Militarismus und Antimilitarismus - Karl Liebknecht - E-Book

Militarismus und Antimilitarismus E-Book

Karl Liebknecht

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Beschreibung

In seinem Werk 'Militarismus und Antimilitarismus' beleuchtet Karl Liebknecht die Bedeutung des Militarismus in der Gesellschaft und setzt ihn in den Kontext des aufkommenden Ersten Weltkriegs. Er analysiert detailreich die Ursachen und Auswirkungen militaristischer Ideologien und plädiert für eine antimilitaristische Haltung als notwendige Antwort auf die Kriegstreiberei. Liebknechts Schreibstil ist klar und prägnant, er nutzt historische Fakten und politische Analysen, um seine Argumentation zu untermauern. Das Buch zeugt von Liebknechts politischer Leidenschaft und seinem Engagement für den Frieden in einer von Konflikten geprägten Zeit.

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Karl Liebknecht

Militarismus und Antimilitarismus

Eine Untersuchung des antihumanen Wesens des Militarismus
            Books

Inhaltsverzeichnis

Vorwort
Erster Teil: Militarismus
I. Allgemeines
1. Von Wesen und Bedeutung des Militarismus
2. Entstehung und Grundlage der gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse
3. Einiges aus der Geschichte des Militarismus
II. Der kapitalistische Militarismus
Vorbemerkung
1. „Militarismus nach außen“, Marinismus und Kolonialmilitarismus
2. Proletariat und Krieg
3. Grundzüge des „Militarismus nach innen“ und seine Aufgabe
4. Heeresverfassung in einigen ausländischen Staaten
5. Folgerungen
III. Mittel und Wirkungen des Militarismus
1. Das unmittelbare Ziel
2. Militaristische Pädagogik
IV. Besonderes von einigen Hauptsünden des Militarismus
1. Die Soldatenmißhandlungen oder der Militarismus als reuiger und doch unverbesserlicher Sünder
2. Die Kosten des Militarismus oder La douloureuse
3. Die Armee als Werkzeug gegen das Proletariat im wirtschaftlichen Kampf
4. Säbel- und Flintenrecht gegen Streiks
5. Kriegervereine und Streiks
6. Die Armee als Werkzeug gegen das Proletariat im politischen Kampf oder das Recht der Kanonen
7. Kriegervereine im politischen Kampfe
8. Der Militarismus, eine Gefährdung des Friedens
9. Die Schwierigkeiten der proletarischen Revolution
Zweiter Teil: Antimilitarismus
I. Antimilitarismus der alten und der neuen Internationale
II. Der Antimilitarismus im Auslande unter besonderer Berücksichtigung der Jugendorganisationen
III. Die Gefahren des Antimilitarismus
IV. Antimilitaristische Taktik
1. Taktik gegen den äußeren Militarismus
2. Taktik gegen den inneren Militarismus
3. Anarchistischer und sozialdemokratischer Antimilitarismus
V. Die Notwendigkeit einer besonderen antimilitaristischen Propaganda
VI. Der Antimilitarismus in Deutschland und die deutsche Sozialdemokratie
VII. Die antimilitaristischen Aufgaben der deutschen Sozialdemokratie

Vorwort

Inhaltsverzeichnis

Vor wenigen Wochen berichteten Die Grenzboten über ein Gespräch zwischen Bismarck und Professor Dr. Otto Kämmel aus dem Oktober 1892, in dem sich der „Heros des Jahrhunderts“ die Maske des Konstitutionalismus mit dem ihm eigenen Zynismus selbst vom Gesicht riß. Bismarck äußerte unter anderm:

In Rom war aqua et igne interdictus, wer sich außerhalb der Rechtsordnung stellte, im Mittelalter nannte man das ächten. Man müßte die Sozialdemokratie ähnlich behandeln, ihr die politischen Rechte, das Wahlrecht nehmen. Soweit würde ich gegangen sein. Die sozialdemokratische Frage ist eine militärische. Man behandelt jetzt die Sozialdemokratie außerordentlich leichtsinnig. Die Sozialdemokratie strebt jetzt – und mit Erfolg – danach, die Unteroffiziere zu gewinnen ... In Hamburg ... besteht jetzt schon ein guter Teil der Truppen aus Sozialdemokraten, denn die Leute dort haben das Recht, nur in die dortigen Bataillone einzutreten. Wie nun, wenn sich diese Truppen einmal weigern, auf ihre Väter und Brüder zu schießen, wie der Kaiser verlangt hat? Sollen wir dann die hannöverschen und mecklenburgischen Regimenter gegen Hamburg auf bieten? Dann haben wir dort etwas wie die Kommune in Paris. Der Kaiser war eingeschüchtert. Er sagte mir, er wolle nicht einmal „Kartätschenprinz“ heißen wie sein Großvater und nicht gleich an Anfange seiner Regierung „bis an die Knöchel im Blut waten“. Ich sagte ihm damals: „Ew. Majestät werden noch viel tiefer hinein müssen, wenn Sie jetzt zurückweichen!“

„Die sozialdemokratische Frage ist eine militärische.“ Das drückt das ganze Problem aus; das sagt mehr und greift viel tiefer als der von Massowsche Notschrei: „Der einzige Trost, den wir haben, sind die Bajonette und Kanonen unsrer Soldaten.“[1] „Die sozialdemokratische Frage ist eine militärische.“ Das ist seit je der Grundton aller Scharfmachermelodien. Wem das die früheren Bismarckund Puttkanierschen Indiskretionen, die Alexandrinerrede, die Hamburger Nachrichten und der Vollblutjunker von Oldenburg-Januschau noch nicht beigebracht hatten, dem werden nach den Hohenlohe-Delbrückschen Enthüllungen, die um die Jahreswende ihre Bestätigung durch den Landgerichtsrat Kulemann gefunden haben, dem werden nach jenem lapidaren Wort Bismarcks die Augen aufgegangen sein.

