Mein Weg mit Buddha - Anja Kruse - E-Book

Mein Weg mit Buddha E-Book

Anja Kruse

4,5

Beschreibung

Der Weg in ein harmonisches und sinnvolles Leben. Anja Kruse ist seit fast 20 Jahren praktizierende Buddhistin. Für sie stellt der Buddhismus mehr Lebensphilosophie als Religion dar, auch wenn sie wie alle Buddhisten an die Reinkarnation der Seele glaubt. Besonders fasziniert sie, dass sich nach dieser Lehre die Lebensbedingungen eines Menschen – sein Schicksal oder Karma – aus der Summe aller seiner Taten ergeben und somit jeder von uns die Chance hat, sein Karma zu verändern und sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Diese Erkenntnis hat Anja Kruse geholfen, harmonischere Beziehungen zu sich selbst und ihrer Umwelt aufzubauen. Sie gibt nicht mehr anderen – oder "irgendjemandem da oben" die Schuld, sondern kann und muss selbst etwas tun, wenn etwas in ihrem Leben schiefläuft. Sie allein hat die Verantwortung für sich selbst und – da im Buddhismus alle Lebewesen mit-einander verbunden sind – auch für andere. Ehrlich und mitreißend erzählt Anja Kruse in diesem Buch von ihrer Suche nach Erleuchtung und davon, wie man auch ohne orangefarbene Gewänder, Räucherstäbchen und Kloster-Askese ein guter Mensch sein und ein erfülltes Leben führen kann.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2013

© 2013 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Birgit Walter

Umschlaggestaltung: Julia Jund

Titelfoto: © Larry Williams, aufgenommen im Kulturzentrum der SGI-Europe in Trets, Südfrankreich

Rückseite: privat, Gelände des SGI-Kulturzentrums, Campagne Longarel, Trets, Südfrankreich (mit Blick auf den Mont Sainte Victoire)

Satz: Georg Stadler, München

ISBN Print 978-3-86882-433-9

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86415-450-8

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86415-451-5

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.muenchner-verlagsgruppe.de

Inhalt
Prolog
Auf der Suche
Klostermauern
Adieu, mein Freund
Erste Begegnungen
Jahre des Lernens
Ursache und Wirkung
Die Zehn Welten
depression
heimweg
schmetterlinge
Mein Leben bewegt sich
Um jeden Preis
Die Ewigkeit des Lebens
Trets
Nutzen, Hindernisse und Irrwege
Das Märchen vom Sternchen
Tsunami
Jeder Winter wird zum Frühling
Jeder Winter wird zum Frühling
Dank
Bildteil
Anmerkungen & Quellen

»Die große Revolution des Charakters eines einzelnen Menschen trägt dazu bei, das Schicksal einer ganzen Nation und sogar das Schicksal der Menschheit insgesamt zu verändern.«

Prolog

»Das ist dein Jahr«, sagte die beste Freundin von allen mit Tränen in den Augen.

»Na ja!«, wiegelte ich ab, »es ist Juli und so prickelnd war’s bisher noch nicht.«

Tja, wenn man über den Zaun sehen könnte, wenn ich wenigstens ein kleines bisschen wüsste, was dieses Jahr noch mit mir vorhat … Ist es nach den unterirdischen Zeiten der letzten Jahre nicht endlich Zeit für den Reset-Button? Es ist schwer zu beschreiben, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass gerade ein Knoten aufgegangen war. Der interessante Theaterjob in Worms zum Beispiel, der im Frühjahr ganz unerwartet vom Himmel (oder sage ich besser: aus dem Universum?) gesegelt kam. Aus dem Nichts. Er gab mir plötzlich dieses unbestimmte Gefühl, dass da irgendjemand oder irgendetwas den Reset-Schalter gedrückt hatte.

Ich bin ein Küken oder – treffender formuliert – ein Schmetterling und sitze auf den Resten meines zerbrochenen Kokons, den Überbleibseln aus einer Zeit der Metamorphose. Beinahe ungläubig stelle ich fest, dass ich Flügel habe, auch wenn ich noch nicht den Mut habe, damit zu fliegen. Ich fühle mich in gewisser Weise neu, spüre, dass die Menschen mir anders begegnen – offener, positiver.

»Das ist dein Jahr! Sag ich doch immer. Und du wirst endlich den ganzen Müll hinter dir lassen«, setzte die beste Freundin von allen mit Nachdruck fort. Wir saßen im vornehmen Frühstücksraum des noch vornehmeren Hotel Adlon in Berlin und hatten ein herrlich spaßig-sportliches Rallye-Wochenende mit einer Flotte absoluter Traumautos und einigen kniffligen Aufgaben verbracht. »Und wenn du mich nicht verpfeifst«, fügte meine Freundin hinzu, »verrate ich dir jetzt schon etwas: Du hast die Rallye gewonnen!« Und ihre Augen schwammen vor lauter Rührung und Anteilnahme regelrecht davon. Nicht wegen der Rallye, denn die war in unserem Universum so unbedeutend wie das berühmte umgefallene Fahrrad in China.

Meine Süße hatte schon lange vor mir begriffen, dass ein ganz dunkelfinsteres Kapitel meines Lebens langsam, aber sicher zu Ende ging und dass ich dabei war, endlich ein riesen-karmisches Gepäck abzustreifen. Eine wahre Erleuchtung ihrerseits, denn meine Freundin weiß zwar, wie man Karma buchstabiert, ist aber ansonsten eher in christlichen Gefilden zu Hause. Diese kluge und hochemotionale Frau – ich war total gerührt über so viel Anteilnahme. Z8-Rallye-Sieger … Nun ja: Jeder Sieg ist ein Sieg!

