen durfte, deren Kenntnis wesentlicher Bestandteil meiner spektakulären Idee ist. Und mit Küche aufräumen war ich auch noch dran gewesen. Aus Panik zu verschlafen hatte ich mich nach zähem und zeitraubendem Ringen endlich entschieden, früh – sprich kurz vor Mitternacht – ins Bett zu gehen, und vergessen, die Klamotten rauszulegen. Was mir jetzt den Hals brechen wird.

Drei Uhr zweiundfünfzig. Spätestens um vier muss ich los. Sonst wird meine spektakuläre Idee spektakulär im Sande verlaufen. Meine Finger tanzen nervös von der Blumenprinthose über die metallisch glänzende Jeans bis zu dem langen, weiten Rock in Himmelblau, den ich mir letzte Woche nur gekauft habe, weil er so unwiderstehlich reduziert war. Von hundertneunundsiebzig auf neunundneunzig Euro. Und der jetzt schon den Verwesungsgeruch einer typischen Schrankleiche verströmt. Denn ich habe nichts, was ich dazu kombinieren kann. Außerdem habe ich mir seit meiner Rückkehr aus Neuseeland geschworen, nie wieder etwas zu kaufen, was ich nicht wirklich brauche. Weil man ja eigentlich so wenig zum Leben braucht. Ein Jahr lang aus drei Koffern zu leben, das hat völlig gereicht. Aber: dieses Blau – genau wie der Himmel über dem Pazifik. Herrje, ich bin nun mal weder Prinzipienreiterin noch Durchhaltekönigin. Ich bin nur ein einsames Mädchen mit einem Herzen voller Sehnsucht und …

»Schluss jetzt«, unterbreche ich mich selbst. Ich atme tief durch und halte mir die rechte Hand vor die Augen. Muss halt die Entscheidungsstrategie ›Zufallsgott‹ herhalten. Ich strecke die linke Hand aus und packe den erstbesten Bügel, der mir in die Quere kommt. Der himmelblaue Rock. Mist. Drei Uhr siebenundfünfzig. Okay. Ich grabbele aus dem oberen Fach einen dunkelblauen Rolli, denn immerhin ist meinem noch schlafumspülten Hirn klar, dass es um die Uhrzeit draußen ganz schön frostig sein muss. Auch wenn wir Mitte April haben. Während ich mich abmühe, eine wollweiße Strumpfhose so weit hochzuziehen, dass der Zwickel nicht mehr auf Kniehöhe hängt, greife ich schon nach den Bikerboots. Für Ballerinas zum Rock ist es definitiv zu kalt. Drei Uhr neunundfünfzig. Na bitte, wer sagt’s denn. Ich verbiete mir den letzten Blick in den Spiegel, greife nach meiner Lederjacke, der Tasche mit der Videokamera und sause los.

Erst als ich unten das Fahrrad sehe, wird mir klar, dass die Wahl des Rocks eine fundamentale Fehlentscheidung ist. So wie sein Kauf. Aber jetzt ist es zu spät. Bis zur U-Bahn wird es schon irgendwie gehen. Ich klemme die Stoffmassen zwischen meine Oberschenkel, versuche mit möglichst zusammengekniffenen Beinen aufs Fahrrad zu klettern und radle los. Handy? Ja. Interviewfragen? Yes. Portemonnaie? Bestimmt.

Im morgendlichen Nebel, den noch kein einziger Sonnenstrahl durchschneidet, erreiche ich den U-Bahnhof. Ich schließe das Rad ab, renne die Stufen hinunter und blicke auf einen menschenleeren Bahnsteig. Vier Uhr vier. Nächster Zug in neunzehn Minuten, offenbart die Anzeige. Mein Herz setzt aus. Der Todesstoß! Warum habe ich nicht daran gedacht, dass die U-Bahn um diese Zeit nur alle zwanzig Minuten fährt? Bis ich am Bayerischen Hof ankomme, kann ich nur noch die Putzkolonne interviewen, die hinter den Promis ausfegt. Ich sehe schon meinen Titel für das Video: »Was bleibt von der Filmpreisverleihung? Ein Haufen Müll! – TVOne klettert für Sie in die Abfalltonnen.«

»Oh, eine Haarspange, vielleicht von Dora Tschirna«, hätte es dann geheißen. Oder: »Der Lippenstiftabdruck auf dem Champagnerglas da ist bestimmt von Caro Ferhurth. Und was haben wir denn da? Eine angebissene Semmel – garantiert von Matthias Scheigwöfer.«

Ich taumele aus der U-Bahn-Station heraus, raffe meinen Prinzessinnenrock und trete in die Pedale. Die Tasche mit der Videokameraausrüstung schneidet fies in die Halsbeuge, erste Schweißtropfen durchweichen meinen Rollkragenpullover.

Ich brettere über eine rote Ampel. Gut, dass noch nichts los ist. Durch die Fußgängerzone laufen grölend ein paar verloren gegangene Fußballfans, und an einer Straßenbahnhaltestelle schreit sich ein Pärchen lallend an. Ganz schön laut für so einen frühen Sonntagmorgen.

Endlich kommt der Bayerische Hof in Sicht! Davor stehen jede Menge Taxis. Ich bin also rechtzeitig dran.

Noch mal beschleunige ich, fahre rasant um die letzte Kurve und bremse abrupt, weil ein Lkw meine Spur versperrt. Den Lenker reiße ich erst nach rechts, dann nach links, entscheide mich für den Radweg und spüre plötzlich mein Fahrrad weiterfahren, während ich selbst nach hinten gezogen werde. Etwas ratscht, der Hinterreifen legt sich quer, und der Lenker nähert sich in rasendem Tempo dem Asphalt, was ich verblüfft wie in Zeitlupe beobachte. Eingreifen? Unmöglich! Mein Ellenbogen nimmt bereits Erstkontakt mit einem geparkten Pkw auf, ich kippe, und das Fahrrad scheppert gegen das Auto, das meinen Sturz in letzter Sekunde gerade so abbremst. Langsam rutsche ich weiter hinunter, bewegungsunfähig, denn der im Hinterrad festgeklemmte Rock will mein Bein nicht freigeben, und mein Arm ist eine innige Symbiose mit dem Wagen eingegangen. Irgendwann komme ich unten an. Autsch! Ein heißer Schmerzstrahl durchfährt meinen Oberarm. Wie eine halb zertretene Kakerlake liege ich unter meinem Fahrrad und betrachte erstaunt den Unterboden des Autos neben mir. Wäre mal wieder eine Reinigung fällig. Scheiße, und eine neue Lackierung der Beifahrertür, wird mir klar. Schwarze Striemen auf Neongrün machen sich nicht sooo gut. Vor allem nicht bei einem Porsche! Ich strample das Fahrrad weg und schaffe es irgendwie, mich aufzusetzen. Keuchend. Zähneklappernd. Der Rock ist eingerissen und mit Kettenschmiere schwarz verfärbt. Ich blicke mich Hilfe suchend um. Keiner zu sehen. Obwohl ich das Anspringen einiger Motoren höre. Mist! Die Taxis fahren los! Ich rapple mich hoch, erdrossle mich beinah mit dem Gurt meiner Videokameratasche, die sich im Lenker verfangen hat, und sehe Menschen auf den Treppenstufen vor dem Bayerischen Hof stehen. Ich lehne – na ja, werfe – mein Fahrrad an die erstbeste Laterne, ignoriere die Schmerzen, die meine ganze linke Seite durchtosen, und renne humpelnd und fluchend über die Straße. Nachher schreibe ich dem Porschefahrer einen Zettel mit meiner Telefonnummer. Auf jeden Fall! Jetzt muss es schnell gehen! Ich zerre die Kamera heraus, schalte sie ein, stecke das Mikrofon auf und gehe in Positur. Und dann kommen sie.

Vor Kälte und Schmerzen zittern mir die Hände, aber ich versuche ein freundliches Lächeln aufzusetzen und richte meine Kamera auf Meike Hakatsch, die ziemlich derangiert aussieht.

»Hallo, Frau Hakatsch, ich bin Annika Frey von TVOne. Wie war die Preisverleihung?«

Meike Hakatsch zieht ihren breiten Mund über mehrere Breitengrade und kichert.

»Superschön!«, sagt sie und stolpert die letzte Treppenstufe hinunter.

Ich strecke gerade noch meinen Arm aus, um sie aufzufangen.

»Wie war es, den Preis in Händen zu halten?«, frage ich weiter, nachdem sie wieder gerade steht. Ich habe mich aufrichtig gefreut, dass sie den Darstellerpreis für die beste Nebenrolle bekommen hat.

»Superschön.« Meike küsst mich irgendwo zwischen Wange und Kameragehäuse und wankt auf ein Taxi zu.

Sehr … ähm, aussagekräftig. Aber da kommt schon, wow, tatsächlich: Phil Weiger.

