Mini Shopaholic - Sophie Kinsella - E-Book
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Mini Shopaholic E-Book

Sophie Kinsella

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Beschreibung

Becky Brandon, geborene Bloomwood, hat sich ihr Dasein als Mutter leichter vorgestellt. Die kleine Minnie ist ein sehr lebhaftes Kind – man könnte sie auch als anstrengend bezeichnen. Ihr Lieblingswort ist „mein!“, und eine Vorliebe für Markenartikel ist nicht zu übersehen. Woher sie das nur hat? Becky jedenfalls kauft neuerdings nur noch das Nötigste: Handtaschen, Schuhe, Spielsachen … Aber nicht nur das Sparen verlangt Energie. Becky sucht mit ihrem Mann Luke ein eigenes Zuhause, plant eine große Party, engagiert sich in ihrem Job und will Minnie eine perfekte Mutter sein. Langsam wächst ihr alles über den Kopf ...

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Seitenzahl: 676

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Buch

Becky Brandon liebt ihre Tochter Minnie über alles. Und sie ist eine großartige Mutter, selbst wenn ihre Erziehungsmethoden manchmal vielleicht ungewöhnlich sind. Die zweijährige Minnie ist aber auch ein äußerst lebhaftes, willensstarkes Kind – man könnte sie auch als echten Teufelsbraten bezeichnen – und hat in ihrem jungen Leben bereits Mitarbeiter von Harrods bis Harvey Nichols in den Wahnsinn getrieben. Dafür kann sie Taxis heranwinken wie ein Einkaufsprofi, ihr Lieblingswort ist »Mein!«, und eine Vorliebe für Markenartikel ist ebenfalls nicht zu übersehen. Becky kann sich gar nicht erklären, woher die Kleine das hat. Wenn sie ehrlich ist: Manchmal wächst Minnie ihr etwas über den Kopf. Zumal Becky und Luke noch immer auf Wohnungssuche sind und derzeit bei Beckys Eltern wohnen, wo es allmählich eng wird. Um ihren Mann aufzuheitern, plant Becky eine Überraschungsparty zu seinem Geburtstag. Ob ihr das ohne große Katastrophen gelingt? Und kann sie Minnie gleichzeitig in einen wohlerzogenen Wonneproppen verwandeln? Wird sie nur noch Kleider kaufen, die sie ganz sicher mindestens einmal tragen wird? Und was geschieht, wenn Becky herausfindet, dass Luke ein Geheimnis mit sich herumträgt?

Weitere Informationen zu Sophie Kinsellasowie zu lieferbaren Titeln der Autorin finden Sie am Ende des Buches.

Sophie Kinsella

Mini Shopaholic

Roman

Aus dem Englischen von Jörn Ingwersen

Die englische Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel »Mini Shopaholic« bei Bantam Press, London.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Taschenbuchausgabe Juli 2022

Deutsche Erstveröffentlichung Oktober 2010

Copyright © der Originalausgabe 2010 by Sophie Kinsella

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010

by Goldmann Verlag, ein Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: FAVORITBÜRO, München

Redaktion: Martina Klüver

MR · Herstellung: ik

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-28310-0V002www.goldmann-verlag.de

Für Allegra, Mini-Shopaholic in Ausbildung

Tick Tock Kinderladen

The Old Barn

4 Spence Hill

Oxshott

Surrey

Mrs Rebecca Brandon

The Pines

43 Elton Road

Oxshott

Surrey

1. September 2005

Liebe Mrs Brandon,

es war uns ein Vergnügen, Sie und Minnie gestern kennengelernt zu haben. Ganz bestimmt wird sie sich in unserem fröhlichen Kinderladen sehr wohlfühlen, und wir freuen uns schon darauf, sie nächste Woche wiederzusehen.

Mit freundlichen Grüßen

Teri Ashley

Kinderladenleitung

PS: Machen Sie sich bitte keine Gedanken wegen des kleinen Zwischenfalls mit den Farbspritzern. Wir sind an Kinder gewöhnt und können die Wand jederzeit neu streichen.

Tick Tock Kinderladen

The Old Barn

4 Spence Hill

Oxshott

Surrey

Mrs Rebecca Brandon

The Pines

43 Elton Road

Oxshott

Surrey

4. Oktober 2005

Liebe Mrs Brandon,

nur ein kleiner, fürsorglicher Hinweis, was Minnie angeht. Sie ist ein süßes, lebhaftes Kind.

Allerdings muss sie lernen, dass sie nicht jeden Tag alle Sachen aus der Verkleidekiste anziehen kann und die »Prinzessinnen«-Schuhe zum Spielen im Freien nicht geeignet sind. Vielleicht könnten wir das bei unserem bevorstehenden Eltern-Kind-Vormittag besprechen.

Mit freundlichen Grüßen

Teri Ashley

Kinderladenleitung

PS: Machen Sie sich bitte keine Gedanken wegen des kleinen Zwischenfalls mit dem Klebstoff. Wir sind an Kinder gewöhnt und können den Tisch jederzeit neu lackieren.

Tick Tock Kinderladen

The Old Barn

4 Spence Hill

Oxshott

Surrey

Mrs Rebecca Brandon

The Pines

43 Elton Road

Oxshott

Surrey

9. November 2005

Liebe Mrs Brandon,

vielen Dank für Ihren Brief. Wie schön, dass Sie sich auf den Eltern-Kind-Vormittag freuen. Leider wird es keine Verkleidekiste für Erwachsene geben und auch keine »Tauschbörse für Designerklamotten für die anderen Eltern«, wie von Ihnen vorgeschlagen.

Erfreulicherweise hat Minnie ihre Aktivitäten in der Spielgruppe zwischenzeitlich erweitert und verbringt nun viel Zeit in unserem neuen »Kaufmannsladen«.

Mit freundlichen Grüßen

Teri Ashley

Kinderladenleitung

PS: Machen Sie sich bitte keine Gedanken wegen des kleinen Zwischenfalls mit der Tinte. Wir sind an Kinder gewöhnt, und Mrs Soper kann sich ihre Haare jederzeit neu färben.

EINS

Okay. Keine Panik. Ich habe alles im Griff. Ich, Rebecca Brandon (geborene Bloomwood), bin hier die Erwachsene. Nicht meine zweijährige Tochter.

Ich weiß nur nicht, ob sie es auch weiß.

»Minnie, Schätzchen, gib mir das Pony!«

Ich versuche, ruhig und selbstsicher zu klingen, genau wie Nanny Sue im Fernsehen.

»Ponyyyyyy.« Jetzt hält Minnie das Spielzeugpony erst richtig fest.

»Kein Pony.«

»Mein!«, schreit sie hysterisch. »Meeeeiiiin Pony!«

Mmpf. Ich bin mit einer Million Einkaufstüten bepackt, mir steht der Schweiß auf der Stirn, und darauf könnte ich jetzt echt verzichten.

Es lief doch so gut. Ich habe das ganze Einkaufszentrum abgeklappert und die restlichen Kleinigkeiten von meiner Weihnachtsliste besorgt. Minnie und ich waren auf dem Weg zur Weihnachtsmannwerkstatt, und ich war nur kurz stehen geblieben, um mir ein Puppenhaus anzusehen. Woraufhin Minnie ein Spielzeugpony vom Regal nahm und sich weigerte, es wieder zurückzustellen. Und jetzt bin ich mitten im Pony-Schlamassel.

Eine Mutter in hautengen J-Brand-Jeans kommt mit ihrer tadellos gekleideten Tochter vorbei und mustert mich mit diesem strengen Mutter-Blick. Ich zucke zusammen. Seit Minnie auf der Welt ist, muss ich feststellen, dass dieser Mutter-Blick noch viel brutaler ist als der Manhattan-Blick. Mit dem Mutter-Blick schätzen sie nicht nur bis auf den letzten Penny deine Kleidung ein. Oh nein. Sie schätzen auch die Kleidung deines Kindes, die Buggy-Marke, die Windel-Marke, den Babybrei und ob dein Kind lächelt, rotzfrech ist oder schreit.

Was für einen kurzen Blick sehr viel auf einmal ist – aber glaubt mir: Mütter sind wahre Multitasker.

Minnie bekommt definitiv Topnoten für ihr Outfit (Kleid: Danny-Kovitz-Einzelstück, Mantel: Rachel Riley, Schuhe: Baby Dior). Und ich habe ihr einen Laufgurt umgeschnallt (Bill Amberg aus Leder, echt cool, war in der Vogue). Statt jedoch engelsgleich zu lächeln wie das kleine Mädchen auf dem Werbefoto, stemmt sie sich dagegen wie ein Stier, den es in den Ring drängt. Ihre Augenbrauen sind vor Zorn zerknittert, ihre Wangen sind rosig, und sie holt gerade Luft, um gleich wieder loszukreischen.

