Mein Leben auf der Seife - Gabriele-Saskia Drungowski - E-Book

Mein Leben auf der Seife E-Book

Gabriele-Saskia Drungowski

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Beschreibung

Als die junge Journalistin Andrea von der berühmten Schriftstellerin Tabea McLean zu einem Interview auf deren Berghütte eingeladen wird, ahnt sie noch nicht, dass diese Begegnung ihr Leben verändern wird. Tabea besitzt die Gabe, Lebensweisheit und universelle Gesetze leicht verständlich und auf humorvolle Art zu vermitteln - durch das Erzählen ihrer eigenen Lebensgeschichte. Den Weg zum unfassbaren Glück findet Tabea durch das Begreifen, dass es keinen Zufall im Leben gibt und dass man einen Sinn nur dann ausmachen kann, wenn man sich zuerst selbst erkennt. Auf diese Weise lässt Tabea die junge Frau an ihrem reichen spirituellen Erfahrungsschatz teilhaben und sät somit den Samen, der den Einzug von Selbstverantwortung und Bewusstheit auch in Originalausgabe Andreas Leben ermöglicht.

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Gabriele-Saskia Drungowski

Mein Leben auf der Seife

Die tiefe Suche nach dem ureigenen Weg

 

AUTORIN

Gabriele-Saskia Drungowski, Jahrgang 1959, machte eine klassische Tanzausbildung und arbeitete mehrere Jahre als Regieassistentin für Film/Fernsehen und Theater. Ihre Erfahrungen kann sie erfolgreich in ihre Arbeit als Tanz- und Ausdruckstherapeutin einbringen, und mit Herausgabe dieses Buches bietet sie auch ihr neues Seminarprogramm zur Bewusstseinsarbeit an: »Das Lebensmosaik«.

Näheres über Gabriele-Saskia Drungowski und ihre Arbeit erfahren Sie unter www.lebensmosaik.de.

BUCH

Als die Journalistin Andrea von der berühmten Schriftstellerin Tabea McLean zu einem Interview auf deren Berghütte eingeladen wird, ahnt sie noch nicht, dass diese Begegnung ihr Leben verändern wird. Tabea McLean lässt die junge Besucherin an ihrem spirituellen Erfahrungsschatz teilhaben und legt somit die Grundlage dafür, dass Bewusstheit, Dankbarkeit und Liebe auch in Andreas Leben Einzug halten können.

 

 

 

 

 

 

Dieses Buch enthält Verweise zu Webseiten, auf deren Inhalte der Verlag keinen Einfluss hat. Für diese Inhalte wird seitens des Verlags keine Gewähr übernommen. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber der Seiten verantwortlich.

ISBN 978-3-8434-6089-7

© 2009 Schirner Verlag, Darmstadt 1. E-Book-Auflage 2014

Umschlaggestaltung: Murat Karaçay, Schirner Redaktion: Manuel Radke, Schirner E-Book-Erstellung: HSB T&M, Altenmünster

Alle Rechte vorbehalten

www.schirner.com

Inhalt

Was davor geschah

Erster Tag

Zweiter Tag

Dritter Tag

Vierter Tag

Fünfter Tag

Sechster Tag

Siebter Tag

Achter und letzter Tag

Was danach geschah

Widmung

Für Mathilda, meine Schwester im Herzen. Hab Dank für die unglaubliche Unterstützung!

Danksagung

Damit ich dieses Buch schreiben konnte, habe ich von wunderbaren Menschen auf vielfältigste Weise großartige Unterstützung erhalten. Denen möchte ich nun meinen tiefen Dank aussprechen.

Da ist zuallererst meine liebe Freundin Mathilda Rieger, meine Zeugin und beste Zuhörerin. Sie hat mich immer und immer wieder darin unterstützt, meinen Dramen zu entkommen und die Weisheit daraus zu ziehen. Wir beide wissen, dass wir schon lange Zeit miteinander verbunden sind. Danke, meine Liebe Freundin.

Dann möchte ich der unerschütterlichen Susanne Schachinger danken, die mir ihre kostbare Zeit geschenkt hat, um mit mir Satz für Satz dieses Buches durchzuarbeiten. Die mir geholfen hat, die unverständlichen Stellen verständlich zu machen und die nie aufgegeben hat, mein manchmal überschäumendes Temperament in warme, wohlige Schwingungen zu verwandeln. Danke, du Schatz.

Auch gibt es da noch Evelyn Scheid, die scheinbar immer an meiner Seite stand, wenn niemand sonst da war. Die mich begleitet, unterstützt und gefördert hat und die mich lehrte, dass Weisheit aus der Natürlichkeit und Einfachheit entspringt. Und ihr Mann Anton tat dasselbe für mich, aus dem Hintergrund heraus. Danke, ihr Lieben.

Der Name Angelika Klust gehört ebenfalls mit hinein in die Liste der guten Seelen, die mir auf so wunderbare Weise geholfen haben. Ich danke dir für dein Vertrauen!

Und natürlich gibt es da auch noch Jens, meinen »Märchenprinzen«, der nicht nur einmal sofort da war, wenn Hilfe am dringendsten gebraucht wurde, und dies ohne lange zu überlegen. Vielen, vielen Dank!

Ein besonderer Dank gilt dem segensreichen Schirner Verlag und all den lieben Mitarbeitern, die mir die Möglichkeit geben, diese Geschichte in die Welt hinauszutragen.

Zum Schluss danke ich noch meinem Bruder Michael, dass er so ist, wie er ist.

Seid alle gesegnet!

Was davor geschah …

»Hoffentlich merkt sie nichts!«, dachte ich bei mir und schaute nervös in meinen Rückspiegel. Was ich sah, ließ mich erschaudern: dicke Augen, denen man die durchgeheulte Nacht deutlich ansah, und Pickel, die immer dann auftauchten, wenn man sie am wenigsten brauchen konnte. Dabei wollte ich doch für meinen ersten großen Auftrag besonders hübsch sein. Pustekuchen!

Dabei hatte doch alles so toll angefangen vor etwa einer Woche: Lutz Marquardt, unser Chefredakteur, sprach bei einer Redaktionssitzung ganz nebenbei von Tabea McLean. »Sie hat schon wieder ein neues Buch herausgebracht, aber leider gibt diese Dame keinerlei Interviews, weil sie ja nur ein Vermittler ist und es ihr nicht auf ihre Person ankommt, sondern auf die Information ...« Sein zynischer Unterton war nicht zu überhören. »Diese esoterischen Ökotanten sind doch alle gleich, entweder kannst du dich vor ihnen nicht retten oder sie machen sich durch, äh, Liebesentzug wichtig.«

»Aber Tabea McLean ist keine esoterische Ökotante, sie ist eine sehr weise Lehrerin, deren einzige Lehre darin besteht, dich auf den Weg zur Bewusstheit und Selbstverantwortung zu bringen«, platzte es aus mir heraus. »Sie haben wohl keines ihrer Bücher gelesen! Sonst würden Sie nicht so abfällig über sie reden!« Eine Sekunde später folgte mein Verstand und ich merkte, dass ich gerade den Chefredakteur zurechtgewiesen hatte, den Boss, den Gott der Redaktion. Ich, Andrea Röger, die nach unendlich langer Suche endlich diese heiß begehrte Stelle in dieser angesehen Redaktion bekommen hatte und die sich noch mitten in der Probezeit befand. Scheiße. Jetzt würde er mir den Kopf abreißen! Die anderen waren erstaunt verstummt und schauten mich teils mitleidig, teils höhnisch an. »So, unser Redaktions-Küken ist wohl ein Fan von Frau McLean.« Er machte eine lange Pause, in der er den Blick nicht von mir ließ. Dann fuhr er süffisant lächelnd fort: »Dann haben Sie ja wohl auch einen Vorschlag, wie man doch noch an einen Termin kommen könnte?« Seine Stimme kam mir bedrohlich vor. Gerade versuchte ich eine Entschuldigung zu formulieren, als er langsam weitersprach: »Tja dann, Fräulein Röger, bekommen Sie hiermit Ihren ersten Großauftrag. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie bis nächste Woche Kontakt mit dieser Weisheitslehrerin aufgenommen haben, und innerhalb der nächsten vier Wochen möchte ich dann ein Ergebnis auf dem Tisch haben. Ich gratuliere Ihnen, nicht jeder bekommt so eine Chance schon mit 25 Jahren. Enttäuschen Sie mich nicht!« Er wandte sich wieder an die Runde: »Was ist als Nächstes dran?«

Ich war wie vom Donner gerührt. Das war kein Auftrag, das war meine verzögerte Entlassung. Was hatte ich da schon wieder angestellt? Nie konnte ich meine blöde Klappe halten! Frank sagte auch immer, ich solle erst das Hirn einschalten und dann reden. Mein Nachbar zur Linken, der gute Max, beugte sich zu mir und flüsterte mir ins Ohr: »Musst keine Angst haben, ich kenn den Alten schon seit meiner frühesten Jugend, der ist gar nicht so bissig, wie man immer behauptet. Das kriegst du schon wieder hin mit deinem Charme.« Er drückte liebevoll meine Hand und zwinkerte mir aufmunternd zu.

