Migration und irreguläre Pflegearbeit in Deutschland - Agnieszka Satola - E-Book

Migration und irreguläre Pflegearbeit in Deutschland E-Book

Agnieszka Satola

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Beschreibung

Die Nachfrage nach häuslichen Dienstleistungen in der Pflege steigt kontinuierlich. Zunehmend führt dies zu 'praktischen Lösungen', nämlich oftmals irregulären Arbeitsverhältnissen, die ohne rechtliche Grundlage ausgeübt werden - und zugleich für viele Pflegebedürftige in Deutschland eine unabdingbare Hilfe bedeuten. Agnieszka Satola legt den Schwerpunkt ihrer Untersuchung auf Frauen aus Polen, die in Deutschland zumeist in Privathaushalten arbeiten und leben. Sie betreuen ihre KlientInnen in sogenannten Live-in-Arrangements, mit denen eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung und damit auch -Belastung einhergeht. Satola wertet 20 biographisch-narrative Interviews aus, in denen die Gesprächspartnerinnen aus eigener biographischer Erfahrungsperspektive von ihrer Migrationsgeschichte und Arbeitsverhältnissen erzählen und sie reflektieren. Zu den zentralen Ergebnissen gehört die Herausarbeitung der Verflechtung und der Dynamik der biographischen Prozesse, die mit der Aufnahme der irregulären Haushalts- und Pflegetätigkeit in Deutschland und der dadurch erfolgenden 'Hausfrauensubstitution' zustande kommen. Das daraus entwickelte Modell der temporären Professionalisierung verdeutlicht, dass die Arbeitsmigrantinnen ihrer irregulären Tätigkeit eine neue Professionalität zuschreiben, die von dem vorherrschenden Professionalitätsbegriff abweicht: Mit der gefühlten Bürde der Verantwortung verleihen sie ihrer Arbeit subjektive Sinnhaftigkeit, die ihren eigenen Selbstwert erhöht und zugleich den Kern des eigenen Professionalitätsverständnisses und der eigenen Arbeitsethik bildet.

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Seitenzahl: 466

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ibidem-Verlag, Stuttgart

Inhalt

Editorial
Geleitwort
Vorwort
1. Einleitung
2. Gesellschaftspolitische Lage in Polen und in Deutschland
2.1 Situation in Polen
2.1.1 Die Zeit des Realsozialismus
2.2.2 Transformation zur freien Marktwirtschaft
2.2.3 Soziale Folgen der Systemtransformation
2.2 Situation in Deutschland
2.2.1 Demographischer Wandel und Pflegenotstand
2.2.2 Geringe Wertschätzung des Pflegeberufs und Fachkräftemangel in der Pflege
2.2.3 Bevorzugung des Modells der häuslichen Pflege
2.2.4 Ein Überblick über rechtliche Regelungen
2.2.5 Medialer Diskurs über die irreguläre häusliche Pflege
3. Hinführung zur Fragestellung dieser Untersuchung
3.1 Zur Verhältnis von Migration und Fürsorgearbeit
3.2 Biographie- und Migrationsforschung
3.3 Fragestellung dieser Untersuchung
4. Forschungsperspektive und Ablauf der Untersuchung
4.1 Zugang zum Feld
4.2 Fokussierung des Samples auf polnische Frauen
4.3 Qualitative Forschungsperspektive
Exkurs I: Die Aufgabe der Sozialforschung aus phänomenologischer Sicht
4.4 Die Technik des narrativen Interviews
Exkurs II: Symbolisch-interaktionistische Perspektive auf das soziale Handeln und die Identität
4.5 Narrationsanalyse der biographischen Prozesse
5. Biographische Fallrekonstruktionen und Typologie
5.1 „Samowolka“ („Eigenmacht“): Das Interview mit Jadwiga Nowak
5.1.1 Strukturelle Beschreibung der Eingangserzählung
5.1.2 Nachfrageteil: Zusammenfassung
5.1.3 Fall I: Autonomisierung durch Eröffnung neuer Handlungsspielräume
5.2 „Ja, aber das war ein Traum aus der Kindheit und jetzt habe ich ihn nicht mehr“: Das Interview mit Ewa Kowalska
5.2.1 Strukturelle Beschreibung der Eingangserzählung
5.2.2 Nachfrageteil: Zusammenfassung
5.2.3 Fall II: Vermeidung der Autonomisierung durch Idealisierung der eigenen Familienrolle
5.3 „Ich bin in eine missliche Lage geraten“: Das Interview mit Agata Baka
5.3.1 Strukturelle Beschreibung der Eingangserzählung
5.3.2 Nachfrageteil: Zusammenfassung
5.3.3 Fall III: Equilibrium der Verlaufskurve – Autonomisierung auf tagtäglicher Basis
5.4 „Der erste Anfang war schrecklich“: Der Fall Marcela Swoboda
5.5 Kurzportrait: Der Fall Maria Borowska
5.6 Kurzportrait: Der Fall Nina Kulka
6. Ergebnisse der Untersuchung
6.1 Biographische Erleidensverlaufskurven vs. Autonomisierungsprozesse
6.1.1 Verlaufskurvenpotenziale in Migrationsprozessen
6.1.1.1 Verlaufskurvenpotenzial der „dirty work“
6.1.1.2 Traditionelle Normalitätsvorstellungen als Verletzungsdisposition Schütze 1996: 253; Schröder 2010: 309.
6.1.2 Die sozialen Rahmen
6.1.2.1 Live-in-Arrangements
6.1.2.2 Interaktionsstrukturen
6.1.2.3 Soziale Interaktions- und Handlungssituationen
6.1.2.4 Live-in-Szene
6.1.2.5 Erleidensprozesse in den handlungseinschränkenden Interaktionsstrukturen
6.1.2.6 Emotionale Involvierung als Erleidenserfahrung
6.1.2.7 Mitbetroffenheit versus eigene Betroffenheit von einem Krankheitsverlaufskurvenpotenzial
6.1.3 Autonomisierungsprozesse in der Pflegebeziehung
6.1.4 Biographische Folgen der Migration
6.1.4.1 Migration als die Zeit einer erhöhten Selbstreflexion
6.1.4.2 Autonomisierung im Kontext der Familienbeziehungen und Geschlechterrollenverhältnisse
6.1.4.3 Emanzipationsprozesse in der Partnerbeziehung
6.1.4.4 Entwicklung von biographischen Entwürfen
6.2 Temporäre Selbstprofessionalisierung in der häuslichen Pflege
6.2.1 Strukturalistische Professionsforschung
6.2.2 Interaktionistische Professionsforschung
6.2.3 Der Arbeitsbogen der häuslichen irregulären Pflege
6.2.4 Paradoxien des professionellen Handelns in der häuslichen Pflege
6.2.4.1 Paradoxie der Vertretungsarbeit
6.2.4.2 Paradoxie der emotionalen Involvierung
6.2.4.3 Paradoxie der Zuständigkeit
7. Schluss
7.1 Ergebnisse der Untersuchung
7.2 Ausblick
8. Bibliographie

Editorial

This series is intended as a publication panel of the Centre of Intercultural and European Studies (CINTEUS) at Fulda University of Applied Sciences. The series aims at making research results, anthologies, conference readers, study books and selected qualification theses accessible to the general public. It comprises of scientific and interdisciplinary works on inter- and transculturality; the European Union from an interior and a global perspective; and problems of social welfare and social law in Europe. Each of thesearefields of research and teaching in the Social- and Cultural Studies Faculty at Fulda University of Applied Sciences and its Centre for Intercultural and European Studies. We also invite contributions from outside the faculty that share and enrich our research.

Gudrun Hentges, Volker Hinnenkamp, Anne Honer & Hans-Wolfgang Platzer

Editorial

Die Buchreihe versteht sich als Publikationsforum des Centrums für interkulturelle und europäische Studien (CINTEUS) der Hochschule Fulda. Ziel der CINTEUS-Reihe ist es, Forschungsergebnisse, Anthologien, Kongressreader, Studienbücher und ausgewählte Qualifikationsarbeiten einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Reihe umfasst fachwissenschaftliche und interdisziplinäre Arbeiten aus den Bereichen Inter- und Transkulturalität, Europäische Union aus Binnen- und globaler Perspektive sowie wohlfahrtsstaatliche und sozialrechtliche Probleme Europas. All dies sind Fachgebiete, die im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften der Hochschule Fulda University of Applied Sciences und dem angegliederten Centrum für interkulturelle und Europastudien gelehrt und erforscht werden.Ausdrücklich eingeladen an der Publikationsreihe mitzuwirken sind auch solche Studien, die nicht ‘im Hause’ entstanden sind, aber CINTEUS-Schwerpunkte berühren und bereichern.

Gudrun Hentges, Volker Hinnenkamp, Anne Honer & Hans-Wolfgang Platzer

Geleitwort

AgnieszkaSatola hat zu dem viel diskutierten Thema der illegalen oder irregulären Pflegetätigkeiten von Frauen aus Polen als sogenannte „Live-ins“ in der Bundesrepublik einen ganz besonderen und durchaus neuen Zugang gefunden. Sie versucht nämlich, durch die Rekonstruktion der Binnenperspektive der migrierenden Frauen anhand biographischer Interviews auch die Rationalität und nicht nur die Schwierigkeiten der Wanderungsentscheidung der Frauen bei der Bearbeitung ihrer eigenen Lebenskrise und Lebensplanung herauszuschälen.