Und es stimmt: In den letzten Monaten hatte es viele kleine Siege gegeben. Siege, die mir verdeutlichten, dass es richtig war, meinen Weg unbeirrt weiterzugehen und meine buddhistische Praxis fortzusetzen. Kleine Siege, die mich ermutigten, überhaupt wieder an Siege zu glauben, wieder nach draußen zu gehen, mich dem Leben zu stellen. Es hatte diese Talkshow gegeben, in der ich tiefere Einsichten in das Leben gewonnen hatte, in der ich erfahren hatte, mit welcher Größe andere Menschen mit Leid umgehen. Ein lieber Freund von mir war verstorben und sein Tod hatte mich gelehrt, dass das Wichtigste im Leben das Leben selbst ist, im Hier und Jetzt. Mir war bewusst geworden, dass es völlig albern ist, Vergangenes, Gewohntes und Liebgewonnenes um jeden Preis festhalten zu wollen. Ein gewaltiger Sieg, diese Erkenntnis, wie ich finde. Außerdem hatte ich zum Beispiel einen wundervollen Brief von einem Fan erhalten, der sich durch meinen Weg, meine buddhistische Praxis, ermutigt fühlte, sich aber die gleiche verzweifelte Frage stellte, die sich auch mir immer wieder aufdrängt: Warum man trotz der Anstrengungen in der buddhistischen Praxis so viel Mist um die Ohren gehauen bekommt. Eine junge Kollegin in Worms fragt mich Löcher in den Bauch über Buddhismus, über das »Chanten«1, über den Sinn, der dahintersteht, über das Lebensprinzip von Ursache und Wirkung. Dabei erkenne ich, dass ich ein Paradebeispiel für Karma und für das Prinzip von Ursache und Wirkung bin. Jacques Prévert schreibt: »Man müsste versuchen, glücklich zu sein, und sei es nur, um ein Beispiel zu geben.« Und genau das will ich tun. Es ist wohl an der Zeit, etwas weiterzugeben, jetzt, da ich langsam aufwache und beginne, mich zu begreifen, da ich anfange zu verstehen, wo ich bin, wo ich war und wohin ich mich verloren hatte. Und dabei fast vom Weg abgekommen wäre …

Es ist leicht, in eine Sackgasse zu geraten, das wird mir jeder, der schon ein bisschen gelebt hat, bestätigen. Man glaubt, sein Leben unter Kontrolle zu haben, doch Fußangeln gibt es überall. Man tappt leicht hinein. Der Mensch neigt zu dieser speziellen Art Blindheit, denn Fallen präsentieren sich in der Regel ungeheuer attraktiv, verführerisch und prickelnd. Eines Morgens wacht man dann auf und denkt: »Hallo? Wo ist mein Leben hin? Hier läuft irgendetwas ganz eklig falsch.« Aber man klebt wie mit Superkleber an diesem sogenannten Leben fest, und das erschwert den Abflug ungemein! Dennoch ist der erste Schritt geschafft: Man ist aufgewacht (wenn auch unsanft, verkatert, mit dickem Kopf) – und in diesem Erwachen liegt der Neubeginn.

»Die Hand, die etwas loslässt, zeigt auf etwas Neues«, sagte mein lieber Freund R. in einem weniger lustigen Moment meines Lebens, ein altes chinesisches Sprichwort zitierend. Wie ermutigend, wie wahr. Und wie schwer! Loslassen, nicht mehr der kreischenden Stimme im Innenohr zuhören, die ständig plärrt: »Ich will-will-will, ich brauch-brauch-brauch, das muss-muss-muss so sein und nicht anders!«

»Lâcher prise« begegnete mir damals in Paris: »Das Genommene, Festgehaltene loslassen«. 18 Jahre habe ich gebraucht, um dieses Konzept halbwegs zu verstehen und umzusetzen.

Dabei war ich doch schon so gut unterwegs gewesen. »Warum bin ich meinen spirituellen Weg nicht unbeirrt weitergegangen? Wie konnte so etwas passieren?«, frage ich mich. Ich hatte mich doch immer ernsthaft meiner buddhistischen Praxis gewidmet. Mich um gute Ursachen bemüht. Oder? Ich denke schon. Sollte sich das dann aber nicht als positive Wirkung bemerkbar machen? Schließlich hat man mir beigebracht, dass ich durch die Beherzigung dieser Grundsätze von den positiven Kräften des Universums beschützt werde. Heißt es doch: »Die Ausübenden des Lotos-Sutra2 werden beschützt.«

»Warum bekomme ich andauernd so viele Schwierigkeiten, obwohl ich doch chante wie verrückt?«, stand in dem Brief des Fans, einer praktizierenden Buddhistin.

Tja, vielleicht hatte ich mich selbst einfach zu sehr darauf verlassen, den Buddhismus in meinem Leben zu haben. Wie einen Knirps-Regenschirm, den man für alle Fälle in der Tasche hat. Und wenn es dann plötzlich regnet, wundert man sich, dass man nass wird. »Ich habe doch den Regenschirm dabei?« Doch es nutzt nichts, wenn man ihn in der Tasche hat. Solange wir ihn nicht aufgespannt haben, werden wir nicht beschützt. Vielleicht hatte ich in der Tiefe meines Lebens dem Schutz des aufgespannten Schirmes, sprich der Kraft des Chantens, noch nicht wirklich vertraut. Oder nicht damit gerechnet, dass ich mich in meinem Leben nicht nur in überdachten Malls bewegen würde, sondern auch Felder, Wälder und Wiesen durchqueren musste.

Im Buddhismus geht es um das Urvertrauen, dass wir siegen können, wenn wir es aus tiefstem Herzen wollen, ganz gleich, in welcher Lage wir uns gerade befinden. Das ist das universelle Geheimnis, das Gesetz des Lebens. Es geht um Sieg oder Niederlage. Wir schaffen die Basis für unzerstörbares Glück im Leben, indem wir uns den Herausforderungen stellen. Probleme und Schwierigkeiten lassen uns stark werden, je größer sie sind, umso mehr wachsen wir über uns hinaus. Widrigkeiten sind quasi das Fitnesstraining fürs Leben. Wie bei den Pflanzen, deren Wurzeln tiefer wachsen, wenn sie starkem Wind ausgesetzt sind.

