Melting my Heart - Nina Schilling - E-Book
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Melting my Heart E-Book

Nina Schilling

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Beschreibung

Von Eishockey, Mobbing und Vertrauen – eine herzzerreißende Lovestory von Wattpad-Star Nina Schilling »Bisher habe ich immer gedacht, dass alles, was mir widerfahren ist, mich verkorkst hat. Dass ich so wie ich bin gar kein Glück finden kann. Aber hier in Grays Armen werde ich eines Besseren belehrt.« Gray und Row könnten nicht unterschiedlicher sein: Er ein gefeierter Eishockeystar, sie eine fleißige Studentin, die sich am liebsten aus allem raushält. Geprägt von den schlimmen Erfahrungen, die Row und ihre beste Freundin Alexis in der Schule durchstehen mussten, hat Row kein Vertrauen mehr zu anderen Menschen. Erst recht nicht zu Kerlen mit viel zu viel Selbstvertrauen. Eine lange Nacht bringt Row trotzdem mit Gray zusammen – doch was passiert, wenn alle Mauern fallen gelassen werden? Triggerwarnung: Diese Geschichte behandelt die Themen Mobbing und Essstörungen. Wattpad verbindet eine Gemeinschaft von rund 90 Millionen Leser:innen und Autor:innen durch die Macht der Geschichte und ist damit weltweit die größte Social Reading-Plattform. Bei Wattpad@Piper erscheinen nun die größten Erfolge in überarbeiteter Version als Buch und als E-Book: Stoffe, die bereits hunderttausende von Leser:innen begeistert haben, durch ihren besonderen Stil beeindrucken und sich mit den Themen beschäftigen, die junge Leser:innen wirklich bewegen!

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Bei »Melting my Heart« handelt es sich um eine bearbeitete Version des auf Wattpad.com von 07nia11 ab 2019 unter dem Titel »Things are changing« veröffentlichten Textes.

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, schreiben Sie uns unter Nennung des Titels »Melting my Heart« an [email protected], und wir empfehlen Ihnen gerne vergleichbare Bücher.

Triggerwarnung: Diese Geschichte behandelt die Themen Mobbing und Essstörungen.

© Piper Verlag GmbH, München 2022

Redaktion: Cornelia Franke

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Epilog

Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Kapitel 1

Warum bin ich überhaupt hierhergekommen?

Wenig begeistert blicke ich mich im Vorgarten um, in dem es von betrunkenen Studenten nur so wimmelt. Überall liegen rote Plastikbecher herum, jeder hier trinkt und flirtet und ich möchte am liebsten schnurstracks mit dem Taxi wieder heimfahren.

Aber ein Blick über die Schulter verrät mir, dass es dafür zu spät ist. Denn das Taxi, mit dem ich, Alexis, Elisa und Heather angekommen sind, fährt gerade die Straße hinunter – ohne mich. Also nehme ich einen tiefen Atemzug, schließe die Augen und ermahne mich selbst, nicht so griesgrämig zu sein. Das hier kann Spaß machen. Genau genommen soll es Spaß machen. Und ich habe Alexis versprochen, zumindest zu versuchen, für diesen einen Abend nicht an die Kursmaterialien zu denken, die zu Hause auf meinem Schreibtisch warten. Auch wenn ich diese viel lieber durcharbeiten würde, als hier zu stehen.

Aber versprochen ist versprochen, und ich weiß, dass Alexis mich vor allem hergeschleppt hat, weil sie sich Sorgen um mein Einsiedlerdasein macht. Auch wenn ich in einer WG mit zwei anderen Mädchen wohne, lindert das nicht die Bedenken meiner besten Freundin, dass ich mehr Zeit mit meinen Lernmaterialien als mit sozialen Kontakten verbringe. Also werde ich von Zeit zu Zeit dazu verpflichtet, auf eines dieser »wichtigen sozialen Ereignisse« mitzukommen, wie es sich »für eine Studentin gehört«. Und das heute ist wohl die Party des Jahres: der Saisonstart unseres heiligen Eishockeyteams. Nichts und niemand hätte Alexis davon abhalten können, mich hierherzuschleppen.

Also versuche ich, das Beste daraus zu machen, und bin mir mit meinen Sneakern und dem einzigen Schmuck, den ich trage – mein Augenbrauenpiercing und das Freundschaftsarmband an meinem Handgelenk –, treu geblieben, während sich Alexis, Elisa und Heather gerade in ihren High Heels über die unebene Rasenfläche quälen. Na ja, was heißt quälen, nach ihrem angetrunkenen Quietschen und Lachen zu urteilen, scheint das Ganze eine spaßige Angelegenheit zu sein. Allerdings bin ich nicht so dumm, zu übersehen, dass ein Teil davon Show ist. Kritisch betrachte ich meine beste Freundin, wie sie wankt und sich dann in einer typischen Geste die Haare über die Schultern wirft, als ein süßer Typ an ihr vorbeikommt. Ich kenne Alexis so gut wie mein ganzes Leben. Wir spielten schon zusammen im Sandkasten, und vor allem haben wir gemeinsam die Hölle durchgestanden. Ich kenne sie in- und auswendig, und der Wein, der im Taxi die Runde gemacht hat, reichte keinesfalls, um sie betrunken zu machen. Dieser Auftritt ist reine Aufmerksamkeitsheischerei, und während mir das Verhalten bei Elisa und Heather kaum egaler sein könnte, würde ich am liebsten zu Alexis gehen und ihr sagen, dass sie das nicht nötig hat. Denn das hat sie nicht. Mit ihrer sportlichen Figur, die in ihrer engen Jeans und dem weißen Body, der am Rücken von einer dünnen Schnürung gehalten wird, noch mehr zur Geltung kommt, zieht sie jeden Blick auf sich. Sie sieht fantastisch aus. Doch auch wenn ihre selbstsichere Ausstrahlung vermittelt, dass sie sich dessen bewusst ist, weiß ich, dass Alexis stets ihre eigene Schönheit anzweifelt.

Aber ich verkneife mir jedes Wort dazu, denn es würde eh auf taube Ohren stoßen, solange Alexis mit Elisa und Heather unterwegs ist. Sie ist in ihrem Spaßmodus, sucht nach Zerstreuung wegen Dinge aus der Vergangenheit, die uns beide verfolgen. Nur ist das hier nicht die Lösung. Sie wird damit nie die Erinnerungen zum Verstummen bringen, sondern letztendlich sich nur selbst kaputtmachen. Aber – und das ist wahrscheinlich der eigentliche Grund, weshalb ich mich zu dieser Party habe überreden lassen – zumindest heute kann ich für sie da sein, sollte irgendetwas passieren.

»O Row, zieh nicht so eine Miene!«, meint Alexis, als sie sich bei mir unterhakt. »Du sollst Spaß haben. Und deswegen gibt es Regeln.«

»Regeln?« Eine Augenbraue misstrauisch hochgezogen, blicke ich zu Alexis, die mich breit angrinst. Sie sieht fröhlich aus, mit funkelnden Augen und allem Drum und Dran. Doch der Ausdruck in ihren Augen macht mir Angst. Er wirkt zu fröhlich, als würde sie etwas anderes dahinter verstecken.

»Ja! Und die erste lautet: Heute lässt du dich einfach fallen und schaltest den da«, sie tippt mir an den Kopf, »mal aus. Und jetzt komm mit.«

Ob ich will oder nicht, ich werde von Alexis an der Hand genommen und mitgezogen. Doch anders als erwartet führt sie mich nicht zur Haustür, sondern steuert direkt auf einen kleinen Weg zu, der um das Haus herumführt. Ich will schon protestieren, da breitet sich mit einem Mal der eigentliche Garten vor uns aus und raubt mir jedes Wort. Im Vorgarten tummelte sich eine bunte Mischung aus den verschiedensten Studenten. Aber hier hinten hat sich die Elite versammelt. Sportler, Cheerleader und die, die einfach mit einem hübschen Gesicht gesegnet sind. Am meisten stechen die Eishockeyspieler heraus. Sie tragen ihre Trikots und bewegen sich wie Götter, die sich unter das niedere Volk gemischt haben.

Ich will zurück in den Vorgarten. Oder nein, noch besser, direkt ins Taxi und zurück nach Hause. Allein dieses Auftreten lässt mich übel aufstoßen. Aber als könnte Alexis meine Gedanken hören, schlingt sie einen Arm um mich und nimmt mir damit die Fluchtmöglichkeit. Stattdessen schiebt sie mich mit einer erstaunlichen Kraft nach vorn und lächelt dabei ein paar Typen, die an uns vorbeikommen, zuckersüß zu. »Komm, als Erstes holen wir uns was zu trinken. Das ist Regel Nummero zwei für heute Abend: Ich will dich nie mit leerem Becher sehen. Mädels, was wollt ihr haben?«

Heather und Elisa, die uns dicht auf den Fersen sind und über den neuesten Klatsch und Tratsch tuscheln, blicken bei Alexis’ Frage kurz auf. »Das Beste, was du finden kannst.« Alexis scheint zu verstehen, was sie damit meinen, denn sie nickt einfach und zieht mich im nächsten Moment nach rechts eine kleine Treppe nach oben auf die Terrasse. Ich lasse mich von ihr einfach führen, während ich versuche, die Eindrücke zu verarbeiten.

