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Für die Jugendarbeit der SPD veröffentlichte er 1907 die Schrift Militarismus und Antimilitarismus, für die er noch im selben Jahr wegen Hochverrats verurteilt wurde. In dieser Schrift führte er aus, der äußere Militarismus brauche gegenüber dem äußeren Feind chauvinistische Verbohrtheit und der innere Militarismus benötige gegen den inneren Feind Unverständnis bzw. Hass gegenüber jeder fortschrittlichen Bewegung. Der Militarismus brauche außerdem den Stumpfsinn der Menschen, damit er die Masse wie eine Herde Vieh treiben könne. Die antimilitaristische Agitation müsse über die Gefahren des Militarismus aufklären, jedoch müsse sie dies im Rahmen der Gesetze tun.
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Seitenzahl: 254
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Militarismus und Antimilitarismus
Karl Liebknecht
Inhalt:
Sozialdemokratie - Basiswissen zur Entstehung
Militarismus und Antimilitarismus
Vorwort
ERSTER TEIL - MILITARISMUS
I. Allgemeines
1. Von Wesen und Bedeutung des Militarismus
2. Entstehung und Grundlage der gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse
3. Einiges aus der Geschichte des Militarismus
II. Der kapitalistische Militarismus
Vorbemerkung
1. "Militarismus nach außen", Marinismus und Kolonialmilitarismus Kriegsmöglichkeiten und Abrüstung
2. Proletariat und Krieg
3. Grundzüge des "Militarismus nach innen" und seine Aufgabe
4. Heeresverfassung in einigen ausländischen Staaten
5. Folgerungen
III. Mittel und Wirkungen des Militarismus
1. Das unmittelbare Ziel
2. Militaristische Pädagogik
IV. Besonderes von einigen Hauptsünden des Militarismus
1. Die Soldatenmißhandlungen oder der Militarismus als reuiger und doch unverbesserlicher Sünder
2. Die Kosten des Militarismus oder La douloureuse
3. Die Armee als Werkzeug gegen das Proletariat im wirtschaftlichen Kampf
4. Säbel- und Flintenrecht gegen Streiks
5. Kriegervereine und Streiks
6. Die Armee als Werkzeug gegen das Proletariat im politischen Kampf oder das Recht der Kanonen
7. Kriegervereine im politischen Kampfe
8. Der Militarismus, eine Gefährdung des Friedens
9. Die Schwierigkeiten der proletarischen Revolution
ZWEITER TEIL - ANTIMILITARISMUS
I. Antimilitarismus der alten und der neuen Internationale
II. Der Antimilitarismus im Auslande unter besonderer Berücksichtigung der Jugendorganisationen
Belgien
Frankreich
Italien
Schweiz
Österreich
Ungarn
Holland
Schweden
Norwegen
Dänemark
Amerika
Spanien
Finnland
Rußland
Internationale antimilitaristische Organisation
III. Die Gefahren des Antimilitarismus
IV. Antimilitaristische Taktik
1. Taktik gegen den äußeren Militarismus
2. Taktik gegen den inneren Militarismus
3. Anarchistischer und sozialdemokratischer Antimilitarismus
V. Die Notwendigkeit einer besonderen antimilitaristischen Propaganda
VI. Der Antimilitarismus in Deutschland und die deutsche Sozialdemokratie
VII. Die antimilitaristischen Aufgaben der deutschen Sozialdemokratie
Militarismus und Antimilitarismus, Karl Liebknecht
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849630614
www.jazzybee-verlag.de
Frontcover: © XtravaganT - Fotolia.com
Diejenige sozialistisch-politische Richtung und Partei, die für die Klasse der Lohnarbeiter die Herrschaft in einem demokratischen Staat erstrebt, um die sozialistischen Ideen und Forderungen verwirklichen zu können. Sie unterscheidet sich von dem Sozialismus hauptsächlich dadurch, dass sie in ihrem Programm auch bestimmte, sofort ausführbare gesetzliche Reformvorschläge im Interesse der untern Klassen aufstellt. Als Begründer der S. mag der Franzose Louis Blanc gelten. Die von ihm in den 1840er Jahren in Paris gegründete Arbeiterpartei war die erste sozialdemokratische. Dieselbe erlangte vorübergehend einen Einfluss auf die Politik in Frankreich dadurch, dass zwei ihrer Führer, L. Blanc und Albert, nach der Februarrevolution 1848 Mitglieder der provisorischen Regierung wurden; sie wurde mit andern radikalen Parteien in der Junischlacht 1848 besiegt. In Deutschland war der von F. Lassalle 23. Mai 1863 gegründete Allgemeine Deutsche Arbeiterverein die erste Organisation der S. Der einzige statutarische Zweck dieses Vereins war die »friedliche und legale« Agitation für das damals noch nicht in Deutschland bestehende allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht mit geheimer Abstimmung, um dadurch »eine genügende Vertretung der sozialen Interessen des deutschen Arbeiterstandes und eine wahrhafte Beseitigung der Klassengegensätze in der Gesellschaft« herbeizuführen Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein, der unter der Präsidentschaft Lassalles nur einige tausend Mitglieder zählte und nach Lassalles Tod (31. Aug. 1864) unter unbedeutenden Führern (Bernhard Becker, Försterling, Mende, Tölcke u. a.) sich in verschiedene, sich gegenseitig bekämpfende Parteien spaltete, gelangte erst zu größerer Bedeutung, seit das von Lassalle geforderte allgemeine