Michael und das Rotkehlchen - Brigitte Klotzsch - E-Book

Michael und das Rotkehlchen E-Book

Brigitte Klotzsch

4,8

Beschreibung

Die Geschichte erzählt von der Zeitreise zweier Kinder. Der neunjährige Michael reist aus dem Jahr 1953 ins Jahr 2030 und die ebenso alte Luja aus dem Jahr 2030 ins Jahr 1953. Mit den Augen der beiden Protagonisten erleben die Leserin und der Leser, wieviel sich in der Spanne eines Menschenlebens verändert hat und welche Herausforderung es bedeutet, in einem Leben mit den extremen Veränderungen zurechtzukommen. Das ist ein Bilderbuch für Erwachsene und Kinder von 9 bis 99 Jahre.

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Seitenzahl: 80

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Inhaltsverzeichnis

Michaels Schulweg

Die Idee des Rotkehlchens

Michael Landet im Jahr 2030

Wie ist das Altmodisch!

Trink doch Hagebuttentee!

Du bist vom Mond!

Wir müssen uns beeilen!

Luja geht in die Schule

Wem Gott will rechte Gunst erweisen…

Michael Begenet einem Blinden

Die Bücher des Blinden

Zwei Männer kochen

Die Geschichte des Salomon

Herr Wildenbusch ist krank!

Luja ist so Enttäuscht!

Tante Grete ist so fürsorglich!

Die alte Gärtnerin

Die letzte Mahlzeit

Luja schwänzt Schule!

Nachwort

MICHAELS SCHULWEG

Es war einmal vor langer Zeit, einer Zeit, in der es noch Telefonzellen, Telefone mit Wählscheiben, aber schon Autos und Fernseher gab, da gab es einen Jungen mit Namen Michael. Er war für sein Alter ziemlich groß und schlaksig. Außerdem hatte er rote Haare und Sommersprossen, was andere Jungen in seinem Alter dazu ausnutzten, ihn auszulachen oder zu verhöhnen. Sie sagten so etwas wie: spannenlanger Hansel und Tupfgesicht und lauter doofe Dinge mehr. Michael hasste ihre Spottverse, und er hasste das alte ehrwürdige Schulgebäude mit seinen muffigen Stuben und all den Jungen, mit denen er es da drinnen aushalten musste. Seine Eltern waren auch nicht glücklich damit, wie die Schule war, obwohl sein Vater Lehrer war. Die Mutter war zu Hause und bestellte den Haushalt. Das war in damaligen Zeiten viel Arbeit, weil es noch keine Fertiggerichte, keine Mikrowelle und andere Hilfsmittel gab. Es gab gerade mal Waschmaschinen. Diesen Luxus hatte sich Michaels Familie schon gegönnt. Vater sagte immer: „Schule verdirbt den Charakter!“ Und Mutter sagte; „Aber, man muss heutzutage in die Schule gehen. Mache das Beste daraus, Junge!“

Es gab jedoch etwas, was Michael über alles liebte. Das war sein Schulweg. Er führte ihn durch ein altes Wäldchen. Er liebte es, den behänden Eichhörnchen zu zuschauen, wie sie von Ast zu Ast flogen und zu den Tauben aufzuschauen, die im Geäst gurrten. Manchmal verlor er sich in seinen Beobachtungen, so dass er zu spät zur Schule kam. Das war stets sehr unangenehm und zur Strafe musste er dann Sätze fünfzig Mal abschreiben wie: „Ich komme pünktlich zum Unterricht. Ich komme pünktlich zum Unterricht…“ Wie gesagt, Schule war in allen Facetten für Michael eine große Strafe. Aber in der Natur herumzustreunen, das gefiel ihm wohl.

