Memories So Golden Like Us - Gabriella Santos de Lima - E-Book

Memories So Golden Like Us E-Book

Gabriella Santos de Lima

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Beschreibung

It was always you Blair hat alles verloren. Die Anerkennung ihrer Eltern. Ihren Ruf als erstzunehmende Künstlerin. Und ihren Bruder. Seit einem Jahr  torkelt sie von Party zu Party, um sich mit Alkohol und fremden Männern zu betäuben. Dass sie dabei eine Spur von Skandalen hinterlässt, berührt sie nichts im Geringsten. Bis ihre Eltern ihr den Geldhahn zudrehen. Notgedrungen ist sie dazu gezwungen, die nächsten Monate an der britischen Küste zu verbringen, um dort im Familienstrandhaus an einer neuen Bildreihe zu arbeiten. Mit wem sie allerdings nicht im stürmischen St Ives gerechnet hat? Mit Connor Rutherford, dem besten Freund ihres verstorbenen Bruders. Connor, der seit Jahren in einer Beziehung mit ihrer früheren Freundin Elle Hastings ist. Connor, den sie nicht ausstehen kann, weil er ihr schon damals das Herz gebrochen hat, ohne sie ein einziges Mal berührt zu haben … Mit den Tropen Haters to Lovers, Forced Proximity und Rock Bottom Heroine Unabhängig von Moments so Blue Like Our Love lesbar

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Seitenzahl: 481

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Memories So Golden Like Us

Gabriella Santos de Lima, geboren 1997 in São Paulo, studierte am Hildesheimer Literaturinstitut Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus und arbeitete nebenbei als Flugbegleiterin, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Mit ihrem Debüt gewann sie einen Wettbewerb und erreichte Platz 12 beim Lovelybooks-Leserpreis, sieben ihrer Titel standen auf der Spiegel-Bestsellerliste. In den Sozialen Medien ist sie auf Instagram und TikTok zu finden.

It was always you

Blair hat alles verloren. Die Anerkennung ihrer Eltern. Ihren Ruf als erstzunehmende Künstlerin. Und ihren Bruder. Seit einem Jahr  torkelt sie von Party zu Party, um sich mit Alkohol und fremden Männern zu betäuben. Dass sie dabei eine Spur von Skandalen hinterlässt, berührt sie nichts im Geringsten. Bis ihre Eltern ihr den Geldhahn zudrehen. Notgedrungen ist sie dazu gezwungen, die nächsten Monate an der britischen Küste zu verbringen, um dort im Familienstrandhaus an einer neuen Bildreihe zu arbeiten. Mit wem sie allerdings nicht im stürmischen St Ives gerechnet hat? Mit Connor Rutherford, dem besten Freund ihres verstorbenen Bruders. Connor, der seit Jahren in einer Beziehung mit ihrer früheren Freundin Elle Hastings ist. Connor, den sie nicht ausstehen kann, weil er ihr schon damals das Herz gebrochen hat, ohne sie ein einziges Mal berührt zu haben …

Mit den Tropen Haters to Lovers, Forced Proximity und Rock Bottom Heroine

Unabhängig von Moments so Blue Like Our Love lesbar

Gabriella Santos de Lima

Memories So Golden Like Us

Roman

Forever by Ullsteinwww.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin © Ullstein Buchverlage GmbH, Friedrichstraße 126, 10117 Berlin, 2025Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text- und Data-Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor. Bei Fragen zur Produktsicherheit wenden Sie sich bitte an [email protected]. Line Art im Innenteil: © Jule BürgiTitelabbildung: © shutterstock/Ihnatovich Maryia (Vögel); © shutterstock/hamzaaslam1991 (Landschaft); © shutterstock/Rudchenko Liliia (Pinselstriche); © shutterstock/Ittikorn_Ch (Meer); © shutterstock/AlexZaitsev (Licht); © shutterstock/Ittikorn_Ch (Landschaft) E-Book Konvertierung powered by pepyrusISBN 978-3-98978-048-4

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Inhalt

Titelei

Das Buch

Titelseite

Impressum

TRIGGERWARNUNG

PLAYLIST

Prolog

LONDON

1

2

3

4

5

Creating Junk

6

7

8

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11

St Ives

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Creating Junk

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29

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Creating Junk

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Connors & Blairs eigene Welt

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Zurück in der richtigen Welt

Creating Junk

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London

59

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61

62

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New York Drei Jahre nach Sams Tod

Epilog

Anhang

Danksagung

TRIGGERWARNUNG

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

TRIGGERWARNUNG

Widmung

Für alle, denen ich mit Moments So Blue Like Our Love das Herz gebrochen habe. Ich hoffe, ihr könnt mir verzeihen.

Motto

And there’s nothing like a mad womanWhat a shame she went madNo one likes a mad womanYou made her like that

– Taylor Swift

TRIGGERWARNUNG

Liebe Leser*innen,

Memories So Golden Like Us enthält potenziell triggernde Elemente. Deshalb findet ihr im Anhang eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese beinhaltet Spoiler für die gesamte Geschichte!

Eure Gabriella

PLAYLIST

Who’s Afraid of Little Old Me – Taylor SwiftSupercut – LordeSlut! – Taylor SwiftMessy – Lola YoungA Memory Away – Matt MaesonWe Hug Now – Sydney RoseSnow On The Beach – Taylor Swift x Lana Del ReySober – LordeLiability – LordeBest – Gracie AbramsWhere do we go now – Gracie AbramsThe Greatest – Billie EilishThe 30th – Billie EilishTV – Billie Eilishthe 1 – the long pond studio sessions – Taylor Swiftmirrorball – the long pond studio sessions – Taylor Swiftmad woman – the long pond studio sessions – Taylor Swiftparty 4 u – Charli xcxGave You I Gave You I – Gracie AbramsCamden – Gracie AbramsGetting Older – Billie EilishDon’t Cry, Put Your Head On My Shoulder – Tom OdellNothing Matters – The Last Dinner PartyHeavenly – Cigarettes After SexNormalcy – Gigi PerezThe Archer – Taylor SwiftThe Bolter – Taylor Swiftcomplex – Katie Gregson-MacLeodFlaws – BastilleDelicate – Recorded at The Tracking Room Nashville – Taylor SwiftAlma – Siggi

Prolog

@londonstories

Blair Alderidge aus London verbannt – Ist unser liebstes It-Girl noch zu retten?

Soho, London, der letzte Septemberfreitag: Eine blonde Frau trifft auf einen hochgewachsenen Typen. Sie hat traurige Augen und er ein schiefes Grinsen. Sie sitzen nah beieinander. Unterhalten sich lachend. Bestellen noch einen Drink. Sie wirken vertraut. Vielleicht waren sie sogar schon miteinander im Bett. Natürlich nur reine Spekulation, denn was genau zwischen Blair Alderidge (24) und Fußballprofi Henry Hall (25) letztes Jahr im Spätsommer gelaufen ist, wissen wir natürlich nicht. Dafür können wir dank verlässlicher Quellen berichten, dass die beiden die geheime Chelsea-Party gemeinsam verlassen haben. Und dass, obwohl Henry Hall seit zwei Monaten fest in der Bio von Influencer-Sternchen Marianne Davies steht, inklusive eines Herzchens. Na ja, zumindest stand. Seit vier Tagen sind nicht nur sein Name, sondern auch alle gemeinsamen Pärchenbilder von Mariannes Kanal gelöscht. Ein Vögelchen hat uns gezwitschert, dass es zwischen den beiden wohl schon eine Weile gekriselt hat. Er kann seinen nicht in der Hose behalten. Sie hingegen schien wohl keine Lust mehr darauf zu haben, dass er mit seinem typischen Eigentlich-habe-ich-keinen-Bock-auf-diesen-Scheiß-hier-Blick die Fotos für ihren Instagram-Feed zerstört. Aber die In-fluencerin und der Profifußballspieler wollten die Beziehungskrise eben angehen wie unsere Großeltern früher. Damals, als wir kaputte Dinge noch repariert haben und Frauen sich keine Scheidung leisten konnten. Schade nur, dass unser liebster mürrischer Profisportler dann (zum zweiten Mal) auf Blair getroffen ist und, obwohl er nun vergeben ist (/war?), ihr nicht widerstehen konnte. Angeblich soll sie nichts von der Beziehung gewusst haben. Ist klar, Ms Maneater. Wir würden ja auch behaupten, dass diese ganze Situation uns überrascht, aber würdet ihr uns das wirklich abkaufen? In Sachen Blair Alderidge überrascht uns und euch doch REINGARNICHTS mehr. Nach dem Tod ihres älteren Bruders Samson Alderidge (R.I.P., Sam, nein, wirklich, rest in peace, wir respektieren und vermissen dich!) scheint niemand mehr Blair im Zaum halten zu können. Eine durchzechte Partynacht nach der anderen, immer ein Drink in der Hand, immer dieser leere Blick in ihrem Gesicht. Und ein Mann nach dem nächsten in ihrem Bett. Wir wissen, dass jeder mit Verlust und Trauer anders umgeht, aber – jetzt mal ehrlich – ist sich durch ganz London zu vögeln wirklich die Lösung??? Nach Samsons Tod sind wir davon ausgegangen, dass Blair abtauchen und ihre Trauer mit Cocktails an einem exklusiven Luxusstrand auf Bali ertränken würde, bis sie wieder auftauchen und der Presse erklären würde, wie viel Heilung und Inspiration sie barfuß während ihrer Auszeit gesammelt hat. Womöglich hätte sie uns gleich von ihrer neuen Bilderserie erzählt, diesmal in Blau anstelle der für sie typischen Pinktöne. Blau für Trauer und Blau in Anlehnung an Samsons letztes Filmprojekt BLUEETERNITY. Doch Fehlanzeige. Man könnte fast meinen, dass Blair im letzten Jahr nicht nur ihre Würde, sondern auch ihre Kunst aufgegeben hat … #blairsmeneatingera