»Minnie!« Ich lasse los und nehme sie in die Arme, damit sie sich sicher und geborgen fühlt, genau wie es Nanny Sue in ihrem Buch (Wie man seinen Frechdachs zähmt) empfiehlt. Ich habe es neulich gekauft, um es kurz durchzublättern. Nur so aus Interesse. Ich meine, es ist ja nicht so, als hätte ich Probleme mit Minnie. Oder als wäre sie schwierig. Oder gar »unbeherrscht und starrsinnig«, wie die blöde Lehrerin in der Kindermusikgruppe gesagt hat. (Was weiß die denn schon? Die kann ja nicht mal richtig Triangel spielen.)

Minnie ist nur … lebhaft. Sie hat eben eine klare Meinung zu allem und jedem. Zum Beispiel Jeans (trägt sie nicht) oder Möhren (isst sie nicht). Und momentan ist sie eben der Ansicht, dass sie ein Spielzeugpony besitzen sollte.

»Minnie, Schätzchen, ich liebe dich sehr«, gurre ich sanft, »und es würde mich sehr glücklich machen, wenn du mir das Pony geben würdest. So ist es recht, gib es Mama …« Fast habe ich es geschafft. Meine Finger schließen sich um den Kopf des Ponys …

Ha. Gewusst wie. Ich hab’s. Unwillkürlich sehe ich mich um, weil ich doch gern wissen möchte, ob jemand Zeuge meiner fachmännischen Erziehungsmethoden geworden ist.

»Meeeeiiin!« Minnie reißt sich aus meinen Armen los und flüchtet mit dem Pony quer durch den Laden. Mist.

»Minnie! MINNIE!«, schreie ich.

Ich schnappe mir meine Tüten und haste Minnie hinterher, die schon in der Superhelden-Abteilung verschwunden ist. Mein Gott, ich weiß gar nicht, wozu wir uns die Mühe machen, die vielen Athleten für die Olympischen Spiele zu trainieren. Wir sollten einfach ein Team aus Kleinkindern aufstellen.

Als ich sie einhole, pfeife ich aus dem letzten Loch. Irgendwann muss ich echt mit den postnatalen Übungen anfangen.

»Gib mir das Pony!« Ich versuche, es ihr abzunehmen, aber sie saugt sich daran fest wie eine Napfschnecke.

»Meeeeiin Ponyyyy!« Ihre dunklen Augen blitzen mich entschlossen an. Wenn ich Minnie manchmal so betrachte, sieht sie ihrem Vater dermaßen ähnlich, dass ich zusammenzucke.

Apropos, wo ist Luke eigentlich? Wir wollten die Weihnachtseinkäufe gemeinsam erledigen. Als Familie. Aber er ist schon vor einer Stunde verschwunden, hat irgendwas davon gemurmelt, er müsste mal kurz telefonieren, und seitdem habe ich nichts mehr von ihm gesehen. Wahrscheinlich sitzt er irgendwo im Café, gönnt sich einen Cappuccino und liest Zeitung. Typisch.

»Minnie, das gibt es nicht«, sage ich so entschlossen wie möglich. »Du hast schon reichlich Spielzeug, und du brauchst kein Pony.«

Eine Frau mit strähnigen Haaren, grauen Augen und zwei kleinen Jungen im Zwillingsbuggy nickt wohlwollend mit dem Kopf. Prompt mustere ich sie selbst auch mit dem Mutter-Blick. Sie ist eine von diesen Müttern, die Crocs und selbst gestrickte Strümpfe tragen. (Warum machen manche Leute so was? Warum?)

»Das ist Wucher, oder?«, sagt sie. »Diese Ponys kosten vierzig Pfund! Meine beiden fragen gar nicht erst«, fügt sie hinzu und betrachtet ihre zwei Jungs, die stumm in der Karre lümmeln, die Daumen im Mund. »Wenn man ihnen einmal nachgibt, ist das der Anfang vom Ende. Meine sind gut erzogen.«

Angeberin.

»Absolut«, sage ich würdevoll. »Da bin ich ganz Ihrer Meinung.«

»Manche Eltern würden ihrem Kind dieses Pony kaufen, nur um ihre Ruhe zu haben. Disziplinlos. Es ist erbärmlich.«

»Furchtbar«, stimme ich ihr zu und will mir das Pony schnappen, doch Minnie weicht mir geschickt aus. Verdammt.

»Man darf ihnen auf keinen Fall nachgeben.« Die Frau mustert Minnie mit steinhartem Blick. »Das ist die Wurzel allen Übels.«

»Also, ich gebe meiner Tochter niemals nach«, sage ich eilig. »Du kriegst das Pony nicht, Minnie. Das ist mein letztes Wort!«

»Ponyyyyy!« Minnies Klagen wird zu herzzerreißendem Schluchzen. Sie ist eine echte Dramaqueen. (Das hat sie von meiner Mum.)

»Na, dann viel Glück!« Die Frau geht weiter. »Und ein frohes Fest!«

»Minnie, hör auf damit!«, zische ich sie wütend an, sobald die Frau verschwunden ist. »Das ist so was von peinlich! Wozu willst du das blöde Pony denn überhaupt?«

»Ponyyyyy!« Sie presst das Pony an ihre Brust wie ein verloren geglaubtes treues Haustier, das in die Fremde verkauft wurde und sich nun aus Sehnsucht nach ihr auf wunden Hufen fünfhundert Meilen bis zur heimischen Farm geschleppt hat.

»Es ist doch nur ein albernes Spielzeug«, sage ich ungeduldig. »Was ist denn da so besonders dran?« Und zum ersten Mal sehe ich mir das Pony richtig an.

Wow. Ehrlich gesagt ist es ziemlich cool. Es ist aus weiß bemaltem Holz, mit kleinen Glitzersternchen und einem supersüßen, handgemalten Gesicht. Und es hat kleine rote Räder.

»Du brauchst wirklich kein Pony, Minnie«, sage ich, wenn auch nicht mehr mit derselben Entschlossenheit wie vorher. Gerade habe ich den Sattel bemerkt. Ist das echtes Leder? Und es hat echtes Zaumzeug mit Schnallen, und die Mähne ist aus echtem Pferdehaar. Und dazu gibt es Putzzeug!

Da sind vierzig Pfund gar nicht mal so teuer. Ich stoße eins der kleinen roten Räder an, und es dreht sich perfekt. Wenn ich es recht bedenke, hat Minnie noch gar kein Spielzeugpony. Da ist eine unübersehbare Lücke in ihrem Spielzeugregal.

Ich meine, nicht dass ich nachgeben würde.

»Es lässt sich auch aufziehen«, höre ich eine Stimme hinter mir, und als ich mich umdrehe, sehe ich eine ältliche Verkäuferin auf uns zukommen. »Da ist ein Schlüssel im Fuß. Sehen Sie mal!«

Sie dreht den Schlüssel, und Minnie und ich sehen fasziniert, wie sich das Pony zu klimpernder Musik wie auf einem Karussell auf und ab bewegt.

O mein Gott! Dieses Pony ist das Größte!

»Zum Weihnachtsfest kostet es bei uns nur vierzig Pfund«, fügt sie hinzu. »Sonst liegt der Preis bei siebzig Pfund. Sie werden in Schweden handgefertigt.«

Fast fünfzig Prozent runtergesetzt. Ich wusste, dass es ein guter Deal ist. Hatte ich nicht gesagt, dass es ein guter Deal ist?

»Das gefällt dir, was, meine Kleine?« Die Verkäuferin lächelt Minnie an, die strahlend zu ihr aufblickt, gar nicht mehr trotzig. Ich will ja nicht prahlen, aber sie sieht ziemlich süß aus mit ihrem roten Mantel, den dunklen Zöpfen und ihren Grübchen in den Wangen. »Möchten Sie es gern haben?«

»Ich … äh …« Ich räuspere mich.

Komm schon, Becky. Sag Nein. Sei eine gute Mutter. Geh einfach raus.

Unauffällig streichelt meine Hand die Mähne.

Aber es ist so zauberhaft! Sieh sich nur einer das süße kleine Gesichtchen an! Und ein Pony ist ja nicht irgendeine alberne Modeerscheinung. Es ist ein Klassiker. So was wie die Chanel-Jacke unter den Spielzeugen.

Und Weihnachten steht vor der Tür. Und es ist heruntergesetzt. Und plötzlich fällt mir ein, dass sich vielleicht herausstellen könnte, dass Minnie eine begabte Reiterin ist. Ein Spielzeugpony könnte genau der Anstoß sein, den sie braucht. Ich sehe sie schon vor mir, wie sie mit zwanzig neben einem prachtvollen Pferd steht, in einer roten Jacke, bei den Olympischen Spielen, wie sie in die Fernsehkamera sagt: »Angefangen hat alles eines Tages zu Weihnachten, als ich ein Geschenk bekam, das mein Leben verändert hat …«

Meine Gedanken rattern wie ein Superrechner der Zukunft. Es muss eine Möglichkeit geben, wie ich gleichzeitig 1. nicht Minnies Wutanfall nachgebe, 2. eine gute Mutter bleibe und 3. das Pony kaufe. Ich brauche eine von diesen cleveren, kreativen Lösungen, für die Luke seinen Finanzberatern viel Geld bezahlt …

Und dann fällt mir die Lösung ein. Eine total geniale Idee. Ich kann gar nicht glauben, dass ich nicht vorher draufgekommen bin. Ich zücke mein Handy und schreibe Luke eine SMS.

