Melaten Macchiato - Bernhard Hatterscheidt - E-Book

Melaten Macchiato E-Book

Bernhard Hatterscheidt

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Beschreibung

Kurz vor Silvester sackt die junge Kassiererin Beate Kuckelke vor den Augen der Kunden eines großen Lebensmittelmarktes in Köln-Chorweiler plötzlich leblos zusammen. Alle Wiederbelebungsversuche bleiben erfolglos. Der Polizei erzählt der stämmige Filialleiter von einem mysteriösen Anruf, einer Erpressung, die er nicht ernst genommen hat. Ein großer Fehler, denn die junge Frau ist vergiftet worden. Kriminalhauptkommissar Westhoven und sein Team der Mordkommission 6 nehmen die Ermittlungen auf.

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MelatenMacchiato

Ein KRIMINAListenROMAN

vonBernhard Hatterscheidt

Bernhard Hatterscheidtwurde 1965 in Essen geboren und ist seit 1982 Polizeibeamter. Nach Jahren im Streifendienst und der sog. Einsatzhundertschaft kam er 1996 nach der Ausbildung zum Kriminalkommissar zur Kölner Mordkommission. Anschließend war er sieben Jahre lang, bis 2010, enger Mitarbeiter des Leiters der Kölner Kriminalpolizei. Heute bearbeitet er Beamten- und Korruptionsdelikte.

Vorwort

Dieser Roman beruht wieder auf Tatsachen und die Ermittlungen und Vernehmungen orientieren sich an der Wirklichkeit des kriminalpolizeilichen Alltags. Allerdings sind vorsorglich in diesem KRIMINAListenROMAN bewusst einige Ermittlungsschritte verfälscht worden, um etwaigen Nachahmern keine Anleitung zu geben.

Keine der genannten Personen ist so existent, es sei denn, es wurde ausdrücklich gewünscht. Namensähnlichkeiten sind daher zufällig. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Geschehnissen sowie mit lebenden oder verstorbenen Personen ist aber nicht immer rein zufällig.

Auch dieser KRIMINAListenROMAN soll vor allen Dingen ein authentischer Roman sein. Deshalb sind wieder einige Textpassagen bewusst protokollartig.

Meinen lieben Schwiegereltern

Christa und Henno

Impressum

Math. Lempertz GmbHHauptstraße 35453639 KönigswinterTel.: 02223 / 90 00 36Fax: 02223 / 90 00 [email protected]

Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus zu vervielfältigen oder auf Datenträger aufzuzeichnen.

1. Auflage – September 2014© 2014 Mathias Lempertz GmbH

Text: Bernhard [email protected]

www.facebook.com/kriminalistenromanDie kostenlose App zum KRIMINAListenROMAN im Google Play Store:https://play.google.com/store

Umschlaggestaltung:

Ralph Handmann

Lektorat:

Philipp Gierenstein, Laura Liebeskind

Titelbild:

fotolia

ISBN Print: 978-3-943883-68-8ISBN E-Book: 978-3-945152-91-1

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Epilog

Danksagung

MelatenMacchiato

Ein KRIMINAListenROMAN

vonBernhard Hatterscheidt

„Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht’s, dass ein Ding kein Gift sei.“

Paracelsus (1493–1541),Schweizer Arzt, Alchemist, Mystiker und Philosoph

Prolog

Beate Kuckelke verabschiedete an diesem für die Jahreszeit relativ milden Montagmorgen ihren 5-jährigen Sohn Jan mit einer Umarmung und einem Küsschen auf die Wange, als dieser gegen 08.00 Uhr von seiner Oma abgeholt wurde. Anfang Dezember hatte sie Peter verlassen und lebte seitdem mit Jan in einer kleinen Zweizimmerwohnung im Kölner Stadtteil Chorweiler-Nord. Silvester würde sie diesmal wohl alleine mit Jan verbringen. Zu oft hatte die 29-Jährige beide Augen zugedrückt und die Seitensprünge von Peter verziehen – allein wegen Jan. Nun aber hatte sie sich fest vorgenommen, sich endgültig von ihm zu trennen und sich nicht wieder bequatschen zu lassen.

Um Jan zu Weihnachten und zu seinem bevorstehenden 6. Geburtstag im Februar seine Wünsche zumindest teilweise erfüllen zu können, arbeitete sie für ein paar Stunden als Aushilfskraft bei dem Lebensmitteldiscounter Brutto im City-Center Chorweiler. Mal räumte sie die Regale ein, mal saß sie an der Kasse. Durch die wenigen Stunden konnte sie den spärlichen Unterhalt ein bisschen aufpeppen. Dass auch Peter dort arbeitete, störte sie relativ wenig; sie strafte ihn regelmäßig mit Nichtachtung und redete nur das Nötigste mit ihm. Zum Glück arbeitete er in der Verwaltung und nicht im Verkaufsbereich. Durch seinen Einfluss hatte sie die Aushilfsstelle bekommen. Ihr wurde regelrecht schlecht bei dem Gedanken, dass sie diesem Kerl jahrelang vertraut hatte und am Ende so derbe enttäuscht worden war. Sie hoffte, dass sie es diesmal durchhalten und keinen Rückzieher mehr machen würde.

Seit ein paar Tagen kämpfte sie mit dem alljährlichen grippalen Infekt, von dem derzeit gefühlt die halbe Stadtbevölkerung befallen sein musste. Selbst in den Tageszeitungen wurde wieder von einem besonders aggressiven Virenstamm geschrieben und dass man sich unbedingt gegen Grippe schutzimpfen lassen sollte. Für sie war es aber jetzt erstmal zu spät.