@nobodysbusinessss_ Blair hat nicht nur ihre Würde und ihre Kunst aufgegeben, sondern auch ihr Aussehen. Habt ihr die letzten Fotos von ihr gesehen? Ich weiß, wir sind alle Teil der Bodypositivity-Blabla-Bewegung und kommentieren keine Körper mehr, aber ganz ehrlich? Blair sieht gar nicht gut aus. Sie hat so viel zugenommen, das kann gar nicht gesund sein. Sie braucht Hilfe!

@henryandmariannesupporter23 Wie konnte Henry Marianne nur mit BLAIR betrügen? Das ist so ein Downgrade!

@zoraya244_ Ich frage mich, wie sie überhaupt so viele Männer abbekommt, wenn sie sich derart gehen lässt??? Ich meine, das, was mit Sam passiert ist, ist schrecklich. Ich bin so ein großer Fan von seiner Arbeit und war auch am Boden zerstört. Aber ganz ehrlich? Sein Tod ist mittlerweile ein Jahr her. Langsam muss Blair mal wieder in der Realität ankommen …

@onurfrombristol98 Wieso verschreibt ihr irgendein Arzt nicht einfach Ozempic lol?

@fionafern0304 Ist das auf dem Bild wirklich Blair??? Ich habe sie fast nicht erkannt.

@tinleyboxingshoreditch Ich finde es erschreckend, wie viele Nutzer eine Frau, der es offensichtlich aus einem total nachvollziehbaren Grund überhaupt nicht gut geht, trotzdem nur auf ihren Körper reduzieren. Das ist Bodyshaming, Leute! Übrigens reden wir hier von einer Frau, die immer noch absolut schön und nicht mal Plus Size ist, sondern die einfach nur sehr schlank war und jetzt zugenommen hat.

@onurfrombristol98 @tinleyboxingshoreditch Niemanden interessiert deine Meinung.

LONDON

 

1

Blair

I’VEBEENHAVING A HARDTIMEADJUSTING

An diesem Freitagmorgen war nicht die Rede von Connor Rutherford. Keine einzige Sekunde lang.

Wir saßen in Aishas lichtdurchflutetem Büro, während es in meinem Unterleib stechend zog. Am liebsten wäre ich aufgestanden, um in Richtung der luxuriösen Toilettenräume zu verschwinden. Im Grunde war jeder Quadratzentimeter hier luxuriös, inklusive des goldveredelten Firmenschilds am Bürogebäude, mitten im West End. Immerhin war Aisha eine erfolgreiche Managerin, vertrat A-Prominente und hatte stets den richtigen Riecher für aufsteigende Talents. So nannte sie uns alle.

Ihre Talents.

Wir waren namhafte Künstler aus allen Sparten, egal ob Schauspieler oder Sängerinnen. Oder so wie ich: freischaffende Künstlerin, die vor zwei Jahren ihre Seele verkauft hätte, um im New Yorker Museum of Modern Art ausgestellt zu werden. Und dabei einmal nicht auf den unbestreitbaren Ruhm ihrer Eltern reduziert zu werden.

Verfluchte Scheiße.

Ich wünschte so sehr, ich wäre wieder diese alte und gleichzeitig jüngere Version von mir selbst, die einen Dreck auf alles gab. Auf das, was die Leute von ihr hielten, und auf das, was Fremde im Internet über sie schrieben. Aber diese Blair war qualvoll mehrere Tode in den letzten vierundzwanzig Monaten gestorben.

Als Sams Diagnose feststand.

Als keine Alternativtherapie anschlug.

Als mein älterer Bruder schließlich starb.

Früher hatte ich die Augen verdreht, wann immer diese perfekt ausgeleuchteten Filmmenschen auf meinem Fernseher ihr Leben in ein Vorher und Nachher unterteilt hatten. Wie übertrieben dramatisch, hatte ich gedacht, den Zurück-Knopf auf meiner Fernbedienung betätigt und mich für einen anderen der vielen Filme entschieden, die ich nie zu Ende gesehen hatte. Wieso? Tja, ich hatte schlicht keine Zeit gehabt, hundertzwei Minuten nur dazusitzen und mich in einer ausgedachten Welt zu verlieren. Es war immer etwas los. Eine Party, auf die ich spontan eingeladen wurde. Ein Bild, an dem ich unbedingt in jenem Moment hatte weiterarbeiten müssen. Aber jetzt lud ich mich bloß noch selbst auf Partys ein, malte so ganz generell nicht mehr und lebte ein Leben, das ich ständig in ein Vorher und Nachher aufteilte.

Vor Sams Tod.

Nach Sams Tod.

Ich wollte in die Zeit vor Sams Tod, immer und zu jeder Sekunde des Tages, doch war verdammt dazu, in der nach Sams Tod zu leben.

So wie gerade, als Aisha mir in ihrer unverfrorenen Art erklärte, dass ich den Bogen überspannt hatte.

»Ich meine Henry Hall, Blair! Das ist einfach eine Katastrophe!«

Alles ist eine Katastrophe, hätte ich am liebsten geantwortet, doch verkniff es mir, weil ich wusste, dass Aisha in Podcasts ständig betonte, dass sie ihren Erfolg dem positiven Mindset, täglichen Meditationen und geführten Visualisierungen zu verdanken hatte.

»Ich wusste wirklich nicht, dass er mit Marianne zusammen ist oder … war?« Ich schluckte hart. »Er hat mir gesagt, er ist in keiner Beziehung. Sonst hätte ich nicht mit ihm geschlafen. Du musst mir glauben.«

Meine Managerin schnaubte. Dunkle Augen, scharfer Lidstrich. Aisha war fünfzehn Jahre älter als ich und hätte problemlos das Gesicht einer Kosmetikmarke sein können. Jeder ihrer Zentimeter war ausdrucksstark. Ihr perfekt sitzendes Make-up, der strenge Zopf, der Blick in ihren katzenförmigen Augen. Wenn sie mich ansah, ließ ihr Blick mich nicht los. So, als sähe sie problemlos durch mich hindurch und durchschaute mich dabei gleichzeitig.

»Ah ja, er ist in keiner Beziehung«, wiederholte sie kopfschüttelnd. »Und das hast du Hall einfach geglaubt?«

Während ich nach Worten suchte, war mir klar, dass sie mir rein gar nichts glaubte. Sie ging davon aus, dass ich Henry gevögelt hatte, wohl wissend, dass er eigentlich eine Freundin hatte.

Aisha traute mir nichts mehr und deshalb alles zu. So wie gerade jede andere Person in meinem Leben.

Unruhig rutschte ich auf dem Designerstuhl umher, während ich in meinem Kopf nach einer passenden Antwort suchte. Doch was sollte ich schon sagen? Dass ich es wirklich nicht gewusst hatte? Dass alle Erinnerungen an letzten Samstag etwas zu verschwommen und körnig in meinem Kopf waren? Dass ich natürlich nicht mit Henry geschlafen hätte, wenn ich gewusst hätte, dass der Sex mit ihm einen riesigen Rattenschwanz nach sich ziehen würde? Dass es mir leidtat? Alles?

Nein.

Nein, das konnte ich nicht sagen, weil die Worte rein gar nichts erklärten.

»Es tut mir leid«, flüsterte ich.

Aisha kniff sich angespannt in die Nasenwurzel. »Was soll ich nur mit dir machen?«

Was du mit mir machen sollst? Tja, das weiß niemand.

Ich weiß das selbst am allerwenigsten.

