Menomorphosen - Jule Ronstedt - E-Book

Menomorphosen E-Book

Jule Ronstedt

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Beschreibung

Ein Buch wie ein Hormoncocktail: heiß, unberechenbar und sehr, sehr wirksam.  Ob am Altkleidercontainer, in der Gynäkologinnenpraxis, im leergeräumten Kinderzimmer oder bei einem ersten Date: Die Frauen in Menomorphosen stehen mitten im Leben – und oft am Rand des Wahnsinns. Mit scharfem Blick, radikalem Humor und poetischer Wucht erzählen sie von Aufbrüchen und Abstürzen, der Abwesenheit von Sex, einem Übermaß an Gefühlen – und nicht zuletzt von der lust- und leidvollen Suche nach einem passenden Ich. Schauspielerin, Regisseurin und Drehbuchautorin Jule Ronstedt zeigt schonungslos, was passiert, wenn Frauen nicht verschwinden, sondern sichtbar bleiben –  wütend, wild, witzig.    Ein Buch für alle, die schon mal dachten: "Ich bin nicht mehr die Alte – und das ist gut so."  "26 Geschichten über Frauen, die so unterschiedlich sind wie ihre Hormonpegel. Witzig und packend." Caroline Link – Regisseurin und Oscar-Preisträgerin (Nirgendwo in Afrika)

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Seitenzahl: 242

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Menomorphosen

JULE RONSTEDT, 1971 in München geboren, ist Regisseurin, Drehbuchautorin und Schauspielerin, u. a. bekannt für ihre Rollen in Aus heiterem Himmel, Franzi und Wer früher stirbt ist länger tot. Die Idee für ihr literarisches Debüt Menomorphosen entstand durch die plötzliche Konfrontation mit dem Älterwerden und Gespräche mit anderen Frauen – mit ihren Geschichten bringt sie einen Chor aus Stimmen zum Klingen, die sonst viel zu selten gehört werden. Jule Ronstedt lebt in ihrer Heimatstadt München.

Ein Buch wie ein Hormoncocktail: heiß, unberechenbar und sehr, sehr wirksam.Ob am Altkleidercontainer, in der Gynäkologinnenpraxis, im leer geräumten Kinderzimmer oder bei einem ersten Date: Die Frauen in Menomorphosen stehen mitten im Leben – und oft am Rande des Wahnsinns. Mit scharfem Blick, radikalem Humor und poetischer Wucht erzählen sie von Aufbrüchen und Abstürzen, der Abwesenheit von Sex, einem Übermaß an Gefühlen – und nicht zuletzt von der lust- und leidvollen Suche nach einem passenden Ich.Schauspielerin, Regisseurin und Drehbuchautorin Jule Ronstedt zeigt schonungslos, was passiert, wenn Frauen nicht verschwinden, sondern sichtbarbleiben – wütend, wild, witzig.Ein Buch für alle, die schon mal dachten:»Ich bin nicht mehr die Alte – und das ist gut so.«»26 Geschichten über Frauen, die so unterschiedlich sind wie ihre Hormonpegel. Witzig und packend.«Caroline Link – Regisseurin und Oscar-Preisträgerin(Nirgendwo in Afrika)

Jule Ronstedt

Menomorphosen

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ISBN 978-3-96161-275-8

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Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

ANNABELLE

BERTA

CORA

DORIS

ELLI

FRIDA

GRETA

HERMINE

IRENE

JOLANDA

KERSTIN

LEYLA

MILINA

NELE

OLGA

PAULA

QUENDOLIN

RUTH

SINA

TABEA

ULLA

VERENA

WIEBKE

XENIA

YVONNE

ZOE

DANK

UND

WIDMUNG

Social Media

Cover

Titelseite

Inhalt

ANNABELLE

ANNABELLE

Unglaublich! Fast zehn Uhr – und ich liege immer noch im Bett. Aber was soll ich machen? In letzter Zeit war ich kaum noch zu Hause, ein gesellschaftlicher Empfang jagt den nächsten, gestern wurde es schon wieder nach Mitternacht. Meine neue Strategie funktioniert einfach fabelhaft. Denn seit einigen Wochen ziehe ich in meinem neuen Ich durchs Leben – und was sich mir dabei an Optionen auftut, ist geradezu sensationell.

Die gestrige Hochzeit zum Beispiel – überwältigend! Hundertfünfzig Gäste, weiße Rosen, eine Big Band mit atemberaubender Sängerin, festlich gedeckte Tafeln, das mediterrane Büfett vom Allerfeinsten. Ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Fisch, Lammfilets, Garnelen mit unzähligen Beilagen und Salaten – als wäre ich versehentlich im Schlaraffenland gelandet. Danach die Hochzeitstorte mit Tischfeuerwerk und eine Dessertpalette, da hätte ich mich am liebsten reingelegt. Habe fast alles durchprobiert. Allerdings spüre ich meinen Magen heute ein wenig. Zu viel Champagner ist auch nicht gut, stelle ich fest – die Kellner in Livree hielten mir pausenlos ein neues Glas vor die Nase, als gäbe es kein Morgen.