»Na bravo!«, werden Sie, liebe Leser, jetzt sagen, doch ich kann es nicht ändern, es ist einfach so. Hindernisse kann man nur überwinden, nicht umgehen. Ausweichen oder Davonlaufen funktioniert nicht. Theoretisch weiß ich das seit 18 Jahren, die Umsetzung in die Praxis dauerte jedoch etwas länger als geplant. Diese Erfahrung war eine der wichtigsten, die ich machen durfte und musste. Sie war mein persönliches karmisches Thema.

Stopp. Ich stelle gerade fest, dass ich mächtig vorgreife und eigentlich zurückblättern muss. Wie war das noch? Wie fing alles an? Das, was ich heute bin, ist die Summe meiner Ursachen.

Fakt ist: Wenn du die Wirkung des Heute verstehen willst, betrachte die Ursachen, die du gestern gesetzt hast. Richte die Ursachen, die du heute setzt, danach aus, was du morgen als Wirkung erhalten willst. Jede Tat, ob gut oder böse, wird in der Tiefe des Lebens eingraviert und zeigt schließlich die entsprechende gute oder schlechte Wirkung. Der Buddhismus erklärt, dass die Taten unserer vergangenen Existenzen im gegenwärtigen Leben ihre Wirkung zeigen, während unsere gegenwärtigen Taten unsere Zukunft bestimmen. Das Leben ist ewig und das Gesetz von Ursache und Wirkung durchdringt unser Leben in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Alles klar? Nein?

Also gehen wir ein Stückchen zurück.

Nein, ich glaube, ich muss wirklich ganz von vorn anfangen …

Keine Angst, das hier wird kein trockenes Lehrbuch über Buddhismus. Auch nicht das dreitausendzweihundertsiebenundneunzigste Buch über den Sinn des Lebens. Ein solches Unterfangen wäre schwierig, mühsam und anspruchsvoll – und ich glaube, nicht allzu viele Menschen haben die Zeit und die Muße, sich damit auseinanderzusetzen. Eines ist aber sicher: Wir Menschen wollen sehen, dass unser Leben eine Bedeutung hat, oder wir wollen wissen, wie wir ihm Bedeutung geben können. Wir möchten einen Grund haben, morgens aus dem Bett zu krabbeln. Wir wollen uns und unsere Rolle in diesem riesigen Universum ein bisschen verstehen.

Was also bringt eine Anja Kruse morgens aus dem Bett? Abgesehen von den Tagen, an denen sie fürs Aufstehen bezahlt wird? Es hat etwas mit Glauben zu tun. Mit Vertrauen, dass die Dinge einer universellen Ordnung unterliegen und somit auf jeden Fall »in Ordnung« kommen. Und es kommt nicht darauf an, ob man das versteht oder nicht. Es macht keinen Unterschied. Jeder mag das auf seine Art und Weise leben.

Ich möchte hier versuchen, meinen Weg zu erzählen, meine Suche zu beschreiben und den Prozess meiner Orientierung zu schildern. Mir ist etwas Wunderbares begegnet. Etwas, das mein Leben auf den Kopf gestellt hat. Umgekrempelt. Etwas, das alles Bisherige infrage gestellt und die Karten neu gemischt hat. Mein ganz persönlicher Weg mit Buddha. Meine »menschliche Revolution«. Die Erkenntnis, dass ich allein der Grund meiner Veränderung bin. Diese Erfahrung möchte ich gerne teilen. Ich will Mut machen anzuhalten, den eigenen Weg zu überdenken und das Vertrauen zu entwickeln, dass jeder von uns unendliche Lebenskraft besitzt. Das haben wir mitunter einfach nur vergessen.

Worum geht es letztendlich? Was wollen wir alle? Glücklich sein, natürlich! Doch das sogenannte Glück, das uns in unserem Leben begegnet und das wir krampfhaft festhalten wollen, ist in Wahrheit meist nur von vorübergehender Natur. Es ist nicht das, was unser wahres Wesen ausmacht und uns wirklich Freude und Zufriedenheit schenkt. Diesen Unterschied zu verstehen und daraus die Konsequenzen zu ziehen, erfordert Zeit, gelebtes Leben, Höhenflüge, aber auch Tiefschläge. Gewaltige Tiefschläge, leider.

Mann, klingt das banal! Was für ein Allgemeinplatz! Das weiß doch jeder. Streichen! Nein, ich lasse den Abschnitt trotzdem stehen, weil ich nun alt genug geworden bin, um das, was ich als wirkliches Glück bezeichne, annähernd zu begreifen. Und nach den tief greifenden Erfahrungen, die ich auf meinem buddhistischen Weg gemacht habe, nach vielen, vielen Interviews und einigen Talkshows, in denen ich mich zu diesem Thema geäußert habe, ist es, denke ich, jetzt an der Zeit, alles einmal zu Papier zu bringen.

Eines ganz klar vorab: Wer jetzt denkt: »Ach, schon wieder so eine ›Promibiografie‹, – bitte weiterlesen. Denn das wird’s garantiert genauso wenig wie der oben erwähnte »buddhistische Ratgeber für alle Lebenslagen«. Und wer jetzt enttäuscht ist, keine hübschen und prickelnden Enthüllungsgeschichten aus dem Leben eines Fernsehstars (schreckliches Wort!) erzählt zu bekommen, bitte dieses Buch gleich wieder zuklappen und weiterverschenken – und 30 Jahre warten. Dann werde ich vielleicht so etwas schreiben. Wenn ich alt, grau und weise geworden bin. Und die nötige Distanz zu dieser Parallelwelt auf dem roten Teppich gewonnen habe. Und den Humor, mich damit auseinanderzusetzen. Falls ich mich dann noch daran erinnern kann …

Auf der Suche

Ich war ein besonderes Kind. An einem Sonntag geboren, im Zeichen des Löwen. Ich hatte immer meinen eigenen Kopf, einen dicken Kopf, zugegeben. Für mich musste eine Fünf immer gerade sein, der Weg geebnet und Probleme von anderen für mich aus der Welt geschafft werden. Geschenke erachtete ich als Selbstverständlichkeit.

