Meynste? - Michael Meyn - E-Book

Meynste? E-Book

Michael Meyn

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Beschreibung

Nur alle hundert Jahre betritt ein Autor die Bühne, der mit seinen Satiren gleichermaßen Jung und Alt auf der ganzen Welt begeistert. Sein Humor ist Garant für Lachtränen und Lesegenuss auf höchstem Niveau. In voller Zuversicht, dass solch ein Talent bald entdeckt wird, möchten wir die Wartezeit bis dahin mit den urkomischen Katastrophengeschichten des folgenden Autors überbrücken: Geboren und aufgewachsen in Deutschland. Ausgewandert nach Amerika. Das ist kurz und knapp der Lebenslauf von Michael Meyn. Wer weiter hinter die Kulissen schauen will, erfährt in diesen Kurzgeschichten mehr über sein Truckerleben im Wilden Westen, "Rippchen" und die eigenwilligen Haustiere Wulfgäng und Mellie.

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Seitenzahl: 249

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http//dnb.de abrufbar.

© 2021 Michael Meyn

Lektorat: Sharela Koch

Umschlag & Illustration: Alexandra Sigmund-Wild

Titel: Gabriele Gamatz

Verlag & Druck:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN:

978-3-347-37850-6 (Paperback)

978-3-347-37851-3 (Hardcover)

978-3-347-37852-0 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Für die drei Damen in meinem Leben: Schnuckie, Wulfgäng und Mellie

Autor: Die Geschichten sind fertig. Jetzt können wir uns auf die Gestaltung des Buchs konzentrieren.

Eier-Lady: Ich knalle ganz viele Eier auf das Cover.

Autor: Warum?

Eier-Lady: Versteckte Werbung für die Fan-Seite "Michls Ei tickt".

Autor: Sehr gut durchdacht! Gabriele, haben wir schon einen Titel?

Gabriele: Nein. Meinste, wir können das ganz zum Schluss machen?

Autor: Kommt nicht in Frage! Wir brauchen ihn schnellstmöglich.

Gabriele: Verstanden! Brainstorming in 3…2…1…

Autor: Und kurz muss er sein! Sharela berechnet das Lektorat nach Wortzahl.

Sharela: Wichtig ist, dass der Titel nicht im Passiv formuliert wird und keine Füllwörter enthält.

Autor: Muss ich für die rausgestrichenen Wörter auch zahlen?

Sharela: Selbstverständlich.

Autor: Sind sie denn korrigiert, lektoriert und optimiert, bevor du sie rausschmeißt?

Sharela: Nein. Nur eliminiert.

Autor: Ihr Lektoren seid alle Gauner!

Sharela: Wir Lektoren sind der Grund, dass ihr Buchpreise gewinnt!

Autor: Da erinnerst du mich an etwas. Schnuckie, hast du den Kaminsims freigeräumt?

Rippchen: Yes, Sir! Es ist jetzt genug Platz für fünf Pokale.

Gabriele: Meinste, das reicht?

Rippchen: Ich meine, dass da sehr bald wieder die Sanduhrensammlung stehen wird.

Autor: Schwarzmalerei können wir nicht gebrauchen.

Rippchen: Wieso bin ich dann hier?

Autor: Ich brauche auch einen guten Autorennamen.

Sharela: Michael Meyn ist ein guter Name.

Gabriele: Meinste?

Sharela: Ja

Autor: Ich bleibe lieber anonym.

Rippchen: Den Nachnamen würde ich aber behalten. Meyn klingt so schön.

Autor: Und was nehme ich als Vorname?

Gabriele: Frankfurt am.

Eier-Lady: Soll ich Eier für die Buchmesse modellieren?

Rippchen: Genug mit den Eiern! Das ist doch kein Kochbuch.

Gabriele: "Mein Eierbuch" würde sich als Titel anbieten. Was meinste?

Sharela: Das verwirrt den Leser noch mehr.

Gabriele: Oder "Meine Eier"?

Autor: Nicht übel! Sharela, was kostet mich der Titel im Lektorat? Sharela: Grob überschlagen, deine Schriftstellerkarriere.

Autor: Mehr Brainstorming, Gabriele!

Gabriele: Meinste? Also gut. 3…2…1…

Eier-Lady: Und ich kümmer mich um deine Eier!

Sehr geehrte Frau Sigmund-Wild,

offiziell schreibe ich Ihnen im Auftrag meiner Frau. Es geht um die Anschaffung eines Welpen, genauer gesagt um die Frage, ob ein weiterer Hund (unser Haus ist die reinste Hundehütte!) überhaupt ratsam sei. Sie wurden uns in dieser Hinsicht als kompetente Expertin empfohlen.

Inoffiziell schreibe ich Ihnen im Auftrag meiner selbst. Bitte holen Sie mich hier raus! Ich kann nicht mehr. Dies ist nicht mehr mein Haus. Dies ist nicht mehr mein Leben!

Erlauben Sie mir zu schildern, was sich bei uns täglich abspielt. Meine Frau hat mehrere Leidenschaften: Möbel. Katzen. Hunde. Die Möbel sind kein großes Problem, sieht man von der Tatsache ab, dass sie oft nur aus einem einzigen Grund an einer bestimmten Stelle stehen: Dort war halt noch Platz. Der Unterschied zwischen unserem Haus und einem Möbelgeschäft besteht in der Übersichtlichkeit. Bei Ikea hat man eine gewisse Ahnung, wo sich der Ausgang befinden könnte. Hingegen gilt seit der Feier meines 60. Geburtstages vor vier Jahren der Großteil meiner Verwandt- und Bekanntschaft weiterhin als verschollen.