Im Zentrum der Untersuchung steht eine ganz besondere Generation polnischer Frauen, die in der Regel im Pflege- und Erziehungsbereich gut ausgebildet waren, aber nach dem Ende der sozialistischen Staatsform entweder ihre Stelle verloren oder sich mit einem Entgelt begnügen mussten, das die Lebenshaltungskosten nicht mehr deckte und sie in eine scheinbar unentrinnbare Schuldenfalle geraten ließ. Nach dem Prinzip der „abduktiven Forschungslogik“ im Sinne von Peirce interpretiert die Forscherin biographische Entscheidungen der Protagonistinnen als unterschiedliche Lösungen dieses Problems und versucht jeweils die Typik des einzelnen Falles bei der Realisierung dieser Lösung herauszuarbeiten. Die Autorin kehrt also die Logik der üblichen Policy-Forschung um, indem sie nicht etwa die bestehende Praxis irregulärer Tätigkeit als Problem definiert, zu dem eine Expertin alternative Handlungsmöglichkeiten präsentiert, sondern sie versucht zunächst – nach der Methode der biographischen Policy-Evaluation – die Spezifik dieser Lösung und die darin enthaltenen jeweils persönlichen Kosten für die Biographieträgerinnen zu rekonstruieren.

Insgesamt hatAgnieszkaSatola für ihre empirische Arbeit zwanzig autobiographisch-narrative Interviews mit polnischen Frauen geführt, die in Deutschland irregulär als Pflegekräfte und Haushaltshilfen arbeiten. Überwiegend handelt es sich dabei um jene oben genannte Generation von Frauen, die sowohl ihre familiäre Erziehungsphase als auch ihre berufliche Laufbahn beendet haben, aber von Rente oder Arbeitslosengeld nicht leben und dazu noch ihre Familie unterstützen können. Alle Interviews mit den zum Teil wenig Deutsch sprechenden Interviewpartnerinnen konnten auf Polnisch geführt werden, da die Interviewerin dies als ihre Muttersprache beherrscht. Der gemeinsame nationale und sprachliche Hintergrund spielte eine erhebliche Rolle bei der Kontaktherstellung und der Etablierung einesArbeitsbündnisses zwischen Interviewerin und Interviewten. Es erlaubte der Autorin, ihre ungewöhnliche Forschungsfrage  zu bearbeiten: Wieso nämlich unter den enorm belastenden Bedingungen der Arbeit und des Lebens als „Live-in“-Pflegekraft sowohl die Tätigkeit der einzelnen Frauen als auch das gesamte informelle System der Vermittlung von Pflegekräften unter der Bedingung der Illegalität funktioniert.

Den weitaus größten Teil der Arbeit nimmt die biographische Fallrekonstruktion der Autobiographie von Jadwiga Nowak (Name maskiert) als eine Art „Grundtypus“ ein. Die in diesem Typus repräsentierte biographische Bearbeitungsstrategie wird von der Autorin interpretiert als ein Prozess der Autonomisierung durch Eröffnung neuer Handlungsspielräume. „Die Migration bildet damit einen Möglichkeitsraum  …, in dem die aufs Neue entdeckten und nunmehr entlohnten Handlungskompetenzen zum Orientierungsrahmen für die Entwicklung der Lebensentwürfe für die Frauen werden.“

Diese außerordentlich positive Einschätzung einer von außen betrachtet entsetzlich belastenden und einschränkenden Tätigkeit wird den Protagonistinnen nur möglich durch – so die originelle These der Autorin – das Modell einer sich temporär entfaltenden neuen Professionalität der häuslichen Pflege. Die Erläuterung dieses Modells von Professionalität bildet meines Erachtens den produktivsten und weiterführendsten Teil der vorliegenden Publikation. Die Autorin entwickelt dabei ein komplexes Modell der in den Tätigkeiten der Probandinnen dargestellten paradoxen Handlungsanforderungen, in dem sowohl der Vielfalt der Aktivitäten als auch ihrer Ambivalenz sowie der Notwendigkeit der Balancierung von Handlungsstrategien Rechnung getragen wird. Anhand von Beispielen aus den biographischen Analysen gelingt es der Autorin, plausibel die These zu belegen, „dass die polnischen Frauen in der rechtsfreien Situation, mit der Übernahme der Verantwortung für die Gesamtproblematik ihrer KlientInnen, qualitative Standards entwickeln.“

Ausgehend von der interaktionistischen Professionsforschung stelltAgnieszkaSatola zunächst die paradoxalen Herausforderungen dar, vor denen Professionelle üblicherweise stehen und die sie interaktiv lösen müssen. Während jedoch in der üblichen professionellen Situation die KlientInnen den professionell Handelnden in der Regel marginalisiert gegenüber stehen, handelt es sich im Fall der irregulären Haushalts- und Pflegearbeit um ein umgekehrtes Machtgefälle:Die KlientInnen und ArbeitgeberInnen sind die „Mächtigen“, denn aufgrund fehlender vertraglicher Grundlagendes Arbeitsverhältnisses sowie der „Live-in-Situation“ sind die polnischen Frauen zunächst als ohnmächtig charakterisiert. Es ist die Stärke der vorliegenden Arbeit, dass die Autorin nachzeichnen kann, aufgrund welcher Professionalisierungsstrategien es den Protagonistinnen dennoch gelingt, aufgrund eines normativen verantwortungsethischen Professionalitätskonzepts eigene Handlungsmacht zu gewinnen. „In der Situation der häuslichen Pflege wird also die Verantwortung für die KlientInnen weitergegeben, die Frauen übernehmen zentrale Aspekte der Rolle der Kinder der KlientInnen und agieren im Sinne von Stanislawsky ‚als ob‘ sie selbst deren Kinder wären. Auch wenn es noch andere Personen gibt, die an dem Pflegeprozess beteiligt sind, sind die Frauen trotzdem die Hauptverantwortlichen für die Situation ihrer KlientInnen. … Die Verantwortungsübernahme und die Zuschreibung der Bedeutung dieser Tätigkeit verpflichten die Frauen, für das Wohlbefinden der KlientInnen zu sorgen und geben ihnen zugleich das Recht, alles, was hierzu gehört, auszuhandeln; teilweise auch bessere Arbeitsbedingungen.“ Im Einzelnen unterscheidet die Autorin im Rahmen ihres Modells der Übernahme von Verantwortung fünf verschiedene Formen professioneller Arbeit, die von den illegalen Pflegerinnen  geleistet werden: 1) die Emotionsarbeit,2) die Haushaltsarbeit, 3) die pflegerische Arbeit,4) die Vertretungsarbeit sowie 5) die biographische Arbeit. Alle diese Arbeitsformen sind durch die Paradoxie überdeterminiert, dass sich die legal nicht existierenden irregulären Pflegerinnen bei vollkommener Verantwortungsübernahme mit regulären professionellen Pflegediensten konfrontiert sehen, die lediglich für partielle Pflegesituationen Verantwortung übernehmen.Aufgrund der Vertretungsarbeit für ihre KlientInnen können sich die illegalen Pflegekräfte aus ihrer untergeordneten Position heraus auf einen Aushandlungsprozess in Bezug auf die eigene Professionalität einlassen. Im Sinne der Verantwortungsethik Joan Trontos wird die professionelle Aufgabe bzw. Pflegeethik dahingehend definiert, dass die angemessene Versorgung der Person die Macht verleiht, die das pflegende Subjekt trotz seiner untergeordneten Stellung gegenüber dem zu pflegenden Menschen erlangen kann.

Ein weiterer außerordentlich interessanter und origineller Teil des Buches widmet sich dem Phänomen der eigenständigen Organisation von Rotationssystemen innerhalb der informellen Netzwerke in der „Live-in-Szene“ polnischer Haushaltshilfen und Pflegekräfte in Deutschland. Die Autorin interpretiert diese Selbstorganisationsformen (im Sinne von Fritz Schütze) als „Arenen“, die sich mit dem Konzept der „sozialen Welten“ von AnselmStrauss in Beziehung setzen lassen. Sie belegt in ihren biographischen Analysen, dass in den selbstentwickelten Rotationsverfahren eigene Standards, Kernaktivitäten und Legitimationen entstehen.

Insgesamt gelingt es in diesem Buch auf völlig neue und originelle Weise, die Verschränkung von Leidens- und Autonomisierungsprozessen in der Arbeits- und Lebenssituation polnischer Frauen, die in deutschen Haushalten irregulär beschäftigt werden, herauszuarbeiten. Mit ihren lesenswerten biographischen Interpretationen hat die Autorin eine Diskussion angestoßen, die mit dieser Arbeit zweifellos noch nicht abgeschlossen ist, sondern weiter nicht nur wichtige soziale, politische und rechtliche, sondern auch neue theoretische Fragestellungen eröffnen wird.

Prof. Dr. Ursula Apitzsch

Johann WolfgangGoethe-Universität Frankfurt am Main

Vorwort

Das Vorwort möchte ich nutzen, um mich bei allen, die mich während meines Schreibprozesses unterstützt, motiviert und inspiriert haben, zu bedanken.

Mein Dank gilt vor allem den zahlreichen Interviewpartnerinnen, die mir ihr Vertrauen geschenkt und meine Forschungen erst ermöglicht haben.

Für die gute und lehrreiche Betreuung meiner Promotion danke ich meinen beiden Betreuerinnen, Ursula Apitzsch und Lena Inowlocki.

Durch die materielle und ideelle Förderung der Heinrich-Böll-Stiftung konnte ich mein Dissertationsprojekt finanziell und organisatorisch abgesichert durchführen, weshalb ich dieser zu großem Dank verpflichtet bin.

Mein Dank gilt weiterhin demInstitut für Sozialforschungder Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main,für den Doktorandenplatz sowie meinen dortigen KollegInnen für wichtige Anregungen.

In fachlicher Hinsicht waren für mich die Interpretationswerkstätten unter Leitung von Fritz Schütze außerordentlich hilfreich. Gleiches gilt für die Doktorandenkolloquien bei Gerhard Riemann, Helma Lutz und Tilman Allert sowie für die Interpretationsgruppen der DoktorandInnen.