Wahlrecht 1867 durch Bismarck im Norddeutschen Bund eingeführt worden war und der begabte Literat J. B. v. Schweitzer 1867 die Leitung übernahm. Als Führer der Lassalleaner in den Reichstag des Norddeutschen Bundes gewählt, vertrat v. Schweitzer dort mit andern Sozialdemokraten die Sache der S. Schon unter seiner Präsidentschaft wurde das ökonomische und politische Programm des Vereins erweitert. Als jedoch die von Hasenclever und Hasselmann vertretene radikalere Richtung siegte, wurde v. Schweitzer 1871 als ein bezahlter Agent der preußischen Regierung verdächtigt und aus dem Verein gestoßen. Unter der Führung jener beiden Männer nahm die Mitgliederzahl, nachdem inzwischen das Wahlgesetz für den Norddeutschen Bund auch das für das Deutsche Reich geworden war, in kurzer Zeit enorm zu (1873 hatte der Verein schon über 60,000 Mitglieder und in 246 Orten Lokalvereine), wurde aber auch das ökonomische und politische Parteiprogramm radikaler (Ausdehnung des aktiven und passiven Wahlrechts für alle Staats- und Gemeindewahlen auf alle über 20 Jahre alten Personen, Abschaffung der stehenden Heere, Abschaffung aller indirekten Steuern und Einführung einer progressiven Einkommensteuer mit Freilassung der Einkommen unter 500 Tlr. und mit einem Steuerfuß von 20–60 Proz. für Einkommen über 1000 Tlr., Abschaffung der Gymnasien und höheren Realschulen, Unentgeltlichkeit des Unterrichts in allen öffentlichen Lehranstalten etc.). Hauptblatt des Vereins war der Berliner »Sozialdemokrat«. Die Forderungen und ganze Art der Agitation näherten sich immer mehr dem Programm und der Agitationsweise einer zweiten sozialdemokratischen Partei, die unter dem Einfluss von Karl Marx und der internationalen Arbeiterassoziation im August 1869 von Wilhelm Liebknecht und August Bebel begründet worden war. In der internationalen Arbeiterassoziation war seit 1866 die erste internationale und zugleich eine radikale und revolutionäre sozialdemokratische Partei entstanden (s. über deren Programm, Organisation und Agitation die Artikel »Internationale« und »Sozialismus«). Liebknecht und Bebel, Anhänger der Internationale, setzten, nachdem sie sich lange vergeblich bemüht hatten, den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein in das Lager der Internationale hinüberzuführen, auf einem allgemeinen Arbeiterkongreß in Eisenach im August 1869 die Gründung einer zweiten Partei, der sozialdemokratischen Arbeiterpartei, durch, die sich ausdrücklich als deutscher Zweig der Internationale konstituierte. Die neue »Eisenacher« Partei (spottweise auch Partei der Ehrlichen genannt), vortrefflich organisiert und dirigiert (Hauptorgan der Leipziger »Volksstaat«), entfaltete namentlich seit Anfang der 1870er Jahre eine außerordentliche Rührigkeit. Nachdem die Reichstagswahl von 1874 gezeigt hatte, dass die bis dahin sich häufig bekämpfenden beiden Richtungen ungefähr gleich stark seien, und harte Polizeimaßregeln sie einander näher gebracht hatten, vereinigten sie sich 1875 auf dem Kongress in Gotha (22.–27. Mai) zur sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands. Das Gothaer Parteiprogramm, ein radikal-sozialistisches, stimmte in allen wesentlichen Punkten mit dem früheren Eisenacher Programm von 1869 überein, wenn es auch einige Konzessionen an die Lassalleschen Ideen enthielt. Der »Volksstaat« (später »Vorwärts«) wurde das Hauptorgan. Die Partei nahm bei der fast vollen Freiheit, die man ihr gewährte, einen großen Aufschwung. Nach dem Jahresbericht von 1877 verfügte sie über 41 politische Preßorgane mit 150,000 Abonnenten, außerdem über 15 Gewerkschaftsblätter mit etwa 40,000 Abonnenten und ein illustriertes Unterhaltungsblatt: »Die Neue Welt«, mit 35,000 Abonnenten. Ein Hauptagitationsmittel waren die besoldeten, redegewandten Agitatoren (1876: 54 ganz besoldete, 14 zum Teil besoldete) und die nicht besoldeten »Redner« (1876: 77). Bei den Reichstagswahlen stimmten für sozialdemokratische Kandidaten 1871: 124,655,1874: 351,952,1877: 493,288. Die ganze Agitation war seit 1870 eine entschieden revolutionäre; mit großem Geschick wurden in der Presse die radikalen sozialistischen und politischen Anschauungen der S. erörtert und in den Arbeiterkreisen der Klassenhass geschürt und revolutionäre Stimmung gemacht. Nachdem die Reichsregierung, um dieser Agitation, die zu einer ernsten Gefahr für den sozialen Frieden und das gemeine Wohl geworden war, wirksam entgegentreten zu können, im Reichstag vergeblich eine Verschärfung des Strafgesetzbuches versucht hatte, griff man nach den Attentaten von Hödel und Nobiling auf Kaiser Wilhelm (11. Mai und 2. Juni 1878), in denen man eine Folge jener Agitation erkennen musste, zu dem Mittel eines Ausnahmegesetzes gegen die S., und es erging das zunächst nur bis 31. März 1881 gültige Reichsgesetz (Sozialistengesetz) vom 21. Okt. 1878 »gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der S.