Mein Weg zum Zen - Hugo M. Enomiya-Lassalle - E-Book

Mein Weg zum Zen E-Book

Hugo M. Enomiya-Lassalle

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Beschreibung

Wegbereiter des Zen im Westen

Der Jesuit Hugo M. Enomiya-Lassalle, der Jahrzehnte lang in Japan lebte, begann in den fünfziger-Jahren des letzten Jahrhunderts eine Verbindung von christlicher und buddhistischer Spiritualität für den Westen zu vermitteln. Als er 1990 mit beinahe 92 Jahren starb, hinterließ er nicht nur über 4000 Schülerinnen und Schüler, sondern auch ein schriftstellerisches Werk, das der Zen-Meditation im Westen zu großer Popularität verhalf.

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Seitenzahl: 271

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Das Buch

Um Stille und geistige Erfrischung in einer hochkomplexen und lauten Welt zu erleben, wird Zen-Meditation heute praktiziert. Der Jesuit Hugo M. Enomiya-Lassalle war es, der diese tiefgehende, feine spirituelle Praxis damals in den 60er-Jahren von Japan aus nach Deutschland und Europa brachte. Dieses mit historischen Fotos reich bebilderte Buch vermittelt den Zauber seiner Begegnung mit Zen in Japan und seine Erkenntnis, dass es bei spirituellen Übungen östlichen und westlichen Ursprungs immer um Aufrichtigkeit sich selbst gegenüber und die Hinwendung zum anderen geht.

Der Autor

Hugo M. Enomiya-Lassalle S.J., 1898–1990, war Jesuit und Zen-Meister. Er lebte in Tokio und in Hiroshima, wo er 1945 den Atombombenabwurf überstand. Mit dem Namen Makibi Enomiya () wurde er japanischer Staatsbürger.

© Dr. Ernst Stürmer, Wien

Hugo M. Enomiya-Lassalle

Mein Weg zum Zen

Kösel

Überarbeitete und aktualisierte Neuausgabe des Buches von 1998

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © 2018 Kösel-Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlag: Weiss Werkstatt, München

Umschlagmotiv: Archiv des Kösel-Verlags

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-23507-9V002

www.koesel.de

Inhalt

Einleitung

Ein Hugenottennachfahre wird Jesuit

Im Schoß der Familie

Der Schock des Ersten Weltkrieges

Die Kriegsreifeprüfung

In den Jesuitenorden – unterwegs nach Japan

Alles hat mit sozialer Arbeit angefangen

Der Weg zu den Armen

Weihnachten im Elendsviertel von Mikawashima, 1931

Soziale Betätigung der Studenten

Ausbau des Jochi Settlements

Vermittlungen, 1936

Jochi Settlement, 1939

Die beste Empfehlung für die Kirche

Berührungen mit Zen

Vorgeschichte

Erster Besuch im Eimeiji

Zen-Exerzitien, 1943

Arbeitsgemeinschaft mit Bonzen in Hiroshima

Ausblick

Zen-Exerzitien, 1956

Zen und japanische Kultur

Zen-Vorlesungen in Hiroshima

Nach der Atombombe in Hiroshima

Mein schreckliches Erlebnis

Zum Ursprung meines japanischen Namens Enomiya Makibi

Ehrenbürger von Hiroshima

Mahnmal des Friedens

Die Botschaft der Weltfriedenskirche

Ich glaube an den Frieden

Zen für Christen

Meine Zen-Meister

Apologia pro vita sua, 1962

Besuch auf dem Athos, 1962

Der Durchbruch in Deutschland

Bau des christlichen Zen-Zentrums bei Tokio, 1969–1973

Ein Monat in der »Höhle des göttlichen Dunkels«, 1977

Mein 80. Geburtstag, 1978

Zur Zen-Seelsorge

Ein Beispiel: Große Erleuchtung in letzter Stunde

Zen-Exerzitien in Vietnam

Großer Bedarf im Westen

Moralische, soziale und charakterliche Anforderungen

Erleuchtung ist nur der Anfang

Eucharistie während der Zen-Kurse

Plädoyer für neue Zen-Zentren

Zeugnisse der Weggefährten

Yamada Kōun Rōshi, Kamakura, Japan

Der Meister im Leben

Karlfried Graf Dürckheim, Todtmoos-Rütte

Er lebt, was er verkündet

Philip Kapleau, Rochester, New York

Lebendiges Beispiel

Hans Waldenfels SJ, Düsseldorf

Das Reden aus dem Schweigen

Cyrill von Korvin-Krasinski OSB, Maria Laach

Den Atem des Zen-Meisters spüren

Raimundo Panikkar, Tavertet, Spanien

Begegnung in der Tiefe

Bede Griffiths, Shantivanam Ashram, Tannirpalli, Tamil Nadu, Indien

Er hielt das Misstrauen durch

Elaine Macinnes OLM, Zen-Lehrerin, Manila, Philippinen

Danke, guter alter Freund!