Schließlich möchte ich all jenen danken, die mir während der Arbeit auf unterschiedliche Weise behilflich waren: Mischa Bernstein, Tharo Bimnik, Heinrich Bollinger, Charly, Maria Teresa Herrera Vivar, Volker Hinnenkamp, Maria Kontos, Monika Kupczyk, Angelika M., Moritz Öhlein, Ulrich Rödel, Grażyna Satoła, Anja Schröder, Norbert Schröer.

„Thecauseof a social or individual phenomenon is never

anothersocial or individual phenomenon alone,but

alwaysa combination of a social and an individual phenomenon.“

(Thomas/Znaniecki 1918/1920, Vol. I: 44)[1]

1.Einleitung

Eine qualitativeStudiezu sogenannter grenzüberschreitenderPflegemigration von Frauen aus Polen nach Deutschland, die das Phänomen sowohloffen und in seiner Prozessualität beschreibt als auch eine Verbindung zu sozialstrukturellen und biographischen Bedingungen herstellt,fehltbis heute. In einigen Untersuchungen wird versucht, das Phänomen der irregulären häuslichen Pflege auf makrostrukturelle Bedingungen zurückzuführen. In dieser Perspektive erscheinen die Migrantinnen als passive Opfer von äußeren Umständen.ProblematisiertwirdihreUnterdrückung im Kontext illegaler Beschäftigung. Im öffentlichen Diskurs hingegen wird die Pflegearbeit überwiegend als Win-win-Situation dargestellt, die den Beschäftigten die Möglichkeit biete,mehr Geld zu verdienen als in ihrem Herkunftsland, während sie für die AuftraggeberInnen eine kostengünstige Lösung des Pflegeproblems im eigenen Zuhause darstelle. Die Irregularität der Arbeit und der daraus resultierende prekäre Status der Pflegekräfte bleiben häufig ausgeblendet.

In der vorliegenden Untersuchung[2]wird die Binnenperspektive polnischer Migrantinnen rekonstruiert, die in deutschen Haushalten irregulär als Pflegekräfte und Haushaltshilfen arbeiten. Im Zentrum der Untersuchung stehen zum einenihrebiographischenProzesse, zum anderen eine Interaktionsanalyse zwischenihnenund den anderen beteiligten AkteurInnen. Mit den biographischen Prozessen werden sowohl die persönlichen Kosten der Migration vorgestellt, die sich aus dem Ausbeutungsverhältnis in der Arbeit und daraus folgenden (Er-)Leidensprozessen ergeben, als auch die Bearbeitungs- und Steuerungsversuche seitens der Protagonistinnen,die zu Autonomisierungführen. Entlang der Interviewanalysen wird dargelegt, dass dieMigration der Frauen nicht nur als Reaktion auf eine sozialpolitische Zwangslage erfolgt, sondern Teil einer Handlungsstrategie ist, um langjähriger biographischer Betroffenheit entgegenzuwirken. Im Fokus der Interaktionsanalyse stehen die Beziehungen zwischen den polnischen Protagonistinnen, ihren pflegebedürftigen KlientInnen und deren Familienangehörigen, diezumeist als AuftraggeberInnen fungieren. Ausgehend von der interaktionistischen Professionsforschung wird gezeigt, dass die Pflegekräfte trotz ihres prekären Status eine Tätigkeit ausüben,diedie Qualität professionellenHandelnsträgt. Anhand von Fallanalysen wird die Entwicklung und Aushandlung professioneller Standards unter der Bedingung der Illegalität sowie die Rolle der biographischen Ressourcen in diesen Prozessen vorgestellt.

Die empirische Grundlage derFallanalysen bilden autobiographisch-narrative Interviews, in denen die Protagonistinnen gebeten wurden, ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Es handelt sich dabei um Frauenkurz vor oder nach dem Eintritt ins Rentenalter, dieeine weitere „Berufskarriere“ in der Migration begannen: Eine Generationvon Frauen, diedie Auswirkungen des politischen Systemwechsels und der wirtschaftlichen Transformation nach 1989 in Polenwesentlich getragen hat. Gegenwärtig betreuen sie inzehntausendenHaushalten in Deutschland ältere, pflegebedürftige Menschen. Die Arbeitsbedingungen liegen dabei fern vonmenschenwürdigenStandards:Die Frauenleben in sogenannten Live-in-Arrangements, d.h. siewohnenam Arbeitsplatz, im Haushalt der Pflegebedürftigen, und sindrund um die Uhr im Einsatz – 24 Stunden pro Tag, 7 Tage die Woche. Die Verrichtung von häuslicher Pflege unter diesen prekären Arbeitsbedingungenistkein Randphänomen, sondern wird,nicht zuletzt aufgrund finanziellerAspekte, alsalternativeDienstleistung wahrgenommen, die dem steigenden Bedarf an Unterstützung bei der Pflege älterer Menschen entspricht.

Vorsichtige Schätzungen gehen von 150.000 bis 500.000 „Care-Migrantinnen“ aus,die in Deutschland arbeiten. Eshandeltsich überwiegend um Frauen aus Osteuropa. Insbesondere polnische Frauen werden mit der irregulären häuslichen Pflegeassoziert: „PolnischePerle“ gilt als Synonym für die Betreuerinnen von älteren Menschen, „24-Stunden-Polin“ erinnert an die Animateurin eines All-Inclusive-Angebots der Tourismusbranche.

DieseArbeit gliedert sich wie folgt: In Kapitel 2 werden Rahmendaten zur Situation in Polen und Deutschland, die die strukturelle und sozialpolitische Ausgangslage für das Phänomen bilden, vorgestellt.Hinzukommt ein kurzer Überblick über die rechtlichen Regelungen sowie den öffentlichen Diskurs zur irregulären „Pflegemigration“ in Deutschland. Daran anschließend folgen in Kapitel 3 die Darstellung des Forschungsstandes zur irregulären Arbeitsmigration in der häuslichen Pflege sowiederallgemeinen methodologischen Grundlagen dieser Untersuchung und eine Hinführung zur Fragestellung. Im Anschluss daran wird in Kapitel 4 die konkrete Forschungsperspektive und Vorgehensweise erläutert. Den weitaus größten Teil der Arbeit nehmen die biographischen Fallrekonstruktionenin Kapitel 5 ein: Zunächst werden die drei sogenannten Eckfälle als Grundlage für die Rekonstruktion der biographischen Prozesse präsentiert;siewerden um eine vierte Fallanalyse ergänzt, die den biographischen Verlauf der Arbeitsprozesse in Deutschland verdeutlicht; zum Schluss des Kapitelsstehenzwei Kurzportraits, um weitere wichtige Dimensionen des Phänomens zu benennen.Basierend auf den durch die Fallanalysen gewonnenen Kategorienwird in Kapitel 6.1einModellder biographischen Prozesse des Erleidens und der Autonomisierungsprozesseentwickelt.Das abschließende Kapitel6.2präsentiert ein Model der temporären Selbstprofessionalisierung, in demderArbeitsbogen der häuslichen Pflege unddieParadoxien des Handelns in der Pflegebeziehung erörtert werden.

2.Gesellschaftspolitische Lagein Polen und in Deutschland

Im folgenden Kapitel wird derZusammenhang zwischen den politischen, sozialen und ökonomischen Transformationen, die in Polen in den letzten Jahrzehnten stattgefunden haben, und der Migration polnischer Frauen nach Deutschland dargestellt.Dabei muss auch die andauernde Geschlechterungleichheit betrachtet werden, die einen maßgeblichen Einfluss auf die Biographie der Frauen hat.

2.1Situation in Polen

2.1.1Die Zeit des Realsozialismus

Nach dem zweiten Weltkrieg herrschte in Polen ein durch die Sowjetunion initiierter Sozialismus. Dieserlässt sich als „Realsozialismus“bezeichnen, da er den Versuch einer konkreten Ausgestaltung der abstrakten Idee von einer anderen – sozialistischen – Gesellschaft darstellte. In der politischen Propaganda präsentierte sich der Staat als Verfechter der Gleichberechtigung von Frauen, da ihnen gleicher Zugang zu Erwerbsarbeit und Anspruch auf Sozialleistungen ermöglicht worden sei:

„Under state socialism, communist parties in Eastern Europe sought to bring about a society constructed on the basis of the class struggle, subordinating all other social, ethnic, religious, and economic divisions in favor of creating the classless society. (…) Women’s emancipation was acknowledged as an aspect of the liberation of workers from bourgeoisie class structure of Capitalism“(Galligan 2007: 21).

In der Realität bildete der Realsozialsums jedoch ein totalitäres System, das außerhalb der staatlichen Strukturen wenig Möglichkeiten zu Eigeninitiative oder Mitgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse bot, sondern die Menschen soweit wie möglich unter Kontrolle halten wollte. Als Mittel zur Disziplinierung diente häufig die staatlich organisierte Erwerbsarbeit, es wurden aber auch „kollektive“ Freizeitaktivitäten verordnet, so dass die Priorität der staatlichen Interessen durchweg präsent war.

Die Frauen im sozialistischen Polen waren fast alle erwerbstätig und konnten durch Mitgliedschaft in politischen oder sozialen Organisationen am kollektiven Leben teilnehmen. Eine Entlastung der Frauen von ihren traditionellen erzieherischen Tätigkeiten erfolgte durch staatliche Kinderkrippen, Kindergärten, Sommerlager und Urlaubsangebote sowie kostenlose medizinische Versorgung. An den Universitäten wurden Frauenquoten eingeführt, um Frauen zu einem Hochschulstudium zu ermutigen (Fodor2011: 32). Obwohl sichsodas Bildungsniveau der Frauen dem der Männer anglich,blieben die Tätigkeitsbereiche und die Entlohnung der Frauen ihrem Bildungsstand unangemessen.Zwar schafftedas BildungssystemdiewesentlichenVoraussetzungen für den Abbau geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung, praktisch blieb Frauen aber der Zugang zu besseren und besser bezahlten Arbeitsplätzen weiterhin verwehrt.Auch Leitungspositionen waren mit der Argumentation, dass Frauen leichter physisch erschöpfbar seien, den Männern vorbehalten. Dieser paternalistische „Schutz“ der Frauenvor anstrengenden Arbeiten bildete tatsächlich eineSegmentierung des Arbeitsmarktes nach Geschlecht und diente letztlich der ProtektionderhöherenGehälter der Männer(Galligan 2007: 22).

