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Wolfram Siemann

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Beschreibung

Metternich gilt immer noch als Exponent der Restauration, des Polizeistaats, der Demagogenverfolgungen, als der Unterdrücker vieler europäischer Nationalitäten, denen er den Weg zum autonomen Nationalstaat versperrt habe, kurzum: er ist zur Chiffre für die Konstruktion einer rückwärtsgewandten Antimoderne geworden. Der Hinweis auf seine europäische Friedenspolitik geht letztlich auch in der Vorstellung der restaurativen Repression unter. Im kollektiven Gedächtnis der Deutschen ebenso wie der Österreicher hat er den Platz der ‹persona non grata›, und beide Seiten, die ja an ihm teilhaben, tun sich schwer, ihn gar als einen der Ihren anzusehen. War er ‹Deutscher›, war er ‹Österreicher›? Diese Darstellung des Historikers Wolfram Siemann möchte helfen, Voraussetzungen und Umstände zu verstehen, aus denen heraus Metternich handelte und deren Spuren noch bis in die Gegenwart hineinreichen, so dass er merkwürdig modern erscheinen mag, moderner, als man das in seiner Epoche und auch später wahrnehmen wollte.

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Wolfram Siemann

METTERNICH

Staatsmann zwischenRestauration und Moderne

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck

 

 

Zum Buch

Metternich gilt immer noch als Exponent der Restauration, des Polizeistaats, der Demagogenverfolgungen, als der Unterdrücker vieler europäischer Nationalitäten, denen er den Weg zum autonomen Nationalstaat versperrt habe, kurzum: er ist zur Chiffre für die Konstruktion einer rückwärtsgewandten Antimoderne geworden. Der Hinweis auf seine europäische Friedenspolitik geht letztlich auch in der Vorstellung der restaurativen Repression unter. Im kollektiven Gedächtnis der Deutschen ebenso wie der Österreicher hat er den Platz der ‹persona non grata›, und beide Seiten, die ja an ihm teilhaben, tun sich schwer, ihn gar als einen der Ihren anzusehen. War er ‹Deutscher›, war er ‹Österreicher›? Diese Darstellung des Historikers Wolfram Siemann möchte helfen, Voraussetzungen und Umstände zu verstehen, aus denen heraus Metternich handelte und deren Spuren noch bis in die Gegenwart hineinreichen, so dass er merkwürdig modern erscheinen mag, moderner, als man das in seiner Epoche und auch später wahrnehmen wollte.

Über den Autor

Wolfram Siemann lehrt als o. Professor Neuere und Neueste Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Neben zahlreichen anderen Werken hat er im Verlag C.H.Beck die Bücher «Vom Staatenbund zum Nationalstaat. Deutschland 1806–1871» (1995) und «Umweltgeschichte. Themen und Perspektiven» (2003) veröffentlicht. Er arbeitet an einer großen Metternich-Biographie, die gleichfalls im Verlag C.H.Beck erscheinen wird.

Inhalt

Statt eines Prologs – eine Ironie der Geschichte: «Metternich verboten!»

 

  1. Einleitung: Metternich in der öffentlichen Wahrnehmung

  2. Herkunft, Geschlecht, Reichsadel, Güter

  3. Prägungen: Erziehung, Jugend, Studium

  4. Revolutionserfahrungen

  5. Politische Lehrjahre: Gesandter in Dresden und Berlin 1801–1805

  6. Studium des großen Antipoden: die Pariser Botschafterzeit 1806–1809

  7. Der neue Außenminister: Lavieren, um zu überleben, Mediationen und der große Endkrieg 1809–1814/15

  8. Wiener Kongress und europäische Mächtebalance 1814/15

  9. Die «Karlsbader Beschlüsse» – Inbegriff des «Metternichschen Systems»?

10. Internationale Interventionspolitik 1815–1829

11. Julirevolution, europäische Bündnispolitik und orientalische Frage

12. Das «System Ferdinand» – österreichische Innenpolitik

13. Revolution, Exil, Ruhestand

14. Würdigung, offene Perspektiven

 

Zeittafel

Literaturverzeichnis

Personenregister

Statt eines Prologs – eine Ironie der Geschichte: «Metternich verboten!»