»Herr Weiger, Phil!«, rufe ich aufgeregt. »Wie war’s?«

»Cool.« Er streckt der Kamera die Zunge raus. Und ab geht’s ins Taxi.

Mist. Vielleicht ist meine Idee doch nicht so toll gewesen, die Stars statt am Abend vor der Preisverleihung abzufangen, sie erst am Morgen danach zu interviewen. Da TVOne Medienpartner der Filmpreisverleihung ist, haben unsere Starmoderatoren gestern Abend am roten Teppich natürlich schon das ein oder andere Exklusivinterview bekommen. Die waren allerdings erwartungsgemäß so ergiebig wie eine ausgezuzelte Weißwurst. Ich dagegen habe gehofft, die Preisträger wären nach der Party so aufgekratzt und bedüddelt, dass sie mir ihre kleinen Geheimnisse über die große Nacht bereitwillig anvertrauen würden. Schließlich ist das Tratschen nach einer Party immer der schönste Teil. Wahrscheinlich habe ich die Rolle bester Freundinnen respektive Freunde unterbewertet. Mit mir will keiner tratschen. Dabei bin ich eine großartige beste Freundin. (Solange mich niemand um Entscheidungshilfe bittet.)

Für ein paar Minuten bleibt es ruhig. Ob schon alle fort sind? Endlich schwingt die Tür wieder auf. Malik Ünal tritt nach draußen – mit einer dunkelhaarigen Schönheit im Arm, deren Dekolleté bis zum Bauchnabel reicht. Er hat den Preis als bester Newcomer bekommen. Steffi schwärmt total für ihn. Sie findet ihn cool, clever und clooneyesk schön. Für mich heißt das nur: C-Promi.

»Herr Ünal«, rufe ich. »Waren Sie überrascht, als …«

»Mach die Kamera aus, Frollein«, meckert er. »Sonst tut’s gleich klatschen, aber kein Beifall!« Erschrocken lasse ich die Kamera sinken. Was ist das denn für ein Proll? Kein Wunder, dass der immer nur asoziale Türken spielt. Mit erhobenem Stinkefinger geht er weiter und schiebt die Beauty auf ein parkendes Auto zu. Einen Porsche 911. Neongrün. Einen, mit einem Lackschaden an der Beifahrertür. Ups … Da wird das nichts mehr mit dem Zettelchen an der Windschutzscheibe.

»Nimm’s nich’ persönlich«, flötet eine Frauenstimme neben mir. »Wenn du wills’, erzähl ich dir alles! Auch vom Malik.«

»Okay«, stammle ich beinah so verschüchtert wie von der Ünal-Attacke. »Legen Sie los, Frau Altbauer.« Ich drücke auf ›record‹ und nicke hinter meinem Objektiv freundlich zu jedem ihrer ausschweifenden Sätze. Nur einmal werde ich abgelenkt. Heftig abgelenkt. Als nämlich ein türkischer Fluch über die Straße zu mir herüberweht. Aus den Augenwinkeln erkenne ich, wie Malik Ünal gegen mein Fahrrad tritt. An dessen Lenkstange er wohl eindeutig Farbpartikel seines Porsche erkannt hat. Es scheppert. »Scheiß Radrowdys«, schreit er auf Deutsch. Ich beschließe, mit der U-Bahn in die Redaktion zu fahren.

In der Hoffnung auf eine Eingebung lasse ich mein Material zum gefühlt vierhundertsiebenundachtzigsten Mal ablaufen. Sicher liegt es nur an den Schmerzen in meinem Arm, dass mir nichts einfällt.

Mein Kopf sinkt auf die Schreibtischplatte, die von zwei Monitoren überragt wird.

»Ach je«, höre ich Steffis ebenso vertraute wie sarkastische Stimme hinter mir. »Einfach müde oder unter der Last der Entscheidungen zusammengebrochen?«

Ich grummle selbst mir Unverständliches und klicke auf das Gelaber von Christiane Altbauer.

»Na, und ich sag dir, der Dings, äh, der Dings, wie der auf dem Parkett mit der, äh, du weißt schon, die bei Let’s Dance mitgemacht hat, also wie die zwei … Das war fast scho’ unanständig.«

Steffi bricht in schallendes Gelächter aus. »Sensationell! Echt! Da werden ja Geheimnisse ans Licht der Welt gepresst … Gratulation, da hat sich das frühe Aufstehen ja voll gelohnt. Gut, dass ich extra deswegen reingekommen bin und die Biker-Tour mit dem flotten Frankie abgesagt habe.«

Ich stütze meinen Kopf mit den Händen ab. »Danke, Spott kann ich selbst.«

»Ach was. Zeig mal, was du noch so hast.«

Ich klicke die kurze Sequenz mit Malik Ünal an. Steffi krallt sich an meiner Schreibtischplatte fest. Sie kriecht fast in den Bildschirm hinein. Nicht mal sein arrogantes Getue kann sie schocken. Höchstens »die-Schlampe-da« (Zitat Steffi) neben ihm.

»Dieser Malik Ünal ist einfach lecker«, sagt sie. »Ein echter deutscher George Clooney. Der hat doch total die gleichen Augen.«

»Ein türkischer George Clooney, du alte Kolonialistin«, erwidere ich. »Und ein asozialer noch dazu. Nicht meine Kragenweite!«

»Gegen so einen kleinen, blassen Neuseeländer mit ohne Haare kommt er natürlich nicht an«, lästert Steffi.

Mein Puls beschleunigt sich. Obwohl ich mir seit siebeneinhalb Jahren – so lange kennen wir uns schon – vornehme, nicht auf ihre Sticheleien zu reagieren, rolle ich sofort die Anti-Steffi-Demoplakate aus.

»Der ist nicht klein. Und er hat Haare – sie sind nur abrasiert«, blaffe ich.

Sie grinst von einem Ohr zum andern. »Und egal ist er dir auch.«

»Ja!« Kann sie nicht endlich gehen und sich ihren doppelten Espresso mit einem Hauch Latte und widerlicher Steviasüße organisieren? Den wird’s hier doch auch sonntags irgendwo geben.

»Bestimmt habt ihr heute schon geskypt«, bohrt sie nach.

Siebeneinhalb Jahre sind definitiv zu lang. Vielleicht sollte man beste Freundinnen genau wie Liebhaber gelegentlich mal austauschen, damit sie einen nicht zu gut kennenlernen und wissen, welche Taste sie betätigen müssen, um einen auf hundertachtzig zu bringen. Ich hole tief Luft. Ganz ruhig!

»Ich habe ihm gesagt, ich will nicht mehr mit ihm skypen. Jedes Mal diese traurigen Hundeaugen aus zwanzigtausend Kilometern Entfernung, das ist furchtbar. Das erträgt kein Mensch.«

»Armes Hasi.« Steffi zupft an ihrer moosgrünen Strumpfhose, die am oberen Ende von einem schmalen Band in Krachgrün umflattert wird. Steffi nennt das allen Ernstes einen »Rock«. Bei ihren Beinen kann sie sich das leisten. Ich würde in so was aussehen wie eine dicke Fichte im Fichtendickicht – obwohl ich sonst recht zufrieden sein kann mit meiner Figur. Ich pople nervös am schwarz geränderten Riss in meinem knöchellangen Rock.

»Na, ich störe dich mal lieber nicht länger«, sagt Steffi nun betont einfühlsam. »Schließlich soll dein Preisverleihungs-Insider-Nachklapp bis zwölf Uhr fertig sein. Nur noch zweieinhalb Stunden Zeit für Entscheidungen …«

Sie verlässt den Raum, und ich bin endlich wach. Vielleicht ist es doch ganz gut, Freundinnen zu haben, die meine innere Tastatur beherrschen.

Ich wende mich wieder meinem Clip zu. Einsdreißig habe ich versprochen. Ich drehe entnervt das Handy zwischen den Fingern. Wenn alles gut geht, wird es gerade mal für einen Dreißigsekünder reichen. Dafür müsste jetzt allerdings ein Geistesblitz in mich fahren. Ich weiß nur: Die Szene mit Malik Ünal werde ich auf keinen Fall verwenden, viel zu peinlich. Immerhin vibriert das Handy. Ein Omen? Schickt mir Gott persönlich eine Eingebung? Per SMS? Sicher nur eine gemeine Botschaft von Steffi, die weiter an meinen Entscheiderqualitäten zweifelt. Und wie immer zu Recht. Wenigstens habe ich im Gegensatz zu den meisten Menschen, na, sagen wir zu vielen Menschen … zu einigen …, nicht das Problem, dass ich bezüglich meiner Defizite einen blinden Fleck hätte. Ich weiß genau, dass mir Entscheidungen Probleme bereiteten. Schon immer bereitet haben.

