Merowinger und Karolinger - Matthias Becher - E-Book

Merowinger und Karolinger E-Book

Matthias Becher

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Beschreibung

Das Frankenreich unter den Merowingern und Karolingern, auf ehemals römischem Territorium entstanden, wuchs in die Rolle der dominierenden Macht im westlichen Europa hinein. Dabei entwickelte es Strukturen, die beispielhaft für benachbarte Regionen werden sollten. Ohne das Vorbild des Frankenreiches wären viele Entwicklungen im Mittelalter kaum vorstellbar: die Christianisierung, die karolingische Kultur, die Ausbildung mittelalterlicher Herrschaftsstrukturen wie das Lehnswesen und die Grundherrschaft, das Kaisertum. Matthias Becher, einer der wichtigsten Historiker der fränkischen Epoche, beschreibt anschaulich Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden bedeutenden Dynastien und wie sie mit ihren jeweiligen Mitteln Herrschaft, Kultur und Institutionen des mittelalterlichen Europa schufen.

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Geschichte kompakt

Herausgegeben vonKai Brodersen, Martin Kintzinger, Uwe Puschner, Volker Reinhardt

Herausgeber für den Bereich Mittelalter:Martin Kintzinger

Berater für den Bereich Mittelalter:Heribert Müller, Bernd Schneidmüller, Stefan Weinfurter

Matthias Becher

Merowinger und Karolinger

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung inund Verarbeitung durch elektronische Systeme.

© 2009 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), DarmstadtDie Herausgabe des Werkes wurde durchdie Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht.Einbandgestaltung: schreiberVIS, SeeheimRedaktion: Daphne Schadewaldt, WiesbadenSatz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-15209-4

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:eBook (PDF): 978-3-534-71423-0eBook (epub): 978-3-534-71424-7

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Inhaltsverzeichnis

Geschichte kompakt

    I. Die Entstehung des Frankenreiches unter den frühen Merowingern

1. Spätrömische Voraussetzungen: Die Franken und das Imperium

2. Chlodwig – primus rex Francorum

3. Die Franken: Siedlung, Recht, Sozialverfassung

4. Die Söhne Chlodwigs: Reichsteilung und weitere Expansion

5. Die Bruderkriege und die Ausbildung der drei Teilreiche

   II. Strukturen des Frankenreiches

1. Die ideellen Grundlagen königlicher Macht

2. Die realen Grundlagen königlicher Macht

3. Der königliche Hof

4. Die regionale Verwaltung

5. Die Kirche

6. Das Mönchtum

  III. Von den Merowingern zu den Karolingern

1. Reichseinheit und Eigenleben der Teilreiche

2. Der Aufstieg Pippins des Mittleren

3. Karl Martell

4. Bonifatius und die angelsächsische Mission

5. Der Dynastiewechsel von 751

6. Pippin als König: Beschützer des Papstes und Eroberer Aquitaniens

  IV. Karl der Große: Das Frankenreich auf dem Höhepunkt seiner Macht

1. Der junge König

2. Die Bewährungsprobe: Dreißig Jahre Krieg mit den Sachsen

3. Verwandtenstreit: Karl der Große und Tassilo III. von Bayern

4. Karl als Kaiser

5. Regelung der Nachfolge und Karls Tod

   V. Herrschaft und Verwaltung unter den Karolingern

1. Der Königshof

2. Die Amtsträger im Reich

3. Schriftliche Normsetzung und Bildung als Herrschaftsinstrumente

4. Das Kaisertum und die Reform des Reiches

  VI. Ludwig der Fromme: Von der Einheit zum Bruderkrieg

1. Die Anfänge Ludwigs des Frommen und die Ordinatio imperii

2. Die Aufstände der älteren Söhne

3. Das Ende Ludwigs des Frommen

4. Bruderkrieg und Reichsteilung

 VII. Die wachsende Eigenständigkeit der fränkischen Teilreiche

1. Gefährdungen von außen: Normannen und Sarazenen

2. Das Mittelreich unter Lothar I. und seinen Söhnen: Zwischen Einheit und Aufteilung

3. Das Westfrankenreich unter Karl dem Kahlen: Ein erfolgreicher Überlebenskampf

4. Das Ostfrankenreich unter Ludwig dem Deutschen und seinen Söhnen

5. Karl III. der Dicke und das Ende des karolingischen Imperiums

VIII. Das Ostfrankenreich nach 887: Zwischen gesamtfränkischer Tradition und Neuanfang

1. Arnulf von Kärnten und Ludwig das Kind

2. Ein Nachspiel: Konrad I. – der letzte ostfränkische Karolinger?

   IX. Rückblick und Ausblick: Das Frankenreich unter den Merowingern und Karolingern

Stammtafeln der Merowinger und Karolinger

Literatur

Personenregister

Geschichte kompakt

 

In der Geschichte, wie auch sonst,dürfen Ursachen nicht postuliert werden,man muss sie suchen. (Marc Bloch)

Das Interesse an Geschichte wächst in der Gesellschaft unserer Zeit. Historische Themen in Literatur, Ausstellungen und Filmen finden breiten Zuspruch. Immer mehr junge Menschen entschließen sich zu einem Studium der Geschichte, und auch für Erfahrene bietet die Begegnung mit der Geschichte stets vielfältige, neue Anreize. Die Fülle dessen, was wir über die Vergangenheit wissen, wächst allerdings ebenfalls: Neue Entdeckungen kommen hinzu, veränderte Fragestellungen führen zu neuen Interpretationen bereits bekannter Sachverhalte. Geschichte wird heute nicht mehr nur als Ereignisfolge verstanden, Herrschaft und Politik stehen nicht mehr allein im Mittelpunkt, und die Konzentration auf eine Nationalgeschichte ist zugunsten offenerer, vergleichender Perspektiven überwunden.