«Jedermann will, dass etwas geschehe. Aber das Hausist zu alt und zu baufällig, als dass man Fenster undTüren in die Wände brechen könnte. Man müsste einneues bauen. Hierzu fehlen mir nicht die Gedanken,aber Macht und Zeit.»

Metternich am 1. März 1848,unmittelbar zu Ausbruch der Märzrevolution undzwei Wochen vor seinem Rücktritt am 13. März

«Metternich verboten!» – so könnte der Titel eines Zensurfalls lauten, der gerade deshalb paradox erschiene, weil der österreichische Staatskanzler bei den vormärzlichen Schriftstellern und in der späteren Schulbuchweisheit als Inbegriff der Geistesknebelung galt – bis heute. Gleichwohl enthielte diese Überschrift ein Körnchen Wahrheit. Sie bezöge sich nämlich auf den ehemals verbotenen Film «Der Kongress tanzt» – den wohl einzigen Film, in dem Metternich nicht lediglich als Randfigur in einem Zerrspiegel erscheint. Und überhaupt: im Vergleich zu einer Flut von Historienfilmen und Dokumentationen über Bismarck, Wilhelm II. und Napoleon widmet sich kein einziger nur ihm. Das verrät sehr viel über das Fortleben im kollektiven Gedächtnis. Für eine Hauptfigur in einem Film erscheint er jedenfalls als ungeeignet. Warum aber wurde gerade dieser Film verboten? Man erinnere sich: Der 1931 uraufgeführte Film fällt zeitlich mit der Erfindung des Tonfilms zusammen. Er wurde zum Vorbild für den Revuefilm mit großen Ballszenen, für die der Wiener Kongress von 1814/15 zweifellos eine glänzende Bühne bot. Das machte ihn zum größten Erfolg der noch frühen Filmgeschichte weit über Deutschland hinaus, denn das Thema selbst hatte internationale Bedeutung. Der Schauplatz des Kongresses in Wien vereinte die führenden Figuren – Metternich, den russischen Zaren Alexander und den Welteroberer Napoleon im Hintergrund. Da man die Technik der Synchronisation noch nicht beherrschte, wurden parallel eine französische und eine englische Version produziert, zum Teil mit denselben Schauspielern. Der Welterfolg geriet 1937 in das Blickfeld des Propagandaministers Joseph Goebbels. Er ließ den Film verbieten, denn dieser sei – neben anderen Filmen – «geeignet, die öffentliche Ordnung zu gefährden und das nationalsozialistische Empfinden zu verletzen, da sie den an einen deutschen Film zu stellenden Anforderungen nicht mehr entsprechen», wie es im amtlichen Verbot hieß. Das zielte auf die prominenten, teilweise weltberühmten jüdischen Mitwirkenden: den Regisseur Erik Charell, den Drehbuchautor Robert Liebmann, den Komponisten und musikalischen Leiter Werner Richard Heymann, den Liedertexter Robert Gilbert, den Bühnenbildner Ernst Stern und nicht zuletzt den berühmten, mit seinen jüdischen Kollegen solidarischen Conrad Veidt (Metternich), den Goebbels eigentlich unbedingt in Deutschland halten wollte; Veidt ließ sich in der Parteinahme für seine jüdischen Kollegen nicht beirren und verachtete jeglichen Antisemitismus, so dass der «Völkische Beobachter» ihn bereits 1934 offiziell verfemte. Alle Genannten verletzten also «nationalsozialistisches Empfinden». Nicht nur das Verbot des Films mit Metternich als Hauptfigur, auch die auf seinen Darsteller losgelassenen antisemitischen Ungeister stehen in einem historisch grotesk wirkenden Gegensatz zum wirklichen Handeln des historischen Metternich. Denn während der Filmstoff des fiktiven Metternich ein Opfer des Antisemitismus wurde, widersetzte sich der historische Widerpart aktiv und entschieden einer in Nordafrika aufkommenden und in Europa verbreiteten Welle des publizistischen Antisemitismus. Diese erste ironische Verfremdung des Umgangs mit Metternich sollte die Aufmerksamkeit wecken für den ‹eigentlichen› historischen Metternich, der heute unbefangen und vorurteilslos wahrgenommen zu werden verlangt.