Ich klicke die SMS an. Sie ist von Tim. »Freitagabend: Kino oder Theater?« Die Message endet mit drei Herzchen. Schon wieder so eine blöde Entscheidung! Kino oder Theater? Woher soll ich das denn wissen? Kino ist meist spannender als Theater, aber im Theater ist alles viel unmittelbarer und dann doch wieder spannender. Und überhaupt – in welches Kino, in welches Theater? Und etwa mit ihm? Bevor ich mich zwischen Kino und Theater entscheiden kann, muss ich mich doch erst mal zwischen Tim und, äh … äh …, dem Nichts entscheiden. Es ist doch völlig gaga, mit dem Ex ins Kino oder Theater oder sonst wohin zu gehen, wenn ich eigentlich davon überzeugt bin, dass er mein Ex bleiben soll. Ich habe mich schließlich aus guten Gründen von ihm getrennt. Welche waren das noch mal? Tja. Egal, es waren garantiert die allerbesten Gründe. So was wie »Versteht mich nicht« (aber welcher Mann tut das schon?) oder »Hat mich betrogen« (oh, nee, ich habe ihn betrogen) oder »Seine Karriere ist ihm wichtiger als ich« (na ja, okay, ich war es, die unbedingt nach Neuseeland gehen wollte. Weil ich damit der Entscheidung aus dem Weg gehen konnte, ob ich … Egal, das ist eine andere Geschichte).

Eine Entscheidung treffe ich immerhin ganz schnell: Ich werde ihm nicht sofort antworten. Das muss alles gut überlegt sein. Kino oder Theater – der Mann hat Nerven. Wahrscheinlich will er sich vom Prüfungsstress ablenken. So ein Streber lernt sicher am Sonntagmorgen auf seine zweite Staatsprüfung. Wieso aalt er sich nicht mit irgendeinem Clubaufriss im Bett? Er hatte doch Zeit genug, sich was Neues zu suchen. Immerhin sind wir seit bald fünfzehn Monaten getrennt. Glaub ich. Sagen wir: offiziell. Inoffiziell kommen die ersten Monate in Neuseeland hinzu, in denen ich mir nicht sicher war, ob ich wirklich Schluss machen sollte. Da war noch gar nichts mit Josh gelaufen, ich schwöre! Aber Tim gehört einfach zu den Anhänglichen. Oder zu den Bequemen. Je nachdem.

Meine Aufmerksamkeit wird von dem kleinen Chatfenster abgelenkt, das sich auf meinem Monitor mit einem Plopp öffnet.

»Hi, Darling«, steht da. Warum haben es eigentlich alle heute Morgen auf mich abgesehen?

Ich bin nicht dein Darling, will ich zurückschreiben. Meine Finger tippen stattdessen: »Why aren’t you out for a beer?« Und reißt eine knuddelige Neuseeländerin auf, damit du mich endlich in Ruhe lässt.

»Too tired. Went sailing today«, schreibt er zurück. »How ya doin’?«

Sofort blitzt Port Chalmers vor mir auf, das kleine Segelboot auf den launigen Wellen des Südpazifiks, die Unmengen an Delfinen, die das Boot umtanzen …

»Are you still there?«

»Sure. Sorry. Who went with you?«

»Nobody. Just me and the sea :-) And some dolphins. How was your interview? Are you okay?«

Ich stecke mir einen Bleistift zwischen die Lippen und kaue darauf herum. Ich soll wissen, ob ich okay bin? »1. passably. 2. okay, but tired too.«

»So we have something in common …«

Ich spüre, wie gerne ich den Kopf auf die Tastatur sinken lassen würde. Nicht nur aus Müdigkeit. Ja, wir haben eine Sache gemeinsam. Und noch eine. Und noch eine. Wir haben dutzend Dinge gemeinsam. Erinnerungen zum Beispiel. Nicht nur ans Segeln. Auch daran, wie er mir das Leben gerettet hat. Als ich in der Cafeteria der Universität in Dunedin stehe und schockstarr auf die Kaffeekarte blicke. Cappuccino, Frappuccino, Mocchaccino, flat white, latte, long black, short black, one shot, two shot, three … Und er mich gerade noch auffängt, bevor ich angesichts dieses Entscheidungsmarathons bewusstlos zusammensacke. Wie er mir anschließend löffelchenweise Espresso einflößt. Four shot.

»Josh, I’m sorry, I have to work now«, schreibe ich zurück.

»Oh, I don’t want to disturb you! But have you had a coffee already? A nice long black flat white?« Ich lache. Und würde gern das Lächeln auf seinem Gesicht sehen. Er hat eine sehr schöne Kopfform, echt. Sehr ebenmäßig und so, dass man immer darüber streicheln möchte. Er braucht gar keine Haare.

»Have sweet dreams«, schreibe ich unvernünftigerweise.

»Oh yeah, I will. How you return to Kiwi-World.«

Meine Finger wandern ziellos über die Tastatur. Was soll ich dazu sagen?

»Just kidding«, schreibt er – aus Höflichkeit, wie ich genau weiß. Er meint es ernst, verdammt ernst. Aber wie soll ich mich für ein Leben in Neuseeland entscheiden, wenn ich nicht mal weiß, ob ich einen einfachen oder einen doppelten Espresso trinken soll?

Ich schicke ihm ein kleines Herz und schließe das Chatfenster. Ich muss meinen blöden Insider-Bericht über diese verdammte Preisverleihung fertig bekommen. Ganz dringend. Wieso habe ich die Hände zu Fäusten geballt? Wieso ist da so eine Unruhe, die meinen Körper von oben nach unten und von unten nach oben gleichzeitig durchflutet? Herrje, wie soll ich hier still sitzen?

Ich springe so heftig auf, dass mein Bürostuhl gegen das Sideboard hinter meinem Schreibtisch kracht.

Ich stürme in den Flur. Ich brauche Luft. Das einzige Fenster, das man hier oben im achten Stock öffnen kann, ist das Klofenster. Ich beuge mich weit hinaus und sauge die noch kühle Aprilluft kräftig ein.

Hinter mir rauscht die Spülung, und dann quietscht ein Schloss.

»Nicht rausstürzen, Hasi.« Steffi legt mir eine Hand auf den Rücken. Sie spürt immer intuitiv, wenn es mir nicht gut geht. Da genügt ihr sogar der Anblick meines Hinterkopfes. Langsam drehe ich mich zu ihr um.

»Ich versteh’s einfach nicht«, fange ich an.

Sie senkt das Kinn auf die Brust und sieht mich durchdringend an. »Was denn?«

»Da habe ich mich einmal in meinem Leben eindeutig entschieden, und dann werde ich ständig dafür bestraft.«

»Dass du mit Josh Schluss gemacht hast, bevor du nach Deutschland zurückgekommen bist?«

Ich nicke. »Komm, du weißt, dass das richtig war. Allein die Entfernung …«

»… die kulturellen Unterschiede …«

»… die andere Mentalität …«

»… die klimatischen Gegebenheiten …«

»… die Entfernung nicht zu vergessen.«

»Hattest du schon. Denk an die anderen Gewohnheiten, die kulturellen …«

»Hatte ich die nicht auch schon?«

»Ja, ja, es wäre nicht gut gegangen. Ganz bestimmt nicht.« Ihr Grinsen ist garantiert nicht ironisch gemeint. Garantiert nicht!

»Siehst du, selbst du sagst das! Wieso kriege ich dann immer die Krise, wenn er sich bei mir meldet? Nach einem halben Jahr!«

»Du liebst ihn immer noch.«

»Ja, genau! Was? Quatsch! Nein, das ist nicht wahr! Ich glaube ja, weißt du … Ja, das ist es. Wahrscheinlich liebe ich nur noch die Erinnerung an die tolle Zeit in Neuseeland.«

»Das gute Essen, das schöne Wetter, die vielen Delfine.«

»Genau!«

»Mensch, Annika, mach mal halblang. Die schönen Erinnerungen lauten: Mit Joshua an der Hand am Meer. Mit Joshua unter den Sternen am Mount Cook. Mit Joshua über dir im Bett.«

»Du bist geschmacklos!« Trotzdem muss ich grinsen. Langsam schließe ich das Fenster. »Aber kannst du dir ihn und mich als altes Ehepaar auf dem Sofa vorstellen? Ich nicht.«

Steffi grinst. »Nee, auf dem Sofa nicht. Beim Bungee-Jumping eher.«

Ich boxe sie in die Seite. »Schau mal lieber, dass du dein eigenes Liebesleben in den Griff bekommst.«

Sie wäscht sich die Hände und schäumt sie ausgiebig ein. »Ich beschwer mich nicht über mein Singledasein. Du bist diejenige, die einen Nervous Breakdown nach dem anderen kriegt. Und überhaupt: Lenk dich doch mit Tim ab, der würde dich mit Kusshand zurücknehmen.«

»Vielleicht mach ich das ja.«

»Ja, tu das. Lass dir von ihm drei süße Kinderchen andrehen, und dann ist alles gut. Kein Gejammer mehr. Aber ich sage dir gleich: Patentante werd ich nicht! Und Babysitterin erst recht nicht.«

Der Handtuchhalter saugt das benutzte Stück Stoff mit einem schlürfenden Geräusch ein. Klingt ganz so, als wolle er sagen: »Recht hat sie.«

»Was soll ich mit drei Kindern?« Ich verschwinde hinter der Klotür.