Luke! Eben kam mir ein guter Gedanke. Ich finde, Minnie sollte Taschengeld bekommen.

Sofort plingt eine Antwort: Wozu das denn?

Damit sie sich was kaufen kann!, schreibe ich schon, dann überlege ich es mir anders. Ich lösche den Text und tippe stattdessen:

Kinder sollten frühzeitig lernen, wie man mit Geld umgeht. Habe ich gerade gelesen. Es stärkt sie und fördert ihr Verantwortungsbewusstsein.

Kurz darauf simst Luke: Können wir ihr nicht einfach die Financial Times kaufen?

Schnauze, tippe ich. Sagen wir zwei Pfund die Woche, okay?

Bist du irre?, kommt zurück. 10p die Woche sind reichlich.

Indigniert starre ich das Handy an. Zehn Pence? Er ist echt ein Geizkragen. Was soll sie sich denn davon kaufen?

Und bei zehn Pence die Woche können wir uns das Pony niemals leisten.

50p die Woche, tippe ich entschlossen. Das ist der Schnitt. (Das prüft er nie im Leben nach.) Wo steckst du eigentlich? Ist schon fast Zeit für den Weihnachtsmann!

OK, meinetwegen. Bin gleich da, kommt als Antwort.

Ja!!! Als ich mein Handy wegstecke, rechne ich im Kopf alles durch. Fünfzig Pence pro Woche, zwei Jahre lang, macht Zweiundfünfzig Pfund. Ganz einfach. Mein Gott, wieso hab ich noch nie an Taschengeld gedacht? Ist doch perfekt! Da bekommen unsere Shopping-Ausflüge eine völlig neue Dimension.

Ich drehe mich zu Minnie um und bin ganz stolz auf mich.

»Hör zu, Süße«, verkünde ich. »Ich werde dir dieses Pony nicht kaufen, denn schließlich hatte ich ja vorher schon Neingesagt. Aber du kannst es dir von deinem eigenen Taschengeld kaufen. Ist das nicht aufregend?«

Minnie betrachtet mich etwas verunsichert. Ich interpretiere das als Ja.

»Da du noch nichts von deinem Taschengeld ausgegeben hast, bleiben dir zwei volle Jahresbeträge. Da kommt einiges zusammen. Siehst du, wie toll Sparen ist?«, füge ich strahlend hinzu. »Siehst du, wie viel Spaß es macht?«

Als wir zur Kasse gehen, bin ich ausgesprochen zufrieden mit mir. Thema: verantwortungsvolle Erziehung. Ich konfrontiere mein Kind frühzeitig mit den Prinzipien der Finanzplanung. Ich könnte Fernsehguru werden! Super Nanny Becky: Erziehungstipps für fiskalisch verantwortungsvolle Eltern. Ich könnte in jeder Sendung andere Stiefel tragen …

»Kutsche.«

Abrupt schrecke ich aus meinem Tagtraum auf und sehe, dass Minnie das Pony weggeworfen hat und jetzt eine Monstrosität aus pinkem Plastik an sich drückt. Woher hat sie das Ding? Es ist Winnie Poohs Schubkarre.

»Hupka?« Voller Hoffnung blickt sie zu mir auf.

Was?

»Die Schubkarre kaufen wir aber nicht, Schätzchen«, sage ich geduldig. »Du wolltest das Pony. Das süße Pony, weißt du noch?«

Gleichgültig betrachtet Minnie das Pony. »Hupka.«

»Pony!« Ich hebe das Pony vom Boden auf.

Es ist echt frustrierend. Wie kann sie dermaßen wankelmütig sein? Das hat sie bestimmt von Mum.

»Hupka!«

»Pony!«, sage ich lauter als beabsichtigt und schwenke das Pony nach ihr. »Ich will das Ponyyyyyy …«

Plötzlich kribbelt es in meinem Nacken. Ich drehe mich um und sehe die Frau mit den beiden Jungen. Sie steht ein paar Schritte entfernt und starrt mich mit ihren steinernen Augen an.

»Ich meine …« Mit heißen Wangen lasse ich das Pony sinken. »Ja, du darfst dir das Pony von deinem Taschengeld kaufen. Simple Finanzplanung«, füge ich eilig hinzu, an die Frau mit dem steinernen Blick gewandt. »Heute haben wir gelernt zu sparen, bevor man sich etwas kaufen kann, nicht wahr, Liebes? Minnie hat ihr ganzes Taschengeld für das Pony ausgegeben, und es war eine gute Wahl …«

»Ich habe das andere Pony gefunden!« Plötzlich taucht die Verkäuferin wieder auf, keuchend und mit einer staubigen Schachtel in der Hand. »Ich wusste, dass wir noch eins im Lager haben. Ursprünglich war es nämlich ein Paar, wissen Sie …?«

Es gibt noch ein Pony?

Unwillkürlich stöhne ich auf, als sie es hervorholt. Es ist mitternachtsblau mit rabenschwarzer Mähne, voller Sternchen und mit goldenen Rädern. Es ist absolut hinreißend. Es ist die perfekte Ergänzung für das andere. O Gott, wir müssen beide kaufen. Wir müssen einfach.

Irritierenderweise steht die steinäugige Frau mit ihrem Buggy da und beobachtet uns.

»Schade, dass du dein ganzes Taschengeld schon ausgegeben hast, was?«, sagt sie zu Minnie, mit so einem verklemmten, unfreundlichen Lächeln, das darauf hindeutet, dass sie weder Spaß noch Sex hat. Mir scheint, das sieht man Menschen eigentlich immer an.

»Ja, nicht?«, sage ich höflich. »Da haben wir ein Problem. Wir müssen uns etwas einfallen lassen.« Einen Moment lang denke ich angestrengt nach, dann wende ich mich Minnie zu.

»Schätzchen, hier kommt deine zweite Lektion in Finanzplanung. Wenn man auf ein einmaliges Angebot stößt, darf man sich über die Spar-Regel hinwegsetzen. Das nennt man dann: ›ein Schnäppchen machen‹.«

»Sie wollen es ihr kaufen? Einfach so?«, sagt die steinäugige Frau ungläubig.

Was geht sie das an? Gott, ich hasse Mütter. Dauernd müssen sie sich einmischen. Sobald man ein Kind hat, kommt man sich vor wie ein Kästchen auf einer Website, in dem steht: »Bitte fügen Sie hier Ihre unverschämten Kommentare ein.«

»Selbstverständlich werde ich es ihr nicht kaufen«, sage ich etwas hölzern. »Sie wird es von ihrem Taschengeld bezahlen. Schätzchen …« Ich gehe in die Hocke, um Minnies Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. »Wenn du das Pony bei fünfzig Pence die Woche von deinem Taschengeld bezahlst, dauert es etwa … sechzig Wochen. Du wirst einen Vorschuss brauchen. So etwas wie einen ›Überziehungskredit‹.« Ich artikuliere deutlich. »Damit hast du also mehr oder weniger dein ganzes Taschengeld ausgegeben, bis du dreieinhalb bist. Okay?«

Minnie macht einen leicht verwirrten Eindruck. Aber vermutlich habe ich auch etwas verwirrt ausgesehen, als ich mein Konto das erste Mal überzogen hatte. Das gehört wohl dazu.

»Alles klar.« Ich strahle die Verkäuferin an und reiche ihr meine Visa Card. »Danke, wir nehmen beide Ponys. Siehst du, meine Süße?«, füge ich an Minnie gewandt hinzu. »Die Lektion, die wir heute gelernt haben, lautet: ›Gib niemals auf, wenn du etwas wirklich willst. So widrig die Lage auch erscheinen mag, es findet sich immer ein Ausweg.‹«

Ich bin richtig stolz auf mich, als ich diese güldene Weisheit von mir gebe. Darum geht es in der Erziehung. Seinem Kind beizubringen, wie es in der Welt so läuft.

»Weißt du, mir hat sich auch mal eine ganz erstaunliche Gelegenheit geboten«, füge ich hinzu, während ich meine PIN-Nummer eintippe. »Ein Paar Stiefel von Dolce & Gabbana, um neunzig Prozent heruntergesetzt! Nur war meine Kreditkarte leider am Limit. Aber habe ich aufgegeben? Nein! Natürlich nicht!«

Minnie hört so begeistert zu, als würde ich die Geschichte von den drei Bären erzählen.