Aus dem Haus dröhnt der Bass eines Liedes, doch hier draußen wird über eine kleine Box eigene Musik gespielt, die als Hintergrundkulisse für alles andere fungiert. Die Terrasse ist weitläufig, trotzdem muss man sich bei all den Leuten, die in Kleingruppen um Stehtische platziert sind oder einfach so im Kreis stehen, durchdrängen, um voranzukommen. Der Garten ist durch ein paar Lichterketten und Lampions erhellt und offenbart eine weitläufige Fläche mit einem gottverdammten Pool! Unglaublich, ein bestimmt zwanzig Quadratmeter großer Pool, in dem einige ihre Beine baumeln lassen, krönt den Garten. Zum Collegestart letztes Jahr war ich dankbar, eine bezahlbare Wohnung mit Küche gefunden zu haben, damit ich nicht immer in die Mensa gehen muss, während die Eishockeygötter wie auf dem Olymp hausen.

Entsetzt schüttle ich den Kopf und sehe in Richtung besagter Gruppe, bei der die meisten in Trikots stecken. Sie haben sich um einen Tisch versammelt, an dem eine Runde Beerpong ausgefochten wird. Gerade wirft einer von ihnen mit höchster Präzision den Tischtennisball in einem eleganten Bogen und versenkt ihn in einem der Becher des gegnerischen Teams. Der dunkelhaarige Werfer richtet sich auf, während ein von sich selbst überzeugtes Lächeln sein Gesicht ziert. Ich runzle die Stirn und wende mich wieder ab. Mit so viel Testosteron kann ich nichts anfangen. Allerdings sorgt die Ablenkung dafür, dass ich in Alexis hineinstolpere, als diese vor einem Tisch mit verschiedensten Getränken stehen bleibt und sich zu mir wendet.

»Und, so schlimm ist es gar nicht, oder?« Alexis stupst mich freundschaftlich an und grinst dazu, als könnte sie sich wirklich keinen Grund vorstellen, weshalb man das hier nicht lieben könnte.

»Weiß ja nicht, ich würde mir lieber zu Hause die neue Folge Riverdale ansehen …«

Schockiert sieht Alexis mich an, und wieder zeigt sich, weshalb sie meine beste Freundin ist. Denn anstatt sich darüber zu beschweren, dass ich nicht einmal verberge, dass ich lieber woanders wäre, schlägt sie mir entsetzt auf den Arm und sagt: »Du hast noch nicht die neue Folge angesehen?! Meine Güte, Row, es ist so spannend! Archie …« Mit einer schnellen Bewegung halte ich ihr die Hand vor den Mund, bevor sie mich spoilern kann und mir damit die Vorfreude zerstört. »He, leise sein! Ich will es selbst sehen.«

Ich blitze sie vorwurfsvoll an, aber Alexis grinst nur und wartet, bis ich meine Hand zurückgezogen habe. Dann schnappt sie sich vier Becher, einen Saft und etwas Alkoholisches und fängt an, uns etwas zusammenzumischen.

»Tja, selbst schuld, wenn du lieber lernst, als dich auf dem Laufenden zu halten.« Dagegen kann ich nichts sagen. Denn tatsächlich hatte ich mir den gestrigen Abend für gemütliches Fernsehen frei gehalten und war letztendlich an meinem Referat über den Metabolismus des Menschen hängen geblieben. Und das weiß Alexis nur zu gut. »Jaja, wenn du mich nicht hergeschleppt hättest, könnte ich es jetzt ansehen.«

»Wenn ich dich nicht hergeschleppt hätte, würdest du wieder an deinem Schreibtisch über Büchern brüten. Also sei bloß still! Und trink. Du weißt doch, Regel Nummer zwei.«

Ich sage ihr nicht, wie viel ich von ihren Regeln halte, sondern nehme einen Schluck aus dem Becher, den sie mir reicht. Ich bemerke kaum den Alkohol unter der Süße des Saftes und einer leckeren Kokosnote, was mich einen überraschten Laut ausstoßen lässt, den Alexis mit einem freudigen Grinsen registriert.

»Komm, ich will den anderen kurz ihre Getränke bringen. Und dann mischen wir dich endlich unter die Leute!« Stöhnend verdrehe ich die Augen, folge ihr aber gehorsam durch die Menge, denn ganz ehrlich, was habe ich Besseres zu tun? Mich in eine Ecke zu stellen und eine Horde Besoffene zu beobachten, wäre für die erste Stunde vielleicht unterhaltsam, würde sich aber irgendwann ziemlich ziehen. Und meine Chancen, hier in weniger als vier Stunden wegzukommen, erscheinen mir sehr gering.

Trotzdem behalte ich die Leute um uns herum im Auge und bemerke, wie immer mehr Blicke Alexis folgen. Dabei begrenzt sich das Blickfeld der Jungs zumeist auf ihren Arsch, während die Mädchen Alexis von oben bis unten kritisch mustern. Sie scheinen von ihrer Anwesenheit nicht begeistert zu sein, und das ist, um ehrlich zu sein, kein Wunder. Ich kenne Alexis’ Ruf. Jeder kennt ihren Ruf, immerhin ist sie nicht zufällig mit Elisa und Heather befreundet. Aber anders als diese zwei Mädchen würde ich Alexis dafür nie verurteilen, denn ich kenne die Gründe dafür, weshalb sie sich heute so verhält. Und ich weiß, dass es an ihr auch andere Seiten gibt, von denen sie gelernt hat, sie nach vielen schmerzhaften Jahren zu verbergen.

»Siehst du sie irgendwo?« Die Frage ist ein Witz. Unter all den Leuten ein Gesicht ausfindig zu machen, ist, wie die Nadel im Heuhaufen zu suchen. Auch wenn wir am Rande der Terrasse eine erhöhte Position haben und somit den Garten überblicken können, ist es geradezu unmöglich, die Leute wirklich zu differenzieren. »Nein, ruf sie vielleicht an.«

Die Unterlippe nachdenklich zwischen die Zähne gezogen, lässt auch Alexis den Blick über die Menge schweifen, während sie bereits nach ihrem Handy in der Hosentasche greift. Doch mit einem Mal hält sie inne und ein Grinsen erhellt ihr Gesicht. »Hab sie!«

Und ehe ich mich’s versehe, werde ich ein weiteres Mal an der Hand vorangezogen, was mich auf der Treppe, die hinunter auf die Rasenfläche führt, beinahe ins Straucheln gebracht hätte.

»Lex …!«, beginne ich mich zu beschweren, doch diese hört mich gar nicht. Ich schaffe es, mich in letzter Sekunde wegzudrehen, bevor ich in jemanden hineingerannt wäre, der plötzlich von links kommt. Das gelingt mir allerdings nur, indem ich die Hand ausstrecke und mich an einer festen Brust abstütze, bevor ich weiter fluchend hinter Alexis herstolpere. Auch hinter mir erklingen wüste Ausdrücke, und als ich zurückblicke, betrachtet der Kerl, mit dem ich halb kollidiert bin, sein nun nasses Trikot, auf das er sein Getränk gekippt hat. Verdammt, ausgerechnet einer der Eishockeyspieler. Allerdings bin ich zu weit weg, als dass ich über die Leute hinweg ein »Sorry« hätte rufen können, und verziehe nur entschuldigend das Gesicht, als der Kerl seinen Kopf hebt und mir finster hinterhersieht.

Hm, war das nicht der gleiche Typ, der vorhin beim Beerpong so von sich selbst überzeugt gewesen ist? Vielleicht hat dem eine kleine Abkühlung sogar gutgetan.

»Hey, Heather!« Nachdem wir uns einmal zwischen allen Leuten hindurchgedrängt haben, wird Alexis endlich langsamer.

»Alexis, da bist du ja!« Deutlich angeheiterter als zuvor stolpert Heather uns entgegen, kaum dass sie Alexis erblickt hat. In der Hand hält sie ein Shotglas, und ich frage mich wirklich, weshalb wir ihr etwas mitbringen sollten. Scheint mir so, als hätte sie sich gut selbst versorgt. Doch anstatt etwas zu sagen, trinke ich einfach weiter und genieße es, wie die Welt langsam immer dumpfer wird.

Ungeduldig hakt sich Heather bei Alexis unter und nimmt ihr zumindest einen Becher ab, bevor sie sie weiter auf die Gruppe zuzerrt, bei der sie zuvor stand. »Komm schon, die Jungs teilen eine Runde Shots aus.«

Im Schatten von Alexis bleibe ich hinter den beiden stehen, als sie sich zu den besagten Jungs dazugesellen. Leider muss ich feststellen, dass die Hälfte von ihnen in einem Eishockeytrikot steckt und alle so aussehen, als würden sie pro Tag mehrere Stunden Sport treiben. Ich sehe nur ein weiteres Mädchen, eine zierliche Blondine, die mir sofort sympathisch ist, allein deswegen, weil sie ebenfalls Sneakers trägt. Außerdem betrachtet sie das Treiben mit einem ironischen Schmunzeln, während sie sich vertrauensvoll an einen großen dunkelhäutigen Kerl im Trikot lehnt, der seinerseits einen Arm um sie geschlungen hat. Ein monogamer Sportler. Mein Herz ist gerührt.