Beate legte sich noch mal für eine halbe Stunde ins Bett und kuschelte sich in ihre dicke Winterdecke. Als sie eine halbe Stunde später der schrille Ton des Funkweckers aus ihrem wirren Kurztraum riss, raste ihr Herz. Deutlich fühlte sie ihren Pulsschlag in der Halsschlagader; auf ihrer Stirn tummelten sich kleinste Schweißperlen. Unter normalen Umständen wäre sie zuhause geblieben oder hätte sich krank gemeldet, aber sie brauchte diesen Job.

Der stämmige Filialleiter, der 53-jährige Herbert Ohrem, der auf der Weihnachtsfeier ein Auge auf Beate geworfen hatte, begrüßte sie munter: „Guten Morgen, Beatchen! Du siehst ziemlich fertig aus. Hast du das Wochenende durchgemacht?“ Das fette Grinsen in seinem bärtigen Gesicht sprach Bände. „Mich hat’s erwischt. Grippe! Und das ausgerechnet zu Silvester.“

„Ach so.“ Ohrem hätte ob seiner schmutzigen Fantasie sicher gerne etwas anderes gehört. In seiner Vorstellung hatte sie schon öfters die Mittagspause mit ihm in der Besenkammer verbracht. „Bist du sicher, dass du nicht zum Arzt gehen willst?“

„Es geht schon. Habe eben zum Aufwärmen noch einen schönen heißen Latte Macchiato in der Teeküche getrunken. Jetzt fühle ich mich schon besser.“

„Gut! Wie du meinst. Dann übernimmst du heute Kasse 3, die Regale können auch andere einräumen.“

Kurze Zeit später saß Beate auf ihrem Drehstuhl in dem eng umgrenzten Kassenbereich, als sie plötzlich ein brennendes Kribbeln im Mund spürte. Mit der Zungenspitze fuhr sie an der Innenseite ihrer Wangen und am Zahnfleisch entlang. Ihr Mund war auf einmal ganz trocken. Sie trank einen großen Schluck Mineralwasser und blickte in den Verkaufsraum. Als sie den Kopf drehte, folgten kleine Schleier den Lichtern im Laden. Sie versuchte sich zu konzentrieren, kniff die Augen zusammen, aber zu allem Überfluss wurde ihr auch noch speiübel. Sie spürte heftige Stiche in der Brust und ihr Körper fühlte sich an wie Blei. Sie ärgerte sich über sich selbst, dass sie nicht einfach zu Hause geblieben war. Beate war wie in Trance, spürte ihr immer stärker werdendes Herzrasen und konnte sich nicht bewegen. Niemand bemerkte etwas.

Eine ältere Dame legte eine Ananas auf das feucht abgewischte Förderband. Als diese ins Sichtfeld der apathisch dreinblickenden Beate kam, sah sie darin einen abgeschlagenen, in einer Blutlache liegenden Kopf. Mit einem entsetzten Aufschrei stieß sie die Ananas vom Band, sackte dann auf dem Stuhl zusammen und rutschte leblos herunter auf den Boden. Die völlig bestürzte Kundin rief laut um Hilfe. Max, der Auszubildende, kam zusammen mit der Inventurhilfe Julian herbeigeeilt. In Windeseile zogen sie die besinnungslose Kassiererin aus dem engen Kassenbereich und legten sie in Rückenlage auf den kalten Fliesenboden. Während Max mit den Reanimationsmaßnahmen begann, rannte Julian auf dessen dringende Bitte hin zum Vorraum der Sparkasse und holte den automatisierten externen Defibrillator. Max zählte laut den Rhythmus, während er nach jeweils 30 Herzdruckmassagen abwechselnd zweimal die Mund-zu-Mund-Beatmung durchführte. Erst kürzlich hatte er wegen seiner bevorstehenden Führerscheinprüfung einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert. Mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass nun ein Mensch aus Fleisch und Blut unter ihm lag und kein Übungspuppentorso.

Als Julian endlich mit dem lebensrettenden Gerät eintraf, entfernte er mit zitternden Fingern die Schutzfolie von den Elektroden-Pads. Danach schob Max die Bluse von Beate hoch und klebte die Pads auf deren Brustkorb und die Brustkorbseite. Nach einer kurzen Analysezeit forderte die blecherne Computerstimme, den Patienten nicht mehr anzufassen und erst dann den roten Knopf zur Schockauslösung zu drücken. Begleitet von einem schrillen Ton wurde der erste Stromstoß durch den noch immer leblosen Körper der jungen Mutter gejagt. Max setzte die schweißtreibenden Wiederbelebungsmaßnahmen fort und folgte noch zwei weitere Male den Anweisungen der Computerstimme.

Als nach einer gefühlten Ewigkeit endlich die Notärztin eintraf, trat er erleichtert zur Seite, zitterte jedoch am ganzen Körper. Die Anspannung und die körperliche Anstrengung der letzten Minuten hatten ihn ausgelaugt.

Nachdem die sprachgesteuerte Ansage ein viertes Mal ertönt war, wurde es noch einmal sehr hektisch: kein Puls – keine Atmung! Die dicke Nadel der Adrenalinspritze, im Rettungsdienst oft zynisch als Partyfässchen bekannt, bohrte sich durch Beates Brustkorb ins Herz. Die Sekunden des Wartens auf einen einsetzenden Herzrhythmus kamen allen vor wie Stunden. Dann aber senkte die Notärztin ihren Kopf, schloss für einen kurzen Moment die Augen und deutete an, dass die Patientin es nicht geschafft habe.