Kardinal Franz Hengsbach, Bischof von Essen

Ein glaubwürdiger Priester

Heinrich Dumoulin SJ, Tokio

Im christlich-buddhistischen Dialog

Takeshi Araki, Bürgermeister von Hiroshima

Hiroshima – seinem Ehrenbürger

Klaus Riesenhuber SJ, TOKIO

Bereit, ständig auf dem Weg zu sein

Ana Maria Schlüter, Zen-Lehrerin in Brihuega, Spanien

Ein einfacher Mensch

Ruben L. F. Habito SJ, Tokio

Der Pionier, der den Weg geebnet hat

Johannes Kopp SAC, Zen-Lehrer in Essen

Realismus nach innen

Waltraud Herbstrith OCD, Karmel Tübingen

Keine leichte Kost

Niklaus Brantschen SJ, Zürich, Schweiz

Beheimatet in zwei Welten

Lieferbare Bücher von H. M. Enomiya-Lassalle

Lebenslauf

Meditationshäuser mit Zen und ungegenständlicher Meditation

Textnachweis

Anmerkungen

Einleitung

© stock.adobe.com (joël BEHR)

Der Jesuitenpater Hugo Makibi Enomiya-Lassalle (1898–1990), Ehrenbürger von Hiroshima, verbrachte über die Hälfte seines langen Lebens in Japan. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm er unter dem Namen Makibi Enomiya die japanische Staatsbürgerschaft an und behielt den Doppelnamen bei. Als Zen-Lehrer und Kenner christlicher Spiritualität war er gleichsam in zwei Welten beheimatet und gilt als Vermittler zwischen östlichem und westlichem Denken. Seine Arbeit in den Armenvierteln von Tokio und die von ihm erbaute Weltfriedenskirche in Hiroshima sind Beispiele seines Einsatzes für Gerechtigkeit und Frieden. In Europa wurde Lassalle vor allem durch seine Bücher über Zen sowie über christliche Mystik und Zen bekannt.

Sein letztes Buch »Am Morgen einer besseren Welt– der Mensch im Durchbruch zu einem neuen Bewusstsein« zeugt von einer Vision, die vielen Zeitgenossen in und außerhalb der Kirchen Mut gibt. Was Lassalle, vom hohen Alter gezeichnet, »am Morgen einer besseren Welt« sah, verdankte er jahrzehntelanger spiritueller Übung und seiner Lebensgeschichte: Als Mensch mit tiefen, oft auch schmerzlichen Erfahrungen– er hatte zwei Weltkriege überlebt– ermutigt Lassalle uns bis heute zum Aufbruch. In eine Welt mit mehr Verständnis füreinander, mehr Nähe zueinander, mehr glaubhaften Schritten aufeinander zu.

Einige Stichworte mögen genügen, den Charakter dieses bedeutenden Mannes des 20.Jahrhunderts herauszustellen– Brückenbauer, Visionär und Jesuit. Voranstellen möchte ich den Rat des Gründers des Jesuitenordens Ignatius von Loyola, unsere Liebe mehr in unsere Taten denn in unsere Worte zu legen. Der Rat, um 1522 von Ignatius in den geistlichen Übungen festgehalten, wurde für Lassalle lebensbestimmend.

Hugo Lassalle, 1898 auf Gut Externbrock in Westfalen geboren, als Student in Holland scholastisch-jesuitisch geprägt und als junger Jesuit nach Japan geschickt, hatte ein untrügliches Gespür für Zeichen. Ein Leben lang suchte er nach intuitiven Wegen, sichtbar zu machen, was ihm wichtig war.

Lassalle setzte ein Zeichen, als er– 1929 kaum in Japan angekommen– in einem Armenviertel am Rande von Tokio Wohnung nahm. Er war verantwortlich für das Jesuiten-Gebäude der katholischen Sophia-Universität im Zentrum Tokios, das auch Unterkunft bot. Doch er entschied sich für dieses im wahren Wortsinn randständige Domizil und engagierte sich in der Freizeit zusammen mit Studenten für Obdachlose. Sein späterer Kommentar dazu: »Die Nächstenliebe darf nicht eine theoretische sein, sondern muss konkret werden im Leben mit den Armen.«Lassalle setzte ein Zeichen, als er– 1946 kaum genesen von den Verletzungen durch die Atombombe– in einer notdürftig aufgebauten Blechhütte in Hiroshima die Tätigkeit als Seelsorger erneut aufnahm. Mehr noch: Auf den Trümmern dieser atomaren Katastrophe wollte Lassalle ein Mahnmal des Friedens bauen, und so begann er, mit einer weltweiten Vortragstätigkeit dafür zu sammeln. Nie wieder Hiroshima: Die Friedensidee fand Ausdruck in der 1954 eingeweihten, viel beachteten Weltfriedenskirche in Hiroshima.Lassalle setzte ein Zeichen, als er sich– Ende der 1930er-Jahre!– zusammen mit buddhistischen Mönchen im Hosshinji-Tempel im japanischen Küstenstädtchen Obama auf den Boden setzte, um Zen zu praktizieren. Der Dialog mit dem Buddhismus sollte nicht nur in Worten geführt werden, sondern in der Tat seinen Ausdruck finden. Dialog war für ihn, »das Wagnis auf sich zu nehmen, sich gewissermaßen in die andere Religion hineinzubegeben, um ihr auf dem Weg der Erfahrung zu begegnen«.Lassalle setzte ein Zeichen mit markanten Altarsteinen. Wo immer der Jesuitenpater Kirchen und Kapellen bauen ließ, stehen aus Felsen gehauene, imposante Altäre. Er hat den Dialog mit dem Zen-Buddhismus überzeugend geführt– und überzeugt seine Identität als Christ gelebt. Wer je in der Weltfriedenskirche in Hiroshima stand, wird den Fels in der Brandung nie mehr vergessen und erahnen, wie wichtig Pater Lassalle die tägliche Eucharistiefeier war.