Die sozialdemokratische Frage – soweit sie eine politische Frage ist – ist am letzten Ende eine militärische. Das sollte auch der Sozialdemokratie stets als Menetekel vor Augen schweben und als ein taktisches Prinzip ersten Grades gelten.

Der innere Gegner, die Sozialdemokratie, ist „gefährlicher als der äußere, weil er die Seele unsres Volkes vergiftet und uns die Waffen aus der Hand windet, ehe wir diese noch erheben“. So proklamierte die Kreuz-Zeitung am 21. Januar 1907 die Souveränität des Klasseninteresses über das nationale Interesse in einem Wahlkampf, der gerade „unter der wehenden Standarte des Nationalismus“ geführt wurde! Und dieser Wahlkampf stand unter dem Zeichen fortgesetzt gesteigerter Wahl- und Koalitionsrechtsbedrohung, unter dem Zeichen des „Bonaparteschen Degens“, mit dem Fürst Bülow in seinem Silvesterbrief um die Köpfe der deutschen Sozialdemokraten fuchelte, um sie ins Bockshorn zu jagen; er stand unter dem Zeichen eines zur Siedehitze gesteigerten Klassenkampfs.[2] Nur der Blinde und Taube kann leugnen, daß diese Zeichen und viele andre auf Sturm, ja auf Orkan deuten.

Damit hat das Problem der Bekämpfung des „inneren Militarismus“ aktuellste Bedeutung gewonnen.

Die Wahlen 1907 wurden aber auch geführt um die nationale Phrase, um die koloniale Phrase, um Chauvinismus und Imperialismus. Und sie haben gezeigt, wie beschämend gering trotz alledem die Widerstandskraft des deutschen Volks gegenüber den pseudopatriotischen Rattenfängereien jener verächtlichen Geschäftspatrioten ist. Sie haben gelehrt, welch grandiose Demagogie die Regierung, die herrschenden Klassen und die ganze heulende Meute des „Patriotismus“ zu entfalten vermögen, wenn es um ihre „heiligsten Güter“ geht. Sie waren für das Proletariat Wahlen der nützlichsten Klärung, Wahlen der Selbstbesinnung und der Belehrung über das soziale und politische Kräfteverhältnis, Wahlen der Erziehung, der Befreiung von der unglückseligen „Sieggewohnheit“, Wahlen des willkommenen Zwangs zur Vertiefung der proletarischen Bewegung und des Verständnisses für die Psychologie der Massen gegenüber nationalen Aktionen. Gewiß sind die Ursachen unsrer sogenannten Schlappe, die keine Schlappe war und über die die Sieger verblüffter waren als die Besiegten, gar mannigfaltige; kein Zweifel aber, daß gerade die militaristisch durchseuchten oder beeinflußten Teile des Proletariats, die freilich an sich schon dem Regierungsterrorismus am wehrlosesten ausgeliefert zu sein pflegen, zum Beispiel die Staatsarbeiter und Unterbeamten, der sozialdemokratischen Ausbreitung einen besonders festen Damm entgegengesetzt haben.

Auch das rückt die antimilitaristische Frage und die Frage der Jugendbewegung, der Jugenderziehung für die deutsche Arbeiterbewegung, energisch in den Vordergrund und sichert ihren Anspruch auf zunehmende Beachtung.

Die folgende Schrift ist die Ausarbeitung eines Referats, das der Verfasser am 30. September 1906 auf der 1. Generalversammlung des Verbandes junger Arbeiter Deutschlands in Mannheim hielt. Sie macht sich nicht anheischig, etwas wesentlich Neues zu bieten; sie soll nur eine Zusammenstellung bereits bekannten, meinethalben gemeinplätzlichen Materials sein. Sie beansprucht auch nicht den Titel erschöpfender Vollständigkeit. Der Verfasser hat sich nach Kräften bemüht, das meist in Zeitungen und Zeitschriften unendlich zerstreute und verzettelte Material aus aller Herren Länder zusammenzuschaffen; und dank vor allem der Hilfe unsres belgischen Genossen de Man ist es gelungen, wenigstens einen Überblick über die antimilitaristische und die Jugendbewegung der wichtigsten Länder zu gewinnen.

Wenn hier und da Irrtümer unterlaufen sein sollten, so mögen sie durch die Schwierigkeit der Stoffbewältigung, aber auch die vielfache Unzuverlässigkeit der Quellen entschuldigt werden, die sich nicht selten selbst in Widersprüchen bewegen.

Auf dem Gebiete des Militarismus ist gerade in unsren Tagen vieles in schnellem Fluß, und zum Beispiel im Punkte der französischen und englischen Militärreformen wird die Darstellung der folgenden Zeilen gewiß durch die Ereignisse gar bald überholt werden.

Noch mehr gilt das aber von dem Antimilitarismus und der proletarischen Jugendbewegung, diesen neuesten Erscheinungen im proletarischen Befreiungskampf, die sich allenthalben in rascher Entwicklung und trotz mancher Rückschläge in erfreulichem Aufschwung befinden. So ist erst nach Drucklegung dieser Schrift in Erfahrung gebracht worden, daß die finnischen sozialistischen Jugendvereine an 9. und 10. Dezember 1906 ihren ersten Kongreß in Tammerfors abhielten, wo ein Verband jugendlicher Arbeiter Finnlands gegründet wurde, der sich der finnischen Arbeiterpartei anschließen wird und neben der Erziehung der jugendlichen Arbeiter zum Klassenbewußtsein auch den Kampf gegen den Militarismus in allen seinen Gestalten zur besonderen Aufgabe hat.

Man wird gegenüber der theoretischen Grundlegung unsrer Arbeit den Vorwurf allzu großer Kürze und ungenügender historischer Vertiefung zu erheben geneigt sein. Demgegenüber muß auf den aktuell politischen Zweck der Schrift verwiesen werden, den Zweck, den antimilitaristischen Gedanken zu fördern.

