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Dieses Buch ist die Autobiografie des großen Musikers Famoudou Konaté aus dem westafrikanischen Guinea. Er gehört den Malinké an, einer Volksgruppe, in deren hochdifferenzierter Musikkultur die Djembe-Trommel im Mittelpunkt steht. Konaté ist einer der bedeutenden lebenden Djembe-Meister. Sein Instrument ist heute auf der ganzen Welt bekannt und beliebt, auch dank der unzähligen Auftritte und Workshops von Musikern wie Famoudou Konaté. Das Buch enthält viele, auch bisher unbekannte Details über die Djembe und ihre Begleitinstrumente, über ihre Geschichte, über Spielweisen und Gestaltungsprinzipien, über Rhythmen, Lieder und Tänze und ihre Bedeutung. Konaté erzählt aber auch ausführlich von seiner Kindheit in Guinea, von der Gesellschaft seiner Heimat mit ihren kulturellen Praktiken und ihren Problemen damals und heute, von seinen Reisen und von einem Leben »zwischen den Kulturen«, das seine Weltsicht geprägt hat.
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Seitenzahl: 468
Veröffentlichungsjahr: 2021
Mein Leben – meine Djembe – meine Kultur
Aufzeichnungen eines afrikanischen Musikers
Guinea (République de Guinée) in Westafrika
Famoudou Konaté
Mein Leben – meine Djembe – meine Kultur
Aufzeichnungen eines afrikanischen Musikers
herausgegeben von Thomas Ott
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.
978-3-95983-624-1 (Hardcover)
978-3-95983-625-8 (Paperback)
978-3-95983-626-5 (Ebook)
© 2021 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz
www.schott-buch.com
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck in jeder Form sowie die Wiedergabe durch Fernsehen, Rundfunk, Film, Bild- und Tonträger oder Benutzung für Vorträge, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags
Inhalt
Thomas Ott: Vorwort. Wie dieses Buch entstanden ist
TEIL 1: BIOGRAFIE
Meine Familie
Mein Großvater Kèkörö Konaté lässt sich in Sangbaralla nieder und zeigt großen Mut / Die Geschichte meiner Eltern / Erinnerungen an meine Mutter Koriaba Fodé Konaté / Mein Vater Diouba Fodé Konaté: Grundbesitzer, Jäger, Féticheur
Meine Anfänge als Trommler, Kindheitserinnerungen
Frühe Versuche / Die Djembe in meiner Familie / Ein »Edler« kann eigentlich nicht Trommler werden / Loblieder der Mädchen / Trommeln und Tanzen gegen den Hunger / Ich helfe einer alten Dame über den Fluss / Auf Feldern und Wiesen / Der Tod meines Vaters / Geschichte eines besonderen Rhythmus: sofa / Der Erbe: Mein ältester Bruder Malon Kèkörö Konaté
Erinnerungen an die koloniale Herrschaft
Eine Lokomotive setzt Kouroussa in Brand / Die Geschichte von Balaké und Söna (Fodéba Keïta: »Minuit«) / Der Kommandant in der Sänfte / Zwangsarbeit / Verbotene Perlhuhnjagd / Abliefern von Kautschuk / Ein Prozess meiner Familie vor dem kolonialen Bezirksgericht / Ein traumatisierter Veteran / Das koloniale Erbe
Mein Weg in die Ballets Africains de Guinée
Meine erste große Reise: zu meinem Bruder nach Obervolta. Die Unabhängigkeit kommt / Ich werde Mitglied des Regionalensembles in Kouroussa / Man entdeckt mich für die Ballets Africains / Hohe Anforderungen an die Ensemblemitglieder
Meine Reisen mit den Ballets
Faszinierende neue Welten / Rätselhaft und beängstigend: das Fliegen
Erste Reisen nach Europa
Berlin: Schüsse an der Mauer / Bejubelte Auftritte in Paris / Französischunterricht / London: Begegnung mit den Beatles / Prag, Budapest, Zürich: Wir begegnen Faszination und Angst
Reisen in andere afrikanische Länder
Der Anfang / In Mosambik mit Miriam Makeba / Sambia: Elefantenzähne für Sékou Touré / Bei Mobutu in Zaire und ein Beinahe-Absturz / Marokko: Fürstlicher Empfang durch den König / Tunesien: Ein anderer Islam
Reisen nach Südamerika
Chile: Wir überleben knapp ein Erdbeben / Kuba: Bei den Weltjugendfestspielen 1978 / Spionageverdachts-Abwehr durch Singen der Nationalhymne / Schreckliche Turbulenzen in Bolivien
Die Arbeitsbedingungen in den Ballets
Liste der bereisten Länder / Die Direktoren der Ballets / Katastrophale Bedingungen in den ersten Jahren / Protest in Nacht und Kälte / Schlechte Bezahlung, Hunger, Mangelernährung / Die Erlösung: Wir werden Staatsbeamte
Ein Dauerproblem: Der ewige sexuelle Notstand
Strenges Kontaktverbot zum anderen Geschlecht / Wie ich meine Freundin Nankany im Schrank versteckte / Der Präsident Sékou Touré und die schwangere Tänzerin / Chercher la femme / Haben afrikanische Männer zwei Geschlechtsteile?
Mein Abschied von den Ballets Africains
Kleine Strafmaßnahmen / Wachsende Unzufriedenheit / Der Machtwechsel 1984 und die große Wende / Erste Schüler aus Europa / Die weißen Teufel spielen Djembe! / Rainer Dörrer und Johannes Beer / Reise ans Sterbebett meiner Mutter / Rückreise nach Conakry: Eine Prüfung für meine deutschen Freunde / In den Ballets kriselt es / Meine Reise nach Deutschland 1987 / Rückkehr und der endgültige Bruch mit den Ballets
Ein neuer Lebensabschnitt
Das neue Leben beginnt: Reisen mit Silvia und Paul, meine erste CD »Rhythmen der Malinké«, meine Gruppe Hamana Diara / Eine neue Aufgabe: Dokumentieren meiner Musikkultur / Gambia und Berlin – ich werde Professor / Konzert im Musikethnologischen Museum in Berlin, September 2000 / Konzerte in Conakry 1999 und 2003 / Reise nach Israel 2001
Besonders wichtige Freunde und Kollegen
Silvia Kronewald / Rainer Dörrer / Gabi Happe / Noumoudy Keïta / Mamady Keïta
TEIL 2: BESCHREIBUNG MEINER KULTUR
Die soziale Ordnung im Dorf
Die Dorfchefs: duuti und sotiikèmöö / Adel, Handwerker, Jäger / Griots und Griotten / Die Griotten / Berühmte Griots der Republik Guinea / Die Altersgruppen (Generationen)
Die Feste
Bedeutung der Feste im sozialen Leben / Sunkaro sali: Ende des Ramadans / Tabaski: Das Fest des Schafes / Gbalan la: die Hirse-Ernte / Bara dösa: die Reis-Ernte / Dala mön: Fischen im See
Die Masken
Heilige und andere Masken / Die koma-Maske / Die »magischen« Masken soliwoulén, kawa und wôlô / Die sozialen Masken der vierten Generation: kondén und balanin, die Maske turanin gbanan / Die Maske gnô kônôgbin wôlô / Die Maske tasaba