Interessierte, Lehrende und Lernende fragen deshalb nach verlässlicher Information, die komplexe und komplizierte Inhalte konzentriert, übersichtlich konzipiert und gut lesbar darstellt. Die Bände der Reihe „Geschichte kompakt“ bieten solche Information. Sie stellen Ereignisse und Zusammenhänge der historischen Epochen der Antike, des Mittelalters, der Neuzeit und der Globalgeschichte verständlich und auf dem Kenntnisstand der heutigen Forschung vor. Hauptthemen des universitären Studiums wie der schulischen Oberstufen und zentrale Themenfelder der Wissenschaft zur deutschen und europäischen Geschichte werden in Einzelbänden erschlossen. Beigefügte Erläuterungen, Register sowie Literatur- und Quellenangaben zum Weiterlesen ergänzen den Text. Die Lektüre eines Bandes erlaubt, sich mit dem behandelten Gegenstand umfassend vertraut zu machen. „Geschichte kompakt“ ist daher ebenso für eine erste Begegnung mit dem Thema wie für eine Prüfungsvorbereitung geeignet, als Arbeitsgrundlage für Lehrende und Studierende ebenso wie als anregende Lektüre für historisch Interessierte.

Die Autorinnen und Autoren sind in Forschung und Lehre erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Jeder Band ist, trotz der allen gemeinsamen Absicht, ein abgeschlossenes, eigenständiges Werk. Die Reihe „Geschichte kompakt“ soll durch ihre Einzelbände insgesamt den heutigen Wissenstand zur deutschen und europäischen Geschichte repräsentieren. Sie ist in der thematischen Akzentuierung wie in der Anzahl der Bände nicht festgelegt und wird künftig um weitere Themen der aktuellen historischen Arbeit erweitert werden.

Kai Brodersen     

Martin Kintzinger

Uwe Puschner     

Volker Reinhardt 

I.     Die Entstehung des Frankenreiches unter den frühen Merowingern

Ab ca. 250

Fränkische Überfälle auf die römische Reichsgrenze am Rhein

294/95

Ansiedlung der Franken als Laeten in Nordgallien

454/55

Zusammenbruch der römischen Ordnung in Gallien(Ermordung des Aëtius und Valentinians)

476

Untergang des weströmischen Reiches

481/82

Tod Childerichs I.

482–511

Chlodwig I.

511

Tod Chlodwigs, Teilung des Frankenreichs unter seine vier Söhne

529–534

Unterwerfung des Thüringerreichs

532

Eroberung des Burgunderreichs

537

Besetzung der Provence

561

Tod Chlothars, Reichsteilung unter seine vier Söhne

561–613

Innerdynastische Auseinandersetzungen (bella civilia)

1. Spätrömische Voraussetzungen: Die Franken und das Imperium

Die Franken werden in römischen Quellen erstmals kurz nach der Mitte des 3. Jahrhunderts genannt. Sie bildeten sich vermutlich aus älteren germanischen Völkern wie Chamaven, Brukterern, Chattuariern und Amsivariern, ohne sich zunächst zu einem Volk mit einheitlicher politischer Führung zu entwickeln. Der Name der Franken bedeutet wohl so viel wie ‚mutig, kühn, ungestüm, frech‘. Dagegen ist die Gleichsetzung von Franke mit Freier vermutlich sekundär. Die Franken siedelten am Nieder- und Mittelrhein und bildeten keine geschlossene politische Einheit, sondern bestanden aus mehreren Gruppen unter eigenen Anführern, die von den römischen Autoren duces, regales, aber auch reguli und reges genannt wurden. Einige fränkische Gruppen gingen seit der Mitte des 3. Jahrhunderts offensiv gegen das Imperium vor. Sie machten im Jahr 275 das Maasgebiet unsicher und nahmen Trier ein. Andere Franken betätigten sich gleichzeitig als Piraten und bedrohten vom Ärmelkanal und von der Nordsee her Nordgallien und Britannien. Um 290 profitierten Franken von innerrömischen Auseinandersetzungen und drangen entlang des Rheins auf römischen Reichsboden vor – etwa in das Gebiet der Bataver an der unteren Maas. Aber bald erstarkte das Imperium wieder und setzte den Eindringlingen wirksamen militärischen Widerstand entgegen. Gleichzeitig bahnte sich eine besondere Form der Zusammenarbeit an: Der römische Kaiser Constantius I. Chlorus siedelte 294/95 gefangene Franken als Laeten, halbfreie Wehrbauern, in Nordgallien an, anderen Franken wurden um diese Zeit Wohnsitze bei Trier zugewiesen.

Bis zur Mitte des 4. Jahrhunderts bedrohten die Franken die Rheingrenze nicht mehr ernsthaft – wohl ein Erfolg der Integrationspolitik Kaiser Konstantins des Großen, der sie systematisch für das römische Heer anwarb. Ein Aufstand gegen dessen Sohn Constantius II. führte ab 350 zum Zusammenbruch der nördlichen Rheinlinie. Erst der Caesar Julian Apostata konnte zwischen 355 und 358 die Lage stabilisieren, beließ aber anscheinend einigen Franken ihre Wohnsitze links des Rheins. Dies gilt auch für eine fränkische Gruppe, die von der Forschung mehrheitlich als Salier angesprochen wird. Sie waren von der Bataverinsel aus nach Toxandrien – die Gegend des heutigen Antwerpen – in der Provinz Germania secunda vorgedrungen und wurden von Julian besiegt, der ihnen dieses Gebiet dennoch zur Ansiedlung überließ. Die Integration ging so weit, dass Franken auch Karriere im kaiserlichen Heer machten, wie der rex Francorum Mallobaudes, der als comes domesticorum unter Kaiser Gratian römische Truppen gegen die Alemannen führte, oder Merobaudes, der sogar bis zum Heermeister aufstieg.