Mancher wird wiederum mit der Aufhäufung der zahlreichen oft anscheinend unerheblichen Einzelheiten besonders aus der Geschichte der Jugendbewegung und des Antimilitarismus unzufrieden sein. Diese Unzufriedenheit mag gerechtfertigt sein. Der Verfasser ging indessen von der Ansicht aus, daß erst durch die Einzelheiten, das Auf- und Abwogen der organisatorischen Entwicklung, das Werden und Wandeln der taktischen Grundsätze eine lebendige Anschauung und die erstrebte Nutzanwendung ermöglicht wird, zumal ja gerade bei der antimilitaristischen Agitation und Organisation die Hauptschwierigkeit im Detail liegt.

Berlin, den 11. Februar 1907 Dr. Karl Liebknecht

Fußnoten

1. Vgl. das Deutsche Wochenblatt Arendts, Mitte November 1896. Weiter Sozialdemokratische Partei-Correspondenz, II. Jahrg., Nr.4.. (Siehe Kapitel 2.5 Rußland. Die Red.)

2. Abend des Stichwahltages (5. Februar 1907) wurden Truppen der Berliner Garnison mit scharfen Patronen versehen und zum Ausrücken bereitgehalten. Bekanntlich waren am 25. Juni 1905, dem vormaligen Stichwahltag, in Spandau die Pioniere bereits auf der Schönwalder Straße, um die über den Wahlausfall erregte Arbeiterschaft „zur Räson zu bringen“.

Erster Teil: Militarismus

Inhaltsverzeichnis

I. Allgemeines

1. Von Wesen und Bedeutung des Militarismus

Inhaltsverzeichnis

Militarismus! Wenige Schlagworte werden in unsrer Zeit so häufig gebraucht, und kaum ein Schlagwort bezeichnet etwas so Verwickeltes, Vielgestaltiges, Vielseitiges, eine in ihrem Ursprunge und Wesen, ihren Mitteln und Wirkungen so interessante und bedeutsame Erscheinung, eine Erscheinung, die so tief in dem Wesen der Klassengesellschaftsordnungen gewurzelt ist und die dennoch auch innerhalb der gleichen Gesellschaftsordnung, je nach den besonderen natürlichen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen einzelner Staaten und Gebiete, so außerordentlich mannigfaltige Formen annehmen kann.

Der Militarismus ist eine der wichtigsten und energischsten Lebensäußerungen der meisten Gesellschaftsordnungen, weil in ihm der nationale, kulturelle und klassenmäßige Selbsterhaltungstrieb, dieser elementarste aller Triebe, am stärksten, konzentriertesten, ausschließlichsten zum Ausdruck kommt.

Eine Geschichte des Militarismus, im tiefsten Sinne durchgeführt, deckt das innerste Wesen der menschheitlichen Entwicklungsgeschichte, ihre Triebfedern überhaupt auf, und eine Sektion des kapitalistischen Militarismus bedeutet eine Offenlegung der verborgensten und feinsten Wurzelfasern des Kapitalismus. Die Geschichte des Militarismus ist gleichzeitig die Geschichte der politischen, sozialen, wirtschaftlichen und überhaupt kulturellen Spannungsverhältnisse zwischen den Staaten und Nationen wie auch die Geschichte der Klassenkämpfe innerhalb der einzelnen staatlichen und nationalen Einheiten.

Natürlich kann hier keine Rede davon sein, auch nur den Versuch einer solchen Geschichte zu wagen. Indessen seien einige wenige allgemeine Gesichtspunkte angedeutet.

2. Entstehung und Grundlage der gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse

Inhaltsverzeichnis

Die entscheidende Stütze jedes gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisses ist in letzter Linie die Überlegenheit der physischen Kraft[1], die als gesellschaftliche Erscheinung nicht in der Form größerer Körperstärke der einzelnen Individuen in die Erscheinung tritt, für die vielmehr, dem großen Durchschnitt entsprechend, zunächst einmal Mensch gleich Mensch ist und für die das rein zahlenmäßige Mehrheitsverhältnis entscheidet. Dieses Zahlenverhältnis entspricht nicht ohne weiteres dem zahlenmäßigen Verhältnis derjenigen Personenkreise, die widersprechende Interessen besitzen, sondern es wird, da nicht \ein jeder seine eignen wirklichen Interessen kennt, insbesondere nicht seine grundsätzlichen Interessen, da vor allem nicht jeder die Interessen seiner Klasse als seine eignen individuellen Interessen erkennt oder anerkennt, wesentlich durch das sich je nach der geistigen und sittlichen Entwicklungsstufe der einzelnen Klasse richtende extensive und. intensive Maß des Klassenbewußtseins bestimmt. Diese geistige und sittliche Stufe wiederum. richtet sich je nach der wirtschaftlichen Lage der einzelnen Interessengruppen (Klassen), während sich die soziale und politische Lage mehr als Folge, freilich als eine auch sehr stark zurückwirkende Folge, als ein Ausdruck des Herrschaftsverhältnisses darstellt.

Auch unmittelbar wirkt die rein wirtschaftliche Überlegenheit mit zur Verschiebung und Verwirrung jenes Zahlenverhältnisses, da der wirtschaftliche Druck nicht nur die Höhe der geistigen und sittlichen Stufe und damit die Erkenntnis des Klasseninteresses beeinflußt, sondern auch eine Tendenz erzeugt, entgegen dem mehr oder weniger wohlverstandenen Klasseninteresse zu handeln. Daß auch die politische Maschinerie derjenigen Klasse, in deren Händen sie ist, weitere Machtmittel verleiht, um jenes Zahlenverhältnis zugunsten der herrschenden Interessengruppe zu „korrigieren“, lehren vier uns allen wohlbekannte Einrichtungen: Polizei, Justiz, Schule und, was auch hierher gerechnet werden muß, Kirche – Einrichtungen, die die politische Maschinerie, die Gesetzgebungsmaschinerie, schafft und als Gesetzanwendungs-, Verwaltungsmaschinerie ausnutzt. Die ersten beiden wirken hauptsächlich durch Drohung, Abschreckung und Gewalt, die Schule hauptsächlich durch möglichste Verstopfung aller Kanäle, durch die das Klassenbewußtsein in Hirn und Herz strömen könnte, die Kirche aber in wirksamster Weise durch Anlegung von Scheuklappen, durch Erweckung der Begierde nach dem vorgegaukelten himmlischen Honig und durch die Angst vor der höllischen Folterkammer.