»Lee, gib noch ein Shotglas rüber!« Heather tippt einem Lockenkopf auf die Schulter, der sich daraufhin umdreht. Auch er ist Teil des Eishockeyteams, und seine Haare fallen ihm auf eine verstrubbelte Art in die Stirn. Ein Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus, als er Alexis erblickt, und ich stelle überrascht fest, dass es meiner Freundin gleich ergeht, begleitet von einer kleinen Bewegung, die ihre Vorzüge noch mehr in den Vordergrund rückt. »Zwei bitte, ich habe noch eine Freundin dabei.«

Alexis deutet auf mich, doch Lee macht sich nicht die Mühe, von ihrem Ausschnitt aufzublicken. »Klar, Süße.«

Er wendet sich kurz ab und reicht dann Alexis mit einem Zwinkern zwei kleine Becher. Ihre Finger streifen sich wie zufällig, doch dafür ist die Berührung etwas zu lang, bevor Alexis die Hände zurückzieht. Ich runzle die Stirn, bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll.

»He, Caleb! Schenk ein, Mann!«, grölt einer der Jungs, und im nächsten Moment geht ein anderer im Kreis um. Ich halte aus Reflex auch meinen Becher hin, aber die Hälfte des Zeugs landet auf meiner Hand, weil der liebe Caleb mehr im Laufen einschenkt, als dass er einmal kurz stehen bleibt. Alexis, die bemerkt, dass ich mich immer noch hinter ihr verstecke, zieht mich neben sich, und so bleibt mir nichts anderes übrig, als auch meine Hand zu heben, als alle im Kreis zu einem Toast ansetzen.

»Auf eine gute Saison!«

Gleichzeitig mit den anderen lege ich den Kopf in den Nacken und lasse die brennende Flüssigkeit meine Kehle hinunterrinnen. Ich verziehe das Gesicht. Eine gute Saison? Ich bin ja froh, wenn ich diesen Abend überlebe.

Kapitel 2

Ich hatte nicht erwartet, jemals mit dem Eishockeyteam zusammen anzustoßen. Und erst recht nicht fünfmal nacheinander. Aber anscheinend sind diese Jungs richtig gut darin, immer wieder Gründe zu finden, um zusammen einen zu trinken.

Ich bin inzwischen in einem Stadium, in dem es mir ziemlich egal ist. Ich reiche meinen Becher, wenn mir jemand etwas einschenken will, und halte mich aus dem Rest raus. Alexis hat sich im Gegensatz unter die Gruppe gemischt, nachdem ich auf ihren fragenden Blick hin mit einem Nicken die Erlaubnis gegeben habe, mich allein zu lassen. Und ja, nur ich schaffe es, inmitten einer lauten Gruppe Sportler allein zu stehen. Das ist eine Fähigkeit, die ich mir lange antrainiert habe. Manchmal ist es leichter, mit dem Hintergrund zu verschmelzen, anstatt die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Es bewahrt einen vor so mancher Enttäuschung.

Ich spüle die aufkommenden Erinnerungen mit einem weiteren Schluck des leckeren Cocktails hinunter und muss feststellen, dass der Becher nun leer ist. Verdammt. Ich werfe einen Blick zu Alexis, doch diese scheint in ein Gespräch mit diesem Lee vertieft zu sein, und nach ihren leicht geröteten Wangen zu urteilen, und der Art, wie sie an ihren Haaren herumspielt, will sie nicht gestört werden. Aber immerhin hat sie diese bescheuerte Regel Nummer zwei aufgestellt, nicht wahr?

Entschlossen setze ich einen ersten Schritt in ihre Richtung. Dass ich dabei nicht gefährlich schwanke, schaffe ich nur durch höchste Konzentration. So langsam erreiche ich einen Pegel, der diesen Abend sogar angenehm macht. Anders kann ich mir zumindest nicht erklären, weshalb ich dem armen Kerl, der von Heather belagert wird, ein aufmunterndes Lächeln zuwerfe, während ich mich an den beiden vorbeischiebe. Glücklicherweise hat Alexis mich im Blick, sodass sie mich bemerkt, bevor ich mich der peinlichen Situation stellen muss, ihr Gespräch zu unterbrechen.

»Hey, Row. Alles in Ordnung?« Ich nicke kurz mit zusammengepressten Lippen und drehe dann meinen Becher kopfüber, um dessen Leere zu demonstrieren. »Regel Nummero zwei?«

Das bringt Alexis zum Lachen, und auch Lee wendet sich mir zu. Also ich muss schon sagen, ein schönes Gesicht hat er. Mir gefällt nur nicht die Art, wie er meiner Freundin mehr auf die Titten als ins Gesicht sieht.

»Oh, leere Becher sind hier nicht erlaubt.« Lee schenkt mir ein schiefes Lächeln, und ich bemerke, wie ich es automatisch erwidere. Nein, böse Lippen! Ich setze wieder einen neutralen Gesichtsausdruck auf. »Ganz genau, deswegen muss ich …«

Bevor ich meinen Satz zu Ende bringen kann, werde ich von lauten Stimmen hinter mir unterbrochen. »Wer ist bei einer Partie Beerpong dabei?«

Wütend darüber, unterbrochen worden zu sein, drehe ich mich mit zusammengezogenen Augenbrauen herum und beobachte, wie drei weitere Jungs in Trikots zu unserer Gruppe dazustoßen. Ganz vorn ist wieder der Kerl mit dem dunklen Haarschopf, mit dem ich vorhin zusammengestoßen bin. Er begrüßt ein paar seiner Teamkollegen mit diesem typischen Handschlag, während einer seiner Kumpel herausfordernd die Arme ausstreckt. »Oder traut sich niemand, gegen Gray anzutreten?« Irgendetwas sagt mir, dass Gray Mr Selbstgefälliges Lächeln ist, das er übrigens schon wieder zur Schau trägt.

»Ha! Als müsste man vor der Pussy Angst haben. Ich bin dabei!« Erschrocken stolpere ich einen Schritt zurück, als Lee an mir vorbei zu den drei Neuankömmlingen geht und sich mit dem Kerl abschlägt, der zuvor gesprochen hat. Auch Alexis setzt sich in Bewegung und stellt sich neben mich.

»Ein Mutiger hat sich also gefunden. Gibt es jemanden, der sich dem törichten Lee anschließen und ihn bei seiner Niederlage begleiten will?«

»Niederlage? Wir werden euch fertigmachen!« Ein hochgewachsener blonder Kerl gesellt sich zu Lee und ist mit von der Partie.

»Wir spielen auch mit. Kann ja nicht sein, dass euer Ego noch mehr in die Höhe schießt, ihr Eisratten.« Zwei Kerle in normaler Kleidung treten vor und grinsen die Gruppe Eishockeyspieler herausfordernd an. Aber die Art, wie Gray auf sie zugeht und einen mit der Schulter anrempelt, hat nichts Feindseliges, genauso wie seine spielerische Beleidigung. »Sagt der Richtige, Grasfresser.«

Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, die anderen beiden sind Footballer, und es ist ein offenes Geheimnis, dass zwischen den beiden Teams ein Wettstreit um die Fördergelder des Colleges herrscht. Aber anscheinend überträgt sich das nicht auf die persönliche Ebene, und während ich noch mit dieser komischen Dynamik beschäftigt bin, braut sich neben mir eine absolute Katastrophe zusammen.

Lee nickt Alexis auffordernd zu, und bevor bei mir die Alarmglocken schrillen, hat Alexis mich mit sich nach vorn gezogen und verkündet laut: »Wir sind auch dabei!« Als sich alle Blicke auf uns richten, weicht mir ein Großteil des Blutes aus dem Gesicht. Auf gar keinen Fall, nein, da werde ich nicht mitmachen! Ich versuche mich aus Alexis’ Griff zu winden, aber dieser ist wie ein Schraubstock.

»Perfekt.« Lee lächelt Alexis verführerisch an und packt dann Gray kameradschaftlich an der Schulter, um mit ihm zu plaudern, während sich unsere Gruppe Richtung Beerpong-Tisch bewegt. Anscheinend haben die anderen vor, das Publikum zu stellen, und mit jedem Schritt, den ich gezwungenermaßen vorwärts stolpere, merke ich, wie die Panik in mir aufsteigt. Ich zerre an meinem Arm und erreiche damit endlich, dass Alexis mir ihre Aufmerksamkeit schenkt, sodass sie meinen todernsten Blick sieht. »Lass mich sofort los, ich mach da nicht mit!«

Nur Alexis kann mit einem Blick verstehen, was in mir vorgeht. Der fröhliche, angeheiterte Ausdruck verschwindet aus ihren Augen und macht dem Verständnis einer besten Freundin Platz, die genau weiß, weshalb ich so reagiere. Sofort löst sie ihren Griff. »Tut mir leid, Row. Ich will dich zu nichts zwingen, ich dachte nur, es könnte Spaß machen.«

Von unangenehmen Gefühlen eingeholt wende ich den Blick ab und versuche mich wieder zu fassen. Aber das ist gar nicht so leicht, denn die Entspanntheit, die mir der Alkohol verliehen hat, verfliegt im Angesicht der Gruppe, die sich um den Beerpong-Tisch versammelt. Ich schaffe es, ein nicht wirklich überzeugendes »Ich weiß« zu murmeln, und bleibe am Rande der Menge stehen, als wir den Tisch erreichen.