Es war ein Mittwoch auf dem Wochenmarkt, als ich es zum ersten Mal begriff. Ich stand in der Schlange vor dem Blumenhändler, hielt einen Strauß oranger Tulpen in der Hand, den ich bezahlen wollte, und wartete geduldig. Vor mir wurde die gestresste Mutter mit Kinderwagen abkassiert, daneben der schicke junge Herr mit Aktenkoffer, hinter mir zwei kichernde Mädchen. Nur mich, mich übersah der Verkäufer. Und zwar konsequent.

Ich räusperte mich. Wedelte vorsichtig mit dem Geldschein. Versuchte es mit einem energischen: »Entschuldigung?«

Nichts. Kein Blick. Kein Wort. Der Blumenhändler reagierte überhaupt nicht.

Nach ein paar Minuten war meine Geduld am Ende. Empört verließ ich den Pulk und stieg in die nächste Trambahn – den Strauß Tulpen noch immer in der Hand.

Erst dort fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich bin unsichtbar.

Die Leute sehen mich nicht mehr. Oder, noch schlimmer, sie sehen durch mich hindurch.

Hatte nicht auch Linus, der Junge hinter der Theke meines Lieblingscafés, mich heute Morgen ignoriert? Seit Jahren wechselte ich beim Bezahlen des täglichen Cappuccinos ein paar freundliche Worte mit ihm. Doch weder Lächeln noch Winken hatte heute geholfen. Er war so im Bann der rot gelockten Studentin an der Bar gewesen, dass alles Fuchteln meinerseits umsonst war.

Es gibt ihn ja manchmal, diesen einen, großen Moment, in dem der Groschen fällt. Wie in dieser großartigen Szene, in der Tobey Maguire plötzlich kapiert, dass er nicht nur ein nerdiger Collegeboy ist, sondern auch Spinnenfäden verschießen und Wände hochlaufen kann.

Die Trambahnfahrt nach Hause war mein Spiderman-Moment.

Ich wurde permanent übersehen. Ein Zustand, der mich eben noch gekränkt hatte, entpuppte sich plötzlich als … Superkraft.

Der Fahrkartenkontrolleur, der in diesem Moment unverrichteter Dinge an mir vorbeizog, um die Schüler hinter mir nach ihrem Ticket zu fragen, bestätigte meine Erkenntnis.

Auf dem Heimweg fiel mir der Tarnumhang aus den dicken Harry-Potter-Bänden ein, die ich vor Jahren meinen – inzwischen erwachsenen – Kindern vorgelesen hatte.

Dieser wundersame Umhang, mit dem Harry und seine Freunde ungesehen durch Gänge huschten, sich an Gefahren vorbeischlichen, verbotene Räume betraten, Geheimnisse belauschten, war ein wahres Geschenk zur richtigen Zeit.

Unsichtbarkeit war also kein Manko. Kein Zeichen des Alterns, der Bedeutungslosigkeit oder gar die Endstation auf dem gesellschaftlichen Abstellgleis. Nein. Sie war ein Abenteuer. Die Eintrittskarte in eine neue Welt.

Ich stellte die wunderschönen, unbezahlten Tulpen in die Vase, holte mir ein Notizbuch und begann zu planen. Wenn ich schon nicht mehr wahrgenommen wurde, wollte ich wenigstens stilvoll davon profitieren.

Noch am selben Abend hatte ich nach gründlicher Recherche im Veranstaltungskalender mein erstes Ziel: ein Kulturempfang in der Stadthalle. Eingeladen waren wichtige Persönlichkeiten aus Theatern, Museen und anderen kulturellen Einrichtungen, denen die Stadt bei Musik und Büfett danken wollte, so stand es in der Zeitung.

Mir hatte niemand gedankt, als meine Filiale schloss und mir gekündigt wurde. Kein Händedruck. Keine warmen Worte. Nur ein trauriger Karton mit meinen persönlichen Dingen und die Kaffeetasse mit hässlichem Logo, aus der ich schon die letzten sechzehn Jahre getrunken hatte.

Ich fand, mir stand mehr zu!

Ich optimierte mein Outfit bis ins Detail, um gründlich übergangen zu werden. Mein persönlicher Tarnumhang: gedeckte Farben, konservativ, einen Hauch Eleganz – auf keinen Fall zu billig und auch nicht zu schön. Zufrieden stand ich in einem schlichten, dunklen Kostüm, einer cremefarbenen Bluse, braunen Halbschuhen und einer großen Handtasche, die ich von meiner Großmutter geerbt hatte, vor dem Spiegel. Ein wenig Puder, dezentes Rosa auf den Lippen, und die halblangen Haare ordentlich geföhnt – fertig war mein zweites Ego:

Sympathisch. Farblos. Sofort vergessbar.