Hugo Enomiya-Lassalle ist selber zum Zeichen geworden. In der Art und Weise, wie er lebte, den Menschen begegnete und sie auf dem Weg begleitete. Er tat es mit einer Frage, einer humorvollen Bemerkung, einem Lächeln und mit jenem unverwechselbaren Ruck seiner Geste, die sagte: Machen wir weiter!

Mein jesuitischer Mitbruder Niklaus Brantschen hat sich diese Losung zu Herzen genommen. Als es in den 1990er-Jahren darum ging, die Bildungsstätte der Schweizer Jesuiten in Bad Schönbrunn oberhalb der kleinen Wirtschaftsmetropole Zug neu zu positionieren, ging es auch um einen neuen Namen. Niklaus Brantschen, damals Direktor des Bildungszentrums, entschloss sich, das Haus mit Lassalle zu verbinden. Es entsprach seiner glücklichen Intuition, dass er seinen väterlichen Freund und Mentor gleichsam zum Patron des Hauses erwählte. Ich wüsste keinen Namen, der die Atmosphäre und das Haus in Bad Schönbrunn besser charakterisieren könnte als Hugo Enomiya-Lassalle.

Das Programm des Lassalle-Hauses trägt der Forderung Rechnung, dass sich Innerlichkeit äußern muss, dass Spiritualität und soziales Engagement zusammengehören wie Einatmen und Ausatmen. Spiritualität kann, darf nicht Selbstzweck sein, Spiritualität führt in die Aktion, ins Leben und den Alltag des einzelnen Menschen und der Menschheitsfamilie. So ist die Spiritualität der Jesuiten immer handlungsorientiert. Contemplativus in actione– beschaulich im Tun, charakterisierte einst Jerónimo Nadal seinen Mitbruder Ignatius. Contemplativus in actione ist zum Leitgedanken des Ordens geworden und heißt für uns Jesuiten: Gott suchen und finden in allen Dingen. Da schwingt große Entdeckerfreude mit auf andere Kulturen und Religionen. Entsprechend versteht es sich: In einer Zeit, da die Welt zusammenwächst und Religionen sich begegnen, pflegt das Lassalle-Haus eine Spiritualität, die aus verschiedenen Traditionen gespeist wird.

Der interreligiöse Dialog bleibt deshalb ein zentralerer Programmpunkt. Es ist dies ein Dialog, der sich im eigenen Herzen abspielt: intrareligiöser Dialog; es ist dies zugleich ein Dialog, der sich der Erfahrung fremder Religionen und Wege stellt: interreligiöser Dialog.

Bei einem derartig verstandenen Dialog lassen wir uns auf eine Fremdheit ein, von der wir nicht von vornherein sagen können, wie sie uns verändern wird und wohin die Reise geht. »Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst«, lautet das Wort des Herrn. Verleugnen heisst: loslassen. Das ist die Zen-Haltung.

Machen wir weiter! Vertrauen wir darauf, dass Gott diese Leere schon füllen wird, dass Gott sich zeigt in seiner Schöpfung und in den Kulturen, die der Mensch hervorgebracht hat. »Der Wind weht, wo er will«, steht im Johannesevangelium. Lassalle spürte den Wind. Er ging, nicht selten angefeindet, den Weg der Erfahrung, längst vor der Nostra aetate-Konzilserklärung über das Verhältnis der katholischen Kirche zu anderen Religionen. Da ist vom Menschengeschlecht die Rede, das sich »von Tag zu Tag enger zusammenschließt«, und von Zeiten, in denen »die Beziehungen unter den verschiedenen Völkern sich mehren«. Und weiter: »Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist.«

Der großgewachsene, äußerlich so feingliedrige und innerlich so starke Jesuitenpater nahm vorweg, was uns nachkonziliären Menschen zum Anliegen geworden ist, und baute Brücken, über die wir heute mit Leichtigkeit gehen. Welche Quelle der Inspiration Hugo Enomiya-Lassalle war und bleibt!

Tobias Karcher SJ, Direktor des Lassalle-Hauses Bad Schönbrunn

im März 2018

Ein Hugenottennachfahre wird Jesuit

© Archivum Proviantiae Campaniae Societatis Jesu

Im Schoß der Familie

Meine Mutter war deutscher Abstammung, der Stammbaum meines Vaters reicht bis ins 9.Jahrhundert– das frühe Mittelalter also– nach Frankreich und Spanien. Wie viele andere Adelige schlossen sich die Lassalles den königsfeindlichen Hugenotten an und teilten seit 1572, nach der blutigen Verfolgung in der sogenannten Bartholomäusnacht, das wechselhafte Schicksal der Eidgenossen in Frankreich. Nach der völligen Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 durch den Sonnenkönig Ludwig XIV. flohen sie mit anderen Verfolgten zunächst nach Südfrankreich, dann über die Schweiz und mit Erlaubnis Friedrichs des Großen schließlich nach Brandenburg, wo sie sogar einige eigene Städte gründeten. So ist die Stadt Karlshafen in Nordwestdeutschland beispielsweise eine Hugenottengründung.