Sexualität und Ehe
Der Mythos von den beiden Königreichen / Eine Jugenderinnerung: Besuch von Mädchen aus Nachbardörfern – ka a labö / Anbandeln beim Rhythmus diaa / Das Bett teilen, aber kein Sex: Kinder-»Ehen« als Enthaltsamkeitstraining / Gegenseitiges Auspeitschen bei vorehelicher Schwangerschaft / Heiratsvorbereitungen und Hochzeit / Was in der Hochzeitsnacht geschieht, geht niemanden etwas an! / Der Imam bekommt die Ehefrau geschenkt / Bis zur Hochzeit dürfen die Mädchen nicht kochen / Heiraten unter Zwang / Die Zwangsheirat lebt weiter / Heirat gegen den Widerstand der Familie / Der Ehemann ist zu respektieren wie Gott / Respekt der Kinder für ihre Mütter / Ein Dauerproblem: Polygamie / Vernachlässigung und schlechte Behandlung durch den Ehemann / Das Martyrium der kinderlosen Frauen / Scheidung ist (fast) unmöglich / Wenn der Ehemann stirbt … / Mädchen in die Schule! / Lesbische Frauen am Pranger
Religion, Animismus, Hexer und Féticheure
Was mir mein Bruder Malon Sory über den Islam erzählte / Die Schmiede setzen sich gegen die Muslime durch und opfern dem Baumdämon / Opfergaben und ihre Bedeutung / Die Zaubermittel (Gris-Gris) / Gris-Gris sind überlebenswichtig bei der gbara-Zeremonie / Zauberei bei einem Treffen der Jäger / Das Jahresfest der Jäger / Soro, der Dämon meines Vaters / Der Dämon meines Großvaters, kömö kudu nin, der den Schnupftabak liebte / Tierische Bewegungsorakel / Mein Bruder Malon Kèkörö entwindet bösen Geistern ein Stück Land / Die Montagnacht-Boa / Die lenké-Geister verhelfen einem Funktionär zur Popularität / Kampf der Féticheure gegen die Hexerei / Drei Geschichten von Hexerei / Gute und böse Féticheure / Der Feticheur Frigan Douka verliert seine magischen Glocken / Die Kolonialisten glaubten nicht an die Zauberei
Bräuche, damals und heute
Feldarbeit / Feldarbeit der baratii und »Feldraub« (sènè sunya) / Die Beschneidung / Gegen die Beschneidung, vor allem der Mädchen / Beschneidungsrituale / Das tön ta-Spiel / Gegen die körperliche Bestrafung der Kinder / Respekt der Kinder gegenüber den Älteren / Ehrenworte und schriftliche Verträge / Gastfreundschaft und gegenseitige Hilfe / Begrüßungsrituale / Abschiedslieder / Ehrenvolle Nennung des Nachnamens / Angst vor Sonnen- und Mondfinsternis / Die Vergiftung des Flusses Djoliba / Wie die Familie vom Tod eines Abwesenden erfährt / Der Suizid ist verpönt / Opfer für die Toten
TEIL 3: DIE MUSIK
Funktionen der Musik – individuell und sozial
Musik hält die Gemeinschaft zusammen / Sie ist in der Natur verankert / Sie ist ein Heilmittel / Sie hilft Menschen mit Behinderungen / Musikverbot im Islam: Warum? / Wie ich einmal einen musikfeindlichen Maninka-Mori umstimmte / Verbietet der Koran die Musik?
Die Musikinstrumente
Allgemeines / Wer spielt auf welchem Instrument? / Instrumente der Griots (Jeli) / Instrumente der Mädchen und Frauen / Instrumente der Kinder / Ein Instrument der Jäger / Ein Instrument der Féticheure / Ein Instrument der Krieger / Die Nachrichtentrommel kunan / Die Flöten tanbifule und böfule / Die Hörner kerebudu und sulabudu / Dankaranfule, die Teufelsflöte / Meine Aufnahmen mit einigen der Instrumente
Die Djembe
Wie die Djembe erfunden wurde / Wie man früher zu einer neuen Djembe kam / Die verschiedenen Holzarten / Die verschiedenen Formen der Djembe / Die Ohren (sèèsèè) / Verschiedene Felle für die Djembe / Die Bauweise der Djembe – früher und heute
Das Spiel auf der Djembe
Spielen auf der Djembe / Weitere Klänge, die ich spiele / Die Lage der Finger zur Vermeidung von Schmerzen / Blut im Urin nach langem Trommeln / Zusammenspiel der Arme / Spielen im Sitzen und im Stehen / Vier Positionen beim Spielen im Stehen / Die Gurte
Die Basstrommeln
Herkunft und Bauweise / Die Trommelstöcke / Die Armbewegungen beim Spielen
Die Rhythmen
Was »Rhythmen« sind, und woher sie kommen / Die drei rhythmischen Grundtypen / Ein besonderer dunun: dunungbè / Wie starke Männer tanzen / Söma Sandyi gegen Fabu Condé / Ein besonderer Rhythmus: mendianèn
Die musikalische Gestaltung im Zusammenspiel
Die Arbeitsteilung der Instrumente / Die Instrumente »spielen« nicht, sie sprechen / Die Instrumente unterhalten sich miteinander / Die gemeinsame Melodie von Basstrommeln und Djembe / Spielen auch die Glocken eine Melodie? / Die Introduktionen (Einleitungen) / Die Bloquagen (»appels«) / Die Soli / Improvisieren / Die Èchauffements und das Verhältnis von Solotrommel, Tanz und Gesang / Die Roulements
Der djembeföla
Was bedeutet »djembefola«? / Geringes Ansehen der Trommler bei den Dorfbewohnern, Geduld als Tugend / Mit Gris-Gris gegen die Konkurrenz / Ein angeblicher Eifersuchtskonflikt zwischen Mamady Keïta und mir / Der djembeföla und die Frauen / Trommeltricks, um Widersacher zu bestrafen und den Widerstand der Angebeteten zu brechen / Erinnerungen an eindrucksvolle Kollegen / Alleskönner und Spezialisten / Der Nachwuchs / Aber wo bleiben die Trommlerinnen?
Ein paar ernste Ratschläge an junge Djembe-Spieler
Stellt Fragen / Spannt eure Trommeln nicht zu hoch / Spielt langsam. Und nicht so laut / Bedenkt: Zum Musizieren braucht man einen gelassenen und ausgeruhten Geist / Lernt eure Kultur kennen / Geht sorgfältig mit den Rhythmen um
TEIL 4: ERFAHRUNGEN UND GEDANKEN
Tradition, Notation, Lernen, Unterrichten
Wer hat unsere Musik erfunden? / Das Aufbewahren afrikanischer Musik / Arbeiten ohne Arbeitsplan / Lernen durch Aufschreiben und Lernen mit Kopf und Körper / Die Schule ist wichtig, auch für die späteren Künstler / Lernen und Lehren ohne Pädagogik / Probleme mit dem Unterrichten der Soli
Die Weißen und unsere Musik
Musik kennt weder Farben noch »Rassen« / Die Melodie in der Musik ist universell / Fragen in den Workshops / Studierte Musikerinnen und Musiker aus Europa haben größere Probleme mit unserer Musik als Laien / Das europäische Publikum versteht unsere Musik heute viel besser als noch vor 50 Jahren / Die Kolonisatoren interessierten sich nicht für unsere Kultur / Die Djembe verbindet die Kulturen / Haben Afrikaner die Musik im Blut?