Ich nannte sie Martha Meier.

Die Schlange vor der Stadthalle war lang. Perfekt. Ich hielt Ausschau nach einem passenden Statisten zum Andocken – einem alleinstehenden Mann, der optisch glaubwürdig zu mir passte. Tatsächlich stand da ein älterer Herr mit Hornbrille und Eintrittskarte in der Hand, der nach pensioniertem, verhärmtem Kulturamtsleiter aussah. Vor ihm wartete ein junges Pärchen, beide mit starrem Blick auf ihre Mobiltelefone. Hinter ihm: zwei herausgeputzte, stark geschminkte Damen, angeregt in ein Gespräch über die letzte Opernpremiere vertieft.

Unauffällig stellte ich mich einen halben Schritt versetzt hinter den Herrn, warf den Damen einen entschuldigenden Blick zu und gab ein Handzeichen, als gehörte ich zu ihm. Sie machten sofort höflich Platz, ließen mich in die Schlange und unterhielten sich weiter.

Langsam schob sich die Gesellschaft durch die Einlasskontrolle. Der bebrillte Herr vor mir zückte artig seine Einladung. Ich senkte den Blick, klammerte mich an meine Handtasche und glitt, mit klopfendem Herzen, hinter ihm durch das offene Tor hinein.

Es funktionierte. Die Superkraft war aktiviert. Niemand hielt mich auf, keiner fragte nach meinem Ticket.

Ich war drin – Teil der Festgesellschaft, in der mich niemand kannte.

Sofort nahm ich mir ein Glas Weißwein vom Tablett, um auf diesen ersten Erfolg anzustoßen. Höflich lächelnd, einigen Unbekannten zunickend, zog ich eine Runde durch den Festsaal.

In einem der opulenten Spiegel des Ballsaals fiel mein Blick auf eine ernste, ältere Dame mit Handtasche. Ich musste laut lachen, als ich begriff: Das war ja ich! Ich hatte mich selbst nicht mehr erkannt – diese unscheinbare, grau gekleidete Frau mit Brille und eingedrehten Haaren. So herrlich nichtssagend, dass niemand auf die Idee käme, sie anzusprechen, aus Angst, vor lauter Langeweile ins Koma zu fallen oder sich durch eine tragische Lebensgeschichte den Abend ruinieren zu lassen.

Mein Magen knurrte.

Das Büfett war leider noch nicht eröffnet.

Zunächst musste man einige langatmige Reden über gekürzte Gelder, neu gegründete Förderkreise und die dringende Sanierung des Heimatmuseums über sich ergehen lassen.

Ich applaudierte pflichtbewusst.

Dann endlich ging es zum »ungezwungenen Miteinander« über: Bratwürste wurden auf den Grill gelegt, Salatplatten abgedeckt, Bierfässer angezapft.

Mit einem großen Teller widmete ich mich der kulinarischen Auswahl und begann aufzuladen: Couscous, Gurkensalat, Lachs, Senfsauce, ein halbes Ei, zwei Würste, Quiche, gebratene Austernpilze, ein wenig Brot und sehr viel Käse.

Der Kellner mit dem Tablett kam exakt im richtigen Moment vorbei – diesmal nahm ich den Blauburgunder aus Südtirol.

Halb verborgen hinter einer dekorativen Topfpalme, stand ich in einer Ecke an einem Stehtisch und speiste königlich von meinem riesigen, kostenlosen Teller. Schon nach der Hälfte war ich satt – aber ich war bestens vorbereitet: Der Rest wanderte schnell in die mitgebrachte Tupperdose, die ich still und heimlich wieder in meiner Handtasche verstaute.

Mit meinem lächerlichen Arbeitslosengeld konnte ich keine großen Sprünge machen, geschweige denn dermaßen schlemmen.

Mein neues Konzept ging auf. In Zukunft würde ich noch oft gratis essen. Meine Unsichtbarkeit öffnete mir Türen in eine Welt voller Freigetränke, Häppchen und interessanter Begegnungen. Ich hatte ein neues Hobby. Ein neues Leben, das meinen arbeitslosen Alltag füllen, meine Laune steigern würde.

Die letzten Wochen hatten mir zugesetzt, die Kündigung nagte an mir. Da konnte der Filialleiter noch so nett erklären, dass die Deutsche Post Stellen abbaut und Schalter schließt, weil sich die Menschen keine Briefe mehr schreiben – mein Ego war im Keller.