Max brach in Tränen aus und wurde von einer der Aushilfen in den Arm genommen und getröstet.

Nachdem die Notärztin dann auf dem Totenschein „ungeklärte Todesursache“ angekreuzt hatte, wurde nun das zuständige Kriminalkommissariat alarmiert. Das Telefon im KK 11 läutete.

Kapitel 1

Montag, 30.12.

Die Stimmung im Kommissariat war gut. Alle waren noch weihnachtlich beschwingt und freuten sich nun auf den Jahreswechsel. Die zurzeit Bereitschaft versehende Mannschaft der Mordkommission 6 drückte sich selbst die Daumen, dass nicht gerade jetzt ein Tötungsdelikt passieren würde. Zum Jahreswechsel wollten sich Paul Westhoven und seine Frau Anne, Heinz und Doris Dember mit „Klein-Dember“ und Toni Krogmann mit ihrer Partnerin Laura zum Fondue treffen. Westhoven hatte hierzu eingeladen.

Paul Westhoven, Leiter der MK 6, hatte sich schon den dritten Schokoriegel einverleibt, als sein Chef Arndt Siebert in sein Büro kam. Westhoven sah schon an seinem Gesichtsausdruck, dass die Ruhe nun vorbei sein würde.

„Sag schon, Arndt. Was gibt’s?“

„Die Leitstelle hat eben angerufen. Im City-Center Chorweiler ist eine 29-jährige Frau gestorben und der Notarzt hat ‚ungeklärt’ angekreuzt. Ich hab gesagt, dass jemand kommt.“

„Und warum kommst du dann zu mir? Wir haben Bereitschaft und keinen Tagesdienst. Oder gibt es Anhaltspunkte dafür, dass jemand ein bisschen nachgeholfen hat?“

„Komm schon, Paul, wir sind personell sowieso dünn besetzt. Es sind doch fast alle im Urlaub. Und dem Tagesdienst habe ich vorhin alle Leichensachen vom Wochenende ins Fach gelegt. Die reichen erstmal für den Vormittag.“

Westhoven atmete demonstrativ tief durch. „Manchmal glaube ich wirklich, dass du meinst, dass du es mit mir machen kannst!“ Er blickte seinen Chef mit durchdringendem Blick an. „Okay, wo im City-Center ist denn die gute Frau verstorben? Der Laden erstreckt sich doch über zwei Etagen! Oder soll ich mit einer Wünschelrute vom Springbrunnen aus anfangen zu suchen, wo es sein könnte? Und ist schon jemand von der Polizeiinspektion vor Ort?“

Sieberts Gesicht hellte sich auf. „Ich wusste, dass du mich nicht hängen lässt. Wenn du wüsstest, wie gern ich mal wieder selbst einfach nur ermitteln würde! Stattdessen muss ich mich mit dem täglichen Wahnsinn der wichtigen Controllingzahlen herumschlagen. Wer wann sein Sportabzeichen gemacht hat, wer wie Wyatt Earp um die Ecke schießen kann, Einsatztraining und und und. Wenn das so weitergeht, laufe ich bald nur noch mit extremen Hautirritationen durchs Präsidium und jage jemanden mit meinem Eichenholz durch die Südstadt oder….“

Westhoven unterbrach ihn freundlich: „Okay. Okay. Ist ja schon gut, hör auf zu kümen, sonst kommen mir die Tränen. Du weißt ja: Das erste Leben ist hart und deine A13 sind schließlich ein fürstliches Schmerzensgeld!“ Er grinste und Arndt Siebert rollte mit den Augen. „Jetzt guck nicht wie ein gebumstes Frettchen, Chef. Sag mir lieber, wo wir hin müssen!“

„Die Tote liegt im Brutto-Supermarkt an der Kasse 3 und eine Motorradstreife aus Chorweiler ist vor Ort und wartet auf euch. Sämtliche Lebensmittelläden sind dort im Erdgeschoss, ihr findet das schon. Das dürfte nicht zu übersehen sein. Mehr weiß ich derzeit auch noch nicht. Ich verlass mich auf dich.“ Siebert zeigte anerkennend mit dem Zeigefinger auf Westhoven und war dann wieder verschwunden.

Westhoven seufzte. Er nahm seine Tasse Kaffee vom Schreibtisch und ging zum Büro von Toni Krogmann und Heinz Dember. Die beiden hockten vor Dembers Computer. Dember strahlte. „Guck mal, da. Ist er nicht süß? Sieht aus wie ich. Meiiin Junge.“ Mit dem Zeigefinger tippte er dabei auf den Bildschirm. Toni Krogmann lächelte ebenfalls.

„Moin, ihr beiden. Wenn ihr fertig seid mit dem Familienalbum, dann hätte ich eine klitzekleine Leichensache für euch.“ Damit hatte Westhoven ihre ganze Aufmerksamkeit. Verständnislos sahen die beiden zu ihm hoch.

„Wie jetzt? Ist jemand ermordet worden? Um diese Uhrzeit?“ Dember fühlte sich bei seiner Fotopräsentation sichtlich gestört.