Wann meine Vorfahren katholisch geworden sind, weiß ich nicht. Jedenfalls waren meine Großeltern, die seinerzeit in Berlin wohnten und dort geschäftlich tätig waren, bereits katholisch. Zu jener Zeit wurde auch mein Vater geboren und in der Hedwigskirche getauft. Ich weiß nicht genau wann, aber einige Jahre später zogen meine Großeltern mit ihren Kindern von Berlin nach Hildesheim-Moritzberg, wo sie ein schönes Anwesen mit einem großen Obstgarten gekauft hatten. Ich erinnere mich noch daran, dass meine Eltern viele Jahre später, als sie in Hildesheim wohnten, an Sonntagen mit uns Kindern dorthin fuhren und wir mit den Kindern der Verwandten im Garten spielen konnten. Aus dieser verwandtschaftlichen Linie lebt heute noch ein einziger Vetter auf dem Moritzberg, den ich seit einigen Jahren bei meinen Aufenthalten in Deutschland (bei denen ich Zen-Kurse halte) besuche. Er ist 4Jahre jünger als ich.

Familie des Großvaters Franz Bernhard Lassalle, ­zweiter von links. Vorn mit Hund: Georg Lassalle, ­Vater von Hugo Lassalle© Lutz Engelhard, Hildesheim

Was die Laufbahn meines Vaters betrifft, so war er zunächst an der Forst- und Landwirtschaft interessiert. Als er bereits geheiratet hatte, mietete er ein Gut, das heißt einen größeren Bauernhof in Externbrock, einem kleinen Ort in der Nähe der Stadt Nieheim in Westfalen. Dort wurde ich als zweites Kind am 11. November 1898 geboren. Bald danach oder schon früher stellte sich heraus, dass die Landwirtschaft nicht genug einbrachte, und so entschlossen sich meine Eltern, den Bauernhof zu verlassen. Stattdessen wollte mein Vater mit der Familie nach Göttingen gehen, um an der dortigen Universität Jura zu studieren. Unterwegs blieben wir einige Monate in einem kleinen Ort namens Himmelsthür bei Hildesheim. Dort wurde das dritte Kind geboren, auch wieder ein Knabe. Das war im Jahre 1900.

Die Eltern: Georg Lassalle und Elisabeth, geb. Feltmann© Lutz Engelhard, Hildesheim

Vier Jahre studierte mein Vater in Göttingen. Dort kam 1901 das vierte Kind zur Welt, diesmal ein Mädchen. Damals schickte man die Kinder nicht wie heute in den Kindergarten, bevor sie in die eigentliche Schule gingen. So blieben wir zu Hause, wo wir von den Eltern erzogen wurden, besonders von der Mutter. Das galt vor allem für mich – da mein Vater in dieser Zeit intensiv mit dem Studium beschäftigt war.

Nach vier Jahren zog meine Familie wieder nach Hildesheim um, weil mein Vater dort seine erste Referendarstelle bekommen hatte. Dort besuchte ich vier Jahre lang die Grundschule und später das bischöfliche Gymnasium, das sogenannte Josephinum. Ich besuchte die Sexta und Quinta (5. und 6.Klasse), bis mein Vater eine Anstellung als Amtsrichter in Brilon im Sauerland bekommen hatte, wo ich dann das Gymnasium mit der Quarta (7.Klasse) fortsetzte.

Rundherum habe ich eine glückliche Kindheit und Jugend gehabt. Aus meiner Kindheit ist mir in Erinnerung geblieben, dass wir Kinder viel gespielt, oft auch Unfug getrieben haben. Bis zum Schulbeginn haben wir eine goldene Freiheit genossen.

Mein um ein Jahr älterer Bruder war sehr begabt für Musik, Mathematik und Astronomie. Mit seinem Freund bastelte er in seiner Gymnasialzeit ein Fernrohr. Einer unserer Onkel war ein sehr begabter Musiklehrer und, wie ich später feststellte, ein angesehener Geiger. Er hat uns das Musizieren beigebracht. Mein Instrument war das Cello. Ich habe gerne, auch später noch in Japan zum Beispiel mit P. Pedro Arrupe, die musikalische Familientradition in verschiedenen Musikgruppen fortgesetzt.

Die Erinnerung an meine Familie ist für mich auch heute noch ein fester Ort, auf den ich meinen späteren Werdegang zurückführe. Nachdem alle meine Geschwister unverheiratet gestorben sind, bin ich der letzte dieser Lassalles. Damit betrachte ich mein Erbe als eines von geistiger Natur: mein persönlicher Weg zum Zen– und die geistigen Entwicklungen unserer Zeit haben dazu beigetragen, dass ich an der Erneuerung der westlichen Spiritualität durch die Zen-Meditation direkt teilgenommen und den anderen diesen Weg geebnet habe.

Der Schock des Ersten Weltkrieges

Mein älterer Bruder war 1914 nach dem Ausbruch des Krieges vor mir einberufen worden, er konnte aber im Schnellverfahren noch das Abitur machen. Als Soldat kam er zunächst nach Russland. Im November 1916 wurde auch ich einberufen und musste meine gymnasiale Laufbahn im Abiturjahr, der sogenannten Unterprima, ohne Abschluss unterbrechen.

Die Familie, von links nach rechts: Mutter Elisabeth mit Tochter Maria, Hans, Hugo, Vater Georg, Bernhard Lassalle; im ­Wagen Vetter Willi Engelhardt© Lutz Engelhard, Hildesheim

Mein Bruder wurde nach seiner ersten Verwundung in Russland an die Westfront versetzt.

Hier geriet er in ein schweres Feuer, eine Granate platzte in seiner Nähe, und er musste mit einer schweren Verwundung ins Lazarett gebracht werden. Da wir immer ein sehr gutes Verhältnis miteinander hatten, ließ er mir mitteilen, dass er nicht wisse, ob er durchkommen werde. Als ich im Begriffe war abzureisen, wurde mir gesagt, dass die Todesgefahr bereits überwunden sei. Nach seinem späteren Tod konnte man erkennen, dass er mit einem 8cm tiefen Splitter im Kopf gelebt hatte. Er hat nach dem Zwischenfall noch eine Weile in der Garnison Rekruten ausgebildet. Da er aber sehr schwach war, hat er eine Lungenpest bekommen, die schließlich zu seinem Tode führte. Ich war damals in Berlin in der Garnison und war sehr erschüttert.

