Mein Mann, seine Frauen und ich - Hera Lind - E-Book

Mein Mann, seine Frauen und ich E-Book

Hera Lind

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Beschreibung

Nach ihrer Scheidung genießt Nadia Schäfer die Unabhängigkeit. So lernt sie Karim kennen, einen gläubigen und gebildeten Moslem. Sie lässt sich auf ihn ein, heiratet ihn sogar, weil der Islam Liebe ohne Trauschein verbietet. Dass Karim bereits Frau und Kinder hat und die Ehe fortbesteht, nimmt sie in Kauf, denn er trägt Nadia auf Händen. Sie ziehen in den Oman, wo Nadia nur tief verschleiert aus dem Haus gehen darf. Sie tut es für Karim – ein fürsorglicher Ehemann, der sich auch noch um seine erste Frau kümmert. Bis er eines Tages Ehefrau Nummer drei mit nach Hause bringt …

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Nie hätte Nadia Schäfer gedacht, dass sie für einen Mann ihre Freiheit aufgeben und eine Muslima werden würde. Doch Karim, der eines Tages wie ein Geschenk in ihr Leben tritt, verändert alles. Der kultivierte, gut aussehende Mann aus dem Irak verzaubert sie.Grenzenlos verliebt, glaubt Nadia ihm, dass er einzig sie liebt und seine erste Frau nur aus Anstand nicht verstößt. Als die Großfamilie in den Oman zieht, arbeitet Nadia an Karims Seite für einen Sheikh, natürlich verschleiert bei vierzig Grad im Schatten. Sie erlebt mit Karim traumhafte, leidenschaftliche Ehejahre, deshalb akzeptiert sie die strengen Regeln des Islam und fühlt sich als Königin des Orients. Doch dann ist er immer öfter in Dubai, ihren fünfzigsten Geburtstag verbringt sie allein. Eines Tages steht Karims dritte Frau vor der Tür, für Nadia bricht eine Welt zusammen. Nicht ahnend, dass der Albtraum erst begonnen hat.

HERA LIND

Mein Mann,

seine Frauen

und ich

Roman nach einer wahren Geschichte

Vorbemerkung

Dieses Buch erhebt keinen Faktizitätsanspruch. Es basiert zwar zum Teil auf wahren Begebenheiten und behandelt typisierte Personen, die es so oder so ähnlich gegeben haben könnte. Diese Urbilder wurden jedoch durch künstlerische Gestaltung des Stoffs und dessen Ein- und Unterordnung in den Gesamtorganismus dieses Kunstwerks gegenüber den im Text beschriebenen Abbildern so stark verselbstständigt, dass das Individuelle, Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der Figuren objektiviert ist.

Für alle Leser erkennbar erschöpft sich der Text nicht in einer reportagehaften Schilderung von realen Personen und Ereignissen, sondern besitzt eine zweite Ebene hinter der realistischen Ebene. Es findet ein Spiel der Autorin mit der Verschränkung von Wahrheit und Fiktion statt. Sie lässt bewusst Grenzen verschwimmen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Von Hera Lind sind im Diana Verlag bisher erschienen:

Die Champagner-Diät – Schleuderprogramm – Herzgesteuert – Die Erfolgsmasche – Der Mann, der wirklich liebte – Himmel und Hölle – Der Überraschungsmann – Wenn nur dein Lächeln bleibt – Männer sind wie Schuhe – Gefangen in Afrika – Verwechseljahre – Drachenkinder – Verwandt in alle Ewigkeit – Tausendundein Tag – Eine Handvoll Heldinnen – Die Frau, die zu sehr liebte – Kuckucksnest – Die Sehnsuchtsfalle – Drei Männer und kein Halleluja – Mein Mann, seine Frauen und ich

Copyright © 2017 by Diana Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: t.mutzenbach design, München

Umschlagmotive: © Matthew Pugh/Arcangel; Sergey Kohl,mg1408, Johannes Kornelius, Gina Smith, Pierre-Yves Babelon/Shutterstock

Satz: Leingärtner, Nabburg

Alle Rechte vorbehalten

e-ISBN 978-3-641-20309-2V002

www.diana-verlag.de

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1

Fürth, Oktober 1995

Nebenan klingelte das Telefon.

»Jan?«, schrie ich über die Schulter. »Bist du da?«

Nein. Offensichtlich nicht.

Ich war gerade dabei, mir die Fußnägel zu lackieren, und rappelte mich nur ungern vom Bett auf. Jan war mein Mitbewohner in unserer etwas ungewöhnlichen WG – ein attraktiver Holländer und fünfzehn Jahre jünger als ich. Zwischen uns lief nichts. Aber wenn die Leute etwas anderes dachten, sollte es mir recht sein. Dann war es höchstens schmeichelhaft. Ich war vierundvierzig, geschieden, sportlich, attraktiv und lebensfroh. Meine weiblichen Rundungen saßen an den richtigen Stellen.

Mit Wattebäuschchen zwischen den Zehen stakste ich ins Wohnzimmer, wo das schnurlose Telefon zwischen Kissen und alten Zeitungen in der Sofaritze vor sich hin wimmerte.

Jan mal wieder. Wir hatten doch vereinbart, dass es im Ladegerät zu stecken hatte!

»Nadia Schäfer?«

»Hello, I’m Karim«, sagte eine tiefe, angenehme Stimme auf Englisch. »Du kennst mich noch nicht. Aber ich hoffe, wir werden uns bald kennenlernen!« Ein melodisches Lachen ertönte.

»Äh, woher haben Sie meine Nummer?«

»Abu Omar hat mir von dir erzählt. Ich würde mich gern mit dir verabreden.«

Der sanfte Bariton des gut gelaunten Anrufers umschmeichelte mein Ohr wie warmer Wind an einem lauen Sommerabend. »Abu Omar? Ich weiß jetzt gar nicht …«

»Der Vater eines gemeinsamen Bekannten!«

Ein Fremder begehrte mich zu sehen. Ein ausgesprochen sympathischer Fremder, wie es schien. Mein Herz machte einen nervösen Hopser.

»Warum?« Ratlos presste ich den Hörer ans Ohr. Nichts gegen nette neue Kontakte, dafür war ich gerade empfänglich. Aber dass ein wildfremder Araber mich einfach so kennenlernen wollte, ging mir jetzt irgendwie doch etwas zu weit.

Seit meiner traumhaften Türkeireise mit meinen beiden Freundinnen Conny und Siglinde letzten Sommer, in dem mein Mann Harald nach zwanzig Jahren Ehe ausgezogen war – er hatte längst heimlich eine Freundin und meinen Segen dazu –, hatte mich der Orient in seinen Bann gezogen. Istanbul! Die blaue Moschee! Die alten Sultanspaläste! Welche Geheimnisse sie wohl bargen? Aber auch das heutige Leben, das so unverfälscht und intensiv war: die exotischen Gewürze, das Gewimmel der Menschen auf den Basaren, der Lärm – und dagegen die stille Pracht der Moscheen, in denen so ein heiliger Friede herrschte.

Gemeinsam mit meinen Freundinnen hatte ich die Fremde genossen, den pulsierenden Orient. Harald, mein damaliger Noch-Ehemann, wäre sowieso nicht mitgefahren, er hegte keine Sympathien für die islamische Welt.

Musste er auch nicht, wir gingen nun getrennte Wege. Ich war frei und konnte tun und lassen, was ich wollte.

Und so besuchte ich nach der Reise aus Neugier arabische Kochkurse, interessierte mich für die faszinierende orientalische Welt, versuchte sogar, Arabisch zu lernen, was wirklich ein abenteuerliches Unterfangen war, und hatte mich mit Ali, meinem Volkshochschullehrer und dessen deutscher Frau Moni angefreundet. Letztes Wochenende waren wir spontan zu irakischen Freunden von Ali nach Holland gefahren, um die Sprache zu üben und die sprichwörtliche orientalische Gastfreundschaft zu genießen. Omar hieß der Freund, und er und seine Familie überschlugen sich fast vor Freude, mich fröhliche Blondine aus Fürth kennenzulernen. Sie trugen die köstlichsten Speisen auf und fragten mich aus, als ob ich vorhätte, in ihre Familie einzuheiraten.

Alles in allem war es ein spannendes und interessantes Wochenende gewesen. Nicht mehr und nicht weniger. Außer einem Kilo Übergewicht nach all den Delikatessen hatte ich einfach nur das Gefühl zurückbehalten, nette Menschen getroffen zu haben. Zum ersten Mal seit Jahren hatte mich eine Ahnung von Glück angeflogen. Mir war leicht ums Herz gewesen, und diese Stimmung hielt immer noch an.

Und jetzt wollte mich also ein gewisser Karim kennenlernen. Karim mit der elektrisierenden Wahnsinnsstimme. Weil der Vater des Gastgebers ihm von mir erzählt hatte. Mein Herz klopfte ziemlich unrhythmisch in diesem Moment.

»Warum?« Diese Frage stand nach wie vor im Raum. Warum wollen Sie mich kennenlernen, Sie fremder arabischer Mann?

Doch der Anrufer schien darüber nicht mit mir diskutieren zu wollen.

Wieder ließ er sein bezauberndes, glucksendes Lachen hören, als wolle er mir klarmachen, dass ich ziemlich schwer von Begriff sei.

»Nadia. Hol mich bitte morgen Nachmittag um vier vom Nürnberger Bahnhof ab. Ich komme mit dem Intercity aus Amsterdam. Bis morgen, ich freu mich!«

»Entschuldigung, aber ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor … Sind Sie noch dran?«

Ratlos starrte ich den Hörer an. Der hatte doch nicht aufgelegt?