« Es suchte die gefährliche, das öffentliche Wohl schädigende sozialdemokratische Agitation zu unterdrücken. Es verbot daher bei Strafe Vereine, Versammlungen, Druckschriften sozialistischer, sozialdemokratischer oder kommunistischer Art; Personen, die sich die sozialdemokratische Agitation zum Geschäft machten, konnten aus bestimmten Landesteilen ausgewiesen, Wirten, Buchhändlern etc. konnte aus dem gleichen Grunde der Betrieb ihres Gewerbes untersagt werden; auch konnte über Bezirke und Orte, in denen durch sozialdemokratische Bestrebungen die öffentliche Sicherheit bedroht erschien, der sogen. kleine Belagerungszustand mit Beschränkung des Versammlungsrechts und Ausweisung ansässiger Personen verhängt werden. Das Gesetz wurde 1880 wiederholt, zuletzt bis 30. Sept. 1890 verlängert. Von diesem Tag ab trat es außer Kraft. Das Gesetz hat nicht die Partei beseitigt, auch nicht die Zahl der Stimmen für sozialdemokratische Kandidaten bei den Reichstagswahlen auf die Dauer verringert (1881: 311,961, 1884: 549,990,1887: 763,128); aber seine strenge Handhabung hatte wenigstens für einige Jahre die in hohem Grade gefährliche und gemeinschädliche Art der Agitation, wie sie früher in der sozialdemokratischen Presse betrieben wurde, verhindert. In der deutschen S. sonderte sich seit 1878 immer entschiedener unter der Führung von Most und Hasselmann eine radikale Anarchistenpartei ab, deren Hauptorgan 1879 die von Most in London herausgegebene »Freiheit« wurde, und deren Mitglieder auch in Deutschland und Österreich eine Reihe von Attentaten gegen Beamte und von Raubmorden ausführten. Das Hauptorgan der deutschen S. und der ihr verbündeten internationalen S. wurde der seit Oktober 1879 in Zürich erscheinende »Sozialdemokrat«. Zu einer definitiven Spaltung zwischen den Anarchisten und der sogen. gemäßigten, aber noch immer radikalen und revolutionären Bebel-Liebknechtschen Partei kam es auf dem Kongress in Wyden (Schweiz) im August 1880, auf dem aber auch die »gemäßigte« Richtung aus dem Gothaer Programm in dem Satz, dass die sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands mit allen gesetzlichen Mitteln ihre Ziele erstreben wolle, das Wort »gesetzlichen« strich. Nach dem 30. Sept. 1890 entwickelte sich unter den Sozialdemokraten Deutschlands alsbald eine rührige und erfolgreiche offene Agitation. Unmittelbar nach dem Erlöschen des Ausnahmegesetzes wurde ein Kongress der Partei nach Halle einberufen, die für dringend nötig erachtete Revision des Programms aber erst auf dem bald darauf (im Oktober 1891) stattfindenden Kongress in Erfurt vorgenommen. Das neue Programm bringt in einer Einleitung die allgemeinen Grundsätze, von denen ausgehend die sozialdemokratische Partei Deutschlands eine Reihe von Forderungen stellt, die noch auf der Grundlage der bestehenden Gesellschaftsordnung verwirklicht werden sollen, und gibt eine Kritik der letzteren, in der ausgeführt wird, dass die ökonomische Entwickelung mit Naturnotwendigkeit zum Untergang des Kleinbetriebs, zur Vergrößerung des Proletariats führe, und dass nur eine Verwandlung des kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln in gesellschaftliches Eigentum und die Umwandlung der Produktion in eine sozialistische, für und durch die Gesellschaft betriebene, Abhilfe gewähren könne. Die wesentlichsten Programmpunkte sind:
1) Allgemeines gleiches und direktes Wahl- und Stimmrecht mit geheimer Stimmabgabe aller über 20 Jahre alten Reichsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts für alle Wahlen und Abstimmungen, Proportional-Wahlsystem, und bis zu dessen Einführung gesetzliche Neueinteilung der Wahlkreise nach jeder Volkszählung. Zweijährige Gesetzgebungsperioden. Vornahme der Wahlen und Abstimmungen an einem gesetzlichen Ruhetage. Entschädigung für die gewählten Vertreter. Aufhebung jeder Beschränkung politischer Rechte außer im Falle der Entmündigung.
2) Direkte Gesetzgebung durch das Volk vermittelst des Vorschlags- und Verwerfungsrechts. Selbstbestimmung und Selbstverwaltung des Volkes in Reich, Provinz und Gemeinde. Wahl der Behörden durch das Volk, Verantwortlichkeit und Haftbarkeit derselben. Jährliche Steuerbewilligung.
3) Erziehung zur allgemeinen Wehrhaftigkeit. Volkswehr an Stelle der stehenden Heere. Entscheidung über Krieg und Frieden durch die Volksvertretung. Schlichtung aller internationalen Streitigkeiten auf schiedsgerichtlichem Wege.
4) Abschaffung aller Gesetze, welche die freie Meinungsäußerung und das Recht der Vereinigung und Versammlung einschränken oder unterdrücken.
5) Abschaffung aller Gesetze, welche die Frau in öffentlicher und privatrechtlicher Beziehung dem Manne unterordnen.
6) Erklärung der Religion zur Privatsache.
7) Weltlichkeit der Schule. Obligatorischer Besuch der öffentlichen Volksschulen. Unentgeltlichkeit des Unterrichts.
8) Unentgeltlichkeit der Rechtspflege und des Rechtsbeistandes. Rechtsprechung durch vom Volk gewählte Richter. Berufung in Strafsachen. Entschädigung unschuldig Angeklagte, Verhafteter und Verurteilter. Abschaffung der Todesstrafe.