Während ich abschließe, ruft mir Steffi noch zu: »Übrigens, nimm dir Freitagabend nichts vor. Da kommt Malik Ünal in ›Bartls Talkshow‹, und du musst ein Interview-Filmchen für unsere Seite mit ihm drehen. Sein Management weiß schon Bescheid.«

»Ach, immer ich!«, rufe ich entrüstet. Okay, zum Teil pseudo-entrüstet. Denn mir werden mit einem Mal die verschiedensten Dinge gleichzeitig klar, die meine Endorphine zum Tanzen und mein Cortisol zum Kotzen bringen:

1. Ich habe eine Ausrede, weshalb ich am Freitag nicht mit Tim ausgehen kann. Weder ins Kino noch ins Theater noch sonst wohin.

2. Wenn ich am Freitag ein Interview machen soll, heißt das, ich werde für den Sender noch arbeiten.

3. Ich muss dieses Arschloch interviewen und freundlich zu ihm sein.

4. Ich kann definitiv nicht mein Fahrrad benutzen, um zum Interview zu fahren. (Was auch deshalb nicht funktioniert, weil das Fahrrad noch immer vor dem Bayerischen Hof verrottet und ich es erst abholen müsste.)

Um 3. zu vermeiden, wäre ich fast in der Lage, meinen Job hinzuschmeißen, mir ein neues Fahrrad zu kaufen und mir von Tim drei Kinder machen zu lassen. Oder soll ich drei Fahrräder hinschmeißen, mir einen Job machen lassen und neue Kinder kaufen? Ich bin verwirrt!

Gut, mir bleibt noch ein kleines bisschen Zeit für Entscheidungen. Viel zu wenig natürlich. Denn wie Tatsache 1 mit Tatsache 2, 3 und 4 in Zusammenhang steht, und welche unabsehbaren Folgen sich aus einem Zusammenspiel aller vier Tatsachen in Hinsicht auf meinen Gesundheits-, Seelen- und Geisteszustand ergeben werden, darüber würde ich gerne die nächsten zwei Jahre nachdenken.

2. KAPITEL

29 % der Frauen glauben nicht, dass aus Liebe Freundschaft werden kann.

»Noch einen ›Pig in Space‹ für die Tante da drüben«, zischt mir Felix zu und beugt sich so weit wie möglich über die breite, dunkelbraune Theke. »Aber mach ein bisschen weniger Fernet rein, sonst müssen wir die mit dem Krankenwagen abholen lassen.«

»Sieht nach Liebeskummer aus.« Ich greife nach einem frischen Cocktailglas. Die Frau, nicht mehr ganz jung, nicht wirklich alt, Mitte dreißig vielleicht, zerzaustes Haar, sitzt schon seit zwei Stunden zusammengekauert an einem Ecktisch und starrt vor sich hin. Das einzige Lebenszeichen sind die gespitzten Lippen, wenn sie am Strohhalm zieht. Das tut sie geradezu beängstigend schnell. Ich kippe wenig Fernet, Baileys und dafür viel Eis zusammen, rühre um und freue mich, dass ich inzwischen die meisten Cocktailrezepte auswendig weiß.

Seit drei Monaten stehe ich zwei- oder dreimal die Woche abends hinter der Theke des Patrick’s und versuche echtes Commonwealth-Feeling aufkommen zu lassen, auch wenn Irland mit dem Commonwealth nur die Sprache eint. Am Anfang war ich etwas schockiert von den vielen Dartscheiben, Tiffany-Lämpchen, Entfernungswegweisern, Bilderrahmen und Whiskeyflaschen, die ich nie würde unterscheiden können. Aber Patrick und Angela, das Wirtspaar, hängen eben an ihrer alten Heimat – wobei es nur Patricks Heimat ist, Angela ist waschechte Bayerin. Für die Whiskeys ist Patrick zuständig, Angela steht in der Küche. Die Cocktailkarte ist glücklicherweise überschaubar und das Publikum so, dass es meine bescheiden-soliden Mixgetränke nicht unbedingt mit denen der Cocktailbar im Bayerischen Hof oder dem ›Schumann’s‹ vergleichen wird.

Sonntagabendmäßig ist wenig los, nur ein paar Jungs, die wie angehende Basketballstars aussehen, machen sich ohne Hemmungen über das All-you-can-eat-Toast-Buffet her, als gäbe es kein Morgen. Sie trinken zum Glück nur Bier.

Beinahe erschrecke ich, als sich die Tür mit dem typischen Quietschen öffnet. Eine schlanke Männersilhouette, dunkelblondes, ordentlich kurz geschnittenes Haar erkenne ich, und dann fällt der Blick aus azurblauen Augen direkt auf mich. Ich zucke kurz zusammen. Hoffentlich hat er es nicht gemerkt.

»Hey, Tim«, begrüße ich ihn im besten Kumpelinnen-Ton. »Schaust du gar nicht ›Tatort‹ heute Abend?«

Er lässt sich auf einen der leeren Barhocker fallen, beugt sich über die Theke, und ich kann meinen Kopf gerade noch so drehen, dass sein Begrüßungsküsschen auf meiner Wange landet. Fast schon am Haaransatz. Uff.

Felix holt den ›Pig in Space‹ und begrüßt Tim mit einem Highfive. »Was geht, Kumpel?«, fragt er rein rhetorisch und enteilt mit dem Cocktailglas.

»Schön, dich zu sehen«, lüge ich und grinse. »Ein Bier?«

»Mix mir lieber was Schönes, Anni«, antwortet er, und sein Blick fällt in den Ausschnitt meines flachsblauen T-Shirts. Wieso verstehe ich ›mix‹ beinahe falsch?

»Einen Gin Tonic?«, schlage ich vor, aber er schüttelt den Kopf. Soll ich jetzt die ganze Getränkekarte durchraten, um zu erfahren, was er haben will?

»Entscheide du«, sagt er, und ich würde Felix am liebsten als Rausschmeißer engagieren.

»Nein.« Ich lächle steif. »Du weißt doch …«

Er versucht meine Hand zu schnappen und seufzt theatralisch. »Okay, ein … Was ist kompliziert zu mixen?«

Ich greife nach einem Glas, fülle es mit Mineralwasser und stelle es vor ihn hin. »Geht aufs Haus.« Ich bin froh, dass Felix noch eine Runde Bier für die Basketballer bestellt.

»Ich wollte nur mal hören wegen Freitag.« Tim klingt gekünstelt unbeschwert. Schon klar, er wohnt ja auch gleich um die Ecke – jedenfalls dann, wenn eine Ecke auch mal zwölf Kilometer lang sein kann.

»Freitag?«, echoe ich.

»Ja – magst du lieber mit in den neuen Matthias-Scheigwöfer-Film oder sollen wir ›Endstation Sehnsucht‹ im Resi anschauen?«

Ich kratze mich an der Nase wie Wicki. Als müsste ich ganz scharf nachdenken und bräuchte eine prickelnde Idee, die mich aus Lebensgefahr rettet.

Tims blaue Augen funkeln und strahlen. Er hat wirklich schöne Augen. Er klimpert mit den Wimpern wie eine Fünfzehnjährige. Nur der exakt gestutzte Vollbart irritiert.

»Ach«, ich schlage mir vor die Stirn. »Das ist jetzt blöd. Steffi hat mich dazu verdonnert, am Freitag bei ›Bartls Talk‹ ein Videointerview mit Malik Ünal zu machen. Ich kann das auf keinen Fall absagen. Denn du weißt natürlich, was das heißt?«

Er schüttelt den Kopf, während ihm die Enttäuschung aus seinen blauen Himmelsaugen tropft.

»Nicht? Na, das heißt …« Ich mache eine mehr oder minder effektvolle Pause. »Das heißt … Der Sender beschäftigt mich weiter. Steffi hat mir noch nichts Offizielles gesagt, aber da am Mittwoch mein Vertrag ausläuft, ist es ja ganz logisch.« Ich presse grinsend die Lippen zusammen und ziehe die Augenbrauen hoch. Bestimmt sehe ich aus wie Doof von ›Dick und Doof‹.

»Hoffen wir mal, die werte Steffi hat nicht vergessen, dass dein Vertrag am Mittwoch ausläuft«, macht mir Tim Mut.

Okay, die Rache für meine Abfuhr. Aber muss er es so knallhart sagen? Ich drehe ihm den Rücken zu und angle nach einem Tablett für die Biere. Depp! Kann er sich nicht mal mit mir freuen?

