Mein Kompass ohne Nadel - Sarah Nierwitzki - E-Book

Mein Kompass ohne Nadel E-Book

Sarah Nierwitzki

5,0

Beschreibung

»Du bist das, wovor ich mich immer gefürchtet habe«, sagt Atlas. »Der Mechaniker, der dich mit Rennfahrerwitzen unterhält?« »Schlimmer. Du bist Mein Kompass ohne Nadel.« Unbesiegbar, das sind Atlas und ihr Bruder Taylor auf der Rennstrecke – bis sie dort verunglücken. Taylor stirbt, während Atlas mit einem Kreuzbandriss überlebt und plötzlich mit schwerwiegenden Gerüchten über ihren Bruder konfrontiert wird. Um ihnen zu entkommen, sagt Atlas einer letzten Rallye zu, mit deren Preisgeld sie fernab ihrer Heimat neu beginnen will. Weil sie aufgrund ihrer Verletzung nur navigieren kann, vertraut sie als Fahrer bloß einer Person: ihrem ehemaligen Teammechaniker und Kindheitsfreund Wyatt, der sie aus dem Unfallwagen befreit hat. Durch seine Nähe fühlt sich Atlas seit Langem das erste Mal wieder unbesiegbar. Doch sie ahnt nicht, dass auch Wyatt vor Gerüchten flieht, die Atlas' Neuanfang gefährden könnten.

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Phillippa

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Die Liebesgeschichten von Sarah Nierwitzki sind melancholisch schön. Ich weiß nicht, wie sie es schafft, aber sie sind gleichermaßen traurig und glücklich. "Mein Kompass ohne Nadel" ist eine sehr berührende Friends-to-Lovers-Romanze mit einem super interessanten Setting im Rennsport. Ich würde das Buch wieder und wieder lesen.
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Mein Kompass ohne Nadel

Sarah Nierwitzki

Copyright © 2022 by

Drachenmond Verlag GmbH

Auf der Weide 6

50354 Hürth

https://www.drachenmond.de

E-Mail: [email protected]

Lektorat: Mira Manger – Herzgestein

Korrektorat: Michaela Retetzki

Layout Ebook: Stephan Bellem

Umschlagdesign: Christin Thomas – Giessel Design

Bildmaterial: Shutterstock

ISBN 978-3-95991-819-0

Alle Rechte vorbehalten

Inhalt

1. Atlas

2. Atlas

3. Atlas

4. Atlas

5. Atlas

6. Wyatt

7. Atlas

8. Wyatt

9. Atlas

10. Wyatt

11. Atlas

12. Atlas

13. Wyatt

14. Atlas

15. Wyatt

16. Atlas

17. Atlas

18. Wyatt

19. Atlas

20. Wyatt

21. Atlas

22. Atlas

23. Atlas

24. Atlas

25. Wyatt

26. Atlas

27. Atlas

28. Wyatt

29. Atlas

30. Atlas

31. Atlas

32. Wyatt

33. Atlas

34. Atlas

35. Wyatt

36. Atlas

37. Atlas

38. Atlas

39. Atlas

40. Atlas

41. Wyatt

42. Atlas

43. Atlas

Epilog

Danksagung

Drachenpost

Kapitel1

Atlas

Die Überschrift des Onlineartikels gleicht einer Ohrfeige: Warum sich Atlas Summer ohne ihren Bruder Taylor im Rennsport schwertun wird.

Ich schwitze unter dem Stoff des Rennanzugs, denn auch wenn es leicht nieselt, ist der Oktober unerträglich warm. In meinen Ohren dröhnt Motorengeheule, der Asphalt der Rennstrecke vor mir riecht nach Teer und aufgewärmten Gummireifen. Trotzdem habe ich nur Augen für das Handy in meiner Hand und den Artikel, den unser Teamchef Corvin mir vor wenigen Minuten geschickt hat.

Selbst die Presse weiß, dass du ohne Taylor scheiterst, lautet seine Nachricht unter dem Link.

Sie ist nur ein Funke vor einem Pulverfass, denn allein die Überschrift des Artikels führt mir erneut vor Augen, wer ich in den letzten Jahren gewesen bin: nie ich selbst. Dass ich mich abseits der Boxengasse verstecke, um kurz durchzuatmen, bezeugt das nur.

Unter der Überschrift prangt kein Foto von mir, sondern eins von Taylor, wie er sich nach einem verlorenen Rennen die Haare rauft. Es ist mindestens drei Jahre alt, aber die Presse nutzt es geschickt, um ihn als verzweifelt darzustellen.

Ich schalte das Display aus, lasse das Handy in die Tasche meines Overalls gleiten und sehe nun doch auf die Strecke. Manchmal ist das noch der Ort, den ich seit meiner Jugend kenne, vor allem, wenn ich im Ford sitze und Rennen fahre. Sobald das Lenkrad in meinen Händen vibriert und die Reifen auf der Rennstrecke vorwärtsrauschen, bin ich frei.

In allen anderen Momenten bin ich bloß die Rennfahrerin eines Geschwisterduos, die es noch immer nicht geschafft hat, aus dem Schatten ihres Bruders zu treten, egal wie viele Siege sie geholt hat. Die sich ständig der Presse aussetzen muss, vor allem jetzt, wo sie den Alleingang wagt.

Ich habe keine Ahnung, welche Fotos zu den Schlagzeilen der letzten Wochen schlimmer waren: die, auf denen ich verschwitzt aus den Rennen kam und mit zerzaustem Haar abgelichtet wurde. Oder diejenigen, die mich vor den Rennen zeigen – zurechtgemacht – und die darauf abzielen, dass ich bloß eine Frau im Rennsport bin, die eigentlich besser die Strecke verlassen sollte.

Das Piepen meines Handys beendet meine Gedanken nur kurz, denn der Name meines Bruders auf dem Display lässt sie sofort wieder aufflammen.

Wo zum Teufel bleibst du?, schreibt er.

Ich will gerade antworten, als eine weitere Nachricht eingeht, diesmal von Wyatt, einem unserer Mechaniker und Taylors bestem Freund.

Alles okay, Queen of the hill?

Der Spitzname bringt mich heute das erste Mal zum Lächeln.

Brauchst du Ablenkung? Wo soll ich hinkommen? Was muss ich tun, um dich zum Lachen zu bringen?

Wie automatisch findet meine Hand ihren Weg zurück in meine Tasche und ich ertaste den Kompass darin. Mit den Fingerspitzen gleite ich über das Glas, dann weiter zu dem leicht aufgerauten Metall. Ich trage ihn immer bei mir, in letzter Zeit vergeht kein Tag, an dem ich ihn nicht berühre. Er beruhigt mich.

So auch jetzt, als er der einzige Antrieb ist, aufgrund dessen ich mich endlich in Bewegung setze. Das Versteckspiel bringt nichts.

In der Garage unseres Teams empfängt mich Taylor, neben ihm unser Teamchef Corvin, beide funkeln mich an.

»Wo warst du?«, fragt mein Bruder und gibt sich Mühe, sich wenigstens heute vor den anwesenden Teammitgliedern bedeckt zu halten. Zu oft haben sie uns in den letzten Wochen streiten sehen.