Aber auch das so gewonnene Zahlenverhältnis entscheidet nicht schlechthin über das Herrschaftsverhältnis. Der bewaffnete Mensch vervielfältigt seine physische Kraft durch die Waffe. In welchem Maße sich diese Vervielfältigung vollzieht, hängt ab von der Entwicklung der Waffentechnik einschließlich Fortifikation und Strategie, deren Gestaltung im wesentlichen Folgeerscheinung der Waffentechnik ist. Die intellektuelle und wirtschaftliche Überlegenheit einer Interessengruppe über die andre setzt sich durch die Bewaffnung oder die bessere Bewaffnung der überlegenen Klasse geradezu in physische Überlegenheit um und schafft damit die Möglichkeit der vollständigen Beherrschung einer klassenbewußten Mehrheit durch eine klassenbewußte Minderheit.

Wenn auch die Klassenscheidung durch die wirtschaftliche Lage bestimmt ist, so wird danach doch das politische Machtverhältnis der Klassen nur in erster Linie durch die wirtschaftliche Lage der einzelnen geregelt, in zweiter Linie aber durch zahlreiche geistige, moralische und physische Machtmittel, die wiederum durch die wirtschaftliche Klassenlage der wirtschaftlich herrschenden Klasse in die Hand gespielt sind. Den Bestand der Klassen vermögen alle diese Machtmittel nicht zu beeinflussen, da dieser Bestand durch eine von ihnen unabhängige Situation gegeben wird, die mit Naturnotwendigkeit gewisse Klassen, die selbst eine Mehrheit darstellen können, in wirtschaftliche Abhängigkeit gegenüber andern Klassen, die eine Meine Minderheit sein können, zwingen und darin halten, ohne daß daran der Klassenkampf oder ein politisches Machtmittel etwas ändern könnte.[2] Der Klassenkampf kann also nur sein ein Kampf zur Förderung des Klassenbewußtseins einschließlich der revolutionären Tat- und Opferbereitschaft im Interesse der Klasse unter den Klassengenossen und zur Gewinnung derjenigen Machtmittel, die für die Erzeugung oder Unterdrückung des Klassenbewußtseins von Wichtigkeit sind, sowie derjenigen körperlichen und geistigen Machtmittel, deren Besitz eine Vervielfältigung der physischen Kraft bedeutet.

Aus alledem folgt, welch wichtige Rolle in den gesellschaftlichen Kämpfen die Waffentechnik spielt. Von ihr hängt es ab, ob, wenn eine wirtschaftliche Notwendigkeit dazu nicht oder nicht mehr besteht, eine Minderheit durch militärische Aktion, die „konzentrierteste politische Aktion“, in der Lage bleibt, über eine Mehrheit gegen deren Willen zu herrschen – wenigstens eine gewisse Spanne Zeit hindurch. Abgesehen von der Klassenscheidung ist die Entwicklung der Herrschaftsverhältnisse denn auch tatsächlich überall eng mit der Entwicklung der Waffentechnik verknüpft. Solange sich im wesentlichen ein jeder – auch der wirtschaftlich Schlechtestgestellte – unter im wesentlichen gleichen Schwierigkeiten im wesentlichen gleichwertige Waffen schaffen kann, wird das Majoritätsprinzip, die Demokratie, die regelmäßige politische Form der Gesellschaft sein. Das müßte selbst bei wirtschaftlicher Klassenscheidung zutreffen, sofern eben nur auch jene Voraussetzung zu- träfe. Der natürliche Entwicklungsprozeß ist freilich, daß die Klassenscheidung, die ja die Folge der wirtschaftlich-technischen Entwicklung ist, parallel der Ausbildung der Waffentechik (einschließlich Fortifikation und Strategie) läuft; daß dadurch e Herstellung der Waffen mehr und mehr zu einer speziellen Berufsfertigkeit wird; daß ferner, da Klassenherrschaft in der Regel gleich wirtschaftlicher Überlegenheit einer Klasse über die andere ist und die Verbesserung der Waffentechnik zu einer sich fortgesetzt steigernden Erschwerung und Verteuerung der Waffenerzeugung[3] führt, diese Waffenerzeugung allmählich zu einem Monopol der wirtschaftlich herrschenden Klasse wird, womit jener physische Grund für die Demokratie beseitigt ist. Dann aber heißt es: Sei im Besitze, und du bist im Recht. Auch bei Verlust der wirtschaftlichen Überlegenheit kann sich die einmal im Besitz der politischen Machtmittel befindliche Klasse mindestens zeitweilig in der politischen Herrschaft halten.

Daß hiernach nicht nur die Form und Art der politischen Herrschaftsverhältnisse durch die Waffentechnik mitbedingt ist, sondern auch Form und Art der jeweiligen Klassenkämpfe, bedarf an dieser Stelle keiner näheren Ausführung.

Es genügt aber nicht bereits, daß alle Bürger gleich bewaffnet sind und ihre Waffen bei sich führen, um eine Herrschaft der Demokratie auf die Dauer zu sichern; denn die bloße gleiche Verteilung der Waffen schließt, wie die Vorgänge in der Schweiz[4] gezeigt haben, nicht aus, daß diese Verteilung von der Majorität, die im Begriff ist, Minorität zu werden, oder selbst von einer besser, schlagfertiger organisierten Minorität beseitigt wird. Die gleichmäßige Bewaffnung der gesamten Bevölkerung kann eben nur dann eine dauernde und unentziehbare sein, wenn die Waffenerzeugung selbst Allgemeingut ist.