»Na, es wird schon sein, wie du sagst«, versucht er einzulenken. »Tja, schade, dass das nichts wird mit Freitag.«

»Ein andermal gerne«, entschlüpft es meinen Lippen, ohne dass die Worte die Hirn-Kontroll-Schranke passiert haben. Warum mache ich ihm immer wieder Hoffnungen, wenn ich doch eigentlich gar nichts mehr von ihm will? Nur wegen dieser verdammt schönen blauen Augen? Mit denen er sonntagabends gerne ›Tatort‹ schaut, in Zeitschriften wie dem ›LBS Bausparmagazin‹ und dem ›Ikea Katalog‹ liest. Oder sich weibische Filme wie den mit Matthias Scheigwöfer reinzieht. Ist es einfach aus alter Vertrautheit? Und weil ich niemanden enttäuschen mag. Ach, verdammt!

»Na ja«, plappere ich unaufgefordert. »Vielleicht können wir uns nach der Sendung noch treffen.« Oje!

Seine Augen strahlen wie ein Sonnenaufgang am Südpazifik. »Supi! Wann bist du fertig?«

Sag um eins. Nachts. Oder besser halb zwei. Zwei.

»Halb elf, würde ich mal schätzen. Kann auch etwas später werden. Ich weiß nicht, ist vielleicht nicht so eine gute Idee, wo du doch zurzeit so viel für die Prüfung lernen musst.«

Sein Lächeln verschwindet, und er kippt den letzten Schluck Mineralwasser runter. »Für mich ist am Mittwoch auch ein wichtiger Tag.«

Ich bin nicht seine verdammte Verlobte! Ich muss mir seine verdammten wichtigen Tage nicht merken. Herrje …

»Oh, ist da die Prüfung? Sorry, dass ich da nicht dran gedacht habe«, sülze ich.

»Schon okay.« Er wirft einen betont verstohlenen Blick auf seine Swatch. »Ach, halb zehn schon. Ich pack’s jetzt mal. Wir können ja wegen Freitag noch telefonieren. Sonst vielleicht am Samstag?« Wieder versucht er’s mit einem Küsschen.

Ich zucke mit den Schultern. »Schaumermal«, sage ich in schönster Beckenbauerverbindlichkeit. »Viel Glück am Mittwoch!«

Ich sehe ihm nach, wie er durch die Tür verschwindet. Die breiten Schultern leicht gebeugt, als trage er eine schwere Last. Als ich damals meinen Bachelor bestanden hatte, da waren wir ungefähr zwei Jahre zusammen. Er hatte mich nach der Zeugnisübergabe abgeholt, ins Auto verfrachtet und war losgefahren. Ohne mir zu sagen, wohin. Er gab mir eine Apfelschorle zu trinken, von der ich ziemlich schnell einschlief. Als ich nach etwa fünf Stunden wieder aufwachte, fuhren wir über eine endlos lange Brücke, rechts und links Wasser, kleine Boote und vor uns die Silhouette von Venedig. Wir übernachteten in einem winzigen, beinahe baufälligen Hotel voller abblätterndem Stuck und zerschlissenen Polstersesseln, aßen in versteckten Restaurants Spaghetti aglio olio und tranken den günstigsten Hauswein. Es reichte nicht für einen Cappuccino auf dem Markusplatz, geschweige denn für eine Gondelfahrt. Und dennoch waren es drei romantische Tage, an denen wir nichts planten, einfach nur dorthin liefen, wo es hübsch aussah oder verführerisch roch, wo Musik die Luft versüßte und wir die einzigen Touristen waren. Damals habe ich Tim aufrichtig geliebt – nicht weil er mir diese kleine Reise geschenkt hatte, sondern weil er sich erlaubte, für wenige Tage der Mann zu sein, der er hätte sein können, wenn nicht all die Pflichterfüllung, der Fleiß, der Ehrgeiz und die Zielstrebigkeit ihren Tribut forderten. So spontan war er später leider nie mehr. Vielleicht war ich so lange mit ihm zusammen, weil ich gedacht hatte, ich könnte diesen wunderbaren Venedigbummler in ihm wieder zum Leben erwecken. Was mir jedoch nicht gelang. Wie lange ist all das schon her!

Ich unterdrücke nur mit Mühe ein Gähnen. Nein, so langweilig sind diese Erinnerungen nicht. Wirklich nicht. Aber immerhin bin ich ja heute schon mitten in der Nacht aufgestanden.

Als ich dann endlich im Bett liege, ist an Schlaf nicht zu denken. Die Zimmerdecke rutscht mit jedem Atemzug ein bisschen näher. Wie ein Sargdeckel. Den ich davon abhalten muss, zuzuschlagen. Mein ganzer Körper kribbelt, ich bin so unruhig, als hätte ich vor dem Schlafengehen zwei Liter Espresso getrunken. Ich weiß nicht warum. Ich habe keine Ahnung. Ich sollte mein Leben doch genießen. Es ist Frühling. Ich habe einen Job. (Vermutlich. Hoffentlich.) Ein netter Mann hat Interesse an mir. Dessen Macken ich schon alle kenne, wie praktisch. Und der meine kennt und mich offensichtlich trotzdem immer noch liebt. Ich müsste nur wieder endgültig Ja zu ihm sagen. Ist doch ganz einfach. J. A. Ja. Oui. Yes. Wie viel entschiedener klingt ›yes‹!

Als ich nach Neuseeland ging, war ich bereit, mein Dasein als Single zu fristen. Ich war überzeugt, dass mir das nichts anhaben würde, dass es eine Befreiung wäre. Doch ziemlich bald kam Josh, und ich musste das Alleinleben nicht ausprobieren. Als ich aus Neuseeland zurückkehrte, war ich entschlossen, jetzt endlich ernst mit dem Singledasein zu machen. Und es dauerte keine vier Wochen, bis ich anfing, es zu hassen. Vielleicht bin ich einfach nicht konsequent genug. Statt den Kontakt zu Josh ganz abzubrechen, trauere ich ihm hinterher und skype immer noch mit ihm. Statt Tim keine Hoffnungen zu machen, lasse ich mich – gelegentlich! Ich schwöre! – von ihm trösten. Und auch nur, damit dieses Zwei-Liter-Espresso-Gefühl nicht irgendwann die Oberhand gewinnt.

Ich sollte einfach hingehen und sie fragen. Stattdessen verstecke ich mich hinter meinem Monitor.

»Hast du Steffi heute schon gesehen?«, frage ich meinen Kollegen Max am Schreibtisch gegenüber. Er kichert gerade, wie meistens, über irgendwelche Clips. Wenn man wissen will, warum, zischt er nur »Nix, nix!« und kichert weiter.

»Nö«, sagt er jetzt zur Abwechslung und stößt die nächsten Gluckslaute hervor. Wie üblich schiebt er noch ein ›geil‹ hinterher.

»Hat sie ’nen Termin außer Haus?«, bohre ich weiter.

»Nö. Geil.«

»Was denn?« Ich klinge meckriger, als ich es meine. Manchmal kommt es mir vor, als seien wir so ein altes Ehepaar, dass nach dreiundvierzig Jahren Stellungskrieg sämtliche Nervenstränge eingebüßt hat.

»Du musst dir hier mal dieses Video anschauen«, murmelt Max erstaunlich friedlich. »Das wäre echt was für das FMOTHW.«

Ich verstehe nicht, wie irgendjemand auf die Idee kommen kann, »FMOTHW« sei besser auszusprechen als »Funniest-movie-of-the-week«. Aber Max ist nun mal der große Rationalisierer in unserer Abteilung, und eingesparte Buchstaben entlasten unser kleines Budget sicher super.

»Ich mach schnell noch den LMOTHWT fertig«, sage ich immer noch leicht gereizt.

»Den was?«

»Den Love-movie-of-the-week-Trailer.«

Das Video, das Max mir kurz darauf auf seinem Computer zeigt, ist echt krass. Zum Teil von oben aufgenommen, zum Teil mit einer GoPro, einer von diesen winzigen Kameras, die man an jedem x-beliebigen Körperteil, Helm oder sonst wo befestigen kann, sieht man einen Trampolinspringer. Der bärtige Typ hat eine Frisur wie eine verstrubbelte japanische Geisha. Er trägt einen Taucheranzug, dazu Schnorchel, Brille und Schwimmflossen. Es ertönen kriegerische Percussion-Klänge, über die sich jeder Maori bei seinem Haka-Tanz freuen würde. Sehr rhythmisch, aber auch sehr schräg. Der Trampolinspringer macht keine Salti oder andere Kunststücke, stattdessen springt er so hoch, dass er im dritten Stock eines Hauses den Balkon entern könnte. Das tut er zwar nicht, aber er erschreckt nichts ahnende Menschen, die gerade gemütlich an der frischen Luft sitzen. Es ist zum Totlachen, wie die Leute erst leicht irritiert sind, sich fragen, was sich da vor ihren Balkonen bewegt, bis sie dann plötzlich den Mann im Taucheranzug wahrnehmen, der ihnen fröhlich zuwinkt. Eine ältere Frau erschrickt sich beinahe zu Tode, zwei Kinder werfen dem Mann Äpfel oder so was zu, die er geschickt auffängt. Einen jungen Typen bewirft der Trampolintaucher mit Plastikfischen, die er aus seinem Taucheranzug hervorzuzaubern scheint. Erst ganz spät sieht der Betrachter des Videos das Trampolin, das der Typ in den Höfen aufgebaut hat.