Wie Afrikaner und Weiße mit afrikanischer Kultur umgehen
Die Afrikaner gehen unachtsam mit ihren Kulturschätzen um / Was macht die kondén-Maske in Detroit? / Ton- und Filmaufnahmen, Bücher – wer bekam das Geld? / Ein Gegenbeispiel / Ein unerwarteter Geldregen für den Trommler Soungalo Coulibaly / Schlechte Erfahrungen in den USA / Eine Hilfsaktion für mein Heimatdorf / Afrikanische Musiker in die Prüfungskommissionen! / Konzerte mit afrikanischer Musik sind zu laut
Tradition und Moderne in Afrika
Tradition und Moderne – eine gemischte Bilanz / Warum ist Afrika so rückständig? / Traditionelle und moderne Medizin / Tod eines englischen Touristen / Zwei Damen aus Deutschland sind entsetzt über Afrika / Demütigung wegen traditioneller Kleidung / Die Griots singen nur noch Loblieder / Kann man vom Djembe-Spiel leben? / Ich bin als Afrikaner geboren, aber …
Lebensbedingungen und Ökologie, damals und heute
Kinder singen Lieder gegen die Abholzung / Plastikmüll / Das Wasser wird immer knapper / Gorillageschichte / Elefantengeschichte e: Der Jäger Senba Faa Mamady Kourouma / Stachelschweingeschichte: Der Jäger Bala Faa Sory Doumbouya / Wahre Geschichte eines Flusspferdes / Die Geschichte vom kleinen Mädchen und dem Flusspferd
ANHANG 1
Liste wichtiger Rhythmen, mit Verweisen auf ihre Erwähnung im Text
Eigene Kompositionen und Arrangements Famoudou Konatés (*)
ANHANG 2
Erläuterungen zu Namen und Begriffen, die häufig im Text vorkommen
ANHANG 3
Famoudou Konatés CDs
ANHANG 4
Literatur und Internetressourcen
Fotonachweise
Thomas Ott: Vorwort. Wie dieses Buch entstanden ist
Dieses Buch ist aus einer großen Zahl autobiografischer Notizen hervorgegangen, die der Musiker Famoudou Konaté aus dem westafrikanischen Land Guinea über viele Jahre in französischer Sprache angefertigt hat. Ich übernahm die Aufgabe, diese Aufzeichnungen zu redigieren, zu ordnen und sie zu einem Buch zusammenzustellen. Dies nahm einige weitere Jahre in Anspruch. Das Buch gliedert Konatés Notizen nun in autobiographisch-erzählende, musik- und kulturbeschreibende und reflexive Kapitelinhalte. Es erscheint zunächst in deutscher Sprache.
Wenn Famoudou Konaté über dieses Projekt spricht, betont er gern, dass er Lesen und Schreiben erst im Erwachsenenalter gelernt hat, als er schon auf Welttournee mit den »Ballets Africains de la République de Guinée« war. Denn in seinem Heimatdorf im westafrikanischen Guinea gab es keine Schule. Er wäre nicht einmal Berufsmusiker geworden, hätte es 1958 nicht den großen historischen Einschnitt gegeben: die Befreiung seines Landes von der französischen Kolonialherrschaft. Bei den Malinké, seiner Volksgruppe, mussten Angehörige seiner sozialen Klasse (der »Edlen«) traditionell das Musizieren aufgeben, sobald sie heirateten – auch wenn sie, wie Famoudou Konaté, schon beträchtliches Renommee als Musiker erworben hatten. Er war 18 Jahre alt, als die Unabhängigkeit kam, und schon bald danach zogen Regierungskommissionen durch das Land, auf der Suche nach hochbegabten Musikern, Sängerinnen, Tänzerinnen und Tänzern. Ein paar Dutzend junge Menschen wurden für die Ballets Africains ausgewählt und dienstverpflichtet. Das Ensemble war eines der Prestigeprojekte, mit denen der neue Präsident Ahmed Sékou Touré das kulturelle Selbstbewusstsein und das internationale Ansehen des Landes stärken wollte.
Für den Djembe-Spieler (oder, wie er bei den Malinké heißt, djembeföla) Famoudou Konaté bedeutete dies: Er durfte Musiker bleiben. Er wurde erster Solist dieses Ensembles und reiste mit ihm 25 Jahre lang um die Welt. Dann, nach Sékou Tourés Tod 1984, endete die politisch motivierte Förderung der Künste, es gab Konflikte im Ensemble, und Famoudou Konaté blieb eigentlich nur die Perspektive, als Trommler und Landarbeiter nach Oberguinea zurückzukehren, in sein Heimatdorf Sangbaralla in der Region Hamana. Aber nun erlebte er die zweite glückliche Wendung seines Lebens. Denn mit dem Ende der Touré-Herrschaft löste sich das Land aus seiner strikten Ostblock-Orientierung und öffnete sich politisch nach Westen. Jetzt kamen, zunächst vor allem aus Deutschland, junge Musikerinnen und Musiker nach Guinea, leidenschaftliche Verehrer afrikanischer Musik, die von Famoudou Konaté gehört hatten. Sie nahmen bei ihm Unterricht und organisierten für ihn Konzerte und Workshops in Deutschland und benachbarten Ländern. Famoudou Konaté konnte sich als freier Lehrer und konzertierender Musiker selbständig machen. Ähnlich erging es Konatés zehn Jahre jüngerem Kollegen und Freund Mamady Keïta aus der Nachbarregion Siguiri, der mit 14 Jahren für ein Parallelensemble, das »Ballet National Djoliba de la République de Guinée«, entdeckt worden war – und nach seinem Abschied von dieser Truppe nun ebenfalls großen Erfolg als Lehrer, Musiker und »Promoter« der Malinké-Musik hatte. Bis heute sind viele jüngere Musiker Konaté und Keïta gefolgt. Denn das inzwischen weltweite Interesse an der Musik der Malinké in Guinea nimmt immer noch zu.
Die Djembe, eine einfellige Bechertrommel, ist so etwas wie das Leitinstrument in der an Instrumenten und Stilen reichen Musikkultur der westafrikanischen Mande-Völker, zu denen auch die Malinké gehören. Die globale Karriere der Djembe in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – nicht nur in verschiedenen afrikanischen Musikstilen, sondern auch im internationalen Pop und sogar in der modernen E-Musik – ist einzigartig. In vielen Schulen der Welt gehört die Djembe mittlerweile zur Grundausstattung des Musikunterrichts. In Famoudou Konatés und Mamady Keïtas Heimat steht sie im Zentrum eines Trommelensembles, zu dem auch bis zu vier Basstrommeln gehören – zweifellige Zylindertrommeln unterschiedlicher Größe und Klanghöhe mit aufgeschnallten Eisenglocken. Für dieses Ensemble gibt es ein großes
Famoudou Konaté 2009
Repertoire an Rhythmen, Tänzen und Liedern. Die kulturelle Globalisierung führt dazu, dass lokale Traditionen sich abschwächen, während sie anderswo auf der Welt ein »zweites Dasein« erleben. So ergeht es auch der Musik aus Famoudou Konatés Heimat. Ihm ist sehr daran gelegen, dass die Standards, der Geist und die Botschaft seiner Musik, in die er als Kind und Jugendlicher hineingewachsen ist, durch diese Entwicklung nicht verwässert werden.
Auch deshalb beschloss Famoudou Konaté eines Tages, sein Wissen in Notizen festzuhalten, aus denen dann dieses Buch wurde.
Ich hörte ihn zum ersten Mal 1993 im Berliner »Haus der Kulturen der Welt«, mit seiner damaligen Gruppe »Hamana Diara«, und erlebte das farbige Klangbild seiner Musik, die komplexe Rhythmik, das Zusammenspiel der Djembe-Trommeln und der drei Basstrommeln, die Einheit von Rhythmus, Tanz und Gesang wie aus einem Guss. Besonders reizvoll war, wie Famoudou Konatés Solospiel über allem schwebte: die Leichtigkeit, mit der seine Hände, die sich kaum zu bewegen schienen, Rhythmusgestalten von großer Schönheit modellierten. Durch seine Musik hindurch schien er direkt mit dem Publikum zu sprechen. Zum Schluss hielt er sogar eine kleine Rede auf Deutsch. Die Begeisterung im Saal war groß.