Die demokratisierende Rolle, die die Waffentechnik spielen kann, hat Bulwer in einem seiner weniger bekannten Werke, der merkwürdigen Utopie The Coming Race (Die künftige Rasse, Die Zukunftsgesellschaft), in geistreicher Weise ausgemalt. Er setzt in diesem Werke eine solch hohe Entwicklung der Technik voraus, daß ein jeder Bürger durch einen kleinen, mit einer geheimnisvollen, der Elektrizität ähnlichen Kraft geladenen, leicht zu beschaffenden Stab in der Lage ist, jeden Augenblick die vernichtendsten Wirkungen zu erzeugen. Und in der Tat können wir damit rechnen, daß, wenn auch in einer fernen Zukunft, die Technik, die leichte Beherrschung der gewaltigsten Naturkräfte durch den Menschen, eine Stufe erreichen wird, die eine Anwendung der

Mordtechnik überhaupt unmöglich macht, weil sie Selbstvernichtung des Menschengeschlechts bedeuten würde, und die die Ausnützung der technischen Fortschritte aus einer gewissermaßen plutokratischen wiederum in eine gewissermaßen demokratische, allgemein menschliche Möglichkeit wandelt.

3. Einiges aus der Geschichte des Militarismus

Inhaltsverzeichnis

In den niedersten Kulturen, die keinerlei Klassenscheidung kennen, dient die Waffe in der Regel gleichzeitig als Werkzeug. Sie ist Mittel zum Nahrungserwerb (zur Jagd, zum Wurzelgraben usw.) ebenso wie Mittel zum Schutz gegen wilde Tiere, zur Abwehr feindlicher Stämme und zum Angriff gegen sie. Sie trägt so primitiven Charakter, daß ein jeder sie sich jederzeit leicht selbst verschaffen kann (Steine und Stöcke, Speer mit Steinspitze, Bogen usw.). Das gilt auch von den Schutzwehren. Da es, abgesehen von der ursprünglichsten aller Arbeitsteilungen, derjenigen zwischen Mann und Frau, noch keine nennenswerte Arbeitsteilung gibt und alle Glieder des Gemeinwesens wenigstens innerhalb es männlichen oder weiblichen Geschlechts nahezu die gleiche gesellschaftliche Funktion haben, da es also noch keine wirtschaftlichen oder politischen Herrschaftsverhältnisse gibt, so kann die Waffe innerhalb des Gemeinwesens nicht eine Stütze solcher Herrschaftsverhältnisse sein. Sie könnte aber eine solche Stütze selbst dann nicht sein, wenn es Herrschaftsverhältnisse gäbe. Bei der primitiven Waffentechnik sind nur demokratische Herrschaftsverhältnisse möglich.

Wenn in dieser niedersten Kultur die Waffe innerhalb der Gemeinschaft höchstens zur Austragung individueller Konflikte dienen kann, so ändert sich das nach Eintritt der Klassenscheidung und der höheren Ausbildung der Waffentechnik. Der urwüchsige Kommunismus der niederen Ackerbauvölker mit ihrer Frauenherrschaftsverfassung kennt keine sozialen und daher normalerweise auch keine politischen Klassenherrschaftsverhältnisse. Ein Militarismus kommt im allgemeinen nicht auf; äußere Verwicklungen freilich zwingen zur Kriegsbereitschaft und erzeugen zeitweilig selbst militärische Despotien, die bei den Viehzuchtvölkern von vornherein wegen ihrer kriegerischeren Situation und der regelmäßig früheren Klassenscheidung eine sehr häufige Erscheinung bilden.

Sodann sei an das griechische und römische Heerwesen erinnert, in dem sich entsprechend der Klassenscheidung eine rein militärische Hierarchie fand, gegliedert je nach der Klassenlage des einzelnen, nach der sich wiederum die Güte der Bewaffnung richtete; ferner an die feudalen Ritterheere mit ihrem meist infanteristischen, stets viel schlechter gewehrt und gewappnetem Troß von Knappen, die nach Patrice Laroque mehr die Rolle von Gehilfen der Kombattanten als von Kombattanten selbst spielten. Daß man in der damaligen Zeit überhaupt eine Bewaffnung der unteren Klassen duldete und selbst herbeiführte, erklärt sich viel weniger aus der geringen allgemeinen Sicherheit, die der Staat den von ihm anerkannten Interessen der einzelnen zu bieten vermochte, die daher eine persönliche Bewaffnung aller in einem gewissen Sinne zum Bedürfnis machte, als aus der Notwendigkeit einer möglichsten Wehrhaftmachung der Nation oder des Staates für Angriff und Abwehr gegen den äußeren Feind. Die Differenzierung in der Bewaffnung der einzelnen Gesellschaftsklassen wahrte aber stets die Möglichkeit der Ausnutzung der Waffentechnik zur Erhaltung oder Herstellung des Herrschaftsverhältnisses. Die römischen Sklavenkriege beleuchten diese Seite der Sache in bemerkenswerter Weise.