Offenbar war ich zu alt, zu teuer, zu oft krank. Das war’s.

Nach ein paar Wochen ohne Aufgabe hatte ich einige graue Haare und ein paar Falten mehr im Gesicht. Der Lack blättert von ganz allein ab, wenn du mit Ende fünfzig so erschüttert wirst. Und wenn du dann noch auf zwölf Bewerbungen keine einzige Antwort erhältst, löst du dich unvermeidlich in ein Nichts auf.

Jetzt, im Bewusstsein meiner neu entdeckten Superpower, hatte ich endlich wieder etwas zu tun: Jeden Vormittag studierte ich akribisch, wie eine Detektivin, im Café die Zeitung. Mein Fokus lag nicht mehr auf einem netten Schwätzchen mit Linus oder den Stellenangeboten, sondern auf dem Kulturprogramm und den Terminen der Stadtverwaltung, zu denen auch Beerdigungen, Taufen und Hochzeiten gehörten. Ich wusste genau, wann was wo passierte. Wo immer es Häppchen gab, war ich nicht weit. Je nach Stimmung wählte ich aus – wobei ich die amüsanteren Veranstaltungen den Trauerfeiern meist vorzog.

Martha Maier wurde zur zweiten Haut, in die ich täglich schlüpfte, mein Leben auf einmal vielseitig und bunt. Unsichtbar und übersehen schleuste ich mich in Freilichtkonzerte und auf Theaterpremieren ein, besuchte Vernissagen in Galerien und Museen oder tanzte auf runden Geburtstagen als entfernte Verwandte. Es war fantastisch!

Mein Tarnumhang eröffnete mir ganz neue Welten. Reiche Familien, fremde Branchen, künstlerische Kreise, wie ich sie zuvor nie kennengelernt hatte. Sogar ein paar Telefonnummern charmanter Herren flogen mir – nein, Martha – zu.

Mein Selbstbewusstsein bekam einen Schub, während ich zwischen Canapés und Champagnerflöten durch die Stadt glitt.

Ich trug volle Einkaufstüten aus kleineren Supermärkten, die technisch noch in den Neunzigern hängen geblieben waren, nahm mir Zeitungen aus den Zeitungskästen, bediente mich an Warenständern vor dem Drogeriemarkt, als hätte ich bereits drinnen bezahlt, aß in schicken Hotellobbys Torte und ging wortlos, weil sowieso keiner die Rechnung brachte. All das geschah in absoluter Ruhe, unaufgeregter Selbstverständlichkeit, perfektionierter Unauffälligkeit. Das war die Kunst!

Nur ein einziges Mal geriet ich ins Schlingern.

Ich hatte mir für eine anstehende Hochzeit im Freien einen neuen Hut mit flatternden Bändern ausgesucht. Gerade als ich das Kaufhaus verlassen wollte – den Hut auf dem Kopf, als würde er schon immer zu mir gehören –, wurde ich von einem nervösen, rotwangigen Mann aufgehalten.

»Moment! Ich hab Sie beobachtet – den haben Sie noch nicht bezahlt.« Der Kaufhausdetektiv deutete auf die Kopfbedeckung und versperrte mir den Weg Richtung Ausgang.

»Nein!? Ach du lieber Himmel! Das ist ja unglaublich!«

Durch einen gespielten Schreck konnte ich ihn davon überzeugen, dass ich das Prachtstück auf meinem Kopf einfach vergessen, während ich ja die Strumpfhose in meiner Tüte bezahlt hatte, »… ich schusseliges Huhn! So was. Ist mir wirklich noch nie passiert …«. Mit einer aufrichtigen Entschuldigung und entsprechender Nachzahlung kam ich davon.

Mit Hut und heiler Haut lief ich glücklich durch die Stadt.

Was für ein Adrenalinkick!

Ich musste aufpassen, meine Unsichtbarkeit nicht zu verlieren, so sehr strahlte ich inzwischen.

An einem Dienstagvormittag vor dem Standesamt, gerade warf ich fröhlich mit meinem neuen Hut Reis auf ein mir unbekanntes Brautpaar, klingelte mein Mobiltelefon.

Ein Herr von der Agentur für Arbeit teilte mir mit, dass die Einladung zu einem kurzfristigen Vorstellungsgespräch eingegangen war. Eine Bekannte hatte mich wärmstens empfohlen – ich nehme an, es war Elli, die in der Lizenzabteilung des gleichen Unternehmens arbeitete –, und ich könne schon am nächsten Freitag vorsprechen, die Adresse sei … – In diesem Moment flog der Brautstrauß durch die Luft, und es ertönte lauter Jubel. Schnell schaltete ich das Handy aus. Auf keinen Fall wollte ich das Gruppenfoto und den Sektempfang im Park verpassen.