Am Heck des Fords steht Wyatt und sieht kurz zu mir herüber, doch schon stellt sich Taylor vor mich und versperrt mir den Blick auf Wyatts tiefbraune Augen.

»Reg dich ab«, sage ich zu meinem Bruder. »Wir haben noch genug Zeit. Ich laufe euch nicht weg.«

»Du hast dich abzumelden«, sagt Corvin. Er hat die Arme vor der Brust verschränkt. »Deinen Alleingang kannst du noch früh genug durchziehen.«

»Es muss dich ganz schön kränken, dass ich ohne dich weitermachen werde«, erwidere ich.

»Atlas«, mahnt Taylor und nimmt damit Corvin in Schutz. Wie so oft in den letzten Jahren.

Taylor und Corvin wissen, dass ich maßgeblich daran beteiligt bin, dass wir stehen, wo wir stehen: an der Spitze des Rallyesports. Ich habe die besten Sponsoren an Land gezogen, ich habe mich um neue Deals gekümmert, ich bin Bestzeiten gefahren – aber es war immer Taylor, der in der Presse gelobt wurde.

Ich hoffe für ihn, dass die Gerüchte über ihn nicht stimmen … Es würde seine Karriere zerstören, und meine vermutlich ebenso.

In diesem Moment bin ich bloß froh, beide bald los zu sein, auch wenn der Gedanke schmerzt. Taylor und ich haben uns aufgrund all der Konkurrenz aus den Augen verloren, obwohl wir uns geschworen haben, es nicht zu tun.

Ich drängle mich zwischen Corvin und meinem Bruder hindurch, um meinen Helm von der Werkbank zu nehmen. Allerdings ist Wyatt schneller, nimmt ihn und meinen Nackenschutz an sich und hält mir beides mit einem Lächeln hin. Ein feiner Streifen Öl prangt auf seiner Stirn, als sei er sich mit dem schmutzigen Handrücken darübergefahren.

»Hast du genug Ablenkung gefunden?«, fragt er.

Es ist nie genug, denke ich.

»Alles bestens, Doc.« Ich ringe mir ein Lächeln ab. »Mach dir keine Sorgen.«

Wyatt und ich kennen uns seit der Highschool, ich bin sicher, er sieht, wie falsch mein Lächeln ist. Aber er sagt nichts. Auch er hat die Streitereien zwischen mir, Taylor und Corvin mitbekommen, hat sogar versucht, zu schlichten. Jedoch ist zu viel kaputtgegangen, selbst Wyatt kann das nicht kitten.

Kaum zu glauben, dass er seine Fahrerkarriere an den Nagel gehängt hat, um uns als Mechaniker zu unterstützen. Er hat, was Taylor fehlt: Ruhe, die er in jeder Situation ausstrahlt und ihn für gefühlt alles wappnet.

»Wenn du genug Zeit verschwendet hast«, sagt Corvin, »wären wir bereit für die letzte Runde, Rookie.«

Ich sehe Wyatts zusammengezogenen Brauen. Mit Sicherheit ist sein Blick ein Spiegel meines. Ich hasse es, wenn Corvin mich als Anfängerin bezeichnet.

»Was kümmert dich meine Zeitverschwendung?«, frage ich Corvin, nachdem ich mich zu ihm herumgedreht habe. »Draußen warten keine Sponsoren, die du beeindrucken musst. Sie warten auf mich.«

Niemand traut mir einen Alleingang ohne Taylor zu, sodass ich selbst für Sponsoren kämpfen musste, für die Corvin keinen Finger krumm machen würde. Aber sie sind heute hier – meinetwegen. Wenn die Deals zustande kommen, ist das ein wichtiger Schritt in Richtung Freiheit. Weg von Corvin.

»Sie werden nicht mehr lange deine Sponsoren sein«, erwidert unser Teamchef.

Mein Magen macht einen unangenehmen Sprung. Taylor wirft Corvin einen mahnenden Blick zu, als hätte er ein Geheimnis verraten, das unter Verschluss hätte bleiben sollen.

»Was soll das heißen?«, frage ich, sehe abwechselnd von Corvin zu Taylor.

»Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um das zu besprechen«, sagt mein Bruder. Seine Stimme zittert etwas.

»Warum nicht? Welcher Zeitpunkt wäre besser? Nach der Runde, bei der du noch von mir profitieren kannst?«

Ich gehe einen Schritt auf Corvin zu und lasse mir Zeit, ihn genau zu betrachten. Während Taylor mir nicht mal in die Augen sehen kann, begegnet Corvin mir mit einem hämischen Grinsen. Der Knoten in meinem Magen drückt schmerzhaft, der Kloß in meinem Hals ebenso. Ich hoffe inständig, dass Corvin mir nicht ansieht, wie sehr mich das Gesagte mitnimmt.

»Wessen Sponsoren werden es sein, wenn nicht meine?«, frage ich. Mit dem Finger deute ich auf Taylors Brust. »Deine?«

»Der Deal ist schon so gut wie unter Dach und Fach«, sagt Corvin. »Mach es nicht unnötig schwer, Rookie.«

Hinter mir höre ich Wyatt ein Seufzen ausstoßen, Taylors Blick huscht zu ihm, aber ich drehe mich nicht zu unserem Mechaniker herum.

»Was hast du dafür verkauft?«, zische ich Corvin durch zusammengepresste Zähne zu. »Deine Seele? Dein Herz kann es nicht sein, das ist schon vor Jahren der Gier gewichen.«

»Das sagt die Richtige«, erwidert er.

Ich lache auf, obwohl mir nach Heulen zumute ist. Wenn ich die Sponsoren los bin, stehe ich bei null. Sie waren mein Neubeginn. Ohne sie habe ich keine ausreichende Finanzierung für den Alleingang, keine Partner an meiner Seite. Ohne sie werde ich immer nur Taylor Summers Schwester sein – die Frau, die zwar im Hintergrund die Strippen zieht, aber die nie in den Vordergrund gerückt ist, weil man sie nicht ließ. Mit einer Frau schmückt man sich im Rennsport nicht.

Um nichts in der Welt lasse ich mir die Sponsoren von dem Mann wegnehmen, der mein Image die letzten Jahre unterstützt hat, indem er Taylor den Rücken gestärkt und mich in den Hintergrund gedrängt hat.

»Wie lebt es sich in dem Haus, das du dir wegen unserer Siege leisten konntest?«, frage ich Corvin.

»Es reicht, Atlas!«, sagt Taylor.

Ich ignoriere ihn, deute stattdessen mit einem Nicken auf Corvins Armbanduhr. »Wie teuer war die Rolex noch mal? Sie ist aus Platin und Gold, richtig?«

Mit der freien Hand umgreife ich sein Handgelenk und tue, als würde ich die Uhr eindringlich betrachten, bevor er sich mir mit einem Ruck entzieht. Der Knoten in meinem Magen schwillt so weit an, dass es mich Kraft kostet, aufrecht zu stehen und mich nicht vor Schmerzen zu krümmen.

»Waren die Brillanten inklusive oder musstest du sie extra zahlen?«

»Ich habe mir den Arsch für euch aufgerissen und dich groß gemacht«, presst Corvin hervor.