Alexis zögert kurz, als Lee sie zu sich winkt, und wirft mir einen entschuldigenden Blick zu, aber ich bin ihr dankbar, dass sie ohne großes Aufsehen zu ihm läuft. Das gibt mir ein paar Sekunden, um mich wieder zu sammeln, während die Becher aufgestellt und gefüllt werden. Ich atme einige Male tief durch und dränge alle Erinnerungen zurück, die aufkommen wollen. Momentan kann ich mich ihnen nicht stellen.

Mit dieser Technik beruhige ich mich so weit, dass ich mich gerade rechtzeitig auf das Geschehen konzentrieren kann. Die Teams haben sich bereits aufgestellt. Auf der einen Seite Alexis mit Lee, dem blonden Eishockeyspieler und einem der beiden Footballspieler. Auf der anderen Seite steht der zweite Footballspieler zusammen mit Gray und dessen zwei Kumpanen. Aber im Gegensatz zu den anderen knackst Gray nicht in übertriebener Manier mit den Fingern oder Ähnliches, sondern sieht sich suchend um, bis er an Alexis gewandt fragt: »Wo ist deine kleine Freundin hin?«

Alexis’ Blick schießt verräterisch zu mir, bevor ich mich verstecken kann, sodass Gray mich mit einem kleinen ironischen Lächeln betrachtet. »Doch keine Lust mitzuspielen?«

Meine Handflächen sind innerhalb von einer Sekunde feucht, und sein Gesicht wird von all den Kerlen überlagert, die mich schon einmal so spöttisch betrachtet haben. Die kleine naive Roween …

Aber ich bin nicht mehr das kleine Mädchen. Das mache ich mir wieder klar, als ich das Piercing in meiner Augenbraue berühre und die Bewegung dadurch tarne, dass ich mir die Haare zurückstreiche. Danach ist meine Stimme fest und völlig ungerührt.

»Nee, dann gehen die Teams nicht mehr auf. Spielt ihr ruhig.«

Das hat den gewünschten Effekt. Niemand schenkt mir mehr größere Beachtung. Nur Gray legt kurz den Kopf zur Seite, und mein Puls erhöht sich, in der Befürchtung, er würde noch etwas sagen. Aber dann ruft jemand »Hey, Gray, fang!«, und ein Pingpongball wird ihm zugeworfen, sodass er sich abwenden muss.

Zittrig atme ich aus, senke den Blick, um mich zu beruhigen, und muss dabei feststellen, dass ich den Plastikbecher in meiner Hand völlig zerquetscht habe. Schnell lockere ich meinen Griff.

Dem Spiel wende ich meine Aufmerksamkeit erst einige Minuten später zu. Inzwischen fehlen Alexis’ Seite bereits fast die Hälfte der Becher und dem ernsten Gesichtsausdruck von Lee nach bedeutet das wohl, dass es jetzt um alles oder nichts geht. Er ist gerade am Zug und hat die Zungenspitze konzentriert zwischen die Lippen geklemmt, während er die Becher des generischen Teams fixiert. Auch hier fehlen bereits drei, trotzdem ist die Führung deutlich. Gray steht entspannt neben dem Tisch, die Arme vor der Brust verschränkt und ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Erstaunlicherweise wirkt es dieses Mal nicht überheblich. Ich merke erst, dass ich ihn anstarre, als ein Plopp erklingt und dann Gejohle, da Lee den Ball versenkt hat.

»Glückstreffer.«

Lee grinst und zeigt Gray den Mittelfinger. »Das hättest du wohl gern. Und jetzt trink!«

»Zu Befehl.« Auf lächerliche Weise salutiert Gray, angelt den Pingpongball aus dem Becher und stürzt dessen Inhalt in zwei großen Zügen hinunter. Der leere Becher landet auf einem Stapel mit den anderen, der Ball wird kurz gesäubert und dann ist der Footballspieler in Grays Team am Zug. »Na dann, Hendrik, rette die Ehre der Footballspieler.« Hendrik lacht kurz auf, bevor er sich wieder konzentriert. Aber schon beim Flug des Balls wird mir klar, dass das eine Niete wird. Er kommt zu flach, prallt auf der Tischplatte vor den Bechern auf und dopst dann vom Tisch. Der Hüne von einem Footballer weicht mit einem Stöhnen zurück und verschränkt die Hände hinter dem Kopf. »Verdammt!«

»Tja, wir gewinnen noch, ihr werdet es sehen. Jetzt bist du dran, Süße.« Lee schiebt Alexis nach vorn, die kichernd den Pingpongball entgegennimmt, den einer der anderen Spieler aufgesammelt hat. Bevor sie sich richtig hinstellt, wirft sie Lee noch einen sexy Augenaufschlag zu. »Wünsch mir Glück.« Das bringt ihr ein zum Zerschmelzen heißes Lächeln ein, und ich sehe ihr an, dass es ihr nur darum geht.

Sie bemüht sich nicht allzu sehr bei ihrem Wurf, sodass es kein Wunder ist, dass der Ball im Nichts landet. Womit sie sich allerdings größte Mühe gibt, ist, ihr bestes Schmollgesicht aufzusetzen. »O Mann, tut mir leid.« Sie lässt das hilflose Mädchen raushängen und wird dafür mit einer aufmunternden Umarmung belohnt. Ich verziehe den Mund und wünsche mir, dass jemand dieser Show ein Ende setzt. Und fast als hätte er meine Gedanken gehört, erklingt auf einmal Grays Stimme: »Können wir dann weitermachen?«

Er grinst mitten in Alexis’ dramatisch niedergeschlagenes Gesicht, die nickt und sich an Lees Arm klammert, als brauchte sie Halt.

Auch Gray wirft völlig mühelos, aber auf vollkommen andere Art. Er konzentriert sich nicht wie die anderen lange auf die Becher am anderen Tischende, als würde er die Flugbahn berechnen, sondern lässt den Ball in einem grazilen Bogen durch die Luft sausen, und das nur mit einer Bewegung aus dem Handgelenk. Der Ball landet so sicher im hintersten Becher, als hätte er schon immer da hingehört.

Zugegeben, ich bin beeindruckt. Durch mein kleines Lieblingsspiel beim Lernen – Papierbälle im Mülleimer versenken – weiß ich, wie viel Übung es kostet, diesen Wurf so locker auszuführen. Nun ergibt die großspurige Ansprache seines Freundes doch Sinn: Gegen Gray im Beerpong anzutreten erfordert eine gewisse Unbesonnenheit, wenn es ums Verlieren geht.

Lees Team schlägt sich zwar nicht schlecht, trotzdem sieht es nicht gut für sie aus. Der andere Eishockeyspieler versenkt den Ball, doch mit dem nächsten Wurf von Grays Kameraden ist der Punkt wieder ausgeglichen. Danach landen bei beiden Teams die Bälle im Nichts, bis Lee wieder dran ist. Dessen Ball tanzt auf der Kante eines Bechers und kippt in der letzten Sekunde ins Innere. Erstaunlicherweise bin ich von der Partie so gefesselt, dass ich gleichzeitig mit Lee die angehaltene Luft ausstoße. Ich sympathisiere immer mit den Schwächeren. Deswegen muss ich mir auch einen Fluch verkneifen, als Hendrik trifft, während die Leute um mich herum in Jubel ausbrechen. Denn jetzt ist das Spiel so gut wie entschieden.

Während vor Alexis, die als Nächstes dran ist, nur noch zwei Becher stehen, von denen einer bei Grays nächstem Wurf definitiv abgeräumt wird, warten auf der anderen Seite vier Stück. Selbst wenn aus Grays Team niemand mehr außer ihm treffen würde, müsste jeder Ball von Lees Team sitzen.

Alexis scheint das Spiel nun ernst zu nehmen. Kein kurzer Flirt mit Lee, bevor sie sich aufstellt und in höchster Konzentration den Ball in der Hand wiegt. Dann wirft sie, und verdammt, das sieht gut aus! Ich springe mit einem kurzen Freudenschrei hoch, bevor ich mich peinlich berührt wieder in den Griff bekomme. Was gar nicht nötig gewesen wäre, denn alle sind ähnlich von dem Spiel gefesselt und jubeln Alexis zu, die wieder in Lees Armen liegt. Dieses Mal mit einem ehrlichen und stolzen Lächeln.

Aber die Freude hält nicht lange, denn Grays nächster Wurf landet perfekt, und auch Alexis’ überraschender Treffer kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Grays Team nur noch einmal treffen muss. Es steht Lee ins Gesicht geschrieben, dass er seine kommende Niederlage widerwillig akzeptiert.