9) Unentgeltlichkeit der ärztlichen Hilfeleistung einschließlich der Geburtshilfe und der Heilmittel. Unentgeltichkeit der Totenbestattung.
10) Stufenweise steigende Einkommen- und Vermögenssteuer zur Bestreitung aller öffentlichen Ausgaben, soweit diese durch Steuern zu decken sind. Selbsteinschätzungspflicht. Erbschaftssteuer, stufenweise steigend nach Umfang des Erbgutes und Entfernung der Verwandtschaft. Abschaffung aller indirekten Steuern, Zölle etc.
Zum Schutze der Arbeiterklasse fordert die sozialdemokratische Partei Deutschlands zunächst:
1) Eine wirksame nationale und internationale Arbeiterschutzgesetzgebung auf folgender Grundlage: a) Festsetzung eines höchstens 8 Stunden betragenden Normalarbeitstages; b) Verbot der Erwerbsarbeit für Kinder unter 14 Jahren; c) Verbot der Nachtarbeit, außer für solche Industriezweige, die ihrer Natur nach, aus technischen Gründen oder aus Gründen der öffentlichen Wohlfahrt, Nachtarbeit erheischen; d) eine ununterbrochene Ruhepause von mindestens 36 Stunden in jeder Woche für jeden Arbeiter; e) Verbot des Trucksystems.
2) Überwachung aller gewerblichen Betriebe, Erforschung und Regelung der Arbeiterverhältnisse in Stadt und Land durch ein Reichsarbeitsamt, Bezirksarbeiterämter und Arbeiterkammern. Durchgreifende gewerbliche Hygiene.
3) Rechtliche Gleichstellung der landwirtschaftlichen Arbeiter und der Dienstboten mit den gewerblichen Arbeitern; Beseitigung der Gesindeordnungen.
4) Sicherstellung des Koalitionsrechts.
5) Übernahme der gesamten Arbeiterversicherung durch das Reich mit maßgebender Mitwirkung der Arbeiter an der Verwaltung.
Der Frankfurter Parteitag von 1894 wählte eine Agrarkommission zur Beratung der Frage, wie die Ideen der S. auf dem Lande verbreitet werden können, und zur Ergänzung des Programms mit Rücksicht auf die ländlichen Verhältnisse. Diese Agrarkommission tagte im Februar 1895 in Berlin, ohne indessen zu brauchbaren Resultaten gelangt zu sein.
Die Parteiorganisation ist äußerlich eine ziemlich lose, indem es wegen des geltenden Vereinsgesetzes der sozialdemokratischen Partei nicht möglich ist, sich als geschlossenen Verband von Vereinen zu organisieren. Deshalb wird ihr jede Person zugezählt, die sich zu ihren Grundsätzen bekennt. Oberstes Organ ist der jährlich zusammentretende Parteitag, zu dessen Teilnahme die Delegierten der einzelnen Reichstagswahlkreise, die Reichstagsabgeordneten und die Parteileitung berechtigt sind. Die Parteileitung, die auf dem Parteitag gewählt wird, besteht aus 12 Mitgliedern, von denen 5 mit der Geschäftsführung, die 7 andern mit der Kontrolle betraut sind. Aufgabe der Parteileitung ist es, den Zusammenhang mit den Vertrauensmännern in jedem Wahlkreis zu wahren, die Parteitage einzuberufen und die Parteipresse zu kontrollieren. Am 29. Nov. 1895 war durch Verfügung des Berliner Polizeipräsidenten wegen Verletzung des Vereinsrechts der Parteivorstand aufgelöst worden, weshalb die Leitung auf die sozialdemokratische Reichstagsfraktion überging und von einem provisorischen geschäftsführenden Ausschuss in Hamburg übernommen wurde. Nachdem aber die Hauptbeteiligten durch Gerichtsbeschluss freigesprochen wurden, entschied man sich auf dem Parteitage zu Hamburg 1897, den Sitz der Leitung wieder nach Berlin zu legen. Der Parteitag für 1896 fand vom 11.–16. Okt. in Gotha statt und beschäftigte sich mit Arbeiterschutz, Frauenagitation und Inneren Angelegenheiten; auf dem vom 4.–9. Okt. 1897 in Hamburg stattfindenden Parteitag wurde die Beteiligung an den preußischen Landtagswahlen beschlossen. Weitere Parteitage wurden jeweils im Herbst: 1898 in Stuttgart, 1899 in Hannover, 1900 in Mainz, 1901 in Lübeck, 1902 in München, 1903 in Dresden, 1904 in Bremen, 1905 in Jena, 1906 in Mannheim, 1907 in Essen abgehalten. Die Einnahmen der Parteikasse betrugen 1905/06: 810,917 Mk., die Ausgaben: 880,496 Mk.
In neuerer Zeit haben sich in der deutschen S. wiederholt verschiedene Strömungen gezeigt, so die der »Jungen«, denen die Parteileitung zu terroristisch und das Vorgehen der Partei zu zahm war. Der schon auf dem Erfurter Parteitag 1891 zum Ausbruch gekommene Streit endete jedoch mit dem Siege der Parteileitung, die den Austritt der Führer der »Jungen« (Werner, Wildberger, Auerbach) durchsetzte. Anderseits suchte die Parteileitung gegen den Führer des rechten Flügels Vollmar auf dem Frankfurter Parteitag 1894 ein Mißtrauensvotum zu erreichen, weil dieser allzu sehr Optimist sei und das Hauptgewicht auf die Erreichung derjenigen Forderungen lege, die auf dem Boden der bestehenden Gesellschaftsordnung erreichbar sind, konnte aber damit nicht durchdringen. Dazu kommt in der jüngsten Zeit eine gemäßigtere Richtung des wissenschaftlichen Sozialismus, die hauptsächlich von Bernstein vertreten wird und dem radikalen Marxismus gegenüber ein mehr sozial-reformatorisches Programm vertritt, das sich der bürgerlichen Demokratie nähert. Über die sozialdemokratischen Gewerkschaften s. Gewerkvereine, S. 803.