»Ich bin in meiner Wohnung herumgerannt und habe meine Tüten und Taschen durchwühlt und alles Kleingeld zusammengesammelt … und weißt du was?« Um die Wirkung zu steigern, lege ich eine Pause ein. »Das Geld reichte! Ich konnte mir die Stiefel kaufen! Hurrah!«

Minnie klatscht in die Hände, und zu meinem Entzücken fangen auch die beiden kleinen Jungen heiser an zu jubeln.

»Wollt ihr noch eine Geschichte hören?« Ich strahle sie an. »Soll ich euch vom Musterverkauf in Mailand erzählen? Eines Tages laufe ich die Straße entlang, als ich dieses mysteriöse Schild sehe.« Ich reiße die Augen weit auf. »Und was glaubt ihr, was da geschrieben stand?«

»Lächerlich.« Abrupt dreht die steinäugige Frau ihren Buggy um. »Kommt, Kinder, wir müssen nach Hause.«

»Geschichte!«, heult einer der Jungen.

»Wir werden uns diese Geschichte nicht anhören«, schnauzt sie ihn an. »Sie sind doch gestört«, fügt sie über die Schulter hinzu, als sie geht. »Kein Wunder, dass Ihr Kind so verwöhnt ist. Was hat sie denn für Schühchen an? Gucci?«

Verwöhnt? Mir schießt das Blut in die Wangen. Sprachlos starre ich sie an. Wie kommt sie denn darauf?

Und von Gucci gibt es solche Schuhe überhaupt nicht.

»Sie ist nicht verwöhnt!«, bringe ich schließlich hervor.

Doch die Frau ist schon hinter dem Postman-Pat-Regal verschwunden. Nun, ich werde ihr bestimmt nicht hinterherrennen und schreien: »Jedenfalls lümmelt mein Kind nicht den ganzen Tag Daumen nuckelnd im Buggy herum, und außerdem: Haben Sie eigentlich schon mal daran gedacht, Ihren Kindern die Nase zu putzen?«

Denn das wäre kein gutes Vorbild für Minnie.

»Komm schon, Minnie.« Ich gebe mir Mühe, mich zu fangen. »Sehen wir uns mal die Weihnachtsmannwerkstatt an. Danach geht es uns bestimmt besser.«

ZWEI

Nie im Leben ist Minnie verwöhnt. Im Leben nicht.

Okay, manchmal hat sie so ihre Momente. Wie wir alle. Aber verwöhnt ist sie nicht. Ich müsste es doch wissen, wenn sie verwöhnt wäre. Schließlich bin ich ihre Mutter.

Trotzdem merke ich auf dem Weg zur Weihnachtsmannwerkstatt, dass ich leicht aus der Fassung bin. Wie kann man sich so danebenbenehmen? Noch dazu an Heiligabend.

»Zeig jetzt einfach, wie wohlerzogen du bist, Süße«, raune ich Minnie zu, als wir Hand in Hand gehen. »Sei einfach ein kleiner Engel, wenn du vor dem Weihnachtsmann stehst, okay?«

»Jingle Bells« bimmelt aus den Lautsprechern, und unwillkürlich bessert sich meine Laune, als wir näher kommen. Als kleines Mädchen bin ich zu genau derselben Weihnachtsmannwerkstatt gegangen.

»Guck mal, Minnie!« Aufgeregt zeige ich mit dem Finger. »Sieh dir die Rentiere an! Die vielen Geschenke!«

Da steht ein Schlitten mit zwei lebensgroßen Rentieren, und alles ist voll mit Kunstschnee und Mädchen in grünen Kostümen, als Elfen verkleidet. Das ist neu. Am Eingang blinzle ich überrascht die Elfe an, die uns mit sonnenstudiogegerbtem Dekolleté begrüßt. Sucht sich der Weihnachtsmann seine Elfen heutzutage bei Modelagenturen? Und sollten Elfen violette Acrylnägel tragen?

»Fröhliche Weihnachten!«, begrüßt sie uns und stempelt mein Ticket ab. »Besuchen Sie auch unseren Wunschbrunnen und geben Sie dort Ihren Weihnachtswunsch ab. Der Weihnachtsmann wird später alle Wünsche lesen!«

»Hast du das gehört, Minnie? Wir dürfen uns was wünschen!« Ich sehe zu Minnie hinunter, die wortlos staunend die Elfe betrachtet.

Seht ihr? Sie benimmt sich mustergültig.

»Becky! Hier drüben!« Ich drehe meinen Kopf und sehe, dass Mum schon in der Schlange steht, mit festlich glitzerndem Schal. Sie hält die Griffe von Minnies Buggy fest, der mit Tüten und Paketen beladen ist. »Der Weihnachtsmann macht gerade seine Teepause«, fügt sie hinzu, als wir uns zu ihr gesellen. »Es wird bestimmt noch mindestens eine halbe Stunde dauern. Dad hat sich auf die Suche nach Camcorder-Disks gemacht, und Janice kauft ihre Weihnachtskarten.«

Janice ist Mums Nachbarin von nebenan. Sie kauft ihre Weihnachtskarten jedes Jahr Heiligabend zum halben Preis, schreibt sie am 1. Januar und legt sie für den Rest des Jahres in die Schublade. Sie nennt es »sich selbst überholen«.

»Schätzchen, würdest du dir mal ansehen, was ich für Jess gekauft habe?« Mum wühlt in einer Tüte herum und holt vorsichtig ein hölzernes Kästchen hervor. »Ist das okay?«

Jess ist meine Schwester. Meine Halbschwester, um genau zu sein. Sie kommt in ein paar Tagen aus Chile zurück, weshalb wir für sie und Tom ein zweites Weihnachten inszenieren, mit Truthahn und Geschenken und allem, was dazugehört! Tom ist Jess’ Freund. Er ist der einzige Sohn von Janice und Martin, und ich kenne ihn schon mein Leben lang, und er ist wirklich …

Nun. Er ist wirklich …

Egal … entscheidend ist, die beiden lieben sich. Und schwitzige Hände sind in Chile wahrscheinlich nicht so schlimm, oder?

Ich finde es toll, dass sie kommen, besonders da es bedeutet, dass wir Minnie endlich taufen können. (Jess wird ihre Patentante.) Aber ich begreife, wieso Mum gestresst ist. Jess ein Geschenk zu kaufen ist problematisch. Sie mag nichts, was neu oder teuer ist oder Plastik oder Parabene enthält oder in einer Tasche steckt, die nicht aus Hanf ist.

»Ich habe ihr das hier gekauft.« Mum klappt den Deckel des Kästchens auf und legt eine ganze Reihe ausgefallener Glasfläschchen frei, die sich dort ins Stroh kuscheln. »Es ist Duschgel«, fügt sie eilig hinzu. »Nicht für die Badewanne. Wir wollen nicht schon wieder schuld am Dritten Weltkrieg sein!«

Es gab da diesen kleinen peinlichen Zwischenfall, als Jess letztes Mal hier war. Wir feierten ihren Geburtstag, und Janice schenkte ihr ein Schaumbad, woraufhin uns Jess eine zehnminütige Standpauke hielt, wie viel Wasser ein Wannenbad verbraucht und dass die Leute in den westlichen Wohlstandsländern von Reinlichkeit besessen sind und jeder nur einmal die Woche fünf Minuten duschen sollte – so wie Jess und Tom es machen.

Janice und Martin hatten sich vor Kurzem erst einen Whirlpool einbauen lassen, deshalb kam Jess’ Bemerkung bei ihnen nicht sonderlich gut an.

»Was meinst du?«, sagt Mum.

»Weiß nicht.« Sorgfältig lese ich den Aufkleber am Kästchen. »Sind da irgendwelche künstlichen Zusätze drin? Werden bei der Herstellung Menschen ausgebeutet?«

»Ach, Liebes, ich weiß es nicht.« Zögerlich betrachtet Mum das Kästchen, als wäre es eine Nuklearwaffe. »Da steht ›rein natürlich‹«, meint sie schließlich. »Das ist gut, oder?«

»Ich denke, das müsste gehen.« Ich nicke. »Aber erzähl ihr nicht, dass du es aus einem Einkaufszentrum hast. Sag, du hast es in einem kleinen Ökoladen gekauft.«

»Gute Idee.« Mum strahlt. »Und ich wickle es in Zeitungspapier. Was hast du für sie?«

»Ich habe ihr eine Yogamatte gekauft, handgefertigt von Bäuerinnen in Guatemala«, sage ich ein wenig selbstzufrieden. »Damit werden dörfliche Farmprojekte finanziert, und sie verwenden recycelte Plastikkomponenten von Computern.«

»Becky!«, sagt Mum voller Bewunderung. »Wie bist du denn darauf gekommen?«

»Ach … Recherche.« Ich zucke leichthin mit den Schultern.

Ich werde nicht zugeben, dass ich »grün moralisch vertretbar Geschenk recycelt Umwelt Geschenkpapier«gegoogelt habe.

»Weih-machen! WEIH-MACHEN!« Minnie zerrt so fest an meiner Hand, dass sie mir noch den Arm abreißen wird.