Doch bevor der nächste Wurf ausgeführt wird, erhebt Gray plötzlich die Stimme. »Warte kurz. Ich gebe euch eine letzte Chance, das Spiel zu drehen.« Das Lächeln auf seinem Gesicht hat etwas Wölfisches, und auch Lee scheint dem Angebot eher misstrauisch gegenüberzustehen. »Aha, und welche?«

Meine Nackenhaare stellen sich im Bruchteil einer Sekunde auf, als mich Grays Blick trifft. »Unsere leider verlorengegangene Mitspielerin darf werfen, mit der Besonderheit, dass sie so lange werfen darf, wie sie trifft. Perfekt, oder? Dann kannst du doch mitspielen.«

Wieder legt er seinen Kopf leicht schief. Sofort kommen zig unangenehme Erinnerungen hoch. Das heuchlerische Angebot, die Blicke, die sich auf mich richten. Doch ich habe mir vor langer Zeit geschworen, mich nicht mehr unterkriegen zu lassen. Also atme ich tief durch, gehe einen Schritt nach vorn und hebe spöttisch eine Augenbraue. »Ja, perfekt.«

Ich weiß nicht, was Gray erwartet hat. Ich entdecke keine Überraschung in seinem Blick, als er mir mit einer Hand bedeutet, an den Tisch zu treten. Lee im Gegensatz fragt verwundert, als ich den Ball entgegennehme: »Wie heißt du noch mal?«

Aus dem Augenwinkel sehe ich schon, dass Alexis für mich antworten will, aber dieses Mal öffne ich selbst den Mund. »Roween. Nenn mich einfach Row.«

Ein Lächeln zupft an Lees Mundwinkeln. »Na dann, Row, bitte rette meine Ehre.«

Darauf erwidere ich nichts. Stattdessen konzentriere ich mich auf die drei Becher, die mir Gray in einer perfekten Reihe aufgestellt hat. Irgendwie schaffe ich es dabei, sogar all die Blicke zu ignorieren, die auf mich gerichtet sind. Dass Gray völlig entspannt die Arme vor der Brust verschränkt hat, hilft dabei ziemlich, denn plötzlich kommt in mir das Bedürfnis auf, es ihm so richtig zu zeigen. Und ich weiß, dass ich es auch kann, solange ich mir vorstelle, dass das da vorn mein Mülleimer ist und ich nur einen Zettel voller Notizen wegschmeiße. Diesen Wurf kann ich inzwischen blind.

Ich konzentriere mich auf die Becher, hebe den Arm, ziele … und werfe. Ein bestätigendes Plopp folgt, als der Ball sein Ziel trifft.

Um mich herum brechen die Leute in überraschtes Jubeln aus, aber das ist nicht, was mich antreibt weiterzumachen. Sondern das kurze Zucken an Grays Wange, als er sich den Becher schnappt, den Ball herausangelt und zum Waschen weiterreicht, bevor er das Bier trinkt. Sein Blick ist dabei die ganze Zeit auf mich gerichtet, so wie meiner auf ihn. Der leere Becher wird abgestellt und mir der Ball erneut in die Hand gedrückt. Ich fahre mir mit der Zungenspitze über die Unterlippe, fokussiere mein nächstes Ziel … und Plopp.

Dieses Mal rastet die Menge aus. »Scheiße verdammt, wieso hat sie nicht die ganze Zeit mitgespielt?!«, höre ich Lee ausrufen, während die anderen Mitspieler aus Grays Team näher an den Tisch rücken. Erneut beobachte ich nur, wie Gray den Ball herausangelt und den Becher an die Lippen setzt. Etwas funkelt in seinen Augen, während mir das Adrenalin in den Adern rauscht. Doch mich auf ihn zu fokussieren hilft, um die Nerven zu behalten, obwohl ich mich in einer der Situationen befinde, die ich am liebsten vermeide.

Als mir dieses Mal der Ball gereicht wird, macht Gray etwas Eigenartiges. Er geht in die Hocke, sodass seine Arme auf der Tischplatte verschränkt liegen und er darauf sein Kinn aufstützen kann. Diese Position verursacht genau drei Sachen:

Erstens betont es seine muskulöse Schulter- und Armpartie, die kein Zweifel daran lässt, wie hart er trainiert.

Zweitens bringt es sein Lächeln genau auf die Höhe mit dem Becher, sodass mir nichts anderes übrig bleibt, als auch ihn zu betrachten, wenn ich den Becher fixiere. Und das ist nicht mehr dieses Blödmann-Lächeln. O nein, das hier ist seine Geheimwaffe. Ein Lächeln, das das Grübchen in seiner linken Wange zum Vorschein bringt, seine blauen Augen betont, deren Farbe mir zuvor nicht aufgefallen ist, und das Höschen eines jeden Mädchens in Flammen setzen kann.

Und drittens … bringt es auch mich dazu, zu lächeln.

Dieses Mal bin ich diejenige, die den Kopf schräg legt. »Funktioniert das mit dem Lächeln bei anderen Mädchen?«

Dann werfe ich.

Plopp.

Kapitel 3

Man könnte meinen, ich sei eine Kriegsheldin.

Kurz vor einem Nervenzusammenbruch kralle ich mich an die breiten Schultern eines Eishockeyspielers, der mich wie eine Trophäe durch die Gegend trägt. Ich vermisse die feste Erde unter meinen Füßen. Aber ich traue mich nicht, etwas zu sagen.

Seitdem ich den Ball auch im letzten Becher perfekt versenkt habe, ist mein Hals wie zugeschnürt. Ich stehe absolut nicht auf diese Aufmerksamkeit und bin zu nichts anderem in der Lage, als mich wie erstarrt festzuklammern. Alexis suche ich vergeblich in der Menge, und dass, obwohl ich durch meine erhöhte Position den perfekten Aussichtspunkt habe. Aber alles, was ich sehe, ist eine Horde Eishockeyspieler, die johlend auf und ab springt und die dabei Gray immer wieder spaßhaft hin und her schubsen. Ich hätte erwartet, dass dieser nach seiner Niederlage schlecht gelaunt ist. Doch als ich sein Gesicht kurz im spärlichen Licht der Lichterketten aufblitzen sehe, überrascht er mich mit einem Grinsen, während er eine Hand seines Teamkollegen wegschlägt. Das nimmt mich für einen Moment so ein, dass ich nicht bemerke, wie Lee an mich herantritt, bis ein Becher direkt vor meiner Nase schwebt und ich ihn aus Reflex entgegennehme. Schwerer Fehler, wie ich eine Sekunde später bemerke, als der Kerl unter mir sich bewegt und ich nur noch eine Hand habe, um mich festzuhalten.

»Row, du bist eine Legende!« Lee strahlt über das ganze Gesicht, aber ich bringe nur ein wackliges Lächeln zustande. Irgendwie komisch, zu ihm hinunterzusehen. Mit meinen eins fünfundsechzig passiert mir das nicht oft.

»Du weißt ja nicht, wie lange wir schon versuchen, Gray von seinem eisernen Thron zu stürzen. Also, Leute!« Lee wendet sich an die anderen. »Ein Hoch auf Row, die Bezwingerin des Beerpong-Titans!«

Zustimmendes Gegröle erklingt, was vielleicht schmeichelhaft gewesen wäre, wenn nicht der Kerl, der mich hält, ebenso mit eingestimmt hätte und mich damit ziemlich durchschüttelt. O Gott, ich glaube, mir wird gleich schwarz vor Augen.

»Jaja, Leute, sie hat mich vernichtend geschlagen. Ich gebe meine Krone hiermit ab.« Die schwarzen Pünktchen in meiner Sicht wegblinzelnd, versuche ich meinen Blick zu fokussieren. Gray hat sich bis zu mir durchgedrängelt, steht jetzt in der Mitte dieses ganzen Chaos und betrachtet mich mit funkelnden Augen.

»Aber jetzt, Bas, lässt du eure kleine Heldin lieber runter. Sie ist schon ganz grün um die Nase.«

Ich war noch niemanden so dankbar wie Gray, als dieser mir einen Arm um die Taille schlingt und mich von dem Muskelberg, auf dem ich gesessen habe, herunterhebt. Sobald es mir sicher erscheint, meinen Klammergriff zu lösen, kralle ich mich nicht mehr an Bas fest, sondern wechsle zu Gray, der mich sicher zu Boden gleiten lässt. Ich muss mich allerdings einen Moment an ihm festhalten, denn meine Knie zittern so sehr, dass ich andernfalls Angst gehabt hätte, wegzusacken.

»Hm, Getränke scheinst du gern über mich zu schütten.«

Irritiert richte ich meinen Blick auf Grays blaue Augen, die mich belustigt anfunkeln, und brauche kurz, um seine Worte zu verstehen. Denn während er mich gerettet hat, habe ich den vollen Becher, den Lee mir gereicht hat, nicht sonderlich achtsam gehalten, sodass Grays Trikot an der Schulter total durchnässt ist und nach Bier stinkt.