Ein bezeichnendes Licht werfen auf unsre Frage auch der deutsche Bauernkrieg und die deutschen Städtekriege. Unter den unmittelbaren Ursachen für den ungünstigen Verlauf des deutschen Bauernkriegs steht die militärisch-technische Überlegenheit der kirchlich feudalen Heere mit in erster Reihe. Die Städtekriege des 14. Jahrhunderts gegen ebendiese Heere aber verliefen erfolgreich, nicht nur, weil in ihnen die Waffentechnik, insbesondere die Technik der Feuerwaffen, im Gegensatz zum Bauernkrieg des Jahres 1525 außerordentlich rückständig war, sondern vor allem infolge der großen wirtschaftlichen Macht der Städte, die als lokal abgegliederte soziale Interessensphären die Angehörigen dieser Sphären – und zwar ohne nennenswerte Beimischung anders interessierter Elemente – auf engem Raume zusammenzwangen, die weiter durch die Art des Städtebaues von vornherein eine taktische Position von etwa der gleichen Bedeutung innehatten wie die Feudalherren, wie Kirche und Kaiser in ihren Burgen und Festungen – das ist gleichfalls ein militärisch-technisches Element (Fortifikation) – und in deren Händen schließlich die Waffenerzeugung selbst in allererster Linie lag, wie denn ihre Bürger die überlegenen Vertreter der technischen Fertigkeiten überhaupt waren, die dem Ritterheer den Garaus machten.[5]

Festzuhalten ist als Ergebnis der Betrachtung gerade der Bauern- und Städtekriege die wichtige Rolle, die dem lokal getrennt oder örtlich gemischten Leben der verschiedenen Gesellschaftsklassen gebührt. Das Zusammenfallen der Klassengliederung mit der örtlichen Gliederung bedeutet eine Erleichterung des Klassenkampfes, nicht nur wegen der dadurch herbeigeführten Förderung des Klassenbewußtseins, sondern auch rein technisch infolge der damit verbundenen Erleichterung der militärischen Zusammenfassung der Klassengenossen sowie der Waffenproduktion und Waffenversorgung. Diese günstige lokale Klassengruppierung hat allen bürgerlichen Revolutionen[6] zur Seite gestanden, der proletarischen fehlt sie nahezu.[7]

Auch in den Söldnerheeren, die bis in unsre Zeit hineinragen, findet, ähnlich wie bei der Bewaffnung, eine direkte Umsetzung wirtschaftlicher Macht in physische Macht statt nach dem mephistophelischen Rezept: „Wenn ich sechs Hengste zahlen kann, sind ihre Kräfte nicht die meine? Ich fahre fort und bin ein rechter Mann, als hätt’ ich vierundzwanzig Beine“, und nach dem weiteren Rezept: divide et impera! (Teile und herrsche), welch beide Rezepte auch bei den sogenannten Elitetruppen angewandt sind. – Andrerseits zeigen – ähnlich wie einst schon die Prätorianer – gerade die italienischen Condottieri drastisch, welche politische Macht der Besitz der Waffen, der kriegerischen Übung und der strategischen Kunst verleihen kann; der Söldling griff kühn nach Fürstenkronen, spielte mit ihnen Fangball und ward zum natürlichen Anwärter der höchsten staatlichen Macht[8], eine Erscheinung, die sich in erregten Zeiten und Kriegsläuften, in denen die militärische Gewalt schlagfertig in den Händen einzelner ruht, bis in unsre Tage wiederholt: Napoleon und seine Generale, auch Boulanger!

Wichtige Lehren über den Einfluß der außerpolitischen Lage auf die Gestaltung von Heerwesen und Militarismusim allgemeinen predigt die Geschichte der deutschen „Befreiungskriege“. Als nach den jämmerlich verlaufenen Koalitionskriegen gegen die Französische Revolution im Jahre 1806 das feudal-ständische Heer Friedrichs II. von der bürgerlichen Armee Frankreichs wie in einem Mörser zermalmt war, standen die hilflosen deutschen Regierungen vor der Alternative: entweder sich dauernd dem korsischen Eroberer auf Gnade und Ungnade ergeben, oder ihn mit seinen eignen Waffen schlagen, mit einer bürgerlichen Armee der allgemeinen Volksbewaffnung. Ihr Selbsterhaltungstrieb und die spontane Regung des Volkes drängten sie auf den zweiten Weg. Es begann jene große Periode der Demokratisierung Deutschlands, insbesondere Preußens, geschaffen durch den Druck von außen, der die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Spannungen im Innern zeitweilig milderte. Man brauchte Geld und begeisterte Freiheitskämpfer. Der Wert des Menschen an sich wuchs. Seine gesellschaftliche Eigenschaft als Werterzeuger und präsumtiver Steuerzahler und seine natürlich-physische Eigenschaft als Träger körperlicher Kraft, als Träger von Intelligenz und Begeisterungsfähigkeit gewannen entscheidende Bedeutung und ließen seinen Kurs, wie stets in Zeiten allgemeiner Gefahr, steigen, den Einfluß der Klassendifferenzierung sinken; das „Preußenvolk“ hatte, um im Militärwochenblattjargon zu reden, „allen Hader in langjähriger Fremdherrschaft unterdrücken gelernt“. Wie so oft spielten die Finanz- und die Militärfrage eine revolutionierende Rolle. Manche wirtschaftlichen, sozialen und politischen Hemmungen wurden beseitigt. Industrie und Handel, die finanziell in erster Linie wichtig waren, wurden gefördert, soweit dies der kleinlich-bürokratische Geist Preußen-Deutschlands vermochte. Selbstpolitische Freiheiten wurden eingeführt oder wenigstens – versprochen. Das Volk stand auf, der Sturm brach los. Die Scharnhorst-Gneisenausche Armee der allgemeinen Volksbewaffnung jagte in den großen Befreiungskriegen den „Erbfeind“ über den Rhein zurück und setzte dem Welterschütterer, der das Frankreich der großen Revolution unterwühlt hatte, ein schmähliches Ziel, obwohl sie nicht einmal diejenige demokratische Einrichtung war, die Scharnhorst und Gneisenau hatten schaffen wollen. Nachdem der Mohr – das deutsche Volk – so seine Schuldigkeit getan hatte, erhielt er den gehörigen „Dank vom Hause Habsburg“. Die Karlsbader Beschlüsse folgten auf die Völkerschlacht bei Leipzig; und einer der wichtigsten Akte der Metternichtigkeit eidbrüchigen und fluchwürdigen Angedenkens war, nachdem der Druck von außen beseitigt und alle reaktionären Teufel im Innern wieder losgelassen waren, die Vernichtung der demokratischen Armee der Freiheitskriege, für die zwar die kulturell hochstehenden Gebiete Deutschlands reif sein mochten, die aber unter dem Bleigewicht der ostelbisch-borussischen Unkultur mit fast allen Herrlichkeiten der großen Volkserhebung jäh zusammenbrach.