Bei dieser Gelegenheit fällt mir das Bonmot ein, das mein Vater immer parat hat, wenn es um mich geht: »Woran erkennt man einen echten Löwe-Geborenen? Er geht hinter einem durch eine Drehtür und kommt vor einem heraus.«

Das Leben hat mich verdammt reich beschenkt. Mit einer glücklichen, behüteten Kindheit, in der alles, was Spaß machte, möglich war – ohne aufs Geld schauen zu müssen. Ich durfte Flöte und Gitarre spielen lernen, reiten und voltigieren. Im Alter von sechs Jahren hatte ich bereits mein eigenes Konzert- und Theaterabo. Im Winter stand Skifahren auf dem Programm, im Sommer Klettern, Wandern oder Strandurlaub. Meine Eltern finanzierten meine Turniertanzkurse, freuten sich über meine Teilnahme in der Laienspielgruppe der Schule und legten auch meiner Berufswahl als Schauspielerin keine Steine in den Weg. Die Aufnahmeprüfung an einer der renommiertesten Schauspielschulen Deutschlands bestand ich auf Anhieb – ich bekam unter 900 Kandidaten einen der zehn Studienplätze, inklusive Stipendium. Was für ein großartiges Geschenk, was für ein Sieg! Damit begann eine der glücklichsten Zeiten meines Lebens – wenn man unter »Glück« versteht, sorglos wie ein Kind in der Sandkiste spielen zu dürfen und alle Wünsche erfüllt zu bekommen, sogar jene, von denen man gar nicht weiß, dass man sie hat. Eine gefährlich unreflektierte Welt. Die Welt meiner Rollenfiguren, die ich spielend erforschte, ohne Verantwortung übernehmen zu müssen, denn das harte Berufsleben hatte ja noch nicht begonnen. Für mich war es aufregend und Spaß pur. Und nach dem Schulabschluss ging es genauso weiter: Ich erreichte alles, was ich wollte, ohne kämpfen zu müssen. An den Theatern, die ich mir aussuchte, wurde ich engagiert, Hörspiele kamen als interessante und lukrative Nebenjobs hinzu, die ersten Drehtage beim Fernsehen stellten sich ein. Und auch ein A-Klasse-Kinofilm: Die Weiße Rose von Michael Verhoeven. Wenig später gesellte sich noch das absolute Überflieger-Geschenk dazu: die Hauptrolle in Die schöne Wilhelmine, die auch noch mit der »Goldenen Kamera« als Sahnehäubchen obendrauf dekoriert wurde. Die Fernsehkarriere lief in einem atemberaubenden Tempo mit mir davon. Ich spielte ausschließlich Hauptrollen – und fand das ganz normal. Zum Nachdenken und Innehalten blieb mir keine Zeit. Auch privat befand ich mich auf der Sonnenseite des Lebens. Ich wurde geliebt. Immer. Und fast bedingungslos. War das für kurze Zeit nicht der Fall, begegnete mir mit Sicherheit der nächste Mann, der mir in die Arme fiel und dem ich meine Liebe schenken konnte. Der Platz auf Wolke sieben war für mich der schönste im Universum und speziell für mich reserviert.

Alles lief wie geschmiert und ich gewöhnte mich an die Geschenke, die mir das Leben machte.

Es ist schon verwunderlich, dass ich bei so viel Glücklich- und Zufriedensein trotzdem auf Sinnsuche war. Vielleicht, weil mich die Sonnenstrahlen meines Glücks nie komplett blind gemacht haben? Vielleicht aber auch nur, weil ich, wie viele andere Menschen, wissen und verstehen wollte, was »die Welt im Innersten zusammenhält«, wie Goethe es im Faust so treffend formuliert.

Glaubenstechnisch war meine Kindheit evangelisch geprägt, mit Kindergottesdienst, Christkind, Nikolaus, Christmette in den Skiferien, Konfirmandenunterricht, also mit dem ganzen traditionellen Programm. Ich fand das okay so und nahm die Existenz von Gott und Jesus als selbstverständlich und gegeben hin.

Trotzdem schlich sich eine latente Unzufriedenheit ein. In irgendeiner Weise schien mir das, was mir meine Kirche erzählte, zu vielen Dingen des Alltags im Widerspruch zu stehen. Ich war 16. In der Schule lasen wir Siddhartha von Hermann Hesse, die Geschichte eines Suchenden, der zwischen Askese und weltlichem Überfluss pendelnd einen langen Weg geht, um dem Sinn des Lebens auf den Grund zu kommen. In dem Roman begegnet Siddhartha dem historischen Buddha (Gautama beziehungsweise Shakyamuni) und erkennt, dass man nicht durch die reine Lehre, also durch Studium, die Erleuchtung erlangt, sondern sie mit seinem eigenen Leben erfahren muss. Ich bezweifle, dass ich dieses beeindruckende Werk damals wirklich verstanden habe, doch es warf viele Fragen auf. Zum Beispiel die Frage nach dem Tod, den ich nicht verstand, vor dem ich mich fürchtete und den ich bis dato erfolgreich aus meinem persönlichen Leben ausklammern konnte. Dennoch gibt es in der ganzen Welt Mord und Totschlag, hungernde Kinder, Ungerechtigkeit, Krankheit und anderes Leid. Hinzu kommen die Religionskriege, die Inquisition und die Hexenverbrennungen, die alle im Namen Gottes beziehungsweise der Kirche durchgeführt worden waren. Es stimmte doch einfach nicht, sagte ich mir, dass ein sogenannter lieber Gott das alles so geschehen ließ. Und die Kirche darf tun, was ihr Spaß macht? Das kann’s doch nicht sein! Die Antwort, die ich auch bei meinen gelegentlichen Ausflügen in die »katholische Fraktion« erhielt, war immer die gleiche: Nicht hinterfragen, nicht zu verstehen versuchen, einfach glauben. Der Glaube, so hieß es, wäre über jeden Zweifel erhaben.