„Dember! Du bist und bleibst ein hoffnungsloser Fall.“ Westhoven schüttelte fast unmerklich den Kopf. „Der Tagesdienst hat sein Fach bis zum Anschlag voll mit Leichensachen vom Wochenende. Arndt hat darum gebeten, dass wir einen ‚Ungeklärten’ im City-Center Chorweiler übernehmen.“

„Na toll!“ Dembers Unmut war nicht zu überhören. Seit der Geburt von Leon Heinz kreisten seine Gedanken nur noch um seinen kleinen Filius. Jedem, der es nicht hören oder sehen wollte, erzählte er davon und zeigte unentwegt Fotos von dem kleinen Racker.

„Sei doch froh, Heinz. Da gibt’s auch Babyläden. Kannst ja im Anschluss noch ein paar Strampler kaufen.“ Westhoven lachte.

„Weißt du was, Paul? Das mache ich auch. Ob ich die in den Köln-Arcaden oder im City-Center kaufe, ist wirklich egal. Dann mach ich halt meine Mittagspause dort. Oder Toni?“ Dember blickte sie fragend an.

„Klar! Klar, wieso nicht? Ich gehe dann derweil in die Buchhandlung. Es soll ein neuer Kriminalistenroman auf dem Markt sein, den will ich unbedingt haben. Laura hat mir zu Weihnachten zwar einen Reader geschenkt, aber ich habe mich noch nicht richtig daran gewöhnen können, ein Buch auf so einem Ding zu lesen.“

„Doris hat auch einen E-Book-Reader. Sie ist total begeistert, freut sich jetzt schon auf unseren Urlaub, weil sie dann Bücher ohne Ende mitnehmen kann; wenn wir denn überhaupt jemals wieder einen machen.“

Westhoven meldete sich zu Wort: „Heinz, seid froh, dass ihr noch außerhalb der Schul- oder Kindergartenferien fahren könnt. Dann wird’s nämlich erst richtig teuer. Ich spreche da aus Erfahrung. Aber kommt jetzt Leute, kommt in die Puschen und fahrt mal eben die Leichensache. Ein Todesermittlungsverfahren mehr oder weniger bringt euch nicht um.“

Schon an der Ein- und Ausfahrt zum Parkplatz vor dem City-Center Chorweiler stand Dember kurz davor, die Nerven zu verlieren. Wie von Sinnen beteiligte er sich an dem Hupkonzert, das um sie herum herrschte, und schrie dabei durch die geschlossene Scheibe in Richtung eines Rentnerpärchens, dass sie endlich voranmachen und nicht so herumschleichen sollten.

Toni schüttelte den Kopf. „Meine Güte! Was hast du denn? Hast du etwa erwartet, dass die hier den roten Teppich für dich ausrollen oder dir einen Parkplatz reservieren?“

„Das macht mich rasend, diese Schleicherei, so viele Leute…“

„Ich verstehe dich nicht, Dember. Das ist doch jedes Jahr dasselbe, dass die Geschäfte mit dem Umtausch der unpassenden Weihnachtsgeschenke sprichwörtlich überrannt werden.“

„Mann! So viele Lahmärsche auf einem Fleck! Ich stelle unseren Wagen jetzt direkt hinter das Polizeimotorrad und wehe, da hängt gleich ’ne Knolle dran. Dann…“ Dembers Gesicht war puterrot angelaufen.

„Wie kannst du dich nur so künstlich aufregen? Stell den Wagen ruhig dorthin, aber wehe, der wird abgeschleppt! Und noch was: Denk an Klein-Dember, mit einem Lächeln im Gesicht bist du gleich sympathischer – du Giftzwerg.“

Toni schwang sich elegant auf der Beifahrerseite aus dem Wagen und rückte ihre Steppjacke zurecht, damit niemand die Dienstwaffe an ihrem Gürtel sehen konnte. Danach öffnete sie die hintere Tür und holte ihren „Leichenkoffer“ heraus. Diesen Koffer führte sie stets zu solchen Anlässen mit. Schön sortiert befanden sich darin Plastiktüten, Einmalhandschuhe, eine sehr scharfe Schere, um notfalls die Kleidung vom Leichnam herunterzuschneiden, ihr Notizblock sowie eine Digitalkamera.

Nach einigen Remplern durch die Menschenmassen erreichten die beiden Todesermittler den verschlossenen Brutto-Supermarkt. Die großen Glasscheiben, die sonst nur zum Ladenschluss vorgezogen wurden, verdeckten teilweise den Blick auf die mit verheulten Gesichtern im Laden stehenden Angestellten. Ein Polizist in Motorradkluft kam auf sie zu. „Seid ihr vom KK 11?“

Dember nickte und Toni antwortete: „Ja. Ist der Notarzt schon weg?“

„Die sind direkt weiter zum nächsten internistischen Notfall.“ Mit diesen Worten übergab er ihnen die Todesbescheinigung. „Da steht nicht viel drauf, eben nur ‚ungeklärt’.“

Dember ergriff das Wort: „Das hätte mich ehrlich gesagt auch gewundert, wenn der Notarzt bei einer so jungen Frau ‚natürlichen Tod’ angekreuzt hätte.“

„Notärztin“, berichtigte ihn der Motorradpolizist.

„Von mir aus. Spielt aber für mich keine Rolle. Wir sind so oder so im Boot. Was ist mit Angehörigen, wisst ihr da schon was?“

„Der Mann der Toten arbeitet auch hier: Peter Kuckelke. Er steht da drüben mit dem Filialleiter, der mit dem dunklen Pullover.“ Der Kollege wies auf einen adipösen Mann im weißen Verkaufskittel.