Nach der Sitzung war ich wie in Trance und mir wurde übel. Ich ging auf die Toilette. In der Hoffnung auf Besserung wusch ich mir das Gesicht mit kaltem Wasser. Als mein Blick in den Spiegel fiel, erschrak ich: Ich sah elend aus! Da stand ich nun und hatte mich soeben in eine total unbequeme Situation gebracht. Aus dem Spiegel starrten mich meine grau-grünen Augen an, noch größer, als sie es ohnehin schon waren. Meine strubbelige Kurzhaarfrisur war ein wüstes Durcheinander. Die dunkelbraunen Haare standen scheinbar in alle Richtungen. Ich sah in das Gesicht einer konfus aussehenden Frau mit unruhigem Blick. Trotz allem musste ich nun doch schmunzeln: Wäre ich Regisseur, würde ich mich als geistig Verwirrte so in Richtung »Rosemarys Baby« besetzen. Oh Gott, wie sollte ich das nur machen mit dem Interview? Nur nicht aufgeben, sagte ich mir. Ich musste es einfach probieren.

Und so setzte ich alles daran, den »Auftrag« zu erfüllen. Zuerst rief ich bei dem Verlag an, der Tabea McLeans Bücher veröffentlichte. Man verwies mich freundlich, aber bestimmt an die im Buch angegebene, offizielle Adresse. Klar, und nach drei Tagen hätte ich eine Antwort im Briefkasten, in der sie mich höflichst zu einem Interview einlädt, natürlich exklusiv! Also, das konnte ja nicht sein! Also suchte ich nach ihrem Agenten. In der Redaktion waren alle sehr bemüht, mir zu helfen – anscheinend waren sie ebenso überzeugt davon wie ich, dass dies mein letzter Auftrag war. Trotz vieler Kontakte und endloser Telefonate gelang es mir nicht, jemanden ausfindig zu machen, der Frau McLeans Agent hätte sein können. Aus Verzweiflung rief ich die Auskunft an und verlangte Tabea McLeans Nummer. Ganz dreist gab ich die im Buch veröffentlichte Adresse an und bekam tatsächlich eine Nummer. Ich war so baff, dass ich fast vergessen hätte mitzuschreiben. Super, dachte ich argwöhnisch, das ist ihr Büro und sie wird bestimmt bewacht von einem Zerberus, der mich nie und nimmer an sie heranlässt. Aber was blieb mir anderes übrig, dies war meine letzte Chance. Mit lautem Herzklopfen und etwas zittrigen Fingern wählte ich die Nummer. Es klingelte vier Mal, und mein Puls spielte verrückt, als sich plötzlich eine fröhliche, jugendliche Stimme mit »Hallo« meldete.

»Äh, hallo, äh … mein Name ist Andrea Röger, ich bin vom Life-Time-Magazin und auf der Suche nach Frau McLean.«

»Am Apparat, aber bevor Sie weiterreden: Ich gebe keine Interviews!« Da war kein bisschen Schärfe in der Stimme, eher kindlicher Übermut.

»Wie?«, stammelte ich. »Frau McLean selbst? Ich meine, persönlich?«

»Ja. Sie haben doch bei mir angerufen. Unser Büro ist nur vormittags besetzt!« Mein Erstaunen war so groß, dass mir, nach all dem Stress, zuerst ein Lachen herausrutschte und dann: »Wenn Sie wüssten, wen ich alles angerufen habe, um an Ihre Adresse zu kommen! Wie viele Kontakte ich von Kollegen recherchiert habe, nur um mit Ihnen zu sprechen! Und dann war die einfachste Lösung die richtige. Entschuldigen Sie bitte, dass ich jetzt lachen muss, aber manchmal ist alles so einfach, man kommt nur nicht darauf. Übrigens, ich bin ein großer Fan Ihrer Bücher!« Ich war kaum zu bremsen. Es war schier unglaublich, ich hatte Tabea McLean am Apparat! »Das freut mich sehr!«, kam es lachend vom anderen Ende zurück. »Meist ist der erste Einfall der richtige. Gibt es vielleicht irgendetwas, was ich für Sie tun kann, außer einem Interview?« Aus der Traum, Kündigung. Schlagartig war ich mir meiner prekären Lage wieder bewusst. »Ach, bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie belästige. Ich war nämlich neulich total vorlaut in einer Sitzung, das heißt, eigentlich habe ich Sie in Schutz genommen. Und das Ende vom Lied war, dass ich ein Interview mit Ihnen machen soll, übrigens mein erster großer Auftrag … Aber mein Chef hat schon im Voraus gewusst, dass Sie keine Interviews geben, und das ist auch der einzige Grund, warum ich diesen Auftrag überhaupt bekommen habe.« Plötzlich wurde mir klar, dass ich anfing zu plaudern, oder vielmehr, zu plätschern.

»Das ist ja wirklich eine dumme Situation für Sie – kreieren Sie sich so etwas öfter?« In ihrer Stimme lag etwas, das mir das Gefühl gab, dass sie mich ernst nahm.

»Oh, Frau McLean, ich habe zwar Ihre Bücher verschlungen, aber gerade das Thema mit dem Selbstkreieren, also das mit der Selbstverantwortung, damit komme ich noch nicht ganz klar. Wenn ich es richtig verstehe, meinen Sie, dass jeder für das, was ihm so passiert, selbst verantwortlich ist. Also, wenn ich überfallen werde, bin ich selbst daran schuld?«

»Trösten Sie sich, mit diesem Thema haben die meisten Menschen zuerst große Schwierigkeiten … aber das würde jetzt zu weit führen. Es sind im Laufe der Zeit schon viele Missverständnisse über meine Bücher aufgetaucht, und ich kann sie nicht alle klären.«

»Aber doch, das können Sie! Sie geben mir ein Interview und klären auf diese Art und Weise alles auf!« Fast schrie ich ins Telefon. Wieder hörte ich am anderen Ende ein belustigtes Lachen.

»Sie haben ganz schön Temperament, meine Liebe! Das erinnert mich an meine Jugend.« Ich hörte, wie sie einen tiefen Atemzug machte. »Und jetzt sag ich Ihnen was: Wir werden Ihrem Chef eins auswischen. Ich lade Sie ein und gebe Ihnen das Interview. Vielleicht ist es wirklich an der Zeit, diesen Spekulationen um meine Person ein Ende zu bereiten. Na, was sagen Sie jetzt? … Hallo, sind Sie noch da?«

»Ja … ja natürlich. Haben Sie gerade gesagt, Sie geben mir das Interview? Meinen Sie das ernst? Ich meine, ich bin doch nur eine kleine Anfängerin …« Fast redete ich mich um Kopf und Kragen.

»Jetzt versuchen Sie nicht, mich noch davon abzubringen! Gerade habe ich mich dazu entschlossen: Wenn ich irgendjemandem ein Interview gebe, dann Ihnen. Sagen Sie das Ihrem Chef.« Aus ihrer Stimme klang diebische Freude. »Passen Sie auf«, fuhr sie fort, »ich muss noch mal darüber schlafen. Morgen weiß ich dann, wie ich es am günstigsten machen kann mit meiner Zeiteinteilung. Am besten geben Sie mir Ihre Telefonnummer und ich rufe Sie morgen Abend zurück. Wo kann man Sie zwischen 19 und 20 Uhr am ehesten erreichen?«

Ich gab ihr meine Redaktionsdurchwahl und meine private Nummer. »Meistens bin ich noch in der Redaktion um diese Zeit. Und falls zu Hause nur der Anrufbeantworter dran ist, da meldet sich Frank Schmelzer, aber ich wohn da auch.«

»Okay. Also dann, Fräulein Röger – war das richtig?«

»Ja, Andrea Röger.«

»Ich melde mich also morgen bei Ihnen.« Und dann setzte sie eindringlich hinzu: »Was ich sage, meine ich! Ich freu mich schon darauf, Sie kennenzulernen. Also bis morgen! Tschüß!«

»Tschüß und tausend Dank –« Ich wollte noch eine riesige Dankeshymne von mir geben, aber sie hatte schon aufgelegt.