Konzert in Bonn 2019: v.l. Siré Doumbouya (Tanz), Griotte Aicha Kouyaté (Gesang), Billy Konaté (dundunba), Famoudou Konaté (Djembe), Diarra Konaté (sangban), Babara Bangoura (Djembe), Dino Chinopoulos (kesedenen)
Im Jahr darauf begegnete ich Famoudou Konaté wieder, nun persönlich. Mein Kollege Volker Schütz, Professor für Musikpädagogik in Würzburg und wichtiger Wegbereiter afrikanischer Musik in der deutschen Musikpädagogik, hatte ihn zu einem Workshop ins westafrikanische Land Gambia eingeladen. Hier, im »Boucarabou Hotel« im Dorf Kerr Sering, konnten Musiklehrerinnen und Musiklehrer aus Deutschland die damals bei uns noch ziemlich unbekannte Musik Westafrikas kennenlernen und studieren – bei Musikerinnen und Musikern, Tänzerinnen und Tänzern der Region. Famoudou Konaté kam aus dem Nachbarland Guinea zu uns, wir alle erwarteten ihn neugierig und lernten ihn als zugewandten, sympathischen und humorvollen Menschen und als guten Pädagogen kennen, dem es Freude machte, mit uns Anfängern zu arbeiten. Er reagierte mit Witz auf unsere Fehler und brachte uns seine komplizierte Musik mit einer ausgetüftelten Methodik nahe, die uns den Weg vom Leichten zum Schwierigen ebnete. Immer wieder erlebten wir, wie die Musik schließlich groovte und Konaté eine seiner magischen Soloimprovisationen darüber spielte – zur Belohnung sozusagen. An den langen Abenden erzählte er aus seinem Leben – immer neue Geschichten aus seinem Dorf und von seinen vielen Reisen, hochtheatralisch, voller Witz und Weisheit. Schon damals wurde mir klar, welch großen Erfahrungs- und Wissensschatz Famoudou Konaté in sich trug. Schon damals schlug ich ihm vor, das alles doch einmal aufzuschreiben.
Workshop in Gambia
In den folgenden Jahren organisierte ich selbst die Workshops im Boucarabou Hotel, und regelmäßig war Famoudou Konaté dabei. Wir lernten uns immer besser kennen. Schon bald nach unserer ersten Begegnung entstand der Plan zum Buch »Rhythmen und Lieder aus Guinea« mit vielen Informationen zu seiner Musik, einer Auswahl von Rhythmen, methodischen Hinweisen und einer Begleit-CD. Um sie aufzunehmen, reiste ich im Dezember 1995 mit dem Tonmeister Thomas Goldhahn nach Guinea. Die Aufnahmen in Famoudou Konatés Haus in der Hauptstadt Conakry, im nachbarschaftlichen Milieu einer afrikanischen Vorstadt, sind mir unvergesslich, auch weil ich bei dieser Gelegenheit seine Familie kennenlernte. Seine Söhne Billy, Diarra, Fodé und Ibro – damals fast noch Kinder, heute selbst erfolgreiche Musiker und Lehrer – spielten und sangen bei den Aufnahmen mit, ebenso wie seine Töchter Diaka, Fanta, Bintou, Koria und Koulako und seine Schwiegertochter Siré. Das Buch war eigentlich für deutsche Musikpädagogen gedacht. In der internationalen Szene verbreitete sich aber schnell die Nachricht, dass Famoudou Konaté ein Buch herausgebracht hatte. Er war damals schon eine »Legende«, von der es aber nur eine einzige CD gab. So entstanden schnell eine englische und eine französische Übersetzung.
Bald lud ich Famoudou Konaté nach Berlin zu Workshops an die Hochschule (heute: Universität) der Künste ein, wo ich Musikpädagogik lehrte. Auch hier war die Freude über seine Musik, seine Menschlichkeit und seine pädagogischen Fähigkeiten groß, und schließlich beschloss die Hochschule, ihn zum Honorarprofessor (Professor ehrenhalber) zu machen.
Famoudou Konaté und Thomas Ott, Gambia 1995
Famoudou Konaté und seine Musik waren für mich die Brücke nach Afrika überhaupt. Getreu der Weisheit »Wer nur etwas von Musik versteht, versteht auch von Musik nichts« hatte ich bald angefangen, mich mit politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problemen Afrikas zu beschäftigen. Bei unseren Aufenthalten hatten meine Frau Eva und ich immer auch lokale Schulen besucht und in Partnerschaften eingebunden. 2000 bis 2003 bekamen wir die Chance, hauptamtlich ein Bildungsprojekt der »Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ)« in Guinea zu betreuen – allerdings nicht in Famoudous Heimatregion Kouroussa, sondern in Labé, der Hauptstadt der Gebirgsregion Fouta Diallon. Die dort lebende Volksgruppe der Peulh (Fula) unterscheidet sich kulturell erheblich von den Malinké im Nordosten des Landes, zu denen Famoudou Konaté gehört. Zwei musikalisch völlig unterschiedliche Kulturen lagen nur wenige Autostunden voneinander entfernt. Der ethnische Gegensatz der beiden Gruppen, so die tägliche Erfahrung, prägte die spannungsreiche politische Situation im Land (und prägt sie bis heute). Guinea, wie wir es nun erlebten, war alles andere als das exotische Paradies, das manche Freundinnen und Freunde afrikanischer Musik sich vorstellen. Sondern es war eine Diktatur, getarnt hinter der Fassade pseudodemokratischer Institutionen und Strukturen. Der damalige Präsident Lansana Conté, 1984 durch einen Militärputsch an die Macht gekommen, war Garant für den Stillstand der ökonomischen und sozialen Situation. Er starb 2008. Heute hat Guinea eine zivile Regierung. An der Gesamtsituation des Landes – hohe Arbeitslosigkeit, vor allem unter Jugendlichen, verfallende Infrastruktur, Lähmung privater Initiativen in vielen Bereichen, Korruption – hat sich kaum etwas geändert. Wer mehr über die Geschichte und die aktuelle Situation Guineas erfahren will, der/dem sei das Buch Guinea – Masks, Music and Minerals von Bram Posthumus (2016, siehe Anhang 4) empfohlen. Es enthält auch ein Kapitel über den »unauflöslichen Zusammenhang von Musik und Politik« mit der detailreichen Darstellung der Situation vor und nach der Unabhängigkeit 1958, aus der auch die Ballets Africains de la République de Guinée und parallel das Ballet National Djoliba de la République de Guinée in ihrer Funktion als internationale Aushängeschilder für das Land Guinea hervorgingen.
Famoudou Konaté macht an vielen Stellen seines Buches keinen Hehl daraus, dass er die Situation und die Zukunftsperspektiven seines Landes pessimistisch sieht. Und was er – im letzten Teil des Buches – über den ökologischen Niedergang seiner einst blühenden, an Wildtieren reichen Heimatregion zu sagen hat, ist deprimierend.
Als wir Anfang 2000 nach Guinea zogen, hatte Famoudou Konaté längst mit seinen Aufzeichnungen begonnen. Er arbeitete daran von 1997 bis 2014 – also mehr als anderthalb Jahrzehnte. Er schrieb in dieser Zeit auf, was ihm gerade wichtig war: eine Erinnerung an seine Kindheit, eine Frage seiner Schülerinnen und Schüler, die ihn weiter beschäftigte, Informationen zu einem Rhythmus, eine neue Erfahrung, die er festhalten wollte. Jedes Mal griff er dann zum Stift oder setzte sich an seine Reiseschreibmaschine. Im Laufe der Jahre schrieb er einige hundert Notizen, manchmal wenige Zeilen, oft eine bis zwei Seiten. Er stellte sich von Anfang an vor, dass aus diesen Blättern am Ende ein Buch werden könnte, denn seit seinem Weggang von den Ballets Africains bemühte er sich, möglichst viel von seinem kulturellen Wissen und seinem musikalischen Können zu dokumentieren, für seine Kinder und Enkel, seine Schülerinnen und Schüler und überhaupt für alle, die sich für seine Musik und ihren kulturellen Kontext interessierten. Deshalb auch die vielen sorgfältig arrangierten und aufgenommenen Rhythmen und Lieder, die er auf bisher neun CDs veröffentlicht hat.