Mein Herz klopfte lauter. Hallo? Der war doch nicht ganz dicht! Bestellte mich zum Bahnhof, um ihn abzuholen! Wir kannten uns doch gar nicht! Waren das deren Sitten? Dass man sich mal eben bei Fremden ankündigt? Wollte der womöglich bei mir übernachten? Verwirrt raufte ich mir die Haare und starrte auf meine gespreizten Zehen.

Im selben Moment hörte ich die Wohnungstür ins Schloss fallen.

»Jan?!«

»Hallo, Nadia. Ich war nur gerade beim Bäcker. Wie siehst du denn aus? Alles okay?«

»Mich hat gerade ein fremder Araber zum Bahnhof bestellt.« Ich versuchte zu lächeln.

»Verstehe.« Jan sah mich fragend an.

»Ich soll ihn abholen, und ich glaube, er will – mit zu mir nach Hause kommen.«

»Oh.« Jan kratzte sich am Kopf, Besorgnis stahl sich in seinen Blick. »Mit welchen Leuten hast du dich denn da eingelassen?«

»Keine Ahnung! Ich war doch nur bei Freunden von Ali in Amsterdam, letztes Wochenende, du weißt schon.«

Jan seufzte. »Nadia, Nadia. Und was gedenkst du zu tun?«

»Na ja – stehen lassen kann ich den ja schlecht. Oder?« Hilflos wackelte ich mit den Zehen.

»Was will der Typ denn von dir?« Jan ließ sich in einen Sessel fallen und biss in ein Croissant, das er aus der Tüte gezogen hatte. Ich musste mich zwingen, ihm keinen Teller unterzuschieben.

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«

»Na, so, wie du von deren Gastfreundschaft geschwärmt hast …« Jan kaute hungrig auf seinem Gebäckstück herum. »Da erwarten die von dir bestimmt auch so einen Service.«

Nachdenklich sah ich ihn an. Er war ein bildhübscher junger Kerl, blond, blauäugig, durchtrainiert. Leider waren wir kein Paar. Oder, besser gesagt, zum Glück. Ich hätte sofort angefangen, ihn zu bemuttern. Seine Freundin war vor einem Jahr mit nur einunddreißig Jahren an Krebs gestorben, wie ich von meinem Bruder erfahren hatte. Jan war mal sein Klarinetten- und Saxofonschüler gewesen, fast so eine Art Ziehsohn.

Wir waren beide gerade in einer Art Übergangsphase. Und da hatte sich das mit der gemeinsamen Wohnung einfach so ergeben.

»Meinst du?« Ich biss mir auf die Lippe. »Bestimmt braucht der nur für eine Nacht ein Zimmer oder so. Und wir haben ja bei denen auch gepennt. Die sehen das einfach nicht so eng wie wir.«

Jan grinste. »Ich bin morgen sowieso nicht da.«

»Auf Freiersfüßen?«

»Nichts Festes.«

»Also könnte der Ara… ähm … der Gast zur Not in deinem Zimmer schlafen?«

»Wenn du danach mein Bett wieder frisch beziehst …«

Ich lachte erleichtert. »Aber natürlich, Jan. Ist doch selbstverständlich.« Ich erledigte sowieso seine Wäsche und bügelte sie, dafür machte Jan sich handwerklich nützlich. Der blonde Hüne stand auf. Mit einem Blick auf meine nackten Beine und die frisch lackierten Zehen grinste er anzüglich.

»Na dann viel Spaß mit dem feurigen Araberhengst.«

»Jan!«, schrie ich entrüstet. »Was denkst du denn! Die sind alle voll religiös und anständig!«, wollte ich noch hinterherschicken, aber da war Jan schon wieder verschwunden.

2

Nürnberg, Oktober 1995

»Auf Gleis drei fährt ein: der ICE aus Amsterdam. Bitte Vorsicht bei der Einfahrt!«

Der silbergraue Eisenbandwurm schob sich lärmend heran, und ich musste bestürzt feststellen, dass mein Herz schon wieder wummerte wie ein Presslufthammer. Was machte ich überhaupt hier? Was für eine aberwitzige Situation! Da ließ ich mich von einem wildfremden Menschen, der keineswegs akzentfreies Englisch mit mir gesprochen hatte, zum Bahnhof bestellen, um ihn abzuholen? Noch konnte ich einfach gehen. Der Zug hielt quietschend, und Schatten drängten zu den Ausgängen.

Die Türen öffneten sich zischend, und sofort quollen überall Leute mitsamt ihren Gepäckstücken heraus, um sich zu einem Strom gehetzt wirkender Reisender zu vereinen, der rasch dem Ausgang entgegenstrebte. Ich fühlte mich regelrecht davon überrollt, wich den lärmenden Menschentrauben aus und verharrte im Schutz einer mächtigen Säule.

Ach was, ich verzieh mich jetzt auch auf die Rolltreppe, dachte ich kurz entschlossen, und lass mich aus der Gefahrenzone tragen. Ich spinn doch nicht! Wenn der Typ irgendwo schlafen muss, kann er sich ein Hotel nehmen. Andererseits – die viel gepriesene Gastfreundschaft … Ich wollte nicht unhöflich sein. Und dann war da noch dieses aufgeregte Kribbeln im Bauch.

Zögernd überflog ich die nun schon spärlicher fließende Menge. Überall Menschen, die grüßten, begrüßt wurden, auf Schultern klopften, umarmt wurden, riefen, winkten oder zu Anschlusszügen hetzten. Türen schlossen sich. Nur noch ein paar vereinzelte Gestalten liefen in Richtung Ausgang.

Oh. Da! Da war einer, der sich wie ich suchend umsah. Langsam kam er auf mich zu. Groß, muskulös, korrekt gekleidet, Typ Geschäftsmann mit Aktenkoffer: hellblaues Hemd, Krawatte, Tweedsakko, Bügelfaltenhose und blank geputzte Schuhe. Mein Blick glitt wohlwollend an ihm hinunter. Und wieder hinauf.

Ein dichter, gepflegter Vollbart, schwarz-grau meliert.

Beim Barte des Propheten! Er war ein gläubiger Moslem. Natürlich. Was hatte ich auch anderes erwartet? Sein Gesicht war von orientalisch geprägter Intensität, und mir wurde ganz anders. Reiß dich zusammen, ermahnte ich mich und trippelte nervös auf ihn zu.

Der Mund in der Mitte des Bartes lächelte gewinnend, und schöne ebenmäßige Zähne kamen zum Vorschein.

»Nadia?« Seine samtene Stimme zog mich sofort wieder in ihren Bann.

»Ja?« Jetzt gab es kein Entkommen mehr.

Als sich unsere Blicke trafen, machte es klick! Sofort wusste ich, dass dieser ungewöhnliche Mann noch eine wichtige Rolle in meinem Leben spielen sollte. Eine Hauptrolle.

»I’m Karim. Thanks for picking me up.« Ein fester Händedruck, warme weiche Hände.

Das war derselbe melodiöse Bariton wie gestern am Telefon.

Warum zitterten meine Beine nur so? Wie sollte ich jetzt von hier wegkommen?

»You are welcome«, hörte ich mich artig sagen. »How was your trip?«

Oje, jetzt würde ich die ganze Zeit Englisch mit ihm reden müssen. Nicht dass das ein Problem für mich war, aber mein Schulenglisch war durchaus ein wenig verstaubt.

Ich schenkte ihm einen freundlichen, aber auf keinen Fall allzu vertraulichen Blick. Eher so wie eine Reiseleiterin: neutral, aber stets zu Diensten.

Seine braunen Augen wiesen karamellfarbene Sprenkel auf, und ich drohte förmlich dahinzuschmelzen. Ich wandte den Blick ab und schritt tapfer voran.

Der geheimnisvolle Fremde stand hinter mir auf der Rolltreppe, und ich spürte seinen warmen Blick im Nacken. Hastig strich ich mir über den Hinterkopf. Nichts ist peinlicher, als wenn die Haare dort platt gedrückt sind oder der Haaransatz dunkel hervorblitzt.

Natürlich hatte ich mich vorhin zu Hause mit Rundbürste und Seidenglanzhaarspray noch ein bisschen zurechtgemacht: Wie du kommst gegangen, so wirst du auch empfangen, pflegte meine Mutter stets zu sagen.

Ach. Umgekehrt. Ich empfing ja ihn! Warum eigentlich? Weil er einfach umwerfend war?

»My car is parking in the garage.« Angestrengt wies ich ihm den Weg durch die Menge. Hoffentlich merkte er nicht, wie zittrig mir zumute war. Ich wollte seine Gesellschaft. Aber ich wollte mich nicht überrumpeln lassen. Gleichzeitig wollte ich nichts falsch machen.

Es war kurz nach vier, Berufsverkehr hatte eingesetzt. Grau und bleiern hing die regenschwere Luft über der Innenstadt.

Der geheimnisvolle Fremde stieg bei mir ein. Während ich den Wagen aus der Parklücke manövrierte, riskierte ich einen Blick auf seine Hände. Sie gefielen mir. Kräftige gepflegte Männerhände, die kurzen Nägel waren rund und glatt wie orientalische Halbmonde. Mein Blick fiel bei Männern immer sofort auf die Hände. Nägelkauer hatten bei mir keine Chance. Auch die Ohren wurden gleich kontrolliert. Wären Haarbüschel daraus hervorgequollen, hätte ich ihn schon an der nächsten Ampel rausgesetzt. Aber er sah tadellos aus. Und er roch gut. Dezent, aber sehr orientalisch. Männlich süß. Eine seltsame Mischung, die ich noch nie zuvor gerochen hatte. Anziehend. Ich spürte, dass ich mich mit ihm in meiner kleinen Schüssel sehr wohlfühlte. Kein bisschen bedrängt oder so.

Es war eine Vertrautheit, die mich ruhiger werden ließ. Ich nahm die Autobahn und fuhr nach Fürth. Wir machten etwas Small Talk, und er ließ mehrmals sein warmes Lachen hören. Er platzte nur so vor Lebensfreude. Oder war er auch ein bisschen nervös?