»Geh mit Minnie zum Wunschbrunnen, Liebes«, schlägt Mum vor. »Ich halte dir den Platz frei.«

Ich lege die Ponys in den Buggy und führe Minnie zum Wunschbrunnen. Er ist von künstlichen Weißbirken umgeben, an deren Ästen Feen baumeln, und wenn nicht alles voll kreischender Kinder wäre, hätte es bestimmt was Magisches.

Die Wunschzettel liegen auf einem künstlichen Baumstumpf bereit. Ich nehme mir so einen Zettel mit der verschnörkelten grünen Aufschrift »Weihnachtswunsch« und reiche einen der Filzstifte an Minnie weiter.

Gott, ich weiß noch, wie ich als kleines Mädchen Briefe an den Weihnachtsmann geschrieben habe. Meist wurden sie ziemlich lang und ausführlich, mit Illustrationen und Bildern, die ich aus Katalogen ausgeschnitten hatte, damit er mich bloß nicht falsch verstand.

Zwei etwa zehnjährige Mädchen mit rosigen Wangen geben ihre Wünsche ab, flüsternd und kichernd, und bei ihrem bloßen Anblick werde ich ganz wehmütig. Ich muss hier mitmachen, sonst verderbe ich vielleicht noch alles.

Lieber Weihnachtsmann, sehe ich mich auf den Zettel schreiben. Hier ist Becky wieder. Ich stutze, überlege einen Moment, dann schreibe ich hastig ein paar Sachen auf.

Ich meine, nur drei ungefähr. Ich will ja nicht gierig rüberkommen oder so.

Minnie kritzelt ihren ganzen Zettel voll und hat Filzer an den Händen und der Nase.

»Der Weihnachtsmann versteht bestimmt, was du meinst«, sage ich sanft, als ich ihr den Zettel abnehme. »Werfen wir sie in den Brunnen!«

Einen Zettel nach dem anderen werfe ich hinein. Winzig kleine Kunstschneeflocken driften von unten herauf, und aus einem Lautsprecher in der Nähe flötet »Winter Wonderland«, und plötzlich ist mir dermaßen weihnachtlich zumute, dass ich die Augen schließe, nach Minnies Hand greife und mir etwas wünsche. Man weiß ja nie …

»Becky?« Eine tiefe Stimme dringt in meine Gedanken, und meine Augen klappen auf. Vor mir steht Luke, sein dunkles Haar und der blaue Mantel sind mit Kunstschnee übersät. Die Augen glitzern amüsiert. Zu spät merke ich, dass ich mit zusammengekniffenen Augen inbrünstig »Bitte, bitte …« vor mich hin geflüstert habe.

»Oh!«, sage ich etwas nervös. »Hi. Ich hab gerade …«

»Mit dem Weihnachtsmann gesprochen?«

»Red keinen Quatsch.« Ich finde meine Haltung wieder. »Wo warst du überhaupt?«

Luke antwortet mir nicht, sondern geht weg und winkt mir, ihm zu folgen.

»Lass Minnie mal einen Moment bei deiner Mutter«, sagt er. »Ich muss dir was zeigen.«

Dreieinhalb Jahre bin ich jetzt mit Luke verheiratet, aber ich weiß manchmal immer noch nicht, was in ihm vorgeht. Während wir gehen, kneift er den Mund zusammen, und ich werde fast nervös. Was könnte es sein?

»Hier.« In einer einsamen Ecke des Einkaufszentrums bleibt er stehen und zückt seinen Blackberry.

Auf dem Bildschirm sehe ich eine E-Mail von seinem Anwalt. Sie besteht aus einem einzigen Wort. »Angenommen.«

»Angenommen?« Für den Bruchteil einer Sekunde begreife ich nicht. Dann habe ich plötzlich einen Geistesblitz.

»Doch nicht … Arcodas? Sie haben angenommen?«

»Jep.« Und jetzt sehe ich ein winzig kleines Lächeln glimmen.

»Aber … du hast nie was gesagt … ich hatte keine Ahnung …«

»Ich wollte keine falschen Hoffnungen schüren. Wir verhandeln schon seit drei Wochen. Es ist nicht der tollste Deal für uns … aber er ist okay. Entscheidend ist: Es ist vorbei.«

Meine Beine fühlen sich etwas zittrig an. Es ist vorbei. Einfach so. Die Sache mit Arcodas hängt schon so lange drohend über uns, dass sie schon fast zur Familie gehört, wie eine Verwandte. (Selbstverständlich keine liebe, nette Verwandte. Eher die böse alte Hexentante mit der Warze auf der Nase und dem fiesen Gackern.)

Es ist zwei Jahre her, dass Luke sich in die Schlacht gegen Arcodas gestürzt hat. Ich sage »Schlacht«. Es war nicht so, als hätte er einen Brandanschlag oder irgendwas verübt. Er weigerte sich nur, für sie zu arbeiten, und zwar aus Prinzip. Und das Prinzip war, dass er keine Bande von Rüpeln repräsentieren wollte, die ihr Personal schlecht behandeln. Luke gehört eine PR-Firma, Brandon Communications, und die meisten seiner Angestellten sind schon seit Jahren bei ihm. Nie habe ich ihn so wütend erlebt wie in dem Moment, als er herausfand, wie Arcodas sich seinen Leuten gegenüber benahm.

Also hat er Arcodas gekündigt, und sie haben ihn wegen Vertragsbruchs vor Gericht gezerrt. (Was nur beweist, wie übel und anmaßend sie sind.) Woraufhin Luke sie wiederum vor Gericht gezerrt hat, weil sie nicht für die bereits geleisteten Dienste bezahlen wollten.

Man hätte meinen sollen, der Richter hätte sofort gemerkt, wer der Gute ist, und zu Lukes Gunsten entschieden. Ich meine: Hallo?, haben Richter denn keine Augen im Kopf? Aber stattdessen gab es unsinnige Anhörungen und zahllose Unterbrechungen, und die ganze Sache zog sich hin und wurde total stressig. Ich muss sagen, dass ich danach eine erheblich schlechtere Meinung von Anwälten, Richtern, sogenannten »Vermittlern« und dem gesamten Rechtssystem hatte. Was ich ihnen gern persönlich gesagt hätte, wenn sie mich nur hätten zu Wort kommen lassen.

Ich wollte unbedingt, dass Luke mich als Zeugin benennt. Ich hatte mein Outfit und alles schon bereit. (Dunkelblauer, enger Rock, weiße Rüschenbluse, Lackpumps.) Und ich hatte diese grandiose Rede geschrieben, die ich immer noch auswendig kann. Sie fängt an: »Meine sehr verehrten Damen und Herren Geschworenen, ich bitte Sie, einen Blick in Ihre Herzen zu werfen. Und dann bitte ich Sie, sich die beiden Männer anzusehen, die dort vor Ihnen stehen. Ein ehrenhafter, aufrechter Held, dem das Wohlergehen seiner Mitarbeiter mehr bedeutet als Geld …« (woraufhin ich auf Luke zeigen würde) »… und ein widerwärtiger, sexistischer Kerl, der alle Welt schikaniert und weder Integrität besitzt noch sich zu kleiden weiß.« (Woraufhin ich auf Iain Wheeler von Arcodas deute.) Das hätte Schwung in den Laden gebracht, und der Richter hätte seinen Hammer schlagen und rufen müssen: »Ruhe! Ruhe im Gericht!« Und dann hätte ich die Geschworenen taxiert, wie in John Grishams Romanen, und diejenigen aussondiert, die auf unserer Seite wären.

Jedenfalls hatte Luke meine Pläne vollständig zunichtegemacht, als er meinte, es gäbe da gar keine Geschworenen, so ein Gericht sei das nicht. Und dann hat er gesagt, das Ganze sei sowieso ein Sumpf und er wollte nicht, dass ich da mit reingezogen werde, und ich sollte zu Hause bei Minnie bleiben. Was ich dann auch getan habe, obwohl ich vor lauter Frust fast gestorben bin.

Jetzt seufzt Luke schwer und fährt mit beiden Händen durch sein Haar.

»Vorbei«, sagt er wie zu sich selbst. »Endlich.«

»Gott sei Dank.«

Als ich ihn umarmen will, sehe ich die Erschöpfung in seinem Gesicht. Die ganze Sache hätte Luke fast geschafft. Er musste seine Firma leiten, mit dem Verfahren klarkommen, seine eigenen Leute motivieren und neue Kunden gewinnen.

»Also …« Er legt seine Hände auf meine Schultern und sieht mir in die Augen. »Zeit für einen Tapetenwechsel.«

Es dauert einen Moment, bis ich begreife, was er meint.

»Wir können das Haus kaufen!« Mir stockt der Atem.