„Und sonst? Hat jemand gesehen, was passiert ist?“

„Die ältere Dame dort, Frau Voswinkel.“ Er deutete auf eine Frau im beigefarbenen Mantel. „Die stand gerade an der Kasse und hat ihren Einkauf aufs Band gelegt, als die Kassiererin zusammengebrochen ist. Und da drüben, das ist der Ersthelfer, der Auszubildende hier. Der Arme ist völlig fertig.“

Dember nickte. „Schreibst du bitte einen Bericht mit allen Feststellungen, Personalien und Erreichbarkeiten und schickst ihn vorab per E-Mail ans KK 11?“

„Klar, mache ich. Ich bin dann mal wieder. Tschö.“ Der Motorradpolizist griff nach seinem Helm und verließ den Supermarkt. Seine Motorradkombi quietschte bei jedem Schritt.

Herbert Ohrem näherte sich den beiden zögernd und sprach sie an: „Guten Morgen, sind Sie von der Kripo? Mein Name ist Ohrem, ich bin hier der Filialleiter. Wir sind alle so geschockt. Wie geht’s denn jetzt weiter?“

„Mein Name ist Krogmann.“ Sie gab ihm die Hand. „Wir müssen uns zunächst mal einen Überblick verschaffen, aber wo Sie gerade schon da sind: Ist Ihnen heute an Frau Kuckelke irgendwas aufgefallen?“

„Eigentlich nicht. Beate, also ich meine Frau Kuckelke, war freundlich wie immer. Sie kam pünktlich zur Arbeit und ich habe sie wegen ihrer Grippe für die Kasse eingeteilt. Wissen Sie, Regale einräumen wäre vielleicht zu anstrengend gewesen.“ Nach den letzten Worten rollten ihm Tränen über die Wangen. „Sie war so beliebt, immer hilfsbereit. So jung. Mir tut das Kind so leid.“

Dember wurde hellhörig. „Kind? Was für ein Kind? Ist das auch hier?“

Ohrem verneinte: „Nein, der kleine Jan ist nicht hier. Ich weiß nicht, wo er ist. Vielleicht weiß es sein Vater. Der steht da drüben, der Herr im dunklen Pullover.“

„Dann wird er ja wohl wissen, wo sein Sohn gerade ist.“

„Nicht unbedingt, Herr Kommissar. Die beiden haben sich vor Wochen getrennt und Jan lebt – lebte bei seiner Mutter.“

„Danke, das klären wir später. Offenbar ist er ja, wo auch immer, zurzeit gut untergebracht. Wir kommen dann gleich noch mal zu Ihnen.“

Im Grunde hätten die Ermittler nun erwartet, dass der Filialleiter sich wieder zu seinen Angestellten gesellen würde, aber er blieb stehen und nestelte an seinen Fingern. Er wollte offensichtlich noch etwas loswerden.

„Gibt’s noch was, was Sie uns unbedingt jetzt sagen wollen, Herr Ohrem?“ Toni schaute in sein knallrotes, feuchtes Gesicht. Herr Ohrem holte ein gefaltetes Blatt Papier aus seinem Kittel und gab es ihr. Zögernd stammelte er: „Ich weiß nicht, ob das damit zu tun hat, aber ich wollte damit sowieso zur Polizei.“

Nachdem sie das Blatt auseinandergefaltet hatte, wurden Tonis Augen immer größer. Gebannt las sie das Schreiben. Schon nach dem ersten Satz hielt sie es Dember hin und bedeutete ihm, mitzulesen.

dies ist ein erpresserbrief! wir verlangen 100.000 € bis zum 12.12.! sollten sie unseren forderungen nicht in allen punkten bedingungslos und fristgerecht nachkommen, vergiften wir produkte aus ihrem supermarkt und platzieren sie anonym für den abverkauf zum weihnachtsfest. das wiederholen wir bis zur erfüllung unserer bescheidenen forderung! bei der kleinsten abweichung oder einschaltung der polizei verdoppeln wir die summe auf 200.000 € und werden unsererseits die örtliche presse informieren, um den druck zu erhöhen! spielen sie nicht unnötig mit den leben ihrer kunden! lassen sie es nicht so weit kommen! wir erwarten ihre entscheidung. schreiben sie uns daher nur am 11.12. um 12.00 uhr eine e-mail von ihrem firmenaccount auf [email protected]. sie erhalten dann weitere instruktionen. dieses schreiben weist keinerlei auswertbare spuren auf. und wie gesagt: keine polizei!

Nachdem Toni den letzten Satz gelesen hatte, hob sie den Kopf und sah Ohrem fassungslos an. „Sind Sie eigentlich verrückt? Was Sie getan haben, ist unverantwortlich! Völlig unabhängig davon, ob das Ableben Ihrer Mitarbeiterin damit zu tun haben könnte oder nicht. Was haben Sie sich nur dabei gedacht, nicht umgehend die Polizei zu informieren!?“

Ohrem versuchte sich zu rechtfertigen: „Jetzt aber mal langsam, Frau Kommissarin. Ich habe das Schreiben einfach vergessen in dem Weihnachtstrubel. Wissen Sie eigentlich, was dann hier los ist?“

„Erzählen Sie mir nichts! Ein solches Erpresserschreiben zu ignorieren, ist fahrlässig, um es mal gelinde auszudrücken! Oder wollen Sie mir ernsthaft erklären, dass solche Erpressungen hier im Brutto an der Tagesordnung sind und Sie das völlig kalt und unbeeindruckt lässt?“ Toni fühlte sich ein wenig verschaukelt.