Auf der anderen Seite kam es seit ca. 390 wieder zu größeren militärischen Unternehmen von Franken gegen das Imperium. Die fränkischen duces Gennobaudes, Markomer und Sunno überschritten den Rhein und verwüsteten das Umland von Köln. Die Eindringlinge wurden von den Römern besiegt und zu Bündnisverträgen gedrängt. Auch am Main siedelten Franken, die 406/07 ihre Verpflichtungen gegenüber Rom erfüllten und sich Vandalen, Alanen und Sueben entgegenstellten – allerdings vergeblich: Die Eindringlinge konnten bei Mainz den Rhein überschreiten und nach Gallien eindringen. Damit brach die römische Grenzverteidigung bis zur Rheinmündung zusammen. Wenigstens blieben Teile der Franken ein Rekrutierungsreservoir für die Römer. Erst der Heermeister Aëtius konnte um die Mitte der 430er Jahre die Lage wieder stabilisieren, indem er u.a. die niederrheinischen Franken auf seine Seite zog. Die in Toxandrien siedelnden Franken (‚Salier‘) stießen um 445 unter ihrem König Chlodio/Chlojo in den Norden der Belgica secunda vor, wurden aber 448 von Aëtius besiegt und in dieser Provinz rund um Arras als Föderaten angesiedelt. Unter dessen Befehl kämpften sie 451 auf den Katalaunischen Feldern nahe Troyes erfolgreich gegen die nach Gallien vorgedrungenen Hunnen unter König Attila.

Mit der Ermordung des Aëtius 454 und Kaiser Valentinians III. 455 brach die römische Ordnung in Gallien endgültig zusammen. Verschiedene Kaiser und ihre gallischen Repräsentanten kämpften gegeneinander und stützten sich auf die verschiedenen germanischen Völker und Gruppen im Land. Die Franken konnten daher im Bund mit der einen oder anderen römischen Partei, aber auch ganz unabhängig von Rom ihre Gebiete vergleichsweise ungehindert ausdehnen. Die Franken aus dem Mittel- und Oberrheingebiet nahmen kurz vor 460 Mainz ein und bedrohten Trier, wo in den 460er und 470er Jahren der comes Arbogast, ein romanisierter Franke, eine römisch geprägte Herrschaft mit stark fränkischen Akzenten errichten konnte. Nördlich davon eroberten die niederrheinischen Franken endgültig Köln und errichteten ein faktisch eigenständiges Reich. Dessen König ging 469 ein Bündnis mit dem Burgunderkönig Gundowech ein, der als gallischer Heermeister zugleich Repräsentant römischer Autorität war. Diese Allianz ermöglichte es dem Kölner Herrscher, in der Folgezeit die mittelrheinischen Franken zu unterwerfen und die Herrschaft des Arbogast über Trier zu beenden. Sein Machtbereich – vom Geographen von Ravenna als Francia Rinensis bezeichnet – reichte seit ca. 485 bis nach Mainz und vielleicht sogar darüber hinaus.

Die Franken von Arras (‚Salier‘) besetzten spätestens in den Wirren nach 455 das Land bis zur Somme mit Cambrai. Die Chronologie ihrer Könige lässt sich kaum mehr rekonstruieren. Laut Gregor von Tours wurden sie von Chlodio/Chlojo und danach von dessen Sohn Merowech beherrscht, der sich in anderen zeitnahen Quellen allerdings nicht nachweisen lässt. Auf ihn folgte sein Sohn Childerich, über den Gregor von Tours berichtet, die Franken hätten ihn vertrieben, weil er sich an ihren Töchtern vergangen habe. Statt seiner hätten sie dann den römischen Heermeister Aegidius als neuen König akzeptiert, während Childerich Zuflucht bei den Thüringern suchen musste und angeblich erst nach acht Jahren zurückkehren konnte. Dennoch kämpfte er 463 auf Seiten des Aegidius gegen die Westgoten. Dessen Nachfolge trat 465 der comes Paulus an, der 469 wiederum mit Hilfe der Franken unter Childerich die Westgoten zurückschlagen konnte. Childerichs Aktionsradius war also beachtlich, und bereits er kann als eine ernstzunehmende Größe in Gallien gelten.

Grab des Königs Childerich

481 oder 482 starb Childerich und wurde in Tournai bestattet. Sein Grab wurde im Jahr 1653 gefunden und erregte schon damals großes Aufsehen. In seinen Grabbeigaben spiegelt sich Childerichs Stellung als Frankenkönig und gleichzeitig als römischer Offizier wider. „Der König war mit seinem Pferd, in voller Tracht mit Waffen, Insignien und einem Schatz von Gold- und Silbermünzen bestattet worden. Die prunkvolle Art der Bestattung, die Form der Waffen und der goldene Handgelenkring kennzeichnen den fränkischen König, der Siegelring, die goldene Zwiebelknopffibel und das paludamentum (der von der Fibel gehaltene Mantel) den hohen römischen Offizier“ (EWIG, Merowinger, S. 17). Bei den gefundenen Goldmünzen handelt es sich um mehr als 100 Solidi, die unter den oströmischen Kaisern Leon I. und Zeno geprägt worden waren, also unter Zeitgenossen Childerichs. Besondere Bedeutung kommt dem Siegelring mit der Aufschrift CHILDERICI REGIS zu, denn er zeigt, dass der König mit lateinischem Verwaltungsschriftgut zu tun hatte. Die Titulatur macht weiter deutlich, dass er mehr war als ein ‚warlord‘ und Anspruch auf eine legitime Herrschergewalt erhob, ein Anspruch, den auch Bischof Remigius von Reims in einem Brief an Childerichs Sohn Chlodwig anerkannte.

2. Chlodwig – primus rex Francorum

Wohl nicht unmittelbar, aber vermutlich doch kurze Zeit nach Childerichs Tod gratulierte Bischof Remigius von Reims Chlodwig zu dessen Herrschaftsantritt:

Q

„Es ist zu uns die laute Kunde gelangt, daß Du die Verwaltung der Belgica secunda übernommen hast. Es ist nicht überraschend, daß Du so zu sein beginnst, wie Deine Vorfahren immer gewesen sind. Du mögest insbesondere erwirken, daß Gottes Urteil sich von Dir nicht wegwendet, sobald es sich um Dein Verdienst handelt, das durch Deinen demütigen Eifer den höchsten Gipfel erreicht. Wie das Sprichwort sagt, bewährt sich das Handeln des Menschen am Ende. Du mußt Ratgeber beiziehen, die Deinem Rufe förderlich sind. Deine Gunstbezeigungen seien rein und ehrenhaft. Du sollst Deine Bischöfe hochachten und auf ihren Rat immer Rücksicht nehmen; sobald Du mit ihnen übereinstimmst, wird es Deinem Lande wohlergehen. Fördere Dein Volk, richte die Unterdrückten auf, sorge für Witwen und Waisen, …, alle mögen Dich lieben und fürchten“

(Epistolae austrasicae Nr. 2, S. 113; Übers.: ZÖLLNER, Geschichte, S. 45f.).