Für die1970er Jahren lässt sich eine Feminisierung von Berufsbereichen mit unterdurchschnittlicher Bezahlungfeststellen. Dies giltz.B.fürLeichtindustrie, Handel, Bildung, Gesundheitswesen, Gerichtswesen und Verwaltung der unteren Ebenen. In diesen Sektoren waren die Löhne statistisch betrachtet niedriger, die Technologien weniger fortgeschritten und das soziale Prestige geringer. Im Kontrast hierzu wurden Tätigkeiten, die überwiegend von Männern besetzt wurden, wie bspw. in der Schwerindustrie oder in Leitungspositionen der zuvor genannten Sektoren, deutlich besser bezahlt.

Das politische System entsprach dem traditioneller Gesellschaften, in denen die Frauen männlich konnotierte Arbeiten annehmen mussten, jedoch nicht von traditionellen Frauentätigkeiten befreit waren. So waren sie in der Gesellschaft als Mütter und Arbeiterinnen angesehen, während Männer einfach nur als Arbeiter galten (Fodor 2011: 32). Das Stehen in den für die Zeit des Realsozialismus charakteristischen, endlosen Warteschlangen in Geschäften, wo Produkte nur durch zugeteilte Rationierungskartenerworben werden konnten, war zumeist auch eine Domäne der Frauen. Es erforderteeinebesondere Selbstorganisation,umwichtigeInformationen über die Lieferung der Waren zuerhalten,sich mit anderen abzusprechen, damit man sich beim stundenlangen Stehen in der Schlange abwechseln konnte,oderumfehlende Produkte durch nachbarschaftlichen Austausch zu erwerben. Was alsoin der Rhetorik des Staatssozialismus Gleichberechtigunghieß, stellte für die Frauen tatsächlich eine Doppelbelastung in Form von bezahlter und unbezahlter Arbeit dar.

2.2.2Transformation zur freien Marktwirtschaft

Im Zuge der Systemtransformationen des Ostblocks in den 1980er und 90er Jahrenverändertesich der polnische Arbeitsmarkt grundlegend. Eine Konsequenz der Transformation von einer staatlich gesteuerten Planwirtschaft hin zu einer freien, kapitalistischen Marktwirtschaft war u. a. die Aufhebung der staatlichen Regulierung der Lohnhöhe und Arbeitsplätze. Mit der Einführung der Marktreformensank die Beschäftigungsquote deutlich, weil sich die Nachfrageerheblichreduzierte. Der Rückgangder Beschäftigunggingweiterhinauf die Abnahme des Bruttoinlandsproduktes und der Produktion zurück (Boroń2002: 49).Als Folge des Zusammenbruchs von unrentablen Betrieben oder deren Umwandlungen in private Unternehmen sowie dem durch den nun vorhandenen Zugang zum Weltmarkt entstandenen Wettbewerb stieg die Arbeitslosigkeit in Polen. Die Konsequenzen dieserTransformation mussten sowohl Männer wie Frauen tragen, beide Geschlechter waren jedoch auf unterschiedliche Weise davon betroffen. In der anfänglichen Phasedes Transformationsprozesses wurdenz.B.insbesondere Betriebein der Leichtindustriegeschlossen; viele Kündigungen erfolgten auch im öffentlichenSektor, in dem vor allem Frauen arbeiteten (Boroń2002: 49).Gleichzeitig wurde der einzige Bereich, in dem die sogenannte Reproduktionsarbeit unterstützt und damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht wurde, nämlich die institutionelle Hilfe in Form von kostenloser Kinderbetreuung, abgeschafft (Fodor 2005: 15). Der Umstand, dass Frauen weiterhin hauptsächlich für die Kinderbetreuung und die Haushaltsarbeit verantwortlich waren, trug zu ihrer schlechteren Position auf dem Arbeitsmarkt, zu Schwierigkeiten bei der Aufnahmeeiner Arbeit oder zur Kündigung zu Gunsten „lastfreier“ Männer bei.Die Situation der Frauen auf dem Arbeitsmarkt unterscheidet sich diametral von der Situation der Männer.Seit 1955stehen für Frauen viel wenigerfreie Arbeitsplätzezur VerfügungalsfürMänner: Ende desJahres1988etwa standen einer Frau31 Arbeitsangebotegegenüber, einem Mann251(Zjawiona 2004: 100).Wiedie Statistiken zeigen, sind polnische Frauen auch nach 1989 häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen als Männer und bleiben außerdem häufiger längere Zeit arbeitslos(GUS 2014: 27).

Seit der Transformation kann von zwei Entwicklungstendenzen gesprochen werden, die zu einer Verbesserung der Situation für Frauen auf dem Arbeitsmarkt beigetragen haben. In der ersten Phase nach dem Umbruch, in der Frauen ihre Erwerbsarbeitin großer Zahlverlorenhatten, nutzten sie die Chance der freien Marktwirtschaft, eigene Unternehmen zu gründen,um auf diese Weise gegen Diskriminierung vorzugehen (Lisowska 2009: 20).Die Aufnahme von selbstständigen Tätigkeiten erfolgte für die Frauen in der ersten Hälfte der 1990er Jahre aus einer Notlage heraus. Statistisch gesehen wagten mehr Frauen als Männer den Schritt in die Selbstständigkeit. Dieser Trend setzte sich auch in der Folgezeit fort(Golinowska/Boni 2004: 175). Der zweite deutlicheEinschnitt erfolgte mit dem EU-Beitritt Polens und der Entwicklung der durch den European Social Fund unterstütztenRegierungsprogramme, mit denen die (Langzeit)-ArbeitslosigkeitvonFrauen bekämpft werden sollte. Mit Hilfe dieser Programme konnten Frauen Informationen, Schulungen und Kapital für eine eigene, selbstständige Tätigkeit erhalten, wodurch ihr Unternehmergeist zusätzlich gefördert wurde.

2.2.3Soziale Folgen der Systemtransformation

Kreditpolitik und Schulden:Mit dem Ende der staatlich gesteuerten Planwirtschaft und der Einführung eines neuen Bankensystems eröffnete sich den Menschen die Möglichkeit, private Kredite aufzunehmen, um bspw. eine Firma zu gründen, ein eigenes Haus zu bauen oder durch ein Ratensystem Produkte der Unterhaltungselektronik zu kaufen. Die Kreditinstitute warben (und werben) in allen Medien mit verlockenden Angeboten wie „Sofort-Krediten“ oder „günstigen Kreditzinsen“. Allerdings gab es keine Prüfstellen, die bei der Vielzahl von Angeboten die Liquidität der KlientInnen, besonders in Bezug auf zukünftige Rückzahlungssicherheiten, berücksichtigten und die Kreditvergabe regulierten. Ebenso wurden die KlientInnen nicht ausreichend über die Rückzahlungsmodalitäten informiert. Nach der Einführungsphase und Etablierung des privaten Kreditwesens wurden die Konditionen der Kreditvergabe verschärft und eine schnelle Rückzahlung der gewährten Darlehen rigide eingefordert.

Sowohl die anfänglich leichte Verfügbarkeit der Kredite und das damit verbundene Glücksversprechen als auchmangelndes Wissen über das Funktionieren der kapitalistischen Wirtschaft, die sich durch mangelndePlanbarkeitder Zukunft auszeichnet, haben dazugeführt, dass viele Menschen Kredite aufnahmen, die sie später nicht abbezahlen konnten. Die in meiner Forschung untersuchte Gruppe gehört zu den Betroffenen dieser Privatisierung und Liberalisierung des Kredit- und Bankengewerbes.

Altersarmut:Seit den 1990er Jahrenistin Polen einesteigende Altersarmut zu beobachten. Seit 1992 wird ein stetiger Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung verzeichnet.Statistischbetrachtetwurdeein polnischerMannim Jahr 2007durchschnittlich71 Jahre alt und eine polnische Frau fast 80 (GUS 2008: 6). Das durchschnittliche Rentenalter für Frauen liegt in Polen bei 54 Jahren und für Männer bei 61. Allerdings liegt das gesetzliche Mindestalter, um Anspruch auf die vollen Rentenleistungen erheben zu können, bei 60 Jahren für Frauen und 65 Jahren für Männer und damit deutlich höher. Das 1999 reformierte Rentensystem verbindet die Höhe der Rentenleistung mit der Länge der Beitragszahlungen, der Beitragshöhe und dem Renteneintrittsalter. Aus diesem Grund sind Frauen mit ihrem durchschnittlich sehr frühen Renteneintritt von Altersarmut besonders stark betroffen. Die Dauer ihrer Beitragszahlungen ist deutlich kürzer als die der Männer und das durchschnittliche Gehalt, das de facto die Höhe der Beitragszahlungen ausmacht, liegt unter dem der Männer. Da die monatliche Rentenleistung in Verhältniszurdurchschnittlichen Lebenserwartung gesetzt wird, fallen die Monatsrenten vonFrauen noch einmal geringer aus als die von Männern (vgl. Kostrzewski 2009). Somit reichen die Leistungen aus der Frühverrentung kaum zum Leben, weshalb ergänzende Erwerbstätigkeiten notwendig werden. Polen ist allerdings das Land, in dem sich ein sehr niedriger Koeffizient an beruflicher Aktivität älterer Menschen feststellen lässt: Im Jahr 2010betrug er25,9%für Frauen im Alter von 55 bis64und war um 15,2%niedriger als in dergesamten Europäischen Union (Furmańska-Maruszak2014:24).