Vielleicht wüsste Sam das, weil er mein älterer Bruder war, immer die besseren Noten und sein Leben so ganz allgemein stets perfekt im Griff hatte.

Aber auch das waren keine guten Antworten. Also schwieg ich. Aisha fixierte mich mit einem Blick derweil so, als wollte sie mich an genau dieser Stelle festnageln, aus Angst, ich könnte sonst verschwinden. Aufstehen, wegrennen, mein Handy auf die Straße schmeißen und mich in die nächste Katastrophe stürzen. Immerhin war ich ja Blair Alderidge.

Dir ist nichts und deshalb alles zuzutrauen.

»Ich habe einen Plan«, begann sie entschlossen. »Und während ich ihn dir erzähle, wirst du mir zuhören und mich nicht unterbrechen, hast du das verstanden?«

»Natürlich«, lenkte ich sofort ein.

»Gut.« Diplomatisch faltete sie ihre Finger auf der Marmortischplatte zu einem Dreieck. »Frag mich nicht, wie ich es geschafft habe, aber ich habe dir einen Auftrag mit der Tate in St Ives ausgehandelt. Für eine exklusive Ausstellung mit Bildern, die vor Ort entstehen müssen. Die Motive darfst du frei wählen, aber du musst für den Entstehungsprozess in die Ferienvilla deiner Eltern ziehen. Rosie und Paul wissen schon Bescheid. Außerdem wird dein Malprozess filmisch begleitet, damit später eine Videoreihe zu den Werken veröffentlicht werden kann. Du wirst über das Malen und den Tod deines Bruders sprechen, den du mit deiner Kunst zu bewältigen versuchst.«

Jeder meiner Muskeln spannte sich an. Krampfhaft blinzelte ich vor mich hin. Die Worte meiner Managerin hatten mich erreicht, aber ich hatte sie nicht verstanden. Wollte sie nicht wahrhaben.

»Das ist ein Scherz, nicht wahr?«, brachte ich schließlich hervor.

»Was soll daran bitte nicht mein Ernst sein? Du bist Künstlerin und hast seit einer Ewigkeit nicht mehr dein Atelier betreten. Bis Sams Krankheit hast du es gehasst, von der Presse als seelenloses Partygirl abgestempelt zu werden, und jetzt …«

Und jetzt sieh dich an.

Sie sprach den Satz nicht zu Ende.

»Du brauchst Hilfe, aber wir wissen nicht mehr, was wir tun können«, flüsterte Aisha. Ihr Stimmton war haargenau derselbe, mit dem meine Eltern ständig versuchten, auf mich einzureden.

Das muss aufhören, Blair.

Du machst dir gerade dein Leben kaputt, Blair.

Das hätte Sam unter keinen Umständen gewollt, Blair.

Sie erwähnten Sam immer, wenn sie nicht mehr weiterwussten. So, als glaubten sie ebenfalls daran, dass er immer noch alles retten könnte.

»Deine Eltern und ich können dich natürlich nicht zu diesem Projekt zwingen. Aber es wäre die perfekte Möglichkeit, deinen Ruf als Künstlerin und Person des öffentlichen Lebens zumindest ein Stück weit zu rehabilitieren. Ich habe bereits geklärt, dass wir den Film vor der Veröffentlichung absegnen. Wenn du möchtest, können wir bei den Interviewaufnahmen mit Skripten arbeiten. Ehrlicherweise würde ich Letzteres sogar empfehlen, weil …«

»Hör einfach auf«, unterbrach ich Aisha. »Hör einfach auf, so zu tun, als würde ich mich ernsthaft ans Ende der Welt verbannen lassen, damit ich nicht den nächsten großen Skandal anzetteln kann. Das lasse ich nicht mit mir machen. Ich bin doch kein Kind, verfluchte Scheiße!«

Blinzelnd starrte ich Aisha an, während sie sichtbar Luft holte. So, als müsste sie sich beruhigen, weil ich unglücklicherweise mit meinen vierundzwanzig Jahren sehr wohl ein trotziges Kind war, das jeden in den Wahnsinn trieb. Anschließend richtete sie sich auf, und obwohl sie kleiner als ich war, hatte ich das Gefühl, sie würde mich diesmal nicht nur durchschauen, sondern ebenfalls auf mich herabschauen.

»Erstens ist St Ives nicht das Ende der Welt. Zweitens verbannen wir dich nicht. Wir wollen dir nur helfen.«

»Helfen?« Ich lachte. »Mein Bruder ist mit sechsundzwanzig an einem Scheißhirntumor gestorben. Mir ist nicht mehr zu helfen.«

Ich bin nicht mehr zu retten. Auch nicht von Sam. Schon gar nicht von Sam, der nie wieder da sein wird, wo ich bin.

Dann stand ich auf und ging.

2

Blair

LONGSTORYSHORT, I’M NOTSURVIVING

Ich hätte die Toilette in Aishas Büro benutzen sollen.

Ganz egal, dass ich nur noch wegwollte und ihr Büro nicht schnell genug hinter mir lassen konnte. Wenn ich etwas nachgedacht und mein Ego hinuntergeschluckt hätte, hätte ich mich nun zumindest nicht in diese räudige Toilettenkabine an der Westminster-Station quetschen müssen. Aber hier war ich, eingesperrt in einem winzigen Waschraum, wo halb getrocknete Urinpfützen im Schein der flackernden LED-Röhren glänzten. In der Kabine neben mir wurde gepinkelt und dann die Spülung gezogen. Ich hingegen knöpfte hastig meinen Stoffrock auf, um dann die Strumpfhose und den Slip gleichzeitig herunterzuziehen.

Bitte, bitte, bitte, lass mich meine Tage bekommen haben.

Dabei bettelte ich das Universum nicht um meine Periode an, so wie Elle vor Jahren in der Schultoilette. Damals, als sie in der unbändigen Angst gelebt hatte, von ihrem derzeitigen Freund schwanger zu sein, weil das Kondom verrutscht war.

Ich konnte nicht schwanger sein, weil ich a) immer aufpasste, b) eine Spirale trug und c) sogar vorgestern verzweifelt auf einen Schwangerschaftstest gepinkelt hatte, nur um diese Option vollständig auszuschließen.

Ich war nicht schwanger.

Genau deshalb erinnerte mich meine App seit zehn Tagen mit einer nervigen Push-up-Benachrichtigung daran, dass meine Periode heute eintreffen würde, was, wie gesagt, seit zehn Tagen nicht der Fall gewesen war. Für die Erkenntnis, dass diese Zyklusverspätung ungewöhnlich war, hätte ich nicht mal das Premium-Abo kaufen müssen.

Tief atmete ich durch, bevor ich mit einem Kloß im Hals nach unten sah, in der Hoffnung, ich würde Blut in meinem Slip finden. Fehlanzeige. Hastig legte ich deshalb den Toilettensitz mit Klopapier aus und pinkelte, doch … auch nichts.

Großartig. Einfach großartig.

Wenig später stieg ich in die überfüllte Jubilee-Line, wo es nach Schweiß und städtischer Gleichgültigkeit roch. Ich fuhr knappe zehn Minuten bis zum Swiss Cottage, trotzdem fühlten sie sich wie eine halbe Ewigkeit an, weil ich immer wieder dem Drang widerstehen musste, Gründe für unvorhergesehene und heftige Zyklusschwankungen zu ergoogeln.

Ich scheiterte.

Fremde streiften meine Schultern, als die Türen sich für neue Fahrgäste an der Baker Street öffneten. Und ich gab auf. Mit zitternden Fingern öffnete ich die Suchmaschine und tippte.

Ausbleibende Periode

Zyklusstörungen Gründe

Zyklusstörungen zehn Tage verspätet

Wie in den Tagen zuvor scannte mein Blick dieselben Ergebnisse ab. Stress. Hormonelles Ungleichgewicht. Chronische Erkrankungen. Nichts, das mir weiterhalf. An meiner Haltestelle angekommen, konnte ich nicht schnell genug aus dem stickigen Abteil steigen.

Draußen pustete mir der erste Oktoberwind kühl ins Gesicht. Ich passierte die Swiss Cottage Library, bevor ich an der Avenue Road die weißen Villen hinter mir ließ. Gepflegte Gärten, perfekte Rosensträucher am Eingang. Alles an Primrose Hill wirkte so, als wäre das Viertel der Schauplatz einer britischen RomCom. So idyllisch, so friedlich, so niedlich. London mit Dorfcharakter – mit diesen Worten bezeichnete Mum ihre Wohngegend, und eigentlich sagte diese kleine Beschreibung alles über sie aus. Rosie Campwell verwandelte ständig willkürliche Dinge in etwas, was sie gar nicht waren. Landleben aus einer Weltmetropole. Früher eine Vorzeigeehe aus der gescheiterten Beziehung mit Dad. Oder ihre aktuelle Mission: ein Desaster auf zwei Beinen in einen vollends geheilten Menschen zu verwandeln.