»Wow!« Ich kämpfe meinen Lachanfall nieder. »Rattenscharf!« Außerdem hat mich der Clip drei Minuten von meiner Anspannung abgelenkt.

»Der Kerl kommt sogar aus Bayern, und wir lieben doch alles, was aus Bayern kommt«, erklärt Max. »Hier … Adrian … Äh, Adrian Kuschmann heißt er. Schon mal gehört?«

»Nö. Hat’s Steffi schon gesehen?« Ich setze mich wieder an meinen Platz.

»Die findet das bestimmt geil …«

»Guten Morgen, was finde ich geil?«, schallt Steffis liebliche Stimme durch den Raum. Mein Herz schlägt sofort drei Beats schneller. Gleich wird sie mich in ihr Büro bitten. Gleich wird sie mir sagen, wie es mit mir weitergehen …

»Na, sagt’s mir später. Ich bin nur ganz kurz da, ich hab gleich einen Termin in der Personalabteilung. Bei diesem Dr. Steiner. Drückt mir die Daumen, dass er gut gelaunt ist.« Sie seufzt und zieht ihren – als ob Ostern sei – eidottergelben Minirock um kaum vier Millimeter nach unten. Der Zwickel der beerenfarbenen Strumpfhose ist nur mit viel gutem Willen nicht zu sehen.

»Wird schon«, macht ihr Max Mut, während ich eine Hand mit zwischen den Fingern brutal gequetschtem Daumen erhebe. Warum macht sie es so spannend? Ein kurzes »Du, im Laufe des Tages kommt dein neuer Vertrag, und wir zahlen dir das Fünffache wie bisher« würde mir doch vollkommen genügen.

Sie ist schon fast draußen, da dreht sie sich noch mal um. »Ach, Hasi, du bist ja nachher noch da. Dann reden wir, ja?« Und ab.

›Du bist ja nachher noch da?‹ – Was soll das denn heißen? Dass ich morgen nicht mehr da bin? Oder dass ich gleich heute Mittag gehen kann? Wegen Unfähigkeit Vertrag nicht verlängert. Ich gebe zu, mein After-Filmpreis-Investigativ-Clip hatte nicht gerade berauschende Klickzahlen, aber sie muss doch sehen, dass ich mir hier ein Bein ausreiße für die Page. Und wenn sie unbedingt will, reiße ich mir das zweite auch noch aus. Vielleicht sollte ich das tun, und dann muss sie mich weiterbeschäftigen, weil dadurch endlich die Behindertenquote des Senders erfüllt wird.

»Is’ was?«, fragt Max.

Allein an der Frage kann ich ablesen, dass ich einen megamiesepetrigen Gesichtsausdruck machen muss, wenn es sogar dem Herrn Kollegen auffällt.

»M-m.« Ich wende mich meinem Monitor zu, auf dem leider keine E-Mail mit dem Betreff ›neuer Vertrag‹ zu entdecken ist.

»Also, ich find das cool, das Video«, fängt Max wieder an.

»Ja, super«, antworte ich schlapp. »Aber sorry, ich muss mich jetzt auf die Bildergalerie zu diesem doofen Lovemovie konzentrieren.«

Natürlich kann sich keine Faser meines Körpers darauf konzentrieren. Ich werde überschwemmt von Gedanken, die ich überhaupt nicht haben will. Wenn ich keinen Vertrag kriege, was mache ich dann? Ende ich als Thekenschlampe im Patrick’s? Krieche ich zu Tim zurück, lass mir Zwillinge machen und werde Hausfrau? Ziehe ich – o Gott! – wieder bei meiner Mutter ein? Ich könnte mich als Kindermädchen bei meiner Schwester anstellen lassen. Als Swimmingpoolpflegerin bei meinem Vater auf Mallorca. Da wäre wenigstens das Wetter schön. Langsam habe ich den Eindruck, dass ich statt Kulturwissenschaften das Hartz-IV-Regelwerk hätte studieren sollen.

Wenn hier doch nur jemand wäre, mit dem ich reden könnte. Max, der ›Alles-easy‹-Prototyp, kommt dafür nicht infrage. Josh würde sowieso nur sagen, ich solle nach Neuseeland zurückkommen, was definitiv nicht geht, weil … Tim schwitzt in seiner Prüfung (ein kurzer Daumendruck muss angesichts meiner existenziell bedrohten Situation genügen). Kira hängt zu Hause wie immer am Computer und chattet oder telefoniert sich das Ohr blutig, und Steffi … ja, Steffi … Die ist der Kern des Problems und auch nicht greifbar. Mein Magen fühlt sich an, wie vom Müllschredder zusammengequetscht, und mir wird schon vom Anblick meines halbleeren Kaffeebechers schlecht. Warum habe ich Steffi nicht schon vor Tagen, Wochen gefragt, wie es weitergeht?

Mein Blick fällt auf die Uhr. Kurz vor elf schon. Kacke. Wenn ich diese beknackte Bildergalerie nicht in einer Viertelstunde fertig habe, liefere ich Steffi gleich noch einen Grund, meinen Vertrag nicht zu verlängern.

So tauche ich ein in die wunderbar heile Welt von Inga Pilcher und Rosamunde Lindström, wo elfenhafte Zauberwesen sich als Frauen verkleiden und mit wehendem Haar dem Happy End entgegenreiten. Einmal, ein einziges Mal nur, möchte ich es auch so schön haben.

Um elf Uhr siebenundfünfzig höre ich im Flur das markante Klappern von Steffis Keilabsatz-Peeptoes, und meine Finger werden augenblicklich schweißnass. In meinen Ohren ertönt eine akustische Halluzination mit der Wortfolge »Fräulein Frey, räumen Sie Ihren Schreibtisch«. Aber ich muss mich getäuscht haben. Im Türrahmen erscheint Steffis sonnigstes Gesicht, und sie sagt … Sie sagt …: »Gehen wir gleich in die Kantine? Ich hab tierischen Hunger!«

»Bin dabei«, sagt Max und greift nach seiner Jacke. Dabei hat er vor einer halben Stunde erst eine Käsebrezel in sich reingefuttert. Was man durchaus sieht.

»Annika, was ist mit dir?«

Ich nicke beiläufig. Versinke total. In meine Arbeit. Ohne die der Laden hier zusammenbrechen würde. Garantiert!

»Komm schon«, macht mir Steffi Beine.

Ein Kantinenbesuch ist für mich so aufregend wie für andere Leute ein Tauchgang mit Haien. Oder Bungee-Jumping vom Mount Everest. Oft versuche ich, so spät wie möglich essen zu gehen, damit manche Gerichte einfach schon ausverkauft sind und ich gar nicht wählen kann. Das Blöde ist nur, dass ich dann riesigen Hunger habe und es fast nichts mehr gibt, was ich mag. Bei meinen Geschmacksinteressen scheine ich mit dem allergrößten Teil meiner Kollegen konform zu gehen. Und ich bekenne: Ich esse gern. Auch Fleisch. Sogar Schweinefleisch. Und es muss nicht mal bio sein. Hauptsache, es ist schön paniert. Steffi findet das pervers, aber da ich weder zu üppigen Hüften noch zu Schmerzen in den Gelenken neige, sehe ich nicht ein, warum ich mir diesen einen Bereich des Lebens noch schwerer machen soll, als er eh schon ist. Mein Credo: Ich esse, worauf ich Appetit habe. Und mittags habe ich immer großen Appetit – auf alles. Das ist das Problem. Kabeljaufilet mit Remouladensauce und Kartoffelgratin? Super! Hähnchengeschnetzeltes chinesische Art? Lecker! Provencialisches Ratatouille und Rinderschmorbraten? Köstlich! Könnte ich nicht vielleicht alles durchprobieren, bevor ich entscheide? Wobei, das würde nichts bringen. Wenn alles schmeckt – was nehme ich dann?

Heute, ausnahmsweise, generiere ich keine Schlange hungriger Wartender hinter mir. Heute nehme ich mir eine Käsesemmel und ein Glas Wasser. Mehr bekomme ich auf keinen Fall runter. Viel zu nervös.

Als wir endlich an unserem Stammplatz sitzen – Max vor einem riesigen Rinderschmorbraten mit einer doppelten Portion Pommes und Steffi vor ihrem üblichen grünen Salat mit Zitronensaft und einem Tropfen Öl angemacht – sieht mich Letztere irritiert an.

»Krank?«, fragt sie kauend.

»Ach, ich hab heute nicht so viel Hunger«, antworte ich wahrheitsgemäß.

»Was ist los?«

Ich sehe sie durchdringend an. Das kann doch nicht wahr sein! So was will meine Freundin sein! Sie ist mein Folterknecht.

»Na ja«, fange ich an und höre auch gleich wieder auf.