Nein. Meine Prioritäten waren klar gesetzt.

Noch wollte ich mein lustiges Leben als Martha nicht aufgeben. Noch brauchte die gekündigte, übergangene Annabelle eine Prise Abenteuer. Anarchie. Spaß. Telefonnummern. Noch war es zu früh, sich über eine neue Anstellung zu freuen.

Vergnügt schlenderte ich der Hochzeitsgesellschaft über die Wiese im Park hinterher. Eine riesige Tafel wartete dort, üppig bedeckt mit Erdbeertörtchen, Canapés und Sekt Rosé. Die Sonne schien durch die blühenden Zweige, ein Akkordeonspieler spielte ein französisches Liebeslied, und ein paar freche Spatzen spekulierten mit mir auf die belegten Brötchen.

Es war angerichtet.

Für mich. Und Martha Maier.

BERTA

Bei mir wird es da unten immer enger. Und trockener. Vaginale Atrophie. Scheidentrockenheit.

Mein Vorschlag für das Unwort des Jahres! Alles tut weh, und wenn alles wehtut, dann versucht man es nicht immer wieder, sondern lässt es irgendwann ganz. Du bestellst dir ja auch nicht ständig Chicken Vindaloo, wenn dir danach die Klappe brennt. Da versiegt nämlich der Heißhunger. Und das tut weder meinem Mann noch unserer Ehe gut.

Da ich aber keinen Bock habe, dass mein Mann mich nach sechsundzwanzig Jahren harmonischer Durchschnittsehe für einen jungen Hasen verlässt, weil ich ihn nicht mehr ranlasse, bin ich zu meiner Frauenärztin geeilt und habe sie nach einiger Überwindung um Rat gefragt. Das ist ja echt ein heikles Thema, und so intim! Darüber lässt sich nicht mal mit Freundinnen sprechen, ohne sich zu blamieren.

Leider reden wir nie so ungeniert miteinander, wie das die Frauen in den amerikanischen Serien tun. Die frisch gebotoxt, perfekt in Shape und in ihren neuesten Stilettos in einer Bar sitzen, Aperol trinken und dabei ganz entspannt über die Verengung ihrer Vagina, die Dicke des Schwanzes ihres neuen Lovers oder Schamlippen-Bleaching reden.

Nee, das geht nicht – weder mit Olga, die nichts auf ihren Jakob kommen lässt, noch mit Paula, mit der man eigentlich über viel reden und auch Geheimnisse teilen kann, aber bei Karl hört der Spaß dann auf. Da würde sie nie ins sexuelle Detail gehen.

Im Speckgürtel der Großstadt redet frau über Klamotten oder gerade getätigte Schnäppchen oder über die neuesten Erfolge im Job oder noch lieber über die Erfolge der Kinder. Vielleicht auch mal über Streitereien mit dem Göttergatten, den gutaussehenden Nachhilfelehrer oder, wenn man sich sehr vertraut ist, über eine aufregende Affäre, von der niemals jemand erfahren darf, vor allem nicht der Ehemann.

Aber über eins reden wir nie: über unseren Körper, unsere Sexualität. Und schon gar nicht über unsere nicht mehr gut befeuchtete, brennende Möse.

Meine Frauenärztin reagierte sehr cool.

»Ein Dildo gehört in jeden guten Haushalt«, sagte sie und empfahl, mir umgehend einen zuzulegen. Mittlere Größe. Plus Gleitgel. Gegen den Schleifpapiereffekt. Um wieder »reinzukommen«, geschmeidig zu werden. Um in mir etwas auszulösen, was am Ende vielleicht meine Ehe rettet.

»Die Evolution ist gnadenlos, so ist es leider. Mit Ende vierzig hat man als Frau sein biologisches Soll erfüllt. Die Fortpflanzung hat stattgefunden. Danach kannst du gerne sterben. Auf Wiedersehen. Oder eben: aktiv dagegenwirken.« Meine Ärztin hatte eine verblüffend direkte Art, die Dinge beim Namen zu nennen.

»Vor hundert Jahren waren die Frauen bereits tot, bevor die Wechseljahre überhaupt einsetzten. Gott sei Dank werden wir aber alt und älter und sterben nicht mehr mit zweiundfünfzig. Nein! Es geht hoffentlich noch ’ne Weile weiter …«

Sie könne also keinen besseren Rat geben, als meine Vagina zu trainieren und meinen Mann dabei einzubinden.

»Use it or lose it!«

Ich bin ihrem ärztlichen Vorschlag gefolgt und habe tatsächlich noch in derselben Woche einen Erotikshop aufgesucht.