Nach zwanzig Minuten hielt ich schwungvoll in unserer Einfahrt. Mit einem unauffälligen Seitenblick stellte ich fest, dass Jans Auto tatsächlich nicht da war. Sturmfreie Bude!

»Hier wohne ich.«

Wir stiegen aus. Karim holte seinen Aktenkoffer aus dem Kofferraum. Da passt unmöglich Kleidung für mehrere Tage hinein, beruhigte ich mich. Der wird sich schon nicht bei dir einquartieren! Hoffentlich stand keine Nachbarin am Fenster und beobachtete uns.

Der glutäugige Araber betrachtete mit freundlichem Interesse das weiße Mietshaus mit den blumenbewachsenen Balkonen und dem gepflegten Vorgarten. Ein Dreirad und ein Kinderwagen standen im Treppenhaus. Deutsche Spießigkeit.

»Erster Stock links, bitte.«

»Nach dir.« Höflich bedeutete er mir vorzugehen. Wie immer roch es sauber und frisch. Wir hielten alle unsere Kehrwoche ein. Wir waren ein ehrenwertes Haus. Schon wieder musste ich vor ihm hergehen, diesmal hatte er sicher ausreichend Gelegenheit, mir auf den Hintern zu schauen.

Es war nichts geschehen, dennoch fühlte ich mich jetzt schon unter Druck. Ich wollte doch meine Freiheit! Aber er war so männlich, anziehend und charmant! Ich spürte seinen Atem in meinem Nacken, während meine Hand zitternd den Schlüssel ins Schloss steckte. Gott!

»So bitte. Hier geht’s lang.«

Ich machte Licht im Flur. Als ich mich zu ihm umdrehte, sah ich so etwas wie Entsetzen in seinem Blick. Die Sprenkel in seinen Augen schienen zu explodieren.

»Ist alles in Ordnung?«

»Wohnst du nicht allein, Nadia?«

»Wie? Ach so, du glaubst … Nein, ich wohne mit einem Freund zusammen.«

Seine Lippen wurden zu einem schmalen Strich. Jetzt, nachdem die Wohnungstür hinter uns geschlossen war, setzte Unbehagen bei mir ein.

»Jan ist nur ein guter Freund, eigentlich der Freund meines Bruders, es hat sich so ergeben. Er ist Holländer und kommt zufällig auch aus Amsterdam! Wir sind kein Paar, wir sind nur eine Art Zweck-WG. Vorübergehend«, schob ich hinterher. Als wenn ich ihm eine Erklärung über meine Wohnverhältnisse schuldig wäre! Er zog die buschigen Augenbrauen hoch und runzelte die Stirn. Ich merkte, dass er mir kein Wort glaubte. Sein Blick glitt unwillig über Jans Klamotten an der Garderobe, seine Turnschuhe, den Hockeyschläger und die Sporttasche, auf der ein Männerdeodorant lag.

Warum legte ich hier überhaupt Rechenschaft ab? Ich konnte doch wohnen, mit wem ich wollte! Ich konnte auch schlafen, mit wem ich wollte, das ging den doch gar nichts an! Schwungvoll öffnete ich die Tür zu Jans Zimmer.

»Hier kannst du schlafen, Karim. Fühl dich bitte wie zu Hause.«

Zögernd trat er ein. Sein Blick glitt über die Fotos auf Jans Nachttisch: Jan mit seiner Freundin, Jan beim Bergsteigen, Jan beim Skifahren, Jan beim Fallschirmspringen, Jan beim Saufen mit seinen Kumpels.

»Und wo schläfst du?«

»Am anderen Ende des Flurs. Und in der Mitte ist das Wohnzimmer.« Ich bemühte mich um ein Lächeln.

»Hm, das riecht aber gut.«

Endlich glätteten sich die Züge meines Besuchers wieder. Ich öffnete die Küchentür. »Möchtest du eine Tasse Tee?«

Er nahm meine Hand. »Gern«, sagte er, und ich spürte seine Wärme, spürte, wie mein Körper ihm fast sehnsüchtig entgegenstrebte. Spinnst du, schlug eine innere Stimme Alarm. Hastig entzog ich ihm meine Hand und hielt sie in der Küchenspüle unter kaltes Wasser.

»Du kannst gerne hier auf der Küchenbank sitzen. Ich bereite nur noch schnell den Salat vor.«

Das ließ sich mein faszinierender Besucher nicht zweimal sagen. Nach einem kurzen Abstecher ins Bad zum Händewaschen ließ er sich wohlig seufzend auf der Eckbank nieder. Sein Blick glitt interessiert durch mein akkurates Hausfrauenreich.

Ich hatte Arabisch gekocht, so, wie ich es mir bei unseren gemeinsamen Bekannten in Holland abgeschaut hatte.

»Magst du Bamia?« Stolz nahm ich den Deckel von der Pfanne, in der Okraschoten mit Lamm und Knoblauch in Olivenöl brutzelten. Ein betörender Duft breitete sich in der Küche aus, und ich sah, wie meinem Gast das Wasser im Munde zusammenlief. Er strahlte mich dermaßen entwaffnend an, dass ich mich verlegen an meinen Töpfen zu schaffen machte. Geschäftig warf ich meine schulterlangen Locken nach hinten. Ich musste das Ganze nur noch mit Brühe aufgießen, Tomatenmark unterrühren, etwas köcheln lassen und mit Zitrone abschmecken.

»Du kannst arabisch kochen, Nadia!«

Lachend sah ich ihn an. »Na ja, ich versuche es.« Verdammt, ich wurde doch nicht rot?

»Bist du verheiratet, Nadia?«

»Nein. Das heißt, ich war es mal. Ich habe eine erwachsene Tochter, Diana. Sie lebt mit ihrem Freund Tobias in Nürnberg. Und du?«

»Ich habe eine Frau und drei Kinder. Sechzehn, zehn und sechs.« Das kam zögernd, entschuldigend, fast traurig. So als wollte er zum Ausdruck bringen: Ich Armer! Ich möchte dich nicht damit belasten, aber ich kann mich leider nicht trennen – wegen der Kinder und weil meine Frau von mir abhängig ist.

Erleichterung durchflutete mich. Das wäre also schon mal geklärt.

»Hier, probier mal!« Auf einmal war ich dermaßen entspannt, dass ich gar nicht merkte, welche Vertraulichkeit ich mir herausnahm: Im Nu hatte ich ihm den hölzernen Kochlöffel zwischen die Barthaare gesteckt.

Hallo, Nadia? Geht’s noch? Füttere ihn doch gleich, leg ihn trocken und bring ihn ins Bett!

»Absolut köstlich!« Karim strahlte mich begeistert an, und ich stellte fest, dass die Sprenkel in seinen dunkelbraunen Augen rehbraun waren. Nicht karamellfarben. Wie elektrisiert werkelte ich an meinem Salat herum, der aus gewürfelten kleinen Gurken, Tomaten und viel Petersilie bestand.

Dann zauberte ich noch ein weiteres Gericht aus dem Backofen hervor, das ich, falls Plan A nicht munden sollte, als Plan B warm gehalten hatte: Safranreis mit gebratenem Huhn und gerösteten Mandeln. Seine Begeisterung wuchs ins Unermessliche.

»Oh, Nadia, du bist eine begnadete Köchin.« Selig kostete er von allen Speisen, die ich appetitlich auf flachen Tellern angerichtet hatte, und kaute schließlich mit vollen Backen.

»Ja, kriegst du denn zu Hause nichts zu essen?« Lachend goss ich ihm einen Fruchtsaft ein und setzte mich zu ihm. Mit einem Glas Wein konnte ich dem nicht kommen. Er war schließlich gläubiger Moslem.

»Doch, aber – nicht mit so viel Liebe gekocht.«

Im weiteren Verlauf der Mahlzeit hüllte Karim sich in Schweigen. Beziehungsweise in andächtiges Genießen. Zwischen zwei Bissen sagte er immer wieder: »Das hätte ich nicht gedacht, dass du so wunderbar kochen kannst, Nadia.«

Er war einfach selig, und ich freute mich, dass er sich so freute. Natürlich erfüllte es mich auch mit Stolz, so ins Schwarze getroffen zu haben. Die Kochkurse waren also ihr Geld wert gewesen. Ich grinste. Ich wäre sicherlich genauso begeistert gewesen, wenn mir jemand in Kairo aus lauter Gastfreundschaft ein perfektes Wiener Schnitzel mit Preiselbeeren vorgesetzt und als Alternative noch eine Martinsgans mit Rotkohl und Kartoffelklößen aus dem Ofen gezaubert hätte. Wobei, bei den dortigen Temperaturen …

Irgendwann schob mein Gast zufrieden seinen Teller von sich.

»Das war vorzüglich Nadia. Vielen Dank für das großartige Essen.« Dezent betupfte er sich mit der Serviette die Mundwinkel, damit nichts in seinem gepflegten Bart zurückblieb.

»Wollen wir uns rübersetzen?« Ich nahm das Tablett mit der Teekanne und wies ihm den Weg ins Wohnzimmer.

Karim setzte sich etwas verlegen aufs Ledersofa, die Hände unruhig in seinem Schoß.

Ich musterte ihn abwartend. Was jetzt?

»Darf ich mir die Schuhe ausziehen?«

»Aber natürlich!«

Mit Wohlwollen betrachtete ich seine frisch gewaschenen schwarzen Socken.

»Hast du etwas dagegen, wenn wir uns auf den Teppich setzen, Nadia? Du hast gesagt, ich darf mich wie zu Hause fühlen!« Er sah mich entwaffnend an, und wieder erklang diese gütige Stimme voller Herzenswärme, in der diesmal auch ein bisschen Schalk mitschwang.