»Ich habe in den Wagen gesessen«, donnere ich. »Ich habe Verträge ausgehandelt. Und dann habe ich zugesehen, wie du mit den Sponsoren essen gegangen bist und dich mit Schampus hast volllaufen lassen …«

»Atlas!«, warnt mein Bruder nun eindringlich.

»… während ich am nächsten Tag wieder ins Auto gestiegen bin und du dich wegen Kopfschmerzen selbst bemitleidet hast«, setze ich unbeirrt nach. »Ich habe dich groß gemacht.«

»Jeder hat seine Zeit«, erwidert Corvin. »Deine endet ohne deinen Bruder.«

»Sie beginnt ohne ihn«, sage ich sofort. »Und wenn du mir Sponsoren wegnimmst, dann …«

Corvin tritt einen Schritt auf mich zu und packt mich so fest am Oberarm, dass ich nicht imstande bin, schnell genug zu reagieren und ihn abzuwehren, während unser Teamchef mich hasserfüllter als je zuvor anfunkelt.

»Was dann?«, grollt Corvin.

»Hey!«

Wyatt steht plötzlich neben mir und stößt Corvin mit einem kräftigen Schlag gegen die Schulter zurück. Unser Mechaniker überragt Corvin um einen Kopf, allein das reicht, damit Corvin keinen Gegenangriff startet. Vielleicht ist es aber auch sein Image vom Saubermann, das er jetzt noch wahren will.

»Genug jetzt!«, sagt Wyatt und deutet mit dem Finger auf Corvins Brust. Die Male, die ich ihn so aufgebracht erlebt habe, kann ich an einer Hand abzählen. Seine Kiefermuskeln treten deutlich hervor. »Das traust du dich nicht noch mal, es sei denn, du willst, dass ich die Security und danach die Cops rufe, kapiert?«

Es vergehen mehrere quälende Augenblicke und es scheint die Ironie des Schicksals zu sein, dass Wyatt und ich Corvin und Taylor wie ein eigenes Team entgegensehen. Wir alle haben mal auf derselben Seite gestanden. Haben uns nach den ersten Siegen in den Armen gelegen, ich kann es immer noch vor meinem inneren Auge sehen. Die anfänglichen Jahre im Rennsport waren die glücklichsten, an die ich mich erinnere. Mein Leben hat sich zu Beginn meiner Karriere wie ein nicht enden wollender Sommertag angefühlt.

Doch dann sind Gewitter aufgezogen und ich wurde im Regen zurückgelassen, während die anderen Zuflucht davor suchen konnten. Ich war und bin eine Frau, die Rallyeautos meiden sollte.

»Steig ein, Taylor«, herrscht Corvin ihn an und nickt in Richtung der Fahrerseite des Fords.

»Ich fahre«, sage ich. »Es ist meine Runde. Die letzte gehört mir.«

Wenigstens das hat er mir immer zugestanden: ewig zuletzt hintanzustehen und einen winzigen Teil des Erfolgs zu bekommen.

»Nicht heute.« Corvin entfernt sich aus der Garage.

Taylor wirft mir einen Blick zu, der zum ersten Mal seit Wochen so was wie eine Entschuldigung ausdrückt, und läuft auf die Fahrerseite zu. Er nimmt sich den Nackenschutz vom Dach, legt ihn hastig um und setzt dann den Helm auf, den er sich von einem der Mechaniker am Nackenschutz festbinden lässt.

»Wenn du fährst, werde ich dir das nie verzeihen.«

Erst als der Gedanke laut ausgesprochen ist, weiß ich, dass er die Wahrheit ist. Sollte Taylor diesen Schritt gehen und mir selbst diese letzte Runde nehmen, werden wir nie wieder zueinanderfinden.

Mein Bruder umklammert den Türgriff, dann lösen sich seine Finger langsam und ich hoffe schon, dass meine Worte etwas in ihm ausgelöst haben, das er vielleicht vergessen hat: dass wir Geschwister sind und mal unzertrennlich waren, bevor Corvin vor fünf Jahren in unser Leben getreten ist.

Doch dann öffnet mein Bruder die Fahrertür und steigt wortlos in den Wagen.

Ich bin wie betäubt. Hier, vor dem gesamten Team, nimmt er mir die letzte Runde. Nur am Rande nehme ich wahr, wie sich eine Hand an meinen Rücken legt, und erst als ich nach rechts sehe, bemerke ich, dass es Wyatts ist.

»Es fühlt sich nach einem Ende an, aber es ist ein Anfang«, sagt er und meint damit so viel.

Vor allem das: Du brauchst sie nicht.

Ich streife mir erst meinen Nackengurt über, dann den Helm. Wyatt tritt hinter mich und befestigt beides sorgfältig miteinander. Als ich im Wagen sitze, zwinge ich mich, nicht zu ihm zu sehen, auch wenn er neben dem Ford steht.

Nachdem Taylor das Auto einige Meter durch die Boxengasse gefahren hat, schaue ich in den Außenspiegel: Wyatt sieht dem Wagen nach, und ich bilde mir ein, er tut es so lange, bis Taylor die Gasse verlässt und er aus meinem Blickfeld verschwindet.

Mein Bruder hält an der Ausfahrt der Boxengasse unter der roten Ampel, sieht schnurgeradeaus. Wegen seines Helms bleibt mir seine Mimik verborgen.

»Stimmt es, was Corvin zu den Sponsoren gesagt hat?«, frage ich.

Taylor umklammert das Lenkrad so eisern, ich bin mir sicher, würde er keine Handschuhe tragen, könnte ich seine Knöchel sich weiß verfärben sehen.

»Es stimmt«, sagt er. »Die Sponsoren haben sich für mich entschieden, die Verträge sind so gut wie unterzeichnet.«

»Haben sie sich freiwillig entschieden oder habt ihr sie gedrängt?«

Darauf antwortet Taylor nicht.

»Was fehlt noch, um die Verträge offiziell zu machen?«

»Meine Unterschrift.«

»Wirst du unterzeichnen?«

Die Stille zwischen uns nimmt den gesamten Platz im Auto ein und sagt so viel mehr als Worte.

Ich wünschte, ich könnte unsere Leben wie eine Videokassette zurückspulen. Einen Punkt entdecken, an dem Taylor und ich eine gemeinsame Richtung finden, statt Meter um Meter getrennte Wege zu gehen. In diesem Moment wünsche ich mir die Jahre mit meinem Bruder zurück, in denen es nur uns zwei gab. In denen wir im Garten von Wyatts Eltern jeden neuen Vertrag gefeiert haben, statt über Sponsoren zu streiten.

»Was hast du dafür getan?«, frage ich Taylor.

»So ist es nicht …«

»Was? Die Gerüchte stimmen also nicht?«

»Du weißt, dass viel zu viel geredet wird.« Er weicht mir aus.

»Wenn rauskommt, was man sich erzählt, bist du deine Karriere los und die Sponsoren sowieso.«

»Und was kümmert es dich, Atlas?«, brüllt er plötzlich. Ich zucke zusammen. »Die nächsten Sponsoren stehen bereits Schlange bei dir, was beschwerst du dich?«

»Du hast keine Ahnung, Taylor.«

Ohne auf meine Antwort zu warten, strafft er die Schultern, so gut es in seiner Position geht.