Zuerst saß ich nur da. Aber langsam kam der Körper aus der Verspannung und ich lief los, den Gang entlang zu Max’ Büro. Mit einem riesigen Schwung machte ich die Tür auf und rief dem erschrockenen Max triumphierend entgegen: »Ich hab’s! Ich hab’s gekriegt. Tataaa!«

Max brummte nur: »Was hast du gekriegt?«

»Na, das Interview mit Tabea McLean, ich hab’s wirklich gekriegt!«

Er schaute mich ungläubig an und wetterte dann los: »Wie kommt denn ein Küken wie du dazu, uns alte Hasen so zu blamieren?« Zuerst war ich leicht geschockt über seine Lautstärke, aber als ich in sein Gesicht schaute und das fast stolze Strahlen darin sah, war ich beruhigt. »Gratuliere!«, sagte er. »Du musst mir nachher genau erzählen, wie das zustandegekommen ist. Jetzt müssen wir leider weiterarbeiten!« Sprach’s und deutete auf die drei Herren, die an dem mit Ordnern und Papieren vollgepackten Besprechungstisch saßen. »Oh, Verzeihung! Ich habe sie gar nicht bemerkt. Ich gehe schon … Also bis nachher, dann erzähl ich dir alles ganz genau!«

Und nun in die Höhle des Löwen. Ich ging zum Fahrstuhl und fuhr in die Direktionsetage, wo ich schnurstracks zu Lutz Marquardts Büro stolzierte. »Halt, halt, mein Kind, nicht so eilig, hier kann man nicht so einfach hereinspringen!« Frau Phillip, der unerbittliche Wachhund vom Chef, pfiff mich zurück. »Sagen Sie mir, was Sie auf dem Herzen haben, und ich richte es aus!« Ihr Tonfall ließ keinen Zweifel darüber, dass sie es ernst meinte. »Entschuldigung, aber ich muss dem Chef dringend etwas persönlich mitteilen!«, stammelte ich etwas kleinlaut, worauf sie wiederum sagte: »Persönlicher, als es mir zu sagen, geht beim Chef gar nicht. Ich höre also …?«

»Ja, also der Herr Marquardt hatte mich beauftragt, einen Interviewtermin mit Frau McLean zu arrangieren. Das habe ich getan. Ich hab den Termin also. Oder vielmehr kriege ich ihn morgen gesagt.«

»Na dann, Schätzchen, kommen Sie wieder, wenn der Termin steht. Ein Termin ist erst dann einer, wenn Sie Datum und Uhrzeit wissen. Etwas anderes will Herr Marquardt auch nicht hören.« Sie drehte sich wieder zu ihrem Computer und ich war für sie nicht mehr vorhanden. Ihr Ton machte mich nervös. Die konnte einem aber auch die ganze Freude nehmen. Blöde Kuh. Ich schloss leise die Tür hinter mir und beschloss, mir diesen Triumph durch nichts vermiesen zu lassen. Morgen würde er auch noch staunen, der Herr Marquardt.

Ich fuhr nach Hause. Frank würde bestimmt stolz auf mich sein. Und ich war stolz auf Frank. Er war 44 Jahre alt, groß, stattlich und sehr intelligent, supererfolgreich und auch superkompliziert, aber ich konnte damit gut umgehen – vielleicht gerade weil ich so viel jünger war. Er arbeitete als freier Journalist und Kriegsberichterstatter für fast alle angesehenen Zeitungen im deutschsprachigen Raum. Ich hatte oft große Sorge um ihn, wenn er mal wieder mittendrin war. Aber er sagte immer, er könne deswegen nicht zu Hause bleiben und mein Händchen halten, womit er ja auch vollkommen recht hatte. In meiner Redaktion wussten nur wenige, dass ich mit Frank zusammenlebte. Es war besser so für meine Karriere! Karriere, was für ein großes Wort für das wenige, was ich bis jetzt erreicht hatte. Abitur, Journalistenschule, ein Jahr Praktikum in Amerika und jetzt der erste Job beim Life-Time-Magazin. Ich fand, das sah schon gar nicht so schlecht aus, obwohl Frank meinte, ich solle auf dem Teppich bleiben. Ich konnte viel von ihm lernen, denn er hatte schon eine ganze Menge erlebt.

Ich parkte das Auto und stürmte über die Terrasse ins Haus. Frank war im Arbeitszimmer, und sein Blick hing konzentriert am Laptop. Er fuhr sich gerade mit der Hand durch sein schon etwas schütteres blondes Haar. »Überraschung«, platzte ich heraus, »der Suchstress hat ein Ende! Ich habe den Termin mit Tabea McLean bekommen! Jetzt kann ich meine Karriere starten! Ich werde bestimmt reich und berühmt …« Dabei ließ ich mich mit nach oben gestreckten Armen in den alten Lederohrensessel plumpsen.

»Klar, reich und berühmt – so fängt jede Karriere an! Gratuliere, Mäuschen, hast ja doch schon was gelernt von mir!« Er stand auf, zog mich aus dem Sessel, nahm mich fest in seine Arme und gab mir einen Kuss auf die Nase. »Aber, meine Süße, zuerst bleiben wir einmal realistisch. Noch steht der Termin ja nicht.« Ich machte mich von ihm los und fragte erstaunt: »Woher weißt du denn das?« Er drehte sich wieder zum Schreibtisch, nahm sich eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie beim Hinsetzen an. »Ich hatte heute einen Telefontermin mit Lutz Marquardt, er möchte nämlich eine große Reportage über die Soldaten, die jetzt noch im Irak sind. Und zwar mit Eindrücken der Engländer, Amis, Italiener, Polen, aber auch der irakischen Soldaten. Dabei hab ich ein bisschen mit der Phillip geplaudert und die hat mir erzählt, dass du heute das Chefbüro stürmen wolltest.«

Ich nahm mir auch eine Zigarette. »Ich wusste gar nicht, dass Frau Phillip überhaupt weiß, wer ich bin, geschweige denn, dass wir zwei zusammen sind. Du willst das doch sonst nicht, dass man erfährt, dass wir zusammenleben.« Tief inhalierte ich den ersten Zug.

»Ich weiß auch nicht genau, woher sie das weiß … vielleicht von Lutz … von Marquart, dem hab ich das mal erzählt, glaub ich. Ist ja auch egal.« Er drehte sich wieder zu seinem Computer. »Sag mal, warum bist du dir eigentlich so sicher, dass die Person am Telefon überhaupt die McLean war? Hätte ja auch einer sein können, der sich einen üblen Scherz mit dir erlaubt hat.«

Ich erschrak: »Wie, glaubst du, so etwas ist möglich? Ist dir das denn schon mal passiert?«

»Ach, mir doch nicht!«, gab Frank verächtlich zurück. »Mäuschen, ich bin nicht so naiv wie du. Aber vergiss nicht: Man hat schon Pferde kotzen sehen …«

»Ich glaub schon, dass sie es war, sie hat so gesprochen, wie ihre Bücher klingen. Das wäre ja wohl ein besonders schlechter Scherz. Blödsinn, morgen Abend werde ich es wissen. Dann ruft sie mich an, um den Termin zu nennen. Du wirst es schon sehen. Ich glaube ganz fest daran, dass sie das am Telefon war.

»Sicher, meine Kleine, du und dein unerschütterlicher Glaube! Jetzt hat es ja doch noch was Gutes, dass du ihre Bücher gelesen hast. So kommt eins zum anderen.« Er klopfte mir beschwichtigend auf den Po. »Hättest du Lust, uns noch etwas Leckeres zu kochen? Ich muss noch den Bericht fertigmachen. Bis deine Karriere so richtig gestartet ist und du uns endlich ernähren kannst, muss ich ja wohl noch die Wurst aufs Brot verdienen. Aber warte mal ab, bald lass ich mich von dir ernähren …« Er drehte sich lachend zu seinem Schreibtisch und war im Nu wieder total konzentriert bei seinem Bericht.

Ich ging in die Küche und beseitigte langsam das Chaos des Tages. Was soll ich denn jetzt noch kochen? Ich war überhaupt nicht darauf vorbereitet und hatte auch nichts eingekauft. Na ja, dann eben das Übliche: Spaghetti mit Thunfischsoße. Das hatte ich immer da, quasi als Notration. Schon bevor ich zu Frank in dieses wunderbare Haus gezogen war, hatte ich immer die Zutaten dafür griffbereit gehabt, damals in meiner gemütlichen Studentenbude. Das war jetzt auch schon fast drei Jahre her. Mensch, ich bin schon drei ganze Jahre mit ihm zusammen. Unglaublich, wenn mir das mal jemand erzählt hätte, dass ich häuslich werde, wo ich doch früher eine richtige Betriebsnudel war. Immer auf der Piste. Wo ich war, war etwas los. Oder war es umgekehrt gewesen? Ich musste schmunzeln. Jetzt war ich anders, irgendwie reifer. Die Freunde von damals gab es nicht mehr in meinem Leben. Komisch, wie sich alles verändert. Ich dachte wieder an Tabea McLean. Dieses Interview war meine große Chance. Vielleicht würde ich dann irgendwann auch mal einen Auslandsauftrag bekommen. Ich sah mich schon im schicken Businesskostüm von einem Termin zum nächsten fliegen. Heiß begehrt und umschwärmt … Oh, die Spaghetti. Frank hasste es, wenn sie nicht al dente waren. Ich goss die Nudeln ab und würzte die Soße noch mal nach. Mmmhh. Ich fand sie lecker. Dann deckte ich den Tisch und rief Frank , der auch gleich kam, von weitem schon laut »Hunger« rufend. Er setzte sich an den Tisch und legte mir einen Briefumschlag auf den Teller. »Ich hab eine Überraschung für dich, zur Feier des Tages. Mein großer Auftrag im Irak und dein ›Fastauftrag‹ mit dieser Esotussi. Ich dachte, das sollten wir begießen. Außerdem bin ich dann wieder für zwei Monate weg …« »Was, so lange diesmal?!«, rief ich entsetzt und stellte den Topf auf den Tisch. Beim Hinsetzen öffnete ich neugierig den Umschlag. Es waren zwei Karten für die bekannte »Blue Man Group« in Berlin. Für das kommende Wochenende. »Wahnsinn, das wollte ich doch die ganze Zeit schon sehen!«, rief ich.

Frank erklärte lächelnd: »Mit einem verlängerten Wochenende in einem schnuckeligen Hotel mit allen Drum und Dran. Man gönnt sich ja sonst nichts. Na, freust du dich?«

»Was für eine Frage, das haben wir ja noch nie gemacht! Ich danke dir!« Stürmisch fiel ich ihm um den Hals. »Danke, danke! Da kann ich ja vorher etwas Fetziges zum Anziehen kaufen!«, fing ich an zu träumen.