Das Desaster war natürlich ich.

Diese Tatsache wurde mir abermals bewusst, als ich Mums Stadtvilla erreichte, die nahtlos mit dem charmanten Primrose Hill verschmolz. Mit dem Schieferdach und den hellen Pflastersteinen, dem Vorgarten und den makellosen Rosensträuchern an der Fassade. Als könnte hinter dem gusseisernen Tor nichts Schlechtes passieren, was am Ende nicht während eines dreiminütigen Popsongs gelöst werden könnte. Aber wenn ich meine Kopfhörer nicht zu Hause vergessen hätte, würde in meinen Ohren gerade definitiv ein trauriges Lied laufen. Immerhin waren in letzter Zeit nur schlechte Dinge passiert, die nicht wieder rückgängig zu machen waren.

Mit einem Knoten im Bauch betätigte ich die Klingel. Der Wind brachte die Sträucher und noch grünen Blätter der Bäume zum Rascheln, wobei ich mir vorstellte, wie Mum mich durch die Eingangskamera erkannte. Absichtlich starrte ich direkt in die Linse, denn ich hatte nichts zu verstecken.

Ich war nicht diejenige, die ihre eigene Tochter mithilfe ihrer Managerin nach St Ives verbannen wollte. Und dann – endlich. Das Tor öffnete sich geräuschlos für mich. Modernste Technik, der höchste Standard. Höher waren nur die Anforderungen meiner Eltern, die ich wahrscheinlich nicht mal in drei Leben erfüllen würde. Während die dicken Absätze meiner Stiefel laut auf den Pflastersteinen klopften, öffnete Mum mir bereits.

»Blair, Darling!«, flötete sie. »Was machst du denn hier?«

Ich stand vor der Tür und starrte ihr in das strahlende Gesicht. Dabei erkannte ich den leichten Schweißfilm auf ihrer Haut, ehe ich diesen mit ihrer Yogakleidung zusammenzählte und zu dem Ergebnis kam, dass ich gerade in eine ihrer Personal-Training-Stunden geplatzt war.

»Störe ich?«, fragte ich deshalb, noch während sie mich in eine Umarmung zog, weil ich mich zusammenreißen und nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen wollte.

»Was? Nein! Eigentlich kommst du sogar zur perfekten Zeit. Anil und ich haben unsere Healing-Yoga-Session begonnen. Hast du nicht noch Sportzeug in deinem Zimmer?«

»Bestimmt? Aber eigentlich bin ich hier, weil ich mit dir reden muss. Ich war gerade bei Aisha und sie …«

Mum ließ mich nicht ausreden. Selbstverständlich brachte sie mich zum Verstummen, indem sie mich an meinem Handgelenk ins Innere zog und meinte, dass wir alles nach der Yogastunde besprechen könnten. Anschließend verschwand sie so schnell die Treppen hinunter zu ihrem Sportraum, dass mir keine Zeit blieb, zu protestieren.

Fantastisch.

Ich holte tief Luft. Einmal. Zweimal. Dreimal. Dann atmete ich aus und steuerte mein altes Kinderzimmer an. Ich würde mit Mum diese beschissene Yoga-Einheit durchstehen, ganz ruhig und gelassen, bevor ich sie noch ruhiger und gelassener auf die Sache mit St Ives ansprechen würde. Ich würde weder die Augenlider schlitzen noch ihr meine Gefühle in einem anklagenden Ton vor die Füße werfen. Ich würde überhaupt nichts werfen oder zerschmettern. Ganz sachlich und ruhig würde ich bleiben.

In meinem Kopf funktionierte der Plan perfekt.

Die Realität bestand allerdings darin, dass ich die Wendeltreppe in die zweite Etage hochstieg, Sams ehemalige Zimmertür absichtlich nicht ansah und meine gar nicht öffnen wollte. Doch darum kam ich nicht herum. Ich betrat mein Zimmer und tappte gleich zum begehbaren Kleiderschrank. Er war immer noch überfüllt mit Pullovern und Röcken, die ich zum letzten Mal als Teenagerin getragen hatte. Vor einem Jahr hätten sie mir noch gepasst, jetzt taten sie das nicht mehr. Genau deshalb griff ich absichtlich nach einem Sportset mit Stretch, in das ich mich dennoch reinquetschen musste. Die Hose schnitt mir in den Bauch, während der Sport-BH mir das Atmen erschwerte. Ich hätte so schlau sein sollen, nicht in den bodenlangen Spiegel in der rechten Ecke zu schauen. Aber ich war nicht schlau, sondern nur traurig und ziemlich gut darin, mich selbst zu quälen. Also stellte ich mich direkt vor den Spiegel, um mich genau betrachten zu können.

Mein Körper war immer noch mein Körper, selbst wenn meine Oberschenkel sich jetzt berührten und meine Schlüsselbeine nicht mehr knochig hervorstanden. Natürlich konnte ich nicht leugnen, dass ich in den letzten Monaten zugenommen hatte. Dennoch würde ich meine veränderte Kleidergröße nicht zu einem Problem machen, selbst wenn ich wusste, wie hässlich die Kommentare im Internet waren.

Innerlich war ich davon überzeugt, doch kurz bevor ich die Treppen wieder nach unten tippelte, schnappte ich mir einen übergroßen Pullover und schlüpfte hinein. Die Ärmel waren so lang, dass ich meine Finger im Stoff vergraben konnte, allerdings erzielte das Kleidungsstück nicht den gewünschten Effekt. Ich hatte kaschieren wollen, wie eng die Sporthose an meinen Hüften saß. Trotzdem sah Mum direkt durch meine Stoffrüstung hindurch, als ich den Raum betrat. In der Luft waberte der Duft von qualmenden Räucherstäbchen. Würzig, fruchtig und falsch.

»Blair!« Zur Begrüßung drückte Anil mich viel zu lange gegen die trainierte Brust. »Wie schön, dass du so spontan auch hier bist.«

Kerzenlicht flackerte über dem Yogalehrer, den ich bereits kannte. Immerhin war ich heute nicht zum ersten Mal zu einer der Healing-Sessions eingeladen worden. Meine Aufmerksamkeit galt Anil allerdings nicht lang, weil ich Mums Blick auf mir spürte. Er war kurz, grub sich dafür jedoch viel zu intensiv unter meine zwickende Sportkleidung. Ich fragte mich, ob Mum dasselbe dachte, was die Leute im Internet jetzt sagten.

Wie kann man sich nur so gehen lassen?

Warum lässt sie sich nicht Ozempic verschreiben?

Huch, das soll Blair Alderidge sein? Was ist denn mit ihr passiert?

Doch als sich unsere Blicke kreuzten, lächelte sie mich so strahlend an, als hätte ich mir das alles bloß eingebildet. Immerhin war meine Mum Rosie Campwell, die Filmproduzentin, die nur an Geschichten mitwirkte, welche die Realitäten von Frauen ungeschönt aufzeigten. Sie würde niemals einen Kommentar über meine Figur von sich geben. Vielleicht, weil sie als Zwanzigjährige Dauerthema der Boulevardpresse gewesen war, ständig mit anderen Schauspielerinnen verglichen worden war und ihre Cellulite auf Zeitschriftencovern eingekreist gefunden hatte.

»Können wir loslegen?«, fragte Anil und durchschnitt damit meine Gedanken.

Mum klatschte in die Hände. »Unbedingt!«

Ehe ich michs versah, dämmte Anil das Licht und deutete auf die terrakottafarbene Matte neben Mum. Seine eigene war vor uns positioniert, umzingelt von brennenden Kerzen. Aus den versteckten Lautsprechern plätscherten Klangschalentöne. Beruhigend und extra-heilend.

»Bitte schließt jetzt die Augen«, sagte Anil, sobald ich mich umständlich positioniert hatte. »Wir starten mit einer kurzen Visualisierung, bevor wir zu den körperlichen Übungen kommen. Atmet tief ein und mit einem Seufzer noch tiefer aus. Er kann richtig laut sein. Lasst alles raus. All die negativen Gefühle. Die ganze Trauer, die euren Körper ständig so schwer macht. Gut so. Und noch einmal. Sehr schön. Wenn ihr jetzt einatmet, stellt euch vor, dass ihr einen goldenen Energiefluss einsaugt. Bis in den Bauch. Diese goldene Energie soll euren gesamten Körper durchströmen, und ihr braucht dabei nichts weiter als eure Atmung.«

Aber in mir war nichts golden.