»Ich habe das Angebot gleich abgegeben.« Er nickt. »Sie meinten, bis heute Abend hätten wir eine Antwort.«

»O mein Gott!« Vor lauter Aufregung kann ich mir einen kleinen Hüpfer nicht verkneifen. Ich kann es nicht fassen, dass es endlich so weit sein soll! Der Prozess ist vorbei! Endlich können wir bei Mum und Dad ausziehen und kriegen unser eigenes Zuhause!

Wir haben schon früher versucht auszuziehen. Offen gesagt: schon öfter. Wir hatten bereits Verträge für vier Häuser aufgesetzt, aber irgendwie war es wie verhext. Entweder wollte der Verkäufer gar nicht wirklich verkaufen (Haus drei), oder plötzlich wollte er viel mehr Geld (Haus eins), oder das Haus gehörte ihm gar nicht, sondern seinem Onkel in Spanien, und das Ganze war der reine Betrug (Haus vier), oder es ist abgebrannt (Haus zwei). Ich dachte schon, wir würden das Pech nie abschütteln, und deshalb meinte Luke, wir sollten vielleicht lieber warten, bis die Sache mit Arcodas ausgestanden wäre.

»Ob die Fünf unsere Glückszahl wird?« Hoffnungsvoll sehe ich Luke mit hochgezogenen Augenbrauen an. Er drückt nur die Daumen und grinst.

Alles spricht für dieses Haus. Es liegt in einer hübschen Straße in Maida Vale, es hat einen zauberhaften Garten mit einer Schaukel am Baum, und drinnen ist es geradezu erstaunlich geräumig. Und es gehört so gut wie uns! Plötzlich ergreift mich ein Hochgefühl. Ich muss mir unbedingt die neue Livingetc kaufen, so schnell wie möglich. Und die Elle Deco und House & Garden und Wallpaper* …

»Wollen wir zurückgehen?«, sage ich beiläufig. »Vielleicht guck ich unterwegs kurz bei W. H. Smith rein und hol mir ein paar Zeitschriften …«

Ich sollte mir auf alle Fälle auch noch Grand Designs und World of Interiors und 25 Beautiful Homes besorgen …

»Moment noch.« Irgendetwas an Lukes Stimme macht mich stutzig, und als ich aufblicke, sehe ich, dass er zwei Schritte zurückgetreten ist. Er hat sich abgewandt und beißt die Zähne zusammen. Irgendwas ist mit ihm los.

»Hey, alles okay bei dir?«, sage ich vorsichtig. »Du hast doch nicht noch eine schlechte Nachricht, oder?«

»Nein. Aber da ist noch etwas, was ich dir kurz … erzählen wollte.« Er macht eine Pause, faltet die Hände im Nacken, blickt ins Leere, als könnte er sich nicht dazu bewegen, mich anzusehen. »Mir ist gerade was Merkwürdiges passiert. Ich war bei Waterstonesund habe auf den Anruf von Arcodas gewartet. Bin einfach so herumspaziert …« Wieder macht er eine Pause, diesmal länger. »Und dann habe ich Annabel ein Buch gekauft. Das neue von Ruth Rendell. Es hätte ihr gefallen.«

Einen Moment schweigen wir beide. Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll.

»Luke«, beginne ich zögerlich.

»Ich habe ihr allen Ernstes ein Weihnachtsgeschenk gekauft.« Er presst die Fäuste an seine Schläfen. »Verliere ich jetzt langsam den Verstand?«

»Natürlich verlierst du nicht den Verstand! Du bist nur …« Hilflos stocke ich und wünschte, ich hätte etwas Kluges und Profundes zu sagen. Verzweifelt versuche ich, mich an irgendwas aus diesem Buch über die Kunst des Trauerns zu erinnern, das ich extra gekauft habe.

Denn das ist das andere Schlimme, was in diesem Jahr passiert ist. Lukes Stiefmutter ist im Mai gestorben. Sie war nur einen Monat krank, dann war sie plötzlich nicht mehr da, und Luke war sechs Monate am Boden zerstört.

Ich weiß, dass Annabel nicht seine leibliche Mutter war, aber sie war seine wahre Mum. Sie hat ihn aufgezogen, und sie verstand ihn wie niemand sonst, und das Schlimmste ist, dass er sie vor ihrem Tod kaum besuchen konnte. Auch als sie schon richtig krank war, konnte er nicht alles stehen und liegen lassen und nach Devon hetzen, weil er diese Anhörungen in London hatte, die schon so oft vertagt worden waren, dass man sie unmöglich noch mal verschieben konnte.

Er darf deswegen kein schlechtes Gewissen haben. Das habe ich ihm schon hunderttausend Mal gesagt. Es hätte nichts geändert. Aber ich weiß, dass er sich trotzdem schuldig fühlt. Und jetzt ist sein Dad bei seiner Schwester in Australien. Was heißt, dass Luke nicht mit ihm zusammen sein und alles wiedergutmachen kann.

Was seine richtige Mutter angeht … die wird bei uns nicht mehr erwähnt.

Niemals.

Lukes Beziehung zu Elinor war schon immer eher eine Hassliebe. Was leicht nachvollziehbar ist, da sie ihn und seinen Dad verlassen hat, als Luke noch ganz klein war. Aber die beiden gingen eigentlich ganz zivilisiert miteinander um, bis sie es vergeigt hat, und zwar richtig.

Es muss irgendwann kurz nach der Beerdigung gewesen sein, als er sie wegen irgendeiner familiären Angelegenheit besucht hat. Ich weiß bis heute nicht genau, was sie eigentlich zu ihm gesagt hat. Irgendwas über Annabel. Irgendetwas Unsensibles und – wie ich vermute – wahrscheinlich bodenlos Taktloses. Er hat es mir weder im Detail erzählt, noch ist er je wieder auf den Zwischenfall zu sprechen gekommen – ich weiß nur, dass ich ihn noch nie so kreidebleich gesehen habe, so starr vor Zorn. Und seitdem wird Elinors Name nicht mehr erwähnt. Ich glaube kaum, dass er sich je wieder mit ihr versöhnt, in seinem ganzen Leben nicht. Was mir nur recht ist.

Als ich zu Luke aufblicke, spüre ich, wie sich mir das Herz zusammenkrampft. Der Stress des letzten Jahres hat ihm zugesetzt. Zwischen seinen Augen hat er zwei kleine Falten, die nicht mal verschwinden, wenn er lächelt oder lacht. Es ist, als könnte er nie mehr hundertprozentig glücklich aussehen.

»Komm schon!« Ich schlinge meinen Arm durch seinen und drücke ihn an mich. »Sehen wir uns den Weihnachtsmann an!«

Während wir so gehen, lenke ich Luke unauffällig auf die andere Seite des Einkaufszentrums. Ohne bestimmten Grund eigentlich. Nur weil die Läden hübscher sind. Wie zum Beispiel der Goldschmied … und dieser Laden mit den Seidenblumen – und Enfant Cocotte, wo es handgefertigte Schaukelpferde und Designerbettchen aus Palisander gibt.

Meine Schritte sind immer langsamer geworden, und ich gehe auf das hell erleuchtete Schaufenster zu, getrieben von einem unbestimmten Verlangen. Sieh sich einer diese entzückenden Sachen an! Die winzigen Strampler und die kleinen Deckchen!

Wenn wir noch ein Baby hätten, könnten wir uns nagelneue Deckchen kaufen. Und es wäre voll schnuckelig und niedlich, und Minnie könnte helfen, ihr Geschwisterchen im Kinderwagen herumzuschieben, und wir wären eine richtige Familie …

Ich blicke zu Luke auf, um nachzusehen, ob er vielleicht dasselbe denkt wie ich und mir mit sanftem, liebevollem Blick in die Augen sieht. Stattdessen starrt er stirnrunzelnd auf seinen Blackberry. Also, ehrlich. Wieso geht er nicht mehr auf meine Gedanken ein? Wir sind doch verheiratet, oder nicht? Er sollte mich verstehen. Er sollte merken, wieso ich ihn zu einem Babyladen führe.

»Das ist doch echt süß, oder?« Ich zeige auf ein Teddybär-Mobile.

»Mmmhmm.« Luke nickt, ohne aufzublicken.

»Wow! Guck dir mal den Kinderwagen an!« Begehrlich deute ich auf ein atemberaubendes Hightech-Vehikel mit dicken Rädern, die aussehen, als stammten sie von einem Hummer. »Ist der nicht toll?«

Wenn wir noch ein Baby bekämen, könnten wir auch einen neuen Kinderwagen kaufen. Ich meine, wir müssten sogar einen neuen haben. Die klapprige alte Kiste, die Minnie hatte, ist total im Eimer. (Nicht dass ich noch ein Baby möchte, nur um eine coole Karre zu kaufen. Aber es wäre so was wie ein Bonus.)

»Luke.« Ich räuspere mich. »Ich dachte gerade … so … über uns. Ich meine … uns alle. Unsere Familie. Einschließlich Minnie. Und da habe ich mich gefragt …«

Er hebt eine Hand und hält seinen Blackberry ans Ohr.