Auch die Katzen stören mich nicht. Ich vermute, es sind fünf Perserkatzen. Es könnten aber auch sechs oder neun Perserkatzen sein. Es könnte auch sein, dass sie nicht wirklich Perserkatzen sind. Genau weiß ich es nicht. Aber es sind Katzen. Viele Katzen. Meist liegen sie irgendwo herum und schlafen. Oder sie hocken wie Gargoyles auf den höchsten Möbelstücken und wachen reglos über alles, was unter ihnen geschieht. Wenn ich es mir recht überlege, sind sie schon fast langweilige Tiere. Sehr sympathisch!

Unsere wahren Probleme liegen ausschließlich in der dritten Leidenschaft meiner Frau. Den Hunden. Es sind Pekinesen, fünf an der Zahl. So sehr ich mich auch bemühe, mir fehlt jeglicher Bezug zu den Tieren. Ich mag sie nicht, sie mögen mich nicht. Meine Frau liebt sie, sie mögen meine Frau nicht. Jedoch lässt sie sich nicht entmutigen und startet jeden Tag aufs Neue den Versuch, die Liebe und Zuneigung des Pekinesenrudels für sich zu gewinnen. Belohnt werden ihre Bemühungen stets mit Bellen, Knurren und hektischem Gezeter.

Hinzu kommt ihre eigenwillige Angewohnheit von exotischen Namensgebungen, die ich mir allesamt nicht merken kann. Ein Hund (Oder ist es eine der Katzen?) hat einen solch langen Namen, allein der Versuch ihn auszusprechen, produziert weißen Schaum in meinen Mundwinkeln. Unser allererster Hund trug den gewagten Titel Lashintiquanorantoria. Er starb an Altersschwäche genau an dem Tag, als ich seinen Namen endlich fehlerfrei über die Lippen bekam.

Der Radau in unserem Haus ist unfassbar und wird mit jedem Tag schlimmer. Von den fünf Pekinesen haben sich mindestens zwei unaufhörlich in der Wolle. Ein Dritter hat sich für die Umtopfung berührungsempfindlicher Zimmerpflanzen verantwortlich erklärt, während der Vierte bei der kleinsten Stresssituation (also immer) auf alles pinkelt, was gepolstert ist. Das macht er aber erst, seit wir alle Teppiche im Keller verstaut haben und wir uns einbildeten, somit das Pinkelproblem gelöst zu haben. Wie leicht man sich doch täuschen kann!

Der hinterlistigste Störenfried ist Staschlackscha, der Fünfte im Bunde. Beim Rufen seines Namens ist mir schon dreimal das Gebiss rausgeflogen. Seither nenne ich ihn Fritz. Fritz spielt gerne den zutraulichen Hund. Das Schwänzchen peitscht freudig hin und her und manchmal macht Fritz sogar Männchen vor dem gerührten Frauchen. Streckt dieses nun verliebt die Hand aus, beißt Fritz zu. Nicht in die Hand, sondern konsequent in die Waden. Zu meiner Verwunderung hat sich meine Frau noch nie über die vielen Narben auf ihren Waden beschwert. Sie nimmt es schweigsam hin. Aber wehe ich schnarche nachts…

Mit den Hunden Gassi zu gehen, bringt mehr Sorgen als Segen. Fünf hysterische Köter an fünf Leinen durch die Nachbarschaft zu führen, ist ein unmögliches Unterfangen. Wer behauptet, dass Leinenführigkeit den Hunden am leichtesten und vor allen Dingen am schnellsten beizubringen ist, soll mich bitte umgehend aufsuchen. Ich werde ihn noch auf der Türschwelle erwürgen. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass selbst ich - als wir noch ein aktives und ausgereiftes Sexleben hatten - besser auf allen Vieren an der Leine gekrochen bin als jedes von diesen ungehorsamen Monstern. Das geht schon in der Einfahrt los. Pekinesen sind kleine Hunde. Aber wenn sie gleichzeitig in fünf verschiedene Richtungen laufen, ist die eigene körperliche Unversehrtheit nicht mehr garantiert. Meine Frau hat auch schon die umgekehrte Erfahrung gemacht und war vom Rudel, welches sich unerwartet für eine Richtung entschieden hatte, vor meinen verblüfften Augen mit vereinten Kräften aus den Wanderschuhen gehebelt geworden.

Aus diesem Grund teilen wir uns die Aufgabe. Ich nehme einen Hund an die Leine, meine Frau vier. Weit kommen wir selten. Nachbarn, die sich uns in einem Anflug tierliebender Neugier nähern, vertreiben wir mit gezielten Warnschüssen. Wer sich dennoch nicht abschrecken lässt, wird vom Rudel nach der Devise 'Oben lecken. Unten beißen' herzlichst in Empfang genommen. Äußerst ungemütlich sind Begegnungen mit fremden Hunden und ihren Hundehaltern. Was sich dann abspielt, lässt sich nicht in wenige Worte fassen. Auf dem Polizeirevier liegen dicke Akten mit Zeugenaussagen, die uns schon in Teufels Küche gebracht haben.