Dember, der schon des Öfteren in Erpressungen im Einsatzabschnitt Ermittlungen eingesetzt gewesen war und über rudimentäres Wissen in solchen Verfahren verfügte, fragte Ohrem, ob dieser denn schon die Konzernsicherheit informiert habe. Aber auch dies hatte der stämmige Filialleiter nicht gemacht. Dember griff zum Mobiltelefon und informierte Westhoven.

„Dember, du verarschst mich jetzt, oder?“ Westhoven wollte einfach nicht glauben, was ihm sein Kollege da erzählte.

„Paul, das ist kein Scherz. Ich halte das Schreiben doch in der Hand.“

„Na toll! Dann hast du wenigstens noch die letzten Spuren vernichtet.“

Dember behielt für sich, dass auch Toni das Schreiben mit „blanken Fingern“ angefasst hatte und antwortete in der ihm eigenen, unnachahmlichen Naivität: „Ich glaube nicht, dass hier noch irgendwas zu vernichten war. Der Filialleiter trägt das Ding schon seit Wochen mit sich herum und außerdem steht da auch drauf, dass da keine Spuren zum Auswerten sind.“

„Glauben kannst du in der Kirche. Jetzt steckt das Schreiben gefälligst in eine Plastikhülle und sorgt dafür, dass das keiner mehr außer der Spurensicherung anfasst. Das kann echt nicht wahr sein! Gab es denn nur dieses eine Schreiben oder verheimlicht der Mann noch was?“

Dember senkte das Telefon und wandte sich an Ohrem. Nachdem dieser hektisch verneint hatte, hielt er das Gerät wieder an sein Ohr. „Er sagt nein. Was sollen wir denn jetzt machen?“

Ohne wirklich darüber nachdenken zu müssen, antwortete Westhoven: „Ich sage Cheffe und Sarah Bescheid, dass wir eine neue Mordkommission haben, und ihr behandelt alles dort wie einen Tatort. Befragt schon mal die Angestellten und lasst euch eine Liste von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geben. Auch von kürzlich Entlassenen. Ich schicke euch den Erkennungsdienst. Bis gleich.“

„Und, Heinz? Was sagt Paul?“ Toni ahnte nichts Gutes.

„Wir sollen alles wie einen Tatort behandeln, das volle Programm.“

Tonis Kommentar fiel kurz aus: „Ich hätte mich gewundert, wenn er was anderes gesagt hätte.“

„Was?“ Staatsanwältin Sarah Steinmann klang nicht freundlich.

„Wie ich dir schon sagte: An der Kasse ist eine Kassiererin verstorben und vor ein paar Wochen kam ein Erpresserschreiben, welches der Filialleiter ignoriert oder vergessen hat. Das müssen wir noch klären. Jedenfalls ist der wohl ziemlich dämlich. Kann wahrscheinlich einem Vegetarier eine Schweinshaxe verkaufen, aber ansonsten….“ Paul machte keinen Hehl aus seinem Groll.

„Bis gleich, Paul. Wir treffen uns im Laden. Der Leichnam muss auf jeden Fall obduziert und auf Gifte untersucht werden.“

Gerade als Westhoven sich auf den Weg machen wollte, kam Arndt Siebert mit dem Kriminalinspektionsleiter 1, Edgar Stengelmann, ins Büro. Stengelmann sah Westhoven entnervt an. „Paul, wenn es sich hier wirklich um Erpressung handelt, dann ist das KK 13 zuständig. Sowas führt dann regelmäßig zu einem größeren Einsatz mit Polizeiführer und Unterabschnitten und etlichen Einsatzkräften. Das brauche ich dir nicht zu erklären, das weißt du selbst!“

„Edgar, klar weiß ich das. Weißt du vielleicht was, was ich noch wissen sollte, damit ich nicht dumm sterbe? Ist diese Erpressung schon bekannt? Wissen die Jungs und Mädels in Duisburg schon was?“ Westhoven meinte die Beratergruppe des Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste.

„Nein, wir hatten auch noch keinen Kontakt mit denen! Ich möchte aber auf jeden Fall, dass du den Kollegen Häuser vom KK 13 mitnimmst. Er ist der Fachmann in solchen Dingen und sollte die erste Lagebewertung vor Ort selbst durchführen.“

„Kein Problem, dann kann er sich um die Erpressung kümmern und wir uns um die Leiche. Mich würde es ehrlich gesagt schon sehr wundern, wenn die junge Frau tatsächlich an einer Vergiftung gestorben ist. Die Erpresser wollen doch in der Regel nur Geld und keine Leichen auf ihrem Konto haben.“

„Das stimmt, Paul. Aber der oder die Täter könnten sich genauso gut mit der Dosierung verkalkuliert haben. Ich sehe hier erstmal keine klare Linie, sondern eine Gemengelage. Nach der Obduktion und der toxikologischen Untersuchung werden wir mehr Gewissheit haben. Die Staatsanwaltschaft obduziert doch, oder?“

„Ja, genau mit dieser Aussage hat Sarah aufgelegt und sich auf den Weg nach Chorweiler gemacht. Ich muss dann jetzt auch mal los.“

„Halt uns auf dem Laufenden.“

Dember hatte sich mit dem Filialleiter in dessen Büro gesetzt und mit der Befragung begonnen. Um ganz sicher zu gehen, hatte er ihn eindringlich zeugenschaftlich belehrt und ihm gesagt, dass er sich nicht selbst zu belasten brauchte.

„Die Beate war eigentlich immer gut gelaunt. Hat wohl die Trennungskiste mit Peter total verdrängt. Wenn Sie mich fragen, dann war da schon lange was im Argen zwischen den beiden. Peter hat hier nichts anbrennen lassen, Sie verstehen schon.“ Ohrem grinste anzüglich.