»Ja, hi.«

Gott im Himmel, ich hasse diese Stummschaltung. Man wird kein bisschen vorgewarnt, wenn er einen Anruf bekommt.

»Bin gleich wieder bei dir«, sagt sein Mund lautlos zu mir, dann wendet er sich wieder seinem Blackberry zu. »Yo, Gary, ich hab deine E-Mail bekommen.«

Okay, jetzt ist also nicht der richtige Moment, den Kauf eines Kinderwagens für ein noch zu zeugendes zweites Baby zu besprechen.

Na gut. Dann verschiebe ich es eben auf später.

Während ich zur Werkstatt des Weihnachtsmanns laufe, wird mir plötzlich bewusst, dass ich Minnies Auftritt unter Umständen gerade verpasse, und ich fange an zu rennen. Als ich jedoch keuchend um die Ecke schliddere, sitzt der Weihnachtsmann noch nicht mal wieder auf seinem Thron.

»Becky!« Mum winkt ganz vorn in der Schlange. »Wir sind die Nächsten! Ich hab den Camcorder schon bereit … oh, guck mal!«

Eine Elfe mit breitem, leerem Lächeln hat die Bühne erklommen. Sie strahlt in die Runde und tippt ans Mikrofon, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen.

»Hallo, liebe Kinder!«, ruft sie. »Ruhe bitte! Der Moment für eure Weihnachtswünsche ist gekommen! Wir ziehen den Wunsch eines Glückskindes, den der Weihnachtsmann dann ganz bestimmt erfüllen wird! Einen Teddy vielleicht? Oder ein Puppenhaus? Oder einen Scooter?«

Das Mikrofon funktioniert nicht richtig, und genervt tippt sie noch mal dagegen. Dennoch geht eine Woge der Aufregung durchs Publikum, und alles drängt nach vorn. Camcorder werden geschwenkt, und kleine Kinder drängen mit leuchtenden Augen zwischen den Beinen der Leute hindurch, um etwas sehen zu können.

»Minnie!«, sagt Mum aufgewühlt. »Was hast du dir gewünscht, Liebes? Vielleicht wählen sie dich aus!«

»Und gewonnen hat … Becky! Bravo, Becky!« Die plötzlich verstärkte Stimme der Elfe lässt mich zusammenzucken.

Nein. Das kann nicht sein …

Es muss eine andere Becky sein. Bestimmt gibt es haufenweise kleine Mädchen, die Becky heißen …

»Und die kleine Becky hat sich gewünscht …« Blinzelnd betrachtet sie den Wunschzettel. »Ein Zac-Posen-Top in Aquamarin, das eine mit der Schleife, Größe 36.«

Mist.

»Ist Zac Posen eine Figur aus einer neuen Fernsehserie?« Ratlos wendet sich die Elfe einer Kollegin zu. »Ist das so was wie ein Brummkreisel?«

Ehrlich, wie kann man in einem Kaufhaus arbeiten und noch nie von Zac Posen gehört haben?

»Wie alt ist Becky?« Die Elfe lächelt in die Runde. »Becky, Mäuschen, bist du hier? Wir führen keine Brummkreisel, aber vielleicht möchtest du dir ein anderes Spielzeug vom Schlitten des Weihnachtsmanns aussuchen?«

Vor lauter Verlegenheit ziehe ich den Kopf ein. Ich bringe es nicht fertig, meine Hand zu heben. Die haben vorher nicht gesagt, dass sie die bescheuerten Weihnachtswünsche laut vorlesen wollen. Man hätte mich warnen sollen.

»Ist Beckys Mami da?«

»Hier bin ich!«, ruft Mum und schwenkt selig ihren Camcorder.

»Schscht, Mum!«, zische ich. »‘tschuldigung!«, rufe ich mit glühenden Wangen. »Das bin … äh, ich. Ich wusste nicht, dass Sie … nehmen Sie einen anderen Zettel. Einen Kinderwunsch. Bitte. Werfen Sie meinen Zettel weg!«

Aber die Elfe kann mich in dem Tumult nicht hören.

»›Außerdem diese Marni-Schuhe, die ich bei Suze gesehen habe, nicht die mit den hohen Absätzen, die anderen.‹« Sie liest noch immer vor, und ihre Stimme kräht aus den Lautsprechern. »Kommt das jemandem bekannt vor? ›Und …‹« Sie sieht sich den Zettel genauer an. »Steht da: ›Ein Geschwisterchen für Minnie‹? Ist Minnie deine Puppe, Mäuschen? Ooooh, ist das nicht süß?«

»Aufhören!«, schreie ich entsetzt und schiebe mich durch die Menge der kleinen Kinder. »Das ist vertraulich! Das sollte niemand lesen!«

»Aber vor allem, lieber Weihnachtsmann, wünsche ich mir, dass Luke …«

»Halt die KLAPPE!« Verzweifelt stürze ich mich förmlich in die Werkstatt. »Das ist privat! Das geht nur den Weihnachtsmann und mich was an!« Ich greife nach der Elfe und reiße ihr den Zettel aus der Hand.

»Autsch!«, schreit sie.

»Verzeihung«, keuche ich. »Aber ich bin Becky.«

»Sie sind Becky?« Ihre geschminkten Augen werden schmal – dann wirft sie noch einen Blick auf den Zettel, und ich sehe, dass es ihr dämmert. Einen Moment später wird ihre Miene sanfter. Sie faltet den Zettel zusammen und gibt ihn mir zurück.

»Ich hoffe, Ihr Weihnachtswunsch geht in Erfüllung«, sagt sie leise, vom Mikro abgewandt.

»Danke.« Ich zögere, dann sage ich: »Gleichfalls. Frohe Weihnachten.«

Ich drehe mich um und will zurück zu Mum – und im Dickicht der Köpfe erkenne ich Lukes dunkle Augen. Er steht da, ganz hinten.

Mein Magen steht kopf. Was hat er mit angehört?

Da kommt er auf mich zu, bahnt sich einen Weg durch die Familien, mit undurchschaubarer Miene.

»Oh, hi.« Ich versuche, entspannt zu klingen. »Tja … da haben sie doch glatt meinen Weihnachtswunsch vorgelesen. Ist das nicht komisch?«

»Mh-hm.« Er gibt nichts preis.

Betretenes Schweigen macht sich breit.

Er hat seinen Namen gehört. Ich sehe es ihm an. Eine Ehefrau hat einen unfehlbaren Instinkt, was solche Dinge angeht. Er hat seinen Namen gehört und fragt sich jetzt, was ich mir von ihm gewünscht habe.

Es sei denn, er denkt nur an seine E-Mails.

»Mami!« Eine schrille, unverkennbare Stimme schneidet durch meinen Kopf, und ich vergesse alles, was mit Luke zu tun hat.

»Minnie!« Ich drehe mich um und kann sie einen panischen Moment lang nicht sehen.

»War das nicht Minnie?« Auch Luke ist alarmiert. »Wo ist sie?«

»Sie war bei Mum … Scheiße!« Ich packe Lukes Arm und deute voller Entsetzen auf die Bühne.

Minnie sitzt oben auf einem der Rentiere vom Weihnachtsmann und hält sich an den Ohren fest. Wie zum Teufel ist sie da raufgekommen?

»Verzeihung …« Ich dränge mich zwischen Eltern und Kindern hindurch. »Minnie, komm da runter!«

»Pferdchen!« Minnie tritt fröhlich auf das Rentier ein, was eine hässliche Beule im Pappmaschee hinterlässt.

»Könnte bitte jemand dieses Kind von hier wegschaffen?«, sagt eine Elfe ins Mikrofon. »Könnten bitte die Eltern dieses Kindes umgehend auf die Bühne kommen?«

»Ich hab sie nur eine Sekunde losgelassen!«, verteidigt sich Mum, während Luke und ich Richtung Rentier hechten. »Sie ist mir entwischt!«

»Okay, Minnie«, sagt Luke entschlossen, als er die Bühne betritt. »Schluss mit lustig.«

»Schlitten!« Sie klettert darauf. »Mein Schlitten!«

»Das ist kein richtiger Schlitten, und du kommst jetzt da runter!« Er fasst Minnie um die Taille und zieht, aber sie hat ihre Beine hinterm Sitz verhakt und hält sich mit Superheldenkräften fest.

»Würden Sie sie bitte herunternehmen?«, sagt die Elfe mit einem Mindestmaß an Höflichkeit.

Ich nehme Minnie bei den Schultern.

»Okay«, raune ich Luke zu. »Du nimmst die Beine. Wir reißen sie los. Bei drei. Eins, zwei, drei …«

O nein. Oh … Scheiße.

Ich weiß nicht, wie es passiert ist. Ich weiß nicht, was wir gemacht haben. Aber der ganze verfluchte Schlitten kollabiert. Alle Geschenke fallen herunter, mitten in den Kunstschnee. Bevor ich zwinkern kann, stürzt sich die ganze Kinderhorde darauf, um sich die Gaben zu schnappen, während ihre Eltern schreien, sie sollen zurückkommen, aber sofort, Daniel, sonst gibt es nichts zu Weihnachten!