In einem Zeitungsinserat bot eine Dogwalkerin ihre Dienste an. Tränen der Freude und Hoffnung bildeten ein Bächlein vor meinen Füssen. Sogleich kontaktierte ich die Frau und wir vereinbarten den ersten Termin. Bei der Dogwalkerin handelte es sich um eine bezaubernde 23-jährige Philosophiestudentin. Sie machte einen netten und seriösen Eindruck, gleichwohl sie zugab, von Hunden nur begrenzt Ahnung zu haben. Als Anreiz schlug sie zwei kostenlose Probetage vor. Erst danach würden wir über ihre Gehaltsforderung sprechen. „Einverstanden!“, nickte ich und hoffte, sie würde meinem Poker Face die Bereitschaft, monatlich bis zu 10.000 Euro zu zahlen, nicht ansehen. Ich überreichte ihr die Leinen und deutete auf eine Tür, hinter der sich die wild kläffende Brut verbarg. „Möge Gott Sie beschützen“, sagte ich leise.

Hier ist meine Anekdote auch schon fast zu Ende. Nachdem die bezaubernde Dogwalkerin von unseren Hunden an den Leinen durchs halbe Haus und dann nach draußen gezogen wurde, wart sie nie mehr gesehen. Kurz vor Sonnenuntergang hörten wir lauten Tumult vor dem Haus. Die Hunde waren heimgekehrt. In der Einfahrt hatten sie sich versammelt. Hoffnungslos verstrickt in einem Leinenwirrwar, erkannte ich zwei Mülltonnen und Pastor Franke aus dem Nachbarsort. Ein blutiges Haarbüschel im Karabinerhaken einer Leine ließ mich dünken, dass die Philosophiestudentin ihren zweiten Probetag nicht antreten würde.

Gassi gehen wir nun nur noch in Ausnahmefällen. Beispielsweise bei Schneestürmen, Erdbeben, Reaktorunfällen oder ähnlichen Katastrophen. Die Hunde (und auch wir) sind weitaus entspannter, wenn die Chancen auf eine Begegnung mit anderen Lebewesen relativ niedrig stehen.

Seit einiger Zeit sind wir damit beschäftigt, die Hunde mittels Leckerchen zu trainieren. Das haben wir uns aus dem TV abgeschaut. Angeblich soll das funktionieren. Werte Frau Sigmund-Wild, ich kann Ihnen versichern: Dieser Unfug bringt nichts. Und im Rudel erst recht nicht. Wir machen nun immer Einzeltraining mit jedem Tier. Mit ganz simplen Kommandos haben wir angefangen. Bei Fritz sah das dann folgendermaßen aus:

„Sitz, Fritz“, sagte ich sanft. Dabei hielt ich ihm ein Leckerchen vor die Schnauze.

„Der Hund heißt Staschlackscha!“, korrigierte mich meine Frau mahnend. „Wir müssen da schon an einem Strang ziehen, sonst machen wir das arme Tier konfus.“ In ihrer Aussage irritierte mich am meisten die Formulierung 'das arme Tier'. Aus der Einzelstunde wurde schnell ein Einzelnachmittag. Fritz stand einfach nur da und beäugte uns skeptisch. Auf 'Sitz' reagierte er kein einziges Mal. Auch nicht auf 'Sitz, Staschlackscha' oder 'Sitz, bitte' oder 'Sitz, du armes Tier!' Sogar die Leckerchen ließen ihn kalt. Einmal warfen wir ihm eine komplette Fleischwurst vor die Pfoten. Wir gaben Handzeichen, schmissen uns in Sitz-Position zu Boden, krabbelten bellend um Fritz herum und probierten ein paar esoterische Trance-Tänze. Ohne Erfolg. Mir riss der Geduldsfaden und ich schrie so laut ich konnte: „SITZ, DU ARSCH!“ Danach herrschte Stille. Fritz schaute uns an. Wir schauten Fritz an. Niemand bewegte sich. Lediglich der wild zerzauste Dutt meiner Frau wehte leicht in der Zugluft. Je länger sich der Moment der Stille zog, desto unangenehmer und bedrückender wurde sie. Bis auf einmal der kirschbaumhölzerne Sekretär aus der hinteren Ecke zaghaft fragte: „Meint ihr etwa mich die ganze Zeit? Ich kann so was nicht!“

Resigniert warf ich meiner Frau einen Blick zu. „Ich glaube, Fritz ist heute nicht lernwillig. Vielleicht probieren wir es morgen wieder?“

Sie knurrte. „Der Hund heißt Staschlackscha!“

„Entschuldige“, sagte ich besänftigend. „Natürlich. Staschla-“

Fritz fing gekonnt mein im Flug befindliches Gebiss auf und sprintete raus in den Garten.

Lassen Sie mich nun zur Futterverteilung kommen. Diese Problematik hat tief einschneidende Konsequenzen, die mir einerseits den nächtlichen Schlaf rauben, andererseits ertappe ich mich gedanklich immer häufiger dabei, unserer Ehe von 40 und zumeist glücklichen Jahren ein Ende zu setzen. Warum, fragen Sie? Ich werde es Ihnen verraten: Bei der Futterverteilung werde ich eiskalt übergangen!