Wenn ich die Luft in mich einsog, spürte ich keine verfluchte Energie, die meinen Körper flutete. In meiner Nase kitzelte lediglich der zeitlose Duft von Mums Parfum, das sich mit den künstlichen Aromen der Räucherstäbchen vermischte. Außerdem krampften meine Muskeln, weil das Gespräch mit Aisha sich dauerschleifenartig in meinem Kopf wiederholte.

St Ives. Sie wollen mich wirklich aus London verbannen.

In mir überschlugen sich die Gedanken, während ich meinen Herzschlag unter jedem meiner Zentimeter spürte. Schnell und pochend. Die Apple Watch an meinem Handgelenk vibrierte sogar, weil sie dachte, ich würde bei einem derartig hohen Puls trainieren.

»Alles in euch verwandelt sich in flüssiges Gold«, fuhr Anil fort. »In weiches, strahlendes und energetisches Gold. Ihr spürt, wie ihr von innen leuchtet. Nehmt dieses Gefühl an. Verbindet euch mit der Energie.«

Aber in mir war IMMERNOCH nichts golden.

In mir war alles rot.

Ich war nicht geheilt.

Ich war wütend.

Ein Teil von mir wollte nicht die Augen öffnen und sich aufsetzen. Es war derselbe, der den Plan geschmiedet hatte, in dem ich Mum ruhig und gelassen auf St Ives ansprechen würde.

Scheiß drauf.

Instinktiv richtete ich mich auf, wobei ich Anils verwirrten Gesichtsausdruck bemerkte. Blair, schien er mit den Furchen auf seiner Stirn stumm zu sagen. Was machst du? Wo ist die goldene Energie in dir?

»Tut mir leid«, sagte ich fast lautlos. »Aber ich kann das nicht.«

In Rekordgeschwindigkeit erhob ich mich und steuerte die Tür an. Anil wollte mich besänftigen, doch seine Worte erreichten mich nicht. Fast stolperte ich über eine Kerze, spürte aber absolut nichts von ihrer Hitze. Als wäre eine kleine Flamme nichts im Gegensatz zu dem Inferno, das schon seit Monaten in mir brannte.

»Schatz!«, rief Mum mir besorgt hinterher, die aus ihrer goldenen Visualisierung erwacht war. Mit schnellen Schritten lief sie mir nach, bis sie mich im Flur einholte. »Was ist passiert?«

Sie wollte wissen, warum ich an der Visualisierung gescheitert war, als wäre das nicht offensichtlich. Als würde sie wirklich daran glauben, dass sie goldene Energie einatmete und mit ihr diese grässliche Leere füllte, die Sam hinterlassen hatte.

»Was passiert ist?«, wiederholte ich. »Wieso verrätst du mir nicht, was passiert ist, was Dad und dich dazu gebracht hat, sich mit meiner Managerin gegen mich zu verschwören?«

»Ach, Blair«, flüsterte sie, wobei mein Name so wohlwollend aus ihrem Mund klang. Doch der Klang hüllte mich nicht ein. Mums Zärtlichkeit brachte das Blut in meinen Adern nur schneller zum Rauschen.

»Du streitest es nicht mal ab.«

»Darling«, versuchte sie es mit demselben liebevollen Ton, mit dem Montessori-Eltern ihre Kinder vom Quengeln abbringen wollten. »Niemand hat sich gegen dich verschworen. Wir halten die Idee mit St Ives und der Tate einfach nur für das Beste. Wir haben das Gefühl, dass die Stadt dir momentan nicht guttut und dass eine kleine kreative Auszeit genau das Richtige für dich ist.«

»Klaaar, eine kleine kreative Auszeit am Meer tut mir garantiert genauso gut wie diese Goldene-Energie-einatmen-Scheiße. Wenn ich dann nur noch ein bisschen länger meditiere, bin ich garantiert geheilt und bekomme keine Angstattacke mehr, wenn ich nur daran denke, wie mein älterer Bruder mit sechsundzwanzig in einem grauen Krankenhaus verreckt ist.«

Ich konnte nichts dafür, dass meine Stimme höher wurde. Wie schrill sie klang. Wie eng meine Kehle sich zuschnürte. Dafür, dass ich Fäuste ballte, obwohl es hinter meinen Augen brannte. So, als wäre Wut die einzige wirkungsvolle Verteidigung, die ich gegen diese Traurigkeit in mir besaß. Diese Traurigkeit, die mich sekündlich zu verschlingen drohte.

Das war kein Witz.

Keine Übertreibung. Keine dramatische Metapher, um zu verdeutlichen, wie dunkel und groß die Leere war, die mein Bruder hinterlassen hatte. Es fühlte sich wirklich so an, als würde ich immerzu mit dieser monsterartigen Traurigkeit kämpfen und verlieren. Wieder und wieder und wieder und wieder und jetzt immer noch, selbst als Mums Blick glasig wurde. Dabei wusste ich, was sie sagen würde, noch bevor sich ihre perfekt nachgezogenen Lippen teilten.

Ich verstehe dich.

Es tut mir so leid.

Es wird besser werden.

Du musst es nur ein bisschen mehr versuchen.

»Ich verstehe dich so gut«, begann sie. »Aber …«

Aber ich konnte keinen dieser gut gemeinten Ratschläge, keinen Funken von ihrem Mitgefühl und Mitleid mehr ertragen. Wie fürsorglich und großartig Mum war. Sie wollte tatsächlich bloß das Beste für mich, während ich unsere Situation ständig nur verschlechterte.

Dir ist nichts mehr und deshalb alles zuzutrauen.

»Tut mir leid«, wiederholte ich mit erstickter Stimme. »Ich kann das gerade einfach nicht.«

Als ich nach oben in mein Zimmer lief, hielt sie mich nicht auf. In Windeseile schnappte ich mir meine Tasche, ohne mich wieder umzuziehen. Im Flur war ich beim Gehen nicht mehr so stark wie vorhin. Ich sah Sams Zimmertür an, eine völlig normale Tür mit einer Klinke. Nur eine Tür. Doch es war Sams Tür gewesen.

Gewesen.

Wie schrecklich, dass ich von Sam immer nur in der Vergangenheit sprechen konnte, weil er nie mehr in der Gegenwart existieren würde. Dieser Gedanke gab mir den Rest. Ich versuchte, die Tränen, die ich heißkalt auf meiner Wange spürte, nicht einmal wegzuwischen. Ich ließ sie laufen, während ich selbst davonlief. Mums Bitten und Flehen im Erdgeschoss ignorierte ich, indem ich wortlos an ihr vorbeiging und feststellte, dass die frische Luft mich nicht runterbrachte. Im Gegenteil. Mein Herz raste, während die Tränen weiter flossen und ich einfach versuchte, zu überleben.

Es klappte nicht.

Ich überlebte nicht.

Dann vibrierte mein Handy.

3

Blair

LEAVEMEBLEEDING

Sogar ein Herz hatte meine Managerin ans Ende der Nachricht gesetzt. Ich unterdrückte ein Schnauben und nahm gleichzeitig einen großen Schluck meines Pink Gins.

Ringsum hatten die Premierenbesucher die Zeit ihres Lebens, stießen mit leuchtenden Shots an und feierten zu den Liedern, die sie sich beim DJ wünschten. Mittendrin war nicht ich, sondern Emmie, die von jedem Partygast beglückwünscht wurde.

Kurz nach dem misslungenen Besuch bei Mum hatte Emmie mich per Nachricht an ihre Filmpremiere in den Soho Screening Rooms erinnert. Lay down with me war nicht ihr eigener Film, doch sie hatte als Drehbuchautorin und Regieassistentin mitgewirkt. Ich würde mich wirklich freuen, wenn Du kommst! – das hatte sie geschrieben. Dabei war das gar nicht nötig gewesen. Natürlich hatte ich ihr Event schon seit Wochen auf dem Schirm. Immerhin war es Emmies Abend. Sie war nicht meine beste Freundin, aber sie war Sams Freundin gewesen. Genau deshalb beschlich mich manchmal das Gefühl, sie wäre die Einzige, die mich wirklich verstand. Meinen Schmerz, meine Taubheit und die ganz allgemeine Leere, die Sam hinterlassen hatte, weil er alles, was er angefasst hatte, so berührt hatte. Und Emmie, tja, die musste Sam überüberall berührt haben. Zumindest ließ ihr Blick darauf schließen.

Lay down with me, die Geschichte einer schlaflosen Mathematikstudentin, war ein voller Erfolg. Jeder im Kinosaal war begeistert, wobei noch während des Abspanns Tränen geflossen waren. Eigentlich sollte Emmie strahlen, die Aufmerksamkeit und die prickelnden Champagnergefühle genießen, mit denen sie überschüttet wurde. Alle wollten mit ihr anstoßen, sie umarmen und ihr eine grandiose Laufbahn in der Filmwelt versprechen. Von außen betrachtet hätte man sogar meinen können, sie würde diesen Abend genießen. Wie konnte sie auch nicht? Sie war jung und erfolgreich, lachte und strahlte, selbst wenn der Stoff ihres nachtblauen Kleids nicht gefunkelt hätte. Trotzdem war sie unbestreitbar da: die leise Leere in ihrem Blick, die nie verschwand, weil er verschwunden war.