»T-Tut mir leid.«

Aus meiner Kehle will kaum ein Laut kommen, aber Gray nimmt mir es erstaunlicherweise nicht krumm. Stattdessen nickt er nur in Richtung der Terrasse. »Komm, bringen wir dich in Sicherheit, bevor dich diese Idioten zu ihrer Göttin erklären.«

Solange er mich aus diesem Mob bringt, würde ich ihm in diesem Moment überallhin folgen. Mit sanftem Druck schiebt Gray mich zwischen seinen Freunden hindurch, die mir von allen Seiten zuprosten. Ich gebe mein Bestes, zumindest freundlich zu lächeln, aber wahrscheinlich sehe ich eher aus, als würde ich mich gleich übergeben. Dafür, dass ich mich mit einem Buch auf der Couch am wohlsten fühle, ist das hier einfach zu viel.

Ich fühle mich noch immer nicht sicher auf den Beinen, deshalb bin ich froh über die Hand, mit der er mich am Unterarm stützt. Wenigstens ist es auf der Terrasse etwas ruhiger, bei klarem Verstand bin ich aber noch nicht. Sonst hätte ich niemals zugelassen, dass Gray eine Hand auf meinen unteren Rücken legt, um mich durch die Menge zu dirigieren.

»Alexis steht da drüben und hatte dich die ganze Zeit im Blick. Pass heute Abend lieber auf dich auf, Roween, du hast eine Horde Eishockeyspieler auf dich aufmerksam gemacht.«

Mir stehen sofort alle Haare zu Berge. Bevor ich mich jedoch umdrehen und fragen kann, was er damit meint, ist Gray auch schon in der Menge verschwunden. Ich sehe nur noch seinen dunklen Haarschopf, als er die Treppen hinunter- und zurück in den Garten läuft. Für einen Moment stehe ich unschlüssig da, so unvermittelt ist er gegangen, doch dann reißt mich eine Berührung an der Schulter wieder ins Hier und Jetzt. »Geht es dir gut?«

Besorgt mustert mich Alexis, aber ich bin nur in der Lage, sie stumm anzustarren. So ganz sicher bin ich mir nicht. Alexis drückt mir einen neuen gefüllten Becher in die Hand und nimmt mir den anderen ab. »Trink. Das brauchst du jetzt.« Ich gehorche einfach, während sie an dem Bier schnuppert, das Gesicht verzieht und es dem nächstbesten Kerl in die Hand drückt, der an uns vorbeikommt.

Was auch immer sie mir da gegeben hat, es ist stärker als die Mischung vorhin. Der Alkohol brennt in meiner Kehle, aber Alexis hat recht. Das ist genau das, was ich jetzt brauche, damit meine Gedanken nicht in die Vergangenheit abschweifen. Mein Herz klopft selbst jetzt noch so schnell, als würde es meiner Brust entfliehen wollen, und alles, was ich machen kann, um die aufsteigende Panik zu verdrängen, ist, den Becher zu exen und genau ein Wort zu sagen: »Mehr.«

Alexis hinterfragt die Forderung nicht, sondern verschränkt unsere Finger miteinander, wie wir es schon so oft getan haben, um allem anderen auf der Welt zu entkommen, und zieht mich in Richtung des Getränketisches. Mein Becher ist innerhalb von Sekunden wieder gefüllt, genauso wie der von Alexis. Ich lehne mich an die Tischkante, um mein Gleichgewicht zu behalten, nicht sicher, ob es das nachlassende Adrenalin oder der Alkohol ist, der mich so unsicher auf den Beinen stehen lässt. Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem. Ich nehme mir meinen Becher und stoße mit Alexis an, als sie ihren auffordernd hochhält.

»Darauf, dass die Leute nur noch mit uns lachen werden und nie wieder über uns.« Ich schaue ihr in die Augen und sehe darin die gleichen Erinnerungen, mit denen auch ich zu kämpfen habe. »Auf uns.«

Wir beide trinken in großen Schlucken. Mein Blick gleitet über die Party. Auf der Rasenfläche feiern die Eishockeyspieler so, als würden sie auch hier als ein Team fungieren. Ich schüttle den Kopf. Ich brauche noch mehr Abstand zu dieser Horde Verrückter.

»Sollen wir mal reingehen? Ich will … tanzen.«

Keine Ahnung, ob ich wirklich tanzen will. Aber das ist immer noch besser, als weiter hier herumzustehen und dieses beklemmende Gefühl in der Brust zu spüren.

»Klar, beim Tanzen bin ich immer dabei. Aber Getränke stören dabei nur.«

Alexis legt den Kopf in den Nacken, leert ihren Becher und ich tue es ihr gleich. O Mann, in spätestens einer halben Stunde werde ich das bereuen. Aber im Moment ist es mir egal, also werfe ich meinen Becher in einen Müllsack, der an der Tischkante befestigt ist, und taumle dann mit Alexis auf die Terrassentür zu.

Sobald Alexis sie aufzieht und wir das Innere des Hauses betreten, haut die Musik einen fast um. Der laute Bass vibriert unter meinen Füßen, und für einen Moment befürchte ich, nie wieder richtig zu hören. Alexis greift zum wohl hundertsten Mal an diesem Abend nach meiner Hand und zieht mich weiter. Nur am Rande bemerke ich, dass wir uns in einer Küche befinden. Überall an den Wänden und Schränken lehnen Pärchen oder kleine Freundesgruppen und versuchen ihr Bestes, sich etwas über die Musik zuzurufen. Unser Weg führt uns vorbei an einer echt schicken Kücheninsel zu einem großen Türbogen, der in einen Raum führt, in dem sich eine ganze Masse zur Musik bewegt. In meinem Unterbewusstsein schrillen Alarmglocken, aber der Nebel in meinem Kopf ist inzwischen dicht genug, dass ich sie ignoriere.

Alexis bleibt nicht am Rand der Menge stehen, sondern drängt sich mitten hindurch. Dass wir dabei an zig andere stoßen, scheint hier niemandem etwas auszumachen. Und nachdem mir für einen Moment die Luft wegbleibt, so … beengend ist es zwischen all den Leuten, entscheide ich, mich von dem Rhythmus treiben zu lassen.

So kommt es, dass ich diejenige bin, die Alexis an der Hand zurückzieht, damit sie stehen bleibt. Zur gleichen Zeit setzt ein neues Lied ein, und ich bin sofort hin und weg von der düsteren Energie, die es verströmt. Ich bemerke noch Alexis’ fragenden Blick, dann schließe ich die Augen und lasse los. Die Musik übernimmt die Führung, zusammen mit dem Alkohol, sodass ich anfange, die Hüften im Takt zu schwingen.

Irgendwann spüre ich zwei Hände auf meiner Taille und öffne blinzelnd die Augen, nur um Alexis zu erblicken, die ihrerseits den Kopf in den Nacken gelegt hat und sich von der pulsierenden Energie wegtragen lässt. Ich lege ihr ebenfalls die Hände in den Nacken, und zusammen verfallen wir in einen aufreizenden Tanz. Aber ich mache mir keine Gedanken darüber, was die Leute denken könnten. Die meisten scheinen ebenfalls den Kopf ausgeschaltet zu haben.

Die Übergänge zwischen den Liedern werden immer flüssiger. So kommt es mir zumindest vor. Bald weiß ich nicht mehr, wie lange wir schon hier sind. Als ein fremdes Mädchen meine Hand ergreift und Alexis und mich in eine größere Runde zieht, bin ich nicht so zurückhaltend wie sonst. Stattdessen lege ich den Kopf in den Nacken und lache herzhaft, während ich die Arme in die Luft strecke. Danach ziehen einige Typen Alexis zu sich, und ich folge ihr, denn das Einzige, worauf ich noch achte, ist, sie nicht zu verlieren und keine fremden Hände an Stellen wandern zu lassen, an denen ich sie nicht haben will.

Die Gesichter sind inzwischen so verschwommen, dass ich sogar Cass, eine meiner Mitbewohnerinnen, beinahe nicht erkenne. Erst ihr Freudenschrei, den ich sogar über die Musik höre, macht mich auf sie aufmerksam, und im nächsten Moment liegen wir uns in den Armen. Dümmlich grinse ich in ihre Haare, die ihr in einem Afro vom Kopf stehen. »O mein Gott, du bist wirklich hier!«

»Klaro. Hast du noch nicht von meiner rühmlichen Tat gehört? Ich habe Gray beim Beerpong besiegt.«

Cass schiebt mich an den Schultern zurück und starrt mich geschockt an. »Du veraschst mich! Jonah Grayham wurde beim Beerpong besiegt?«

Jonah Grayham? Ich brauche einen Moment, um zu verstehen, dass Gray ein Spitzname sein muss, aber dann nicke ich eifrig, obwohl ich nicht mal weiß, weshalb ich stolz darauf bin. Aber Cass scheint es im nächsten Moment eh wieder vergessen zu haben, denn ein neues Lied beginnt und sie fängt an, wie ein Kleinkind auf und ab zu springen. »O mein Gott, das ist mein Song! Tanz mit mir, Row!«

Und das tue ich. Der Beat ist schnell, und ich merke, wie ein dünner Schweißfilm mich überzieht, aber es tut so gut, mit Cass wie eine Verrückte herumzuhüpfen und alle Energie herauszulassen. Wir bleiben noch für ein paar Lieder zusammen, bis Cass von einer ihrer Freundinnen angetippt wird und sich von mir verabschiedet. »Wir sehen uns zu Hause!«

Ich winke ihr zu, als sie in der Menge verschwindet, und bleibe einen Moment stehen. Meine Ohren rauschen, und ich muss einige Ausfallschritte machen, um das Gleichgewicht zu halten. Obwohl ich mich nicht mehr bewege, dreht sich der Raum weiter. Anstatt besorgt zu sein, kichere ich in mich hinein. Verdammt, ich bin betrunken. Ich versuche mich wieder zu fassen, nehme einige tiefe Atemzüge. Doch unter all den Leuten ist die Luft so schlecht, dass das kaum etwas bringt. Vielleicht ist es an der Zeit, um rauszugehen.