Es fing schon vor Jahren an, als Zischlinkalotta (bei korrekter Atmung löst sich zwar kurz die Zahnprothese, schmiegt sich aber nach der zweiten Silbe wieder fest an den Gaumen) plötzlich über das Nassfutter im Napf kritisch die Nasenschnauze rümpfte. Irgendetwas passte dem Hundeweibchen nicht.

„Meinst du, sie ist krank?“, fragte meine Gattin besorgt. Ich erinnere mich noch sehr genau, dass ich schon damals dem Braten nicht traute. „Das glaube ich nicht. Sie wird schon fressen, wenn sie Hunger bekommt.“

Zwei Minuten später befanden sich Zischlinkalotta und die Frau, von der ich mich heute gerne trennen möchte, auf dem Weg zum Tierarzt. Diagnose: Hund war gesund. Der Tierarzt hatte vorgeschlagen, ruhig etwas Abwechslung in die Mahlzeiten zu bringen, gelegentlich auf Trockenfutter umzusteigen und auch die eine oder andere Geschmacksrichtung auszuprobieren. Tatsächlich fraß Zischlinkalotta noch am gleichen Abend gierig eine üppige Portion 'Chicken à la Wauwau'. Meine Frau war glücklich, doch der Augenblick der Freude erlosch sofort, als sie den Rest der Meute knatschig vor den gefüllten Näpfen hocken sah. Fritz jaulte gar in Protest. Kein Problem für meine Frau. Mit einem 20-Kilo-Sack 'Rind fürs liebe Hundekind' verbuchte sie bei den anderen Hunden gute Erfolge. Lediglich Jean Baptiste XIII (fragen Sie nicht!) spielte bockig und biss probeweise in eine der Perserkatzen.

Tags darauf war alles anders. Drei Hunde bestanden auf Trockenfutter, einer wollte Nassfutter mit einem Esslöffel Honig, unterdessen Jean Baptiste XIII ungehemmt die Kohlroulade auf meinem Mittagsteller anstarrte. Ich ahnte: Hier bahnte sich Unheil an…

Heute, im Jahre des Herrn 2019, gleicht die Futtervergabe einer amateurhaft geschriebenen Satire. Bitte glauben Sie mir dennoch. Jedes Wort ist wahr! Alle Mahlzeiten werden nach strengen Regeln serviert. Die kleinste Abweichung resultiert in einem zornigen Hungerstreik. Zimmertemperatur und Lichtverhältnisse spielen eine ungemein große Rolle. Auch die korrekte Auswahl der Hintergrundmusik darf nicht außer Acht gelassen werden. Die Darreichung des Futters findet vor unserem Kachelofen statt. Dort auf dem Boden platziert meine Frau Kuchenteller mit güldenen Rändern, auf denen der Hundeschar Roastbeef und Tafelspitz mit frischen Kräutern kredenzt wird. Und selbst dann sind sie nur zufrieden, wenn man das Fleisch in kleine Häppchen schneidet und von den Tellern zwischen zwei Fingerspitzen direkt in die hungrigen Mäuler befördert. Ich habe schon beobachtet, wie sich Jean Baptiste XIII missgestimmt abwendete, weil das Fleischstückchen mit der linken anstatt mit der rechten Hand gereicht wurde. Das hat ihm den kompletten Tag versaut!

Mit all dem könnte ich leben, würde doch nur ab und an ein kleines Bröckchen für mich abfallen. Gekocht wird bei uns schon lange nicht mehr. Alles dreht sich um die Pekinesen. Für meine Frau bedeutet die Zeit nach dem Füttern nichts anderes als die Zeit vor dem Füttern. Zur Ruhe kommt sie nie, denn es muss viel vorbereitet werden.

Kennen Sie Mission Impossible? Sollten den Filmproduzenten irgendwann die Ideen für Fortsetzungen ausgehen, wären sie gut beraten, mich bei meinen nächtlichen Aktivitäten zu studieren. Mein mir selbst erteilter Auftrag lautet wie folgt: Infiltriere unbemerkt das Wohnzimmer und mache dich über den Tafelspitz auf den Kuchentellern her. Verleugne deine wahre Identität, falls die Mission auffliegt und beiße avanti auf die Zyankalikapsel in deiner Backentasche. Viel Glück, Reinhold!

Ein arges Hindernis auf dem Weg zu den gelobten Fleischhäppchen ist die Treppe zum Erdgeschoss. Die morschen Stufen knarzen verräterisch. Eingangs versuchte ich dies zu umgehen, indem ich den Handlauf elegant herunter rutschte. Der Endpfosten splitterte mein Hüftgelenk. Nun knackt es deutlich hörbar bei jedem Schritt. Neuerdings lasse ich mich einfach vom ersten Stock in einen weichen Sessel fallen. Das gelingt mir aber nur dann lautlos, wenn sich keine Katze auf jenem Sessel befindet. Den Rest der Strecke muss ich auf dem Bauch robbend bewältigen. Richtig, sonst knackt es im Hüftgelenk.