»Klar doch«, sagte Frank lachend, »kaum kommen ein paar Kröten mehr aufs Konto, gibst du sie wieder aus. Du hast doch so viele Klamotten. Denk lieber an deine Schulden, die musst du erst mal abzahlen. Sei so gut und bring doch den Wein noch rüber, ja?«

»Das ist doch nur BAföG. Das sind keine richtigen Schulden, die muss fast jeder Student mal zurückzahlen.« Ich stand auf und holte den Wein. Egal, was er dachte, ich würde mir etwas richtig Stylisches kaufen. Ich konnte doch nicht mit den alten Fummeln nach Berlin fliegen. Und ich wollte doch unbedingt hübsch sein für Frank. Außerdem, was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß.

Der ganze nächste Tag war eine richtige Tortur. Ständig überlegte ich, ob es ein Mensch wirklich fertigbringen könnte, einen anderen so dermaßen reinzulegen, wie Frank es mir ausgemalt hatte. Aber doch nicht in Tabea McLeans Dunstkreis. Sie schien mir ehrlich zu sein – zumindest entnahm ich das ihren Büchern. Aber wenn sich nun doch einer einen Scherz erlaubt hatte, weil ich wieder einmal so stürmisch gewesen war? Ich würde es sehen.

Ab dem späten Nachmittag rannte ich jedes Mal zum Telefon, wenn es klingelte, aber niemals war sie dran. Als es 19 Uhr wurde, fing ich langsam an, Franks Verulkungstheorie zu glauben. Warum rief sie denn nicht an? Sie hatte doch extra gesagt, dass sie meine, was sie sage.

Zwischenzeitlich erledigte ich den ganzen Kram, der sich auf meinem Schreibtisch angesammelt hatte. Normalerweise hasste ich diese Ablagearbeit wie die Pest, aber heute war ich regelrecht dankbar, dass es so viel war. Es wurde acht Uhr und kein Anruf kam. Ich war kurz vorm Heulen. Um neun machte ich Schluss und verließ die Redaktion, ich war die Letzte. Auf der Heimfahrt konnte ich nur mit Mühe die Tränen zurückhalten. Mist, wenn Frank schon wieder einmal Recht behalten sollte. Und erst die Blamage vorm Chef … Wie sollte es denn dann weitergehen? Ich mochte gar nicht daran denken. Die Zukunft sah dann auf keinen Fall mehr rosig aus. Ich schloss die Tür auf, zum Glück war Frank noch nicht zu Hause. Ich ging zuerst zum Anrufbeantworter. Vier Anrufe. Ich schaltete ihn ein:

Tüüüt – Hallo Frank, Manfred hier. Ruf mich bitte auf dem Handy an, sobald du zurück bist. Habe gute Nachrichten für dich! Ciao!

Tüüüt – Guten Tag, Herr Schmelzer, Uta Eigener wegen der Krankenversicherungsnummer. Es wird wohl etwas komplizierter diesmal. Bitte rufen sie mich morgen ab neun Uhr im Büro an. Danke! Auf Wiederhören.

Tüüüt – Hi Frankyboy, Silke hier. Wie wär’s mal wieder mit einer Tennispartie? Ich würd mich unendlich freuen, wenn du mir die Ehre geben würdest … Ciao ciao …

Blöde aufdringliche Kuh, dachte ich. Ich verstand überhaupt nicht, was Frank an so einer fand. Wenn ich mich so affektiert verhalten würde, würde er mich rausschmeißen.

Tüüüt – Dies ist eine Nachricht für Andrea Röger, McLean am Apparat.

Mein Atem stockte.

Ich hab Sie in der Redaktion nicht mehr erwischt. Wollte mit Ihnen den Termin absprechen. Ich bin heute bis … sagen wir mal bis 23 Uhr unter der bekannten Nummer zu erreichen. Ansonsten nur noch morgen Vormittag. Ist doch etwas enger, als ich geglaubt habe. Na ja, das klären wir am besten persönlich. Also, bis bald! – Tüüüt.

Sie hatte doch angerufen! Ich kramte in meiner Tasche nach ihrer Nummer und wählte sofort.

»Hallo?«

»Hallo, Frau McLean, hier ist Andrea Röger, ich habe gerade Ihre Nachricht abgehört …«

»Ach, gut, dass Sie sich so schnell melden! Andrea, wie flexibel sind Sie?«

Ich war überrascht: »Flexibel bin ich eigentlich … total. Warum?«

»Schauen Sie, meine Termine sind jetzt doch enger, als ich in Erinnerung hatte. Ich fahre allerdings übermorgen für eine Woche auf meine Berghütte bei Bad Tölz, das wäre der einzige Termin, den ich in den nächsten zwei Monaten frei hätte. Wie wär’s, wollen Sie mich begleiten?«

»Was, eine ganze Woche?!«

»Ja, ich glaube, das brauchen wir auch. Immerhin habe ich jetzt jahrelang keine Interviews mehr gegeben. Ist das zu lang?«

Ohne zu überlegen sagte ich: »Nein, das wäre super! Das kann ich bestimmt organisieren. Und außerdem ist das ja Arbeitszeit!«

»Haben Sie einen Schlafsack, einen Rucksack und Bergschuhe?«, fragte sie mit erfreuter Stimme.

»Wie gesagt, das kann ich alles organisieren«, gab ich gelassen zurück. Sie erklärte mir den Weg und wir verabredeten uns für den kommenden Freitag auf ihrem Hof südlich von München. Eine Woche mit meiner Lieblingsschriftstellerin auf einer einsamen Hütte – wow, ich war ein Glückspilz! Ich bedankte mich und legte auf. Dann ging ich in die Küche, um mir etwas zu trinken zu holen. Dabei streifte mein Blick den Überraschungsumschlag von Frank. Ich war wirklich ein Glückspilz. Der tolle Auftrag, diese tolle Frau und dann auch noch ein Traumwochenende mit Frank in Berlin. Liebevoll nahm ich die Karten aus dem Umschlag, als mein Blick auf das Datum fiel: 6. Juli. 6. Juli? Oh nein. Ich kann nicht zur gleichen Zeit in Berlin und auf dem Berg sein. Verdammt, immer kam alles zusammen! Was sollte ich jetzt nur machen? Der arme Frank würde ganz schön sauer sein. Andererseits sagt er ja selbst immer: »Der Job geht vor!« Er würde mich schon verstehen, immerhin war dies mein erster Großauftrag.

Erster Tag

Ich fuhr von der Autobahn ab. Von wegen Verständnis. Frank war bitterböse. Zuerst hat er von mir verlangt, den Termin rückgängig zu machen. Das habe ich in einem heftigen Wortgefecht verweigert. Dann griff er mich wegen meiner Unprofessionalität an. »Ein guter Journalist muss seine Termine so legen, dass er auch noch ein Privatleben hat.« Pahh, das sagte der Richtige. Der hatte doch gar kein Privatleben. Frank kannte nur seinen Job und ich war schon immer Nebensache gewesen. Er kriegte einen regelrechten cholerischen Anfall, was aber auch nichts Neues war. Plötzlich nahm er seinen Schlüssel und verließ mit den Worten: »Du wirst schon sehen, was du davon hast!« das Haus. Seitdem war Funkstille.

Ich wusste nicht, wo er war und was er vorhatte, ich wusste nur, dass ich mich hundeelend fühlte. Sogar der Triumph bei Marquardt war kein richtiger mehr. Nur mit Mühe und Not konnte ich mir von Freunden die Ausrüstung für den Trip leihen. Die Schuhe waren eine Nummer zu groß und der Schlafsack muffelte. Das Schlimmste aber war, dass ich total fertig war. Ich hatte Frank nicht verletzen wollen. Es tat mir fast schon wieder leid, dass ich meinen Kopf durchgesetzt hatte. Hoffentlich würde das wieder gut werden. Wo sollte ich denn sonst hin? Ich liebte ihn doch. Jetzt liefen mir schon wieder die Tränen runter. Hoffentlich würde Frau McLean nichts bemerken. Ich atmete tief durch und übte ein fröhliches: »Hallo, Frau McLean!« Aber so sehr ich auch die Mundwinkel hochzog, es wollte und wollte nicht das sonst so strahlende Lachen werden. Ich darf diesen Job jetzt nicht vermasseln. Das nicht auch noch.