Das erste Mal in meinem Leben! Mit roten Backen schlich ich schamgebeutelt und geduckt zwischen den Regalen herum und betrachtete verstohlen die bunten, sehr unterschiedlich großen Geräte. Modelle in allen Hautfarben, allen erdenklichen Formen, mit und ohne Adern, mit und ohne Gürtel, mit und ohne Vibration wurden angeboten.

Aber auch andere Spielzeuge, deren Sinn und Zweck sich mir allerdings selbst nach genauerer Betrachtung nicht erschlossen. Federn? Kugeln? Ketten? Ich kannte mich einfach nicht aus.

Wenn man sich über zwanzig Jahre in einer festen, gut funktionierenden Beziehung eingerichtet und viel zu viel Angst vor den Konsequenzen einer Affäre hat – geschweige denn Appetit auf fremde Männerkörper –, dann lebt man erotisch gesehen auf einem anderen Planeten.

Offenbar sah man mir das an.

Der Verkäufer, ein junger, hübscher Asiate mit sehr langen, hellblau lackierten Fingernägeln und weißen Strähnen im schwarzen Haar, nahm sich meiner an.

»Soll es eher ein Appetizer oder gleich Crème brûlée flambiert sein?«, fragte er mich verschmitzt.

»Ich würde sagen, ich suche das Amuse-Gueule«, flüsterte ich dankbar.

Der Junge war ein echter Profi!

»Verstehe, meine Liebe. Da wird sich doch was Pikantes für dich finden. Moment … hier hätten wir dieses kleinere Exemplar. Gibt es in drei Farben, auch mit Glitzer.«

Plötzlich war es nicht viel schwerer, als ein Paar Schuhe zu kaufen.

Zu Hause vergrub ich die Tüte mit dem eingeschweißten Phallus erst einmal in der untersten Schublade hinter der Bettwäsche.

Eine Woche später, als Mark für ein paar Tage auf Geschäftsreise war, kramte ich nach einem ausgiebigen, entspannenden Bad den Appetitanreger wieder hervor, um mich in aller Ruhe mit meiner neuesten Errungenschaft vertraut zu machen.

Ich hatte mich für einen rosafarbenen, eher kleinen Gummivibrator entschieden, der auf Knopfdruck in drei Stufen – low-medium-high – lossurrte. Nachdem ich aus Angst vor einem Stromschlag mehrfach die Gebrauchsanweisung studiert hatte, legte ich mich im Bademantel auf unser Bett und begann. Ganz langsam und in Stufe »low« besuchte ich vibrierend zunächst meine Oberschenkel, meinen Venushügel, näherte mich – vorsichtig wie ein Teenager, der sich unsicher ist, wie weit er gehen darf – meinen Schamlippen und schließlich meiner Möse.

Ich erregte mich.

Als ich eine ordentliche Portion Bio-Gleitcreme »Deluxe« auf den Gummischwanz drückte, konnte ich es schon kaum erwarten, dieses Ding tief in mich hineinzustecken.

Und tatsächlich: Es tat kaum weh. Die Lust war größer. Mir reichte »medium« – »high« hätte mich völlig überfordert.

Weil ich nicht gleich begriff, wie man das Gerät wieder ausschalten konnte, kam ich sehr schnell zweimal hintereinander.

Da ging also noch was. Ohne Schmerzen. Zugegeben, der Schwanz meines Göttergatten war um einiges größer. Aber mit ein bisschen Übung und Vorarbeit war plötzlich alles wieder denkbar.

Ich säuberte das Gerät wie empfohlen und war wild entschlossen das Training fortzusetzen, um meinen Liebsten demnächst in hübscher Wäsche zu überraschen.

So begeistert, wie ich gehofft hatte, war Mark dann leider nicht. Er wurde schon skeptisch, als ich ihn verführerisch ins Schlafzimmer zog. Zu lange war das nicht passiert. Zu oft hatte er einen Korb bekommen.

»Was ist denn mit dir plötzlich los …? Habe ich irgendwas nicht mitbekommen?«

»Ich hab geübt«, hauchte ich ihm ins Ohr.

»Du hast was?! Na super! Und mit wem, wenn ich fragen darf?«

»Wart’s ab!« – Ich versuchte, erotisch geheimnisvoll zu bleiben.

Als ich im Halbdunkel nach meinem neuen Übungsgerät angelte und es ihm schließlich sexy und stolz entgegenhielt, war er außer sich.

Unglaublich, aber wahr: Er war eifersüchtig!

Eifersüchtig auf einen kleinen Gummischwanz.

Ich fand seine Reaktion völlig absurd und übertrieben, schließlich hatte ich all das ja in bester Absicht und größter Hoffnung auf eine gemeinsame sexuelle Zukunft in Angriff genommen.

Wir diskutierten eine Stunde, bis ich ihm endlich klarmachen konnte, dass dieser Gummipimmel besser war als ein jüngerer Liebhaber, eine Scheidung oder weiterhin zero Sex, bis einer von uns im Sarg lag.