1. Einleitung: Metternich in der öffentlichen Wahrnehmung

Das «Metternichsche System» hat «den Wert eines Schibboleths erhalten» – so urteilte der österreichische Staatskanzler rückblickend im Jahre 1852, und mit diesem hebräischen, heute kaum noch geläufigen Begriff spielte er an auf die untereinander entzweiten Israeliten im Alten Testament. Um ihre feindlichen Brüder, die Ephraimiter, erkennen zu können, ließen die Gileaditer sie ein Erkennungswort – eben ‹Schibboleth›, was so viel wie ‹Ähre› bedeutete – sagen. Sprachen sie nun ‹Sibboleth›, hatten sie sich mit der falschen Aussprache des Wortes zu erkennen gegeben. Für Metternich bezweckte die gegnerische Rede vom «Metternichschen System» Ähnliches. Er sah in dem Schlagwort eine Losung, ein Erkennungszeichen: für die Männer der Opposition wurde er «zur Zielscheibe ihrer Angriffe» gemacht – auch später noch, als er im Exil und Ruhestand lebte. Er sah ganz richtig, wie die Formel parteiähnliche Lager konstruierte und gleichzeitig Wissenschaftlichkeit unterstellte, denn es war von einem ‹System› die Rede, für Metternich eine «unlogische Verwechslung der Begriffe», denn tatsächlich habe es sich doch um den «Umsturz der althistorischen Ordnung der Dinge im Reiche» gehandelt. Da er durch geheime Spitzelberichte und intensive Lektüre der von ihm unterdrückten Schriften mit den Gedanken seiner Gegner bestens vertraut war, kannte er auch die Schlagworte, mit denen sie das so genannte Metternichsche System beschrieben: ‹Obskurantismus› (das erinnerte an das ‹finstere Mittelalter›), ‹Absolutismus› und ‹abstraktes Stabilitätssystem›. Er galt in den Augen seiner Gegner als die Verkörperung von Reaktion und Repression.

Parteibegriffe bauen eine Front der Ablehnung auf, aber jenseits der Mauer erblicken die Parteigänger ein Reich der heilen oder wieder zu heilenden Welt. Die Schlussfolgerung lautete 1848, wenn Metternich und sein System erst einmal fielen, breche die große Freiheit herein. Das predigten die Anhänger des ‹Völkerfrühlings› seit dem Wiener Kongress in ständig anschwellendem Chor. Die Selbstbestimmung der Völker im jeweils eigenen Nationalstaat werde ein friedliches Zusammenleben der Nationen verbürgen. Wir wissen heute, dass diese Utopie bereits in der Revolution ihre Glaubwürdigkeit verlor und durch eine blutige Spur nationaler Kriege bis 1945 vollständig zunichte wurde. Wenn das so ist: warum wird dann nicht auch die andere Seite der Utopie, das ‹Schibboleth› des Metternichschen Systems, angezweifelt, sondern weiterhin als Tatsache behandelt und in den Schulbüchern ständig wiederholt? Hier liegt Vieles im Argen.