Oh, wie gut, dass ich vorher Staub gesaugt hatte! Natürlich hatte ich die von Jan vollgekrümelte Bude ordentlich auf Hochglanz gebracht.

Also machten wir es uns auf dem Fußboden bequem und lehnten uns mit dem Rücken gegen das Sofa. Wie ziemlich beste Freunde, das Teetablett zwischen uns.

»Darf ich?« Ich nahm seine Tasse und schenkte ein.

»Oh, Nadia, hast du Kardamom dazugegeben?« Schon wieder dieses dankbare Strahlen, nachdem er davon gekostet hatte. Na, den Mann konnte ich wirklich leicht glücklich machen!

»Ja, ich habe die Kapseln darin ziehen lassen.« Oje, jetzt musste ich aber woandershin gucken, so verlegen machte mich sein intensiver Blick. »Ich liebe diesen Geschmack!«

»Ich liebe diesen Geschmack auch.«

Gedehnt, singend. Gott, war der Mann sexy! Warum sagt er mir nicht auch, dass er mich liebt, dachte ich sehnsüchtig.

Zu meinem grenzenlosen Erstaunen sagte er prompt so was in der Richtung. Er sah mir in die Augen und fragte geradeheraus: »Nadia, könntest du dir vorstellen, in einem arabischen Land zu leben? Ich würde dich gern heiraten.«

Ich verschluckte mich fast an meinem Tee. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Dann prustete ich vor Lachen. So ein köstlicher Scherz!

»Wie meinen?«

»Ich meine es so, wie ich es sage. Könntest du dir mittelfristig vorstellen, mit mir in einem arabischen Land zu leben und meine Frau zu werden?«

»Also, grundsätzlich bin ich für alles Neue offen, aber …« Klirrend stellte ich meine Tasse ab und knetete verlegen die Hände. »Heiraten kommt für mich natürlich nicht infrage. Was soll der Quatsch, Karim?«

Da nahm er wieder meine Hände. Einem netten kleinen Flirt war ich nicht abgeneigt, aber dass er gleich so in die Vollen ging, das hätte ich nicht erwartet. Seine Augen schienen mich nie wieder loslassen zu wollen. Diese Araber! Wollte er ernsthaft bei einer Tasse Tee eine Ehe aushandeln?

»Nadia, du hast dich bestimmt schon gefragt, warum ich dich besuche und was ich von dir will.«

»Na, jetzt hast du’s ja gesagt.« Ich grinste ihn belustigt an. Dass mir dabei die Röte ins Gesicht schoss, fand er wahrscheinlich besonders liebreizend.

»Schau, Nadia. Ich suche eine Frau. Und die könntest du sein.«

Peng! Mitten zwischen die Augen. Er meinte das tatsächlich ernst!

So. Jetzt ging ich aber zum Gegenangriff über. Ich war doch hier nicht auf dem Kamelmarkt!

»Aber du bist doch verheiratet, hast du eben gesagt!«

»Ja, Nadia. Ich bin mit Suleika verheiratet. Allerdings nur der Kinder wegen.«

»Ach, das sagen doch alle.« Enttäuscht wehrte ich ab.

»Nadia, bitte hör mir gut zu.« Er nahm erneut meine Hand, mit der ich gerade heftig abgewinkt hatte, und hielt sie mit einer Zärtlichkeit, dass aller Widerstand zwecklos war. »Eine Scheidung kommt für mich als gläubigen Muslim nicht infrage. Eine Scheidung ist haram, weißt du? Sünde, verboten. Auch für die Frau ist das eine schreckliche Schande, so etwas kann ich Suleika unmöglich antun. Sie würde von der Gemeinschaft verstoßen und dürfte die Kinder nicht mehr sehen.«

Grauenvoll. Aber was hatte ich denn damit zu tun? Ich wollte ihm die Hand entziehen, aufstehen, Land gewinnen, doch sein Blick wurde weich. Meine Güte, Nadia, dachte ich halb wütend, halb hingerissen. Auf diese Masche fällst du jetzt aber nicht rein! Nicht in deinem Alter. Aber abgefahren ist das hier schon. Wenn ich das in meinem Tennisklub erzähle …

Karim schien Gedanken lesen zu können. »Bitte, Nadia. Meine Ehe besteht nur noch auf dem Papier. Wir sorgen für die Kinder, aber Liebe und Wärme bekomme ich von meiner Frau nicht mehr. Wir leben wie Bruder und Schwester nebeneinanderher.« Er machte eine kleine Pause und sagte schelmisch:

»So wie du mit deinem Jan.«

Ich lächelte.

»Ich sehne mich nach einer Frau, die so ist wie du: fröhlich, patent, lebensfroh und selbstständig.«

»Woher willst du das überhaupt wissen?«

»Du wurdest mir beschrieben, und ich glaube, es ist Allahs Wille, dass wir zusammenkommen.«

Ich verzog das Gesicht. »Allahs Wille.«

»Allah bestimmt mein Leben, und er hat noch eine Frau für mich vorgesehen, Nadia. Ich bin mit meinen einundvierzig Jahren deutlich zu jung, um auf ein erfülltes Eheleben zu verzichten. Ich habe das Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Hingabe. Schon als ich dich heute Nachmittag am Bahnhof sah, wusste ich, dass du mir das geben kannst. Und ich kann es dir auch geben! Du bist wie eine reife Frucht, die nur noch gepflückt werden will.«

Reife Frucht? Also bitte, was für eine Unverschämtheit! Andererseits: Das war bestimmt als blumiges Kompliment gemeint. Reife Früchte sind ja im Prinzip was sehr Appetitliches.

»Warum nimmst du dir nicht eine Junge?«, kokettierte ich.

»Junge Frauen möchten Kinder haben, und das ist nicht mehr mein Wunsch. Ich brauche eine Lebensgefährtin auf Augenhöhe, mit der ich alles besprechen kann. Mit der ich verreisen kann. Die meine Lebensfreude teilt. Und meine Bedürfnisse.«

Wie gern wollte ich mich von seiner Lebensfreude anstecken lassen! Und irgendwie auch seine Bedürfnisse kennenlernen. Wer so reden, gucken und Händchen halten konnte, der konnte auch …

»Ähm, was machst du eigentlich genau …?«

»Wie meinst du das, Nadia?« Wieder so ein Blick aus dunkelbraunen Sprenkelaugen.

»Ich meine beruflich.« Ich räusperte mich nervös.

Karim beugte sich vor, kramte in seiner hinteren Hosentasche und reichte mir beflissen seine Visitenkarte. Consultant stand darauf. Aha, das war ja schon mal nicht schlecht.

»Berater also. Und wen berätst du so?«

… außer mir gerade, dachte ich keck. In mir vibrierte ein unterdrücktes Kichern.

»Nadia, ich bin im Import-Export-Geschäft und darin sehr erfolgreich. Dir wird es an nichts fehlen!«

Ich starrte ihn zweifelnd an. Was das wohl für Geschäfte sind, dachte ich bang. Vielleicht hat er den Dolch im Gewande.

»Mit welchen Gütern handelst du denn?« Hoffentlich nicht mit tonnenweise gekidnappten Jungfrauen für den Sultan oder so.

»Schau, Nadia. Wenn jemand einen Container Zement braucht oder Zucker, Holzwaren, Glas oder was immer, vermittle ich das in riesigen Mengen weltweit«, erklärte er mir gestenreich.

»Aha«, sagte ich. Wie hypnotisiert starrte ich auf seine Hände.

Karim lachte, als er mich mit offenem Mund staunen sah. »Zurzeit handle ich gerade mit Holzkohletabs für einen Geschäftspartner im Nahen Osten. Es geht dabei um Tonnen!« Er strahlte mich stolz mit seinen blitzweißen Zähnen an.

Das hörte sich wahrlich weltmännisch an. Ich sah ihn schon in weißer Landestracht und mit Turban auf dem Kopf in einer Runde von steinreichen Sheiks auf dem Wüstenboden sitzen und um Millionen verhandeln, während im Hintergrund Kamele an einer Oase grasten. Eine ziemlich märchenhafte Vorstellung.

Auf einmal sah ich den Mann mit ganz anderen Augen.

»Wir würden in jeder Hinsicht zusammenpassen, Nadia.« Dieser zärtlich verlangende Blick bescherte mir ganz weiche Knie.

Karim bemerkte meine hochgezogenen Brauen und setzte glucksend nach: »Glaub mir, Nadia, es sind alles legale Geschäfte!« Er schmunzelte amüsiert. »Ich habe zufriedene Kunden rund um den Globus! Sie vertrauen mir alle, und das mit Recht! Nie würde ich mich auf faule Geschäfte einlassen. Ich bin ein gläubiger Moslem, Nadia.«

Allein wie er immer meinen Namen sagte! Er sang ihn regelrecht.

Versonnen starrte ich ihn an. War das denn die Möglichkeit, dass ich hier mit einem schwarz besockten fremden Araber in meinem Wohnzimmer auf dem Fußboden saß und mich nach gerade mal vier Stunden seit unserem Kennenlernen in seine Welt entführen ließ?

Ich riss mich zusammen. Hallo, Jan, schickte ich einen Hilferuf ans Universum. Kannst du bitte ganz überraschend auftauchen und diese seltsame Situation hier beenden?

Ein Heiratsantrag! Gut, ich hatte mich aufgebrezelt und parfümiert, gekocht und gebraten, den Tee mit Behaglichkeitsaroma angereichert, weil ich mich von meiner besten Seite zeigen wollte, weiblich verführerisch. Vielleicht hatte ich auch auf eine Romanze spekuliert, denn meine blöde Bluse hätte durchaus etwas hochgeschlossener sein können. Aber mich gleich wieder fest binden oder gar versklaven lassen? Energisch schüttelte ich den Kopf.