Wie so viele andere in meiner Klasse war ich in jugendlicher Aufbruchsstimmung. Im Religionsunterricht stand Jesus Christ Superstar auf dem Programm. Echt cool. Der Typ in dem Musical zweifelt so sehr an sich und kommt so absolut »irdisch« daher … Ein Mensch mit allem Drum und Dran. Das gefiel mir um vieles besser als das Bild, das uns die Kirche vermittelte. Es machte viel mehr Sinn.

Und Gott? Uns christlichen Teenagern wollte man weismachen, dass das, was Gott mit seinem Sohn getan hatte, sprich ihn einfach ins offene Messer laufen zu lassen, um die Schrecklichkeit des Todes mit den »normalen« Menschen zu teilen, ein Akt der »Liebe« gewesen war. Wie grausam! Irgendwie passte da etwas für mich nicht zusammen. Als neugieriger Mensch, wissensdurstig und kopflastig, wie ich oft bin, muss ich die Dinge des Lebens hinterfragen. Ich wählte Biologie als Leistungskurs. Das fand ich spannend. Auch Chemie und Physik. Und schon gab es ein neues Problem. Die Figur »Gott« konnte ich in diesem Umfeld nirgendwo einordnen. Dass Materie nicht verschwinden, jedoch zu Energie werden kann, fand ich dagegen superlogisch. Also nix mit Himmel und Engeln auf weißen Wölkchen …

Andererseits sah ich in jener Zeit das cineastische Meisterwerk Ben Hur, das mich tief beeindruckt hat: Jesus als Motor, als Quelle der Kraft, als Sonnenstrahl in der Dunkelheit, die die verzweifelten Menschen umgab. Was für eine Geschichte! Da will man doch einfach glauben, dass sie wahr ist!

Die Esoterikwelle spülte unter anderem Thorwald Dethlefsen in mein Jungmädchenzimmer. In seinem Hauptwerk Schicksal als Chance behauptet er, dass der Mensch den Gesetzen des Schicksals unterworfen ist, das ihm Themen oder Aufgaben stellt, um sich zu entwickeln und sein Bewusstsein zu erweitern. Wenn wir uns weigern, diese Gesetze anzunehmen, erfahren wir Leid. Dethlefsen schreibt: »All die bösen Menschen und unliebsamen Ereignisse sind in Wirklichkeit nur Boten, sind Medien, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Wer dies begreift und bereit ist, die Verantwortung für sein Schicksal selbst zu übernehmen, verliert alle Angst vor dem bedrohenden Zufall.«3 Das klingt plausibel. Aber schwer anwendbar für eine 17-Jährige.

Dennoch war es ein Samenkorn, ein Teil eines Schrittchens auf dem richtigen Weg.

Ich hatte mir damals meinen eigenen Glauben zurechtgezimmert und schwamm irgendwo zwischen Siddhartha und Katechismus. Nach einem Ferienaufenthalt in einem Kloster war ich auch davon ganz begeistert. Ich ersetzte das Wort »Schicksal« wieder einmal durch »Gott«, hörte gregorianische Gesänge und wollte unbedingt nach Taizé4fahren und auch den Jakobsweg gehen. Unter dem Eindruck des beschaulichen Klosterlebens schrieb ich folgendes Gedicht:

Klostermauern

Himmlischer Friede

in jedem Hauch

Atem Gottes

in schwarzgrünen Wiesen

der Abenddämmerung

Heilige Stille

in uralten Mauern

deren Stärke auch mein Herz erfüllt

gibt mir tröstliche Ruhe und Glauben wieder

lange entbehrt

in meiner so anderen Welt

Vertrauen löst mich

offen Dir, Vater

Durchströmt von Deiner Gegenwart

dankbar dieser klösterlichen Stille

fernab all dem

was mich fernhält von Dir

gibst Du neue Hoffnung und Kraft

zurück auf dem Wege zu Dir

Mannomann, da war ich ganz schön auf dem katholischen Trip. Verständlicherweise, denn ich arbeitete zu jener Zeit mit Leib und Seele und der tiefsten Hingabe, zu der eine junge Schauspielschülerin fähig ist, an der Johanna, Friedrich Schillers Jungfrau von Orleans. Diese Figur, ihre Geschichte, hatte mich schon immer fasziniert. Auch die prächtige Kathedrale von Reims, die ich als Kind mit meinen Eltern besucht hatte, trug zur Begeisterung für dieses Thema bei. Ich glaube, Kinder sind sehr aufnahmefähig für den hollywoodesken Glamour, den Kirchen mit ihrer prunkvollen Vielfalt vermitteln. Ich jedenfalls war es und nahm dieses kindliche Staunen, diese Ergriffenheit nun mit in meine Arbeit hinein. Die Figur der »Johanna«, dieses Bauernmädchen aus Domrémy, das dem göttlichen Befehl, Frankreich zu retten, folgt und dann grausamerweise auf dem Scheiterhaufen der Inquisition endet, ergriff quasi von mir Besitz. Den Text kann ich noch heute!

Wie so viele Anfänger in diesem wunderbaren Beruf des Schauspielers, der eigentlich ja kein Beruf, sondern eine Berufung ist, verlor ich mich komplett in den Geschichten meiner Rollen.

Mein eigentlicher Weg als Mensch durch diese Welt dagegen schlummerte noch tief vor sich hin. Ich wollte damals zwar einen spirituellen Background haben, betrachtete ihn jedoch als von meinem privaten und beruflichen Leben getrennt, gewissermaßen als »Freund« an meiner Seite. Was für ein Unsinn! Dennoch zog der spirituelle Teil in mir das an, was für mich wichtig und später sogar überlebensnotwendig werden würde.