Es war immer schwer für den Historiker, sich Metternich unbefangen zuzuwenden. Fast jeder, der über ihn urteilt, verrät mehr über seine eigenen Werte und seine Vorurteile als über die eigentliche Person des Staatskanzlers. Man kann mit Recht fragen, ob es diese «eigentliche Person» überhaupt geben kann und ob nicht jedes Urteil dem Zeithorizont des Biographen folgt. Nun ist es geschichtswissenschaftliche Erkenntnis, dass ein besonderer Punkt, von dem aus man seinen Gegenstand ins Auge fasst, nicht per se tendenziös sein muss; die Fragen erwachsen zweifellos aus der Zeitgenossenschaft des Historikers, der er ja nicht entrinnen kann; die Urteile aber dürfen einer historischen Gestalt nicht mehr abverlangen, als diese in ihrer Zeit wissen konnte und zu tun vermochte. Was heißt das konkret? Es gilt zunächst einmal, vermeintliche Tatsachen zu prüfen und in ihren Zeithorizont zu stellen. Hier seien nur die vier wichtigsten Urteile hervorgehoben, die das Metternichbild wesentlich prägen: 1. Metternich verurteilte das Repräsentativprinzip als Organisationsform moderner Verfassungen. 2. Er sah in der politischen, auf den Staat bezogenen Selbstbestimmung der Nationalitäten ein Verhängnis. 3. Er hielt Journalisten für unfähig, kompetent über die hohe Politik zu berichten. 4. Er erblickte in den von der Französischen Revolution ausgehenden Tendenzen ein Grundübel, das den Frieden Europas zerstören würde. Diese Aussagen werden in der Regel jeweils mit einem typischen Umkehrschluss verknüpft: 1. Metternich war ein Absolutist. 2. Er war antinational. 3. Er knebelte die Geistesfreiheit. 4. Er war reaktionär. Diese Wertungen werden mit einer Selbstverständlichkeit vorgetragen, die ohne Überlegung zwischen ‹richtig› oder ‹falsch› im historischen Prozess unterscheiden zu können glaubt.

Die populären Urteile sind teilweise auch noch in der Geschichtsschreibung lebendig, vor allem dann, wenn sie sich auf eine nationale Engführung beschränkt und den internationalen Zusammenhang ausblendet. Im öffentlichen Bewusstsein erscheint Metternich als Inbegriff von ‹Restauration›. Noch 2008 erblickte ein Journalist in der erneuten Wahl Franz Münteferings zum Parteivorsitzenden bei dessen Gegnern die Furcht, er «könne die Restauration der Agenda-Partei betreiben, eine Art Metternich der SPD werden». Da ist es wieder: das ‹Schibboleth›, das im kollektiven nationalen Gedächtnis von Metternich geblieben ist. Allen Urteilen ist gemeinsam: Der moderne, liberale, an den Traditionen der Aufklärung orientierte nationale Verfassungsstaat ist das Maß der europäischen Geschichte und lässt Metternichs Politik als einen einzigen Irrweg erscheinen. Nun ist aus heutiger Sicht an diesem Wertekanon im Prinzip nichts auszusetzen. Der Weg dahin aber war begleitet von nationalen Kriegen um Gebietshoheit, von maßlosem Imperialismus und Kolonialismus europäischer Nationen. Die Gewissheit, die historische Entwicklung lasse sich gleichsam in einer einzigen großen Meistererzählung bis zur Gegenwart bündeln, hat sich längst als Schein erwiesen. Ebenso ist der Glaube dahin, die selbstbestimmte Nation sei im geeinten Staat ohne Krieg zu haben. Dennoch wendet man im Urteil über Metternich dieses zugleich teleologische und polare Muster der Geschichtsdeutung unbeirrt an. Weil sich die Geschichte des langen 19. Jahrhunderts aber nicht mehr so naiv in die ‹Guten› und die ‹Bösen› scheiden lässt, so dass von vornherein klar wäre, was als der Königsweg richtiger Politik anzusehen sei, wird auch das Urteil über Metternich kompliziert. Die Geschichtswissenschaft hat gelernt, nachdrücklich nach dem Preis, den moralischen ‹Kosten› noch so hehrer Ideale, zu fragen, und das macht das Urteilen noch schwieriger.