Die sozialdemokratische Presse hat seit 1890 einen erheblichen Aufschwung genommen. Vor Erlass des Sozialistengesetzes verfügte die Partei über 41 politische Zeitungen, 15 Gewerkschaftsblätter, 1 illustriertes Unterhaltungsblatt und 2 wissenschaftliche Zeitschriften. 1906 zählte sie: 78 politische und 67 Gewerkschaftsblätter. Offizielles Parteiorgan ist der »Vorwärts« (Beilage: Neue Welt). Andre bedeutende Blätter sind das »Hamburger Echo«, die »Leipziger Volkszeitung«, »Münchener Post«, »Rheinische Zeitung«. An wissenschaftlichen Zeitschriften hat die Partei die Wochenschrift »Die Neue Zeit« (redigiert von Kautsky), »Der sozialistische Akademiker« und die von J. Bloch redigierten »Sozialistischen Monatshefte« (Berl., seit 1897) und die »Dokumente des Sozialismus« (hrsg. von Bernstein, das., seit 1901); Unterhaltungsblatt ist »Die neue Welt«, Witzblätter: »Der wahre Jakob« und »Süddeutscher Postillon«. Sozialdemokratische Verlagshandlungen sind die des »Vorwärts« (Berlin), J. H. W. Dietz (Stuttgart), Auern. Komp. (Hamburg), M. Ernst (München), Wörlein u. Komp. (Nürnberg).
Über die Vertretung der S. im deutschen Reichstag vgl. die Karte »Reichstagswahlen«. Während von der Gesamtzahl aller Stimmen diejenigen, die auf sozialdemokratische Kandidaten entfielen, früher nur einen geringen Prozentsatz ausmachten, stellte sich 1893 der Anteil bereits nahezu auf ein Viertel.
Die jüngste Wahl von 1907 hat, wie ersichtlich, der Partei nur einen verhältnismäßig geringen Stimmenzuwachs und eine starke Abnahme der Zahl ihrer Vertreter gebracht.
Auch in den meisten Landtagen, in vielen Gemeindevertretungen, Gewerbegerichten etc. befinden sich Sozialdemokraten. So zählt der bayrische Landtag zurzeit 15, der württembergische 15, der sächsische 2, der badische 11 Vertreter der S.
Die in der deutschen S. herrschenden marxistischen Prinzipien fanden allenthalben im Ausland, wenn auch mit mannigfachen Änderungen, Aufnahme; allerdings haben sie nirgends eine so feste Organisation erreicht wie in Deutschland. In Österreich hat die S. in der jüngsten Zeit überraschende Fortschritte gemacht. Nachdem die Wahlreform von 1896 durch Schaffung einer neuen (5.) Kurie im Jahre 1897: 14,1901: 10 Sozialdemokraten den Eintritt in den Reichsrat ermöglicht hatte, ist deren Zahl nach Einführung des allgemeinen Wahlrechts 1907 plötzlich auf 87 gestiegen. Die Partei verfügt über zahlreiche politische, Fach- und sonstige Blätter, von denen das bedeutendste die von dem Hauptführer der Partei, Viktor Adler, geleitete »Wiener Arbeiterzeitung« ist. Das alte Hainfelder Programm von 1888 wurde auf dem Wiener Parteitag von 1901 einer Revision unterzogen. Vgl. Schwechler, Die österreichische S. (2. Aufl., Graz 1907). Auch in Ungarn nimmt die sozialdemokratische Agitation zu, obwohl die geringere industrielle Entwickelung und die Stärke der nationalen Bewegung ihre Ausbreitung erschweren. Doch sind es hier besonders die agrarischen Verhältnisse, die ihr in vielen Teilen des Landes Vorschub leisten. In Frankreich, wo 1848 die erste sozialdemokratische Bewegung stattfand, stritten sich lange Zeit die gemäßigte Richtung Louis Blancs und die anarchistische Proudhons um die Herrschaft. Doch gewann Ende der 1860er Jahre die letztere, vertreten durch Tolain und Langlois, den Sieg. Das zeigte sich namentlich in der Pariser Kommune. Seitdem hat auch der Marxismus, besonders infolge der energischen Anstrengungen J. Guesdes und P. Lafargues, große Fortschritte gemacht. Namentlich hat die 1890 unter den Possibilisten, einer gemäßigten sozialistischen Reformpartei, ausgebrochene Spaltung, der zufolge sie sich in Allemanisten und Broussisten, nach den Führern Alleman und Brousse, schieden, der Partei Guesdes (»Le Parti ouvrier«) neue Anhänger zugeführt Neben der Arbeiterpartei (parti ouvrier) gehören noch das revolutionäre Zentralkomitee (comité révolutionaire central) und die nationale Vereinigung der Arbeitersyndikate Frankreichs (fédération nationale des syndicats ouvriers de France) der extremen Richtung an. Bei der Wahl von 1893 wurden 49 Sozialisten (1885: 2), einschließlich der sozialistischen Radikalen, bei der von 1902: 48 gewählt. Auch bei den letzten Gemeinderatswahlen sind viele Sozialisten gewählt worden, so dass sie in einigen großen Städten die Majorität in der Stadtverwaltung besitzen. 