»Nadia, bitte denk jetzt nichts Schlechtes über mich. Ich komme mit anständigen Absichten.« Seine Stimme vibrierte wie ein Cello bei einem Solo. »Meine Ehe ist vertrocknet wie die Wadis in der arabischen Wüste. Ich habe vieles versucht, und bin jetzt an einem Punkt, an dem ich nicht mehr kann. Es gibt immer öfter Streit, und meine Nerven sind am Ende.«

»Und da besuchst du eine völlig fremde Frau in Fürth bei Nürnberg, nur weil dir Bekannte von ihr erzählt haben?«

Ich runzelte die Stirn und setzte meinen Lehrerinnenblick auf. Endlich hatte ich wieder Oberwasser.

»Genau so ist es, Nadia. Dein Arabischlehrer Ali hat meinem Freund Omar von dir erzählt. Der wollte dich kennenlernen, und ihr seid hingefahren. Sein Vater war auch sehr angetan, und jetzt habe ich dich endlich ebenfalls kennengelernt und bin begeistert.« Er strahlte mich wieder so verliebt an, dass jeder Widerstand zwecklos war.

»Aber wir sind hier doch nicht auf dem Basar …« Mir entfuhr ein verlegenes Lachen.

Er schüttelte ernst den Kopf.

»Nadia, bei uns macht man das so. Das ist der korrekte Weg.«

Ich schluckte. Mir fehlten die Worte. Diese abgekartete Männerbande. Was sollte ich darauf erwidern?

Ich musste erst mal verdauen, dass unser Ausflug nach Holland nicht der spontane Zufallstrip gewesen war, als den Ali ihn ausgegeben hatte. Nein, ich war ganz gezielt dorthin gelockt worden. Um begutachtet zu werden wie ein Stück Vieh.

Aber ich wollte auf keinen Fall einen Streit vom Zaun brechen. Karim gefiel mir ja. Sehr sogar. Ich fand ihn hochattraktiv. Aber heiraten wollte ich ihn ganz bestimmt nicht. So ein Schwachsinn!

»Aber, Karim, ich bin drei Jahre älter als du«, sagte ich tapfer. Welcher Mann läuft nach so einer Offenbarung nicht schreiend davon?

»Das ist mir völlig egal. Du bist die Richtige, ich weiß es einfach, Nadia!« Die Sprenkel tanzten.

Er achtete nicht auf Äußerlichkeiten wie Traummaße, jugendlich straffe Haut und Abwesenheit von Dellen in den Oberschenkeln! Verbittert dachte ich an Harald, der sich schon während unserer Ehe mit einer fünfzehn Jahre Jüngeren vergnügt hatte, während ich Beruf, Haushalt und Kind unter einen Hut zu bringen versuchte und darüber vermutlich etwas an jugendlicher Elastizität eingebüßt hatte. Der Klassiker! Wie erniedrigt ich mich gefühlt hatte! Fast hatte ich geglaubt, nichts mehr wert zu sein, nicht begehrenswert, nicht attraktiv genug. Sex war schon lange ein Fremdwort für mich. Und jetzt? Durchwallte mich eine Woge des heißen Verlangens nach der anderen! Ich wusste gar nicht mehr, wo ich hinschauen sollte. Wir konnten doch jetzt nicht …

Aber das war auch gar nicht Karims Plan. Er ließ sich mitnichten aus dem Konzept bringen. Für ihn war die Sache offensichtlich bereits entschieden, er musste nur noch mich überzeugen.

»Nadia, du bist eine reife Frau in der Blüte ihres Lebens. Ein praller, verheißungsvoller Granatapfel. Ich möchte ihn pflücken, kosten, schmecken …« Aus lauter Verlegenheit entfuhr mir ein hysterisches Kichern.

Karim schien mein Lachen als begeisterte Zustimmung zu interpretieren.

»Du kannst noch so viel Liebe und Zärtlichkeit geben! Und im Gegenzug werde ich dich verwöhnen. Niemals könnte ich das Ehebett mit einer Frau teilen, die meine Tochter sein könnte!«

Mir blieb das Lachen im Halse stecken. Der meinte das ernst. Seine Worte trafen mich direkt ins Herz, und es verschlug mir die Sprache. Mit zitternden Fingern schenkte ich ihm Tee nach.

»Okay, Karim. Lassen wir das. Können wir bitte das Thema wechseln?«

Gelassen ließ Karim fünf Zuckerwürfel in seinen Tee fallen und rührte bedächtig um. Mein Gott, das würde zu einem Insulinschock führen!

»Gut«, sagte er. »Ich will dich nicht überfordern, Nadia. Wechseln wir also das Thema.«

»Ja. Prima.« Erleichtert atmete ich durch.

Karim sah mich prüfend an.

»Wie stehst du eigentlich zum Islam?!«

Wie? Das sollte ein Themenwechsel sein? Ich kam mir vor wie beim Zahnarzt, der gerade den Bohrer weggelegt hat, um übergangslos zur Zange zu greifen!

»Äh, wie stehe ich zum Islam …« Ich nahm zwei Schluck Tee und verbrannte mir fast die Zunge. »Ich hab tatsächlich seit meiner Türkeireise in ein paar Broschüren geblättert, und ein paar Koranverse hab ich auch schon auf Deutsch gelesen. Aber letztlich war das einfach nur Neugier. Freundliches Interesse, wie ich es zurzeit für viele neue Dinge und Weltanschauungen habe.« Etwas zu heftig stellte ich die Tasse wieder auf die Untertasse. Was sollte ich denn mit dem Islam?

»Wie du sicher aus deinen ›zuverlässigen Quellen‹ weißt« – ich malte Anführungszeichen in die Luft –, »bin ich seit Kurzem ein freier Mensch. Und möchte es auch bleiben.« Ich schenkte ihm ein warmherziges Lächeln. »Meine Tochter Diana, mein Bruder Martin und meine liebe, alte Mutter bedeuten mir viel. Wir haben ein ganz inniges Verhältnis. Aber ansonsten ist in meinem Leben zum ersten Mal Platz für – Neues. Für mich selbst vielleicht.« Ich grinste spitzbübisch. Karim lächelte absolut verständnisvoll zurück.

»Ich weiß nicht, ob du das verstehst, aber ich war jahrelang immer nur für andere da, voll in der Alltagsmühle, jede Stunde voll durchgetaktet, der Job, das Kind, der Haushalt … Aber als ich die Reise machen und endlich so sein durfte, wie ich bin, tun und lassen konnte, was ich wollte, da hab ich mich plötzlich so frei gefühlt. Und so glücklich. Vielleicht ist es Zufall, dass mich dieses einmalige Glücksgefühl ausgerechnet in einem islamischen Land überwältigt hat. Fest steht, dass ich es nach der Reise frisch halten, speichern, immer wieder neu abrufen wollte, und deshalb diese Kochkurse und einen Sprachkurs bei Ali, dem Schuft, belegt habe.« An dieser Stelle musste ich selbst lachen, denn wirklich wütend war ich eigentlich nicht auf ihn. Denn sonst säße der faszinierende Karim jetzt ganz bestimmt nicht neben mir. Das Leben war doch wirklich für noch viele Überraschungen gut! »Und wenn du es genau wissen willst, sogar einen Bauchtanzkurs.«

Oh, das war ja ein Statement! So als würde ich die Tür sperrangelweit aufreißen, die ich gerade freundlich, aber bestimmt geschlossen hatte! Jetzt hatte ich das Thema selbst wieder auf Sinnliches gebracht! Dabei waren wir doch gerade beim züchtigen Islam!

»So, und jetzt du.« Wie bei einem Tennismatch warf ich ihm den Ball erneut zu. »Du bist also ein strenggläubiger Moslem.« Prüfend schaute ich ihn an. War er es wirklich, würde er mir niemals zu nahe treten.

»Ja, Nadia, ich fungiere sogar gelegentlich als Imam in unserer Moschee in Amsterdam. Das darf im Grunde jeder gläubige Muslim, der im Koran gut bewandert ist.«

»Sag bloß, du warst Prediger in der Moschee, in die Alis Freunde gegangen sind! Sie haben begeistert von dir erzählt! Von deiner Ausstrahlung, deinem Charisma, deiner Überzeugungskraft …«

Karims Gesicht überzog ein freudiges Lächeln. »So schließt sich der Kreis, Nadia!«

Ich schlang die Arme um meine angezogenen Knie und sagte schelmisch: »Was ihr Männer da auf eurem Gebetsteppich alles zu besprechen habt …«

»Ihr Frauen besprecht doch in der Küche dasselbe.« Wieder mischte sich eine Portion leiser Spott in sein Baritonlachen.

»Stimmt. Wir sind auch die allerschlimmsten Kupplerinnen, wenn wir unseren Freundinnen helfen wollen.«

Damit war das Eis endgültig gebrochen. Jetzt wollte ich ihn wirklich kennenlernen.

»Erzähl mir von dir«, bat ich. »Wie kommt es, dass du mit deiner Familie in Amsterdam lebst?«

»Meine Eltern sind nach wie vor in Bagdad.« Ein dunkler Schatten huschte über Karims Gesicht, und seine braunen Augen wurden feucht. »Unter dem Regime Saddam Husseins ist es unerträglich. Meine Brüder und ich sind mit unseren Familien über Kuwait nach Europa ausgewandert, weil es nicht mehr auszuhalten war. Jetzt schicken wir unseren Eltern und Verwandten regelmäßig Geld.« Ich musste zugeben, dass ich überhaupt keine Ahnung hatte, was sich dort abspielte.