Dember zog bei dieser Beschreibung Parallelen zu sich selbst. Vor seiner Hochzeit mit Doris war auch er stets bemüht gewesen, keine Nacht allein verbringen zu müssen. Aber als Ehemann und junger Vater käme ihm nicht in den Sinn, seine Doris zu hintergehen.

„Jetzt tun Sie mal Butter bei die Fische und reden Sie nicht so in Orakeln. Mit welcher Ihrer Angestellten hat sich Herr Kuckelke getroffen? Gab es vielleicht offenen Streit zwischen ihm und seiner Frau oder zwischen seiner Frau und einer der Eroberungen?“

„Nee, ich sagte ja, die Beate hat alles verdrängt. Der schien das alles egal zu sein. Ich kann’s ihr auch nicht verdenken. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich mag den Peter, aber ich mag, äh, ich mochte die Beate auch sehr. Sie hat mir immer so leid getan. Aber ich mische mich da nicht ein. Das ist nicht meine Aufgabe als Filialleiter.“ Er sinnierte einen Moment und fügte dann hinzu: „Ich will nichts Falsches sagen, aber bei der Silke bin ich mir ganz sicher, das weiß hier jeder. Und bei der Andrea, ich würde mich wundern wenn, aber das fragen Sie Peter wohl besser selbst.“

Dember notierte sich die Namen. „Und wie heißen die beiden mit Nachnamen?“

„Silke Müller und Andrea Kasupke, die sind auch beide da. Aber was ist denn jetzt mit dem Erpresserschreiben? Glauben Sie, dass die Beate tatsächlich vergiftet wurde?“

„Das mit dem Erpresserschreiben klären wir gleich. Meine Kollegen in der Sache kommen ebenfalls hierher. Und ob das eine mit dem anderen zusammenhängt, kann ich nicht sagen. Da muss man die rechtsmedizinische Untersuchung abwarten.“ Dember zuckte mit den Schultern.

Westhoven und sein Kollege Häuser betraten das Büro des Filialleiters und stellten sich vor. Während Häuser bei Ohrem blieb und ihn zu dem Erpresserschreiben befragte, gingen Dember und Westhoven vor die Tür.

„So, Heinz. Was wissen wir bis jetzt?“

„Im Grunde nicht mehr als vorhin. Beate Kuckelke, 29, hat sich wohl trotz ihrer Grippe heute hierhin geschleppt. Bevor sie an die Kasse ging, soll sie zum Filialleiter gesagt haben, dass sie eine Tasse Latte Macchiato getrunken hat. Der hat sie dann für die Kasse 3 eingeteilt, wo sie kurz danach zusammengebrochen ist. Davor soll sie allerdings eine Ananas vom Band gefegt haben, die eine Kundin kurz vorher darauf gelegt hatte. Das war’s.“

„Und die Geschichte mit der Erpressung?“

„Vor ein paar Wochen hat der Filialleiter ein Erpresserschreiben bekommen und will das dann wohl vergessen haben. Angeblich sei hier alles so stressig. Mehr weiß ich auch nicht.“

„Na gut, dann geh bitte zu Toni und fragt bitte alle Angestellten und natürlich auch den Ehemann.“

„Den Ehemann als Beschuldigten oder Zeugen?“

„Gibt’s denn Anhaltspunkte für seine mögliche Täterschaft?“

„Nö.“

„Was soll dann die Frage? Und jetzt geh und fang an.“

Als Westhoven ins Büro des Filialleiters zurückkehrte, hörte er noch dessen genervte Antwort: „Nein, Herr Kommissar. Es gab nichts weiter. Kein Schreiben, keinen Anruf, gar nichts. Wie oft wollen Sie mich das noch fragen?“

„Herr Ohrem, bei einem so formulierten Schreiben wundert mich so einiges. Erstens, wieso Sie das nicht ernst genommen haben und zweitens, dass Sie mir erzählen, dass nach Verstreichen der Frist nichts mehr gewesen sein soll. Überlegen Sie bitte noch einmal, ob Sie mir doch etwas zu sagen haben.“ Aus Häusers Mund klang das so, als ob er schon Gewissheit darüber hätte.

Ohrem druckste wieder herum. „Was würde denn mit mir passieren, wenn mir doch noch was einfallen täte?“

Häuser sollte noch Recht behalten mit seiner Vermutung. „Herr Ohrem, was soll das heißen? Da war also doch noch eine Kontaktaufnahme, stimmt’s?“

Herbert Ohrem versuchte den direkten Blickkontakt zu Häuser zu vermeiden und starrte auf eine Reihe von Aktenordnern im Regal.

„Wie?!“

„Ein Anruf.“ Ohrems Antwort war kleinlaut.

„Wann war das?“

„Am 11.12.“

„Und um wie viel Uhr?“

„Gegen 12.30 Uhr.“

„Wie bitte?“ Häuser hätte vorwurfsvoller nicht sein können. „Und dann haben Sie das immer noch nicht gemeldet?! Das darf doch wohl nicht wahr sein!“

Der Ermittler musterte Ohrem zornig. Ohrem sackte noch weiter in sich zusammen.