Die erste Reise nach Asien. Der erste Schritt in eine andere Richtung. Ich war Ende 20. Dreharbeiten in Singapur und Malaysia. Ich lernte einfache Menschen kennen, die so zufrieden schienen mit ihrem bescheidenen Leben, mit dem wenigen, das sie besaßen. Nein, mehr noch: Sie erschienen mir reich und glücklich! Sie mussten über innere, verborgene Schätze verfügen. Es ergab sich, dass S., ein Kollege von mir – ebenfalls ein Sinnsuchender, nur schon viel weiter fortgeschritten und erfahrener als ich – bei mir quasi offene Türen einrannte. Wir verbrachten sehr viel Zeit miteinander und neue Welten erschlossen sich für mich. Zum ersten Mal wurde ich mit dem spannenden Thema der Seelenwanderung konfrontiert. S. gab mir ein Buch, das ihn, wie er sagte, sehr beeindruckt und berührt hatte: Zwischenleben von Shirley MacLaine. Auf einmal machte das ganz Konstrukt von Schicksal, Erfahrungen, Leid, Tod und Geburt für mich einen Sinn. Unter dem Aspekt der Langfristigkeit ist das nämlich logisch und konsequent: weil ein einziges Leben allein nicht ausreicht! Nur so lässt sich die scheinbare »Ungerechtigkeit« erklären, dass wunderbare Menschen oft mühsam kämpfen müssen und am Ende sogar alles verlieren, während eine ganze Menge rücksichtsloser und völlig moralfreier Egomanen das Glück in dieser Welt offenbar gepachtet hat.

Doch wie sieht dann das nächste Leben aus? Und wie lange dauert es, bis man schließlich, nach vielen Leben abgekämpft, das Nirwana erreicht? Offensichtlich gab es also auch im indischen, buddhistischen Glauben wie bei den Christen ein Paradies. Auch die Message war dieselbe: Sei brav, dann wirst du belohnt! Das Prinzip der Strafe galt also auch hier. So ganz war’s das deshalb noch nicht für mich. Es fiel mir damals schon schwer, zu glauben, aufgrund von »bösen Taten« im nächsten Leben als Ameise wiedergeboren zu werden. Auch wenn David Safier das in seinem Buch Mieses Karma herrlich witzig beschreibt. Da haben wir’s, das Zauberwort: Karma. Es sollte mich von nun an dauerbeschäftigen. Willkommen in der Welt der Spiritualität!

Ich sog alles auf, was S. mir erzählte. Dass jeder Mensch ein Karma hat, das aus unseren früheren Taten besteht, aus schlechten und auch aus guten. Dass wir Menschen ein getreues Abbild des Universums sind, in winzig kleinem Format. Mikrokosmos – Makrokosmos.

S. besaß eine große Ehrfurcht vor dem Leben. Das gefiel mir und steckte mich an. Gemeinsam erkundeten wir das Land. Wir besuchten hinduistische und buddhistische Tempel und hielten uns dort länger auf als gewöhnliche Touristen. Ich liebte die Stille dort, das Kontemplative, aber auch die Fröhlichkeit der Zeremonien, die mir nicht so »feierlich-ernst« wie die der christlichen Kirche erschienen. Einmal hatten wir sogar die Gelegenheit, einen Brahmanen kennenzulernen. Der Gelehrte, ein unglaublich weiser Mann, der der höchsten Kaste angehörte, führte ein durch und durch asketisches Leben. Es war einer dieser Tage im Leben, die man niemals vergisst. Dieser Mensch war die personifizierte Liebe. Ja, das Wort »Liebe« schien plötzlich eine neue Dimension zu bekommen. Und ich lernte, dass dieser Lebenszustand aus einem selbst heraus entsteht. Durch eigenes Bemühen. Dass einem das niemand abnehmen kann, nicht das Universum und auch nicht jemand, den wir »Gott«, »Allah« oder »Jahwe« nennen. Bei seinen Offenbarungen zwinkerte mir der weise alte Mann zu. Humor hatte er auch noch! Ich war total von den Socken – beziehungsweise wäre es gewesen, wenn ich nicht (selbstverständlich!) sowieso schon barfuß in seinem Haus gewesen wäre.

Gott war in diesem System irgendwie überflüssig, wie eine Rolle, die man gestrichen und deren Text man auf alle menschlichen Mitspieler verteilt hatte. Dieser Umstand fügte sich wunderbar in mein Weltbild.

Damals, Mitte der 1980er-Jahre, wurde also der Grundstein für meinen weiteren Weg gelegt. Doch es sollte noch einige Abzweigungen, Sackgassen und Irrwege geben … Mein spiritueller, asienerfahrener Kollege wurde von mir ausgequetscht wie eine Zitrone. Den Mund und die Augen vor Staunen und Bewunderung weit aufgerissen, sog ich die Informationen in mich hinein wie ein ausgetrockneter Schwamm. Und ich bin kein Mensch, der unreflektiert für alles und jedes zu begeistern ist, um es dann nach kurzer Zeit wieder fallen zu lassen. Das hier war einfach mein Ding! Ich spürte, dass diese spirituelle Weggabelung für mich in die richtige Richtung wies.

Dass es bei den buddhistischen Schulen und deren Ausübung beträchtliche Unterschiede gibt, überriss ich damals noch nicht. Ich war einfach fasziniert von dieser so friedlichen Welt und der scheinbar grundlosen Gelassenheit und Heiterkeit der Menschen in Asien. Es war so anders als bei uns im Westen.

In jüngerer Zeit ist vielen Fernsehzuschauern aufgefallen, mit welcher Geduld, Disziplin und einer besonderen Art von Unerschütterlichkeit die Menschen in Japan mit der Nuklearkatastrophe von Fukushima umgegangen sind. Buddhismus. Eine andere Lebenseinstellung.