»Ich weiß viel zu wenig über den Irak, höchstens das, was in den Nachrichten kam …«

»Du kannst dir nicht vorstellen, Nadia, wie schrecklich die Umstände dort sind. Durch das Embargo der Vereinten Nationen sind Lebensmittel und andere Waren unerschwinglich geworden.« Karim fuhr sich übers Gesicht. Er wirkte auf einmal unendlich müde. »Die Preise sind in astronomische Höhen geschossen und für die normale Bevölkerung unbezahlbar. Nur damit du dir ein Bild machen kannst, Nadia: Eine Dose Cola kostet fast ein Monatsgehalt.«

Ich staunte. Nicht dass ich eine Dose Cola für lebenswichtig hielt, aber das waren schon wahnwitzige Dimensionen.

»Die Welt – speziell Amerika – will Saddam Hussein mit allen Mitteln schwächen. Doch wie immer bei solchen Aktionen trifft es die Zivilbevölkerung besonders hart. Kinder sterben, es gibt kaum Medikamente. Viele Familien verkaufen ihr Hab und Gut, nur um das Allernotwendigste für die Kinder besorgen zu können. Die Menschen verarmen, und wer kann, flieht aus dem Land. Sie haben keine andere Wahl, es herrscht Chaos, Gewalt und Korruption, Nadia.«

Ich zuckte zusammen, als er in diesem Zusammenhang meinen Namen sagte. Es ging mich auf einmal etwas an. Mich überkam ein heftiges Mitgefühl.

»Wir Iraker haben schon immer unter unserem Diktator gelitten«, fuhr er fort. »Groß zelebriert er seine Geburtstagsfeste im Staatsfernsehen – mit üppigen Torten, strahlenden Kindern und der Elite des Landes. Alles nur Propaganda, Nadia. So nach dem Motto: Seht her, wir brauchen den Westen nicht, wir leben im Überfluss. Was für ein Hohn!« Karim fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. »Er regiert das Land mit eiserner Hand, und seine Verwandten sitzen an allen wichtigen Schaltstellen der Macht. Wer etwas gegen ihn sagt oder auch nur das Gesicht verzieht, wird nachts abgeholt. Und taucht nie wieder auf. In den Gefängnissen finden grausame Folterungen statt.«

»O Gott!«, entfuhr es mir. Mein Herz raste, und meine Zunge klebte am Gaumen. »Aber hat denn niemand versucht, ihn zu stürzen? Gab es keinen Widerstand?«

»Doch, Nadia. Aber nachdem im Februar 91 die Operation ›Wüstensturm‹ der USA durch General Schwarzkopf nicht den gewünschten Erfolg, nämlich den Sturz des Diktators, gebracht hat, ist der Irak wieder vom Radar der Weltöffentlichkeit verschwunden.«

Karims Blick war wie versteinert.

»Stimmt«, presste ich hervor. »Ich erinnere mich jetzt wieder. Saddam Hussein hat kapituliert, als die Amerikaner nach der Befreiung Kuwaits in den Südirak einmarschiert sind. Somit blieb er an der Macht, und die Amerikaner verpassten ihre einzige Chance, Saddam mit Unterstützung der gesamten Welt zu entmachten.«

Karim nickte.

»Ich hab mir, ehrlich gesagt, viel zu wenig Gedanken über das Elend der Menschen im Zweistromland gemacht«, gab ich kleinlaut zu. »Euphrat und Tigris … Das letzte Mal hab ich in der Schule davon gehört.«

Karim sah mich liebevoll von der Seite an. »Mit dir könnte ich all diese Sorgen teilen, und sie würden erträglicher werden.«

Ganz sanft strich er mir mit einem Finger über die Wange. Diese Geste ging mir sofort unter die Haut. Das hier war weit mehr als ein Flirt. Plötzlich fühlte ich mich ihm ganz nahe. Kannten wir uns wirklich erst fünf oder sechs Stunden?

Karim erzählte mir, wie auch er aus Kuwait geflohen war, als Saddam Hussein dort eingedrungen war. Seine Familie, also seine Frau und die Kinder, waren zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise gerade in Jordanien bei den Großeltern, Suleikas Eltern.

»Ich hatte damals gute geschäftliche Kontakte in die Niederlande«, beendete er seine traurige Geschichte. »Ich war nicht mittellos, Nadia. Zum Glück konnte ich dort sofort Fuß fassen und meine Familie später nachholen.«

»Aha.« Ich hatte Mühe, diese ganzen Informationen zu verdauen.

»Wie heißen deine Kinder?«

»Hassan ist der Älteste, er ist sechzehn, dann kommt Hamid, zehn, und die kleine Leila ist erst sechs.«

Auch das musste ich erst mal sacken lassen. Ich würde doch keine Familie zerstören?!

»Habt ihr Bleiberecht?«

»Ja, wir leben seit vier Jahren in der Nähe von Amsterdam. Nächstes Jahr können wir die holländische Staatsangehörigkeit beantragen. Und das werden wir auch tun, denn es ist mühsam, immer erst auf ein Visum zu warten, wenn ich reisen will, Nadia.«

Ich nickte. »Das stell ich mir schwierig vor, auf diese Weise für eine Familie zu sorgen. Wie schaffst du das nur?«

Karim nahm meine Hände und drückte sie an seine Brust.

»Du bist die erste Frau auf der Welt, die mich das fragt!« Er freute sich sichtlich.

»Na ja, weil es mich interessiert.« Ich räusperte mich.

»Ich habe einen wichtigen muslimischen Geschäftspartner dort, der mir hilft.«

Karim verschränkte die Arme vor der Brust. Ich sah eine teure goldene Uhr an seinem Handgelenk.

»Amsterdam ist für uns nur eine Übergangslösung, Nadia. Ich träume davon, wieder in einem arabischen Land zu leben. Wenn Gott will, Inshallah … Der Oman öffnet sich westlichen Einflüssen, ich könnte dort gute Geschäfte machen. Und dazu wünsche ich mir die passende Frau. Eine starke Partnerin an meiner Seite.«

Ich schluckte und tat so, als hätte ich das nicht gehört.

»Es ist eine so friedliche Welt, dort gibt es kaum Kriminalität, und ich hätte so viele Ideen …«

»Erzähl mir von deinen Kindern!«, lenkte ich ab.

»Hassan und Hamid gehen in Amsterdam zur Schule und Leila in den Kindergarten. Sie sprechen draußen Holländisch und zu Hause Arabisch. Es ist ein schwieriger Spagat für sie – einerseits die traditionelle muslimische Erziehung und andererseits die westlichen Einflüsse in der Schule, übers Fernsehen und Kino. Leila will jetzt schwimmen lernen … Wir tun uns immer schwerer. Suleika ist sehr streng …«

Oje. Was sollte ich dazu sagen? Ganz dünnes Eis.

»Spricht Suleika auch Holländisch?«

Er seufzte und warf die Arme in die Luft. »Kein Wort, Nadia! Suleika ist völlig überfordert mit allem. Meine Frau lebt sehr zurückgezogen in unserem Haus das traditionelle Leben einer gläubigen Muslima. Sie wartet auf mich und tut, was ich ihr sage. Sie hat keinerlei Eigeninitiative.«

Ich legte den Kopf schräg und sah ihn abwartend an. »Ist so ein Leben als Frau nicht furchtbar langweilig?«

»Sie kennt es nicht anders, Nadia. Sie geht niemals ohne männliche Begleitung aus dem Haus, also entweder muss ich sie zum Einkaufen begleiten oder Hassan. Sie geht auch tief verschleiert. Sie wartet, bis ich mit dem Geld nach Hause komme. Tja, das macht unsere Ehe aus, leider nicht mehr.«

Meine Güte. Das war ja tiefstes Mittelalter. Fast bekam ich Mitleid mit Karim. »Habt ihr euch denn nie geliebt?«, wagte ich zu fragen.

»Wir haben damals geheiratet, weil unsere Eltern die Hochzeit arrangiert haben. Aber es war nie eine Beziehung auf Augenhöhe. Wir reden nicht, wir lachen nicht, wir haben keinen Sex, und das vermisse ich alles schmerzlich.« Er sah mich sehnsüchtig an. »Zu Hause habe ich das Sagen, aber ich wünsche mir …«

Da war sie wieder, die Hand an meiner Wange – wie gern hätte ich mich hineingeschmiegt! Auf einmal tanzten tausend Schmetterlinge in meinem Bauch.

»Ich wünsche mir Zärtlichkeit, ich wünsche mir, als Mensch wahrgenommen zu werden, nicht nur als Geldverdiener. Ich habe doch auch Gefühle und möchte so viel geben, eine Frau verwöhnen, beschützen, auf Händen tragen und lieb haben dürfen.«

O Gott, er wirkte so verletzlich, so einsam, so bedürftig – und gleichzeitig so stark und männlich.

»Ich kann jetzt verstehen, was dir fehlt«, murmelte ich und schmiegte tatsächlich mein Gesicht in seine warme Hand. Auf einmal fühlte ich unendlich geborgen und angekommen. Bei einem Menschen, den ich erst ein paar Stunden kannte.

3

Fürth, Oktober 1995

In dem Moment hörte ich den Schlüssel in der Wohnungstür. O nein, schoss es mir durch den Kopf. Bitte nicht jetzt.

»Jan?!«

Schon stand der blonde Hüne auf der Matte. Karim und ich schossen auseinander wie zwei ertappte Schüler.

»Alles in Ordnung?«, fragte Jan misstrauisch.

Ob er meinen heimlichen Hilferuf gespürt hatte? Aber das war ja schon Stunden her! Jetzt brauchte ich ihn eigentlich gar nicht mehr …

»Was machst du denn hier?«, fragte ich einigermaßen verwundert. »Wolltest du nicht bei deiner Freundin übernachten?«

»Mein Auto ist kaputt«, kam es ebenso sachlich wie ungerührt zurück. »Kannst du mich morgen früh um sieben nach Nürnberg in die Werkstatt fahren? Ich muss danach sofort weiter zu einem geschäftlichen Termin!«

Hastig rappelte ich mich hoch und zog Rock und Bluse glatt. »Ja, klar. Ähm. Natürlich. Dann … Wie machen wir das jetzt mit dem Übernachtungsbesuch?« Verwirrt drehte ich mich einmal um die eigene Achse und fuhr mir durchs Haar.