Neben einer genauen Datierung ist in der Forschung vor allem umstritten, ob der Brief auf die Übernahme einer offiziellen römischen Position – etwa als Sprengelkommandant oder Föderatengeneral in der Provinz Belgica secunda – durch Chlodwig hindeutet oder allein auf einen Herrschaftsantritt als fränkischer König. Von Franken ist jedoch nicht die Rede, sondern allein von der genannten Provinz und deren Verwaltung, administratio. In Kombination mit dem Königstitel Chlodwigs deutet dies auf ein Fortbestehen der fränkischen (im Sinne eines Teils der Franken) und römischen Herrschaftsgrundlagen des jungen Merowingers.

Chlodwig ließ diese Anfänge jedoch bald hinter sich. Um 480 wurde Gallien von vier politischen Mächten dominiert. Die verschiedenen fränkischen Könige beherrschten den Nordosten und griffen auch auf rechtsrheinisches Gebiet über. Südwestlich davon herrschte der Römer Syagrius, ein Sohn des Aegidius. Er residierte in der Stadt Soissons, und Gregor von Tours gab ihm in der Rückschau den vermutlich anachronistischen Titel rex Romanorum. Das Land südlich der Loire war Teil des Westgotenreiches von Toulouse, das zugleich große Teile der spanischen Halbinsel beherrschte. Im Südosten Galliens hatte sich das Reich der Burgunder mit der Hauptstadt Lyon gebildet. Im Osten schließlich, zwischen fränkischem und burgundischem Gebiet, waren die Alemannen von ihrem rechtsrheinischen Ausgangsgebiet aus nach Gallien vorgedrungen.

Wir wissen nicht, warum es zum Krieg Chlodwigs mit Syagrius kam, jedenfalls besiegte der Franke 486 oder 487 zusammen mit einem anderen salfränkischen Teilkönig, Ragnachar von Cambrai, den römischen Machthaber von Soissons. Chlodwig verlegte seine Residenz in diese Stadt und nahm die geschlagenen Truppen seines Gegners in seinen Dienst. Allmählich eroberte er das gesamte Territorium des Syagrius, so dass er bis zum Beginn der 90er Jahre des 5. Jahrhunderts unmittelbarer Nachbar von Westgoten und Burgundern geworden war. Mit diesen schloss Chlodwig ein Bündnis und heiratete die burgundische Prinzessin Chrodechilde, eine Katholikin. Diese suchte ihren heidnischen Gemahl zum rechten Glauben zu bekehren – laut Gregor von Tours zunächst erfolglos. Gleichzeitig gab es an Chlodwigs Hof auch andere religiöse Orientierungen, denn Lantechild, eine Schwester des Königs, bekannte sich zum Arianismus. Eine andere Schwester, Audofleda, hatte zudem den Ostgotenkönig Theoderich geheiratet, den mächtigsten Barbarenkönig im Westen, der ebenfalls Arianer war. Auf der anderen Seite bekannte sich die große Mehrheit der Romanen zum Katholizismus. In deren Sicht galt der Arianismus als Häresie.

E

ArianismusChristliche Glaubenslehre des Bischofs Arius, der zufolge Gottvater und -sohn nicht wesensgleich, sondern lediglich wesensähnlich sind. Diese Auffassung wurde auf dem Konzil von Nicäa 325 verurteilt. Als „Arianer“ wurden aber auch die Anhänger anderer christlicher Lehren über die Wesensähnlichkeit von Vater und Sohn bezeichnet bzw. abgewertet. In diesem Sinne waren auch die meisten germanischen Völker Arianer.

Übertritt Chlodwigs zum Christentum

Chlodwig nahm am Ende ebenfalls den katholischen Glauben an. Seine Entscheidung war schon bald Gegenstand von Legenden, deren bekannteste Gregor von Tours überliefert:

Q

„Die Königin aber ließ nicht ab in ihn zu dringen, daß er den wahren Gott erkenne und ablasse von den Götzen. Aber auf keine Weise konnte er zum Glauben bekehrt werden, bis er endlich einst mit den Alamannen in einen Krieg geriet: da zwang ihn die Not, zu bekennen, was sein Herz vordem verleugnet hatte. Als die beiden Heere zusammenstießen, kam es zu einem gewaltigen Blutbad, und Chlodovechs Heer war nahe daran, völlig vernichtet zu werden. Als er das sah, erhob er seine Augen zum Himmel, sein Herz wurde gerührt, seine Augen füllten sich mit Tränen und er sprach: ‚Jesus Christ, Chrodichilde verkündet, du seiest der Sohn des lebendigen Gottes; Hilfe, sagt man, gebest du den Bedrängten, Sieg denen, die auf dich hoffen – ich flehe dich demütig an um deinen mächtigen Beistand: gewährst du mir jetzt den Sieg über diese meine Feinde (…), so will ich an dich glauben und mich taufen lassen auf deinen Namen. Denn ich habe meine Götter angerufen, aber, wie ich erfahre, sind sie weit davon entfernt, mir zu helfen. Ich meine daher, ohnmächtig sind sie, da sie denen nicht helfen, die ihnen dienen. Dich nun rufe ich an, und ich verlange, an dich zu glauben; nur entreiße mich aus der Hand meiner Widersacher.‘ Und da er solches gesprochen hatte, wandten die Alamannen sich und fingen an, zu fliehen (…). [Das geschah im fünfzehnten Jahr seiner Regierung.]“ (Gregor, Historiae II, 30, S. 75f.; Übers.: BUCHNER, Bd. 1, S. 117).