An dieser Stelle einmal ein dickes Dankeschön an meinen wunderbaren Produzenten Wolfgang Rademann, der mir, kaum war ich wieder zu Hause, sozusagen zur Vertiefung die nächste Asienreise bescherte: Thailand und wenig später Bali, ganze vier Wochen lang. Mann, war ich glücklich! Den Beruf ausüben, Geld verdienen und noch dazu leben lernen dürfen. Wie wunderbar!

Neben der Arbeit war Bali touristisch schnell erkundet. Der letzte Programmpunkt war ein buddhistisches Kloster im Landesinneren, das mich magisch anzog. Ich blieb eine Weile dort. Die Gespräche mit den Mönchen erweiterten meinen Horizont ungemein. Viel besser als ein Lehrbuch es kann, vermittelten sie mir die Basis der buddhistischen Lehre, die sogenannten Vier edlen Wahrheiten. Davon hat sicher jeder schon einmal irgendwie gehört. Doch worum geht es da genau?

Erstens: Das Leben bedeutet Leiden. Und zwar in Form von Geburt, Krankheit, Alter und Tod, aber auch in jeglicher Art von Schmerz, Verlust, Trauer, Einsamkeit, Depression und so weiter.

Zweitens: Die Ursache des Leidens wird hervorgerufen durch Egoismus, Begierden, fehlendes Mitgefühl, Arroganz, Ärger, Dummheit und leider noch vieles andere mehr.

Drittens und viertens – gute Nachricht: Das Leiden kann aufgehoben werden, und zwar durch den »Achtfachen Pfad«. Das heißt, man bemühe sich bitte um:

1. Rechte Einsicht und Anschauung,2. Richtiges Denken,3. Richtige Rede,4. Richtiges Handeln,5. Richtige Lebensweise,6. Rechtes Bestreben und Bemühen,7. Achtsamkeit,8. Richtige Versenkung, Konzentration, Meditation beziehungsweise richtiges Gebet.

Auf gut Deutsch: Es gilt, vor Gebrauch des Mundwerks das Gehirn einzuschalten, moralische Werte hochzuhalten, die angeborene Trägheit zu überwinden, sich für das Wohl anderer einzusetzen, nach Kants kategorischem Imperativ5 zu leben und brav an seiner Erleuchtung zu arbeiten.

Mir erschien das alles gut nachvollziehbar, nur das mit der »Erleuchtung« blieb noch ein relativ dunkles Fragezeichen. Das lernt man eben nicht in einem Crashkurs.

Das Wichtigste war für mich jedoch, mit welcher Liebe diese Mönche mir begegneten. Ich lernte, dass Wut, Ärger, Arroganz und fehlendes Mitgefühl oft an unseren misslichen Lebenslagen Schuld sind – Krankheiten eingeschlossen (aber das kannte ich ja schon von Herrn Dethlefsen). Und dass es stattdessen sinnvoll sei, sich mit anderen auf eine Stufe zu stellen, Verständnis aufzubringen, mit-zuleiden (aber nicht zu be-mitleiden, das ist nicht dasselbe!). In der westlichen Philosophie gibt es dafür das Zauberwort »Empathie«. Viel zu wenig beachtet! Und auch Omas altes Sprichwort, zeitlos gültig, scheint fast einen buddhistischen Hintergrund zu besitzen: »Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu.«

Wie oft denken wir daran? Mal ganz ehrlich!

Im Kloster auf Bali teilte ich mit den Mönchen ihr einfaches Essen und es gab einen ebenso einfachen Schlafplatz für mich. Absolut in Ordnung für die Dauer der Zeit.

In mir machte sich eine unendliche Dankbarkeit breit, eine Art von Dankbarkeit, die ich, vom Schicksal verwöhnt, nicht gekannt, geschweige denn praktiziert hatte: Dankbarkeit über das wunderbare, sorgenfreie Leben, das ich führen durfte – mit dem herrlichsten Beruf aller Zeiten, der mich an die Traumplätze dieser Welt führte.

Schnitt auf das Ende dieser erkenntnisreichen Reise: Oben am Vorderdeck des in der Abendsonne von Bali ablegenden Traumschiffes steht ganz klitzeklein eine junge Frau mit strahlenden Augen und voller Lebenskraft, glücklich und unendlich dankbar.

Zu Hause ging meine spirituelle Reise weiter. Ich studierte damals Gesang bei einer ganz wunderbaren Frau in München: A.

Es war weit mehr als Gesangsunterricht. Wir trafen uns oft in den gleichen Gefilden spiritueller Suche, stellten fest, dass wir die gleichen Bücher kannten, und diskutierten darüber. Zum ersten Mal in der westlichen Welt hatte ich bei A. das Gefühl, einer Person begegnet zu sein, die dieselbe Friedlichkeit, Ruhe, Gelassenheit und Wärme ausstrahlte wie die glücklichen Menschen, die mir in Asien begegnet waren. Diese Frau war die Zufriedenheit, Güte und Liebe in Person. Beispiellos. Ich lernte viel von ihr. Wie gesagt, viel mehr als nur singen. Ich erfuhr, dass sie in einem vergangenen Leben in Ägypten gewesen war und als Priesterin oder so etwas Ähnliches ein hohes Amt bekleidet hatte. Das leuchtete mir ein: Die Weisheit, die A. ausstrahlte, konnte nicht innerhalb eines einzigen Lebens, einer einzigen Erfahrung angesammelt worden sein. Wir sprachen auch viel über den Tod. A. hatte eine bewundernswert entspannte Einstellung dazu. Für mich war das eine weitere Bereicherung auf meinem spirituellen Weg. Nicht mehr wegdenken, nicht mehr mit christlicher Erziehungssülze zukleistern lassen. Aufhören mit dem Horrorbild des »Sensenmanns« aus der mittelalterlichen Schreckensmystik, mit dem Tod als Figur zum Fürchten aus demJedermann.