»Es tut mir leid«, sagt er, heiser diesmal. »Tut es wirklich. Du bist die bessere Fahrerin, ich weiß. Du fährst ihnen allen vorweg, Atlas. Selbst mir. Ich hätte ohne die Sponsoren keine Chance.«

In dem Moment springt die Ampel über uns auf Grün und Taylor zögert nicht eine Sekunde, das Gas durchzudrücken.

Ist das der Grund, warum ihr mich seit Jahren ausbremst?, denke ich in der ersten Kurve. Weil ich euch vorwegfahren könnte?

Ein Kratzen in der Schaltung erhascht sofort meine Aufmerksamkeit.

Die scharfe Kurve vor uns verlangt von uns Fahrern, die Autos abzubremsen, aber Taylor reagiert zu spät. Mit viel zu hohem Tempo erreichen wir die rot-weiß markierten Curbs hinter der Auslaufzone, und Taylor reißt das Lenkrad herum, obwohl er es besser wissen müsste.

Ein scharfer Linksruck geht durch den Ford, mein Magen springt mir in den Hals, während das Auto weiterschlittert. In meinen Ohren dröhnt Taylors Schrei, vielleicht ist es auch mein eigener. Ich hebe die Arme vor den Kopf, oder zumindest versuche ich es, doch meine Muskeln gehorchen mir nicht. Mein Kopf schlägt gegen etwas Hartes, als Taylor erneut das Lenkrad herumreißt, ich einen Blick aus der Windschutzscheibe erhasche und sehe, dass wir auf den Reifenstapel zurasen.

Über das Rauschen in meinen Ohren höre ich Taylor meinen Namen rufen. Er streckt seine rechte Hand nach mir aus, vielleicht, um mir Halt zu geben, mich zu schützen, mir zu zeigen, dass wir füreinander da sind, dass wir einander haben – immer noch.

Doch da rast der Ford frontal und ungebremst in den Reifenstapel und die Stimme meines Bruders verliert sich.

Kapitel2

Atlas

Die Dunkelheit vor meinen Augen weicht nur langsam, aber so viel, dass ich die Szenerie vor mir erfasse: Der Ford steckt bis zum Kotflügel im Reifenstapel, Qualm dringt aus der Motorhaube. Durch mein rechtes Knie zuckt ein stetig ansteigender Schmerz. Die letzten Minuten sind wie verschwommen, meine Gedanken wirbeln umher – nur einen kann ich festhalten.

»Taylor?«

Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, den Namen meines Bruders laut auszusprechen, oder ob ich ihn nur in Gedanken sage, weil meine Stimme mir nicht gehorcht. Tränen stehen mir in den Augen, meine Hände zittern, mein Kopf dröhnt.

Vorsichtig drehe ich mich nach links, um meinen Bruder anzusehen, doch sein Anblick lässt meine Welt erstarren.

»Taylor!«

Sein Kopf liegt mit der Stirn voran auf dem Lenkrad, der rechte Arm erstreckt sich über der Mittelkonsole, der linke ruht leblos auf seinem Oberschenkel. Sein Nackenschutz hat sich gelöst und baumelt nur noch am Sicherungsgurt seines Helms.

Bevor ich durch den Nebel in meinem Kopf realisiere, was das bedeuten könnte, wird die Tür zu meiner Rechten aufgerissen. Der Schmerz, der mir in die Stirn zieht, als ich den Kopf ruckartig wende, wird sofort abgelöst von einer kurzen Erleichterung, als ich Wyatt sehe.

Seine Hand legt er vorsichtig auf meinen Oberschenkel, er scannt meine Gestalt von oben bis unten. »Geht es dir gut?«

»Du musst Taylor helfen«, presse ich hervor. »Ich bin okay, aber Taylors Nackenschutz hat sich gelöst.«

Wyatts Blick huscht an mir vorbei und seine Augen spiegeln den puren Terror in meinem Inneren wider. Nachdem er sich von Taylor gelöst hat, fokussiert er mich.

»Aaron und David kümmern sich gerade.« Als ich mich zu Taylor und unseren Teammitgliedern umdrehen will, hält Wyatt mich davon ab, indem er seine Hand an meinen Helm legt. »Keine abrupten Bewegungen. Was tut dir weh?«

»Knie und Kopf«, antworte ich.

Wyatt beugt sich vor, um meinen Gurt zu lösen. »Gut, dann holen wir dich mal vorsichtig hier raus.«

Wir alle haben mehrere Erste-Hilfe-Kurse hinter uns, allerdings glaube ich nicht, in einer Situation wie dieser annähernd so geübt reagieren zu können, wie Wyatt es tut. Mit einem routinierten Griff hat er seine Arme hinter meinem Rücken verschlungen.

»Versprich mir, dass du dich um Taylor kümmerst, Wyatt«, flehe ich.

»Ich verspreche es dir, Queen of the hill«, entgegnet er auf der Stelle und hat mich im nächsten Moment aus dem Wagen gezogen.

Erst als wir den Ford verlassen, spüre ich meine Knochen, mein gesamter Körper tut weh, der Schmerz in meinem Knie ist brennend heiß. Vielleicht hört Wyatt mein Stöhnen durch den Helm, denn sein Griff um meine Hüfte verstärkt sich. Eigentlich stützt er mich mehr, als dass ich selbst laufe. Nach wenigen Metern geben meine Beine endgültig nach. Wyatt reagiert sofort und bugsiert mich zu dem Reifenstapel, auf dem ich mich niederlasse. Er beugt sich zu mir, klappt mein Visier hoch.

»Atmen«, sagt Wyatt und deutet auf seinen, dann auf meinen Brustkorb. »Bist du bei mir?«

Ich nicke, auch wenn ich nicht sicher bin, und wünschte, meine Brust würde sich genauso stetig heben und senken wie Wyatts. Allerdings will mein Herzschlag sich nicht beruhigen, meine Atmung ebenso wenig.

»Taylors Nackenschutz …«

Nur zwei Worte bringe ich hervor, dann zwingt das Zittern meiner Stimme mich zum Aufgeben.

Mir schnürt sich der Hals zu. Wie durch einen Strohhalm unter Wasser zu atmen, so fühle ich mich gerade. Ich hebe die Hände, um den Helm abzunehmen, der sich wie ein Schraubstock um meinen Kopf zwängt, aber Wyatts Arme, mit denen er meine hinunterdrückt, hindern mich daran.

»Du kannst ihn später abnehmen, wenn wir wissen, dass deine Wirbel unverletzt sind«, sagt er ruhig und sieht mir dabei fest in die Augen. Er platziert meine Hände auf meinen Oberschenkel und fährt sachte darüber.

»Ich will wissen, was mit Taylor ist! Haben sie ihn schon befreit? Geh mir aus dem Weg, Wyatt!« Meine Beine versagen mir abermals ihren Dienst, als ich aufstehen und mich an Wyatt vorbeischieben will. Er hält mich problemlos zurück und stellt sich vor mich, schirmt mich so von der Unfallszenerie ab.

Wyatt sieht über seine Schulter, danach wieder in mein Gesicht, schweigt, obwohl er in der Vergangenheit nie um einen Spruch verlegen war.