Suchend blicke ich mich nach Alexis um, kann sie aber nirgendwo in der Nähe entdecken. Ich habe ganz vergessen, darauf zu achten, wo sie hingeht, während ich mit Cass getanzt habe. Unsicher beiße ich mir auf die Lippe. Ich könnte sie suchen, aber das erscheint mir nicht als die beste Idee, in Anbetracht der überfüllten Party. Doch einfach stehen zu bleiben bringt mich auch nicht weiter, also stolpere ich los, mit dem Ziel, an die frische Luft zu kommen. In der Küche hat sich die Anzahl der knutschenden Pärchen verdoppelt, und ich halte den Blick aus gleich zwei Gründen gesenkt: Erstens weil es mir hilft, gerade zu laufen, und zweitens, um nicht jugendfreien Dingen auszuweichen.

Als ich die Terrassentür endlich erreicht habe, stoße ich sie erleichtert auf und nehme einen tiefen Atemzug. Frische Luft ist herrlich. Erst danach fällt mir auf, dass sich hier draußen etwas verändert hat. Zum einen ist die Musik aus, aber das Auffälligere ist, dass die Leute nicht mehr in Gruppen verteilt stehen. Stattdessen drängen sich alle an den Rand der Terrasse und sehen wie gebannt in den Garten hinunter. Neugierig stolpere ich nach vorn und suche mir eine Lücke, durch die ich einen Blick auf das, was auch immer da geschieht, erhaschen kann. Auch im Garten haben sich alle in einem Kreis aufgestellt, in dessen Mitte ein freier Platz entstanden ist. Eigentlich sollte es mich nicht wundern, dass das Eishockeyteam dort in seinen Trikots steht. Inzwischen sind sie zusätzlich noch mit Schlägern ausgerüstet und … ist das Farbe in ihren Gesichtern?

Ich beuge mich vor, um mehr zu erkennen, aber es hilft nicht viel. Dafür entdecke ich ein anderes Gesicht in der Menge. »Lex!«

Natürlich kann sie mich über die Entfernung nicht hören, denn sie steht ein gutes Stück entfernt von der Terrasse in der ersten Reihe und macht Lee wieder schöne Augen. Also präge ich mir ihre Position ein, drehe mich um und dränge mich zwischen den Leuten hindurch auf die Treppe zu. Von einigen bekomme ich forsche Worte zugeworfen, als ich mich rücksichtslos an ihnen vorbeidrücke, aber ich kämpfe mich weiter voran. Ich habe es gerade auf die Rasenfläche geschafft, als sich über die ungewöhnliche Stille eine tiefe Stimme erhebt. »Zwei gewonnene Meisterschaften im letzten Jahrzehnt, sechsmal im Finale und jedes Mal im Halbfinale. Wir blicken auf eine lange Tradition erfolgreicher Eishockeyspieler zurück. Auf Legenden des Sports, auf Kampfgeist und harte Arbeit. Wir kämpfen für unseren Erfolg, opfern Schweiß und Blut, und kein Tropfen ist verschwendet!«

In unheimlichem Einklang antwortet die Gruppe: »Kein Tropfen ist verschwendet!«

Mich überzieht eine Gänsehaut, und ich schlängele mich viel vorsichtiger zwischen den Leuten hindurch, als könnte eine falsche Bewegung die seltsame Stimmung stören.

»Wir sind mehr als Spieler. Wir sind mehr als ein Team. Wir sind eine Familie mit einem Ziel: die Meisterschaften! Wir schwören, uns diesem Ziel zu verpflichten. Die Opfer zu erbringen, die es erfordern wird, und unseren Brüdern in allem beizustehen, sie an erste Stelle zu setzen und nichts und niemanden zwischen uns kommen zu lassen!«

Ich kann inzwischen Alexis von hinten sehen. Noch durch diese winzige Lücke hindurch und ich habe es geschafft …

»Wir schwören!« Die Worte nehmen mich in den Bann, als ich den letzten Meter an Alexis’ Seite stolpere und sich das Spektakel mit einem Mal vor mir ausbreitet. Auch Alexis ist viel zu gefesselt, um mich wirklich wahrzunehmen. Die Spieler haben sich zentrisch aufgestellt und halten alle ihre Schläger verkehrt herum in der Hand. Das kommt mir komisch vor, bis einer von ihnen rhythmisch mit dem Schlägerende auf die Erde klopft. Es ist unheimlich, wie sich dieses Geräusch über alles ausbreitet, denn es kommt mir vor, als würden die Leute den Atem anhalten, so still ist es geworden.

»Wir siegen und fallen zusammen.«

Die Worte sind voller Ernst. Ein Versprechen.

Der nächste Spieler steigt in den Rhythmus mit ein und schafft es, meine Gänsehaut noch zu verstärken.

»Wir siegen und fallen zusammen.«

Und so gleiten die dumpfen Schläge und Worte den Kreis entlang, bilden einen Sog, der einen wie automatisch im gleichen Rhythmus mit dem Fuß aufstampfen lässt, bis der Garten wie von einem Herzschlag erfüllt ist. Mir wird erst klar, dass ich selbst mitmache, als nach einem finalen Schlag alles still wird. Dieses Mal bin ich mir sicher, dass jeder die Luft anhält und beobachtet, was als Nächstes passiert.

Die Spieler drehen sich alle gleichzeitig um. Ich hatte vorhin recht, sie haben sich wirklich mit blauer Farbe eine Art Kriegsbemalung ins Gesicht geschmiert. Aber in diesem Moment wirkt es nicht mehr lächerlich, sondern verleiht den scharfen Blicken der Jungs den letzten Schliff, um einen zittrig nach Luft schnappen zu lassen. Als Nächstes spricht ein dunkelhäutiger Riese, den ich vorhin am Rande der Beerpong-Gruppe wahrgenommen habe. Er lässt seinen Schläger locker von einer in die andere Hand gleiten, und als er die Stimme erhebt, wird mir klar, dass er die Zeremonie geleitet hat.

»Wir haben gelobt, alles uns nur Erdenkliche zu opfern, für eine Saison, die niemand so schnell vergisst. Aber was seid ihr bereit zu opfern? Wer von euch verpflichtet sich, uns einen Teil von sich zu geben? Tretet vor!«

Ich weiß nicht, was im nächsten Moment genau passiert. Alles, was ich weiß, ist, dass der letzte Tag angebrochen sein muss, denn um mich herum bricht das Chaos aus, als über ein Dutzend Mädchen sich plötzlich vordrängt. Die Art und Weise, wie dafür sogar Ellenbogen zum Einsatz kommen, macht deutlich, dass ich schleunigst Platz machen sollte. In der Hoffnung, Alexis und mich schnell genug aus der Schusslinie zu bekommen, greife ich nach ihr. Allerdings kommt sie mir zuvor … nur dass sie mich ins Innere des Chaos stößt.

Kapitel 4

Gray

Ich bin einer der Letzten, die in die rhythmischen Schläge mit einsteigen, und es haut mich fast um, als die Menge unseren Herzschlag mit aufnimmt. Es ist ein berauschendes Gefühl, im Zentrum dieses Einklangs zu stehen, und ich beobachte mit einem zufriedenen Lächeln, dass diese Tradition den gewünschten Effekt auf die Frischlinge hat.

Ich erinnere mich noch zu gut, dass es mir letztes Jahr ähnlich ergangen ist. Als man mir das erste Mal von diesem Ritual erzählt hat, habe ich die Augen verdreht und es als dämlichen Humbug abgetan, damit man der Eishockeymannschaft noch mehr Aufmerksamkeit schenkt. Nicht dass ich etwas dagegen hätte. Es hat definitiv seine Vorteile, Teil des Teams zu sein. Es mangelt einem nie an weiblicher Gesellschaft, manche Professoren, wenn auch nicht alle, drücken hin und wieder ein Auge zu und das Verbindungshaus ist der absolute Hammer. Aber als ich das erste Mal in diesem Kreis stand und unser Kapitän anfing zu sprechen … Mir ist es eiskalt den Rücken hinuntergelaufen, und ob ich wollte oder nicht, ich wurde ein Teil des Teams. Ein Bruder auf dem Eis. Seitdem finde ich die Show zwar an einigen Stellen zu dick aufgetragen, aber ich verstehe den Sinn dahinter. Es stärkt die Bande im Team und bereitet einen emotional auf die Saison vor. Denn diese Art von Einklang, den wir in diesem Moment erreichen, brauchen wir auch später im Spiel.