Ich erklärte ihm, dass ich hier konstruktiv Hilfsmittel einsetzte, um uns beide wieder in körperliche Wallung zu bringen. Dass dazu natürlich zwei gehörten, und dass ich mir wirklich Mühe gab – was er ja hoffentlich an der teuren Seidenwäsche bemerkt hatte –, und dass er jetzt, im wahrsten Sinne des Wortes, bitte nicht den Schwanz einziehen solle, während ich mich mit Gleitcreme und Vibrator so weit aus dem Fenster lehnte wie nie zuvor.

Wenn wir streiten, statt zu vögeln, kriegen wir selten die Kurve, dann gibt es kein Zurück mehr zum romantischen Moment. Doch irgendetwas machte ihn dann doch an – vielleicht mein Wutausbruch mit knallharten Nippeln in schwarzer Spitzenunterwäsche oder mein vor Empörung wackelnder Hintern. Ich weiß es nicht, jedenfalls musste Mark auf einmal wahnsinnig lachen, zog mich zu sich, nahm mir das Gerät aus der Hand und drückte auf »on«.

Dabei schoss ihm die Erinnerung an unser wildes Sexleben zwanzig Jahre zuvor endlich in den Unterleib.

Mein Liebster ließ sich tatsächlich auf den Versuch ein. Er fing an, mich mit und ohne Vibrator zu bearbeiten. Und zwar in meinem Tempo – und machte auch sonst alles, was ich vorschlug.

Es war nicht leicht für ihn, seine routinierten Vögelpfade zu verlassen. Nach tausend Jahren Ehe glaubte Mark schließlich zu wissen, welche Handgriffe bei mir gut funktionierten. Aber als er merkte, wie aktiv, überraschend und leidenschaftlich ich noch immer sein konnte, wenn er mir nur die nötige Zeit ließ – da gab es kein Halten mehr.

Der Vibrator törnte uns beide an, machte erfinderisch, und lange hatten wir in unserem Ehebett nicht mehr so herumgeturnt wie in dieser Nacht. Sämtliche Stellungen der letzten dreißig Jahre holten wir aus der Mottenkiste, steigerten uns in Lautstärke, Lust und Liebesbekundungen, bis wir irgendwann eng umschlungen erschöpft und glücklich einschliefen.

Elektrisiert flog ich durch den nächsten Tag.

Auf dem Weg nach Hause kaufte ich einen riesigen Blumenstrauß, den ich mit der Nachricht »Es hat funktioniert!« in der Praxis meiner Gynäkologin für sie persönlich abgab.

Jahre war ich nicht mehr so befriedigt, so zuversichtlich und so frisch in meinen Mann verliebt gewesen wie an diesem Freitag.

Freitag ist auch der Tag, an dem alle zwei Wochen unsere Putzhilfe Leyla zu uns kommt.

Erst als ich die Einkäufe für das Wochenende – inklusive Champagner und weißen Kerzen für bevorstehende Nächte – ins Haus brachte und Leyla gerade lächelnd die Küche wischte, fiel es mir wieder ein: Der (benutzte!) Vibrator lag unter meinem Kopfkissen!

Und wie immer hatte sie den Auftrag, die Betten frisch zu beziehen. Oh mein Gott! Ich wäre am liebsten schlagartig im Erdboden versunken. Meine katholische Erziehung schlug Alarm.

Ich lief sofort ins Schlafzimmer. Zu spät, alles blitzte!

Die weiße, gestärkte Wäsche strahlte, das Zierkissen thronte ordentlich in der Mitte.

Ich sah mich um, öffnete die Schublade des Nachttischchens, nichts. Sah auf der Kommode nach, unter dem Bett, im Abfalleimer, im Badezimmer. Nichts.

Wo hatte sie das Ding verdammt noch mal hingelegt?

Ich ließ mich aufs Bett fallen und beschloss, dieses Zimmer nie wieder zu verlassen, um Leyla nicht unter die Augen treten zu müssen, geschweige denn, sie nach dem Verbleib meines rosafarbenen Vibrators zu fragen.

Mir wurde klar, wie peinlich ihr und mir in Zukunft jede Begegnung sein würde und dass bedauerlicherweise nur eine fristlose Kündigung alles wieder richten könnte.

Trug sie nicht ein Kreuz um den Hals? Oh mein Gott.

Mir fiel mein Religionslehrer ein – Herr Kollek –, der uns Teenagern eingebläut hatte, dass Selbstbefriedigung des Teufels sei und alle, die vor der Ehe vom Apfel der Sünde kosten würden, elendiglich in der Hölle braten würden.

Aaarrggghhhh!