Barrieren, die die Aufnahme und/oder das Aufrechterhalten einer Tätigkeit im Fall von Personen im sogenannten Alter „50plus“ erschweren, sind folgende: Das Fehlen von finanziellen Anreizen, um sich für eine berufliche Aktivität bis zum Erreichen des Rentenalters zu entscheiden; der Mangel an Schulungsangeboten, die die Bedürfnisse und Erwartungen von Menschen im Alter „50plus“ berücksichtigen; das Auftreten von Stereotypen in Bezug auf die berufliche Aktivität älterer Menschen und diskriminierende Praktiken, die daraus folgen; fehlendes Bewusstsein der Arbeitgeber über die Vorteile der Beschäftigung von Menschen im Alter „50plus“; fehlende Gesundheitsprophylaxen, die eine Erhöhung der Lebensqualität und eine Aufrechterhaltung des Gesundheitszustandes der Menschen in diesem Alter gewährleisten; Fehlen eines normativen Vorbildes des aktiven Altwerdens in der Gesellschaft.

Die in der Gesellschaft bestehenden soziokulturellen Stereotype über Frauen im fortgeschrittenen Lebensalter bilden eine mehrfache Diskriminierung, die mit dem Alter und dem Geschlecht verbunden ist. Sie resultieren vor allem aus der Vorstellung, dass der Haushalt das Hauptgebiet der Aktivität von Frauen sein sollte und dass Frauen bspw. zugunsten der Betreuung von Familienmitgliedern (Enkelkinder, Kranke oder Pflegebedürftige) auf Erwerbsarbeit verzichten sollten.

Die Gruppe der Frauen, die kurz vor oder nach der Beendigung ihrer Berufstätigkeit in Polen stand,hatte somit die hohen Kosten der gesellschaftlichen Transformation in besonders starker Weise zu tragen und ist bis in die Gegenwart mit dem Problem der Altersarmut konfrontiert. Diese Gruppe bildet die überwiegende Bezugsgruppe meiner empirischen Untersuchung.

Pendelmigration:Mit der Liberalisierung des Grenzverkehrs und der damit einhergehenden verstärkten Mobilität in den 1980er Jahren stieg die Migration aus Polen und die Mobilität der Menschen ins Ausland wurde zu einem wesentlichen Teil der sozio-ökonomischen Realität Polens (Kaczmarczyk/Okolski 2008: 7). Ab Anfang der 1990er Jahre hoben viele europäische Länder, darunter auch Deutschland, die Pflicht der Beantragung eines Touristenvisumsauf,wenn der Aufenthalt einenZeitraum von bis zu drei Monatennicht überschritt. Gleichzeitig wurden die Arbeitsmärkte für polnische MigrantInnen durch restriktive Erteilung von Arbeitserlaubnissen weitgehend unzugänglich gemacht. Viele Menschen reisten daher als TouristInnen mit der Intention ein, einer irregulären Beschäftigung nachzugehen, was mittelfristig zu einer Pendelmigration führte. Die aussichtslose Situation auf dem polnischen Arbeitsmarkt nach der Transformation und eine damit verbundene hohe und anhaltende Arbeitslosigkeit waren die wichtigsten Auslöser für die Suche nach einer Arbeit im Ausland. Der zweite relevante Faktor waren (und sind) die verglichen mit den Lebenshaltungskosten unzureichend niedrigen Löhne und Renten in Polen. Außerdem reichen die staatlichen Transferleistungen, wiez.B.Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe, nicht aus, um ein Existenzminimum zu sichern.

Dem EU-Beitritt Polens im Mai 2004 folgtenein großer Anstieg der internationalen Mobilität der polnischen Arbeitskräfte sowie eine wesentliche Richtungsänderung der Arbeitswanderung.Besonders auffällig war die Verdrängung Deutschlands als Haupteinwanderungsland in Europadurch Großbritannien und Irland. Der Grund für die Migrationswelle war ein freier Zugang zum britischen Arbeitsmarkt, die Möglichkeit, in unterschiedlichen Sektoren arbeiten zu können und Unterstützung in Form von kostenlosen Sprachkursen zu erhalten, sowiedieVerfügbarkeit von Sozialwohnungen für MigrantInnen. SomitbotGroßbritannienim Gegensatz zu Deutschlandjungen und qualifizierten Menschen Arbeits- und Entwicklungsmöglichkeiten. Auch im Gesundheits- und Pflegesektor, in dem auch in Großbritannien ein sehr hoher Arbeitskräftebedarf besteht,wurden polnischeDiplomeeher anerkannt als in Deutschland und damit besser bezahlte Tätigkeiten in Aussicht gestellt. Aus dieser Perspektive warder Arbeitsmarkt in Deutschland, vor allem für junge Menschen, zunächst unattraktiv.

Temporäre Frauenmigration:In den 1980er Jahren waren über 50%der Frauen in Polen im arbeitsfähigen Alter Vollzeit in einer entlohnten Tätigkeit beschäftigt.Dagegenwar die Mehrheit der gleichen Bezugsgruppe in den westeuropäischen Ländernkomplett vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen (Fodor 2011: 33). Eva Fodor formuliert dazu treffend: „Gerade als in den 1990er Jahren die Frauen Westeuropas in großer Zahl auf den Arbeitsmarkt drängten, waren die Frauen in Osteuropa gezwungen, diesen zu verlassen“ (Fodor 2011: 35).Daesin Polenzum einen an geeigneten Arbeitsplätzen mangelte unddie sozialstaatlichen Leistungen unzureichend waren,es zum anderen aber in Deutschland nur in begrenztem Maße möglich war, einlegales Arbeitsverhältniszu beginnen, blieb die Annahme einer irregulären Tätigkeit als letzte Alternative.Demensprechend kommen kurz vor oder nach Beendigung ihrer Berufstätigkeit in Polen viele Frauen zur Ausübung einer Haushalts- und Pflegetätigkeit nach Deutschland: Sie beginnen also in einem Alter, indem zu erwartenwäre, dass sie Rentnerinnen werden und sichz.B.um ihre Enkelkinder kümmern, eine weitere „Berufskarriere“ in Deutschland. Aus materieller Not entsteht für diese Frauen eine Zwangslage,in der sie in einer Art „zweitenAdoleszenz“ für die Mitglieder der eigenen Verwandtschaft sorgen müssen,anstatt der eigenen biographischen Such- und Planungslinie nachgehen zu können (Schütze 1995: 208). Krystyna Slany bezeichnet dieses Phänomen als „Feminisierung der Armut“ (vgl. Slany/Struzik, Wojnicka 2011). Durch Remittances, Geldtransfers der Migrantinnen in ihr Heimatland, helfen sie ihren Familien, im Alltag die Armut wirksam zu bekämpfen, Schulden abzubezahlen, die Gesundheitsversorgung zu verbessern oder Investitionen in eine hochwertige Ausbildung der Kinder und Enkelkinder zu ermöglichen, umdiesendas gleiche Schicksal zu ersparen und ihnenbessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verschaffen (vgl. BMF 2007).Die Geldtransfershaben damiteine wichtige makroökonomische Funktion, da sie unter anderem zum Wachstum des Nationaleinkommens, des Investitionsvolumens und zur Verbesserung der wirtschaftlichen Stabilität beitragen.Dadurchübernehmen sie soziale Sicherungsfunktionen, die durch sozialstaatliche Leistungen in Form von Renten, Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe nicht gewährleistet sind.

2.2Situation in Deutschland

2.2.1Demographischer WandelundPflegenotstand

In Deutschland führen der demographische Wandel unddas Fehlen geeigneter sozialpolitischer Lösungsansätze der aus dem demographischen Wandel resultierenden Problemlagen zu einem wachsenden BedarfanPflegekräften in privaten Haushalten. Der demographische Wandel ist gekennzeichnet durch eine steigende Zahl an älteren und eine sinkende Zahl an jüngeren Menschen. Die wachsende Zahl älterer Menschen hängt mit der steigenden Lebenserwartung zusammen,derenUrsachen in verbesserten Lebensbedingungen und einem größeren Gesundheitsbewusstsein, medizinischem Fortschritt und besserer ärztlicher Versorgung sowie in einer Verringerung der körperlich anstrengenden Arbeiten liegen. Die durchaus positiven Faktoren korrespondieren mit einem Wandel der Krankheitsbilder. Dazu gehört bspw. die zunehmende Häufigkeit demenzieller Erkrankungen, die eine Ursache der Pflegebedürftigkeit bilden. Die durchschnittliche Lebenserwartung lagin Deutschlandin den Jahren 2009/2011 bei 82,7 Jahren für Frauen und bei 77,7 Jahren für Männer (Destatis 2013:22). Prognosen lassen erwarten, dass bei zurückgehenden Einwohnerzahlen im Jahr 2050 mehr als ein Drittel der Menschen in Deutschland über 60 Jahre alt sein wird, darunter mehr als neun Millionen Menschen über 80 Jahre (Schnabel 2007: 2). Somit wird sich der Anteil der Pflegebedürftigengegenüberder ersten Dekade des 21. Jahrhundertsvoraussichtlich verdoppeln (Schnabel 2007: 13; DBfK 2010: 2,8). Gleichzeitig sinkt die Geburtenrate, wodurch die Zahl älterer Menschen überproportional steigt, sodass von „Unterjüngung“ (u. a. Lehr 2007) und nicht von „Überalterung“ der Gesellschaft gesprochen wird.

Der steigende Anteil an Pflegebedürftigen wird nicht von einer sozialstaatlichen Ausweitung im Bereich der Pflege begleitet. Die im Jahr 1995 eingeführte Pflegeversicherungreichtim Zusammenhang mit den geringen Renten in der Regel nicht aus, um die Pflegekosten zu decken. Vor diesem Hintergrund wird von einemsogenanntenPflegenotstand gesprochen.