Die Glaubwürdigkeit von Gregors Bericht wurde zum Teil heftig bezweifelt und ebenso heftig verteidigt. Anlass für Kritik sind die fehlende Lokalisierung und die nur in einigen Handschriften vermerkte Datierung, die auf 496/97 verweist. Daher hat die moderne Forschung verschiedene andere Daten für Chlodwigs Bekehrung zwischen 496 und 508 vorgeschlagen. Entscheidender als die Datierung ist jedoch die Frage, ob es tatsächlich das Schlachtenglück gegen die Alemannen war, das Chlodwig zu seinem Schritt veranlasste. Immerhin bezeichnete Bischof Nicetius von Trier um 560 in einem Brief an Chlodwigs Enkelin Chlodoswinde nicht den Alemannensieg als Bekehrungserlebnis, sondern die Wunder, die am Grab des heiligen Martin in Tours geschahen. Der Glaubenswechsel des Königs sei, so Nicetius weiter, tatsächlich auch durch militärische Erfolge bewirkt worden – allerdings gegen die häretischen Könige der Westgoten und Burgunder. Nicetius akzentuiert Chlodwigs Motive demnach etwas anders als Gregor. Mehrere Generationen nach Chlodwigs Übertritt zum katholischen Christentum kursierten also anscheinend verschiedene Versionen über das Geschehen. Festzuhalten bleibt, dass für die Zeitgenossen ein Wink Gottes selbst bzw. eines wichtigen Heiligen Chlodwig zur Konversion bestimmt hat. Die Parallelen zu Konstantin dem Großen sind auffällig und gewollt. Zumindest für Gregor spielte die Tradition des ersten christlichen Kaisers eine entscheidende Rolle, und so bezeichnet er Chlodwig an anderer Stelle seines Werks auch als novus Constantinus, als neuen Konstantin.

Wie Konstantin hat vermutlich auch Chlodwig erkannt, dass die christliche Religion ihm von Nutzen sein konnte. Schließlich bekannten sich die meisten seiner Untertanen zu dieser Religion. Zudem stand er seit seiner frühesten Jugend in engem Kontakt mit katholischen Bischöfen. Daher dürfte dem Franken bewusst gewesen sein, dass der Übertritt zum katholischen Glauben für ihn und sein Volk vorteilhafter war. Möglicherweise versprach er sich für die bevorstehende Auseinandersetzung mit den im südlichen Gallien herrschenden arianischen Westgoten einen Vorteil, denn er ließ seinen Übertritt zum katholischen Christentum überall bekannt machen. Das Antwort- bzw. Glückwunschschreiben des Bischofs Avitus von Vienne, der dem arianischen Burgunderkönig untertan war, ist erhalten und zeigt das Echo, das der Schritt Chlodwigs in Gallien hervorrief.

Q

„[I.] Euren scharfen Geist haben die Anhänger von allerlei Sekten mit ihren verschieden gerichteten, vielfältigen, aller Wahrheit baren Lehrmeinungen als dunkle Christen zu benebeln gesucht. (…) Ja, es hat für unsere Zeit die göttliche Vorsehung einen Mann der Entscheidung gefunden! Indem Ihr für Euch wählt, gebt Ihr das Urteil für alle; so ist Euer Glaube – Unser Sieg. [II.] Es pflegen die meisten in einem solchen Fall – wenn Mahnung der Priester oder Zuspruch irgendwelcher Genossen sie dahin bringt, daß sie im Glauben Gesundung suchen – sie pflegen die Gewohnheit ihres Geschlechtes und den Brauch von vatersher entgegenzusetzen. So stellen sie zum Verderben ihre Scham über ihr Heil, und indem sie ihren Eltern in Bewahrung des Unglaubens unnütze Verehrung erweisen, bekennen sie, daß sie eigentlich gar nicht wissen, worum die Wahl geht. Möge nun, nach so wunderbarem Geschehen, die schädliche Scham auf diese Entschuldigung verzichten! Ihr, dem von dem ganzen uralten Stammbaum der bloße Adel genug ist, Ihr habt gewollt, daß alles, was den Gipfel der Hoheit irgend zu zieren vermag, für Eure Nachkommenschaft bei Euch den Ausgang nehme. Gutes habt Ihr geerbt, Besseres wolltet Ihr vererben: Ihr verantwortet Euch vor den Vorfahren dahin, daß Ihr auf Erden regiert; Ihr gabet es den Nachfahren zum Gesetz, daß Ihr im Himmel regieren möget.“ (Avitus, Opera, S. 75f.; Übers.: VON DEN STEINEN, Chlodwigs Übergang, S. 480ff.).

Avitus deutet an, dass Chlodwig mit der Taufe auf wichtige Zuschreibungen aus seinem bisher behaupteten Stammbaum verzichtete. Vermutlich meinte er damit eine Abstammung von den Göttern, die bis dahin Chlodwigs Herrschaft über die Franken legitimiert haben dürfte. Die Abwendung vom Heidentum war also schon an sich ein revolutionärer Akt, nur dass dieser Aspekt in der Forschung oft genug hinter der Alternative Katholizismus – Arianismus zurücktritt. Den meisten Franken fiel die Abkehr von der alten Religion sicher nicht leicht. Es ist daher wohl kein Zufall, dass der König seinen populus, sein Volk oder besser seine Großen, zunächst befragte und dass sich zusammen mit ihm 3000 seiner Gefolgsleute taufen ließen. Beides hebt Gregor von Tours eigens hervor. Auch wenn diese Zahl wohl der Bibel (Apg 2, 41) entlehnt ist, spricht der Bericht doch insgesamt dafür, dass der König diese Entscheidung nicht allein getroffen hat, sondern dass er sich in dieser fundamentalen Frage mit seinem Volk abgestimmt hatte. Womit aber hatte Chlodwig seine Krieger von der Richtigkeit des Religionswechsels überzeugt? Hier mag Gregor von Tours mit seiner Deutung des Alemannensieges letztlich das Richtige gesehen haben: Der militärische Erfolg Chlodwigs war es, der es ihm ermöglichte, sich vom alten Glauben ab- und dem neuen zuzuwenden. Das Kriegsglück war Chlodwigs eigentliche Legitimation zu herrschen und damit auch die Religion zu wechseln, unabhängig von der Frage, ob er sich während einer bestimmten Schlacht dazu entschied.