Ich hatte mehr Glück gehabt. Ich wurde im November 1916, mit 18Jahren, einberufen und kam wegen meiner Größe nach Potsdam zur Garde. Im Winter 1916/17 wurde das Infanterie-Regiment442 aufgestellt, um zusammen mit den Regimentern 443 und 444 die 231.Infanterie-Division zu bilden, mit deren Führung der aus dem 1.Garderegiment stammende General v. Hülsen beauftragt wurde.

Das Infanterie-Regiment 442 wurde zur Hälfte aus Wiedergenesenen und Abgaben der 1.Garde-Division gebildet, zur anderen Hälfte aus Rekruten des Jahrgangs 1898, die Mitte November wie ich eingezogen worden waren. Die ehemaligen Angehörigen des 1.Garderegiments z. F. sowie die für dieses Regiment bestimmt gewesenen Rekruten wurden dem I. Bataillon des Infanterie-Regiments 442 zugeteilt.

Dem Offizierkorps des 1.Garderegiments zu Fuß entstammten der Kommandeur des neuen Regiments, Major Graf Stillfried, sowie Oberleutnant v. Lochow.

Später musste ich bei 33Grad minus mit meinem Feldregiment die Übungen mitmachen. Ende März 1917 wurde das Regiment an die Westfront transportiert und zunächst zwischen Maas und Mosel bei Thiaucourt eingesetzt. Mitte Mai wurden wir herausgezogen und traten zur Gruppe Reims, wo wir eine Stellung gegenüber Pt. Sillery besetzten. Ende Juni kamen wir in einen weiter östlich gelegenen Abschnitt am Cornillet, nördlich von Nauroy. Hier blieben wir in verlustreichem Großkampf bis Anfang Juli. Ende Juli wurden wir nördlich des Brimont, bei Berméricourt, erneut eingesetzt. Diesen verhältnismäßig ruhigen Abschnitt hatte mein Regiment bis Anfang Februar 1918 inne, zur Zeit also, als ich meine Kriegsreifeprüfung ablegte.

Bei Reims konnten wir von unseren Schützengräben aus die Türme der Kathedrale sehen. Wir gerieten jedoch sofort in schwere Kämpfe und wurden stark angegriffen. Im Oktober wurde ich mit einer Patrouille an eine eigentlich ruhige Stelle geschickt, wo Gefangene gemacht werden sollten, um sie über die Positionen der feindlichen Truppen auszufragen. Ich hatte mich als dazu besonders Ausgebildeter einem Sturmtrupp angeschlossen. Nachdem schon zwei meiner Kameraden getötet worden waren, wurde auch ich am Fuß verwundet. Das war keine sehr schlimme Sache, ein Steckschuss, aber weil es das Gelenk war, dauerte es lange, bis die Wunde geheilt war. Nach mehreren Krankenhausaufenthalten wurde ich einer fahrenden Truppe zugewiesen und dort im Umgang mit Pferden ausgebildet. Bevor wir aber ausrücken mussten, war der Krieg zu Ende. Vor einem erneuten Einsatz an der Front bewahrte mich auch eine weitere Krankheit, Gelenkrheumatismus, weswegen ich wieder ins Krankenhaus musste. Als Verletzter sieht man den Krieg mit ganz anderen Augen als in der ursprünglichen Kriegsbegeisterung, die wir beiden Söhne mit unserem Vater teilten. Mein Vater, damals fast 45Jahre alt, wollte freiwillig mit seinen beiden Söhnen in den Krieg, dies aber hat meine Mutter verhindert. Die Situation damals ist nicht mit der heutigen vergleichbar, auch nicht mit der nach dem Zweiten Weltkrieg. Wir waren noch sehr naiv. Wir schrieben nach dem Ausbruch des Krieges einen Aufsatz über seine Ursachen. Die Gründe schienen einfach. Erster Grund: die Rache Frankreichs für 1871, zweiter: der Neid Englands, dritter: Beweis der Unschuld Deutschlands.

Nach dem Kriege waren wir sehr niedergeschlagen. Diese Situation ging einher mit einer starken religiösen Bewegung.

Ich musste rückblickend feststellen, dass ich viel Glück gehabt habe, im Unterschied zu meinem früh verstorbenen älteren Bruder. Ich war eigentlich fast nie im Nahkampf gewesen, mit Ausnahme dieser Patrouille, wo ich auch eine Granate geworfen habe, wodurch wahrscheinlich derjenige, der auf mich schoss, umgekommen ist. Nach meiner Verwundung und der darauf folgenden Krankheit konnte ich mich im Lazarett auf das Kriegsabitur vorbereiten. Mein folgendes Gesuch fasst meine Lebensstationen zusammen, und in meinem Abituraufsatz hallt noch der Schrecken der Kriegserlebnisse nach; meinem Prüfer war meine Beschreibung der Kriegserlebnisse zu sachlich– er möchte lieber die Schrecken des Krieges auf das Gemüt des mitfühlenden Menschen zurückführen.