Langsam bog ich in die Hauptstraße des Ortes ein, den Frau McLean mir als Treffpunkt angegeben hatte. Hier wohnte sie also. Zweite Straße rechts, dann ganz durchfahren, bis es nicht mehr weitergeht, und dann auf den Feldweg bei der Gabelung links fahren. Am Wegrand stand ein größeres Hinweisschild mit einem Pfeil, der geradeaus zeigte. »Gut Eichenhof« war darauf zu lesen. Ich fuhr durch ein kleines Waldstück, hinter dem sich ein kleines Tal auftat. Links oben am Hügel stand ein einzelnes, großes Bauernhaus, malerisch umringt von großen, alten Bäumen. Eichen, wie man unschwer erraten konnte. Das musste es sein. Ich fuhr bis zum Haupttor und stellte mein Auto ab. Kaum war ich ausgestiegen, wurde ich von zwei riesigen Hunden mit lautem Gebell empfangen. Ich hätte schwören können, dass ich so große Hunde noch nie vorher gesehen hatte. Gleich nach den Hunden kam ein lachender, sportlicher Mann angetrabt. »Sandy, Mac: aus! Ist schon gut …« Er trat auf mich zu und sagte freundlich: »Ich bin Michael, Tabeas Mann. Sie müssen Andrea Röger sein. Kommen Sie, meine Frau ist nur noch schnell mal zu den Pferden gegangen, um sich zu verabschieden.« Er deutete auf die beiden Hunderiesen. »Und keine Angst, die haben bis jetzt noch nie irgendjemandem etwas zuleide getan. Das sind zwei ganz liebe.« Was meinte er mit »bis jetzt«, dachte ich, streckte aber todesmutig dem schwarzen Hund, Mac, meine Hand entgegen. Der aber übersah meine Geste mit einem derartigen Desinteresse, dass es fast an Arroganz grenzte. Stattdessen sprang er an seinem Herrchen hoch und forderte ihn so zum Spielen auf. Dieser ergriff lachend einen Stock und warf ihn dann weit über die Wiese. Beide Hunde liefen wie von der Tarantel gestochen hinter dem Stock her. Michael blickte ihnen lächelnd nach und man merkte sofort, dass er die beiden mochte. »Kommen Sie, ich bring Sie ins Haus, es wird nicht lange dauern. Tabea ist schon fast eine Stunde draußen.« Er ging auf dem Kiesweg voran und ich folgte ihm.

Wir betraten durch einen von Efeu überwucherten Torbogen den ehemaligen Gutshof. Überall entlang des Weges standen große Töpfe mit wunderschönen Blumen, die in allen Farben leuchteten. Das Haus hatte einen riesigen Hof, in dem sich einige Leute tummelten. Manche waren mit dem Garten beschäftigt, ein junger Mann schob eine Schubkarre voll Heu vor sich her, zwei Frauen saßen auf einer sonnigen Bank und unterhielten sich angeregt. Jeder grüßte mich freundlich. Auf der rechten Seite war ein Reitplatz zu erkennen, auf dem eine junge Frau geduldig mit ihrem Pferd übte, über bunt gestreifte Bodenstangen zu steigen. Beide, Pferd und Reiter, machten einen zufriedenen Eindruck. Michael rief der Frau zu: »Susanne, sag doch bitte Tabea Bescheid, dass ihr Besuch bereits eingetroffen ist. Sie ist hinten bei den Ställen.« Susanne winkte zurück: »Klar, mach ich! Hast du gesehen, wie gut die Ronja das schon kann?« Sie lachte voller Stolz. Michael nickte: »Ja, das ist wirklich ein riesiger Unterschied zu dem, was sie noch vor einem halben Jahr gezeigt hat.« Er drehte sich zu mir. »Das ist eine gute Freundin von uns, die hier auch auf dem Hof lebt. Sie hat mit ganz viel Geduld, der richtigen Methode und großer Achtung ihr relativ starrköpfiges Pferd zu einem völlig feinfühligen, mitarbeitenden Gefährten gemacht.« Er lächelte noch einmal hinüber zu der Reiterin. »Sie sehen schon, wir sind hier alle ein wenig pferdeverrückt.« Eine blonde, sehr schlanke Frau kam schnellen Schrittes auf uns zu. »Hi Michael, vorhin hat der Produzent aus Hamburg angerufen. Es scheint dringend zu sein!« Sie sprach sehr schnell und steckte Michael einen Notizzettel zu. Dann drehte sie sich um und streckte mir die Hand entgegen: »Hallo, ich bin Edith, das Mädchen für alles.« Sie lachte kurz auf, drehte sich wieder um und eilte davon. Ich konnte ihr nur noch verwundert hinterherschauen. Michael lachte über mein verdutztes Gesicht: »Ja, die Edith ist eine ganz besonders Dynamische. Ein wahres Organisationsgenie. Ohne sie wären wir hier restlos aufgeschmissen.« Er hatte zu jedem Menschen auf dem Hof etwas Positives zu sagen. Und es klang wirklich nicht aufgesetzt, sondern er meinte es auch so. Das gefiel mir. Wir gingen quer über den riesigen, steinplattenbelegten Innenhof auf das stattliche Gebäude zu. Michael erklärte: »Hier im Haupthaus befinden sich zwei große Seminarräume und etliche Übernachtungsmöglichkeiten für Teilnehmer, eine riesige Küche und ein großer Aufenthaltsraum. Aber es wohnen auch Leute hier, die für eine längere Zeit bleiben wollen.«

»Wie viele Menschen sind den momentan auf dem Hof?« Ich war erstaunt über dessen Größe.

»Das variiert. Zurzeit sind wir zu zehnt. Aber nächste Woche kommt noch ein Bekannter aus den USA für zwei Monate her. Wir arbeiten zusammen an einem Projekt.« Dann zeigte Michael auf den hinteren Teil des Hauses. »Dort im Rückgebäude sind große Wohnungen untergebracht, mit direktem Zugang zum Garten, für unsere Familie und Freunde. Susanne, zum Beispiel, hat dort ihre Praxis eingerichtet, sie ist eine gefragte Homöopathin.« Wir gingen weiter.

»Und was ist das da Schönes?« Völlig begeistert zeigte ich auf eines der einzeln stehenden Nebenhäuser, von dessen Holzbalkon mir die schönsten roten Geranien entgegenleuchteten, die ich je gesehen hatte.

»Dort wohnt Susanne, aber die Blumen sind der ganze Stolz ihres Mannes, er gärtnert leidenschaftlich.«

Ich nickte: »Das sieht man!«

»Ja, er hat auch unseren schönen Schwimmteich dort hinten angelegt. Der wird sogar von unserer eigenen Quelle gespeist. Aber kommen Sie, ich bring Sie jetzt zu unserem privatem Reich!« Freundlich wies er mir den Weg. Wir folgten einem schmalen Kiesweg und standen dann vor einem kleineren Häuschen, das über und über in einem Blumenmeer zu verschwinden schien. Ein richtiges verwunschenes Märchenhaus. Ich folgte Michael durch das Gartentor und wir betraten das Haus. Im Flur zeigte er in Richtung einer großen bogenförmigen Glastür: »Geradeaus durch, auf der Terrasse ist der Frühstückstisch noch gedeckt, da gibt es herrlich duftenden Kaffee.« Wir gingen zu dem schön gedeckten Tisch und er bot mir einen Platz an. »Setzen Sie sich doch, und bitte bedienen sie sich; ich muss leider zurück ins Büro. Tabea kommt bestimmt gleich.« Er deutete auf die herrlichen Sachen auf dem Tisch. »Hier ist alles was sie benötigen … Sie sind mir nicht böse?« Ich verneinte schnell.

»Ich muss dringend fertig werden mit den Vorbereitungen für die nächsten Seminare. Alles Bürokram … tja, dann … ähm … Ich bin nebenan. Bis gleich!«, sagte er, schenkte mir noch einmal eines seiner entwaffnenden Lächeln und ging.

Was für ein außergewöhnlicher Mann. Ich lehnte mich bequem zurück und atmete tief durch, dann goss ich mir eine Tasse Kaffee ein, die erste des Tages. Weiter hinten im Garten war eine etwas dickliche Frau gerade dabei, die Hühner zu füttern, die dort unter vielen alten Obstbäumen herumliefen. Schön hier, dachte ich, alles so harmonisch … die vielen Töpfe mit bunten Blumen, und rechts neben mir befanden sich ein prächtiges Rosenbeet und ein mit Rosen überwuchertes Spalier, in dem eine knallrote Bank zum Schaukeln hing. Überall waren farbenfrohe Kugeln verteilt; es wirkte alles sehr gepflegt und hatte trotzdem einen Hauch von Wildnis. Eben wollte ich aufstehen, um zu der roten Schaukel zu gehen, die mir zuzurufen schien: »Komm ruhig her und schaukle mit mir!«, als eine große Katze einfach auf meinen Schoß sprang. Ich erschrak zu Tode. »Herr Gott, junge Frau, können Sie denn nicht aufpassen?«, sagte ich zu der grau-weißen Katze. Die Katze kümmerte das wenig, sie rieb mit Hingabe ihren Kopf an meinem Oberschenkel. Ich musste lachen. »Gut, dass du weißt, dass ich keine Katzenallergie habe!« Ich kraulte sie hinter dem Ohr, was sie sofort mit einem kehligen Schnurren honorierte. »Hunde, Katzen, Pferde, Hühner … ganz schön viel Getier hier bei euch! Vertragt ihr euch denn auch untereinander?« Ich versuchte, mit der Schmuserin ins Gespräch zu kommen. Wie zur Antwort kamen die beiden Hunde durch die Terrassentür. Der eine, ich glaube, es war Sandy, kam zu mir und stupste mit der Nase die Katze auf meinem Schoß freundschaftlich an. Diese fing daraufhin sofort an, sich an Sandys Schnauze zu reiben – alles mit dem Ausdruck des höchsten Genusses im kleinen Katzengesicht.