Es ist egal, was ich mache, ich wünsche mir immer, dass er da wäre, verstehst du? Und ich meine damit nicht mal, dass er bei mir sein müsste, sondern schlicht, dass er da wäre. Dass er irgendwo auf dieser Welt wäre, wo er leben würde, einfach nur für sich, weil wie beschissen ist es bitte, dass sechsundzwanzigjährige Menschen mir nichts, dir nichts sterben können?

Das hatte sie bei unserem letzten Treffen gesagt, und ich hatte jedes einzelne Wort verstanden.

Was ich allerdings nicht verstand, war Aishas Nachricht. Ich überflog ihre Worte ein weiteres Mal, während ich die Lippen aufeinanderpresste. Warum schrieb sie überhaupt um kurz nach neun? Sie musste schon lange Feierabend haben und zog die Linie ihrer Work-Life-Balance doch sehr streng.

»Alles in Ordnung?«, fragte Leah, Emmies beste Freundin aus Deutschland, die plötzlich neben mir stand. Oder hatte sie das schon die ganze Zeit? Ich wusste es nicht.

Hastig steckte ich das Handy zurück in meine Tasche, bevor ich mein professionelles, falschechtes Lächeln aufsetzte und mich Leah zuwandte. Kurze blonde Haare, ein langes Kleid mit tiefem Ausschnitt. Auch sie war heute extra für die Premiere angereist, obwohl sie gerade sicherlich in irgendeinem Berliner Tonstudio sitzen sollte. Immerhin stand Leahs Musikkarriere laut Emmie kurz vor dem Durchbruch. Trotzdem war sie nach London geflogen und hatte mich jetzt gefragt, ob alles in Ordnung war, weil ich meinem Handy krampfhaft entgegengeblinzelt hatte.

In Ordnung? Ja, klar. Ich wollte heulen und wütend um mich schlagen und die Welt verklagen und wollte meinen Bruder zurück in meinem Leben, auf dieser Erde, in seiner Zweizimmerwohnung mitten im West End. Und als wäre das nicht schon genug, hatten meine Eltern sich gemeinsam mit meiner Managerin gegen mich verschworen und wollten mich aus London weghaben.

Logisch, dass ich das alles Leah nicht an Emmies Abend vor die Füße kotzen konnte. Hastig winkte ich deshalb ab. »Hab nur eine Nachricht von meiner Managerin bekommen.«

»Die machen echt nie Feierabend, oder?« Leah rollte mit den Augen. »Edgar textet mich andauernd zu den seltsamsten Zeiten zu. Gestern hat er mir nach drei Uhr morgens geschrieben, dass er in einer meiner neuen Songzeilen sehen in schauen tauschen würde. Und ich meine, er schreibt nicht mal an meinen Songs mit?«

Als meine Mundwinkel zuckten, fühlte es sich fast echt an. Gerade wollte ich sogar mein Glas heben, damit an Leahs stoßen und »Manager« in einem ironischen Unterton sagen, erstarrte allerdings mitten in der Bewegung. Ich konnte nichts dafür, das passierte ganz automatisch, weil ich ihn spürte, bevor ich ihn sah. So war das mit Connor Rutherford von Anfang an gewesen, selbst in diesen beschissenen Schulfluren, wo wir uns ständig über den Weg gelaufen waren.

Aber seit diesen täglichen Begegnungen war fast ein ganzes Jahrzehnt vergangen. Es ergab keinen Sinn, dass ich ihn immer noch so spürte, als hätte er mich überall getroffen, innerlich und äußerlich. Dabei hatten wir uns nicht mal berührt. Nie. Trotzdem drehte ich mich nach rechts und war kein bisschen überrascht, als ich ihn die letzte Treppenstufe in den Saal hinabsteigen sah.

Connor Rutherford.

Hochgewachsene Statur, blonde Locken, dunkle Augen.

Attraktiv, aber eigentlich gar nicht mein Typ und nie mein Typ gewesen.

Lässig mit einer Hand in seiner Hosentasche trat er in den Raum und schlug gleich mit ein paar Gästen ein. Branchenleute und Filmmenschen, die er alle kannte, weil er sich mit Anfang zwanzig und seiner eigenen Produktionsfirma selbstständig gemacht hatte. Ich beobachtete, wie er gleich in eine Gruppe integriert wurde. Wie alle ihn begrüßten und er sein beschissenes, beschissenes Lächeln lächelte. So strahlend und blendend, dass ich immer einen Tick zu genau hinsah, obwohl es mir wehtat.

»Connor hat es dann also doch geschafft«, murmelte Leah.

»Hatte er für heute eigentlich abgesagt?«, fragte ich so unbekümmert wie möglich.

»Er wusste nicht, ob er es schafft. Emmie meinte, er steckt gerade mitten in der Endphase eines Projekts, das er bald abgeben muss.«

»Verstehe«, flüsterte ich, kein bisschen darüber verwundert, dass er es doch geschafft hatte.

Es gab nichts, was Connor nicht konnte. Er war kreativ und intelligent, sportlich und nerdig, wenn es um spezielles Kamera-Equipment ging, von dem nicht mal Sam eine Ahnung gehabt hatte. Wenn man ihn googelte, hieß es auf etlichen Seiten, dass Connor Rutherford trotz seines familiären Hintergrunds etwas aus sich gemacht habe, ein Vorbild sei, der Beweis dafür, dass es nicht darauf ankam, woher du kommst, sondern darauf, wohin du willst. Nach meinem Geschmack klangen Sätze wie diese nach Motivationscoachings, die nur unnötig Geld kosteten, aber das änderte nichts an der Tatsache, wie sehr alle Connor als Filmemacher in der Branche bewunderten.

Ich trank einmal kräftig von meinem Gin und fragte mich, ob ich von außen betrachtet auch bewundernd wirkte, weil ich meinen Blick nicht von ihm nehmen konnte. Dabei war das Gegenteil der Fall.

Ich bewunderte ihn nicht.

Ich verachtete ihn nur ein bisschen, wegen allem, was passiert war.

Und während ich ihn noch zwei, drei Momente lang betrachtete, Connor, diesen wunderschönen Typen Mitte zwanzig, mit seinem strahlenden Lächeln, als könnte nichts auf der Welt ihm jemals etwas anhaben, obwohl auch er mit Sam einen der wichtigsten Menschen in seinem Leben verloren hatte, sah er mich keine einzige Sekunde lang an.

Auch das überraschte mich nicht.

Das war ebenfalls schon immer so gewesen, von Anfang an, selbst damals.

Ich hatte ihn zuerst gesehen, aber sein Blick war zuallererst auf Elle gelandet.

Und das war die zweitgrößte Tragödie in meinem Leben.

4

Blair

I’M A LITTLEMUCHFOREVERYONE

Mein Fehler bestand darin, dass ich die weise Stimme in mir ignorierte.

Von dem Moment an, in dem Connor die Veranstaltung betreten hatte, hatte sie mir flüsternd geraten, Emmie ein letztes Mal zu beglückwünschen, mich zu verabschieden und dann zu verschwinden. Die Stimme hatte mich davor gewarnt, dass es keine gute Idee war, noch einen Drink zu ordern. Einen dritten, einen vierten, einen fünften. Davor, die große Fläche zu betreten, auf der die Leute die Hüften zu einem Remix wiegten, den ich eigentlich schrecklich fand.

Doch was die weise Stimme mir riet, war egal.

Selbstbewusst steuerte ich die Raummitte an und zog Leah mit mir. Schwitzige Haut presste sich an meine, während der Boden unter mir vibrierte. Am Pult drehte der DJ jetzt voll auf, sodass der Bass meinen Herzschlag bestimmte. Ich liebte es, meinen Körper im Rausch so sehr zu spüren, dass ich mich selbst nicht mehr fühlte.

Es war das einzige gute Gefühl, das ich noch fühlen konnte.

Diese Erkenntnis war traurig, doch ich war so mit meinem torkeligen Tanzen beschäftigt, dass ich meine Gedanken ignorierte. Ich schloss sogar die Augen, um mich vollkommen auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Ich lebte den Moment, ohne mich zurück in die Vergangenheit zu wünschen. In meinem Hinterkopf, irgendwo ganz, ganz, ganz weit von mir entfernt, machte ich mir eine gedankliche Notiz, Mum davon zu erzählen und ihr dann zu sagen, dass ich Anils Healing-Sessions nicht nötig habe.