Die Kriegsreifeprüfung

Gesuch des Gefreiten Hugo Lassalle um Zulassung zur Kriegsreifeprüfung im Februar 1918, Brilon, 3. Februar 1918

Die königliche Reifeprüfungskommission bitte ich gehorsamst um Zulassung zur Kriegsreifeprüfung im Februar 1918.

Ich bin geboren am 11. November 1898 zu Externbrock bei Nieheim, Kreis Höxter, Sohn des Amtsrichters Lassalle in Brilon, katholischer Konfession. Von Ostern 1905 bis 1908 besuchte ich die Volksschule zu Hildesheim, die folgenden Jahre die Mittelschule daselbst, 1909–1911 das Gymnasium Josephinum in Hildesheim, von 1911 ab das Gymnasium zu Brilon. Am 23. November 1916 wurde ich von der Unterprima zum Heeresdienst einberufen. Am 28. März 1917 rückte ich mit dem Infanterie-Regiment 442 ins Feld. Im Sommer und Herbst lag ich in der Nähe von Reims. Am 8. Oktober wurde ich zum Gefreiten ernannt und am 26. Oktober verwundet und bekam am folgenden Tage das Eiserne Kreuz. Am 25. Dezember kam ich ins Lazarett in Brilon, wo ich mich auf die Kriegsreifeprüfung vorbereitete.

Gehorsamst Hugo Lassalle

Abituraufsatz: Welche Kampfmittel machen den Krieg besonders furchtbar?

Zu allen Zeiten ist der Krieg ein furchtbares Elend gewesen. Denn im Kriege wird viel Blut vergossen, und weite blühende Landstriche werden verwüstet. Die Soldaten verrohen sehr und kümmern sich nicht um Recht und Unrecht, soweit sie nicht gegen ihre Kriegsgesetze verstoßen; denn andernfalls hätten sie schwere Strafe zu erwarten. Es gilt der Grundsatz: Was nicht verboten ist, das ist erlaubt, wie Schiller in Wallensteins Lager sagt. Aber doch ist nie ein Krieg so furchtbar gewesen als gerade der jetzige. Besonders furchtbar ist er zu Lande durch seine Kampfmittel. Welche Kampfmittel machen nun den Krieg besonders furchtbar? Es sind die Fern- und Nahkampfmittel, denn noch in keinem Kriege sind sie so vollkommen ausgebildet gewesen wie gerade jetzt. Ja, man hat jetzt sogar viele, die man früher noch gar nicht kannte. Von den Fernkampfmitteln kommen zunächst in Betracht die Geschütze mit ihren Geschossen, den Granaten und Schrapnells. Die heutzutage gebrauchten Geschosse sind zunächst zum Teil sehr groß und haben daher natürlich eine sehr große Wirkung. Schon die Sprengstücke von mittelschweren Granaten fliegen mehrere Hundert Meter weit und reißen wegen dieses gewaltigen Druckes furchtbare Wunden. Verhältnismäßig kleine Splitter reißen oft ein ganzes Glied weg. Wenn eine Granate in unmittelbarer Nähe eines Menschen einschlägt, bleibt gewöhnlich nichts von ihm über. Gegen die heutigen Granaten schützen weder Unterstände noch Stollen. Denn man hat Granaten, die erst mehrere Meter tief in den Boden eindringen, ehe sie zerbersten, wo sie dann eine furchtbare Wirkung haben. Sehr tiefe Stollen werden allerdings auch durch diese sogenannten Stollensucher nicht zerschmettert. Aber es kommt vor, dass die Eingänge verschüttet werden. Dann müssen die Leute im Stollen gewöhnlich ersticken. Wenn ein Unterstand oder ein Stollen von einer Granate eingedrückt wird, so werden die Leute lebendig begraben. Manchmal sind noch einige am Leben, wenn Hilfe kommt, aber durch Balken, Steine und Erde so verschüttet, dass sie nicht schnell genug ausgegraben werden können. Sie müssen dann unter furchtbaren Qualen, oft geistig umnachtet, sterben. Besonders furchtbar und ganz neu in diesem Krieg sind die Schwefel- und Gasgranaten. Die Schwefelgranaten sind giftig. Wenn man von dem Splitter einer solchen Granate nur leicht verwundet wird und nicht sofort ärztliche Hilfe da ist, so muss man an Vergiftung sterben. Gegen die Gasgranaten, die auch besonders furchtbar sind, hat man zwar eine Gasmaske. Aber wenn plötzlich mit Gasgranaten geschossen wird, kann man oft seine Gasmaske nicht schnell genug aufsetzen. Und wenn man nur einmal tief Atem holt in dem Gas, ist man schon sehr stark vergiftet und meistens verloren. Furchtbar in ihren Wirkungen sind auch die Schrapnells, die einen ganzen Kugelregen ausgießen. Diese sind in früheren Kriegen noch nicht verwendet worden. Ebenso furchtbar, oft sogar noch schlimmer als die Granaten, sind die Minen, die man früher auch noch nicht verwendet hat. Diese werden mit Minenwerfern aus ziemlich geringer Entfernung geworfen. Die schweren Minen wiegen zwei Zentner und zerschlagen jeden Unterstand. Die furchtbarste Wirkung bringen die Granaten, Schrapnells und Minen beim Trommelfeuer hervor. Da schlägt ein Geschoss dicht neben dem andern ein. Nach einiger Zeit sind alle Unterstände zusammengeschossen, und die Soldaten wissen nicht, wie sie sich schützen sollen. So furchtbar ist das Trommelfeuer, dass man sich freut, wenn der Feind endlich angreift und das Feuer nach hinten verlegt.