»Na, da haben Sie ja schon einen Teil der Familie kennengelernt!«, sagte hinter mir eine warme, herzliche Stimme. Ich drehte mich um, und dabei sprang die Katze von meinem Schoß. Da stand sie nun also: Tabea McLean, die berühmte Schriftstellerin. Genauso hatte ich sie mir vorgestellt. Ich machte einen Schnellcheck: Jeans, kariertes Hemd, Wanderschuhe. Sie trug das blonde Haar kurz, was ihr ein besonders jugendliches Aussehen gab. Sie musste so um die Fünfzig sein, laut ihrer Bücher. Aber man konnte sie locker zehn Jahre jünger schätzen, und das machte nicht nur die Frisur. Es war etwas ganz Frisches in ihrer Ausstrahlung. Die Fotos in ihren Büchern wurden der vor mir stehenden Frau nicht gerecht.

»Ich freue mich, Sie kennenzulernen!« Sie streckte mir ihre Hand entgegen. Ganz weltmännisch antwortete ich: »Die Freude ist ganz auf meiner Seite!« Was für eine blöde Floskel, dachte ich. Ein wenig verlegen sprach ich weiter: »Ihre Wegbeschreibung war super, ich habe alles gleich gefunden!« Sie ging ruhig um den Tisch herum und setzte sich mir gegenüber auf den Stuhl. »Bitte setzen Sie sich doch, ich habe noch gar nicht richtig gefrühstückt, und es ist wohl besser, noch etwas zu essen, bevor wir uns an den Aufstieg wagen … Greifen Sie zu, es ist reichlich da!« Sie nahm sich eine Vollkornsemmel aus dem Brotkorb und bestrich sie mit Butter und Marmelade. Ich setzte mich zu ihr. Irgendetwas ging von ihr aus, was mich total anzog. Vielleicht war es ihre natürliche Art, oder wie sie mit den Tieren umging. Sie war einfach, ein ganz normaler Mensch. Nichts von einer berühmten Persönlichkeit.

»Haben Sie sich schon überlegt, wie Sie das Interview aufbauen wollen?«, unterbrach sie meine Gedanken.

»Eigentlich wollte ich Sie erzählen lassen, über Ihr Leben, wie Sie zu ihrer jetzigen Arbeit gekommen und Schriftstellerin geworden sind, wie Sie leben, was für Beziehungen Sie haben. Ich wollte möglichst viel Material sammeln, dann kristallisieren sich die Hauptpunkte schon von selbst heraus. Ich … ich meine … wenn es Ihnen so recht ist.«

»So kann ich es mir gut vorstellen. Wir haben ja eine ganze Woche Zeit, da wird uns am Ende noch der Stoff ausgehen.« Sie lachte mich an. Ihre Offenheit faszinierte mich, und langsam wurde ich etwas gelöster. Ob ich es jetzt wohl wagen konnte, einen Schluck Kaffee zu trinken? Immer, wenn ich total angespannt war, brachte ich es nicht fertig, zu trinken oder an einer Zigarette zu ziehen. Dass ich nun Kaffee trinken konnte, war ein untrügliches Zeichen dafür, dass ich mich sicher fühlte. Dabei kannte ich Frau McLean ja gar nicht, und eigentlich bewunderte ich sie viel zu sehr, als dass ich mich hätte entspannen können in ihrer Gegenwart.

»Sie sehen ein bisschen traurig aus.« Wieder riss sie mich aus meinen Gedanken. Ich hatte doch gleich gewusst, dass man es sehen kann! Jetzt bloß nichts anmerken lassen. Bloß nicht anfangen zu jammern. Ich nahm alle meine Kraft zusammen und flötete: »Ach, wissen Sie, Frau McLean, ich hatte einen ungeheuren Stress in letzter Zeit und bin etwas ausgepowert. Aber ich denke, in Zukunft kann es nur besser werden.« Ich schenkte ihr eines meiner »Ich-steh-drüber-Lächeln« und war überzeugt davon, dass sie es mir abnahm. »Aha. Ja, ja, ich weiß genau, was Sie meinen. Ich habe auch eine Zeitlang so gelebt, als ob das Leben nur aus Arbeit bestünde. Es ist klug von Ihnen, wenn Sie es ändern wollen.«

»Jetzt arbeiten Sie also nicht mehr so viel?«, fragte ich neugierig.

»Ich arbeite anders, ich teile meine Energien anders ein. Früher habe ich immer geglaubt, nur was hart erarbeitet ist, ist auch besonders gut. Das brachte mich so weit, dass ich wie eine Wilde ackerte. Ohne Rücksicht auf meinen Körper oder gar auf meine Seele – und meist auch noch in dem Glauben, etwas Gutes für mich und andere zu tun. Heute weiß ich, dass das alles ein wenig anders funktioniert. Wenn ich jetzt hart arbeite, schade ich mir nicht mehr damit. Ich versuche die größtmögliche Balance zu halten zwischen dem, was ich gebe, und dem, was ich dafür bekomme. Außerdem«, setzte sie lachend hinzu, »schummle ich manchmal dabei!«

Ich schaute sie verwundert an. »Wie, Sie schummeln?«

»Ja, ich lasse mir helfen und mich führen.«

»Von wem denn?«

»Von meiner Intuition, meinem sechsten Sinn. Man kann es auch die innere Stimme oder einen geistigen Führer nennen, je nachdem, woran man glaubt«, fuhr sie ernst fort.

Oh nein, dachte ich, geistige Führer? Hatten die anderen doch recht gehabt, gehörte sie also doch zu den Leuten, die nicht in der Realität sind. Bitte, lieber Gott, lass sie einfach normal bleiben, ich will nicht, dass sie spinnt. Ich möchte sie als mein Idol behalten … Als ob sie meine Gedanken lesen konnte, sagte sie: »Keine Angst, ich bin trotzdem ganz normal. Ich habe nur etwas andere Ansichten als Sie. Und das sollten Sie wörtlich nehmen.«

Was meinte sie damit, andere Ansichten? Und was sollte ich wörtlich nehmen? Konnte sie Gedanken lesen? Ich war ein bisschen durcheinander. Schon beim Lesen ihrer Bücher hatte ich das eine oder andere als totalen Schwachsinn abgetan. Aber meistens fühlte ich mich richtiggehend von ihr beschrieben, als ob sie Situationen aus meinem Leben als Beispiel genommen hatte. Ich erkannte viel darin und habe auch so manche Lebensweisheit übernommen. Bloß mit dem Quatsch von anderen Dimensionen und so konnte sie mir wegbleiben. Das könnte aber ein interessanter neuer Aspekt in meiner Arbeit sein: Tabea McLean, die Starautorin, von einer jungen Journalistin als Spinnerin entlarvt! Ich musste schmunzeln und schüttelte diesen Gedanken sofort wieder ab. Wenn ich sie mir so anschaute, hatte sie nichts von einer Spinnerin, ich fand sie eigentlich richtig sympathisch.

»Erzählen Sie mir doch noch einmal die Geschichte mit Ihrem Chef, das finde ich höchst amüsant. Hat er sich nicht gewundert, als Sie plötzlich doch einen Termin mit mir hatten?« Sie kicherte wie ein kleines Mädchen und freute sich diebisch, als ich ihr alles detailgenau erzählte. Am Schluss lachten wir beide über das erstaunte Gesicht, das Lutz Marquart gemacht hatte.

»Geschieht ihm recht!«, sagte Tabea schließlich. Sie warf einen Blick auf die Uhr auf der Fensterbank. »Ich glaube, wir müssen mal so langsam los, sonst kommen wir erst am späten Nachmittag in der Hütte an.« Dann stand sie auf und sagte zu mir: »Ich verabschiede mich noch von Michael und dann kann es losgehen, ja?« Sie ging ins Haus. »Mik, wir gehen!« Ich folgte ihr. Wieder fiel mir auf, wie harmonisch das Haus auf mich wirkte, richtig gemütlich, warm und einladend. Michael kam aus seinem Büro, fasste Tabea an der Hand, und so gingen sie nach draußen. Was für ein Paar: Er war eher ruhig und ausgeglichen und sie dynamisch und voller Power. Beide waren braungebrannt; man merkte sofort, dass sie viel Zeit in der Natur verbrachten. Michael war einer der Männer, die durch ihr markantes Aussehen unglaublich attraktiv waren. Die beiden passten allein vom Äußeren sehr gut zusammen, da war kein Gehabe, alles ganz pur. Händchenhaltend gingen sie zu dem großen Jeep, der in der Einfahrt stand. Michael gab ihr einen liebevollen Kuss und zwinkerte ihr zu. »Lass dich nicht klauen!« Dann ging er um den Jeep herum, packte den am Boden stehenden Rucksack und schwang ihn hinten in das Auto. »Ich lauf schnell vor, dann können wir Ihre Sachen umladen.« Er sprang los und rannte zu meinem Wagen.

»Warten Sie, ich schließ auf!«, rief ich ihm nach und rannte hinterher. Ich war erstaunt, wie schnell er war. Am Auto angekommen, nahm er mir lachend den Rucksack ab: »Sie gehen wohl zum ersten Mal auf einen Berg?«

»Sie meinen, ich hab zu viel dabei? Glauben Sie mir, das ist nur das Nötigste, was ich in einer Woche so brauche!«, gab ich zurück. Allerdings war Tabeas Rucksack nur halb so voll wie meiner.