»Sofa?«, fragte Jan, dem nicht entgangen war, wie vertraut ich mit einem bis vor Kurzem völlig Fremden auf dem Fußboden gesessen hatte. Er zwinkerte mir verschwörerisch zu.

Hatte er mich tatsächlich retten wollen? Oder war sein Auto wirklich kaputt? Vielleicht auch die Beziehung zu seiner neuen Freundin? Jedenfalls war Jan jetzt hier und wollte in sein Bett. Unter dem schon die irakischen Pantoffeln standen. Und neben dem der Gebetsteppich lag.

Karim war ebenfalls aufgesprungen. »Ich will keine Umstände machen …«

Freundlich winkte ich ab. »Jan, darf ich vorstellen – das ist Karim, mein Besuch aus Amsterdam. Karim – mein Mitbewohner Jan.«

Unauffällig musterten die beiden Männer einander. Bestimmt witterte Karim doch einen heimlichen Liebhaber in Jan, der meinen orientalischen Fremden erst mal unter die Lupe nehmen wollte.

Hastig machte ich mich daran, das Sofa, an dem wir eben noch gelehnt hatten, auszuziehen und in ein Gästebett zu verwandeln. Geschäftig wie Frau Holle schüttelte ich Kissen auf und überzog Decken mit frischer Bettwäsche. »Es ist sowieso schon nach Mitternacht …«

Damit war unser inniges Tête-à-Tête endgültig vorbei. Halb war ich enttäuscht, halb erleichtert. Ich brauchte dringend eine kalte Dusche! Also ließ ich zu, dass sich die beiden Testosteronbomben beschnupperten, und verschwand fürs Erste im Bad. Während ich mein rotfleckiges Gesicht im Spiegel betrachtete, bekam ich mit, wie der ahnungslose Jan unserem muslimischen Gast vergeblich ein Bier anbot.

»Nein danke«, wehrte Karim höflich ab. »Als gläubiger Moslem trinke ich keinen Alkohol.«

»Na, das kann ja heiter werden!«, hörte ich Jan noch murmeln, der sich kurz darauf mit einer kalten Flasche Bier in sein Zimmer verzog.

»Karim?« Auf Samtpfoten schlich ich ins Wohnzimmer. Und witterte seinen männlichen Geruch, den ich später so lieben sollte. Draußen war alles noch dunkel. Es war zwar erst Oktober, aber ungewöhnlich kalt für die Jahreszeit. Es hatte doch tatsächlich über Nacht geschneit!

»Karim?« Behutsam rüttelte ich ihn an der Schulter. Verwirrt schlug er die Augen auf und sah mich an wie eine Erscheinung.

»Möchtest du gleich in die Stadt mitfahren? Dann würdest du den Frühzug bekommen.« Während meiner schlaflosen Nacht hatte ich beschlossen, der Sache erst mal ein Ende zu bereiten. Ich brauchte Zeit.

Mit einem Schlag saß Karim senkrecht auf dem Sofa. »Wie spät ist es?«

»Halb fünf«, flüsterte ich schuldbewusst. »Es tut mir leid, dich so früh zu wecken, aber ich muss Jan zur Werkstatt fahren, und da komme ich auch am Bahnhof vorbei.«

Eine innere Stimme hatte mir gesagt, dass ich besser etwas Distanz zwischen uns bringen sollte. Ein Fremder war in mein Leben getreten, der mich gleich heiraten, zu einem anderen Glauben bekehren und mich in ein anderes Land entführen wollte. So ging das nicht! Natürlich gefiel er mir. Natürlich fand ich ihn anziehend, außergewöhnlich spannend und sympathisch. Das Ganze klang nach einem riesigen Abenteuer, nach Tausendundeine Nacht. Es prickelte in mir, ohne Frage. Aber ich brauchte sofort Abstand, sonst würde ich mich noch zu hormongesteuerten Verrücktheiten hinreißen lassen.

»Also? Stehst du auf, oder möchtest du weiterschlafen?«

Ich verkniff mir das Wörtchen »etwa«.

»Nein, nein, das passt schon. Mir ist es auch lieber, den Frühzug zu nehmen. Dann kann ich in Amsterdam nach dem Rechten sehen.« Geschäftlich? Oder sprach er von seiner Familie? Jedenfalls war er pflichtbewusst. Er stand auf. »Kann ich ins Bad?«

»Ja. Ich bin schon fertig, und Jan rührt sich noch nicht.«

Während ich in der Küche Tee und Eier zubereitete, spähte ich heimlich durch den offen stehenden Spalt der Badezimmertür und sah, wie Karim sich mit heiligem Ernst Hände, Füße, Arme und Gesicht wusch. Das sah mir sehr nach rituellen Waschungen aus. Kaum war Karim fertig, schlurfte Jan splitternackt unter die Dusche und seifte sich laut singend ein. Wie unterschiedlich die beiden Männer doch waren!

»Kommst du zum Frühstück?«

»Nein, Nadia, ich brauche noch Zeit für mein Gebet.«

Karim hatte sich tatsächlich neben das Sofa gekniet und verneigte sich gen Osten. Wieder dieses Händeheben, Murmeln, Arme-vor-der-Brust-Verschränken und Stirn-auf-den-Boden-Drücken, das ich schon am Vorabend beobachtet hatte.

Mit gemischten Gefühlen schlich ich zurück in die Küche und machte einen Obstsalat. Dabei schnitt ich mir fast in den Finger. Nadia, hast du sie noch alle? Lass ihn aus deinem Leben gehen! Wohin soll das führen?

Wir frühstückten schweigend. Jan las den Sportteil der Zeitung, und Karim hing seinen Gedanken nach. Dabei sah er mich unverwandt an.

»Oder wolltest du lieber noch bleiben?« Fast erschien mir mein Rauswurf jetzt zu brutal.

Jan hob hinter seiner Zeitung eine Augenbraue.

»Nein, Nadia. Mach dir keine Sorgen. Ich verstehe deine Situation. Es passt mir gut, den früheren Zug zu nehmen.« Karim lächelte mich absolut lieb und verständnisvoll an, während er noch einmal beherzt in den Brotkorb griff. »Das Brot hier ist köstlich. Und die Marmelade, selbst gemacht?«

Also eines musste man ihm lassen. Beleidigt war er nicht. Im Gegenteil! Er wirkte absolut gelassen, ruhte richtig in sich.

Was natürlich ein nicht zu verachtender Pluspunkt ist bei einem Mann.

Nadia? Du wägst doch nicht ernsthaft ab, was dieser Mann für Pluspunkte hat? Er kommt auf keinen Fall für dich infrage!

Er ist verheiratet! Schlag ihn dir aus dem Kopf!

Energisch räumte ich den Tisch ab und stellte Butter, Käse und Milch in den Kühlschrank.

Auf dem Weg zum Bahnhof unterhielten sich die beiden Männer auf Englisch über irgendwelche Fußballvereine, mit denen ich mich nicht auskannte. Ich konzentrierte mich aufs Fahren, denn es lag tatsächlich eine dünne Schneedecke auf der noch unberührten Straße. In einer Stunde würde der Berufsverkehr losgehen, aber noch gehörte die ganze Stadt uns. Wie passend, dachte ich. So unberührt diese Stadt im Morgengrauen daliegt, so unberührt liegt mein weiteres Leben vor mir.

Karim, dachte ich seltsam berührt. Wirst du in Zukunft eine Rolle in meinem Leben spielen? Oder war das hier nur ein prickelnder Überraschungsbesuch, um mein Selbstbewusstsein zu heben?

Ein einsamer Schneepflug tuckerte mit organgefarbenem Blinklicht vor uns her. Die Bäume am Straßenrand hatten noch nicht ihr Laub verloren, waren aber wie von Zuckerguss überzogen. Märchenhaft schön.

Das gibt’s doch nicht, dachte ich und meinte damit nicht nur das seltene Naturschauspiel, sondern alles, was sich in den letzten vierzehn Stunden meines Lebens ereignet hatte.

Verstohlen schielte ich zu meinem wohlriechenden Beifahrer hinüber.

Er hatte den Kopf nach hinten gedreht, weil er mit Jan sprach. Sein Profil war atemberaubend.

»Lasst mich hier schon raus, ich sprinte durch den Park zur Werkstatt.« Jan war so taktvoll, uns für unseren Abschied allein zu lassen. Er verabschiedete sich und sprang an einer roten Ampel aus dem Wagen.

Die Straßenlaternen gingen gerade aus, als wir vor dem Nürnberger Bahnhof standen. Mit einem Mal war die märchenhafte Beleuchtung einem fahlen Grau gewichen.

»Lass uns noch einen Kaffee trinken, Nadia.«

Karim legte den Arm um mich und schob mich in ein kleines Stehcafé, das soeben seine Rollgitter hochgefahren hatte.

»Ich danke dir noch mal von Herzen für deine Gastfreundschaft.«

»Gern geschehen, Karim. Es war schön mit dir.«

»Wirst du über meine Worte nachdenken?«

»Natürlich«, versprach ich.

»Ich bin nicht zum Spaß hergekommen. Ich meine es ernst.«

Uff. Da hielt ich mich an meinem Kaffee fest und begann zu träumen: Er hatte dieses unglaubliche Etwas. Er war kein Spinner. Er war ein bekennender Moslem.

»Ich denke ernsthaft darüber nach.« Hatte ich das gerade gesagt?

»Gut so, Nadia. Ich weiß, dass wir eine gemeinsame Zukunft haben können.« Er lächelte zuversichtlich.