Die Geschütze und Minenwerfer sind Fernkampfmittel, die hinter den vordersten Gräben aufgebaut sind. Man hat aber auch in den vordersten Gräben viele furchtbare Fernkampfmittel. Das sind zunächst die Gewehre. Ihre Geschosse haben heutzutage eine Durchschlagskraft, wie sie sie noch nie gehabt haben. Ein Querschläger zertrümmert einen Knochen vollständig. Die Maschinengewehre schießen mit denselben Geschossen wie die Gewehre. Aber man kann mit einem Maschinengewehr zweihundertundfünfzig Schuss in der Minute abgeben. Bei Angriffen werden die Maschinengewehre dazu gebraucht, um die ersten Wellen geradezu niederzumähen. Ferner hat man im ersten Graben zuweilen kleine Kanonen, die sogenannten Revolverkanonen, mit denen geschossen wird, sobald man bemerkt, dass irgendwo im feindlichen Graben »Betrieb« ist. Mit dem Gewehr kann man auch sogenannte Gewehrgranaten abschießen, die zwar nur wenige Hundert Meter weit fliegen, aber doch oft eine furchtbare Wirkung haben. Denn ihre Splitter können, wenn sie in eine Abteilung treffen, zehn bis zwölf Mann töten. Im zweiten Graben werden Granatwerfer eingebaut, mit denen man kleine Wurfgranaten schleudert. Auch diese sind etwas Neues in diesem Kriege. Endlich werden noch die Gasflaschen in vorderster Linie eingebaut. Mithilfe derselben werden Gasangriffe gemacht, indem man das Gas ausströmen lässt. Wenn ein solcher Gasangriff unerwartet kommt, hat er furchtbare Wirkungen. Wer nicht noch schnell seine Gasmaske aufsetzen kann, ist rettungslos verloren. Die Leute, welche in den Unterständen vielleicht schlafen, müssen ersticken, da das Gas schwerer als Luft ist und daher in die Unterstände eindringt. Auch die Gasangriffe hat man früher noch nicht gekannt.

Ebenso furchtbar wie die Fernkampfmittel sind auch die Nahkampfmittel. Als Fernkampfmittel hat man Minen, die geschleudert werden. Im Nahkampf bedient man sich der Sprungminen. Eine Sprungmine wird folgendermaßen angelegt: Man treibt einen Stollen von der eigenen Stellung aus zur feindlichen, dahin, wo man eine Sprengung vornehmen will. Man unterminiert zum Beispiel ein feindliches Grabenstück. Der Stollen wird dann mit Sprengstoff gefüllt und dieser zur Entzündung gebracht, wobei oft mehrere Kompanien in die Luft fliegen. Auch das ist im jetzigen Krieg neu, da man früher den Stellungskrieg kaum gekannt hat. Ferner unterminiert man oft einen Platz in der feindlichen Stellung, den man besetzen will. Es wird dann gleichzeitig eine Sturmkompagnie bereitgehalten oder der Sprengstoff zur Entzündung gebracht. Sobald nun die Ladung explodiert, greifen die Sturmtrupps an und besetzen den durch die Sprengung entstandenen Trichter. Diese Sprengtrichter sind so groß, dass eine Kompagnie bequem darin Platz findet. Nach der Besetzung wird der Trichter gleich zur Verteidigung umgebaut und durch einen Graben mit der eigenen Stellung verbunden. Auf diese Weise schafft man sich einen Stützpunkt in der feindlichen friedlichen Stellung. Wie zum Angriff so werden auch zur Verteidigung Minen angelegt. Man gräbt zum Beispiel ein tiefes Loch vor einem Truppenposten, füllt es mit Sprengstoff und deckt es möglichst unauffällig wieder zu. Wenn nun eine feindliche Patrouille in der Absicht, den Horchposten auszunehmen, herankommt, so bringt man die Ladung zur Entzündung. Oft entzündet sich die Ladung auch von selbst, wenn man auf die Stelle tritt. Diese Minen nennt man daher Tretminen.

Derartige Minen hat man in früheren Kriegen kaum gebraucht, da sie sich durch einen elektrischen Funken entzünden, dessen Eigenschaften man früher noch nicht so genau kannte.

Ferner sind die Handgranaten ein besonders furchtbares Kampfmittel. Man unterscheidet Stiel- und Eierhandgranaten. Beide sind furchtbar in ihren Wirkungen. Bei uns werden die Stielhandgranaten am meisten eingesetzt, während die Franzosen die Eierhandgranate vorziehen. Die Stielhandgranaten sind besonders eindrucks- und wirkungsvoll, denn sie geben einen gewaltigen Knall ab bei der Explosion. Man braucht die Handgranaten zur Abwehr und zum Angriff. Jeder Posten hat eine Anzahl Handgranaten auf seinem Stand liegen. Besonders werden sie für den Angriff gebraucht. Wenn man gegen die feindliche Stellung vorgeht, wirft man eine Salve Handgranaten hinein und springt, nachdem sie geplatzt sind, in den feindlichen Graben. Wenn die Salve richtig sitzt, wird man keinen Widerstand mehr finden. So furchtbar ist die Wirkung der Handgranaten. Sie sind aber nicht nur für den Gegner gefährlich, sondern auch für den Werfer. Oft kommt es vor, dass sich eine Handgranate, die man bei sich hat, entzündet und auch die anderen zur Entzündung bringt. Dann wird der Handgranatenwerfer vollständig zerrissen. Ferner werden beim Angriff die Flammenwerfer gebraucht. Dies ist wohl die furchtbarste Waffe, die man augenblicklich hat. Er wird besonders eingesetzt, um Stollen, aus denen der Feind sich nicht vertreiben lassen will, auszuräuchern. Ferner werden im Nahkampf wie auch früher schon Seitengewehr und Kolben benutzt. Auch mit dem Messer wird in diesem Kriege von den Kolonialtruppen unserer Feinde gewütet. Endlich sind die Revolver, die jetzt und früher im Nahkampf viel gebraucht wurden, bedeutend vervollkommnet und haben daher auch eine furchtbarere Wirkung als früher.