»Versuchen Sie auf der Fahrt dorthin noch mal etwas auszusortieren.« Er schaute mich freundlich an. »Sie müssen zwei Stunden bergauf gehen, da merkt man jedes Gramm.«

»Danke für den Tipp!«, sagte ich, aber im Grunde wusste ich nicht, was ich weglassen sollte. Ich hatte alles schon sehr sorgfältig ausgesucht und war überzeugt, dass ich jedes Teil, das ich eingepackt hatte, auch gut gebrauchen konnte – ja, dass es sogar notwendig war. Michael verstaute noch einen mittelgroßen Karton und schloss dann die Heckklappe. Er kam zu mir und streckte mir die Hand entgegen: »Ich wünsche Ihnen viel Spaß da oben! Erholen Sie sich gut, und viel Erfolg bei Ihrem Interview!« Dann hielt er mir die Beifahrertür auf und ich stieg ein.

»Auf Wiedersehen und vielen Dank!«

»Och«, sagte er schmunzelnd, »da nicht für.« Tabea, warf ihm noch einen Handkuss zu und stieg ein. Die Hunde begleiteten uns noch bis zur Weggabelung, und Michael winkte so lange, bis wir außer Sichtweite waren. »Ihr Mann ist ganz schön hilfsbereit«, sagte ich anerkennend.

»Tja, er ist ein großer Schatz. Ich bin froh, dass wir uns gefunden haben!«

»Wie lange sind Sie denn schon verheiratet?«, fragte ich neugierig.

»Fast drei Jahre. Er ist mein erster richtiger Ehemann. Ich habe vorher nie geheiratet. Ist das nicht komisch?« Sie schaute kurz zu mir herüber.

»Was, erst drei Jahre?«, entfuhr es mir. »Aber stimmt, Sie wirken auch wie frisch verliebt.« War das zu forsch?

»Das ist es auch, aber es ist nicht nur ein Verliebtsein, das hier ist die wahre Liebe. Plötzlich steht man einem Menschen gegenüber, bei dem man ganz genau weiß: Das ist er. Und so war es bei mir.« Sie sprach sehr offen.

»Und bei Ihrem Mann, war es da auch so?« Ich war noch neugieriger geworden.

»Nein, der hat länger gebraucht. Ich habe ihn auf einem Seminar kennengelernt, er war der Leiter der Gruppe. Er sprach Sätze aus, die auch in meinem Leben einen großen Stellenwert hatten. Er las anscheinend die gleichen Bücher und hatte einige von den gleichen Weisheiten gefunden wie ich. Ich hörte ihm fasziniert zu und dachte bei mir: ›Du bist mein zukünftiger Mann‹, und gleichzeitig erschrak ich über den Gedanken. Sie müssen sich vorstellen, da waren ganz viele Menschen in diesem Seminar, es war eher unpersönlich und ich dachte: ›Das ist mein Mann‹.« Sie lächelte bei dieser Erinnerung. »Aber er hat sich nicht einmal meinen Namen behalten.«

»Wie hat er es dann schließlich doch noch gemerkt? Ich meine, wenn man Sie so miteinander sieht, könnte man glauben, er hätte nie eine andere Frau gesucht als Sie.«

»Es hat noch etwas gedauert, obwohl ich noch viele gleiche Schwingungen zwischen uns festgestellt habe. Zum Beispiel erzählte er in einer Pause des Seminars, dass er Pferde über alles liebe. Ich war baff, und dann mochte er auch noch die Rasse, die ich bevorzuge: American Quarterhorses. Wir redeten lange über dieses Thema, aber er blieb dabei freundlich auf Abstand. Danach hörte ich nichts mehr von ihm. Erst ein paar Monate später, mein erstes Buch war gerade herausgekommen, saß er plötzlich in einer meiner Lesungen. Er erkannte mich nicht einmal als die Seminarteilnehmerin von damals. Aber er war total begeistert von den Methoden, die ich in meinem Buch beschrieben hatte. Ist das nicht witzig? Ein kosmischer Witz eben. Ich hatte lange vor ihm das Gefühl erkannt, und an diesem Abend verstand auch er es endlich! Schöne Geschichte, was?« Sie schaute kurz zu mir rüber. »Und so kam es, dass wir innerhalb eines halben Jahres heirateten und bis zum heutigem Tag wissen, dass es die richtige Entscheidung war. Ich hatte es nicht mehr für möglich gehalten, dass ich in meinem Alter noch einmal eine derartige Liebe empfinden darf.« Sie sagte dies mit einer ganz weichen Stimme. Sie war sichtlich gerührt.

Und ich mit ihr »Ach, wie schön. Und was heißt schon »in Ihrem Alter« – Sie sind doch nicht alt!« Ich bestand energisch darauf.

»Nein, ich meine halt nur, dass ich bis zu dem Zeitpunkt ziemlich viel erlebt hatte in Sachen Männer und Partnerschaften. Ich war ja nicht mehr 20. Und ich glaubte nicht mehr an die große Liebe. Ich wusste, dass die romantische Liebe etwas ist, das schnell verfliegt, und dass erst das, was dann übrig bleibt, den wahren Kern ausmacht. Damals war ich mir nicht mehr sicher, ob man das mit 49 Jahren noch erleben kann. Aber jetzt kann ich voller Überzeugung wiedergeben: Es ist immer möglich! Man sollte nur offen dafür sein. Alt fühle ich mich nicht. Ich weiß gar nicht, was das sein soll: alt sein. Ich folge diesem Jugendlichkeitswahn nicht, das ist nur das Außen. Ich bin jung von innen, und das macht es aus!« Sie strahlte, als sie das sagte.

Fasziniert murmelte ich: »Und ich dachte, ideale Beziehungen gäbe es nur im Märchen. Das lässt mich ja hoffen …«

Sie lachte. »Glauben Sie jetzt nur nicht, wir würden uns nicht streiten oder wir wären immer einer Meinung. Oh nein! Aber das wäre ja auch furchtbar langweilig. Wir versuchen bloß immer, so schnell wie möglich wieder in unser Herz zurückzukehren.« Bei diesen Worten wurde mir ganz warm: ins Herz zurückkehren, was für ein wunderschöner Gedanke. Schweigend fuhren wir weiter. Ich dachte an Frank. Wo mochte er jetzt wohl sein? Wahrscheinlich tat es ihm auch leid. Wenn ich zurück wäre, würde ich das schon aufklären, ich würde mich entschuldigen und ihm erklären, dass es nicht mit Absicht geschehen sei. Er würde mir schon verzeihen. Vielleicht könnte ich auch mal versuchen, in mein Herz zu kommen und erst zu überlegen, bevor ich irgendetwas tue. Ich musste einfach länger überlegen und dann erst reagieren. Ob er wohl versucht hatte, mir eine Nachricht zu hinterlassen? Ich musste unbedingt an mein Handy im Rucksack kommen.

»Stört es Sie beim Fahren, wenn ich mal nach hinten klettere, um an meinen Rucksack zu kommen? Ihr Mann meinte, ich sollte doch noch einmal schauen, was ich im Auto lassen könnte.«

»Nein, machen Sie nur. Ich dachte es mir auch schon. Sie werden sich wundern, wie wenig man in der Natur braucht. Außerdem müssen Sie noch ein bisschen Platz schaffen für die Lebensmittel, die wir mitnehmen.« Sie deutete mit dem Daumen auf den Karton, den ihr Mann noch eingeladen hatte. »Jeder die Hälfte, sonst verhungern wir …« Daran hatte ich überhaupt nicht gedacht. Klar, dass wir uns selbst versorgen würden und auch alles selbst mitnehmen mussten. Etwas verlegen sagte ich »Daran hab ich gar nicht gedacht, und jetzt hab ich nichts dabei …« Tabea winkte ab: »Macht nichts, es ist für alles gesorgt. Erstens ist immer etwas in der Hütte, zweitens haben wir fürs Erste alles in diesem Karton, was wir momentan brauchen, und drittes kommt ein lieber Freund vorbei und bringt uns frische Sachen. Und, um es vorwegzunehmen: Auf der Hütte sind sie mein Gast!« Das beruhigte mich. Ich hatte gerade darüber nachgedacht, ob ich ihr anbieten sollte, die Hälfte der Kosten für die Lebensmittel zu übernehmen. Jetzt, nachdem sie die Einladung ausgesprochen hatte, war alles klar. Überhaupt schien sie ein Mensch von ganz besonderer Klarheit zu sein. Immer wenn ich gerade über die Situation grübelte, sagte sie etwas, was zur Klärung beitrug. Das gab mir Sicherheit. Ich wunderte mich nur schon wieder, woher sie gewusst hatte, was ich dachte. Ich kletterte nach hinten und angelte nach meinen Rucksack. Obwohl ich das Gewicht zu Hause mehrmals überprüft hatte, war wirklich viel zu viel darin. Ich hatte neben den Bergschuhen, die ich trug, auch noch ein paar Hüttenschuhe, Sandalen und noch ein paar Turnschuhe drin. Ich behielt die Sandalen, das andere packte ich in eine Plastiktüte, die ich für Schmutzwäsche vorgesehen hatte. Außerdem kamen ein dicker Pullover, drei T-Shirts und mein Föhn raus, und vor allem ließ ich den Hausanzug aus dunkelblauem Samt in die Tüte gleiten, den ich ursprünglich für »besondere Gelegenheiten« eingepackt hatte. Welche Vorstellung mich dazu gebracht hatte, konnte ich in diesem Moment nicht mehr nachvollziehen. Schließlich leerte ich noch meine Schminktasche zur Hälfte, nachdem mir Tabea lachend erklärt hatte, dass es da oben weder Strom noch warmes Wasser gab, ja, noch nicht einmal ein richtiges Badezimmer.