Tod und Vergehen, wie ein Blatt, das verwelkt, im ewigen Wandel der Wiedergeburt der Seelen. So ergab es endlich einen Sinn für mich. Zwar auch nicht gerade tröstlich, weil Verlust und Abschied immer wehtun, aber immerhin zu verstehen. Dennoch blieb ein Thema unbeantwortet. Warum sterben Menschen außerplanmäßig? Das heißt, nicht nach einem langen, erfüllten Leben, sondern durch schreckliche Umstände wie Krankheit, Unfall oder Gewalt? Und warum passiert das oft schon in jungen Jahren? Auch das wunderbare Buch von Elisabeth Kübler-Ross Der Tod und das Leben danach, das die Erfahrungen sterbender Kinder dokumentiert, bot mir keine Antwort – zwar nicht auf die Frage nach dem Wie und Wohin, wohl aber nach dem Warum. Trotzdem: Die Lektüre dieses Buches und die Gespräche darüber mit meiner Lehrerin und Freundin A. brachten mich immerhin ein Schrittchen weiter auf meinem Weg, das Leben zu verstehen und somit den Tod als Teil des Lebens zu betrachten. Man mag an Wiedergeburt glauben oder nicht – ich persönlich war damals schon fest davon überzeugt. Ich hatte mich inzwischen endgültig aus meiner kleinen christlichen Welt entfernt und trat aus der Kirche aus. Dennoch hielt diese gewisse Unzufriedenheit immer noch an. Etwas fehlte. Aber was? Die großen Meister haben alle tolle Sachen geschrieben. Aber genügen denn Verstehen und Einsicht allein? Nun, ich hatte mich der buddhistischen Philosophie verschrieben, mit einem ordentlichen Schuss westlicher Esoterik und spiritueller Deko. »Übersinnliches« akzeptierte ich nur, wenn es wissenschaftlich erklärbar war und nicht mit den Gesetzen der Natur kollidierte. Ratio statt Religion. Das war für mich ein praktikabler Weg. Punktum. Basta.

Vom heutigen Standpunkt aus kann ich über diese Zeit nur lächeln. So viel Halbverdautes, Dreiviertelverstandenes … Jetzt weiß ich natürlich, was gefehlt hat: das Leben selbst, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und das Wissen darum, wer und wo ich in diesem Kontext bin.

Um nun ein bisschen Klarheit in das Thema Buddhismus und seine vielen Schulen und Verzweigungen zu bringen, liebe Leser, zwecks »Entwirrung« ein bisschen Geschichte:

Alles begann mit der Erleuchtung von Prinz Siddhartha Gautama (Shakyamuni Buddha) um 500 vor Christus. Siddhartha Gautama riss von seinem wohlbehüteten königlichen Zuhause aus, weil er spürte, dass das nicht das »wirkliche Leben« war. Das echte Leben »draußen«, jenseits der Palastmauern, bestand aus Leid – bedingt durch Geburt, Alter, Krankheit und Tod. Dem wollte der junge Prinz auf den Grund kommen. Der Name »Buddha«, den er erhielt, bedeutet »Der aus eigener Kraft zur Wahrheit Erwachte«. Shakyamuni Buddha lehrte über viele Jahre hinweg seine sich permanent weiterentwickelnden Erkenntnisse (Sutren). Er wurde von Schülern begleitet, die peu à peu begannen, seine Lehren aufzuschreiben. Da er auf dem Weg zu seiner Erleuchtung viele Stadien durchlief, bezeichnete er die sich ansammelnden Erkenntnisse als »vorübergehende Lehren«. Am Anfang versuchte er sich in Askese und meditativer Versenkung. Das heißt, er führte ein Eremitendasein, in dem man das als schwere Last empfundene normale Leben einfach ausknipst und in die geistige Welt (Ku) eintaucht. Dann erprobte er das Gegenteil, den physischen Aspekt des Lebens (Ke). Das beinhaltet, das Hier und Jetzt auf dieser Welt voll auszukosten, als sei das Leben ein immer wiederkehrendes Spiel. Letztendlich fand Shakyamuni Buddha dann heraus, dass Körper und Geist eine Einheit sind. Diese Erkenntnis propagierte er dann als den »Mittleren Weg« (Chu). Stellen Sie sich eine zweispännige Kutsche vor. Pferd eins ist Ku, Pferd zwei ist Ke und der Kutscher muss die beiden dazu motivieren, gleichmäßig zusammen zu laufen, sonst bewegt sich die Kutsche nicht ordentlich vorwärts (Weg der Mitte), sonst gibt es Chaos. Alles klar?

Buddha hat 50 Jahre gebraucht, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, die er dann in das Lotos-Sutra, seine allerletzte Lehre, packte. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass seine Schüler zwischenzeitlich schon einmal weiterzogen und das bisher Gelernte verbreiteten. Daraus resultieren die verschiedenen buddhistischen Strömungen, die sich eigenständig in den verschiedenen Ländern Asiens entwickelten.

Ganz anders als bei der Lehre Jesu. Hätte der länger gelebt und gelehrt, wäre es vielleicht ähnlich gewesen.

Das heißt also, wenn jemand sagt: »Ich bin Buddhist«, ist noch lange nicht klar, wie sein Leben, seine Praxis und seine spirituelle Orientierung genau aussehen!

Ich glaubte mit meinem damaligen Wissensstand zum Beispiel, dass Erleuchtung bedeutet, dass man irgendwann später einmal, nach vielen Jahren des Nachdenkens (am besten auf einer Matratze in einem Ashram in Goa), irgendwo mit leuchtendem Kopf auf einer Bergkuppe sitzt – in diesem speziellen unbequemen östlichen Schneidersitz – und sich einfach freut, den ganzen »Mistdreck«, auch Leben genannt, hinter sich gelassen zu haben und dann endlich ins Nirwana-Paradies darf.