Alle Historiker, die ihre eigene Epoche verleitet hat, mit Metternich abzurechnen, haben mehr über sich selbst ausgesagt als über den ursprünglichen Reichsgrafen, Deutschen, Österreicher und Politiker aus Koblenz. Heinrich von Treitschke, der preußisch gewordene Sachse, erblickte in Metternich den Verräter an der deutschen Nation, den Intriganten der Diplomatie, den vollendeten Weltmann, den «ideenlosen» Kopf, begabt mit «gewiegter Schlauheit» und «schamloser Herzenskälte», bestechlich, verlogen, den ‹Undeutschen›: den Österreicher. Jemanden so vor den eigenen Richterstuhl zu zerren, nannte Thomas Nipperdey einmal das «Schlachten der Großväter». Heinrich von Srbik, der Österreicher, schätzte – nach der Erfahrung eines barbarischen (Ersten) Weltkriegs – Metternichs europäische, dem Frieden verpflichtete Weltsicht. Ihm gelangen in seiner großen Biographie von 1925 die tiefsten und differenziertesten Einsichten, so dass er für die Metternichforschung Bleibendes geleistet hat. Doch bei aller Empathie für den Staatskanzler ließ auch Srbik sich hinreißen, ihn auf die Anklagebank zu setzen. Er habe zugelassen, dass «sein deutsches Führervolk» in dem großen Reich der «Gefahr der Verslawung» ausgesetzt wurde, habe einem «slawisierten Staat» Vorschub geleistet. Statt Metternichs Politik zu erklären, kanzelt er ihn ab nach einem Handlungsmuster, das er auf ideale Weise in dem österreichischen Ministerpräsidenten Felix Fürst zu Schwarzenberg verkörpert sah: Dieser erschien ihm als ein Tatmensch, ein schöpferischer Geist, absolutistisch dem ganzen Wesen nach, sprunghaft, rücksichtslos, ein harter Realist, der kaltblütig Machtrelationen kalkulierte ohne Rücksicht auf Legitimität und Tradition, eine politische Herrennatur und ein Kämpfer; nur sein früher Tod habe ihn gehindert, die Utopie eines großösterreichischen Imperiums in Mitteleuropa, konzentriert auf das deutsche Wesen und dessen «Blutsgemeinschaft», in die Tat umzusetzen. Diese 1925 veröffentlichten Worte verlassen den Boden rationaler Wissenschaft und versperren zugleich den Weg zum historischen Metternich. Der Engländer Alan Palmer bewies in seiner Biographie 1972 mehr Distanz und Verständnis; er war frei von dem engagierten Blick eines Deutschen auf das Lebenswerk dieses europäischen Politikers; als solcher tritt er bei ihm hervor, anschaulich und lebendig, stets in seinen konkreten Lebensbezügen, freilich auch als der eitle Höfling, der «nicht einmal ein konstruktiver Staatsmann» gewesen sei. Den Reflexionen Metternichs über die Menschen, die Politik und Gesellschaft vermag Palmer nur wenig abzugewinnen. Den bedeutendsten Fortschritt bewirkte jüngst der Londoner Historiker Alan Sked, der zwar keine Biographie, aber eine an Leitfragen orientierte «Evaluation» vorlegte, die sehr viel mehr als bisher gewohnt auf die historischen Voraussetzungen und die damit verknüpften Überlegungen Metternichs eingeht, kurzum eine Revision vorantreibt, die aber kräftige, unsachliche Polemik nicht auslässt. Die fortdauernde Prägung des Staatskanzlers durch die frühneuzeitliche Staatlichkeit des Alten Reiches bleibt ihm überdies weitgehend verschlossen. Sie lässt sich nur über den Nachlass in Prag rekonstruieren, den weder Palmer noch Sked kennen. Dem historischen Metternich am nächsten ist bisher der Klagenfurter Historiker Helmut Rumpler gekommen, besonders in der Würdigung der bisher so noch nie ernst genommenen Nationalitätenpolitik des Staatskanzlers. Aber bei Rumpler handelt es sich nicht um eine Biographie, und wie sich ‹Deutsches› und ‹Österreichisches› bei dem Rheinländer mischten und dessen Vorstellungen von Recht und Staat prägten, verdiente gleichwohl genauer sichtbar gemacht zu werden.

