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Leonhard Schilbach zeigt am Beispiel des Autismus, wie arbiträr und kontingent Vorstellungen sozialer Normalität sind. Seine These: Der fehlende Sinn für das Normale könnte Autismus zu einem Korrektiv für Diskussionen werden lassen, die abseits von Inhalten vor allem auf soziale Befindlichkeiten achten, dabei aber in ihrer Selektion der relevanten Gruppen Ungleichheit und Ungerechtigkeit zementieren.
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Seitenzahl: 18
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Inhalt
Leonhard SchilbachMehr Autismus wagenEin Plädoyer für mehr Diversität in der Wahrnehmung des Normalen
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Impressum
Leonhard SchilbachMehr Autismus wagenEin Plädoyer für mehr Diversität in der Wahrnehmung des Normalen
Menschen haben die Neigung, ihre eigene Wahrnehmung der Wirklichkeit für die »richtige« Wirklichkeit zu halten und zu erwarten, dass die Wahrnehmung der Wirklichkeit anderer Personen hinreichend ähnlich oder sogar identisch sein müsse. Das Phänomen der gemeinsamen Aufmerksamkeit gilt hierbei als grundlegendes Phänomen des Abgleiches von Wahrnehmungsinhalten und meint den Prozess der Betrachtung eines Aspektes der Welt in dem Bewusstsein, dies »gemeinsam« mit einer anderen Person zu tun. Gemeinsame Aufmerksamkeit ist dabei ein interaktiv konstituiertes Phänomen, da erst die Wechselseitigkeit einer tatsächlichen sozialen Interaktion es möglich macht, die Gemeinsamkeit der Bezugnahme empirisch zu überprüfen. Das bedeutet, ob wir wirklich »gemeinsam« ein und denselben Aspekt der Umwelt betrachten, muss gegebenenfalls dadurch überprüft werden, dass wir dorthin blicken oder auf etwas zeigen und überprüfen, ob die Interaktionspartnerin ihre Aufmerksamkeit ebenfalls dorthin lenkt. Hierbei ist auch das Herstellen von »Blickkontakt« wichtig und beinhaltet eine spannungsvolle Oszillation zwischen der Rolle als Betrachter, als Sehender sowie auch als Angesehener. Auch entwickeln Menschen früh eine Präferenz für die Herstellung von gemeinsamer Aufmerksamkeit und scheinen dies als angenehm und erfreulich wahrzunehmen.
Hinsichtlich der zugrunde liegenden Hirnprozesse konnte gezeigt werden, dass das Herstellen von gemeinsamer Aufmerksamkeit zu einem robusten Anstieg der Hirnaktivität in Regionen des sogenannten »Belohnungssystems« führt.1 Interessanterweise sind diese Effekte nicht davon abhängig, ob wir bei der Koordination des Verhaltens ein gemeinsames Ziel verfolgen, sondern geschieht auch dann, wenn sich dieser Austausch einfach ergibt.2 Menschen scheinen also grundsätzlich eine Offenheit und ein Interesse an wechselseitiger sozialer Interaktion zu haben, die wie eine Art Tanz dazu anregt, sich in Resonanz mit der anderen Person zu begeben.