Immer tiefer ließ ich mich in diesen Augenblick sinken, wobei meine Bewegungen intuitiver wurden. Dumpf drang dabei Leahs Stimme an mein Ohr, allerdings klang sie so verzerrt, als schallte sie von einem anderen Planeten zu mir herüber. Vielleicht redete sie von »Pause« und »Wasser«, sicher war ich mir jedoch nicht, weil die Musik viel lauter war, und laut meine Sprache war. Ich fühlte jeden Zentimeter meines Körpers, während ich umherwirbelte, mich um die eigene Achse drehte und mir gleichgültig war, wer zusah. Ich wurde immer schneller und freier. Der Beat fiel, mein Herz blieb stehen. Es fühlte sich fast so an, als würde ich förmlich über den Boden fliegen.

Ganz vielleicht spürte ich womöglich, wie mir mein Körpergefühl entgleiste. Aber das beunruhigte mich nicht. Ich drehte mich weiter und weiter, die Augen unbeirrt geschlossen, bis sich Fliegen plötzlich wie Fallen anfühlte, weil mein gesamter Körper gegen etwas Hartes und Kaltes stieß.

Scheiße.

Es pulsierte stechend hinter meiner Stirn, während jeder Zentimeter meiner Haut sich wie ein großer blauer Fleck anfühlte. Stark schmerzend, wenn man ihn berührte. Und irgendwie berührte mich gerade überall dieses kalte, harte Etwas. Blinzelnd öffnete ich die Augen und …

Moment.

Lag ich wirklich auf dem Boden? Wie benebelt blickte ich auf fremde Schuhe von fremden Menschen, da spürte ich unvermittelt sehnige Arme, die sich unter mich schlangen und mich anhoben.

»Wahrscheinlich wäre es besser, wenn wir ihr die hohen Schuhe ausziehen.«

Emmie.

Das war definitiv Emmies Stimme. Mit rasendem Puls wandte ich mich nach links, wo sie mich neben Leah panisch anblickte. Ein blonder Kopf neben einem dunkelhaarigen. Dabei waren sie nicht diejenigen, die mich gerade stützten.

»Hast du dir wehgetan?«, fragte Emmie sofort.

Leicht verwirrt schüttelte ich den Kopf.

Ringsum wurde immer noch getanzt, die Musik schallte lauter. Alles war in Ordnung, nur nichts mit mir.

»Geht es?«, fragte eine andere Stimme. »Kannst du allein stehen?«

Nicht Emmies.

Nicht Leahs.

Sie war tiefer und viel vertrauter, weil ich sie schon fast mein halbes Leben lang hörte. Alle Blutpartikelchen in mir gefroren, während ich seine Arme instinktiv von mir abschüttelte.

»Mir geht’s gut«, sagte ich, ohne mich in Connors Richtung zu drehen.

Ich schlang die Arme um meinen eigenen Oberkörper, als könnte ich mir selbst Halt geben, was nicht funktionierte. Erneut verlor ich das Gleichgewicht, sodass Connor mich wieder stützen musste. Bestimmt verharrte seine große Hand auf meiner Taille. Gar nicht besitzergreifend oder heiß, weil er ein Typ mit großen, starken Händen war, der sich wie ein Gentleman um mich kümmerte. Er hielt mich bloß so, wie man jemanden hielt, der nicht mehr selbst stehen konnte.

Das war nicht heiß.

Das war erniedrigend.

Und ich war selbst daran schuld.

»Wie viel hat sie getrunken?«, fragte er, als wäre ich nicht da, und ich wollte auch protestieren, doch meine Augen fielen wie automatisch zu.

»Vier, fünf Gläser vielleicht?« Leah. Das war jetzt wieder Leahs Stimme.

»Fuck«, fluchte Connor.

»Ich bringe sie nach Hause.« Emmie. Emmie wollte sich um mich kümmern.

»Keine Chance«, protestierte er. »Das ist dein Abend.«

Dein Abend, den ich versaut habe. Es tut mir so leid, Emmie.

Die Worte wummerten hinter meiner Stirn, allerdings fühlte sich meine Zunge zu locker an, als dass ich ernst gemeinte Worte mit ihr formen konnte.

»Ich mache das«, hörte ich Connor sagen, und ich glaubte, sie diskutierten eine ganze Weile, während ein Remix den nächsten jagte. Sein Arm stützte mich dabei immerzu, bis ich eine Hand auf meiner Schulter spürte. Nicht so groß und warm, kleiner und leichter. Irgendwie schaffte ich es, die Augen zu öffnen.

Ich erkannte Emmie. Sie war mir so nah, dass ich sie verschwommen sah. Oder lag es am Alkohol? Ich hatte keine Ahnung. Keine Ahnung von nichts.

»Hey, Blair«, flüsterte sie. »Wir organisieren dir jetzt eine Wasserflasche und dann bringt Connor dich nach Hause, ja?«

Ich schüttelte den Kopf und wollte darauf beharren, dass ich das allein konnte. Wasser trinken. Nach Hause gehen. Auf mich aufpassen. Aber ich spürte Connors Hand weiterhin auf meiner Taille, und meine Kehle schnürte sich zu. Statt ein Wort hervorzubringen, registrierte ich, wie es hinter meinen Lidern zu tränen begann. Gleichzeitig erschien Leah wieder neben Emmie. Dass sie weg gewesen war, hatte ich nicht einmal mitbekommen. Jetzt streckte sie mir eine Wasserflasche entgegen.

»Hier.« Sie drehte den Verschluss für mich auf. »Das wird dir guttun.«

Keine Ahnung, wie ich es schaffte, zu trinken, ohne dass die Hälfte mir übers Gesicht lief. Keine Ahnung, wie lange mich Emmie zum Abschied umarmte, obwohl ich schrecklich nach Alkohol und Desaster riechen musste. Keine Ahnung, wie Connor es schaffte, mich unversehrt nach draußen zu manövrieren, wo er mich weiterhin stützte und gleichzeitig auf seinem Handy herumtippte.

»Das Uber ist in sechs Minuten da«, sagte er.

Unsicher hob ich das Kinn und beäugte ihn doch. Connor, den ich unscharf und trotzdem so klar sah. Connor, der nicht nach einem Desaster ausschaute, so wie ich, obwohl wir denselben Menschen verloren hatten. Wie unversehrt er wirkte.

Wie vorbildlich.

Wie inspirierend.

Aber vielleicht täuschte der Schein auch, und er riss sich bloß für die Außenwelt zusammen. Vielleicht zerbrach er nur zu Hause in all seine Einzelteile. Zu Hause bei Elle, seiner Freundin.

»Du musst mich nicht nach Hause bringen«, brachte ich krächzend hervor.

»Blair, du kannst nicht mal alleine gehen, ohne umzufallen.«

Ein Teil von mir wünschte sich, Connor hätte mir den Satz wütend und vorwurfsvoll an den Kopf geknallt. Doch da war nur jämmerliches Mitleid.

Ich tat ihm leid.

Genau deshalb schob er mich jetzt in dieses Uber. Dabei berührte er mich, aber er berührte mich so unschuldig und effizient, als wollte er mich keine einzige Sekunde zu lang anfassen. Anschließend setzte er sich mit mir auf die Rückbank, bevor der Motor gestartet wurde. Unter mir ruckelte es, während mir die Augenlider instinktiv wieder zufielen. Ich schlug sie lediglich wieder auf, weil Connor mich so verflucht sanft an der Schulter rüttelte.

»Blair«, flüsterte er. »Wir sind da.«

Ich nickte fahrig, richtete mich auf und schaffte es, mir nicht die Beine beim Aussteigen zu brechen. Connor gab dem Fahrer Trinkgeld, ehe er mit mir gemeinsam meine Haustür ansteuerte. Doch ich blieb stehen und schüttelte den Kopf, den Schlüssel schon in meiner Hand.

»Du musst mich nicht nach oben bringen.«

»Blair«, begann Connor protestierend, brach jedoch ab, weil ich mich aus seinem Griff befreite. Anschließend torkelte ich zu meiner Haustür und wollte den Schlüssel gerade ins Schloss stecken, da fiel er mir aus der Hand.

Innerlich fluchend ging ich in die Hocke, was sich in meinem betrunkenen Zustand als fast unmöglich gestaltete. Und dann – endlich! Ich bekam den Schlüssel zu fassen, richtete mich auf, kippte fast nach hinten, fing mich in letzter Sekunde, spürte Connors Blick auf mir, so als würde er alles von mir mit seinen Augen durchleuchten, ignorierte das, hielt mein Gleichgewicht, hob die Hand mit dem Schlüssel und … ließ ihn wieder fallen.

»SCHEISSE«, rief ich diesmal laut, während Connor sich in Bewegung setzte.