Was machte nun die christliche Religion in ihrer katholischen Form so attraktiv für den Frankenherrscher? Rom, das Vorbild des römischen Reiches und die Anerkennung durch den römischen Kaiser waren für sämtliche Barbarenkönige, die sich auf römischem Reichsboden niederließen, besonders wichtig. Seit Konstantin dem Großen, also seit dem ersten Viertel des 4. Jahrhunderts, war das Christentum die dominierende Religion im Imperium und seit Theodosius dem Großen, also seit dem Ende des 4. Jahrhunderts, sogar die Staatsreligion. Seither entwickelte sich eine Verbindung von Staat und Kirche: Der Kaiser entschied nun auch über Fragen des Glaubens, wie dies erstmals im Konzil von Nicäa 325 geschah, das Konstantin der Große – damals noch Anhänger einer aus christlicher Sicht heidnischen Religion – faktisch leitete. Es ist sicherlich kein Zufall, dass 511 in Orléans das erste gesamtfränkische Reichskonzil noch unter Chlodwig zusammentrat. Insgesamt eignete sich das Christentum in seiner römisch-imperialen Ausprägung ungleich besser für die herrscherliche Selbstdarstellung als die alte heidnische Religion. Als Beispiel kann Chlodwigs Grablege dienen. An seinem Regierungssitz Paris, seiner cathedra regni, ließ er eine prachtvolle Kirche bauen, die den Aposteln geweiht war. Auch Konstantin der Große ruhte seit 337 in Konstantinopel in einer den Aposteln geweihten Kirche. Diese Parallele ist wohl kein Zufall, denn auch Theoderich der Große berief sich fast zur gleichen Zeit bei der Gestaltung seines Grabes in Ravenna auf die zwölf Apostel. Beide Germanenkönige suchten also, das kaiserliche Vorbild nachzuahmen und sich so in die Traditionen des römischen Kaisertums zu stellen.

Der rasche Übertritt der Franken zum katholischen Glauben ist eine, möglicherweise sogar die wichtigste Voraussetzung dafür, dass sich ihr Reich allen anderen germanischen Reichsgründungen auf dem Boden des Imperiums als überlegen erweisen sollte. Auch Westgoten und Langobarden traten zwar schließlich zum Katholizismus über, aber erst zu Beginn des 7. Jahrhunderts. Zuvor hatte der religiöse Gegensatz zwischen ihnen als Arianern und der katholischen Mehrheit zu inneren Spannungen geführt, was der Stabilität ihrer Reiche nicht gerade zuträglich war. In Gallien kam es hingegen viel schneller zu einer Annäherung zwischen Romanen und Franken, und schließlich verschmolzen beide Bevölkerungsgruppen zu einem einheitlichen Personenverband, dessen Selbstverständnis fränkisch bestimmt war, dessen Sprache aber teils romanisch, teils fränkisch war, was auf den inneren Zusammenhalt des Volkes gleichwohl keine schwerwiegenden Auswirkungen hatte.

Aufstieg zur Großmacht

Auch nach seinem Übertritt zum Christentum eilte Chlodwig von Sieg zu Sieg. 498 kam es zu einem Krieg mit den Westgoten, in dessen Verlauf er bis Bordeaux vorstieß. Er nutzte diesen Erfolg jedoch nicht aus, sondern mischte sich in innerburgundische Auseinandersetzungen ein. 506 erhoben sich die Alemannen, die im Krieg zuvor die fränkische Oberhoheit anerkannt hatten. Chlodwig besiegte sie und setzte dann ihrer inneren Autonomie ein Ende. Künftig wurden sie von Herzögen regiert, die der König einsetzte. Auch bis dahin alemannische Territorien, wie etwa Worms und Speyer, fielen spätestens zu jener Zeit an die Franken. Viele Alemannen flüchteten damals in das ostgotische Rätien. Als die Franken den Besiegten folgten, gebot Theoderich der Große seinem Schwager Chlodwig Einhalt. Der Franke wagte keine direkte militärische Auseinandersetzung mit dem Ostgotenkönig, obwohl er in der Vergangenheit dessen Bündnispartner immer wieder angegriffen hatte. Ende des 5. Jahrhunderts war Chlodwig in das westgotische Aquitanien eingedrungen, hatte sich dann aber im Jahr 500 gegen die Burgunder gewandt. Der Übertritt des Burgunderkönigs Sigismund zum katholischen Glauben 507 gab – möglicherweise in Abstimmung mit dem oströmischen Kaiser – gleichsam das Signal zum Angriff auf die arianischen Westgoten. Bei Vouillé besiegte Chlodwig den westgotischen König Alarich II., der in der Schlacht fiel. Im folgenden Jahr eroberten die Verbündeten die westgotische Hauptstadt Toulouse. Erst jetzt konnte Theoderich in den Krieg eingreifen, da eine oströmische Flottenaktion ihn bisher davon abgehalten hatte. Er übernahm selbst die Herrschaft bei den Westgoten und stabilisierte die Lage im südlichen Gallien. Die fränkischen Eroberungen konnte er freilich nicht rückgängig machen: Chlodwig beherrschte nun Aquitanien und damit auch den größten Teil Galliens. Er verlegte jetzt seinen Sitz von Soissons nach Paris, das aufgrund seiner Lage im Verkehrsnetz nach der jüngsten Erweiterung des Reiches die ideale Hauptstadt war.