1901 bildeten sich zwei große Parteien: die Französische sozialistische Partei, welche die Allemanisten und Broussisten, und die sozialistische Partei Frankreichs, welche die übrigen Gruppen einschließt. Die Wahl von 1906 ergab 76 sozialistische Deputierte. Die bedeutendsten sozialistischen Zeitschriften sind: »Le Socialiste«, »Revue socialiste« und »Devenir social«. Weit stärker noch und fester organisiert ist die sozialdemokratische Bewegung in Belgien. Unter der Führung de Paepes und Volders' breitete sie sich in den 1880er Jahren und wieder in der jüngsten Zeit als Belgische Arbeiterpartei unter Anseele, Vandervelde, Defuisseaux und Bertrand weit aus. Nach Einführung des allgemeinen Stimmrechts vermochte sie bei den Wahlen von 1894 sofort 32 Abgeordnete in die Repräsentantenkammer zu senden. Bei den im Juli 1896 stattgefundenen Wahlen wurden 41 sozialistisch-radikale Abgeordnete gewählt. In der Folge ist ihre Zahl etwas gesunken (1900: 31,1902: 34,1906: 30 Abgeordnete). Die wichtigsten Zeitungen sind: »Le Peuple« (Brüssel), »Vooruit« (Gent), »De Werker« und »L'Echo du Peuple«. Die bedeutende Blüte der belgischen S. erklärt sich zum Teil daraus, dass diese mehr als die S. in andern Ländern die Schöpfung von Gewerkvereinen und Wirtschaftsgenossenschaften betreibt und namentlich auf dem Gebiete des Konsum- und Produktivgenossenschaftswesens große Erfolge erzielt hat. Vgl. Destrée und Vandervelde, Le socialisme en Belgique (2. Aufl., Brüss. 1903); Bertrand, Histoire de la démocratie et du socialisme en Belgique (das. 1905). In England gab es zwar in den 1830er und 40er Jahren schon mächtige Arbeiterbewegungen sozialistischer Natur, so der Chartismus und die von Owen hervorgerufene, allein eine sozialdemokratische Partei konnte erst Anfang der 1880er Jahre gegründet werden: die Socialdemocratic Federation unter Führung Hyndmanns. Aus ihr schied ein Teil der Mitglieder, die anarchistisch gesinnt waren, unter Führung von W. Morris aus und bildete die Socialist League. Im streng marxistischen Sinn agitierten Aveling und die Tochter von K. Marx, Eleanor Marx. Daneben gibt es noch eine Reihe sozialistischer Lokalvereine. Am meisten Anhang hat immer noch die Socialdemocratic Federation (Zeitung: »Justice«); ihr Programm fordert die Verstaatlichung des Bodens und die allmähliche Überleitung in die sozialistische Gesellschaft. Bei den Wahlen von 1892 gelang es den Sozialisten, 3 »unabhängige«, d. h. nicht den Trades-Unions (s. Gewerkvereine) angehörige Arbeitervertreter, unter ihnen den schottischen Bergarbeiter Keir Hardie, ins Parlament zu wählen, deren Programm aber nicht eigentlich sozialdemokratisch, sondern radikalsozialreformatorisch ist. Im Januar 1893 wurde auch eine »unabhängige Arbeiterpartei« (Indepedent Labour Party) mit ähnlichem Programm begründet. 1895 wurde keiner der 28 sozialdemokratischen Kandidaten gewählt; die drei als Arbeitervertreter gewählten »Unabhängigen« waren Alliierte der liberalen Partei. Die Wahlen von 1900 ergaben 13 Arbeitervertreter, darunter J. Burns, die aber nicht alle als Sozialdemokraten bezeichnet werden können, die von 1906 deren 30. In neuester Zeit haben aber auch die Gewerkvereine namentlich die der ungelernten Arbeiter, unter dem Einfluss John Burns' dem Sozialismus sich genähert. Auf den letzten Kongressen der Trades-Unions trat überhaupt der sozialistische Gedanke in Resolutionen zugunsten der Verstaatlichung der Produktionsmittel etc. stark hervor. Gleichwohl kann man zurzeit von einer sozialistischen Arbeiterpartei im Sinne der deutschen S. nicht sprechen. In Holland hat in den letzten 20 Jahren namentlich unter dem Einfluss Domela Nieuwenhuis' eine starke sozialdemokratische Bewegung Platz gegriffen (Bund der Sozialdemokraten, Organ: »Recht voor Allen«). Neben der Domelaschen revolutionären Richtung ist seit 1894 unter Führung von Trolst und van Kol eine gemäßigte, sozialer Reformtätigkeit geneigte Fraktion (Organ: »De Nieuwe Tijd«) entstanden, welche die erstere überflügelt hat. 1906 waren in der Zweiten Kammer 7 Abgeordnete der S. In der Schweiz hat die S. erst seit Beginn der 1890er Jahre, seit der Grütliverein sich der S. anschloss, einen größeren Anhang. Im J. 1902 erfolgte eine Vereinigung und Reorganisation der verschiedenen sozialistischen Gruppen. In einzelnen Kantonen findet sich bereits eine ansehnliche Zahl von Vertretern der S.; im Nationalrat sind zurzeit 2. In Russland trat die S. lange Zeit zurück vor den nihilistischen und nationalrussischen revolutionären Bestrebungen. Erst in neuester Zeit hat auch die S. mehr um sich