Am Schreibtisch
Einige Zeit vor Abschluss seiner Aufzeichnungen bat er mich, die Notizen zu lesen und zu einem Buch zusammenzustellen. Das Projekt interessierte mich sehr, vor allem natürlich, weil ich selbst zu seinen Schülern und zu den »Fans« seiner Musik gehöre. Ich fand es aber auch neu und ungewöhnlich, dass hier ein afrikanischer Musiker über sich selbst schrieb, dass er seine Erinnerungen an zum Teil weit zurückliegende Zeiten festhielt, dass er aus eigenem Erleben seine Musik, seine Kultur und seine Weltsicht beschrieb – eine interessante Ergänzung zu dem, was normalerweise Musikethnologen als externe Feldforscher tun. Famoudou Konatés subjektiver und direkter Blick auf seine Kultur und seine Musik schien mir eine wichtige Vertiefung der objektivierenden wissenschaftlichen Außensicht zu sein – wie sie z. B. in Eric Charry’s beeindruckendem und gründlichem Standardwerk Mande Music – Traditional and Modern Music oft the Maninka and Mandinka of Western Africa aus dem Jahr 2000 dokumentiert ist (siehe Anhang 4).
Zunächst ging es darum, die Aufzeichnungen richtig zu verstehen. Regelmäßig traf ich mich für einige Tage mit Famoudou Konaté, um Unklarheiten auszuräumen. Mir wurde bald klar, dass ich seine französischen Notizen in meine Muttersprache Deutsch übertragen musste, um stil- und grammatiksicher zu arbeiten. Die deutsche Version sollte dann die Vorlage für spätere englische und französische Übersetzungen sein.
Anfangs hatte ich keine Ahnung, wie man die vielen Aufzeichnungen ordnen und kombinieren könnte. Erst als ich zwei Drittel der Notate durchgearbeitet hatte, schälte sich eine umrisshafte Ordnung heraus. Am Ende ergab sich die Gliederung des Materials in vier Groß- und 33 Unterkapitel.
Im ersten Teil erzählt Famoudou Konaté aus seinem Leben. Er berichtet von seiner Kindheit im Dorf zur Kolonialzeit (die Franzosen waren noch überall präsent), von seiner großen Familie und der eindrucksvollen Figur seines Vaters, von seinen Anfängen als kleiner Trommler und seinem musikalischen Werdegang – und vom großen Sprung in die Welt, als er nach der Unabhängigkeit als Sieger aus dem strengen Auswahlverfahren für die Ballets Africains de la République de Guinée hervorging. Die ereignisreichen 25 Reisejahre mit den Ballets nehmen viel Raum ein, es gibt hier viel Komisches und Groteskes über kleine und große interkulturelle Unfälle zu lesen, aber auch einiges über Begegnungen mit Berühmtheiten aus Politik und Kultur, wie dem zairischen Präsidenten Mobutu und den Beatles. Nicht zuletzt aber auch Empörendes über die künstlerische und menschliche Ausbeutung in diesem Ensemble, die ihn schließlich zum Ausstieg zwang – wobei er nicht ahnte, welche Chancen für ihn in der neugewonnenen Freiheit lagen – in seinem dritten Lebensabschnitt, der bis heute andauert, als konzertierender und sein Wissen und seine Kunst weitergebender Musiker.
Im zweiten Teil beschreibt er seine Herkunftskultur im Allgemeinen – die fest gefügte soziale Ordnung im Dorf mit ihren verschiedenen Berufskasten und Repräsentanten, das System der Altersgruppen (»Generationen«), die Feste und die Masken – und, in weiteren Abschnitten, das Verhältnis der Geschlechter (Jugend, Sexualität, Ehe) und die Allgegenwart von Religion, Animismus, Hexerei. Konaté betont immer wieder, dass all diese Gegebenheiten den Hintergrund seiner Musik bilden, den man kennen muss, wenn man die Tänze, Lieder und Rhythmen richtig verstehen und ausführen will. Vielen dieser Traditionen, die sich allerdings allmählich abschwächen, steht er heute kritisch gegenüber, zumindest ambivalent – denn er hat in seinem langen Leben auch andere Kulturen kennengelernt, deren Gewohnheiten zu dem, was er hier beschreibt, oft in Widerspruch stehen.
Der dritte Teil umfasst alles, was Konaté zur Musik zu sagen hat: zu ihrer Geschichte, ihren Funktionen, zu den Instrumenten und ihrer Verwendung – mit dem Schwerpunkt auf seinem ureigenen Instrumentarium, der Djembe und den drei oder vier Basstrommeln. Hier lenkt er den Blick auf vieles, das auch Kennern seiner Musik vielleicht noch nicht vertraut ist. Besonders wertvoll dürfte für diesen Personenkreis sein, was er zur Spieltechnik und zur musikalischen Gestaltung aufgeschrieben hat, und was er jungen Trommlerinnen und Trommlern mit auf den Weg gibt. Denn die, so Konaté, haben sich oft von ihren kulturellen Wurzeln entfernt und praktizieren ihre Kunst auf eine Weise, die er kritikwürdig findet.
Der vierte Teil (Erfahrungen und Gedanken) enthält und ordnet eine weitere Textsorte aus den Aufzeichnungen. Es sind Reflexionen zu Problemen und Themen, die Famoudou Konaté im Laufe seiner Reisen und seiner vielen Erfahrungen zwischen den Kulturen wichtig wurden: zu den afrikanischen Lehr- und Lerngewohnheiten im Vergleich zu denen der »Weißen«, zu deren oft rücksichtslosem Handeln und Verhalten gegenüber afrikanischen Musikern und ihrer Musik (z. B. was den urheberrechtlichen Anstand betrifft), zum politischen Chaos und zur Umweltzerstörung in seinem Land.
Die Rhythmen, über die sich im Buch viel Erklärendes findet, sind am Ende des Textes alphabetisch und mit kurzen Erläuterungen aufgelistet. Sie sind außerdem mit Kapitelhinweisen versehen: Wer mehr über einen bestimmten Rhythmus wissen will und in das angegebene Kapitel zurückblättert, findet dort Informationen über die Zusammenhänge, denen der Rhythmus entstammt. Man muss sich dabei aber immer klarmachen: Alle diese Rhythmen sind schon lange auf Wanderschaft, sie ändern ihre Funktionen und verbünden sich mit immer neuen Liedern. Und natürlich ist es ein großer Unterschied, ob der Rhythmus kassa zur Feldarbeit in der Nähe von Sangbaralla erklingt oder bei einem Studierendenkonzert in der Kölner Universität.
Auf Notationen wurde verzichtet. Famoudou Konaté selbst hat seine Musik nie notiert. Die einzigen von ihm autorisierten Notationen stehen im Booklet seiner CD »Rhythmen der Malinké« und im Begleitbuch zu »Rhythmen und Lieder aus Guinea«. Wer weitere Notationen zu Famoudou Konatés Musik sucht, wird im Internet schnell fündig, denn seine Schülerinnen und Schüler haben dort im Lauf der Zeit vieles, was sie in Workshops bei ihm, seinen Söhnen oder Kollegen notierten, zusammengetragen. Oft findet sich dabei der Quellenhinweis auf seinen Namen.
Da das Buch aus so vielen kurzen Einzeltexten entstanden ist, kann man beim Lesen durchaus hin- und herspringen und sich das heraussuchen, was einen am meisten interessiert. Allerdings ist es auch so, dass die einzelnen kurzen Abschnitte sich gegenseitig erläutern und mit Sinn anreichern. Am meisten hat man sicherlich von der Lektüre, wenn man diesen Sinnzusammenhängen nachgeht. Und wenn man längere Passagen oder gar das ganze Buch durchliest, wird man viel Neues und Überraschendes erfahren. Vor allem aber wird man staunen, wie vielschichtig und komplex die (Musik-)Kultur eines afrikanischen Dorfes sein kann (konnte?) und welch ein reiches, tätiges Leben hinter Famoudou Konaté liegt.
Man sollte nicht vergessen, dass sich Konatés Aufzeichnungen über viele Jahre hinzogen. In einer solchen Zeitspanne können sich Ansichten und sogar Erinnerungen allmählich verändern. Wer genau liest, dem werden Widersprüche da und dort nicht entgehen.