Sie schüttelt fragend den Kopf und zieht die Augenbrauen zusammen. »Joshua?«

»Nein.«

»Tim?«

»Nein.«

»Ah, dein Vater.«

»Neeeeeeiiiinnnn!«

»Ja, was denn dann, um Gottes Willen?«

»Du!«, schreie ich, schmeiße mein Brötchen hin und verlasse den Raum in einem Tempo, das ich mir nie zugetraut hätte.

Vor der Kantine bleibe ich stehen und versuche, tief Luft zu holen. Ein bisschen schnell vielleicht. Denn irgendwie wird mir schwindelig. Ich stütze mich am Stamm der Glyzinie ab, die den Gartenbereich der Kantine überwuchert – und spüre eine Hand auf meiner Schulter.

»Was hast du denn?«, fragt Steffi ganz sanft.

Ich fahre herum.

»Weißt du das echt nicht oder traust du dich einfach nicht, mir zu sagen, dass ich keinen neuen Vertrag bekomme?«

Sie sieht mich völlig entgeistert an.

»Glaubst du echt …«

Ihre braunen Kurzlocken kitzeln beinahe meinen Kopf, so vehement schüttelt sie den ihren.

»Mensch, Annika, natürlich übernehmen wir dich. Meinst du, ich hätte dir nicht vorher Bescheid gesagt, wenn es für dich nicht weiterginge? Warum hast du denn nicht gefragt?«

Ihre Schuhspitzen sind unglaublich interessant. Und die Zehennägel schillern in einer Farbe, von der ich unbedingt wissen muss, wie sie heißt. Taupe? Mauve? Tofu?

»Ich hab mich nicht getraut.«

»Was? Das hab ich jetzt nicht verstanden!«

»Nicht getraut.« Meine Mutter habe ich früher so lange angenuschelt, bis sie keine Lust mehr hatte, mit mir zu reden. Ich spüre Steffis Arme um meine Schultern, ihre Stirn an meiner.

»Mensch, Hasi, du glaubst doch nicht, dass ich dich einfach rauswerfe! Ich dachte einfach, ich erzähl dir gleich, wie der neue Vertrag aussieht, wenn ich alle Details abgeklärt habe. Wenn ich dich gefragt hätte, wie du es am liebsten willst, hättest du doch eh wieder … Na ja, wie soll ich sagen? Ich wollte dich nicht unter Entscheidungszwang setzen.«

Ich klammere mich an ihr fest, als ob sie mich vor dem Bungee-Jump vom Mount Cook bewahren soll.

Steffi seufzt. »Was meinst du, warum ich mir heute Morgen den blöden Steiner angetan habe? Nur damit du einen besonders guten Vertrag bekommst.«

Ich finde ihre Schuhe immer noch unglaublich aufregend.

»Echt?«, piepse ich.

»Und im Redaktionskühlschrank steht schon eine Flasche Prosecco zum Anstoßen. Von dem guten, den du so magst. Mit Hollunderblütensirup.«

Jetzt kommen mir echt die Tränen. Vor Scham, Rührung, Erleichterung und dem Glücksgefühl, eine solche Freundin zu haben.

Die eine Flasche Prosecco hat natürlich nicht gereicht. Kein Wunder, es haben ja noch zwei andere Kollegen mitgetrunken, da war sie viel zu schnell leer. Steffi und ich sind daher anschließend auf meinen WG-Küchenbalkon gewechselt und genießen den ersten Abend in diesem Jahr, an dem man nach neunzehn Uhr noch draußen sitzen kann, ohne zu erfrieren. Die zweite Flasche nähert sich bedrohlich ihrem Ende, dabei ist es erst kurz nach acht und noch hell. Unten im Hof werkelt der Nachbar aus dem Hinterhaus an seinem Fahrrad herum. Aus Kiras Zimmer klingt das Klappern der Tastatur sanft wie Meeresrauschen. Alles sehr friedlich gerade.

»Zufrieden?«, fragt Steffi in die Stille.

Ich nicke. »Allerdings.«

Im ersten Moment war ich etwas schockiert gewesen, als ich hörte, dass ich nur vier Tage die Woche arbeiten und der Vertrag zunächst nur über ein halbes Jahr laufen würde. Aber mit dem Gehalt komme ich auf alle Fälle einigermaßen über die Runden. Würde ich eben noch ein wenig länger in der WG ausharren. Und ich hatte einen Tag, an dem ich noch andere Sachen machen konnte. Anfangen, ein Buch zu schreiben. Die Wohnung aufräumen. Klavier spielen lernen. Shoppen gehen. Mein Englisch verbessern. Faulenzen. Wozu auch immer ich mich entscheiden könnte. Außerdem hatte ich ja noch meinen Barschlampen-Job. Alles wird gut. Nach dem halben Jahr wird es schon irgendwie weitergehen. Und wenn alle Stricke reißen, mache ich eben doch noch eine Promotion. Oder so. Mal sehen.

»Und? Hast du Tim ein Date gewährt?«

»Ich habe ihm erlaubt, mich am Freitag nach ›Bartls Talk‹ abzuholen.«

»Ich finde so aufgewärmte Sachen ja ziemlich abturnend.«

Ja, ja. Steffi hat einen solchen Männerverschleiß, dass sie gar nicht dazu kommt, irgendetwas aufzuwärmen, ohne dass es vorher schon verdirbt. Okay, wer vier Kilometer lange Beine hat, braucht vermutlich eh nichts aufwärmen.

Sie legt die Vier-Kilometer-Beine elegant auf der rosettenschnörkeligen Balustrade des Minibalkons ab und zupft ein vertrocknetes Blättchen des letztjährigen Salbeisträuchleins ab.

»Ich glaube«, beginnt sie mit bedeutungsschwangerer Stimme, »was du brauchst, ist endlich mal neuer Input. Du lässt dich gleich von zwei Kerlen bezirzen, die beide überhaupt nicht infrage kommen. Der eine ist zwanzigtausend Kilometer weit weg und wird seine Hobbit-Insel niemals verlassen, der andere ist erwiesenermaßen ein Langweiler, der dich an seinen Luxus-Induktionsherd ketten will. Da hast du echt Besseres verdient!«

Ich fülle den letzten Rest Prosecco in unsere Gläser und werfe einen suchenden Blick in Richtung Küche.

»Hab leider nur noch Ramazotti.« Ich hole die Flasche und ziehe aus dem Gefrierfach einen Beutel Eiswürfel. Zitrone ist leider alle. »Wenn du die ganzen attraktiven Kerle abgreifst, bleibt für mich keiner mehr.«

Totaler Quatsch natürlich, da unser Beuteschema total unterschiedlich ist. Glücklicherweise. Steffi pickt sich immer diese gefährlich wirkenden Riesentypen mit wolligen Bärten à la Ronald Zehrfeld raus, allein schon weil sie selbst fast einen Meter achtzig groß ist. Sie steht auf Kerle, die sie mit der Harley abholen und im Urlaub zum Triken nach Uganda wollen. Steffis Problem ist nur, dass die Wollbartmänner Prioritäten ganz anders setzen als sie. Bei ihr ist es die frauentypische Reihenfolge: Freundinnen – Mann/Shoppen – Job – Urlaub. Bei den Typen lautet sie: Motorrad – Sex – Urlaub – nichts – nichts – nichts – Job – nichts – nichts – nichts – Frau.

Unsere Gläser klirren appetitlich aneinander. Ich bin entspannt wie seit Wochen nicht. Herrlich. Ich will jetzt nicht über Männer reden. Zumindest nicht über meine.

»Bullshit«, kommt Steffi auf meine Bemerkung zurück. »Wenn ich zurzeit was abgreife, dann ist es ein Griff ins Klo. Weißt du noch, der Letzte? Flash hat er sich genannt, hatte einen Skorpion auf der Arschbacke tätowiert, und genauso hat er sich verhalten. Erst hat er mich kräftig in die Zange genommen und sich dann im Sand eingebuddelt. Unauffindbar. Depp, echt!«

Ich genieße den süß-herben Ramazotti in meinem Mund. Nachdem ich geschluckt habe, sage ich: »Das war der Letzte? Das ist doch bestimmt schon vier oder sogar sechs Wochen her.«

»Eben! Totale Flaute. Obwohl, so schlimm ist es gar nicht. Komm ich mal wieder zu mir.«

»Prost!« Ich verteile den restlichen Ramazotti auf unsere Prosecco-Gläser.

»Aber sag mal«, Steffis Stimme bekommt einen leicht nuscheligen Unterton. Und zwar garantiert nicht, weil sie wie ein verstockter Teenager klingen will. »Bist du eigentlich totale Abstinenzlerin, seit du aus Neuseeland zurück bist?«

Ich schlürfe den obersten Zentimeter Ramazotti aus meinem Glas. »Öh, na ja, also …«, druckse ich herum.