Wo ist Taylor?, will ich brüllen, doch kein einziges Wort verlässt meine Lippen.

»Atmen, Atlas.«

Wyatt legt seine Hand an meine Schulter und ich wünschte, es wäre nicht so viel Stoff dazwischen. Ich wünschte, er könnte mir den Helm abnehmen und seine Hand an meine Wange legen, mich nur kurz halten, so wie damals.

Die Tränen in meinen Augen lassen Wyatts Konturen langsam verschwimmen, aber dass er eine davon durch mein Visier unter meinem rechten Auge wegwischt, spüre ich wenigstens.

»Hast du deinen Kompass noch?«, fragt er.

Er ist immer bei mir. Seit dem Tag, an dem du ihn mir geschenkt hast, habe ich ihn bei mir.

In der Tasche meines Rennanzugs taste ich danach, um nachzusehen, ob er intakt ist. Als ich ihn in die Finger bekomme, dröhnt ein Knall über die Rennstrecke und er rutscht mir vor Schreck aus der Hand.

Zuerst sehe ich die Stichflamme, die aus der Motorhaube des Fords schießt, danach, wie Wyatt sich über mich beugt. Einige Metallteile schnellen genau auf uns zu.

Als mich eines trifft, wird die Welt sofort in Schwärze ertränkt.

Kapitel3

Atlas

Wyatt hat mich belogen.

»Ich wusste nicht, dass man nach einer Niederlage belohnt wird«, habe ich vor zwei Jahren zu ihm gesagt, als er mit einer Geschenkschachtel im Garten seiner Eltern vor mir gestanden hat. Stunden zuvor waren Taylor und ich unsere bis dahin schlechteste Zeit gefahren, Corvin war außer sich.

Doch als Wyatt mir im Garten die Schachtel überreicht hat, war alles vergessen.

Ein goldener Kompass auf rotem Seidenpapier hat darin gelegen, so groß wie ein Teelicht. Nicht ein Kratzer war daran zu erkennen, stattdessen war er auf Hochglanz poliert, vor allem das Glas. Die Nadel darin hat sich bei jeder meiner Bewegungen mitbewegt.

»Er leitet dich«, hat Wyatt gesagt. »Nur falls du mal wieder die Orientierung verlierst.«

Seit Wyatt mir den Kompass überreicht hat, haben Taylor und ich einen Sieg nach dem nächsten geholt.

Er hat ihn mir zurückgebracht, einige Tage nachdem mein Kreuzbandriss operiert wurde und man mir gesagt hat, es sei möglich, dass ich nie wieder Rennen fahren werde. Tage nachdem ich Taylor verloren habe und mich weigerte, jemanden ins Krankenzimmer zu lassen. Nur Wyatt hat sich zu mir getraut, hat geschwiegen, während ihm Tränen in den Augen standen, und hat mir den Kompass hingehalten.

Aber das Glas hatte einen Riss, die Nadel war gebrochen und rutscht seitdem hin und her, und in meiner Wut habe ich Wyatt dafür verantwortlich gemacht.

»Verschwinde!«, habe ich gebrüllt und obwohl schon dieses einzelne Wort in einem Schluchzen untergegangen ist, habe ich mit letzter Kraft hinzugefügt: »Ich will dich nie wiedersehen!«

Eine Träne ist schließlich über Wyatts Lid geschwappt, doch er hat sich stumm herumgedreht und mich beim Wort genommen.

Erst Wochen später wurde mir klar, was mich so wütend gemacht hat: dass ich nichts weiter als eine beschädigte Nadel in einem Kompass bin. Gebrochen und orientierungslos.

Ohne Taylor.

Immer wieder taucht er vor meinem inneren Auge auf, wie er die Arme nach einem Sieg um meine Mitte schlingt, mich in seiner Euphorie hochhebt und sein Helm dabei gegen meinen stößt, Taylor lauthals lacht und brüllt, dass wir unbesiegbar seien – und dann blitzt das letzte Bild auf, das mich von meinem Bruder verfolgt. Leblos, den Kopf auf dem Lenkrad, mit gelöstem Nackenschutz, der sein Verhängnis wurde. Die Ärzte haben meinen Eltern und mir gesagt, er war durch den Genickbruch sofort tot und hatte keine Chance.

Wyatt hat mich belogen.

Der Kompass leitet mich nicht mehr. Er hat seine Nadel verloren, und mit ihr habe ich meine Orientierung und meinen Bruder verloren.

Kapitel4

Atlas

Sieben Monate später

Ich stütze mich am Kotflügel des Mustangs ab, dessen Luftschlauch ich reparieren will, und brauche einen Moment, weil mein Knie durch das Stehen mittlerweile unangenehm pocht. Wenigstens unterdrücken die Tabletten derzeit den größten Schmerz. Nicht jedoch die Schlagzeile, die mich jedes Mal in Gedanken heimsucht, sobald mein Knie Probleme macht.

Karriere von Atlas Summer auf Höhepunkt durch Unfall beendet.

Manchmal wünschte ich, diese erste Schlagzeile nach dem Unfall vergessen zu können, immerhin ist sie sieben Monate alt. Aber vor allem bei dem Job in der Werkstatt, umgeben von Autos, werde ich täglich daran erinnert, dass sie wahr ist. Ich bin keine Rallyefahrerin mehr, sondern Angestellte in einer Autowerkstatt.

Reflexartig lasse ich meine rechte Hand in die Tasche meines Overalls wandern und berühre den Kompass. Mit den Fingerspitzen fahre ich den Sprung im Glas nach, weiter zu dem goldenen Rand, der sich kühl an meine Kuppen schmiegt.

Der Kompass erinnert mich an ein früheres Leben.

Er erinnert mich an Wyatt.

Er erinnert mich auch daran, dass es besser war, mit beidem abzuschließen.

Jetzt bin ich die junge Frau mit dem kaputten Knie und dem toten Bruder, von der jeder mehr erwartet hätte. Meine Eltern erwarten, dass ich das Ende meiner Karriere akzeptiere, die Presse, dass ich die gefallene Heldin spiele, die sich aufrafft. Die Albträume nachts abschüttelt, die Schmerzen im Knie ignoriert.

Alles würde ich geben, um noch einmal hinterm Steuer eines Rallyewagens zu sitzen, doch stattdessen repariere ich seit sechs Monaten Autos, weil Mitch mir zumindest für dieses Jahr einen Halbtagsjob anbieten konnte. Was danach kommt, weiß ich nicht.

Wenigstens behandelt mich Mitch nicht mitleidig und er wimmelt Reporter ab, wenn sie sich hierher verirren und wieder versuchen, mich zum Reden zu bringen. Ich bin ihnen nichts schuldig und froh, dass es von Woche zu Woche weniger werden. Außerdem bin ich dankbar, dass Mitch mich mit Aufträgen zuschüttet, die mich größtenteils vom Nachdenken abhalten.

Nur nachts muss ich allein durch die Bilder, die mich verfolgen.