Famoudou Konaté mit Tänzern in seinem Heimatdorf 2012
Manche dieser Widersprüche rühren auch daher, dass hier einer schreibt, der (wie bereits gesagt) tief in seiner eigenen Kultur wurzelt, aber einen erheblichen Teil seiner Lebensspanne außerhalb Afrikas verbracht hat. Durch den ständigen kulturellen Perspektivwechsel sieht er manches in der Welt der »Weißen« kritisch. Ihm ist aber auch vieles an seiner eigenen Kultur, wie er sie hier beschreibt, fragwürdig geworden (deutlich wird dies vor allem in weiten Passagen des zweiten, aber auch des vierten Teils). Dennoch ist überall spürbar, wie sehr er dieser Kultur in den Tiefen seines Denkens und Fühlens verbunden geblieben ist. Es ist die Kultur seiner Kindheit.
Nicht zuletzt haben sich in anderthalb Jahrzehnten – und erst recht in den 60 Jahren, die seit Famoudou Konatés erstem Abschied von seinem Dorf vergangen sind – auch die sozialen und kulturellen Gegebenheiten geändert, wie er sie in diesem Buch dargestellt hat. Vieles ist in dieser Zeit, er betont es selbst mehrfach, ins Rutschen gekommen – bedingt durch den politischen und wirtschaftlichen Wandel im Land und weltweit. Die Globalisierung hat auch von Konatés Heimatregion Hamana und von seinem Dorf Sangbaralla Besitz ergriffen. Dennoch beschreibt Famoudou Konaté vieles im »ethnografischen Präsens« (… bald nach Sonnenaufgang ziehen die Trommler durch das Dorf … etc.). Man sollte bei solchen Formulierungen den Wandel, den schon eingetretenen und den vielleicht noch bevorstehenden, immer mitdenken. So wie es auch die Djembe, die wir heute kennen, in dieser Form erst seit den 1970er Jahren gibt. Vorher war sie anders gebaut, und sie klang auch anders. Famoudou Konaté beschreibt es genau.
Ohne die vielen eingestreuten Liedtexte und Sprüche auf Malinké würde diesem Buch etwas Entscheidendes fehlen. Bei ihrer orthographischen Überarbeitung und wörtlichen bzw. sinngemäßen Übersetzung half Mamadou Camara, früher Professor für Linguistik an der Université Gamal Abdel Nasser de Conakry und Herausgeber des Handbuchs »Parlons Malinké« (Harmattan).
Dies ist Famoudou Konatés Buch, und die Rolle des Herausgebers war, es herauszugeben – und nicht, seine Aussagen wissenschaftlich zu hinterfragen und einzuordnen, sie mit Exkursen und Kommentaren zu versehen. Dies kann und wird anderenorts geschehen. Trotzdem scheint es mir angebracht, im Anhang ein paar skizzenhafte Zusatzinformationen zu wichtigen Personen und Begriffen zu geben, die Konaté immer wieder erwähnt, ebenso wie Hinweise auf wenige ausgewählte, vor allem englischsprachige Literaturtitel zur weiteren Thematik. Auch die wichtigsten Internet-Ressourcen sind dort zu finden.
Meine Anfänge als Trommler, Kindheitserinnerungen
Frühe Versuche
Meine Kindheit verbrachte ich im Dorf bei meinen Eltern und meiner großen Familie. Meine Erinnerungen an unser Dorf sind reich und lebendig. Das dörfliche Zusammenleben ist bei den Malinké von Menschlichkeit und Solidarität geprägt. Es ist die Quelle unserer Werte und Traditionen, die Quelle auch meiner eigenen musikalischen Einfälle, seit ich meiner Mutter unter den Füßen herumkrabbelte.
Sie erzählte immer, dass ich ganz früh damit anfing, Kalebassen und alle möglichen leeren Kisten und Schachteln im Dorf einzusammeln und darauf zu spielen. Trommeln war meine liebste Beschäftigung. Meine Eltern beobachteten mich dabei. Mit ihrer langen Lebenserfahrung konnten sie die Zukunft eines Kindes daran erkennen, womit und wie es spielt, und sie sahen in meinem Treiben etwas noch halb Verborgenes, das aber später einmal klar hervortreten würde. Ich war wohl drei oder vier Jahre alt, da bestellte mein Vater eines Tages bei seinem Schmied, Ansoumane Daman, eine kleine Djembe – aus dem Holz des bounboun-Baums, denn das war sehr leicht, wenn es nach dem Fällen lange genug trocknete. Es ist ganz weiß, man kann es aber auch rot einfärben. Der Schmied beeilte sich mit der Arbeit, und mein großer Bruder Kèkörönin konnte schon bald das Fell und die Bespannung aufmontieren. Nun, mit meiner eigenen Djembe, ging es musikalisch langsam, aber sicher voran. Mein Erfolg sprach sich im Dorf herum. Mein Onkel Modifin, ein alter Djembe, sagte zu meinem Bruder, der selbst ein guter und gefragter Trommler war: Kèkörönin! Du bist ein Trommler mit geschickten Händen, aber Dein kleiner Bruder hat den Rhythmus im Blut! Er ist mit einem besonderen Stil geboren, und eines Tages wird er Dich überrunden! Bald kam ich in das Alter, tagsüber meinen Vater auf das Feld und auf die Jagd zu begleiten. Kaum war ich wieder im Dorf, begann ich zu trommeln, und alle wussten: Famoudou ist wieder da!
Kleiner Trommler
Als ich sechs oder sieben Jahre alt war, spielte ich zum ersten Mal bei einer Zeremonie. In meiner Heimat ist jede gemeinschaftliche Hilfsaktion von Musik und Tanz begleitet, als Ausdruck der Freude über die Solidarität der Dorfbewohner. In diesem Fall ging es darum, das Dach eines Hauses zu reparieren, in dem die Frauen sich regelmäßig trafen. Man nennt so ein Haus bölön (= Halle). Die alten Frauen schickten eine Delegation zu meinem Vater und baten ihn, mich bei ihrer Feier spielen zu lassen. Sie brachten ihm zehn Kolanüsse mit, wie es in solchen Situationen bei uns üblich ist: eine Respektsbekundung, die alle Türen öffnet. Mein Vater sagte: Ihr wollt, dass Famoudou auf der Djembe spielt? Aber er ist doch noch so klein, er kann die Trommel noch nicht mal zum Festplatz tragen! Die Frauen sagten: Das werden wir schon regeln. Mein Vater wurde weich und gab ihnen sogar eine unserer Familien-Djemben mit. Die war so groß, dass ich eigentlich noch gar nicht darauf spielen konnte, aber die Frauen sagten: Leg sie einfach hin und setz dich drauf, wie ein Reiter! Am Festplatz machte ich erst mal fachgerecht ein Feuer, um die Djembe aufzuheizen. Das ist die alte Methode, das Fell zu spannen und den Klang zu verbessern. Die vielen verschiedenen Rhythmen, die meine kleinen Hände auf der Trommel produzierten, lockten die Dorfbewohner herbei, die ihrem neuen djembeföla (Djembespieler) aus der Nähe zuhören wollten. Das Fest wurde ein großer Erfolg, alle waren begeistert, und denen, die dabei waren, hat sich dieses Ereignis wie mit goldenen Buchstaben ins Gedächtnis eingeprägt. Anschließend brachte mich eine noch größere Frauendelegation zurück zu meinem Vater. Sie dankten ihm und sparten nicht mit Lobesworten, als ob ich eine Heldentat vollbracht hätte. Ich war glücklich und stolz, ebenso wie meine Mutter – umso mehr, weil die alten Damen, die so anerkennend über ihren Sohn sprachen, sich schon im ehrwürdigen Alter ihrer eigenen Mutter – meiner Großmutter – befanden. Meine Mutter sagte: Ich habe es nicht anders erwartet. Dein Vater und ich haben es vorausgesagt, als du noch auf den Kisten gespielt hast. Gott schütze dich, Amen! – Die Erinnerung an dieses Ereignis, das auch mir zum ersten Mal meine Kraft und mein Talent zeigte, elektrisiert mich immer noch, wenn ich daran denke. Ich habe dabei zum ersten Mal erfahren, was ich meiner kleinen dörflichen Gesellschaft verdankte – und bis heute verdanke.