Diese Trends legen nahe, von einem rapiden Anstieg der Nachfrage nach haushaltsnahen Dienstleistungen in den nächsten Jahrzehnten auszugehen.Im Durchschnitterhalten die irregulär beschäftigten Haushaltshilfen eine Entlohnung in Höhe von 1.000 bis 2.000 Euromonatlichinklusive Verpflegung und Unterbringung.Vergleichbare Dienstleistungen bieten ambulante Pflegedienste nur in seltenen Fällen an;eine 24-Stunden-Betreuungwäre für viele KlientInnen mit Kosten von etwa 5.000Euromonatlichoftmals zu teuer. Die privaten Pflegedienste werden direkt vom Staat bezahlt, allerdingsreichen diese Aufwendungen nicht aus,um24-Stunden-Pflegearrangements zu organisieren, dafürdeckensiehöchstens ein Drittel der Kostenab(Lutz/Palenga-Möllenbeck 2010: 147).

2.2.2Geringe Wertschätzung des Pflegeberufs und Fachkräftemangel in der Pflege

Deutschland unterliegt einem erheblichen Mangel an Pflegefachkräften. Ein Hauptproblem ist hierbei die Tatsache, dass der Pflegeberuf einen sozial niedrigen Status und eine relativ zu anderen Berufssparten geringe Entlohnung erfährt. Aufgrund dieser Tatsache ist der Pflegeberuf bei zunehmendem Bedarf für junge Menschen immer unattraktiver. Dieses Problem ist hauptsächlich politischer Natur undkönntebeispielsweise mit flächendeckenden angemessenen Tarifverträgenangegangen werden. Vor diesem Hintergrund ist Personal mit Migrationshintergrund bzw. mit Migrationserfahrung in doppelter Hinsicht praktisch. Einerseits besteht hier ein großes Angebot an Fachkräften,um dem Pflegenotstand entgegen wirken zu können, andererseitsfungiertsie auch als Hilfe im Prozess der interkulturellen Öffnung.Allerdings steht leider für die meisten Einrichtungen ersteres im Vordergrund. Der integrative Bestandteil der Arbeit von ausländischen Pflegefachkräften wird eher als positiver Nebeneffektund nichtals konkret verfolgtes Ziel angesehen. Die Arbeitin der Pflegegenießt als „Frauenarbeit“ generell eine geringe Wertschätzung (Apitzsch 2011: 44, Apitzsch 2014: 148).

2.2.3Bevorzugung des Modells der häuslichen Pflege

In ganz Deutschland leben gegenwärtig etwa 2,37 Millionen Pflegebedürftige, von denen rund zwei Drittel vollstationär versorgt werden (vgl. BMG 2013). Nach den Pflegestatistiken des Statistischen Bundesamtes gab es in Deutschland im Jahr 2009 insgesamt 2,34 Millionen Pflegebedürftige, davon wurden 1,62 Millionen (69%) zu Hause und 717.000 (31%) in Pflegeeinrichtungen vollstationär versorgt (Destatis 2009: 4). Von den zu Hause Versorgten wurden 1,07 Millionen durch die Angehörigen und 0,56 Millionen zusammen mit/oder ausschließlich durch Pflegedienste versorgt (ebd.). Die Sorge für die Pflegebedürftigen übernehmen meistens die Ehepartner oder andere nahe stehende Personen aus der Familie, überwiegend wird die Pflege durch Frauen verrichtet (vgl. Backes et al. 2008). Das Modell der häuslichen Pflege wird in Deutschland präferiert; die Pflegebedürftigenkönnen so in ihrer gewohnten Umgebung bleiben, ein relativ autonomes Leben führen und verfügen rund um die Uhr über einen Ansprechpartner.

Verwandte und Verschwägerte bis zum zweiten Grad sowie Personen, die mit dem Pflegebedürftigen in einer Hausgemeinschaft leben, erhalten von der Pflegekasse finanzielle Unterstützung in Form von Transferleistungen (Pflegegeld),dieje nach Pflegestufe zwischen 235 Euro und700 Euro pro Monat variiert[3]. Daneben können Aufwendungen wie Verdienstausfall, Fahrtkosten usw. geltend gemacht werden. Die meisten erwerbstätigen Kinder können es sich zeitlich gar nicht leisten, ihren Beruf aufzugeben oder zumindest einzuschränken, um die Pflege der Familienangehörigen zu übernehmen, weswegen sie häufig zwar offiziell die Pflege ihrer Eltern übernehmen, tatsächlich jedoch auf „preiswerte“ Arbeitskräfte aus Osteuropa zurückgreifen.

2.2.4Ein Überblick über rechtliche Regelungen

EU-Osterweiterung:Nachder Ost-Erweiterung der Europäischen Union am 1. Mai 2004 bestand die Möglichkeit, die Haushaltshilfen aus den Beitrittsländern legal in Deutschland einzustellen, wenn sie schon bei ihrer Einreise die „Arbeitserlaubnis EU“ hatten. Ebenso konnten sie,„wenn sie 12 Monate ununterbrochen rechtmäßig zum deutschen Arbeitsmarkt zugelassen waren, …eine unbefristete Arbeitsberechtigung EU erhalten und hatten damit einen uneingeschränkten Arbeitsmarktzugang“.[4]In dieser Zeit wurden auch Übergangsfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit vereinbart. Während einzelne Länder wie Großbritannien, Irland und Schweden ihre Arbeitsmärkte bereits 2004 vollständig geöffnet hatten, wurden in Deutschland und Österreich die Beschränkungen bis zum 1. Mai 2011 größtenteils aufrechterhalten.

Zuwanderungsgesetz:Mit dem am 1. Mai 2005 in Kraft getretenen Zuwanderungsgesetz wurde füreuropäische„Haushaltshilfen in Haushalten mit Pflegebedürftigen“ die Möglichkeit geschaffen, in diesem Bereich regulär bzw. in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zu arbeiten. Nach dem neuen Gesetz durften Haushaltshilfen nur in Haushalten arbeiten,in deneneine pflegebedürftige Person lebte. Im Gesetz warfestgelegt, dass die Frauen zwar als Hilfe für die Familienangehörigenfungieren konnten, jedoch nur „haushälterische Arbeiten“ wieKochen,Waschen,PutzenoderEinkaufen erledigen durften. Dennochübtensie–daswird durchmeine Forschung und die andererbestätigt(vgl. Lutz 2007, Karakayali 2010)–pflegerische Tätigkeiten wie Spritzen geben oder Verbände wechseln aus. Ob sie medizinische Hilfe leisteten,kannzwar durch die Behörden nicht überprüft werden, stelltejedoch bei etwaigen Präzedenzfällen, wiez.B.unerwarteten Gesundheitsverschlechterungen, ein zusätzliches, juristisches Risiko für die PflegerInnen dar.

Wer mit der Fürsorge für eine zu pflegende Person (mindestens Pflegestufe I) betraut war und eine Haushaltshilfe brauchte, sollte sich zunächst an die örtliche Arbeitsagentur wenden. Dort wurde geprüft, ob einheimische Arbeitslose für diese Tätigkeit infrage kommen. Wurde niemand gefunden,und dies war der Regelfall, setzte sich die Arbeitsagentur mit der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV) in Bonn in Verbindung. Die ZAV kontaktierte dann die Vermittlungsstellen in den entsprechenden Ländern, meistens in Polen. Wenn die KlientInnen jemanden persönlich kannten, den sie beschäftigen wollten, konnten sie diesePerson namentlich anfordern. Wie aus Forschungen hervorgeht, waren die Personen meistens bereits in den Haushalten beschäftigt, die ArbeitgeberInnenlegalisiertendas bestehende Verhältnis lediglich.[5]Dieses Gesetz erlaubte es den ausländischen Hilfskräften, eine versicherungspflichtige Vollbeschäftigung von bis zu drei Jahren in Haushalten mit pflegebedürftigenPersonen anzunehmen. Der Lohn orientierte sich dabei an den Tarifverträgen, die,abhängig von dem jeweiligen Bundesland,unterschiedlich waren. Seit Januar 2010 dürfen die von der ZAV vermittelten Personen nicht nur hauswirtschaftlicheTätigkeiten verrichten, sondern die Pflegebedürftigen auch„beim An- und Auskleiden, Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, bei der Körperpflege, beim Essen und Trinken sowie der Fortbewegung innerhalb und außerhalb der Wohnung“ unterstützen (ZAV 2014).[6]

Dass diese Lösung nur eine scheinbare Legalisierung der Tätigkeit und Verbesserung der Arbeitsbedingungen erbracht hat, wird von offizieller Seite verschwiegen oder sogar dementiert. Die Frauen wohnten weiterhin in denselben Haushalten mit ihren KlientInnenund standen immer noch 24 Stunden als „Live-in“-Arbeitskraftzur Verfügung, obwohl der offizielle Arbeitsvertrag nur 38,5 Stunden umfasste(ibid.). Diese Regelung war für beide Seiten des Arbeitsverhältnisses unattraktiv: Für die Arbeitgeber, weil sie sichzu Beginn des Arbeitsverhältnissesmit vielen Formalitäten beschäftigen undaufgrund der Sozialabgaben im Vergleich zu einer illegalen Beschäftigung nahezu das Doppelte bezahlen mussten.Für die Arbeitnehmerinnen waren die neuen Regelungen auch nicht verlockend, da sich die Arbeitskonditionen nicht verbessert hatten und sie außerdem nicht sofort aus den prekären Arbeitsverhältnissen austreten konnten (Karakayali 2010, Frings 2010: 66). Zudem mussten sie in ihrem Herkunftsland, zumindest in Polen, für die ausgeübte Tätigkeit in Deutschland Steuern bezahlen. Die oben erwähnten Gründe waren u. a. mitverantwortlich für die geringe Inanspruchnahme der durch die Neuregelung geschaffenen Möglichkeiten in Deutschland. Der Zugang zum Arbeitsmarkt wurde durch Restriktionen, Bürokratie und lange Wartezeiten zusätzlich erschwert und hat neue Formen der prekären Beschäftigung geschafft.