Allerdings nähern wir uns unaufhaltsam dem letzten und übertriebensten Teil des Ganzen. Das Jungfrauenopfer, wie Lee es immer nennt. Als ob irgendeine der Damen noch Jungfrau wäre. Eigentlich ist es nur eine Masche, damit niemand von uns die Party allein verlässt. Dabei bin ich mir ziemlich sicher, dass auch sonst niemand von uns damit ein Problem hätte, wenn er sich nicht total dämlich anstellt. Sportler sind beliebt. Und das Eishockeyteam erst recht.

Ich blicke zu Lee, der mit seinen Augenbrauen wackelt und dann mit einem Kopfnicken in Richtung seines festgelegten Opfers zeigt. Alexis steht ganz vorn und grinst meinen Freund bereits wissend an. Ich bezweifle, dass Lee Probleme haben wird, sie einzufangen. Wenn man ihrem Ruf Glauben schenken kann, hat damit kein Kerl sonderlich große Probleme. Was mich allerdings überrascht, ist, neben Alexis das andere Mädchen zu sehen. Row. Die Kleine, die mich in meinem eigenen Spiel geschlagen hat.

Ein Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus.

Dann geht alles ganz schnell. Elijah sagt die entscheidenden Worte und die Hölle bricht los, als eine Horde Mädchen nach vorn stürzt. Die Regeln sind einfach: Wer ein Mädchen als Erstes einfängt, hat damit Anspruch auf sie. Natürlich nur im symbolischen Sinne, aber die Mädchen wissen im Normalfall, was es bedeutet, und wollen es selbst.

Allerdings bin ich mir sicher, dass das auf eine von ihnen nicht zutrifft. Denn Rows entsetzter Gesichtsausdruck, als Alexis sie beim Vortreten aus Versehen anstößt und damit mit in das Chaos reißt, verrät ihre Unwissenheit. Aber jetzt ist sie Teil des Freiwildes, und nach ihrem Auftritt vorhin ist sie jedem meiner Teamkollegen bekannt. Ich bemerke sofort, dass sich begierige Blicke auf sie richten. Und ich weiß, dass viele von ihnen nichts Anständiges im Sinn haben.

Also handle ich, ohne weiter darüber nachzudenken, und strecke meinen Schläger aus. Das ist leichter, als mich durch all die anderen hindurchzuquetschen, die wild durcheinanderlaufen. Ich hake das Ende um Rows Hüfte, gehe einen Schritt vor und ziehe sie zu mir, bevor Rick, ein Drittsemester, sie am Arm schnappen kann. Er zieht überrascht eine Augenbraue hoch, als ich Row, die erschrocken aufquietscht, auffange und sie mit einem Arm an mich drücke. »Zu langsam, Alter.«

Rick verzieht die Lippen zu einem schiefen Grinsen und tippt sich an eine imaginäre Hutkrempe, bevor er sich umdreht und wieder auf Jagd geht. Das gibt mir die Möglichkeit, meine Aufmerksamkeit auf das Mädchen in meinen Armen zu lenken, das mich verschreckt mit großen dunklen Augen ansieht. Ihr Blick ist verhangen, was wohl erklärt, weshalb ich sie so einfach aus dem Zentrum des Chaos bringen kann. Irgendetwas sagt mir, dass sie ohne den Alkohol nicht so gefügsam wäre. Allerdings behalte ich den Arm weiterhin um ihre Taille, damit sie sich nicht wieder in die Menge stürzt, sobald sie anfängt, sich gegen mich zu wehren. Was im Übrigen genau jetzt ist.

»Lass mich los!« Sie greift nach meiner Hand, um meine Finger zu lösen, aber da hat sie keine Chance. Grinsend beuge ich mich vor, um meinen Mund auf Höhe mit ihrem Ohr zu bringen, was sie sofort wieder erstarren lässt.

»Wieso sollte ich? Du bist jetzt meine Opfergabe.«

Ihr Blick ist göttlich. Eine Mischung aus Entsetzen und Du kannst mich mal. Kichernd drehe ich sie zu mir um, sodass meine Hände auf ihren Hüften ruhen und sie mir zugewandt dasteht. Eigentlich habe ich das nur gemacht, weil sich nach und nach all meine Teamkollegen so aufstellen, aber dass das Row noch wütender werden lässt, ist ein zusätzlicher Pluspunkt. Es ist irgendwie niedlich, wie sie ihre gepiercte Augenbraue hochzieht und auf tough macht. Vor allem, nachdem ich gesehen habe, wie all die großen Kerle sie vorhin verschreckt haben. Auch jetzt verbirgt sich ein Teil dieser Unsicherheit hinter dem wütenden Glitzern in ihren Augen.

»Lass. Mich. Los.« Wieder windet sie sich unter meinem Griff, aber selbst wenn ich es gewollt hätte, wäre es inzwischen zu spät. Das Durcheinander hat sich wieder gelichtet, und während die übrig gebliebenen Mädchen sich schmollend verziehen, stellen sich auch die Letzten von uns mit ihrer Auserkorenen auf, sodass wir einen Kreis bilden. Elijah wirft mit einem breiten Grinsen einen Blick in die Runde. Vor ihm steht seine Freundin Kayla, eine süße kleine Blondine, der man am Gesicht ablesen kann, dass sie dieses Ritual total schwachsinnig findet. Aber auch wenn man es ihr nicht zutrauen würde, ist sie extrem besitzergreifend. Einem anderen Mädchen hätte sie ihren Platz nie überlassen. »Auf eine erfolgreiche Saison!«

Eigentlich antworten wir unserem Kapitän jetzt im Chor, aber als ich den Mund öffne, entkommt mir nur ein schmerzhaftes Stöhnen, weil sich eine Ferse mit Nachdruck in meinen Fußrücken bohrt. Überrascht lasse ich Row los, doch diese scheint ebenfalls überrumpelt zu sein und verliert das Gleichgewicht, sodass sie nach meinem Trikot greift, um nicht zu fallen. Das passt perfekt, denn während ich mich von meiner Überraschung erholt habe, sind meine Teamkollegen schon einen Schritt weitergegangen. Also nutze ich es einfach aus, dass Row so nah bei mir steht, beuge mich vor und mache es allen anderen im Kreis nach, indem ich meine Lippen auf ihre drücke.

Ich habe schon viele Mädchen geküsst, und im Normalfall werde ich von weichen einladenden Lippen begrüßt. Aber Row ist ungefähr so entgegenkommend, wie es eine Statue von Cäsar gewesen wäre. Steinhart, störrisch und unerbittlich. Ich weiß zwar nicht wieso, aber das bringt mich zum Grinsen, während mein Mund noch immer sacht auf ihrem liegt. Selbst dass mein Fuß von ihrem Tritt pocht, stört mich nicht. Das Ganze ist einfach amüsant, vor allem, da Row derart überfordert zu sein scheint, dass sie sich nicht einmal bewegt.

Ich beende den Kuss als Erstes im Kreis. Was daran liegen könnte, dass mein Mädchen als einziges nicht mitmachen will. Als ich ihr wieder in die Augen sehe, bohrt sich ihr Blick so intensiv in meinen, als würde sie darin etwas suchen. Und was auch immer sie zu finden scheint, es lässt eine steile Falte zwischen ihren Brauen entstehen, bei der ich nicht widerstehen kann, sie mit meinem Daumen glatt zu streichen. »Entspann dich. In ein paar Sekunden ist das alles vorbei und du kannst wieder in deinen Schatten verschwinden.«

Es ist, als würde ein Vorhang fallen. Von einem auf den anderen Moment ist ihr Gesicht vollkommen verschlossen und ein harter Ausdruck liegt in ihren Augen. Ich rechne mit einer feurigen Antwort, genauso temperamentvoll, wie es ihr Tritt gewesen ist. Doch sie dreht sich einfach um und verschwindet in Sekundenschnelle, während ich wie ein Idiot dastehe.

Glücklicherweise ist es nicht ganz so auffällig, dass ich gerade sitzen gelassen wurde, weil auch in die anderen wieder Bewegung kommt. Die Pärchen lösen sich voneinander, wobei ein paar sich nun ein stilleres Örtchen suchen, um da weiterzumachen, wo sie gerade unterbrochen wurden.

Um nicht wie der letzte Trottel dazustehen, gehe ich zu Bas und Lee, die zwar jeweils ihr Mädchen an der Hand halten, aber zumindest nicht so wirken, als würden sie sich gleich in ihr Zimmer zurückziehen. Stattdessen begrüßt Lee mich mit einem irritierten Blick. »Wie hast du es geschafft, so schnell ein Mädchen zu vergraulen?«

Nichtssagend zucke ich mit den Schultern. »Wahrscheinlich steht sie auf niemanden, den sie beim Beerpong geschlagen hat.«

Meine Antwort war nur als Witz gemeint, aber als Alexis sich wie vom Blitz getroffen zu mir umdreht, befürchte ich, etwas Falsches gesagt zu haben.

»Row war bei dir?«