Nachwuchs
Die Djembe in meiner Familie
Die Djembe ist ein Instrument mit immensen musikalischen Möglichkeiten. Bei den großen und kleinen Festen und Vergnügungen im ist sie unentbehrlich.
Als ich nach meiner Geburt die Augen öffnete, erblickte ich zwei Djemben, die mein Vater von den Schmieden für meine älteren Brüder hatte bauen lassen, die darauf bei feierlichen Anlässen spielten.
Als ich geboren wurde, spielten meine Brüder also schon auf der Djembe. Das waren die ersten Klänge, die meine kindlichen Ohren wahrnahmen, Klänge, die bis heute in meinem Herzen aufbewahrt sind wie eine Liebe, wie etwas hoch Verehrtes. Ich wurde in alle unsere Künste eingeführt – aber nie habe ich diese beiden geliebten Djemben vergessen, die mir in meiner frühen Kindheit den Weg in die große Welt der Musik und der Kunst geöffnet haben.
Für meinen Vater waren diese beiden Djemben ein Geschenk an unsere Kindheit und Jugend. Aber in meinem Fall bedeutete dieses Geschenk mehr. Sehr früh sah er in meinem Trommeln den Stern meiner Bestimmung. Er bewunderte mich, wenn ich spielte. Ich bin sicher: Hätte er länger gelebt, immer hätte er meine Kunst gefördert.
Unsere Familien-Djemben waren etwas Besonderes. Als meine Brüder sie mir übergaben, erzählten sie mir von ihrer verborgenen Kraft, die ihnen die Gris-Gris (die Zaubermittel) meines Vaters verliehen hatten. Sie sagten zu mir: Wenn du auf ihnen spielst, wirst du Töne hören, die Du noch gar nicht kennst! Und wirklich: Sie trugen mich hinweg in das Königreich der Klänge, und ich hatte Erfolg. Wenn ich bei Festen auf ihnen spielte, produzierten sie Melodien, die eigentlich über meine Fähigkeiten zu dieser Zeit hinausgingen. Es war, als ob diese überraschenden Klänge, diese Melodien gar nicht aus mir selbst kamen. Sie prägten sich mir tief ein, und auch meine heutigen Inspirationen gehen immer noch auf diese alten Djemben zurück. Eine von ihnen begleitete mich auch in die Ballets Africains – sie war die Quelle meiner Kunstfertigkeit, wo immer ich auftrat. Als sie irgendwann defekt und nicht mehr zu gebrauchen war und ich auf einer neuen spielte, sah ich in ihr immer noch etwas Heiliges. Ich verehrte und hütete sie weiter.
Ein »Edler« kann eigentlich nicht Trommler werden
Dass ich einmal die Musik zu meinem Beruf machen sollte, wurde mir nicht an der Wiege gesungen. In unserer Tradition sind eigentlich die Schmiede (die die Trommeln bauen) und die Griots (die Geschichtenerzähler) für die Musik zuständig. Wer Konaté heißt (wie ich) oder auch Keïta (wie mein Kollege und Freund Mamady), gehört zu den hörön (den Edlen), deren Familiengeschichte bis zu Soundiata Keïta zurückreicht, dem Gründer des Mali-Reichs im 13. Jahrhundert. Sie gehörten zum königlichen Hofstaat. Während die Schmiede und Griots in unserem Dorf mit der Musik Geld verdienten, trommelten wir Konatés zu unserem eigenen Vergnügen. Das hatte auch damit zu tun, dass meine Familie zunächst fern vom Dorf auf ihrem Landstück Manin Toda lebte und die großen Feste wie Ramadan und tabaski unter sich feierte – weit aufwendiger als die Leute in Sangbaralla. Später zog mein Vater mit den Seinen ins Dorf, und die Instrumente zogen mit. Meine Brüder und ich trommelten dann auch bei Dorffesten, nahmen aber nie Geld dafür.
Eine Regel galt jedoch in unserer Familie: Sobald wir heirateten, mussten wir mit dem Trommeln aufhören. Denn die Familien, aus denen die Bräute kamen, hätten nie einen Trommler als Schwiegersohn akzeptiert. Ich bin mit der Djembe groß geworden, und Gott gab mir die Chance, dieser rigorosen Regel meiner Familie zu entgehen – obwohl mir sogar mein ältester Bruder Malon Kèkörö das Djembespiel eine Zeitlang verbot. Die Zeiten haben sich geändert, und in der Welt der Moderne ist es kein Problem für mich, bis ins Alter zu trommeln. Dafür muss ich auch den Weißen danken, die mir geholfen haben, die Musik der Malinké weiterzutragen und zu pflegen. Heute gilt die alte Verbotsregel überhaupt nicht mehr.
Loblieder der Mädchen
Meine Beliebtheit im Dorf wuchs seit meiner Kindheit ständig. Wie meine großen Brüder sagten, war das von Anfang an so, auch schon zu der Zeit, an die ich mich nicht erinnern kann. Das bedeutete, dass alle sich um mich kümmerten, sogar die Mädchen des Dorfes. Ich war so populär, dass sie mir viele Lieder widmeten, meist Liebeslieder. Bei Vollmond, wenn die Jugend sich zum Singen traf, sangen die Mädchen zu meinen Ehren und zu Ehren meiner Familie.
Hier ein erstes Lied, an das ich mich noch erinnere:
Kinin ba tibi, kininba ladiyatö le nyaatari! kodii! Koriyamudu ma, sobo bantö damunna, koduman tè; ko Jööransana ani Koriyamudu ni Kansere, al’a lalön kè la woo! Kèlè bara kè Konatelu sawo di; I’janbanna woo soo; I’mirila munde ma, kèlè bara kè Konatelu sawo di.
Wenn man ein Reisgericht macht, ein großes Reisgericht, dann soll es gut schmecken. Wenn Koriyamudu (Famoudou) noch nicht vom Fleisch gegessen hat, lässt man es ihm übrig. Denn es schmeckt ja so gut! Jööransana, Koriyamudu und Kansere sagen den Leuten: Der Streit hat nichts mehr mit dem Krieg zu tun. Sondern man versucht den Menschen mit seiner Kunst zu gefallen und die anderen dabei zu überbieten! So haben es die Konaté gewollt.
Die Mädchen erfanden dieses Lied, um meinen Brüdern und mir für die Freude zu danken, die wir ins Dorf brachten.
Hier ein weiteres dieser Lieder:
Eh! li we! li we! woro wo!
Famudu ba wa taama rö, n fanan di wa;
N ma dunya laban lön.
Das ist Honig, guter Honig! Wie die Kolanuss!
Wo Famoudou auch hinreist, ich komme mit!
Auch wenn es irgendwann bis ans Ende der Welt geht!
Dieses Lied hat mir wirklich Glück gebracht, bin ich doch – was ich damals noch gar nicht ahnte – etliche Male mit den Ballets Africains de Guinée und später auf meinen eigenen Flügeln um die Welt gereist. Ich bin ein großer Reisender geworden – weil die Mädchen damals so schön für mich gesungen haben.