Ein oberflächlicher Blick über die Entwicklung des Heerwesens schließlich ergibt, in welch energischer Abhängigkeit Art der Zusammensetzung und Umfang der Armee nicht nur von der sozialen Gliederung, sondern auch, und in weit höherem Maße, von der Waffentechnik stehen. Die umwälzende Wirkung, die zum Beispiel die Erfindung der Feuerwaffen in dieser Richtung geübt hat, ist eine der markantesten Tatsachen der Kriegsgeschichte.

Fußnoten

1. Natürlich auch des von ihr untrennbaren Regulators der physischen Kraft: der geistigen Kraft, insofern sie eine möglichst gute Ausnutzung der physischen Kraft bewirkt und sich fremde physische Kraft dienstbar macht, und zwar durch diese so disponible und erworbene physische Kraft. In welchem Umfang eine solche Dienstbarmachung physischer Kraft als soziale Erscheinung stattfindet, das heißt vermöge des großen Maßes und der Regelmäßigkeit, in denen sie von den einzelnen Interessengruppen gegeneinander stattfindet, in die Gestaltung des gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisses mitbestimmend eingreift, hängt im wesentlichen und für die Regel von der wirtschaftlichen Lage der Interessengruppen ab und ist in einigen wichtigen Beziehungen im folgenden erörtert.

2. „In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe rnrer materiellen Produktivkräfte entsprechen.“ Karl Marx. (Zur Kritik der politischen Ökonomie, in: Karl Marx und Friedrich Engels: Ausgewählte Schriften, Bd.1, Dietz Verlag, Berlin 1958, S.557. – Die Red.)

3. Zu den eigentlichen Waffen nebst Munition und Schutzwehren aller Art, einschließlich des Beleuchtungswesens, zu den Festungen und Kriegsschiffen tritt z.B. noch das militärische Kommunikationswesen (Pferde, Wagen, Fahrräder, Wege und Brückenbau, Binnenschiffe, Eisenbahn, Automobil, Telegraph, drahtlose Telegraphie, Telephon usw.), auch des Fernrohrs, der Luftschiffe, der Photographie und der Spürhunde sei nicht vergessen.

4. Siehe Kapitel 1-4.4 Italien. – Die Red.

5. Auch die italienische Entwicklung des 15. Jahrhunderts bietet hier allergrößtes Interesse, das zu vertiefter Untersuchung geradezu reizt. Sie bekräftigt allenthalben unsre Grundauffassung. Vgl. Burckhardt, Die Cultur der Renaissance in Italien, 9. Auflage, Bd.1, S.105ff.

6. Auch der russischen in ihrem ersten Stadium; dafür ist – von den unzähligen sonstigen Belegen – besonders charakteristisch der bewaffnete Moskauer Aufstand vom Dezember 1905, dessen erstaunliche Zähigkeit sich aus dem Zusammenarbeiten des Gros der städtischen Bevölkerung mit den im Feuer stehenden, übrigens nur wenig zahlreichen Revolutionären erklärt. Die in Moskau glänzend entwickelte Taktik des städtischen Guerillakrieges wird epochemachend sein.

7. Das Zusammenarbeiten in Fabriken usw. und das Zusammenwohnen in „Arbeitervierteln“ und dergleichen kommt hier immerhin in Betracht.

8. Vgl. Burckhardt, Die Cultur der Renaissance in Italien, Bd.1, S.22ff.

II. Der kapitalistische Militarismus

Vorbemerkung

Inhaltsverzeichnis

Der Militarismus ist nichts spezifisch Kapitalistisches. Er ist vielmehr allen Klassengesellschaftsordnungen, von denen die kapitalistische die letzte ist, eigen und wesentlich. Freilich entwickelt der Kapitalismus ebenso wie jede andere Klassengesellschaftsordnung seine besondere Sorte Militarismus[1]; denn der Militarismus ist seinem Wesen nach Mittel zum Zweck oder zu mehreren Zwecken, die je nach der Art der Gesellschaftsordnung verschieden und je nach ihrer Verschiedenheit auf verschieden gearteten Wegen zu erreichen sind. Das tritt nicht nur im Heerwesen zutage, sondern auch im übrigen Inhalt des Militarismus, der sich aus der Erfüllung seiner Aufgaben ergibt.

Der kapitalistischen Entwicklungsstufe entspricht am besten das Heer der allgemeinen Wehrpflicht, das aber, obwohl ein Heer aus dem Volke, kein Heer des Volkes, sondern ein Heer gegen das Volk ist, oder mehr und mehr dazu umgearbeitet wird.

Es tritt bald als stehendes Heer auf, bald als Miliz. Das stehende Heer, das aber auch keine Erscheinung nur des Kapitalismus ist[2], erscheint als seine entwickeltste, ja seine normale Form; das wird unten gezeigt werden.

1. „Militarismus nach außen“, Marinismus und Kolonialmilitarismus

Inhaltsverzeichnis

Kriegsmöglichkeiten und Abrüstung

Die Armee der kapitalistischen Gesellschaftsordnung erfüllt ebenso wie die Armee der anderen Klassengesellschaftsordnungen einen doppelten Zweck.

Sie ist zuvörderst eine nationale Einrichtung, bestimmt zum Angriff nach außen oder zum Schutz gegen eine Gefährdung von außen, kurzum bestimmt für internationale Verwicklungen oder, um ein militärisches Schlagwort zu gebrauchen, gegen den äußeren Feind.