Vor Scham und Schande drückte ich mir das Kissen ins Gesicht. Pfui, pfui, pfui! Das hast du jetzt davon. So eine Prägung sitzt tief.

Als ich wieder Luft holte, um nicht zu ersticken, und die Augen öffnete, fiel mein Blick auf das Fensterbrett.

Ich setzte mich auf. Hinter der Gardine lugte eine rosa Eichel hervor.

Da lag das Prachtstück. Leyla hatte den Vibrator diskret zur Seite gelegt, etwas versteckt und doch leicht zu finden.

Am liebsten hätte ich sie sofort dafür umarmt.

Ich verräumte das Spielzeug schnell in eine Schublade, ordnete mein Haar, gab mir einen souveränen Ruck und griff nach meinem Portemonnaie, um Leyla das Geld für ihre getane Arbeit zu geben.

Als ich zu ihr in die Küche kam, zog sie gerade ihren Mantel an.

Wie eine Schülerin, die in der mündlichen Prüfung nicht weiß, wie sie anfangen soll, versuchte ich mich umständlich für die Zumutung im Schlafzimmer zu rechtfertigen.

Leyla lachte nur und zog ihren knallig orangeroten Lippenstift nach.

»Ach, alles gut, Frau Geiger! Ist doch kein Problem. Manchmal helfen diese Spielzeuge. Wie lange sind Sie jetzt verheiratet?«

»Wir hatten letztes Jahr silberne Hochzeit.«

»Wow! Gratuliere. Da muss man schon offen sein für Neues. Sonst wird’s langweilig!« Leyla zwinkerte mir zu, doch meine Unfähigkeit, über meine jungfräulichen Sextoy-Experimente zu sprechen, ließ kein ungezwungenes Plaudern zu.

»Tja. Allerdings.«

»Mit meinem Ex habe ich es einige Jahre mit einer Lavalampe und Raumspray versucht.«

»Mit einer Lavalampe …?«

»Ja. Als Zeichen. Wenn der rote Phallus im Schlafzimmer leuchtete, war das für den Partner das Zeichen, dass man Lust hatte, bereit war. Dann konnte man sich schon beim Zähneputzen drauf einstellen. Noch was Hübscheres anziehen oder gleich nackt ins Bett springen.«

»Oh. Verstehe. Klingt gut.«

»Aber irgendwann hat er die Lampe immer öfter einfach wieder ausgeknipst und ist eingeschlafen. Da war mir klar: Das wird nichts mehr mit uns.«

»Das tut mir leid.«

»Alles okay. Mein Liebesleben ist gerade mein kleinstes Problem, glauben Sie mir. Ich besitze drei Vibratoren. Verschiedene Größen. Echt, mit denen ist es in gewisser Weise sehr viel unkomplizierter als mit meinen Verflossenen.«

Wir mussten lachen.

»Wollen Sie auch ein Glas?«, fragte ich Leyla und holte eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank. »Ich brauche jetzt dringend einen Schluck.«

Sie zog den Mantel wieder aus und setzte sich zu mir an den Küchentisch. Leyla war nur zwei Jahre älter als ich, hatte diverse Beziehungen und Jobs hinter sich – eine Biografie, die Bücher füllen könnte – und war mir dadurch an Lebenserfahrung um einiges voraus.

Bis es dunkel wurde, tranken wir Glas um Glas und plauderten aus unseren sexuellen Nähkästchen. Kamen vom »ersten Mal« auf unattraktive Partner mit Bauchansatz oder Drogenproblem, dann auf die Anzahl der Liebhaber (da konnte ich nicht mithalten!), schräge Fetische (auch das war mir neu!) und schließlich die Frage, ob Monogamie nicht rein körperlich eigentlich sehr unbekömmlich sei.

In unserer Offenheit standen Leyla und ich jetzt den Frauen in den amerikanischen Serien in nichts nach.

Irgendwann öffnete ich den Champagner, der eigentlich für mein nächstes Date mit Mark bestimmt war, aber nun das passendste Getränk zu diesem Abend schien.

Wir mussten dringend auf das Leben anstoßen.

Auf die Liebe!

Auf tabulosen Sex!

Und auf feuchte Mösen. Bis in alle Ewigkeit, Amen!

CORA

Ich weine, weil das Hirse-Dinkel-Brot beim Bäcker ausverkauft ist. Weine, weil ich meine Brille nicht finde, die mir auf dem Kopf sitzt, mir der Bus vor der Nase wegfährt, ich den schönen hellblauen Pulli klein gewaschen habe, mein Frühstücksei nicht weich, sondern steinhart ist. Ich weine, weil in den Nachrichten über so viele schreckliche Ereignisse berichtet wird, der Briefkasten heute leer war, der Regen nicht aufhört, ich meinen Schlüssel nicht finde und schon wieder eine Zigarette geraucht habe.