Bei uns singt man nämlich nicht nur, um zu singen, sondern weil man jemandem in einer bestimmten Situation etwas wünscht. Wenn ein Lied schlechte Worte für eine Person enthält, kann es dauerhaft Unglück in sein Leben hineintragen. Etwas, das man unbedingt vermeiden muss. In unserer Nachbarschaft wohnte ein Mann namens Nanaman Doumbouya. Für ihn sangen die Mädchen eines Tages ein Lied, in dem es um ein Unglück mit einer Piroge (einem Einbaum) ging. Bald wurde er krank, und eine Piroge brachte ihn in die Bezirkshauptstadt Kouroussa zur Behandlung. Die Ärzte konnten ihm nicht helfen, und er starb. Eine Piroge brachte ihn zur Trauerfeier zurück ins Dorf. Das Lied der Mädchen erwies sich als Voraussage seines Unglücks. So kann der Inhalt eines Liedes entweder Glück (kayira auf Malinké) oder Unglück (nörö) voraussagen und auch wirklich herbeiführen, selbst wenn die Singenden das nicht beabsichtigten. Die Bewohner von Hamana haben jedenfalls großen Respekt vor den Liedern der Frauen und glauben an ihre Wirkungen.
Trommeln und Tanzen gegen den Hunger
Am Ende der Regenzeit, von Anfang August bis Ende September, sind die Speicher entleert, und die erste Ernte ist noch nicht angekommen. Wir nennen diese Zeit période de soudure, die Zeit des Engpasses. Nur einige wohlhabende Familien litten nicht darunter. Im Allgemeinen wussten die Mütter und Väter nicht ein noch aus, in Sorge um ihre Kinder. Trotz aller ihrer Bemühungen hatten die Kinder Hunger, denn man aß nicht genug: nur einmal am Tag. Deshalb griff ich zu meiner Djembe – und kaum hatte ich sie zum Sprechen gebracht, stürmten die Dorfkinder unser Grundstück. Sie versammelten sich um mich herum, lachten und tanzten. Das rührte die Herzen der Eltern. Wenn ein Kind müde wurde, schlief es in einer unserer Hütten, wo die Mutter es abholte. Mein Vater war über diese Belagerung seines Grundstücks nicht böse, denn es beherbergte an sich ja schon jede Menge Kinder und Enkelkinder, die vielen Adoptivkinder nicht mitgezählt. An anderen Tagen organisierten wir das dooni-dooni, ein sehr beliebtes Spiel. Aufgereiht wie an einem Seil, sangen wir das Lied:
Naanaalen sila rakurunèn de;
An taa bonba la.
Der Flug der Schwalbe ist gewunden.
Lasst uns alle ins große Haus gehen!
Kindertanz
Ich helfe einer alten Dame über den Fluss
Die Bewohner des Dorfes Sangbaralla müssen mit ihren Einbäumen den Fluss Djoliba überqueren, um zu ihren Feldern zu gelangen. Wer sich abends bei der Feldarbeit verspätet, wird vielleicht erleben, dass die Boote schon alle ins Dorf zurückgekehrt sind. Man muss dann laut rufen, damit man von einem Freiwilligen mit dem Einbaum abgeholt wird. Viele wagen sich nicht hinaus, aus Angst vor den Flussdämonen, von denen es heißt, dass sie manchmal selbst zum Schein solche Rufe ausstoßen, um denen, die zu Hilfe eilen, zu schaden. Man muss also Glück haben, damit ein Dorfbewohner mit der Piroge kommt, um einen abzuholen, denn manche, die deshalb übersetzten, wurden das Opfer der Dämonen. Alle sind ängstlich, dass ihnen das auch passieren könnte.
Ich erinnere mich, dass ich einmal nachts eine Frau vom anderen Flussufer geholt habe. Ich weiß nicht mehr, wie alt ich damals war, vielleicht 14, auf jeden Fall war ich noch nicht initiiert, und eigentlich war ich noch nicht stark genug, um eine Person mit dem Einbaum über den Fluss zu bringen.
Die Frau hieß Daloba Condé, sie hatte sich wegen der vielen Arbeit auf ihrem Feld verspätet. Sie rief bis zur Erschöpfung um Hilfe. Da aber alle Angst hatten, kam niemand. Trotz meines jungen Alters hatte ich Mitleid mit ihr. Obwohl es schon sehr spät war, fasste ich mir ein Herz und bat meinen Freund Fadama Traoré, mitzukommen und sie zu holen. Wir zündeten Strohfackeln an, um den Weg zum Fluss zu finden. Dann überquerten wir ihn mit dem Einbaum und nahmen die arme alte Dame an Bord. Als wir das Ufer beim Dorf erreicht hatten, lobte und segnete sie uns immer wieder, um uns ihre Dankbarkeit zu zeigen. Die Erinnerung an dieses Ereignis hat sie immer bewahrt.
Bootsanlegestelle
Meine Initationsfeier war etwas Besonderes, weil ich nicht – wie üblich – in der Gruppe, sondern allein initiiert wurde. Am Tag vorher bereitete man das Fest vor und übte mit mir einen sehr schönen Tanz ein. Bei der Feier tanzten alle bis zum frühen Morgen – und dann sang diese alte Frau ein sehr schönes Lied für mich, um noch einmal ihre Dankbarkeit zu zeigen:
Iyo n kanin wo,
Dunya böra kanin ma;
Eh! Famudu ka n ta bakö;
Wole n’an kaninna.
He, mein Freund! Die Welt wurde aus Freundlichkeit gemacht.
He! Famoudou hat mich vom anderen Flußufer geholt.
Das hat unsere Freundschaft besiegelt!
Das Lied der alten Dame hat mir sehr gutgetan.
Auf Feldern und Wiesen
Wenn ich meine älteren Brüder und die Adoptivkinder meines Vaters auf das Feld Ködooba begleitete, auf die weite Ebene beim Manimba-Sumpf, hatte ich nur Augen für die eingespannten Ochsen, die sich furchtbar abmühten und schreckliche Qualen litten. Sie schufteten in ermüdendem Rhythmus vom frühen Morgen bis zur Mittagszeit. Ich hörte die Rufe hé! heya! und sah die Peitschen in ihre Seiten schlagen. Die erschöpften Ochsen zogen den Pflug unter großen Schmerzen. Die Peitschen pfiffen durch die Luft, und oft drehte ich den Kopf weg, um dieses Schauspiel nicht mehr sehen zu müssen, das mich überwältigte und mein Herz mit Trauer füllte, so sehr liebte ich diese Tiere. Vor allem liebte ich auch unseren Ochsen Kèwoulen sehr. Diese Tierliebe ist mir bis heute geblieben.
Ob meine Brüder dieses Leid wahrnahmen? Ich zweifelte sehr daran, denn jedes Mal, wenn sie sahen, wie mich meine Trauer und mein Mitleid mit diesen stumm leidenden Kreaturen überwältigten, lachten sie mich aus. Das schockierte mich immer wieder, die ganze Feldarbeitsperiode lang. Ich war erleichtert, wenn wir zur Weide zurückkehrten, und es tröstete mich, dass nun – wie auf uns – auch auf die Tiere eine gute Mahlzeit wartete, nach einem Tag voll endloser Mühe und Plage. Auf dem ganzen Rückweg freute ich mich darauf zu sehen, wie sie die jungen Schösslinge auf den bis zur kommenden Saison brachliegenden Flächen abgrasten.
Einmal beobachtete ich etwas Merkwürdiges. Ein unbekanntes Wildtier gesellte sich zu unserer Herde, graste mit ihr und kehrte in den fernen Wald zurück. Mehrere Tage lang beobachtete ich dieses Tier sehr aufmerksam, ohne irgendjemandem etwas zu sagen. Eines Abends, als wir beim milchigen Schein des Mondes und seiner Sterne um das Feuer herumsaßen, flossen wunderbare und merkwürdige Geschichten von den Lippen meiner älteren Brüder. Als sie von ihren Abenteuern mit wilden Tieren erzählten, unterbrach ich sie und berichtete von meiner Beobachtung. Zunächst wollten sie mich nicht ernst nehmen – bis einer meiner Adoptivbrüder, Sogbèmoudou Camara, bestätigte, dass er das Tier auch schon gesehen hatte. Daraufhin sagte mein Adoptivbruder Ballakè Kourouma: Wenn zwei Personen dasselbe berichten, ist eine Nachprüfung angebracht.