„Jetzt reden Sie schon! Was wollte der Erpresser?“

„Nicht er, sie! Das war eine Frau, die mich angerufen hat. Die hat nur gesagt, die Frist sei abgelaufen und ich wisse ja, was nun passieren würde. Dann hat sie aufgelegt.“

„Konnten Sie die anrufende Nummer sehen?“

„Das war es ja, was mich kirre gemacht hat. Es war meine eigene Durchwahl hier.“ Ohrem zeigte auf sein Telefon.

Häuser ahnte sofort, womit er es höchstwahrscheinlich hier zu tun hatte. Doch seine Vermutung wollte er zunächst mal für sich behalten. Wer zu solch einem Anruf in der Lage war, der war zwar kriminell, aber mit Sicherheit nicht blöd. Der technische Standard machte heutzutage so viel möglich. Potentiellen Erpressern wurde es immer leichter gemacht und gleichzeitig den Ermittlungsbehörden immer schwerer.

„Ach, mit Beate, das lief schon lange nicht mehr so gut. Nach außen hin die glückliche Familie, aber ansonsten…“ Peter Kuckelke war gerade dabei, Toni und Heinz die Gründe der Trennung zu erklären. „Ansonsten was?“ Toni wollte auch noch den Rest der Geschichte hören.

„Muss das jetzt wirklich sein? Über Tote soll man nicht schlecht reden. Und außerdem will ich eigentlich gar nichts mehr sagen. Wissen Sie, Beate hat sich zwar räumlich von mir getrennt, aber für mich war unsere Ehe nur auf Eis gelegt. Das wäre schon wieder geworden. Und nun ist sie tot.“ Peter Kuckelke sackte in sich zusammen. Tränen liefen ihm über die Wangen. „Ach, Beate!“, murmelte er. „Was machst du nur für Sachen? Was soll ich nur Jan sagen? Er ist doch noch so klein.“

Dember fragte, ob er einen Arzt benötige. Kuckelke schüttelte den Kopf. „Danke! Es muss gehen, ich muss jetzt stark sein für Jan.“ Mit dem Ärmel seines Pullovers rieb er sich die Augen trocken.

„Wo ist denn der Junge?“

„Wenn Beate hier gearbeitet hat, hat sie ihn immer zu ihrer Mutter gebracht oder die hat ihn abgeholt. Da wird er jetzt auch sein. Ich weiß einfach nicht, was ich jetzt machen soll. Ich habe solch eine Angst davor, meinem Sohn zu sagen, dass seine Mutter tot ist. Und meine Schwiegermutter wird sicher auch zusammenbrechen. Die ist sowieso nicht gut dran. Ihr Mann ist erst im letzten Jahr elendig an Krebs gestorben.“

Dember ließ nicht locker: „Was sagen Ihnen die Namen Silke Müller und Andrea Kasupke?“

Kuckelke wirkte sichtlich ertappt. Verlegen antwortete er: „Die arbeiten beide hier. Die Silke oben in der Verwaltung und die Andrea in der Fakturierung. Wieso fragen Sie?“

„Das wissen Sie doch. Mit Frau Müller haben oder hatten Sie ein außereheliches Verhältnis und mit Frau Kasupke…“

„Sie glauben doch nicht, dass die Silke irgendwas mit dem Tod von Beate zu tun hat? Das ist doch absurd. Meine Frau ist an der Kasse zusammengebrochen. Außer einer Kundin war da niemand.“

„Das heißt erstmal gar nichts, Herr Kuckelke. Wie war denn das Verhältnis zwischen Silke Müller und Ihrer Frau?“

„Also wenn, dann hätte Beate eher Grund gehabt, der Silke was anzutun und nicht umgekehrt. Immerhin war sie der Grund dafür, dass Beate ausgezogen ist. Beate hat uns erwischt und da gab es nichts mehr zu beschönigen.“

Toni mischte sich ein: „Wo Sie gerade dabei sind, was ist mit Andrea Kasupke?“

Kuckelke war diese Frage sichtlich unangenehm. „Die Silke weiß nix davon. Bitte sagen Sie ihr auch nichts. Das hat doch auch nichts mit all dem hier zu tun. Das ist meine Privatsache.“

Toni wurde deutlicher: „Da irren Sie sich! Eine junge Frau von gerade mal 29 Jahren stirbt plötzlich und unerwartet. Da hätten wir gern ein paar Antworten, damit wir und die Staatsanwaltschaft das auch nachvollziehen können.“

„Staatsanwaltschaft? Bin ich jetzt verdächtigt?“ Die Reaktion war trotzig und erschrocken zugleich.

„Müssen wir Sie denn verdächtigen?“ Toni musterte Kuckelke durchdringend.

„Soll ich mir lieber einen Anwalt nehmen?“

„Das müssen Sie selbst wissen, Herr Kuckelke. Aber vorher können Sie mir vielleicht noch was über eventuelle Vorerkrankungen Ihrer Frau sagen. Gab es da was?“

Kuckelke schüttelte den Kopf. „Nicht, dass ich wüsste. Beate war immer sportlich und so gut wie nie beim Arzt. Sie sehen ja, selbst heute hat sie sich hergeschleppt. Herr Ohrem hat mir vorhin erzählt, dass sie überhaupt nicht gut aussah heute Morgen. Deshalb hat er sie auch wohl heute für die Kasse eingeteilt, damit sie sich ein wenig schonen kann.“

„Danke. Das reicht erstmal. Halten Sie sich bitte zu unserer Verfügung. Vielleicht haben wir noch ein paar Fragen und dann wäre es gut, wenn wir Sie erreichen könnten.“

„Sie haben ja meine Handynummer. Da kriegen Sie mich in der Regel immer. Kann ich dann jetzt gehen?“