Das Gewerbe:Mit dem Zuwanderungsgesetz wurde auch die Möglichkeit eingeführt, sich als Haushaltshilfe mit einem Gewerbeschein selbstständig zu machen. Selbstständigkeit lag aber nur dann vor, wenn es sichnichtum „eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers“ (§ 7 Abs. 1 SGB IV) handelte. Eine „Live-in“-Tätigkeit stellte daher keineselbstständigeTätigkeit dar. Dieses Beschäftigungsmodell konnte nur dann legal sein, wenn die Selbstständigen als Haushaltshilfen bei mehreren Arbeitgebern arbeiteten.

Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt ab 1. Mai 2011:Pflegehilfen aus Osteuropa dürfen ab dem 1. Mai 2011 uneingeschränkt in Deutschland arbeiten und ganz legal ältere und pflegebedürftige Menschen in ihrem Haus versorgen. Familien können eine Haushaltshilfe aus Ländern wie Polen, Tschechien und Ungarn fest einstellen und irreguläre Verhältnisse somit legalisieren. Grundsätzlich ist der bürokratische Aufwand für die Einstellung von Arbeitskräften aus Osteuropa ab dem 1. Mai geringer als vorher. Bei der Anstellung sind die Anmeldung der Arbeitskraft beim Einwohnermeldeamt und bei der Krankenkasse, die Beantragung einer Betriebsnummer beider Arbeitsagentur sowie die zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge zu beachten. Schätzungen von Stiftung Warentest zufolge liegen die Kosten für eine fest angestellte Haushaltshilfe oder Pflegekraft bei 1.500 bis 2.000 Euro monatlich.[7]Ab August 2010 wurde ein Mindestlohn in der Pflegebranche eingeführt, an den sich alle Pflegebetriebe halten müssen. Allerdings obliegt die Ausgestaltung desArbeitsvertrages den Arbeitgebern,weshalb nicht gewährleistet ist, dass die Beschäftigten auch tatsächlich den festgesetzten Mindestlohn erhalten. Bei Verstößenseitens des Arbeitgebers istdie Verhandlungsposition der ArbeitnehmerInnen durch die Angst vor dem VerlustdesArbeitsplatzesgeschwächt.

Irreguläre Pflege:Neben den regulären und halbregulären Formen der Migration arbeiten immer nochviele Frauen jenseits staatlicher und arbeitsrechtlicher Regelungen. Die meisten vonihnenhaben nicht nur einen legalen Aufenthaltsstatus, sondernsie benötigenseit der EU-Osterweiterung und der Einführung des Freizügigkeitsgesetzes keine Arbeitserlaubnis, um in Deutschland erwerbstätig zu sein. Gemäß der Studie des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung e.V. (dip) „Situation und Bedarfe von Familien mit mittel- und osteuropäischenHaushaltshilfen“ (2009) wurden etwa 100.000 Haushaltshilfen aus Mittel- und Osteuropa in Privathaushalteneingestellt(Neuhaus/Isfort/Weidner 2009: 9). Davon waren nur rund 2.000 im Rahmen eines regulären Beschäftigungsverhältnisses bzw. in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis angestellt,was einer relativen Anzahl von 2%an der Gesamtzahl eingestellter Haushaltshilfen entspricht. Dieüberwiegende Mehrheit arbeitet irregulär:nicht angemeldet. Diese Gruppe rekrutiert sichaus Frauen aus aller Welt, einen großen Teil davon stellen jedochPolinnen. Laut dieser Studie nutzen 60%der befragten Haushalte teilweiseneben einer Haushaltshilfe auch einen ambulanten Pflegedienst.Damit bestärken die Ergebnisse der Studie meine eigenen RecherchenundBeobachtungen,durch die auch icheine Kombination aus privatenPflegediensten und zusätzlichen Beschäftigungsverhältnissenfeststellen konnte.

Die Absenz eines juristischen Reglements, wiez.B.Arbeitsverträgenund Versicherungsschutz,in diesen Beschäftigungsverhältnissen bilden von vornherein eine soziale Schieflage auch in Bezug auf staatsbürgerliche Rechte. In erster Linie jedoch arbeiten die Frauen unter Bedingungen, dieim Hinblick auf Beschäftigungszeit und Gehalt von regulären Arbeitsverhältnissen in Deutschland deutlich abweichen.Die Situation ist dadurch prekär, dass die Frauen sich in einer „Live-in-Situation“ befinden, was bedeutet, dass sie an ihrem Arbeitsplatz zusammen mit den Pflegebedürftigen wohnen undrund-um-die-Uhr, also in der Nacht, bzw. während der Freizeit zumindest auf Abruf zur Verfügung stehen müssen. Wenn man die Arbeitszeiten berechnet, indenen die Frauen nicht nur die belastende Pflege- und Haushaltstätigkeit ausüben, sondern auch die Zeit der Arbeitsbereitschaft, beträgt der Stundenlohn zwischen 70 Cent und 2 Euro (Emunds/Schacher 2012: 4).In ‚Live-in-Arrangements‘ arbeitendie Frauenwochen- und monatelangohne Unterbrechung.Die fehlenden arbeitsrechtlichen Regelungen des Beschäftigungsverhältnisses bilden einen strukturellen Ausgangspunkt für das Handeln. Grundlage der Arbeit der irregulären Pflegekräfte ist üblicherweise ein mündlicher Vertrag, in dem eine pauschale Bezahlung vereinbart ist; es besteht kein Versicherungsschutz im Fall von Unfall oder Krankheit; die konkret zu verrichtenden Tätigkeiten sowie Aufgaben und Pflichten sind vertraglich nicht festgeschrieben; schließlich fehlen grundlegende Arbeitsrechte wie eine Regelung der Arbeitszeiten, Unfallversicherung, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Kündigungsschutz usw.

Durch das Fehlen arbeitsvertraglicher Sicherheiten verschwimmt die Trennungslinie zwischen Beschäftigung, Bereitschaftsdienst und Freizeit. Insbesondere der fehlende Kündigungsschutz birgt die permanente Gefahr einer sofortigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses, was generell eine schlechte Grundlage für Aushandlungsprozesse über die Arbeitsbedingungen darstellt. Eine wichtige Verhandlungsgrundlage kann darin bestehen, dass eine Beziehung zu den KlientInnen besteht und damit eine gewisse Abhängigkeit dieser von den Pflegekräften; im günstigsten Fall treten die KlientInnen selbst als FürsprecherInnen der Pflegekräfte auf. Eine entscheidende Rahmenbedingung in den untersuchten Fällen ist unabhängig davon darin zu sehen, dass die Verhandlungen in der persönlichen Interaktionmit den ArbeitgeberInnen zu führen sind und daher stark abhängig sind von dem subjektivenVerhandlungsgeschick der jeweiligen Personen.

Im Gegensatz zu regulären Pflegekräften in stationären oder ambulanten Diensten verfügen die irregulären Pflegekräfte über keinerlei formale Befugnisse zur grundpflegerischen Betreuung der KlientInnen. Dennoch werden bestimmte Tätigkeiten der regulären Pflegedienste von ihnen erwartet, bspw. die Injektion von Spritzen oder die Verabreichung von Medikamenten.

Mit denfehlendeneigenenRechtensowiedem Mangel anLegitimation für das Handeln als Betreuerin gehteineUnsicherheit im Handeln einher, dieauch in den von mir geführten Interviewsmehrfach zum Ausdruck gebrachtwurde; der rechtliche Aspekt ist zwar durchgehend relevant,wirktjedochzu Beginnder Migrationsphase besonders handlungseinschränkend, denn alle anderen Handlungsressourcensinderstmal nicht vorhanden. Die Herausforderung für die Migrantinnen besteht darin, Legitimationsquellen füreinHandeln im Sinne der KlientInnen zu finden, ohne über die rechtlichen Grundlagendafür tatsächlichzu verfügen.

Daraus resultiert eine starke (formale) Beschränkung der Handlungsfähigkeit, die bis zur Handlungsohnmacht reichen kann. Die (formale) Entscheidungsmacht liegt in diesem Fall bei denKlientInnen und ihren Familienangehörigen.

DiePflegekräftearbeiten in Rotationssystemen, in denen sie sich alle paar Wochen oder Monate mit anderen Frauen, meistens aus Polen, abwechseln. Hierbei handelt es sich um ein außergewöhnliches Phänomen der informellen Arbeitsorganisation, bei dem die Frauen ihre Arbeit eigenständig organisieren und vermitteln. Mit den selbstregulierenden Rotationssystemen entgehen sie zwielichtigen Vermittlungsorganisationen.

Obwohl das deutsche Pflegesystem auf diese zusätzlichen Pflegekräfte, ohne die die Funktionalität des gesamten Systems gefährdet wäre, angewiesen ist, wird dies sozialpolitisch nicht anerkannt. Die deutsche (Migrations-)Politik ist seit langer Zeit von einer Grundangst vor starker Zuwanderung, „Überfremdung“ und Besetzung der Arbeitsplätze durch ausländische Arbeitskräfte geprägt. Die Haltung des Staates gegenüber den MigrantInnen, die die Pflegearbeit verrichten, lässt sich als „staatliche Komplizenschaft“ (Lutz/Palenga-Möllenbeck 2010: 147) beschreiben, da sie sich einerseits durch eine zwangsläufige Toleranz gegenüber dem Phänomen auszeichnet, andererseits jedoch durch die offizielle Bekämpfung der irregulären Migration charakterisiert ist. Einerseits wird das Tätigkeitsfeld der migrantischen Pflegekräfte streng begrenzt und durch Arbeitsrestriktionen eingeschränkt, um eine Konkurrenz zu den ambulanten Pflegediensten zu verhindern. Andererseits werden Versuche unternommen, das Pflegeproblem auf „nationaler“Ebene zu lösen undz.B.den Pflegeberuf attraktiver zu machen und ihn alsHerausforderung, aber auch als Chance für junge Menschen zu gestalten (Gerlach 2005). Eine andere Strategie versuchte die Bundesagentur für Arbeit im August 2008. Dabei sollten „schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose bei der Betreuung und Pflege von Demenzkranken in Heimenals Pflege-Hilfskräfteeingesetzt“ werden.