»Lass mich das für dich machen«, flüsterte er. »Bitte, Blair.«

Er flehte sogar, um mir helfen zu dürfen. Ich sagte nichts, als er mir den Schlüssel aus der Hand nahm und aufschloss. Dann die Treppen zu meiner Wohnung. Wie er hinter mir herging, wahrscheinlich aus Angst, ich könnte erneut fallen. Aber Connor würde mich wieder auffangen, ganz egal, dass ich nicht mehr zu retten war und innerlich schon längst auf dem Boden lag. Auf meiner Etage schloss er ebenfalls auf, bevor ich in die Wohnung trat und er auf der Türmatte verharrte.

»Kann ich dir noch irgendwie helfen?«, fragte er leise.

Ich lehnte mich gegen die Wand und wollte meine Füße aus diesen beschissenen High Heels befreien, doch scheiterte. Wieder strauchelte ich und landete mit meinem Hintern auf dem Boden. Ich sah, wie Connor mir dabei zusah.

Als die Tränen diesmal hinter meinen Lidern brannten, ließ ich sie laufen. Connor hingegen stand nur da, auf meiner Türmatte im Licht meines Treppenhauses, während er so nett war, die Grenze zu meiner Wohnung nicht zu überschreiten.

Starr blinzelte ich gegen die Decke. »Bitte geh einfach, okay?«

»Ich werde dich garantiert nicht so alleine lassen.«

»Warum?« Ich drehte ihm das Gesicht zu. »Hast du Sam etwa versprochen, dass du dich um seine arme, kleine Schwester kümmerst, oder wieso liegt dir heute Abend plötzlich so viel an meinem Wohlergehen?«

Meine Worte waren gemein, meine Stimme klang schrill. Doch Connor erwiderte nichts, so als würden meine Sätze nicht scharf genug schneiden. Als würde er trotz allem aus Mitleid bleiben und auf mich achtgeben, weil ich die Schwester seines toten besten Freundes war. Doch ich wollte nicht, dass er blieb. Ich ertrug weder seinen Blick noch seine Nähe. Er musste verschwinden.

»Und grüß Elle von mir, wenn du zu Hause bist, ja?«, schoss ich deshalb hinterher, weil ich wusste, dass die Erinnerung an seine perfekte Freundin dafür ausreichen würde, dass er mich verließ.

Ich behielt recht. Raketenruckartig spannte sich jeder Muskel in Connors Körper an, während sein Adamsapfel auf und ab hüpfte.

Ziel erreicht.

Einen Moment verharrte er noch so. Einen allerallerletzten Moment. Er in meinem Treppenhaus, ich auf meinem Fußboden. Sein Blick traf auf meinen, als wären sie dort in der Luft verabredet. In meinem Brustkorb wurde es nicht warm, sondern heiß. So als würde mein Herz glühen. So als wäre es nicht bereits längst verkohlt, weil es vor Jahren supernovamäßig zu einem schwarzen Loch implodiert war. Damals, in diesem anderen Leben, wo alle ihr Happy End bekommen hatten. Alle, außer mir. Zwei, drei Sekunden betrachteten wir uns so. Dann atmete Connor tief durch, und unser Moment war vorbei.

»Gute Nacht, Blair«, flüsterte er.

Seine Stimme echote noch lange im Treppenhaus nach, obwohl er schon längst verschwunden war.

5

Blair

YEARSWENTAWAY, STILL, THEYEARNINGSTAYED

Ich kroch in mein Schlafzimmer.

Auf allen vieren, wie ein verletztes Tier, das kurz vorm Verrecken war. Wie ich es in mein Bett schaffte, war mir ein Rätsel. Mein Herz glühte immer noch, schwarz und verkohlt.

Ich hasste das.

Ich hasste Connor.

Seinen Blick. Seine charmante Art und sein perfektes Sonnenlächeln.

Ich hasste es, dass ich völlig betrunken auf meiner Matratze lag, meine Decke anschaute und trotzdem an ihn dachte. Wie mein Puls dabei raste.

BOOM. BOOM. BOOM.

Instinktiv tastete ich auf dem Nachttisch nach meinem Handy. Es war nicht da. Vielleicht war das ein Wink vom Universum, mir mitzuteilen, dass es keinen Grund dafür gab, zum millionsten Mal nach Gründen für mein Herzrasen zu googeln. Hinter meiner Stirn tippte ich meine vertrauten Suchanfragen trotzdem.

Ruhepuls 120

Herzrasen Ursachen

Herzkrankheit Anzeichen

Herzschlag im Bauch spüren

Herzkrankheit angeboren oder nicht

Herzrhythmusstörungen wie erkennen

Ich sah die Ergebnisse vor meinem inneren betrunkenen Auge aufleuchten, weil ich sie bereits auswendig kannte. Stress. Panik. Angstattacke. Arzt aufsuchen. Überweisung zum Kardiologen. Untersuchen. Ultraschall. Google konnte mir nie beantworten, ob ich ernsthaft krank war oder nicht. Wie unverschämt, alles ganz detailliert erfragen zu können, aber nie eine konkrete Antwort zu erhalten.

Die Gedanken in meinem Kopf drehten sich schwindelig, während meine Lider immer wieder zufielen. Kurz bevor mein Körper endgültig vollkommen betrunken und beschädigt wegdämmerte, blieb ich mit meinem Blick an diesem Buchrücken hängen. Kein Roman, nur eines meiner alten Skizzenbücher. Ich besaß etliche von ihnen, über die Jahre angesammelt. Doch dieses eine war anders als alle anderen. Dieses Skizzenbuch war voller Farben und Gedanken.

Bleib liegen. Bleib liegen. Bleib liegen.

Die weise Stimme in mir wollte, dass ich endlich einschlief, damit meine Gedanken aufhörten, sich zu drehen. Doch ich konnte nicht. Dieses verfluchte Skizzenbuch zog mich magisch an. Wie beim Aufräumen, wenn ich nostalgisch an wiedergefundenen Geburtstagskarten und vergessenen Polaroids hängen blieb. Aber ich räumte nicht auf. Es gab keinen logischen Grund dafür, dass ich mich jetzt erhob, torkelnd und zu unsicher, damit ich dieses Skizzenbuch aus dem Regal ziehen konnte. Meine Bewegungen waren so ungelenk und unkontrolliert, dass meine Schulter dabei gegen ein Brett stieß und das Möbelstück wackelte. Ein betrunkenes Erdbeben inmitten meines Schlafzimmers. Gleichzeitig war ich so aus der Puste, dass ich mit dem Skizzenbuch auf den Boden sank. Das Regal wackelte wieder. Es hätte mit seinem gesamten Gewicht auf mich stürzen können. Ich hatte Glück, aber eigentlich hatte ich nie Glück gehabt, wie ich keine Sekunde später feststellte, als meine Finger das Buch schon aufschlugen. Es war schwer und wuchtig, mit dickem Papier und leuchtend getrockneter Farbe. Collagenartige Kunstwerke tummelten sich zwischen den Seiten, die ich als Teenagerin beklebt und bemalt hatte, mit Zeilen meiner Lieblingssongs und Flyerfetzen versehen hatte. Creating Junk. So hatte ich meine kleinen, experimentellen Collagen mit fünfzehn getauft, die nie jemand zu Gesicht bekam. Verschiedene Texturen, verblasste Kassenbons, zerfledderte Konzertkarten. Eigentlich war dieses Skizzenbuch ein Tagebuch. Die Idee war von einer damaligen YouTube-Künstlerin geklaut, die ausgebrannt war und versuchte, sich langsam wieder an ihre Kreativität heranzutasten. Damals hatte ich sogar ihre Schreibart mit der Du-Form übernommen. Jetzt fuhren meine Finger über die Seiten, über getrocknete Farbe und glatte Fotooberflächen. Wenn ich nüchtern gewesen wäre, mich konzentriert und mich ganz, ganz, ganz genau erinnert hätte, hätte ich an einigen Stellen sogar meine handschriftlichen Worte unter den Pinselstrichen und Zeichnungen erkannt. Meine geheimen Gedanken, die ich niedergeschrieben hatte, damit sie aus meinem Gehirn verschwanden. Ich hatte es damals poetisch gefunden, über meine Gefühle zu schreiben und sie dann zu übermalen. Ich war fünfzehn gewesen. Ich war verliebt gewesen.

Creating Junk

Seite 23, vor acht Jahren, überklebt mit Selfie-Polaroids und Lyrics von Sparks Fly, übermalt mit Acrylfarbe, Magenta und Lichtgelb

In den besten Freund seines Bruders verliebt sein. Was für eine aufregend romantische Vorstellung, bis sie Realität wird. Dann sind dieses ständige Herzrasen und Hoffen, dass ENDLICH