Bis zum Kachelofen mit den Kuchentellern sind es etwa sieben Meter Luftlinie. Das ließe sich für einen rapide alternden Mann wie mich mühelos meistern, stünden nicht all diese nutzlosen Möbel im Weg. Grob geschätzt ziehe ich mich rund 200 Meter über den Boden, weiche zunächst der großen Standuhr aus, schlängle mich keuchend an antiken Vitrinen und Fauteuils vorbei in den Flur, wo ich mich durch die wohlweißlich gut geölte Hintertür in den Garten begebe. Dort, als würde meine Frau etwas ahnen, muss ich mich durch mehrere Dornenbüsche und Bärenfallen zum Wohnzimmerfenster vorkämpfen, in das ich mich mit letzter Kraft hieve und endlich vor meiner Belohnung lande. Meist sind meine Arme zu schwach für weitere Tätigkeiten und ich verschlinge das Fleisch wie ein Hund von den Tellern.

Vielleicht ist es mir gelungen, den Ernst meiner Lage zu schildern. Vielleicht verstehen Sie nun, warum ich unseren Pekinesen ablehnend und hilflos gegenüber stehe. Und vielleicht können Sie auch verstehen, weshalb ich den 3. Weltkrieg dem Zuwachs eines neuen Welpen vorziehe. Dieser Narretei muss ein Ende gemacht werden! Ich bitte sie von Mensch zu Mensch: Helfen Sie mir! Geld spielt keine Rolle.

Bis dahin verbleibe ich mit vorzüglichen Grüßen und hoffe (bete!), bald von Ihnen zu hören!

Ihr Reinhold Meynegüte

P.S. Dies ist bereits mein drittes Schreiben an Sie. Warum melden Sie sich nicht?

„Wie soll sie heißen?“, fragte ich.

Wir saßen im Auto und betrachteten das miauende Geburtstagsgeschenk durch die Gitterstäbe des Käfigs. Das Kätzchen war winzig klein, gerade mal sechs Wochen alt.

„Na, das soll Mike selbst entscheiden“, meinte mein Rippchen. „Ist schließlich seine Katze.“

„Ja schon, nur benennt er sie garantiert nach ihrer Farbe, so wie bei Black Mike und White Mike.“

„Er wird sie wohl kaum Greybrownblack Mike nennen, oder?“

„Da kennst du meinen Mikey aber schlecht.“

Mein guter Freund und Arbeitskollege durchlebte derzeit eine schwierige Phase. Er hatte vor wenigen Wochen seine geliebte Katze White Mike einschläfern lassen. Das Schicksal hatte ihn eines Familienmitglieds beraubt. Nie zuvor hatte ich ihn so traurig und niedergeschlagen gesehen. Für mein Rippchen und mich stand fest: An Mikes Geburtstag würden wir ihm eine ganz besondere Freude bereiten.

„Mieze hört sich gut an“, überlegte ich laut.

„Doof.“

„Für eine amerikanische Katze fast genial.“

„Doof.“

„Mach du doch einen Vorschlag!“

„Mir fällt nichts ein.“

„Tja, dann wird sie leider Greybrownblack Mike heißen.“

„Doof.“

Noch an der Haustür riss Mike den Käfig an sich. „Oh my God, she is so cute!“

Die Traurigkeit in seinen Augen war verschwunden. Nun funkelten sie vor Entzücken. Aufgeregt öffnete er das kleine Türchen.

„Come to Daddy, Greybrownblack Mike!“

Mein Rippchen sah mich alarmiert an.

„Tu was!“, flüsterte sie.

Ich räusperte mich und erklärte Mike, dass die Katze bereits einen Namen hatte.

„Oh, really? What is it?“

„Wulfgäng.“

Ich weiß nicht mehr wie ich auf diesen Namen kam. Und dann noch so schnell und geistesgegenwärtig! Manchmal übertreffe ich mich halt selbst. Im Hintergrund warf mein Rippchen sauertöpfisch die Arme in die Luft und biss sich auf die Unterlippe, um nicht laut zu protestieren.

„Wulfgäng?“ Mike war begeistert. „Awesome! Come to Daddy, Wulfgäng!“

Ein Schatten huschte an uns vorbei und stürzte sich fürchterlich fauchend auf die kleine Katze mit dem awesome Namen. Diese warf sich sogleich auf den Rücken und nahm Kapitulationsstellung ein, was Black Mike lediglich ermutigte die Krallen auszufahren und wie Freddy Krueger gnadenlos zuzulangen. Wulfgäng wäre in kleine Streifen zerlegt worden, hätte Mike sie nicht blitzschnell in Sicherheit gebracht. Er schaute irritiert und besorgt drein.

„Happy Birthday, Mikey!“, hörte ich mich sagen.

Eine Woche darauf fragte Mike bei uns an, ob wir Wulfgäng für vier Tage zu uns nehmen könnten, weil er verreisen musste. Er hatte die Befürchtung, dass sie diesen langen Zeitraum in Black Mikes Gegenwart nicht überleben würde. Ich zögerte. Es gab in meinem Leben zwei Errungenschaften, auf die ich besonders stolz war: Bei uns tummelten sich weder Kinder noch Haustiere. So weit hatten es nur wenige Männer in meinem Alter gebracht. Dennoch konnte ich die Bitte meines Freundes nicht abschlagen. Selbstverständlich würden wir Wulfgäng bei uns aufnehmen. Vier Tage gingen ja schnell vorüber.