gegriffen und sich konsolidiert. Die beiden Hauptparteien unter der Arbeiterschaft sind die »Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands«, deren Programm im ganzen dem der deutschen S. ähnlich ist, und die Partei der revolutionären Sozialisten, die alle arbeitenden Elemente, auch die Bauern, vertreten will. In Schweden und Norwegen ist der agrarische Charakter des Landes der Ausbreitung der S. hinderlich, immerhin hat sie, namentlich in Schweden im Anschluss an die Gewerkvereinsbewegung, bereits größeren Umfang erreicht. In Schweden hat sie zurzeit 13 Sitze, in Norwegen deren 5 und zahlreiche Gemeindemandate inne. In Dänemark hat nicht nur die städtische Industriebevölkerung, sondern auch das Landvolk sich sozialistischen Bewegungen zugänglich gezeigt. 1906 wurden 24 sozialdemokratische Abgeordnete in das Folkething entsendet. Vgl. Helms, Die sozialdemokratische und gewerkschaftliche Bewegung in Dänemark (Leipz. 1907). In Italien war, wie heute noch in Spanien, der Anarchismus bis zu Beginn der 1880er Jahre die einzige Form der Auflehnung gegen die bestehende Gesellschaftsordnung. Erst von da ab sing die S. unter Führung Costas an, eine Rolle namentlich in Oberitalien und Sizilien zu spielen. Auf dem Kongress zu Genua (1892) wurde die italienische Arbeiterpartei gegründet. Im J. 1895 wurden 8, 1900: 33 Vertreter der S. ins Parlament gewählt, und zahlreiche Sozialdemokraten sitzen in Gemeindevertretungen. Hauptorgan ist die Tageszeitung »Avanti«. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika besitzt die S. bis heute keine große Bedeutung, weil der Sinn des amerikanischen Volkes ähnlich dem des englischen auf die unmittelbare Verbesserung seiner Lage, auf das Erreichbare, gerichtet ist. Die wichtigste Arbeitervereinigung, die Federation of Labor (Arbeiterbund), trägt gewerkschaftlichen Charakter (vgl. Gewerkvereine, S. 804). Mehr dem Sozialismus nähern sich die Central Labor Unions, Vereinigungen organisierter Lohnarbeiter in großen Städten und Industriebezirken, und die 1895 gegründete Socialist Trade and Labor Alliance, ein gewerkschaftlicher Zentralverband. Eine eigentlich sozialdemokratische Vereinigung war die 1876 hauptsächlich von deutschen Eingewanderten begründete Sozialistische Arbeiterpartei Nordamerikas, deren Programm dem Gothaer der deutschen S. verwandt ist. 1897 entstand eine Sozialdemokratische Partei, die sich mit der vorgenannten 1900 auf einem Kongress in Indianapolis zur Socialistic Party zusammenschloss. Ihre Erfolge sind gering. Über den Orden der Knights of Labor s. Ritter der Arbeit.
Vgl. E. Jäger, Der moderne Sozialismus (Berl. 1873); Mehring, Die deutsche S. (3. Aufl., Bremen 1879) und Geschichte der deutschen S. (3. Aufl., Stuttg. 1906, 4 Bde.); R. Meyer, Der Emanzipationskampf des vierten Standes (2. Aufl., Berl. 1882); Scheel, Unsere sozialpolitischen Parteien (Leipz. 1878); Oldenberg, Die Ziele der deutschen S. (das. 1891); Schäffle, Die Quintessenz des Sozialismus (13. Aufl., Gotha 1891) und Die Aussichtslosigkeit der S. (4. Aufl., Tübing. 1893); G. Adler, Geschichte der ersten sozialpolitischen Arbeiterbewegung in Deutschland (Bresl. 1885), Die Entwickelung des sozialistischen Programms (in den »Jahrbüchern für Nationalökonomie«, 1891) und Artikel »S.« im »Handwörterbuch der Staatswissenschaft«, Bd. 5 (hier auch ausführliche Literaturangaben über die außerdeutschen Länder); Kautsky, Das Erfurter Programm erläutert (6. Aufl., Stuttg. 1905); Kautsky und Schönlank, Grundsätze und Forderungen der S. (Berl. 1892), Handbuch für sozialdemokratische Wähler (hrsg. vom Parteivorstand, zuletzt Berl. 1907); Schippel, Sozialdemokratisches Reichstagshandbuch (das. 1902); A. Wagner, Das neue sozialdemokratische Programm (das. 1892); Laveleye, Der Sozialismus der Gegenwart (deutsch, Halle 1895); E. Richter, Die Irrlehren der S. (Berl. 1890); M. Lorenz, Die marxistische S. (Leipz. 1896); Sombart, Sozialismus und soziale Bewegung im 19. Jahrhundert (5. Aufl., Jena 1905); Wacker, Entwickelung der S. in den zehn ersten Reichstagswahlen, 1871–1898 (Freiburg 1903); Brunhuber, Die heutige S. (Jena 1906); E. Bernstein, Geschichte der Berliner Arbeiterbewegung (Berl. 1907 ff.); Milhaud, La démocratie socialiste allemande (Par. 1903); Ely, The labor movement in America (New York 1886); Stammhammer, Bibliographie des Sozialismus und Kommunismus (Jena 1893–1900, 2 Bde.). Weitere Literatur s. unter Internationale und Sozialismus.