»Komm schon!«

»Na, so ein, zwei, drei Mal habe ich schon bei Tim … übernachtet.«

»Vier, fünf, sechs?«

»Kann hinkommen.« Ich tue mich sonst so schwer mit Entscheidungen! Warum fällt es mir dann jetzt so verdammt leicht, mich für die Wahrheit zu entscheiden. Ich hätte doch auch lügen und auf eins, zwei, drei bestehen können. Weiber!

Steffi kichert in ihr Glas, das schon beinahe leer ist. »Und sag mal, wer ist besser – ein Kiwi oder so ein braver, angehender Gymnasiallehrer für Mathe und Sport? Hä?«

»Steffi, das geht dich nichts an!«

»Ach, komm! Dafür, dass ich dich nicht über den Balkon schubse, weil du wieder mit dem Langweiler ins Bett gegangen bist, kannst du schon mit ein paar Details rausrücken.«

Ich gestehe, mir fallen zuerst die Nächte mit Josh ein. Aber natürlich war mit ihm ja auch noch alles ganz neu und frisch, und die Hormone haben Salsa getanzt. Mit Tim ist das eher so ein korrekter Walzer, jeder weiß, wo welches Körperteil hinkommt, und der Rhythmus findet sich dann schon von allein. Gelegentlich ist so ein Walzer – nett. Und immer nur Salsa wäre garantiert zu anstrengend. Wenn ich mich entscheiden müsste … – nee, keine Ahnung.

»Komm, Steffi, ich ruf dir ein Taxi, ist schon spät«, sage ich mit dem letzten bisschen Vernunft, das der Ramazotti noch nicht aufgeweicht hat, und greife nach meinem Smartphone. »Kannst dein Motorrad ja morgen abholen kommen.«

»Ich wette, Tim glaubt, ihr seid immer noch oder schon wieder zusammen«, quatscht Steffi weiter, ohne mich zu beachten.

Ich bin mit einem Mal stocknüchtern. Scheiße, was wenn sie recht hat? Kommt er deshalb so penetrant mit Kino-, Theater- und Essenseinladungen an? Hat er deshalb noch keine Neue?

Oh my God, ich muss endlich Klartext reden!

3. KAPITEL

70 % der Frauen achten beim Äußeren ihres Gegenübers als Erstes auf die Augen.

Wo ist der verdammte Push-up-BH? Verflucht, das darf doch nicht wahr sein! Ich bin schon wieder zu spät dran. Um acht geht die Aufzeichnung los, für sieben ist das Interview mit Ünal Malik … nein, Malik Ünal verabredet. Ich zerre alle Klamotten aus dem Schmutzwäschekorb, aber nirgends ist dieser blöde BH! Ob sich meine werte Mitbewohnerin Kira den mal wieder ausgeliehen hat? Es ist viel zu spät, um irgendwelche Diskussionen anzufangen, und so ziehe ich aus meiner Kommode, was mir gerade in die Hände fällt. Hmmm, der grauverschleierte Sport-BH mit den ersten Löchlein an der Seite. Ganz toll. Aber als ich die Schublade weiter aufziehe, finde ich nichts anderes. Alles in der Waschmaschine oder schmutzig. Ich streife das schwarze Wickel-T-Shirt mit dem tiefen Ausschnitt über – irgendwie muss ich doch dafür sorgen, dass dieser Ünal handzahm wird – und stopfe von unten ein wenig Watte in den Sport-BH. Noch ein wenig, noch ein wenig, noch mehr … und – passt! Muss passen, sagt mir der Blick auf die Uhr. Ich muss unbedingt die U-Bahn erwischen, denn mein Fahrrad liegt ja noch immer zerbeult vor dem Bayerischen Hof. Muss ich am Wochenende mal dringend abholen. Muss, muss, muss! Der Preis unseres Wohlstandes ist unser ständiges ›Müssen‹. In Neuseeland muss man längst nicht so viel.

Ich stürme die Treppe runter, kehre um, greife die Tasche mit dem Video-Equipment und spurte endgültig los. Mit langen Schritten und wehender Zunge schaffe ich es gerade noch in die U-Bahn und lasse mich ermattet auf einen Sitz fallen. Gut, dass ich noch fast zwanzig Minuten dösen kann, bevor ich aussteigen muss. Wobei, irgendwie kribbelt der Interviewtermin dafür viel zu fies in meiner Magengegend. Soll ich diesen Malik Ünal nun nach dem Migrationshintergrund fragen? Eigentlich albern. Aber, okay, in dem neuen Film, der demnächst anläuft und wegen dem er ja in der Sendung ist, spielt das auch eine Rolle. Also muss die Frage schon sein. Privates verkneife ich mir lieber. Obwohl ich schon wieder Steffi höre: »Aber genau das wollen unsere Userinnen wissen. – Hat der Typ nun eine Freundin oder nicht?« Die von neulich Abend vielleicht? Manchmal kann man so eine Frage ja eh nicht wirklich beantworten. Also ich könnte es gerade nicht. Nicht nur Tim meint vermutlich, wir sind zusammen, auch Josh benimmt sich, als hätte er noch Ansprüche.

Nachdem Steffi am Mittwoch gegangen war, wollte er unbedingt mit mir skypen. Dabei war bei ihm noch nicht mal die Sonne aufgegangen. Er war total süß und hat mir das Schnattern von Delfinen mit dem Handy aufgenommen und vorgespielt. Da habe ich echt wieder Sehnsucht bekommen. Ich hätte fast losgeheult und hab dann blöderweise gesagt, dass würde nur an dem Ramazotti liegen. Josh wollte wohl irgendwas mit mir bereden, aber ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Da war er dann ein bisschen sauer. Ich habe nachgefragt, aber er hüllte sich in beleidigtes Schweigen. Da habe ich einfach das Programm geschlossen. Seitdem hat er nichts mehr von sich hören lassen. Oh, auch die neuseeländische Männerseele ist empfindsam …

Stotternd hält die U-Bahn, und die Abteiltüren schräg vor mir öffnen sich. Plötzlich gibt es einen Schlag, und dann hängt ein Kerl an der Haltestange – kurz unter der Decke. Rasch schließe ich den Mund wieder, da lässt er die Stange los, springt wie ein Äffchen herunter und grinst mich breit an. Ich schaue angestrengt aus dem Fenster. Hat der sie noch alle? Mich nervt ja schon, wenn diese Fünfjährigen an den Stangen Karussell spielen – aber ein erwachsener Mann? Er lässt sich auf den Sitzplatz mir gegenüber fallen, und obwohl ich weiter aus dem Fenster schaue, habe ich das Gefühl, er gafft mich an. Ich blicke kurz zu ihm, und er grinst schon wieder. Obwohl auch er beinahe einen solchen Wollbart trägt, wie Steffi es mag, erkenne ich, dass sich dahinter ein hübscher Mund versteckt. Er hat eine leicht gebogene, schmale Adlernase und fast so blaue Augen wie Tim, etwas dunkler, ozeanblau beinah. Allerdings ist er viel kleiner, dafür drahtig, und hat sehr dunkle und definitiv längere Haare. Viel längere. Denn sie sind zu einem Dutt hochgesteckt. Einem schiefen Dutt. Wie der einer verstrubbelten Geisha. Den Typ kenn ich doch! Schnell schaue ich weg, sonst meint er noch, ich will mit ihm flirten. Ist das nicht dieser Typ aus dem Video, das mir Max neulich gezeigt hat? Mit dem verrückten Trampolinspringer? Vorsichtig sehe ich wieder hin. Ein Grinsen. Hat der eine Gesichtslähmung?

Vielleicht ist er einfach gut gelaunt.

»Grüß Gott, bitt’ schön, Ihre Fahrausweise«, ertönt plötzlich eine dunkle Stimme in tiefstem Bayerisch neben mir. Ich ziehe meine Streifenkarte hervor und zeige sie dem Kontrolleur. Er nickt und wendet sich der verstrubbelten Geisha zu.

Der Typ sieht den Kontrolleur irritiert an. Dann blickt er zu mir. »Aber Schatz, du hast doch gesagt, du hast für mich abgestempelt.«

»Wie bitte?«

Der Kontrolleur blickt erwartungsvoll zwischen uns hin und her. »Wos’n jetzt?«

»Na, also, ähm …« Der Dutt-Typ stottert ein bisschen rum. »Das ist … Also, meine Freundin hat gesagt, sie stempelt für mich.«

»Hot’s aber ned.«

»Ich kenn diesen Typen gar nicht«, finde ich endlich meine Sprache wieder.

Er schickt mir einen flehenden Blick. Der hat Nerven!

»Des is’ mir wurscht, wer da wen kennt, i’ bräucht’ jetzt einen gültigen Beförderungsnachweis von Eana, bitt’ schön.«

»Tja«, Mr Dutt kratzt sich am selbigen. »Mann, Schatz, da bringst du mich jetzt aber in eine blöde Situation.«

Ich tippe mir an die Stirn und drehe mich demonstrativ weg.

»Ham’s vierzig Euro? Dann hamma des glei’ erledigt.«