»Atlas!«

Meine Finger lösen sich vom Kompass und ich sehe an der Motorhaube vorbei. Mitch kommt in großen Schritten aus seinem Büro auf mich zu. Der Raum ist eigentlich ein Anbau aus Pressspanplatten, aber er sagt, er gebe ihm wenigstens das Gefühl eines Rückzugsorts. Vielleicht lässt er mich deswegen als einzige Person dort Zeit verbringen – weil er weiß, ich brauche diesen Ort ebenso.

»Was tust du hier? Ich habe dir gesagt, du sollst mit den anderen Pause machen!«

»Ich tausche nur noch den Luftschlauch aus«, antworte ich. »Das dauert keine zehn Minuten, und dann mache ich wirklich Pause, versprochen.«

Mein Chef stellt sich neben mich an die offen stehende Motorhaube. Mit den schon von grauen Strähnen durchzogenen Haaren und den etlichen Lachfalten um Lippen und Augen wirkt er nicht so, aber ich habe mehr als einmal erlebt, wie hart er durchgreift, was seine Werkstatt betrifft. Und seine Mitarbeiter.

»Seit wann arbeitest du heute schon?«, fragt er und verschränkt die Arme vor der Brust.

»Das ist eine rhetorische Frage.« Ich halte seinem strengen Blick stand, verlagere mein Gewicht auf das unverletzte Bein. »Du kennst den Schichtplan auswendig.«

»Für jede Minute, die du heute noch arbeitest, ziehe ich dir einhundert Dollar vom Lohn ab.«

»Was? Das ist absurd.«

Mitchs rechte Braue wandert in die Höhe, aber anstatt mir zu antworten, sieht er mich lediglich stumm an.

»Meine Pause verschiebt sich heute bloß ein wenig«, sage ich.

»Sie verschiebt sich seit Tagen.«

»Es ist viel zu tun. Du gibst mir immerhin Aufträge.«

»Du erledigst sie in der doppelten Geschwindigkeit wie alle anderen.«

»Ich kenne mich eben mit Autos aus.« Ich versuche mich an einem versöhnlichen Lächeln, doch Mitch gibt weder seine abweisende Haltung auf noch erwidert er das Lächeln.

»Du hast den restlichen Tag frei, Atlas«, sagt er stattdessen. »Du bist vollkommen überarbeitet und unkonzentriert.«

In meinem Magen brodelt eine alte Wut hoch und droht, mir mit einem Schrei über die Zunge zu schwappen. Die letzten Monate hat Mitch mich wie eine vollwertige Mitarbeiterin behandelt – nicht wie ich in den Jahren zuvor oft bei den Rennen behandelt wurde.

»Ich mache nur noch diesen Luftschlauch«, sage ich deutlich. »Dann werde ich gehen.«

Das will ich so oder so – nur dass Taylor mich selbst nach seinem Tod an diesem Ort hält, an dem mich alles an ihn und mich erinnert und gleichzeitig erdrückt.

Ein scharfer Schmerz zieht in mein verletztes Knie, dort, wo die OP-Narbe sitzt, als hätte Taylor mich gehört und wollte mich abermals an ihn erinnern. Doch ich ringe die Gedanken an ihn nieder. Wenn ich das Geld zusammenhabe, um Raleigh zu verlassen, dann erst gestatte ich mir, die Dinge freizulassen, von denen ich jetzt noch Angst habe, sie könnten ein Loch in meine Brust fressen.

Mitch greift in den Motorraum und zieht den losen Schlauch hervor, den ich befestigen wollte. Schon bevor er etwas sagt, weiß ich, was nicht stimmt.

»Ich muss dir den Unterschied zwischen Luft- und Unterdruckschlauch nicht erklären, deswegen lasse ich es«, sagt er.

Mit einem Schritt ist er am Rollcontainer neben dem Mustang und platziert den Schlauch darauf. Mein Chef tritt erneut auf mich zu.

»Ich würde dich hier jeden Auftrag erledigen lassen. Aber du hast dich auszuruhen, nicht nur der Arbeit wegen. Du siehst aus, als hättest du wenig geschlafen.«

Er fügt kein in den letzten Tagen oder in den letzten Wochen hinzu und ich bin mir sicher, er tut es absichtlich nicht, weil er weiß, dass es unnötig wäre, das zu betonen.

»Heute nehme ich mir frei und morgen früh komme ich ausgeruht zurück«, sage ich. »Nur diesen einen Tag. Ich brauche das Geld.«

Taylor und ich waren zu Beginn unserer Karriere dumm und naiv. Wir sind die Rennen gefahren, allerdings hat unser Vertrag Corvin viel zu viel Geld und Macht über uns zugesichert. Meine finanziellen Rücklagen reichen im Moment zum Leben, nicht aber für einen Neubeginn in einer anderen Stadt. Dabei ist das alles, was ich will. Mir ist egal, wohin es mich treibt, Hauptsache raus aus North Carolina, so viele Meilen zwischen Raleigh und mich bringen, wie ich kann.

»Vielleicht hole ich mir erst mal etwas zu essen«, sage ich versöhnlich zu Mitch.

»Hervorragende Idee. Und danach will ich dich hier den gesamten Tag nicht sehen. Ruh dich aus, Atlas.«

»Das heißt, ich soll dir nichts mitbringen?«

»Für morgen bloß eine Mitarbeiterin mit einem Lächeln auf den Lippen«, sagt er. »Sonst nichts.«

Alles könnte ich, denke ich. Aber es ist so schwer ohne Taylor und Wyatt. Selbst das Lächeln.

Mitchs Mundwinkel heben sich ein wenig, als wollte er mich animieren, dasselbe zu tun. Ich tue ihm den Gefallen, doch seiner in Falten gelegten Stirn nach zu urteilen, gelingt es mir nicht sonderlich gut.

Ich hole meine Tasche und meine Jacke aus dem Büro, streife mir dort auch den Overall ab, unter dem ich meine Kleidung trage. Mitch verabschiedet sich von mir, indem er meine Schulter drückt, als ich in der Werkstatt an ihm vorbeilaufe, während er den Luftschlauch des Mustangs wechselt.

Der Weg zum Diner führt mich lediglich eine Straße weiter, sodass ich wenige Minuten später schon vor dem rot verkleideten Gebäude stehe. Im Umkreis von Mitchs Werkstatt und meiner Wohnung ist es das einzig fußläufig zu erreichende Restaurant.

Allerdings überfällt mich beim Eintreten immer der Drang, sofort wieder umzukehren. Genau wie heute. Taylor, Wyatt und ich haben andauernd hier gegessen – in der letzten Sitznische am Fenster –, weil auch die Rennstrecke nicht weit entfernt liegt.

Zur Mittagszeit ist es besonders voll und ich bemerke die Blicke einiger Anwesenden, als ich mich an die Theke stelle. Raleigh hat fast eine halbe Million Einwohner, aber Taylor und mich kannte man als das berühmte Rallyeduo. Es ist nicht verwunderlich, dass ich hier und da beäugt werde.

Die Fensterfront und den Parkplatz davor im Auge, warte ich auf die Kellnerin, um meine Bestellung aufzugeben.

Bevor ich jedoch die Chance dazu bekomme, dröhnt das Röhren eines Motors über den Parkplatz, und wenige Sekunden später parkt das dazugehörige Auto vor dem Eingang.