Vor wenigen Wochen berichteten "Die Grenzboten" über ein Gespräch zwischen Bismarck und Professor Dr. Otto Kämmel aus dem Oktober 1892, in dem sich der "Heros des Jahrhunderts" die Maske des Konstitutionalismus mit dem ihm eigenen Zynismus selbst vom Gesicht riß. Bismarck äußerte unter anderm:
"In Rom war aqua et igne interdictus, wer sich außerhalb der Rechtsordnung stellte, im Mittelalter nannte man das ächten. Man müßte die Sozialdemokratie ähnlich behandeln, ihr die politischen Rechte, das Wahlrecht nehmen. Soweit würde ich gegangen sein. Die sozialdemokratische Frage ist eine militärische. Man behandelt jetzt die Sozialdemokratie außerordentlich leichtsinnig. Die Sozialdemokratie strebt jetzt - und mit Erfolg - danach, die Unteroffiziere zu gewinnen ... In Hamburg ... besteht jetzt schon ein guter Teil der Truppen aus Sozialdemokraten, denn die Leute dort haben das Recht, nur in die dortigen Bataillone einzutreten. Wie nun, wenn sich diese Truppen einmal weigern, auf ihre Väter und Brüder zu schießen, wie der Kaiser verlangt hat? Sollen wir dann die hannöverschen und mecklenburgischen Regimenter gegen Hamburg aufbieten? Dann haben wir dort etwas wie die Kommune in Paris. Der Kaiser war eingeschüchtert. Er sagte mir, er wolle nicht einmal ,Kartätschenprinz' heißen wie sein Großvater und nicht gleich am Anfange seiner Regierung ,bis an die Knöchel im Blut waten'. Ich sagte ihm damals: ,Ew. Majestät werden noch viel tiefer hinein müssen, wenn Sie jetzt zurückweichen!'"
"Die sozialdemokratische Frage ist eine militärische." Das drückt das ganze Problem aus; das sagt mehr und greift viel tiefer als der von Massowsche Notschrei: "Der einzige Trost, den wir haben, sind die Bajonette und Kanonen unsrer Soldaten." "Die sozialdemokratische Frage ist eine militärische." Das ist seit je der Grundton aller Scharfmachermelodien. Wem das die früheren Bismarck- und Puttkamerschen Indiskretionen, die Alexandrinerrede, die "Hamburger Nachrichten" und der Vollblutjunker von Oldenburg-Januschau noch nicht beigebracht hatten, dem werden nach den Hohenlohe-Delbrückschen Enthüllungen, die um die Jahreswende ihre Bestätigung durch den Landgerichtsrat Kulemann gefunden haben, dem werden nach jenem lapidaren Wort Bismarcks die Augen aufgegangen sein.
Die sozialdemokratische Frage - soweit sie eine politische Frage ist - ist am letzten Ende eine militärische. Das sollte auch der Sozialdemokratie stets als Menetekel vor Augen schweben und als ein taktisches Prinzip ersten Grades gelten.
Der innere Gegner, die Sozialdemokratie, ist "gefährlicher als der äußere, weil er die Seele unsres Volkes vergiftet und uns die Waffen aus der Hand windet, ehe wir diese noch erheben". So proklamierte die "Kreuz-Zeitung" am 21. Januar 1907 die Souveränität des Klasseninteresses über das nationale Interesse in einem Wahlkampf, der gerade "unter der wehenden Standarte des Nationalismus" geführt wurde! Und dieser Wahlkampf stand unter dem Zeichen fortgesetzt gesteigerter Wahl- und Koalitionsrechtsbedrohung, unter dem Zeichen des "Bonaparteschen Degens", mit dem Fürst Bülow in seinem Silvesterbrief um die Köpfe der deutschen Sozialdemokraten fuchtelte, um sie ins Bockshorn zu jagen; er stand unter dem Zeichen eines zur Siedehitze gesteigerten Klassenkampfs. Nur der Blinde und Taube kann leugnen, daß diese Zeichen und viele andre auf Sturm, ja auf Orkan deuten.
Damit hat das Problem der Bekämpfung des "inneren Militarismus" aktuellste Bedeutung gewonnen.
Die Wahlen 1907 wurden aber auch geführt um die nationale Phrase, um die koloniale Phrase, um Chauvinismus und Imperialismus. Und sie haben gezeigt, wie beschämend gering trotz alledem die Widerstandskraft des deutschen Volks gegenüber den pseudopatriotischen Rattenfängereien jener verächtlichen Geschäftspatrioten ist. Sie haben gelehrt, welch grandiose Demagogie die Regierung, die herrschenden Klassen und die ganze heulende Meute des "Patriotismus" zu entfalten vermögen, wenn es um ihre "heiligsten Güter" geht. Sie waren für das Proletariat Wahlen der nützlichsten Klärung, Wahlen der Selbstbesinnung und der Belehrung über das soziale und politische Kräfteverhältnis, Wahlen der Erziehung, der Befreiung von der unglückseligen "Sieggewohnheit", Wahlen des willkommenen Zwangs zur Vertiefung der proletarischen Bewegung und des Verständnisses für die Psychologie der Massen gegenüber nationalen Aktionen. Gewiß sind die Ursachen unsrer sogenannten Schlappe, die keine Schlappe war und über die die Sieger verblüffter waren als die Besiegten, gar mannigfaltige; kein Zweifel aber, daß gerade die militaristisch durchseuchten oder beeinflußten Teile des Proletariats, die freilich an sich schon dem Regierungsterrorismus am wehrlosesten ausgeliefert zu sein pflegen, zum Beispiel die Staatsarbeiter und Unterbeamten, der sozialdemokratischen Ausbreitung einen besonders festen Damm entgegengesetzt haben.
Auch das rückt die antimilitaristische Frage und die Frage der Jugendbewegung, der Jugenderziehung für die deutsche Arbeiterbewegung, energisch in den Vordergrund und sichert ihren Anspruch auf zunehmende Beachtung.