Das Frankenreich war mit Chlodwigs Sieg endgültig zu einer Großmacht geworden. Das Prestige des Franken konnte sich nun mit dem des großen Ostgotenkönigs messen. Das erkannte auch der oströmische Kaiser Anastasius I. an und ließ Chlodwig im Jahr 508 eine hohe Ehre zuteil werden, die dieser in Tours entgegennahm, der Stadt des fränkischen Reichsheiligen Martin:

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„Damals erhielt er vom Kaiser Anastasius ein Patent als Konsul und legte in der Kirche des heiligen Martinus den Purpurrock und Mantel an und schmückte sein Haupt mit einem Diadem. Dann bestieg er ein Pferd und streute unter das anwesende Volk mit eigener Hand Gold und Silber auf dem ganzen Wege von der Pforte der Vorhalle bis zu der Bischofskirche der Stadt mit der größten Freigebigkeit aus; und von diesem Tage an wurde er Konsul oder Augustus genannt. Von Tours ging Chlodovech nach Paris und machte dies zum Sitz seiner Herrschaft.“ (Gregor, Historiae II, 38, S. 88f.; Übers.: BUCHNER, Bd. 1, S. 135).

Mit der Ernennung zum Konsul war die Erhebung zum patricius verbunden, dem höchsten oströmischen Ehrentitel. Außerdem übersandte Anastasius dem Frankenherrscher einen königlichen Ornat, vestis regia, erkannte also dessen Stellung als König offiziell an. Damit wies der Kaiser ihm denselben Rang zu wie wenige Jahre zuvor Theoderich. Hintergrund des Tages von Tours war einerseits das erfolgreiche Bündnis beider Mächte gegen Theoderich, andererseits die vom oströmischen Kaiser gepflegte Idee von der Familie der Könige. Der Kaiser gab niemals den Anspruch auf die Weltherrschaft auf, doch verzichtete er in den verlorenen Gebieten des Römerreiches auf eine direkte Machtausübung. Zeichen der Weltherrschaft war vielmehr, dass sich der Kaiser als Vater aller barbarischen Könige sah und diese ihn – etwa in Briefen – eben als Vater zu titulieren hatten, während er sie als seine Söhne ansprach. Allein der persische Großkönig galt als ‚Bruder‘ des Kaisers. In Tours wurde der Frankenkönig in dieses Konzept integriert und erhielt darin einen besonders vornehmen Platz. Praktische Auswirkungen hatte dies natürlich nicht, wahrscheinlich nicht einmal auf Chlodwigs Herrschaft über die Gallorömer. Hier war von größerer Bedeutung, dass er allmählich alle fränkischen Teilkönige ausschaltete. Lug und Trug waren dabei seine Mittel, wie man bei Gregor von Tours nachlesen kann. Der Reihe nach fielen Chlodwig die Könige Sigibert von Köln, Chararich, dessen Herrschaftsbereich unbekannt ist, und Ragnachar von Cambrai sowie möglicherweise einige andere zum Opfer.

Damit hatte Chlodwig nicht nur ein Großreich, sondern auch ein einheitliches fränkisches Königtum geschaffen. Daher gilt er mit Recht als primus rex Francorum, wie er in der Lex Salica genannt wird, dem Gesetzbuch der Franken, das er erstmals kodifizieren ließ. Die Rechtspflege und das Erlassen neuer Gesetze galten als das Vorrecht und die Aufgabe des römischen Kaisers schlechthin. Bereits andere auf römischem Reichsboden regierende Könige hatten das Recht ihrer Völker niederschreiben lassen, so die westgotischen Könige Eurich und Alarich II. den Codex Euricianus und die Lex Romana Visigothorum, der Burgunder Gundobad die Lex Burgundionum sowie der Ostgote Theoderich der Große das Edictum Theoderici. Indem Chlodwig es ihnen gleichtat und den Pactus Legis Salicae erließ, stellte er sich einmal mehr in die Tradition des spätantik-römischen Kaisertums und stärkte so sein Prestige als König der Franken.

3. Die Franken: Siedlung, Recht, Sozialverfassung

Nur schemenhaft tritt uns das Volk der Franken entgegen. Demographische Angaben sind für das frühe Mittelalter kaum möglich. Aufgrund von Analogieschlüssen kommt man auf die Zahl von ca. 200.000 fränkischen Siedlern im Gebiet nördlich der Seine und südlich der Somme, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Franken nach ihren Erfolgen von anderen Völkern Zuzug erhielten bzw. kleinere germanische Völker, die bislang in diesen Gebieten gesiedelt hatten, in ihnen aufgegangen sind. Dieser relativ geringen Zahl von Franken standen zwischen sechs und sieben Millionen Gallorömer in ganz Gallien gegenüber. Die Besiedlung durch die Franken war aber in den verschiedenen Teilen Galliens verschieden intensiv. Neben der Analyse der Schriftquellen stehen uns zur Erforschung dieses Problems die Auswertung der Bodenfunde und eine Interpretation der Ortsnamen zur Verfügung.

Fränkische Siedlungen in Gallien

Um die Mitte des 4. Jahrhunderts tritt eine neue Form der Totenbestattung im nördlichen Gallien zwischen Rhein und Seine auf, die sogenannten Reihengräberfelder. Sie sind in der Nähe von spätantiken Kastellen oder anderen Militäranlagen zu finden und werden daher als Garnisonsfriedhöfe angesehen, zumal den Toten Waffen mit ins Grab gegeben wurden. Da dies bei römischen Soldaten nicht üblich war, handelt es sich vermutlich um barbarische Krieger in römischen Diensten, also auch Franken. Ihre Gräberfelder finden sich vor allem im Osten des Reiches an Rhein und Mosel; im Westen lassen sie „sich jenseits von Somme und Maas bis zur Seine und Marne, aber nur wenig darüber hinaus“ nachweisen (EWIG, Merowinger, S. 59). Das entspricht dem Ortsnamenbefund, der auf eine von Flandern bis an die Seine reichende fränkische Besiedlung hinweist, wobei die Siedlungsdichte (der Franken) von Norden nach Süden nachlässt.