Wulfgäng lebte in unserem Heim so richtig auf. Zuhause musste sie stets in sicheren Verstecken verharren. Hier konnte sie sich frei bewegen. Am ersten Abend ging es sofort auf Entdeckungstour. Dabei fiel mir auf, dass sie sich noch sehr tollpatschig fortbewegte, meist seitwärts und streckenweise auch hüpfend. Es sah putzig aus. Auch mein Rippchen schmolz dahin:

„Was für ein süßes, kleines Ding!“

Das süße, kleine Ding lernte bald seine Krallen zu gebrauchen, vornehmlich bei schwierigeren Kletteraktionen. Wollte Wulfgäng beispielsweise den Schreibtisch erkunden, so haute sie gekonnt ihre spitzen Werkzeuge in meinen Knöchel und begann beflissen den Aufstieg an meinem Bein. Ja, der Schreibtisch hatte es ihr besonders angetan. Darauf gab es viel zu entdecken, und es schien für sie eine Art Pflicht zu sein, mindestens zweimal pro Minute über meine Tastatur zu latschen. Die Maus des Computers ließ sie übrigens völlig kalt. Wurde es ihr zu langweilig, krabbelte sie mir auf die Schulter und machte es sich bequem – die Krallen fest in meinem Fleisch verankert, damit sie nicht abrutschte. Von jenem Tag an war das meistgebrauchte Wort aus meinem Munde: „Aua!“ Dicht gefolgt von „Nein!“

Mit den zahllosen Kratzern an meinem Körper konnte ich leben. Dass Wulfgäng aber allmählich damit begann, unser Mobiliar zu zerfetzen, wollte ich nicht ohne weiteres akzeptieren. Mich nervte auch die Gleichgültigkeit meines Rippchens. Wulfgäng baumelte einpfötig von unseren teuren Esszimmerstühlen: „Süß!“ Wulfgäng sezierte die Couch: „Süß!“ Wulfgäng verschleppte wichtige Gegenstände: „Rate mal, wo ich die Fernbedienung gefunden habe. Unterm Bett! Ist das nicht süß?“

Im Internet suchte und fand ich Rat. Auf einer informativen Seite empfahl mir eine fachkundige Katzenliebhaberin, Ungezogenheiten mit einer Sprühflasche auszutreiben. Wasser schreckt ab, las ich dort. Die Flasche war schnell besorgt. Als Wulfgäng zu einem Sprung auf den Wohnzimmertisch ansetzte, weil sie mein Abendessen genauer inspizieren wollte und mein Rippchen keine Anstalten machte, sie davon abzuhalten, trat ich mit einem gezielten Schuss in Aktion. „Hey!“, schrie das Rippchen und verpasste mir eine saftige Ohrfeige. „Was soll das?“ Aufgebracht rieb sie sich Wasser aus den Augen.

Wulfgäng thronte majestätisch auf dem Tisch und blickte amüsiert in die Runde. Dann machte sie sich über mein Essen her. Die Katzenliebhaberin aus dem Internet sollte der Blitz treffen!

Unser Bett war sehr groß. Nicht groß genug für Wulfgäng, obwohl sie kaum mehr als einen Quadratdezimeter Platz benötigte. Darum musste ich verschwinden, und das bewirkte sie, in dem sie mir brutal ins Ohr biss. Manchmal durfte ich am Fußende schlafen. Warum verbrachte dieses Raubtier die Nacht bei uns im Bett? Richtig: „So süß!“

Mein Rippchen und unser Gast wurden schnell ein Herz und eine Seele. Mir schien auch, dass sie sich gegen mich verschworen hatten. Gelegentlich hörte ich sie im Wohnzimmer leise über mich tuscheln. Betrat ich den Raum, wurde es sofort still und beide schnurrten ganz unschuldig.

Am Morgen des vierten Tages wachte ich gut gelaunt auf. Schon bald würde ich wieder der Herr im Haus sein. Nichts ahnend knabberte Wulfgäng an meinen Sandalen.

„Ab heute Abend ist der Spaß vorbei, du Monster!“ Schadenfroh beugte ich mich zu ihr hinab. „Dann wird dir der böse Black Mike wieder regelmäßig die Schnauze polieren.“ Mit einem beeindruckenden Satz klebte sie plötzlich an meinem Brustkasten. „Aua!“

Mike erschien mit einer niederschmetternden Nachricht. Er war zu dem Entschluss gelangt, dass Wulfgäng in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gestört würde, solange sie sich vor Black Mike verstecken musste. Er wollte sie in ein Heim geben. Mir war es eigentlich wurscht, doch mein Rippchen zeigte sich empört.

„Das lasse ich nicht zu. Wulfgäng bleibt bei uns!“

Nun war ich es, der im Hintergrund protestieren wollte. Ich signalisierte ihr mit meinen Händen Time-Out, schnitt mir pantomimisch die Kehle durch und täuschte einen

Ohnmachtsanfall vor. Man ignorierte mich. Mike war erleichtert, dass wir die Katze behalten wollten. Insgeheim hatte er sogar darauf spekuliert, gestand er.

Resigniert blickte ich zu Boden. 3 Vor mir saß Queen Wulfgäng auf den Hinterpfoten und schaute mich an. „Hi, Daddy!“, miaute sie. Dann streckte sie sich kurz und entfernte sich seitwärts hüpfend aus meiner Kurzgeschichte.