Diese Funktion der Armee ist auch durch die neuere Entwicklung keineswegs beseitigt. Für den Kapitalismus ist der Krieg in der Tat, um Moltkes Worte zu gebrauchen, „ein Glied in Gottes Weltordnung“.[3] Allerdings besteht innerhalb Europas selbst wenigstens die Tendenz zur Beseitigung gewisser Kriegsursachen und sinkt trotz Elsaß-Lothringens und der Sorgen um das französische Trifolium Clemenceau, Pichon, Picquart, trotz der orientalischen Frage, trotz des Panislamismus und trotz der sich eben in Rußland vollziehenden Umwälzung die Wahrscheinlichkeit eines aus Europa selbst herausbrechenden Krieges mehr und mehr. Dafür sind jedoch neue, höchst gefährliche Reibungsflächen entstanden infolge der von den sogenannten Kulturstaaten verfolgten kommerziellen und politischen Expansionsbestrebungen[4], die uns auch die orientalische Frage und den Panislamismus in erster Linie beschert haben, infolge der Weltpolitik, der Kolonialpolitik im besonderen, die – wie selbst ein Bülow am 14. November 1906 im Deutschen Reichstage rückhaltlos anerkannte[5] – ungezählte Konfliktsmöglichkeiten in sich birgt[6] und die gleichzeitig zwei andere Formen des Militarismus immer energischer in den Vordergrund drängt: den Marinismus und den Kolonialmilitarismus. Wir Deutschen können ein Lied von dieser Entwicklung singen!

Der Marinismus, der Flottenmilitarismus, ist das echte Geschwister des Landmilitarismus und trägt alle abstoßenden und bösartigen Züge dieses letzteren. Er ist in noch höherem Maße als gegenwärtig der Landmilitarismus nicht nur Folge, sondern auch Ursache internationaler Gefahren, der Gefahr eines Weltkrieges.

Wenn uns gute Leute und Betrüger glauben machen wollen, zum Beispiel die Spannung zwischen Deutschland und England[7] sei nur etwelchen Mißverständnissen, Hetzereien böswilliger Zeitungsschreiber, prahlerischen Redensarten schlechter Musikanten der Diplomatie zu verdanken, so wissen wir es besser. Wir wissen, daß diese Spannung eine notwendige Folge der sich verschärfenden wirtschaftlichen Konkurrenz Englands und Deutschlands auf dem Weltmarkte ist, also eine direkte Folge der zügellosen kapitalistischen Entwicklung und internationalen Konkurrenz. Der Spanisch- Amerikanische Krieg um Kuba, der Abessinische Krieg Italiens, der Transvaalkrieg Englands, der Chinesisch-Japanische Krieg, das chinesische Abenteuer der Großmächte, der Russisch-Japanische Krieg, sie alle, wenn auch noch so mannigfaltig in ihren besonderen Ursachen und Bedingungen, haben doch den einen großen gemeinschaftlichen Grundzug des Expansionskrieges. Und wenn wir uns der englisch-russischen Spannung in Tibet, Persien und Afghanistan, der japanisch-amerikanischen Unstimmigkeiten aus dem Winter 1906 und schließlich des Marokkokonfliktes glorreichen Angedenkens mit der französisch-spanischen Kooperation vom Dezember 1906[8] erinnern, so erkennen wir, daß die kapitalistische Expansions- und Kolonialpolitik unter das Gebäude des Weltfriedens zahlreiche Minen gelegt hat, deren Zündschnuren in den verschiedensten Händen liegen und die gar leicht und unerwartet auffliegen können.[9] Gewiß mag eine Zeit kommen, wo die Aufteilung der Welt so weit fortgeschritten ist, daß man an eine Vertrustung in überhaupt möglichen Kolonialbesitzes unter die Kolonialstaaten, sozusagen an eine Ausschaltung der Kolonialkonkurrenz zwischen den Staaten denken kann, wie sie für die private Konkurrenz zwischen kapitalistischen Unternehmern in den Kartellen und Trusts in gewissem Umfange erfolgt ist. Aber das hat noch gute Weile und kann schon allein durch die wirtschaftliche und nationale Erhebung Chinas ins Unabsehbare weit hinausgeschoben werden.

So erscheinen denn alle die angeblichen Abrüstungspläne vorläufig nur als Narretei, Schaumschlägerei und Übertölpelungsversuche. Die Hauptautorschaft des Zaren an der Haager Komödie stempelt sie durchweg.

Gerade in unseren Tagen ist die Seifenblase der angeblichen engflachen Abrüstung lächerlich zerplatzt: Der Kriegsminister Haldane, der angebliche Förderer solcher Absichten, hat sich in scharfen Worten als Gegner jeder Minderung der aktiven Wehrmacht bekannt und geradezu als militaristischer Treiber entpuppt und betätigt[10], während gleichzeitig die englisch-französische Militärkonvention am Horizont aufgeht. Und zur nämlichen Stunde, wo die zweite „Friedenskonferenz“ vorbereitet wird, steigert Schweden meine flotte, wuchern in Amerika[11] und Japan die Militärbudgets immer höher ins Kraut, betont das Ministerium Clemenceau in Frankreich unter einer 208 Millionen-Mehrforderung[12] die Notwendigkeit einer starken Armee und Marine, wird von den Hamburger Nachrichten als Quintessenz der Stimmung in den herrschenden Klassen Deutschlands der Glaube an die alleinseligmachende militärische Rüstung geschildert und das deutsche Volk von der Regierung mit militärischen Mehrforderungen[13] beglückt, nach denen selbst unsere Liberalen mit allen zehn Fingern ausgreifen.[14] Man kann daran die Naivität ermessen, die der französische Senator d’Estournelles de Constant, ein Mitglied des Haager Gerichtshof es, in seinem jüngsten Aufsatz über die Beschränkung der Rüstungen[15] entwickelt. In der Tat: Für diesen politischen Phantasten macht nicht nur eine Schwalbe den Sommer der Abrüstung, ihm genügt schon ein Sperling. Herzerquickend fast mutet demgegenüber die ehrliche Brutalität an, mit der die Konferenzgroßmächte die Steadschen Vorschläge abfallen lassen und sich sträuben, die Abrüstungsfrage auch nur auf die Tagesordnung der zweiten Konferenz zu setzen.