Verstohlen schaute ich außerdem auf mein Handy, das in einer Seitentasche steckte. Kein Hinweis auf eine Nachricht im Display. Also hatte er nicht versucht, mich zu erreichen, der sture Hund, er wollte mich schmoren lassen. Der würde sich wundern, ich würde ein ganz besonderes Interview abliefern, dachte ich kampfbereit. Das schaffte ich auch ohne ihn. Trotzdem sank ich etwas traurig in den Beifahrersitz zurück. Ich war müde.

Ich wachte erst wieder auf, als wir über einen holprigen Parkplatz fuhren. »Oh, ich bin eingeschlafen!«, fuhr ich erschrocken hoch. »Sie müssen ja sonst was von mir denken ...«

»Wenn man müde ist, muss man schlafen«, beschwichtigte mich Tabea freundlich. »Wir wären viel seltener krank, wenn wir mehr auf unseren Körper hören würden«, sagte sie, als ob wir schon seit vier Wochen zusammen wären. Da war es wieder, das Gefühl der Sicherheit. Sanft setzte sie hinzu: »Und ich denke nichts von Ihnen, was ich Ihnen nicht auch laut mitteilen würde. Wir sind da! Ab hier beginnt das Abenteuer!« Wir gingen zu den Rucksäcken und teilten die Lebensmittel schwesterlich auf. Allerdings wurde ich den Verdacht nicht los, dass sie sich mehr Gewicht auflud. Dann holte sie noch einen sonderbar aussehenden Wanderstab aus dem Auto und schloss danach den Wagen ab. Sie deutete auf einen Waldweg, der in Serpentinen steil bergauf führte. »Da geht es lang. Sie werden staunen, es ist wunderschön. Aber bevor wir jetzt losstapfen, möchte ich, dass wir uns duzen. Wenn man gemeinsam auf eine Hütte geht oder in der Natur ist, dann verbinden einen auch andere Dinge. Ich bin Tabea!«

Völlig überrascht antwortete ich: »Ich heiße Andrea. Es ist mir eine Ehre …«

»Genug der Ehre!«, schalt sie mich mit gespielt finsterer Miene. »Jetzt sind wir Partner und vollkommen gleichgestellt!«

»Okay«, war das Einzige, was mir dazu einfiel.

»So, dann komm, Andrea, in etwa zwei Stunden sind wir oben und dann kannst du anfangen, dir Gedanken zu machen, wie du das Interview aufbauen willst. Jetzt ist erst einmal Zeit für die Natur. Riechst du’s? Für mich gibt es keinen schöneren Geruch auf der Welt als den von sommerlichem Waldboden.« Sie atmete tief durch. Ich stellte mich neben sie und atmete ebenfalls tief ein. »Bevor ich den Weg betrete, mache ich immer ein kleines Ritual. Ich bitte die Wald- und Berggeister um Erlaubnis, mich in ihrem Gebiet aufzuhalten.« Sie nahm ihren geschmückten Stock und rammte ihn in den Boden. Skeptisch, aber gespannt verfolgte ich, was nun kommen würde. Tabea hob die Arme und sprach mit fester Stimme: »Großer Geist, allumfassendes Universum, wir bitten dich um deinen Schutz und um deine Liebe. Wir bitten auch all die Geister des Berges und des Waldes, des Wassers und der Tiere, lasst uns die Nachrichten zukommen, die für uns wichtig sind. Und lasst sie uns auch verstehen. Wir bitten um die Erlaubnis, euer Gebiet zu betreten, und wir versichern euch, dass wir dies mit aller Achtsamkeit tun!« Wieder atmete sie hörbar ein und aus. Ich kam mir ein wenig komisch vor, aber andererseits erfüllte mich dieses Ritual auch mit einem tiefen Frieden. Ach, dachte ich mir, erstens sieht uns ja keiner und zweitens kann es nicht schaden, den Schutz der Naturgeister zu haben. Im gleichen Moment umkreiste uns ein wunderschöner Schmetterling und setzte sich dann auf meine linke Schulter. Ich blieb ganz still, um ihn nicht zu verscheuchen. Wir schwiegen. Nach einer Weile flog er dann ohne jede Eile davon. Tabea schaute mich an und flüsterte: »Schmetterlinge stehen für Veränderung.« Dann sprach sie wieder in normaler Lautstärke: »Was für eine wunderbar klare Botschaft!«

»Wie meinen Sie … äh, wie meinst du das mit der Botschaft? Du meinst wirklich, der Schmetterling hat sich nicht zufällig auf meine Schulter gesetzt?« Ich war ganz aufgeregt.

»Für mich gibt es keine Zufälle. Und ich bin überzeugt davon, dass es eine Botschaft ist. Am besten notierst du dir alles. Später kannst du dann sehen, ob es in dir oder in deiner Umgebung zu einer deutlichen Veränderung gekommen ist. »Ist das jetzt gut oder schlecht?« wollte ich misstrauisch wissen. »Das kommt darauf an, was du daraus machst, DU bist der Schöpfer deines Lebens! Aber nun komm, ich muss mich dringend bewegen.« Sie schwang den Rucksack über die Schulter, nahm ihren Stab und ging energisch los. Ich musste mich beeilen, ihr hinterherzukommen. Der Weg führte uns steil bergauf durch den Wald. Dann gingen wir etwas bergab, an einem rauschenden Bach entlang auf einem schmalen Trampelpfad. Ich war ordentlich aus der Puste, und immer mal wieder blieb ich stehen, um nach Luft zu schnappen. »Blöde Raucherei!« Das fiel mir auch immer nur dann ein, wenn ich mich sportlich betätigte. Ich stockte: Ich hatte die Zigaretten im Auto vergessen. So ein Mist! Tja, war jetzt nicht mehr zu ändern. Mal sehen, ob ich es ohne aushalten würde.

Tabea passte sich meinem Tempo an und wir machten viele kleine Pausen, in denen wir ständig Neues und Schönes entdeckten. Einmal waren es wunderschöne Blumen, ein anderes Mal war es ein Reh, das uns gar nicht beachtete. Und so vergaß ich fast, dass ich einen schweren Rucksack trug und es steil bergauf ging. An einer Stelle, an der wir einen wunderbaren Rundblick hatten, machten wir eine kurze Rast, um von dem Wasser zu trinken, das dort vollkommen klar aus einer Felswand floss. »Ach«, sagte ich, »wenn Arbeit doch immer so schön sein könnte …« Ich lachte und merkte, wie ich mich total entspannte. »Es ist wirklich wunderschön hier. Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass ich mitgehen darf!«

»Ab sofort zahlst du für jedes ›Sie‹ einen Euro! Siehst du, damit werde ich jetzt reich!«, scherzte sie. »Ich sorge dafür, dass du keinen Cent auf diese Art und Weise verdienst!« Wir lachten beide und setzten dann unseren Weg fort. Mit einem Mal kam mir alles leichter vor: das Interview, das Drama mit Frank und überhaupt – es gab momentan nichts, was mich hätte runterziehen können.

»Die Natur ist für mich wie eine Tankstelle. Jedes Mal, wenn ich in ihr verweile, merke ich, wie meine Energie im Körper ansteigt. Ich schaue eine gelb leuchtende Blume an und fühle mich durch dieses Gelb gestärkt«, erklärte Tabea mir. »Und es kostet nicht mal Geld. Es hat einzig den Sinn, die Schönheit Gottes oder wie auch immer man es nennen will, zu reflektieren. Ich betrachte jeden Aufenthalt in der Natur als Geschenk. Die Indianer sagen: Die Natur macht feinfühlig. Ich kann sehr gut begreifen, was sie damit meinen.« Während sie sprach, hatte ihre Stimme einen tiefen Klang bekommen, der mich ganz besonders aufmerksam machte. Sie war schon eine faszinierende Frau und kein bisschen »spinnert«. Sie war, ja … voller Weisheit. Wenn das so weiterginge, würde ich jede Minute etwas Neues von ihr denken.

Nach einer halben Stunde erreichten wir einen Grat, der knapp oberhalb der Baumgrenze lag. »Da gehen wir noch drüber und dann ein Stück wieder runter, in das Waldstück hinein, und schon sind wir da.« Tabea deutete auf eine Baumgruppe unterhalb einer großen Almwiese. Ich sah keine Hütte, so sehr ich mich auch bemühte. »Keine Angst, sie ist wirklich dort. Ich bin mir ganz sicher!« sagte Tabea und lachte. Und tatsächlich, eine halbe Stunde später hatten wir sie erreicht. Erst jetzt merkte ich, wie abgekämpft ich war. Etwas mehr Sport täte mir ganz gut, dachte ich, und nahm mir vor, joggen zu gehen, sobald ich wieder zu Hause wäre. Früher hatte ich das ja auch getan, als ich noch studiert habe, da würde ich es ja auch wohl neben Job und Haushalt schaffen. Vielleicht würde Frank ja mitmachen, er beschwerte sich eh andauernd, dass ich keinen Sport mehr machte.