Alle diese Kampfmittel machen den Krieg zu Lande besonders schrecklich. Da nun der Krieg so grausam ist, so sehnen sich alle Völker nach Frieden. Wir hoffen, dass diese Sehnsucht in Erfüllung gehen wird. Besonders jetzt haben wir Grund zur Friedenshoffnung, da schon seit einiger Zeit mit Russland und Rumänien die Friedensverhandlungen begonnen haben. Daher hoffen wir auf einen baldigen Frieden.

In den Jesuitenorden– unterwegs nach Japan

Da ich mein Abitur während meiner Krankheit noch vor Kriegsende nachholen konnte, trat ich bereits ein halbes Jahr nach dem Krieg in den Jesuitenorden ein. Ich hatte vor den Jesuiten immer schon eine große Hochachtung. Bis kurz vor meinem Eintritt in den Orden hatte ich noch keinen Jesuitenpater mit eigenen Augen gesehen, da diese in Deutschland keine Niederlassungen haben durften.[1]Ich habe mit großem Interesse das Leben des heiligen Ignatius von Loyola gelesen. Damals wurden alle deutschen Jesuiten in Holland ausgebildet. So habe ich mein zweijähriges Noviziat und die ersten beiden Jahre des Philosophiestudiums in Holland verbracht und das dritte Jahr in England, nachdem ich mich für Japan beworben hatte. Die ersten zwei Jahre des Theologiestudiums absolvierte ich wiederum in Holland, die zwei anderen Jahre und den Abschluss in England.

Nachdem ich im Orden war, habe ich jährlich die ignatianischen Exerzitien gemacht. Ich interessierte mich schon damals für die Mystik. Ignatius von Loyola war ja ein großer Mystiker. Das dritte Probejahr, eine Art des erneuerten Noviziats nach der Priesterweihe, verbrachte ich in Frankreich. Der Leiter des dortigen Hauses gab uns auf, Johannes vom Kreuz und Teresa von Avila zu lesen, was ich auch mit großem Interesse tat.

Nach der Priesterweihe am 28. August 1927 in Valkenburg, Holland© Archiv der Deutschen Provinz der Jesuiten [ADPSJ], Abt. 80 Q, Nr. 144b, S. 7)

Ich habe mich selbst für die Mission gemeldet. Damals hat mich das Buch Von Kapstadt zum Sambesi sehr interessiert und begeistert. Schon als Novize habe ich an unseren Jesuiten-General geschrieben, dass ich gern in die Mission nach Afrika gehen möchte, und wenn das nicht möglich sein sollte, dann nach Japan. Während des Krieges wurden die deutschen Jesuiten aus Indien durch die Engländer ausgewiesen. Die Schulen und andere Werke, die die deutschen Jesuiten gegründet hatten, wurden anderen Provinzen des Ordens zugewiesen. Die deutsche Provinz erhielt stattdessen eine Mission in Japan. Zu dieser Zeit, das heißt, bevor ich nach Japan ging, erschien ein Buch von einem Japaner, der Christ war, Protestant, mit dem Titel Jenseits der Todeslinie, in dem er seine Arbeit im Armenviertel von Kobe in Japan beschreibt. Das hat mich sehr beeindruckt, aber auch andere Bücher, besonders über die Künste in Japan, die ich gelesen habe. Zen war schon damals für mich ein Begriff.

Wenn ich nach Japan gehen sollte, dann war mein Ideal, im Armenviertel zu wohnen. So ging ich nach Japan mit diesen zwei Ideen im Kopf: im Armenviertel zu wohnen und Zen konkret und praktisch kennenzulernen. Zum Zen bin ich deswegen gekommen, weil dies eine typisch japanische Sache ist. Und weil Zen die Japaner und ihren Charakter sehr stark beeinflusst hat. Als ich also nach Japan gehen sollte, habe ich mir gesagt: »Wenn du das Zen richtig studierst, dann wirst du die Japaner besser verstehen.« Das war mein Motiv für das Interesse am Zen. Das Motiv für die Arbeit im Armenviertel war ganz anderer Natur, es war geprägt durch die schlichte christliche Nächstenliebe, und die sollte nicht theoretisch bleiben, sondern in der Praxis konkret werden, im Leben mit den Armen: Da ich nicht von meinem Ordenshaus hin- und zurückpendeln wollte, habe ich dieses Zentrum mitten im Armenviertel gegründet. Dazu kam noch eine andere Idee: Studenten aus Tokio sollten sich daran beteiligen. Dafür hatte ich gute Vorbilder in England und in den USA, wo damals Studenten im Armenviertel von London und anderen Großstädten beständig zusammenwohnten in einem Haus.

Alles hat mit sozialer Arbeit angefangen

© Enomiya-Lassalle-Archiv, Dietfurt

Der Weg zu den Armen

Das katholische Heim für die Armen, nach amerikanischem Muster Settlement