Schweigend pustete ich in meine Tasse. Du spinnst doch, Mann! Aber warum jetzt den Abschied zerstören. Ich sehe ihn nie wieder, redete ich mir ein.

Es wurde Zeit zu gehen. Er zahlte, nahm seinen Aktenkoffer und führte mich auf die Rolltreppe. Wir glitten zum Bahnsteig hinauf. Weiß stand der Atem vor unseren Mündern. Der Zeiger der großen Uhr sprang auf sechs.

Wir lächelten uns an, er drückte meinen Arm.

»Auf Gleis fünf fährt der ICE nach Amsterdam ein. Vorsicht bei der Einfahrt!«

Wieder kam der Zug, der Karim gestern ausgespuckt hatte. Jetzt würde er ihn wieder verschlucken.

»Nadia, darf ich dich anrufen?« Verstohlen gab mir Karim drei kleine Wangenküsschen.

»Jederzeit.« Er roch so gut, so vertraut und warm! Ich hätte seinen Duft in einer kleinen Flasche konservieren sollen, um sie dann zu Hause dann und wann zu öffnen und ihn herauszulassen wie den Flaschengeist aus Tausendundeiner Nacht.

»Ich will dich nicht mehr aus meinem Leben lassen, Nadia.«

O Gott, wie wunderbar das klang!

Er schwang sich aufs Trittbrett und drehte sich noch einmal winkend zu mir um.

»Ich dich auch nicht«, hörte ich mich das Quietschen der Lok übertönen.

Dann piepten die Türen, bevor sie sich automatisch schlossen. Klappernd setzte sich der Zug in Bewegung. Ich winkte lahm. Wenigstens war es keine vergeudete Zeit, dachte ich mir. Jede Minute ist kostbar gewesen.

Energisch drehte ich mich um und rannte die Treppe hinunter.

4

Fürth, Oktober 1995

»Der hat dir was?!« Jan schlug sich auf die Oberschenkel vor Lachen, als ich ihn nachmittags zu Hause antraf. »Einen Heiratsantrag gemacht?«

»Na ja, so was Ähnliches. Er ist ja schon verheiratet, aber anscheinend nur noch auf dem Papier.«

Jan kugelte sich trotzdem. »Der alte Araber! Auf Freiersfüßen!«

»Ja, jetzt lach mich nicht aus, so alt und hässlich bin ich auch wieder nicht!« Ein bisschen fühlte ich mich gekränkt, dass Jan die Vorstellung so absurd fand. Er lümmelte auf dem Sofa, auf dem Karim geschlafen hatte, und schaute sich eine Sportsendung im Fernsehen an.

Die Decken und Kissen lagen noch darauf und dufteten nach Karim. Jan hatte seine Quadratlatschen darauf geparkt. Natürlich aß er wieder direkt aus der Verpackung, ohne Teller und Besteck. Alles war mit fettiger Pizza vollgekrümelt.

»Weißt du, Nadia, irgendwie hab ich gestern gedacht, die verrückte Frau ist mit einem Araber allein in der Wohnung, ich schau mal lieber nach ihr.«

»Das war doch nicht nötig! Ich bin selten einem so anständigen Mann begegnet.« Vorwurfsvoll starrte ich auf die Krümel.

»Die Nadia ist dabei, sich in ihr Unglück zu stürzen«, fuhr Jan unbeeindruckt fort. »Da hab ich meiner Freundin einen Korb gegeben und bin gleich zu dir.«

»Und dabei ist dir auch noch das Auto kaputtgegangen.«

»Bisschen zu knapp ausgeparkt. Ist schon repariert.«

»Aber jetzt sag doch mal, wie findest du ihn?« Ich schob seine Quadratlatschen zur Seite und setzte mich auf die Sofakante. Währenddessen nahm ich ihm die Fernbedienung aus der Hand und sorgte dafür, dass sich zweiundzwanzig Jungs im Trikot samt Ball in Luft auflösten.

»Wie findest DU ihn? Das ist doch wohl hier die Frage.« Jan sah mich prüfend an.

Ich seufzte tief. »Ich finde ihn hinreißend.«

»Warum?«

»Er ist klug, gebildet, einfühlsam, sanft, respektvoll, humorvoll. Er bringt mir Wertschätzung entgegen, was mein Ex nie getan hat, ja, er vergöttert mich!«

»Aber?«

»Eigentlich kein Aber. Höchstens, dass er verheiratet ist, Moslem ist und in den Oman auswandern will.« Ich grinste.

»Warum heiratest du nicht gleich den Sultan von Saudi-Arabien?«

»Jan, kannst du nicht eine Minute sachlich bleiben?!«

»Okay. Sachlich. Bist du nicht gerade erst geschieden?«

»Fast! Ich warte noch auf die Scheidungspapiere. Morgen hab ich einen Termin beim Anwalt. Und zum Arbeitsamt muss ich auch. Du weißt ja, mein Job wurde wegrationalisiert, und ich muss schauen, dass ich noch was in der Modebranche kriege.«

»Okay, immer noch sachlich: Hast du nicht ohne Ende von deiner neuen Freiheit geschwärmt?« Jan tupfte einige Pizzakrümel von der Glastischplatte und steckte sie sich in den Mund. »Du hast bisher in einem superangesagten Modeladen gearbeitet, warst dort Abteilungsleiterin und hast den Damen der Gesellschaft überteuerte Designerfummel an den Leib gehängt. Du läufst in Markenklamotten rum und hast für dein Alter den knackigsten Arsch, den ich kenne. Du wirst dich doch in Zukunft nicht verschleiern wollen, oder?«

»Ich bin bescheuert, oder?« Unauffällig wischte ich mit einem Stück Küchenpapier über die von ihm hinterlassenen Fettschlieren.

»Och. Das hast jetzt aber du gesagt.« Jan trank einen Schluck Bier aus der Flasche und stellte sie auf die Glasplatte, bevor ich einen Untersetzer drunterschieben konnte.

Männer! Das ganze Theater hatte ich doch gerade erst zwanzig Jahre lang mit Harald gehabt!

»Jan, kannst du mir mal ganz fest eine runterhauen?«

»Nee. Das musst du schon selber tun.« Jan nahm meine Hand und knallte mir spielerisch eine.

»Besser jetzt?«

»Ich weiß nicht, ich bin total durcheinander …«

Jan zog ein Augenlid nach unten und guckte mich schelmisch an. »Ich meine, habt ihr …?«

»Jan! Natürlich NICHT! Er ist ein gläubiger Moslem!« Jetzt schoss mir auch noch die Röte ins Gesicht.

»Dann verstehe ich das ganze Theater nicht. Der ist doch aus einer völlig anderen Welt! Du hast lackierte Fingernägel, trägst enge Jeans und spielst Tennis im kurzen Röckchen! Du trinkst auch mal ein Glas Prosecco oder Wein. Du ziehst nachts gern mit deinen Freundinnen um die Häuser nach eurem Tennis. Meinst du, das erlaubt er dir alles noch?«

»Quatsch, Blödsinn, das steht doch gar nicht zur Debatte …«

»Und er ist verheiratet.«

»Ja. Das volle Programm.« Ich senkte verlegen den Kopf und spielte mit meiner Halskette. »Sie heißt Suleika und geht nur verschleiert und in Begleitung von ihm oder dem Sohn aus dem Haus.«

Jan lachte wieder sein schallendes Lausbubenlachen und schlug sich mit der Hand aufs Bein. »Köstlich, Nadia, ganz köstlich! Mit dir muss man sich nie langweilen! Kinder hat er also auch.«

»Drei.«

»Nadia, ich liebe deine Flausen, ehrlich! Meine Freundin ist schon richtig eifersüchtig auf dich.« Plötzlich wurde er ernst. »Aber du heiratest auf keinen Fall einen Araber.«

»Nein, ich …«

»Sprich mir nach: Ich heirate keinen Moslem.«

»Ich. Heirate. Keinen. Moslem.«

»Versprich mir das!«

»Jahaaaaa!«

»Gut. Dann hätten wir das auch besprochen.« Er griff zur Fernbedienung und holte die Bundesligakerle zurück. »Bist du so nett und bringst mir ein neues Bier, wenn du in die Küche gehst?«

Ich trollte mich. Für Jan war das Thema erledigt. Ich hörte ihn im Wohnzimmer noch ein paarmal wiehernd lachen und zwischendurch »Tor!« schreien, während ich Karims Bettzeug ein bisschen zu innig an mich drückte, bevor ich es in die Waschmaschine steckte.

Mein Blick fiel auf den Spiegel, und ich stand da wie ertappt. So hatte er heute Morgen gerochen, als ich ihn zu unchristlicher Zeit aus dem Schlaf geholt hatte.

Unchristlich! Hatte ich das gerade tatsächlich gedacht? War er ja auch. Trotzdem: Einem so außergewöhnlichen Mann war ich bisher noch nie begegnet. Der ruhte so in sich und hatte Werte. Richtig tiefe religiöse Werte, an die er sich hielt. Wie charmant!

Und wie er mich angesehen hatte: so respektvoll. Als sei ich etwas ganz Kostbares. Er war weit gereist, um mich kennenzulernen, ich war ihm wichtig. Er hatte die schönsten Augen, in die ich je geblickt hatte, mit rehbraunen Sprenkeln darin und …

Nadia, reiß dich zusammen, befahl ich mir und drückte die Taste für den Kochwaschgang.

5

Fürth, November 1995

»Herzlichen Glückwunsch, Frau Schäfer. Sie sind jetzt frei.« Ich saß meinem Scheidungsanwalt Dr. Jürgen Bielefeld gegenüber. Seine Frau Christiane, eine elegante sportliche Dame, war eine meiner besten Kundinnen gewesen.

Mir entfuhr ein erleichterter Seufzer. Zwei Jahre hatte ich nun auf die verdammten Scheidungspapiere gewartet!