Eines Tages hatte er sich am Nachmittag in sein Baumhaus in einer uralten Eiche zurückgezogen und beobachtete, wie die Krähen weit über dem Erdengrund ihr Nest bauten. Man nannte es Horst. Michael konnte gar nicht genug mitbekommen von dem Kunstwerk, das diese Tiere erbauten, scheinbar ohne jeden Plan und Vorschrift. Zwei Eichhörnchen spielten rund um einen riesigen Buchenstamm Verstecken. Er schaute mit offenem Mund zu. Da erblickte er, wie laut geckernd ein Rotkehlchen auf dem gegenüberliegenden Ast landete. Es schimpfte so laut, dass Michael sich herumdrehte, um zu schauen, ob er unwissentlich den Zugang zu seinem Nest versperrte. Aber da war keins. Das Rotkehlchen wurde immer aufgeregter und landete schließlich direkt auf einem Ast unmittelbar vor Michaels Kopf. Er wurde entsetzlich aufgeregt, mindestens so aufgeregt wie das Vögelchen, das ihm bestimmt etwas mitteilen wollte.

Michael legte einen Krümel seines Butterbrotes, das er in der Schule vergessen hatte zu essen, auf seine Handfläche und siehe da, das Vögelchen landete auf seiner Handfläche und pickte den Krümel rasch auf und flog auf den Ast zurück. Dieses Spiel spielten sie mindestens zehn Mal und jedes Mal landete dieses Tierchen mit der rostrot schillernden Brust auf seiner Handfläche und kitzelte ihn angenehm. Er musste kichern. Michaels Herz hüpfte vor Freude, und er verfütterte alles, was er vom Schulbrot noch übrig hatte. Der Vogel zwitscherte ihm ein jubelndes Abendlied vor und verschwand dann im Gehölz. Voll Freude kletterte Michael von seinem Baum herab und eilte nach Hause. Er wurde schon ungeduldig von seiner Mutter erwartet. Sie sagte unwirsch: „Michael, es geht nicht, dass du immer zu spät kommst. Kinder müssen gehorchen. Du solltest um sechs Uhr hier sein und jetzt ist es schon 10 Minuten über der Zeit!“ Sie schaute ihren Sohn streng an. Michael stotterte: „Mutti, ich habe doch ein Rotkehlchen gesehen!“ Die Mutter rief aufgebracht:„Es ist mir egal, was da im Wald fleucht und kreucht. Immer gibt dir der Wald eine Ausrede: ein Reh, ein Fuchs, ein Rotkehlchen! In Zukunft bist du um Punkt sechs Uhr zu Hause, verstanden? Sonst gibt es Stubenarrest. Dann geht's für eine Woche gar nicht mehr nach draußen!“ Michael wurde bleich und murmelte: „ Ja, Mutti, ich bessere mich!“ Dann aß er brav den Spinat mit Spiegelei und Kartoffelbrei auf, auch wenn er jedes Mal befand, dass der durchgedrehte Spinat wie ein frischer Kuhfladen aussah und ihm genauso wenig mundete, wie wenn er diesen hätte essen müssen. Aber, der Teller musste leergegessen werden, sonst hörte er etwas vom Krieg, wo man froh gewesen wäre, wenn man so etwas Delikates auf dem Teller gehabt hätte. Er musste auch besonders artig sein, damit seine Mutter ihm keinen Stubenarrest geben würde. Er wollte doch unbedingt sehen, ob sein Rotkehlchen am folgenden Tag wieder auf ihn warten würde.

DIE IDEE DES ROTKEHLCHENS

Am nächsten Tag war es warm und sonnig. Michael schaffte es, in Windeseile seine Hausaufgaben zu machen und verkroch sich sofort danach im Wald in sein Baumhaus in freudiger Erwartung, sein Rotkehlchen wiederzusehen. Michael wartete. Da kam es schon angeflattert und landete wirklich über dem Ast vor seinem Kopf. Es plusterte sich auf, sang seine Melodie und schaute Michael mit schräg gehaltenem Köpfchen an. Er hatte plötzlich eine Idee: „Will das Vögelchen mit mir in die Zukunft reisen?“ Er erschrak, weil er gar nicht wusste, wie er sich so etwas Merkwürdiges ausdenken könnte. Er sagte zum Tier: „ Willst du mir die Zukunft zeigen?“ Das Rotkehlchen hüpfte aufgeregt ein Stück auf dem Ast weg und schaute sich nach Michael um. Das bedeutete wohl „ja“.