Den ersten Mord beging sie vor knapp vier Jahren. Ihre Augen verrieten keine Spur von Zaghaftigkeit. Im Gegenteil. Entschlossen peilte sie das ahnungslose Opfer an, schlug mit einem dicken Knüppel so lange drauf ein, bis es sich nicht mehr wehren konnte und zu schwach für eine Flucht war. Ich hörte Knochen krachen und sah Blut in alle Richtungen spritzen. Der Todesstoß kam von oben, mit viel Schwung und einem übergeschnappten „Friss Dreck, du Kacker!“ So kannte ich mein Rippchen gar nicht. Als Schaulustiger fühlte ich mich mitschuldig. Auch das Plündern des Leichnams schockierte mich, hielt man sich die eher dürftige Beute von drei Kupfermünzen vor Augen.

Mein Rippchen war Beatrix Sunchime, Magier des 80. Levels in der Welt von Everquest. Die Macher dieses Online-Spiels warben mit einem einzigen Slogan: „You're in our World now!“ Das zog. Und zwar so sehr, dass es in Amerika Ehepsychologen gab, die sich genau auf dieses Thema spezialisiert hatten. Kein anderes Spiel hatte mehr Ehen zerstört als Everquest.

Inzwischen brauchte Beatrix Sunchime den Knüppel zum Morden nicht mehr. Sie zauberte sogenannte Pets aus der dünnen Luft herbei. Diese Wesen – gewöhnlichen Haustieren in keinster Weise ähnelnd – erledigten jede Drecksarbeit. Mrs. Sunchime stand da, schaute zu und fledderte am Ende die Entschlafenen. Vermutlich war sie stinkreich. Sie trug fürstliche Gewänder und bewohnte eine prunkvolle Villa im Süden der Stadt Qeynos. Wildfremde Gestalten verbeugten sich ehrerbietig vor ihr. Der Neid aus niederen Leveln brachte die Luft zum Knistern, derweil lustwandelte Beatrix selbstgefällig die virtuelle Schöpfung.

Bis ich von der Arbeit kam. Dann wollte ich mein Abendessen haben! In der Vergangenheit klappte das immer seltener. Unzählige Male kam ich nach Hause, schloss die Tür auf und trat in einen geruchlosen Flur. Meistens wusste ich schon morgens, was es zu essen gab und mit dieser Vorfreude kehrte ich heim. Ohne Gerüche im Flur dachte ich: „Scheiße!“ Und genau jenen Ausdruck benutzte ich immer öfter.

„Ich bin gleich fertig, Schatz“, lautete dann die typische Begrüßung aus meiner Schreiberecke, meiner Oase der Ruhe, die – wenn Beatrix in Aktion trat – mit wilden Schlachtrufen erfüllt war.

„Wir müssen nur eben schnell diesen Drachen killen.“

Für Everquest-Spieler bedeutete „nur eben schnell“ etwa vier bis sechs Stunden. Oft schlief ich hungrig auf der Couch ein.

Wenn es am schönsten ist, soll man nach Hause gehen, dachte sich unser PC an einem sonnigen Sonntag im März und stellte daraufhin den Betrieb für immer ein. Ich stutzte. Was hatten die Menschen eigentlich früher gemacht, als es noch keine Computer gab? Ich wusste es nicht. Vermutlich stand man untätig vor einer Wand. Ein Leben ohne PC war für mich undenkbar. Ein Leben ohne Beatrix Sunchime war für mein Rippchen undenkbar. Davon setzte sie mich in Kenntnis, noch ehe die letzten Rauchschwaden des durchgeschmorten Computers durchs offene Fenster gezogen waren: „Meine Existenz hat ihren Sinn verloren …“

„Sag sowas nicht, Schnuckie. Ich werde noch heute Abend einen neuen Computer besorgen.“

In ihrer Stimme klang Verzweiflung, aber auch Hoffnung. „Wirklich? Können wir uns das denn leisten?“

Mein mechanisches Gehirn quietschte kurz, was immer passierte, wenn ich einen plötzlichen Einfall hatte.

„Eigentlich nicht. Aber ich werde schon etwas Billiges finden.“

Etwas Billiges fand ich auch. Ein Superschnäppchen, fast so preiswert wie ein Besuch im Zoo und – besonders wichtig – absolut untauglich für Everquest. Staunend wurde ich Zeuge, wie meine neuste Errungenschaft sage und schreibe 17 Minuten zum Hochfahren brauchte. Touchdown! Nie wieder würde ich auf mein Abendessen verzichten müssen.

Mein Rippchen schob mich grob zur Seite, um ihr Spiel zu installieren. „Ich komme, Beatrix!“, rief sie, wobei sie mich an einen verrückten Wissenschaftler erinnerte, der im Begriff war, das Tor zu einer anderen Dimension aufzustoßen. „Nur noch ein paar Minuten!“

In weiser Voraussicht schaffte ich die größtmögliche Distanz zwischen uns und stellte mich in die süd-westliche Ecke der Duschkabine. Ihre entsetzlichen Schreie ließen nicht lange auf sich warten.

„Jetzt nur nicht schwach werden, Micha“, flüsterte ich zu mir selbst. Hier stand weitaus mehr auf dem Spiel als das Seelenglück einer Cyber-Killerin.

Nachdem sie in einem schlimmen Wutanfall zwei bis drei Räume unserer Wohnung demoliert hatte, machte sich mein Rippchen auf die Suche nach ihrem Gatten. Sie fand ihn hinter der Duschtüre, packte ihn am Kragen, zog ihn ganz nahe zu sich heran und starrte zähnefletschend in sein wild zuckendes Gesicht.