Überall würde ich es erkennen – es ist ein Chevrolet Chevelle LS6, in einem schimmernden Mitternachtsblau, das weiße Streifen ziert. Zwei auf der länglichen Motorhaube, zwei auf dem Kofferraum. Aber nicht diese Auffälligkeit ist es, die mich den Wagen bestimmen lässt, sondern dass ich vor einigen Jahren mitgeholfen habe, ihn aufzuarbeiten.

Ich erinnere mich, wie Wyatt und ich an manchen warmen Sommertagen allein in der Werkstatt waren. An die ungesagten Worte und die Blicke und etliches dazwischen.

Als ich den Wagen jetzt sehe, erinnert sich auch mein Herz daran, wie sehr es diese Zeit vermisst – dieses Es-hätte-so-viel-sein-Können, das nun zu einem Nichts-ist-wie-es-War geworden ist.

Mein Blick klebt an Wyatts Chevrolet, meine Füße am Boden, obwohl ich ihnen befehle wegzurennen. Doch am Eingang würde ich Wyatt so oder so in die Arme laufen.

Viel lieber würde ich darin liegen.

Ich beobachte, wie sich die Wagentür öffnet. Aus dem Auto steigt der Mann, der mir vor sieben Monaten das Leben gerettet hat. Derselbe, den ich im Krankenhaus angebrüllt habe, er solle für immer verschwinden, weil er mich zu sehr an das erinnert hat, was mir genommen wurde.

Aber er lächelt, als er mich entdeckt, und plötzlich habe ich nicht das Gefühl, dass mir etwas genommen wurde.

Sondern dass etwas zu mir zurückgekehrt ist.

Kapitel5

Atlas

Ich erwarte, dass Wyatt sich zu mir stellt, mich sachte mit seiner Schulter anstößt, mich fragt, ob wir zusammen essen. So wie damals. Wyatt waren Sponsoren immer egal, das Geld, die ersten Plätze. Er war auch da, wenn Taylor und ich zweite Plätze geholt oder uns über dritte geärgert haben.

Taylor war sein bester Freund und mein Bruder hätte nie gewollt, dass Wyatt schlecht über ihn denkt. Aber unser ehemaliger Mechaniker hatte schon immer dafür gesorgt, dass ich weich werde. Und ich habe Angst, in seiner Nähe nun etwas über Taylor zu verraten, was Wyatt nicht wissen sollte. Er soll ihn wie alle anderen in Erinnerung behalten, nicht mit dem, was ich über Taylor herausgefunden habe.

Es war besser, Wyatt gehen zu lassen.

Deswegen bin ich beinahe erleichtert, als er in den Diner tritt, mich lediglich mit einem kurzen Nicken begrüßt und dann unseren alten Platz ansteuert, um sich in die Nische zu setzen.

Als er noch einmal in meine Richtung sieht, lenke ich meinen Blick zur Theke. Doch auch wenn ich stur meine Take-away-Bestellung bei der Kellnerin aufgebe, sehe ich, wie sich einige Leute zu Wyatt herumdrehen. Durch den Unfall kennen sie auch ihn, der sich sonst im Hintergrund gehalten hat. Die Schlagzeilen über ihn habe ich heute noch im Kopf.

Selbstloser Mechaniker rettet Atlas Summer vor Schlimmerem.

Der wahre Held des Rennens.

Und das ist er wirklich. Ich wünschte, ich hätte den Mut, ihm das zu sagen.

»Atlas Summer.«

Die Stimme, die hinter mir ertönt, hätte ich unter Tausenden erkannt, und sie jagt mir ein eiskaltes Schaudern über den gesamten Körper. Hastig drehe ich mich herum und blicke Corvin entgegen, der gerade aus dem schmalen Flur zu den Toiletten tritt. Sein Lächeln ist so unecht, wie ich es in Erinnerung habe. Wo vor einem halben Jahr noch Gegenwehr meinerseits war, bildet sich nun ein Kloß in meinem Hals, der sich nicht hinunterschlucken lässt.

Wenn mich die Schmerzen in meinem Knie um den Verstand bringen, mache ich immer Corvin für alles verantwortlich, auch wenn ich weiß, dass er nicht am Unfall beteiligt war. Aber seit er vor fünf Jahren unser Team übernommen hat, konnte ich förmlich dabei zusehen, wie Taylor von mir weggedriftet ist. Immer gieriger in Richtung Ansehen und damit auch in Richtung Corvin.

»Schön, dass ich dich hier antreffe«, sagt unser ehemaliger Teamchef, der sich neben mich stellt. Er rückt sich die goldene Rolex zurecht, als wollte er sicherstellen, dass ich sie sehe. »Hast du eine Minute, Rookie?«

»Nicht für dich«, sage ich, doch Corvin grinst bloß hämisch.

Rookie. Den Spitznamen nutzt er, seit der erste Artikel über mich erschienen ist. Ohne Taylor. Eine Fotografin hat Fotos von mir geschossen, auf denen ich nicht lächeln musste. Ich durfte das Kinn anheben, die Brust durchdrücken und stolz posieren.

»Wie viele erste Plätze haben Sie in dieser Saison schon geholt, Atlas?«, hat die Journalistin Annie gefragt, als ich noch steif und verloren vor ihr gesessen habe.

»Die meisten.«

Sie hat gelächelt. »Dann wird es Zeit, die Schultern zu straffen.«

Und da war es plötzlich ganz leicht.

Annie hat sich Zeit für mich genommen, fast zwei Stunden lang haben wir uns unterhalten, und zum ersten Mal in meiner Karriere habe ich mich als Frau im Rennsport ernst genommen gefühlt. An dem Tag, an dem der Artikel erschienen ist, musste ich die Bauchschmerzen nicht überspielen, auch nicht die Enge in meiner Brust, die mich in Corvins Nähe oft heimgesucht hat.

Die Königin des Rallyesports, lautete die Überschrift, und genauso habe ich mich gefühlt.

Und dann hat Corvin mir auch das genommen.

»Netter Artikel, Rookie«, hat er gesagt.

Anfänger. Das bedeutet Rookie im Rennsport.

Ich glaube, er hat mir angesehen, wann ich stolz auf mich oder aufgelöst war, denn immer dann hat er diesen Spitznamen wie eine Pistole gezückt und mit ihm auf mich geschossen. Ich hatte eine kugelsichere Weste, aber auch sie ist irgendwann durchlässig geworden.

»Nur eine Minute«, sagt Corvin.

»Tut mir leid, ich werde gleich in der Werkstatt gebraucht.«

Das Einzige, was mir leidtut, ist, dass ich keine Kraft habe, mich gegen dich zu wehren. Weil du sie mir genommen hast, als du mir Taylor entrissen hast.

Fünf Jahre habe ich gekämpft, mich gegen Corvin gestellt, ihn Taylor zuliebe gewähren lassen, obwohl er immer mehr gefordert hat. Aber der Unfall hat die Kämpferin endgültig ausgelöscht.

Corvins Mundwinkel heben sich, als lese er in meinen Gedanken. Er streicht über das sich spannende Hemd über seinem runden Bauch.

»Setzen wir uns kurz«, sagt er, ohne auf meine Antwort einzugehen, dass ich angeblich keine Zeit habe.