Auf fränkische Ortsgründungen weisen insbesondere auch die Ortsnamen hin, die mit den Silben -ingen, -alach -dorf und -heim enden. Die -ingen-Namen belegen Sippen oder Gefolgschaftssiedlungen; die „altertümlichen und seltenen Toponyme auf -alach (…) sind kennzeichnend für noch nicht voll zur Ruhe gekommene Volksgruppen. Die -heim-Namen, die massiert am Rhein und in den südlichen Niederlanden auftreten, setzen dagegen feste Wohnplätze voraus. Sie reichen ‚ohne Bruch‘ in die Romania hinein, wo ihnen Bildungen auf -court und -ville entsprechen, und zeugen somit von der frankogallischen Symbiose der Merowingerzeit“ (EWIG, Merowinger, S. 56). Die Ortsnamen auf -dorf sind etwas jünger als diejenigen auf -heim und weisen auf Siedlungen hin, die mehrere Höfe umfassten. In den Zentren fränkischer Siedlung haben sich aber auch zahlreiche vorgermanische Ortsnamen erhalten. Die Franken gründeten also nicht nur neue Siedlungen, sie knüpften auch an bestehende an.

Die Sprachgrenze hat im frühen Mittelalter einen anderen Verlauf genommen als heute. Vermutlich hat sie sich während des frühen Mittelalters nach Norden hin zurückverlagert. Eine genaue Analyse ist schwierig, weil eine mit höchster Wahrscheinlichkeit anzunehmende Zweisprachigkeit genaue Grenzziehungen unmöglich macht. Schließlich muss auch bedacht werden, dass im geschlossenen germanischen Sprachbereich weiterhin romanischsprachige Enklaven bestehen blieben, so etwa in der Gegend von Trier bis in die Ottonen- und Salierzeit. Insgesamt spricht vieles dafür, dass der Anteil der Romanen in den Städten des Ostens wie Köln, Mainz oder Trier noch lange Zeit sehr hoch war. In Aquitanien und der Provence siedelten die Franken dagegen nicht. Dort übten sie also ‚lediglich‘ die politische Herrschaft aus. Südlich der Loire konnte daher die spätantike Kultur nahezu ungebrochen fortbestehen. Nicht umsonst bezeichneten die fränkischen Geschichtsschreiber die dortige Bevölkerung als Romani, als Römer. Langfristig gesehen liegt hierin sicherlich der Grund für die im Mittelalter bestehende Nord-Süd-Teilung des Frankenreiches bzw. Frankreichs.

Die unterschiedliche Siedlungsintensität der Franken im ehemaligen römischen Gallien hatte in ethnischer und sprachlicher Hinsicht also eine Dreiteilung zur Folge: Im Osten, am Rhein, in den heutigen Niederlanden und Flandern, dominierten eindeutig die Franken. Südlich der Loire siedelten sie dagegen nicht; hier existierte eine Zone spätantiker Kontinuität, die nach Süden hin immer stärker wurde. Zwischen Somme und Maas bis zur Seine und Marne, örtlich vielleicht auch bis zur Loire, siedelten die Franken schließlich inmitten einer Bevölkerungsmehrheit von Romanen. Das war die Voraussetzung für einen intensiven Kulturaustausch: Während die Franken allmählich die romanische Sprache annahmen, gaben die Romanen ihr Eigenständigkeitsgefühl auf und begannen, sich als Franken zu fühlen.

Lex Salica

Das Recht, nach dem die Franken lebten, war die Lex Salica, die Chlodwig kurz vor seinem Tod hatte aufzeichnen lassen. Sie bestand u.a. aus dem sogenannten Wergeldkatalog. Darin waren die Bußen aufgeführt, die als Strafe für verschiedene Vergehen an das Opfer oder seine Familie zu zahlen waren. Besonders wichtig sind hier die Bußen – Wergeld, d.h. Manngeld genannt – für Totschlag. Sie betrugen für die Tötung eines freien Mannes 200 Solidi (Schillinge) oder umgerechnet 8000 Denare (Pfennige). Ein Römer war dagegen lediglich 100 Solidi ‚wert‘, und das auch nur, wenn er Land besaß, während der Totschlag an einem zinsabhängigen Römer sogar nur mit 70, teilweise auch nur mit 62, 5 Solidi zu büßen war. Der Totschlag an einem Sklaven (servus) war mit 20 Solidi abzugelten, sofern der Täter seinerseits ein Sklave war. Man kann davon ausgehen, dass in einer Zeit zurückgehender bzw. gar nicht mehr existenter Geldwirtschaft diese Summen nicht bar entrichtet wurden, sondern in materielle Werte umgerechnet wurden. In der Lex Ribuaria, einer Überarbeitung der Lex Salica aus dem 7./8. Jahrhundert, werden etwa folgende Äquivalenzen angegeben: Ein Solidus entsprach einer gesunden Kuh, zwei Solidi entsprachen einem Stier, drei Solidi einer Spatha (Langschwert), sechs Solidi einem abgerichteten Habicht, sieben Solidi einem Hengst und zwölf Solidi einem Harnisch oder einem älteren Jagdfalken. Selbst der Totschlag an einem Sklaven war daher eine teure Angelegenheit, und der gewaltsame Tod eines freien Franken konnte den Täter und darüber hinaus auch seine weitere Familie ruinieren.

Die Lex Salica enthielt aber auch erbrechtliche Regeln, als deren wichtigste wohl die Bestimmung zu gelten hat, dass Töchter vom Erbe der Allode, also der Eigengüter, bzw. der Terra Salica ausgeschlossen sein sollten. Dies erschien der älteren Forschung als eine Übernahme des von Tacitus überlieferten germanischen Erbrechts. Dennoch befand sich Landbesitz vielfach in den Händen von Frauen. Daher ist die moderne Forschung darum bemüht, die erwähnte Bestimmung der Lex Salica anders zu erklären, etwa mit der Annahme, unter Terra Salica sei nicht der gesamte salfränkische Boden zu verstehen, sondern das ererbte Gut im Gegensatz zu erworbenem Landbesitz. Die erbrechtliche Sonderstellung könnte mit der Ansiedlung der Franken in Gallien als Wehrbauern in römischen Diensten zusammenhängen. Die Terra Salica wäre dann ursprünglich Militärgut gewesen, das der Ausrüstung der Soldaten gedient hatte und aus diesem Grunde nicht an Frauen fallen durfte.

Die Sozialverfassung der Franken