„Der Kasten funktioniert nicht!“

„Das kann nicht sein“, entgegnete der Gatte. „Er ist brandneu.“

„Ich sage dir …“ Sie sprach sehr langsam und mich dünkte, dass sie sich gerade nach ihrem dicken Knüppel sehnte. „… der Kasten funktioniert nicht.“

„Hm, das ist schade. Gibt's bald Abendessen?“

Meine geistreiche Frage war der Auslöser für eine Gedächtnislücke von etwa 16 Stunden. Die erste Erinnerung war das laute Zuschlagen der Wohnungstür sowie ein Zettel auf dem Wohnzimmertisch: „Bin bei Mike. Everquest spielen. Essen steht im Supermarkt.“

Mein guter Freund und Arbeitskollege Mike, ebenfalls ein großer Everquest-Fan, hatte sich von seiner großzügigen Seite gezeigt und mein Rippchen zu sich nach Hause eingeladen, damit sie dort spielen konnte. Von diesem Tag an sah ich sie nur noch selten. Moment, das muss ich präzisieren: Von diesem Tag an sah ich sie überhaupt nicht mehr. Unser gemeinsames Eheleben fand nur noch in sporadischen Telefongesprächen statt, die in etwa wie folgt verliefen:

„Wann kaufst du endlich einen neuen PC?“

„Ich arbeite dran. Nur noch zweihundert Überstunden, dann habe ich das Geld zusammen.“

Kleine Notlüge. In Wahrheit genoss ich die Zeit an meinem lahmen Rechner, ließ mir jeden Abend Pizza kommen und schrieb zwei erotische Romane plus ein Drama über einen sehbehinderten Busfahrer.

„Ich vermisse dich, Schnuckie!“

„Du weißt, was du zu tun hast …“

Unterdessen erschien Mike regelmäßig mit dunklen Augenrändern zur Arbeit.

„Flucht deine Frau immer so laut beim Spielen?“, fragte er mich gähnend.

„Ja. Die ganze Nacht durch.“

„Genau! Dabei machte sie online immer einen fast lieblichen Eindruck.“

„Tja, wenn einen die Realität in den Hintern beißt …“

„Weißt du, ich kann dir was borgen, wenn's am Geld für einen neuen Computer liegen sollte.“

„Nicht nötig. Trotzdem danke.“

„Kann ich heute Abend bei dir schlafen?“

„Nein.“

Mein Mitleid mit Mike hielt sich in Grenzen. Er hatte mein Rippchen damals verführt, ihr stundenlang vom fantastischen Spiel Everquest erzählt und sie schließlich überredet, einen Versuch zu wagen. Das hatte er nun davon. Von seinem Gejammer wollte ich nichts hören. Mir ging es gut!

Erster Unmut keimte in mir auf, als ich eines Morgens frisch geduscht vor dem Kleiderschrank stand und keine saubere Unterhose finden konnte. Ich war mit diesem Problem völlig überfordert, da es sich mir in meinem Leben noch nie präsentiert hatte. Saubere Unterhosen waren immer dagewesen. Nicht viel später gingen mir die Socken aus. Es folgten kurze Hosen und T-Shirts. Weil ich nicht nackt zur Arbeit gehen wollte, meldete ich mich krank und grübelte über Alternativen nach. Eine Waschmittelwerbung im Fernsehen brachte mich auf eine Idee. Irgendwo in unserer Wohnung musste sich eine Waschmaschine befinden.

„Wir haben keine Waschmaschine“, klärte mich mein Rippchen am Telefon auf. „Du musst in die Waschküche gehen. Insgesamt gibt es vier in der Anlage. Such dir die schönste aus.“

Ich bedankte mich für die Auskunft, streifte mir das Kleidchen über, welches am wenigsten weiblich wirkte und fuhr ins nächste Kaufhaus, um mich dort komplett neu einzukleiden. Nach diesem teuren Unterfangen konnte ich mir keine Pizza zum Abendessen leisten. Hungrig schlürfte ich eine Tütensuppe und ging mit knurrendem Magen zu Bett.

„This place stinks!“, schimpfte Wulfgäng am nächsten Morgen in Anspielung auf das verschmutzte Katzenklo und setzte mir einen dampfenden Haufen ans Fußende des Bettes.

„Bist du irre?!“, schrie ich angewidert. „Ich reiße mich seit fast einer Woche zusammen, weil wir kein Klopapier mehr haben und du scheißt mir ins Bett?“

„This is only the beginning“, prophezeite das Haustier kühl. Dann hüpfte Wulfgäng auf mein Kopfkissen, das sie mit ihren speziellen Drüsen markierte. „The next load will go down right here!“

Es klopfte an der Haustür. Warnend hielt ich Wulfgäng einen Zeigefinger vor die frech grinsende Schnauze. „Zwinge mich nicht, dich einschläfern zu lassen!“ Dann öffnete ich die Tür. Unsere Nachbarin, die dicke Penny, hielt sich nicht mit überflüssigen Begrüßungsfloskeln auf.

„Is your wife home?“

„She doesn't live here anymore“, antwortete ich gereizt.

„What did you do to her?“ Penny stemmte die Fäuste in ihre mächtigen Hüften. Ihr Blick verfinsterte sich.

„Nothing“, stammelte ich. „She's staying with my coworker.“