»Ich stehe gern«, gebe ich zurück. Obwohl ich lieber sitzen würde, denn meine OP-Narbe schmerzt.

»Sei nicht so. Es dauert nur einen Moment, Rookie.«

Ich presse die Zähne aufeinander. »Auch nicht einen Moment.«

Wenigstens versuche ich, meine Stimme gefasst zu halten. Doch die Art, mit der Corvin mich mit seinen blauen Augen fixiert, kommt einer Hand gleich, die mein Herz quetscht. Corvin war es immer ein Dorn im Auge, wie ich mir von ihm nichts habe sagen lassen. Jetzt hat er, was er wollte – mich zu Boden gedrückt.

Ich bin nur die verunglückte Rennfahrerin, und das weiß er. Ich habe nichts, was ich ihm entgegenstellen kann. Nicht ein Funke Erfolg ist mir geblieben. Meine Karriere gleicht einem Ballon, aus dem die Luft gelassen wurde.

»Ich habe gehört, du arbeitest bei Mitch, um etwas Geld zu machen«, sagt Corvin.

»Hast du dich extra zu mir gestellt, um das zu erfahren?«

»Nicht ganz. Bist du interessiert daran, mehr zu verdienen?«

Über seine Schulter hinweg wandert mein Blick zu Wyatt, der sich erhebt und auf uns zukommt, doch anstatt sich zu uns zu stellen, nimmt er genau hinter uns an den Tischen Platz. Als wollte er in der Nähe sein, sollte die Situation zwischen Corvin und mir eskalieren.

Mit der linken Hand zieht mein ehemaliger Teamchef ein Stück Papier aus seiner Jackentasche und schiebt es mir über die Theke zu. Erst da erkenne ich, dass es sich um einen Flyer handelt. Es ist jedoch nicht der neongrüne Rennsubaru, der mir ins Auge sticht, sondern die Überschrift: Motorking Rallye.

Darunter sind Preissummen für die einzelnen Etappen und den Gesamtsieg ausgeschrieben – und das Geld könnte mir auf einen Schlag alle Sorgen bezüglich eines Neubeginns nehmen.

Ich sehe vom Flyer auf, Corvin ins Gesicht, der mich stumm betrachtet. Seine Mundwinkel umspielt ein Lächeln, das nichts Gutes verheißt.

»Was ist das?«, frage ich.

Er nickt in Richtung des Flyers. »Das ist dein Ausweg. Mein Navigator ist ausgefallen, ich kann dafür sorgen, dass du seinen Platz einnimmst.«

»Ich brauche keinen Ausweg«, fahre ich ihn an. »Ich stecke nicht fest.«

Das ist eine Lüge, und Corvin muss es wissen.

»Man erzählt sich, du wolltest die Stadt verlassen. Ein bisschen Geld schadet bei dem Vorhaben nicht, oder?«

»Was kümmert es dich, wie viel Geld ich habe?«

Froh darüber, den Teil in mir wiedergefunden zu haben, der Corvin wenigstens etwas die Stirn bietet, schiebe ich ihm den Flyer hin. Doch er schiebt ihn sofort zurück, sodass das Papier meine Fingerspitzen streift. Ich habe das Gefühl, es schickt ein Donnergrollen durch mich hindurch.

Die Summe an oberster Stelle scheint mit einem Mal zu leuchten – achtzigtausend Dollar. Jede Etappe bringt dem Gewinnerteam zehntausend, dem Gesamtsieger der Rallye weitere zwanzigtausend. Mit jeder gewonnenen Etappe wäre es mir möglich, ein Stück finanzieller Freiheit zu erkämpfen, mit der ich Raleigh frühzeitig verlassen könnte.

Reflexartig wandert mein Blick zu Wyatt, doch er hat sein Handy vor sich gelegt und tippt etwas auf das Display. Seine Brauen sind zusammengezogen.

Ist es wirklich ein Neubeginn, wenn ich Wyatt zurücklasse?

»Was springt für dich dabei raus?«, frage ich Corvin.

»Ich habe nicht …«

»Verschwende meine Zeit nicht mit einer Lüge«, unterbreche ich ihn.

»Ich bin davon ausgegangen, dass dich diese Rallye des Geldes wegen interessiert. Immerhin hast du«, er beugt sich zu mir vor, sodass unsere Gesichter nur einige Zentimeter trennen, »etwas wegen Taylor zu verheimlichen und willst die Stadt auch deswegen verlassen, oder nicht, Rookie?«

Ich wünschte, es wäre anders, doch in diesem Moment kann ich nichts tun, außer meinen Bruder dafür zu hassen, was er getan und mir hinterlassen hat. Die Wut über ihn halte ich im Alltag im Zaum, hier und jetzt spüre ich sie jedoch deutlich in mir brodeln. Ich presse einen Deckel auf einen Topf mit kochendem Wasser – lasse ich ihn los, wird es mich verbrennen.

Corvin schiebt den Flyer noch weiter zu mir, sodass ich die Fingerkuppen hebe, damit das Papier sich unter meine Hand schiebt. Am liebsten hätte ich sie zur Faust geballt und das Papier zerknittert, aber mir fehlt selbst dafür die Kraft.

»Es ist ein einfacher Deal, den ich dir anbieten will«, sagt Corvin, lehnt sich zurück. »Du musst nur gewinnen und wirst nie wieder von mir hören. Auch nichts in Bezug auf deinen Bruder.«

Er weiß, das geht nicht. Nicht mit meinem Knie. Ich kann keine Rennen mehr fahren, nicht mal den Part als Navigatorin traue ich mir noch zu. Corvin genießt es bloß, seine Macht zu demonstrieren. Mich zu erniedrigen.

»Weißt du, was ich mir geschworen habe, am Tag, als ich beschlossen habe, ohne Taylor Rennen zu fahren?«, frage ich, warte jedoch nicht auf Corvins mögliche Erwiderung, sondern füge gleich hinzu: »Mich nie wieder von Männern wie dir abhängig zu machen.«

»Diese angebliche Abhängigkeit hat dir mehr Aufmerksamkeit beschert, als gut für dich war«, sagt er gehässig.

»Du hast mir Jahre genommen.«

Mit Taylor, weil wir uns seinetwegen entfremdet haben.

Mit meinen Eltern, weil ich Corvins Rennpferd war und er mir keine Pause gegönnt hat.

Mit Wyatt, weil wir zwar beieinander waren, aber durch die Rennen nie zueinandergefunden haben. Wenn wir uns in den Armen lagen, war es nach gewonnenen Rennen.

Nur ein einziges Mal war es anders.

»Behalt deinen Flyer und lass dich meinetwegen selbst als Co-Pilot lizenzieren«, sage ich und unterbreche damit meine eigenen Gedanken. »Ich spiele nicht mehr deine Marionette. Lieber arbeite ich rund um die Uhr in der Werkstatt und verdiene dort ehrliches Geld, als es zu gewinnen, wenn ich mein Gewissen deinetwegen schon wieder aufgeben muss.«

Kurz glaube ich, Corvin hätte verstanden, dass es keinen Sinn hat, mich weiter zu erpressen. Selbst wenn ich das Geld erst in zwei Jahren zusammengekratzt habe – ich muss mich dabei nicht aufgeben.