2.2.5Medialer Diskurs über dieirregulärehäusliche Pflege

Die Medien spielen eine erhebliche Rolle bei der Bildung von Meinungen über die häusliche Pflegearbeit und das Entstehen sowie das Aufrechterhalten von Stereotypen zur (Arbeits-)Migration.Esist auffallend, dass bei der Berichterstattung über diesesPhänomeneinige relevante Aspekte regelmäßig ausgeblendet und andere beschönigt werden.

Die Folgen des demographischenWandels werden als eine Überforderung für Deutschlanddargestellt. Bei der Beleuchtung der Schwierigkeiten von ArbeitgeberInnen und illegal Beschäftigten wird zudem die Verantwortung beider Länder – Deutschlands und des Heimatlands der Migrantinnen – für diese Problemstellungenaußer Acht gelassen.DasPhänomen der irregulären Pflegewirdin den Medien als den deutschen Familien und polnischen Frauen überlassene Angelegenheit, von der beide Seiten zu profitieren scheinen, thematisiert, wobei auch hier zwei Perspektiven in Bezug auf die ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen zu unterscheiden sind.Die Angehörigen werden oft als mit dem schwierigen Alltag mitden zu Pflegendenüberfordert dargestellt: „Es ist wichtig, ihnen keine Schuld zuzuweisen,selbst wenn sie Illegale beschäftigen.“ (FR 12.04.2008)Es wird darüber gesprochen, dass diese Arbeit eine körperlich schwere, zeitaufwendige und erschöpfende Tätigkeit ist, die denAngehörigender Pflegebedürftigen keine freie Zeitgestaltung,wiez.B.Ausschlafen oder eigenen Interessen nachgehen,erlaubt.Diese Anstrengung und Aufopferungbzw. Ausbeutung wird in Bezugauf polnische Frauen, die die gleiche Arbeit für „Fremde“ machen, überhaupt nicht angesprochen. Es wird nur dargestellt, wie „die Perlen“ den Familien aushelfen und mit Selbstverständlichkeitdiese Arbeit ausüben. Des Weiteren werden die problematischenAusgangslagender polnischen Frauen sowohl in Deutschland alsauch in Polen, diez.B.dadurch entstehen, dass sie ihre Familien zeitweise verlassen müssen,sowie soziale und psychophysische Folgen der Arbeit nicht thematisiert. Diese einseitige Sicht auf die Problematik bringt sowohl die Ungleichheitsstrukturen in der Gesellschaft als auch die fehlende Repräsentanz dieser Gruppe von Migrantinnen zum Ausdruck.

Mit der Überschrift „Die 24-Stunden-Polin“[8],[9]wurden mehrere Zeitungsartikel betitelt. Diese Formulierung erinnert anAll-Inclusive-Angebote für Reiseaufenthalte, die im Katalog warten, um von Interessenten ausgewählt zu werden. Es wird nicht aufgelistet oder begrenzt, was zu der Dienstleistung gehört und was nicht. Offensichtlich wird angenommen, dass ALLES dazu gehört,rund-um-die-Uhr.Zwar gibt es Frauen aus Asien, Südamerika und auch aus anderen osteuropäischen Ländern, die in diesen Berufen arbeiten, jedoch scheinen polnische Frauen in Deutschland im Pflegebereich (aber auch im Reinigungsdienst) einen besonderen Ruf zu haben und mit diesem konnotiert zu werden.Diehäusliche Pflege wird ethnisiert:Das Wort ‚Polin‘ wird als Synonym fürdie Betreuerinnen von älteren Menschen genutzt. „24-Stunden-Betreuung aus Polen“ bieten die DienstleisterInnen und VermittlerInnen in Pflege und Betreuungim Internetan.Die polnischen Frauen werden entweder als ein überprüftes Produkt dargestellt oder als eine homogene Gruppe, die keine individuellen Bedürfnisse oder Handlungsoptionen hat.

In den Zeitungen werden die FrauennurmitihremVornamen genannt:

„So eine Barbara müsste man haben, später, wenn man alt und gebrechlich ist (…)Barbara ist kein Luxus. In Deutschland können sie sich viele leisten, Töchter, Söhne, Ehefrauen, die ihre pflegebedürftigen Angehörigen nicht allein versorgen können.“[10]

In denHauhaltenwerden die Frauengeduzt, aber auch in den Zeitungen werden nurihreVornamengenannt.Auf den Bildern zu den Artikeln werden in der Regelhelfende Hände und gebeugte Frauenab 50 Jahrendargestellt.

Kritisch ist auch zu betrachten, dass sich das Phänomen der irregulären Arbeit in der Pflege nicht nur in der Umgangssprache, sondern auch in der wissenschaftlichen SprachemitAusdrückenaus der ZeitdesKolonialismus – „Schwarzarbeit“ – niederschlägt (vgl. Enste/Tschömer 2012; Emunds/Schacher 2012: 9). Mit dem Begriff „Schwarzarbeit“ bezeichnet man nichtnur Unehrlichkeit und finanzielles (Aus-)Nutzen, sondernes wirdeine binäre Farbsymbolik hervorgerufen, die einen rassistischen Hintergrund hat und in der dem Begriff„schwarz“negative Eigenschaften zugeschrieben werden. Somit rückt (un)bedacht durch den wissenschaftlichen Diskurs nur eine Seite der Medaillein den Vordergrund– gegenrechtliches Handeln der irregulär arbeitenden Pflegekräfte – und diesozialpolitischeAusgangslage sowie das gegenrechtliche Handelnder ArbeitgeberInnenwerdenindenHintergrund gestellt.

In den Alltagsinteraktionenwird manmit kulturellen Stereotypen „Polin gleich Putzfrau“ oder „Polin gleich Pflegekraft“ konfrontiert, in denen gesellschaftliche Diskurse über die symbolische Exklusion und die ethnischen Nischen (Schahrzad 2008) unreflektiert reproduziert werden.

Wie die Konnotation der polnischen Nationalität mit den unterbezahlten unterqualifizierten Frauenberufen zusammenhängt, konnte ich als gebürtige Polin selbst mehrmals erfahren. Einmal bat mich eine Freundin, ein Paket für sie von der Post abzuholen. Nachdem ich an der Poststelle gesagt hatte, dass ich das Paket abholen wolle, obwohl ich keine Vollmacht hierzu besaß, schaute mich der Postangestellte an und sagte, dass es reichen würde, wenn die Klientin den Empfängerzettel unterschreiben könne. Als ich eine Arbeitserlaubnis für meine Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Sozialforschung in Frankfurt benötigte, forderte die Angestellte in der Bundesagentur für Arbeit eine genaue Tätigkeitsbeschreibung: „Wenn Sie als Putzkraft arbeiten möchten, was der Normalfall ist, hätten Sie die Beschreibung nicht gebraucht, aber als wissenschaftliche Hilfskraft weiß man nicht, was Sie da machen werden.“

Die Selbstverständlichkeit, mit der man sich im Alltag auf die Stereotypisierungen bezieht, weist auf die in der Gesellschaft bestehenden Ausgrenzungsmechanismen, die einenTeil des sozial geteilten und legitimierbaren Wissens bilden, hin. Die stigmatisierende Voreingenommenheit reaktiviert sich in der Begegnung mit einem Mitglied einer stereotypisierten Gruppe undnimmt indieser Interaktionssituationeine Form der subtilen Diskriminierung an. In den Medien wird die Frage der Machtverhältnisse, diesich oft in einem Dienstcharakter mit Ausbeutungsrisiken sowie xenophobischen Haltungen realisieren, nicht zur Sprache gebracht.

Die fehlendeBerücksichtigungder Situation der Frauen in den Medien ist oft ein Spiegelbild der alltäglichen Situation in den Haushalten, in denen diePflege ausgeübt wird. Hier werdendie Frauenoftausschließlich aus einer funktionalen Perspektive betrachtet.

Wegen ihrer polnischen Herkunft und den damit diskursiv konnotierten Bildern der katholischen Dienstleistungsbereitschaft und der Selbstaufopferung der Frau für die Familie werdendie Pflegekräfteals billige Hilfskräfte angesehen, die ihre „natürlich“ erworbenen Kompetenzen in die Arbeit einbringen. Die genannten Aspekte erschweren es der in der häuslichen Pflege arbeitenden Personengruppe in Deutschland Anerkennung für die Qualität ihrer Arbeit zu erlangen (vgl. Brückner 2010; Lutz 2008a, 2008b).

3.Hinführung zurFragestellung dieser Untersuchung

Die Organisationvon Haushalts- und Pflegearbeit, die ausländische Frauen ausüben,findetaufgrundder Aktualität des Phänomenszunehmende Beachtung in Öffentlichkeit, Politik, Wissenschaft und Literatur.Die soziologische und gesellschaftspolitische Relevanz dieses Themas führte in den letzten Jahren,sowohl im internationalen als auch im deutschsprachigen Raum, zueinigen theoretischen Publikationen zu diesem Thema.Dagegen ist die ZahlanempirischenStudien relativ gering.Im Folgenden werde ich nur auf einigedeutschsprachigeUntersuchungeneingehen, die sich demGegenstand dieses Forschungsprojekts –Migration und private Dienstleistung–mit differenziertenAnsätzenund Forschungsmethodenunddementsprechendunterschiedlichen Erkenntnisinteressenannähern.

3.1Zur Verhältnis vonMigration und Fürsorgearbeit

Die bisherige wissenschaftliche Betrachtung des Phänomens derFürsorgearbeit, die von Migrantinnenverrichtet wird,