Das Rotkehlchen führte ihn in einen Teil vom Wald, den er noch niemals gesehen hatte. Da waren riesige alte Bäume. Der Boden war sumpfig, und es führte ein Holzsteg hindurch. Er bemerkte, dass überall um die alten Bäume herum mit Ästen Hütten gebaut worden waren, wahrscheinlich von Kindern. In den Baumkronen waren schöne Baumhäuser zu erkennen. Das Rotkehlchen flog umher und wies ihn auf all diese Herrlichkeiten hin. An einem See angelangt, hockte sich der Vogel auf den Rand eines Bootes und sah den Jungen mit schräg gehaltenem Köpfchen an. Michael verstand und fragte: „Soll ich mit dir ins Boot steigen?“ Das Rotkehlchen hüpfte aufgeregt hin und her. Bald waren sie mitten auf dem See. Merkwürdigerweise war an diesem Ort keine Menschenseele zu finden. Michael wunderte sich sehr. Er fragte: „Sind wir schon in der Zukunft?“ Das Tierchen saß da und rührte sich nicht. Offenbar hatte er falsch geraten. Er fragte: „In welche Zukunft komme ich denn mit dir? Länger als ein Menschenleben ist?“ Das Tier rührte sich nicht. Michael fügte hinzu: „Dann ist es kürzer, 80 Jahre?“ Das Rotkelchen hüpfte zur Bestätigung auf und ab. Er fragte weiter: „Wie soll ich denn in die Zukunft gelangen?“ Das Vögelchen hüpfte auf und ab und sprang dann ins Wasser, nicht ohne sich nach dem Jungen umzuschauen. Michael wusste, dass er hinterher springen musste. Er nahm all seinen Mut zusammen, Schwimmen war nicht gerade seine Leidenschaft und Tauchen schon gar nicht, aber er sprang dem kleinen Tierchen hinterher. Es hatte eine große Luftblase um sich herum, und als er es erreichte, umgab ihn diese Blase auch und versorgte auch ihn mit Sauerstoff.

Er gelangte an die tiefste und dunkelste Stelle dieses Sees. Als er schon dachte, dass er nun sterben müsste, weil die Luft nicht mehr ausreichte, blendete große Helligkeit sein Auge. Er war gelandet.

Mitten in der Zukunft!

Das Rotkehlchen saß auf seiner Schulter.

Er erblickte ein riesiges gläsernes Gebäude und sah rundherum nichts als Asphalt. Er rieb sich die Augen und fragte das Vöglein, ob das die Stelle war, an der sie eingetaucht waren. Das Rotkehlchen hüpfte kurz auf und ab, und Michael wusste, dass er an genau der Stelle gelandet war, an der vor 80 Jahren uralte Wälder gestanden haben und ein See die Landschaft bereichert hat. Das war alles verschwunden zugunsten des riesigen Parkplatzes, der Straßen und des gläsernen Gebäudes. Er staunte nicht schlecht. Er ging auf das gläserne Gebäude zu, trat ein und erblickte in seinem Inneren ganz viele Kinder verschiedenen Alters, die ihn aber nicht bemerkten. Sie waren damit beschäftigt, an einer Art Fernsehbildschirm herumzuspielen. Michael fragte: „Ist das eine moderne Schule?“ Das Rotkehlchen hüpfte auf und ab und bestätigte es. Michael war begeistert. Jeder Schüler hatte einen eigenen Platz und arbeitete an dem Bildschirm, und da war kein Lehrer und kein anderes Kind, das ihn störte. Jeder arbeitete für sich alleine, was ihn sehr beeindruckte. Er ging an all den lernenden Kindern vorbei bis ans andere Ende der Halle. Da trafen sie auf ein Mädchen, das weinend vor seinem Bildschirm saß. Es war das einzige Kind, das den Michael mit seinem Vogel sehen konnte und ihn ansprach: „ Was bist du denn für einer?“ Sie lachte und fuhr fort: „Was hast du denn für komische Kleidung an, und einen Vogel hast du auch!“ Sie lachte sich kaputt. Michael wurde es ein wenig unbehaglich zumute. Er bemerkte, dass alle Kinder das gleiche anhatten: eine blaue Hose und ein Unterhemd mit halblangen Ärmeln, auf das ein Text gedruckt war. Er errötete und sah an sich herab. Er hatte seine speckige kurze Lederhose an, ein helles Hemd, Kniestrümpfe und