Wie könnte ein anderer Zugang aussehen? Man müsste viel beharrlicher fragen nach den besonderen historischen Voraussetzungen dieses Staatsmannes, nach seinen Beweggründen, Kalkulationen und Handlungsspielräumen, müsste mehr erklären als aburteilen. Vor allem müsste man sich von dem Vorurteil befreien, Metternich sei allmächtig gewesen und müsse deshalb für alle Übel des Zeitalters haften. Seine Gegner und Grenzen müssen viel deutlicher beschrieben werden. Die amtlichen Akten und persönlichen Selbstaussagen Metternichs sind hierzu ein überaus reichhaltiger, bei weitem nicht ausgeschöpfter Quellenfundus. Er selbst hatte keinerlei Bedenken, nach einer Schonfrist von zwanzig Jahren alle Zeugnisse, auch die privatesten, aus seinem persönlichen, glücklicherweise in Prag erhaltenen Nachlass zugänglich zu machen. Dabei treten zwar nicht lauter neue Tatsachen zutage (obwohl noch genug), doch der Horizont, in dem er handelte und fühlte, die Art, wie er seine Gedanken bildete und in einem permanenten Prozess der Selbstreflexion entwickelte: das ist nicht hinreichend geklärt. Vieles muss da ins Blickfeld geraten: Loyalitäten gegenüber dem habsburgischen Kaisertum, seine Prägung durch das Alte Heilige Römische Reich Deutscher Nation, seine Generationserfahrung, die durchtränkt war von hunderttausendfachem Tod. Seine Generation erlebte Heilslehren, die sich als höchstes Recht ausgaben, aber barbarisches Abschlachten von Menschen in Kauf nahmen; sie erfuhr die Mechanismen eigenstaatlicher Machtpolitik und studierte die Labilität supranationaler Imperien, die sich auflösten, musste umgehen mit dem Egoismus regierender Dynastien und Bürokratien. Es ist das heute kaum mehr gekannte Alteuropa, das dem Durchbruch der bürgerlichen nationalen Epoche vorausging. Der Blick muss sich umkehren: nicht von heute zurück, um abzuurteilen, sondern vom Ausgang des 18. Jahrhunderts auf heute, um Metternichs Handeln gerecht zu erfassen. Darauf baute Metternich mit unbeirrbarer Überzeugung. Als der preußische Politiker Joseph Maria von Radowitz sich einmal erbot, die Biographie des Staatskanzlers zu schreiben, wehrte dieser ab: Das könne kein Mitlebender; dazu sei erst der Historiker in der Lage: «Mein Leben und Wirken ist ein öffentliches und sonach dem Richterstuhle der Geschichte anheimgestelltes; dem Anspruch der Geschichte vorgreifen wollen» sei «ein nichtssagendes Unternehmen, […] die Geschichte wird uns heiligsprechen oder verdammen. Der Geschichte können Zeitgenossen nicht vorgreifen, mehr als ihr Materialien bieten steht außer ihrem Bereich.» Auf deren Spruch vertraute er; das Urteil der Zeitgenossen ließ ihn kalt. Wie weit der Weg zu einem ‹gerechten› Urteil sei, hätte er sich nicht träumen lassen: Ein solches Urteil ist wohl erst möglich, wenn Metternich, der Uncharismatische, nicht mehr das ‹Schibboleth› und die Parteinahme herausfordert. Vielleicht gelingt das erst heute, wo das Nationale als Letztwert allmählich doch relativiert worden und das Interesse für die supranationalen Existenzbedingungen Alteuropas gewachsen ist.