Es ist das reinste Tohuwabohu.

»Schenk!«, heult Minnie, streckt die Arme aus und trampelt gegen Lukes Brust. »Schenk!«

»Schaffen Sie das verdammte Kind hier weg!«, bricht es zornig aus der Elfe hervor. Ihr Blick schweift böse über mich und Mum, und selbst über Janice und Martin, die aus heiterem Himmel aufgetaucht sind, beide in festlichen Pullis mit Rentieren darauf und voll bepackt mit Tüten vom Weihnachts-Discountshop. »Ich möchte, dass Sie und Ihre Familie auf der Stelle den Laden verlassen!«

»Aber wir sind als Nächstes dran«, erwidere ich kleinlaut. »Es tut mir wirklich schrecklich leid wegen des Rentiers, und wir bezahlen den Schaden …«

»Absolut«, stimmt Luke mit ein.

»Und meine Tochter wünscht sich doch so sehr, den Weihnachtsmann zu treffen …«

»Ich fürchte, wir haben da eine kleine Regel«, sagt die Elfe sarkastisch. »Kinder, die den Schlitten des Weihnachtsmanns kaputt machen, haben das Recht auf einen Besuch verwirkt. Ihre Tochter ist hiermit vom Besuch der Weihnachtsmannwerkstatt ausgeschlossen.«

»Ausgeschlossen?« Bestürzt starre ich sie an. »Sie meinen …«

»Besser gesagt: Das gilt für Sie alle!« Mit dunkelrot lackiertem Fingernagel deutet sie zur Tür.

»Na, das ist ja eine tolle Weihnachtsstimmung!«, wirft Mum ein. »Wir sind hier treue Kunden, und Ihr Schlitten war offensichtlich Stümperwerk. Am liebsten würde ich Sie der Gewerbeaufsicht melden!«

»Hinaus!« Die Elfe steht noch immer da, mit ausgestrecktem Arm.

Tief beschämt nehme ich die Griffe des Buggys. Schweigend traben wir hinaus und sehen, wie uns Dad in seiner wasserdichten Jacke entgegeneilt, das ergrauende Haar ein wenig zerzaust.

»Hab ich es verpasst? Hast du den Weihnachtsmann gesehen, Minnie, Liebchen?«

»Nein.« Ich bringe es kaum fertig, es zuzugeben. »Wir wurden aus der Weihnachtsmannwerkstatt verbannt.« Dads Miene sackt in sich zusammen.

»Ach du je. Oh, Liebes.« Er seufzt schwer. »Nicht schon wieder!«

»Mh-hm.«

»Wie oft jetzt schon?«, fragt Janice und verzieht das Gesicht.

»Vier Mal.« Ich sehe zu Minnie hinunter, die jetzt brav dasteht, Lukes Hand hält und wie ein kleiner Engel aussieht.

»Was ist diesmal passiert?«, fragt Dad. »Sie hat den Weihnachtsmann doch nicht gebissen, oder?«

»Nein«, sage ich trotzig. »Natürlich nicht!«

Die ganze Sache mit dem Beißen vom Weihnachtsmann bei Harrods war ein totales Missverständnis. Und deren Weihnachtsmann war auch ein echter Waschlappen. Er hätte nicht gleich in die Notaufnahme gehen müssen.

»Luke und ich waren schuld. Wir haben den Schlitten demoliert, als wir sie vom Rentier holen wollten.«

»Ah.« Dad nickt wissend, und wir wenden uns trübsinnig dem Ausgang zu.

»Minnie ist ein echter kleiner Wildfang, was?«, sagt Janice nach einer Weile vorsichtig.

»Du kleiner Racker«, sagt Martin und kitzelt Minnie unterm Kinn. »Du hältst einen ordentlich auf Trab.«

Vielleicht bin ich überempfindlich. Aber irgendwie trifft mich dieses ganze Gerede vom »auf Trab halten« und »Rackern« und »Wildfang« an einem wunden Punkt.

»Du willst doch wohl nicht behaupten, dass Minnie verwöhnt ist, oder?«, sage ich plötzlich und komme auf dem Marmorboden abrupt zum Stehen. »Mal ehrlich.«

Janice holt tief Luft. »Na ja«, sagt sie und wirft Martin einen Blick zu, als bräuchte sie Unterstützung. »Ich wollte ja eigentlich nichts sagen, aber …«

»Verwöhnt?« Mum schneidet ihr mit einem kleinen Lachen das Wort ab. »Unsinn! Mit Minnie ist alles in Ordnung, oder, Schätzchen? Sie weiß nur, was sie will!« Liebevoll streichelt sie Minnies Haar, dann blickt sie wieder auf. »Becky, Liebes, du warst in ihrem Alter genauso. Ganz genauso.«

Augenblicklich entspanne ich mich. Mum sagt immer das Richtige. Ich sehe zu Luke hinüber, doch zu meiner Überraschung erwidert er mein erleichtertes Lächeln nicht. Er sieht aus, als plage ihn ein neuer, beunruhigender Gedanke.

»Danke, Mum.« Ich umarme sie liebevoll. »Du machst immer alles wieder gut. Komm, lass uns nach Hause gehen!«

Bis Minnie im Bett liegt, hat sich meine Laune gebessert. Tatsächlich ist mir richtig festlich zumute. Darum geht es doch beim Weihnachtsfest. Glühwein und Pastetchen und White Christmas im Fernsehen. Wir haben Minnies Strumpf aufgehängt (traumhafter roter Gingham aus dem Conran Shop) und dem Weihnachtsmann ein Glas Sherry hingestellt, und jetzt sind Luke und ich im Schlafzimmer und packen ihre Geschenke ein.

Mum und Dad sind wirklich großzügig. Sie haben uns das ganze Obergeschoss des Hauses überlassen, sodass wir doch einiges an Privatsphäre genießen. Der einzige Nachteil ist der kleine Kleiderschrank. Aber das macht nichts, denn ich habe auch den Schrank im Gästezimmer übernommen und außerdem alle meine Schuhe in den Bücherborden auf dem Treppenabsatz einsortiert. (Die Bücher habe ich in Kisten gepackt. Die liest doch sowieso keiner mehr.)

Außerdem habe ich eine Kleiderstange in Dads Arbeitszimmer aufgehängt und ein paar Hutschachteln in der Waschküche gestapelt. Und mein versammeltes Make-up steht auf dem Esstisch, der genau die richtige Größe hat. Im Grunde ist er wie dafür gemacht. Meine Wimperntusche passt in die Messerschublade, meine Glätteisen passen perfekt auf das Beistellwägelchen, und meine Zeitschriften stapeln sich auf den Stühlen.

Außerdem habe ich ein paar winzige Kleinigkeiten in der Garage verstaut, etwa meine alten Stiefel und diese beiden wunderschönen alten Truhen, die ich aus einem Antiquitätenladen habe, außerdem eine Power Plate (die ich bei eBay gekauft habe und unbedingt endlich mal benutzen muss). Ich fürchte, da drinnen wird es langsam etwas eng, aber Dad stellt sein Auto ja sowieso nie in die Garage, oder?

Nachdem Luke ein Puzzle eingepackt hat, nimmt er eine Zaubertafel in die Hand. Stirnrunzelnd sieht er sich im Zimmer um.

»Wie viele Geschenke kriegt Minnie eigentlich?«

»Nur das Übliche«, sage ich eher defensiv.

Obwohl ich ehrlicherweise zugeben muss, dass ich selbst etwas perplex war. Ich hatte ganz vergessen, wie viel ich im Laufe des Jahres in Katalogen und auf Handwerksmärkten gefunden und dann gebunkert hatte.

»Die hier ist pädagogisch wertvoll.« Hastig reiße ich das Preisschild von der Zaubertafel. »Und sie war echt billig. Nimm noch etwas Glühwein!« Ich schenke ihm ein Glas ein, dann greife ich mir einen roten Hut mit zwei glitzernden Bommeln. Er ist einfach zu süß, und es gab ihn auch in Babygrößen.

Wenn wir noch ein Baby hätten, könnte es einen Bommelhut tragen, der zu Minnies passt. Die Leute würden sie »Die Kinder mit den Bommelhüten« nennen.

Plötzlich habe ich ein faszinierendes Bild vor Augen, wie ich mit Minnie die Straße hinunterlaufe. Sie schiebt ihren Puppenwagen und ich einen Kinderwagen, in dem ein echtes Baby liegt. Sie hätte einen Freund fürs Leben. Es wäre einfach perfekt …

»Becky? Tesa? Becky?«

Plötzlich merke ich, dass Luke meinen Namen schon ungefähr viermal gesagt hat. »Oh! Entschuldige! Hier, bitte. Ist das nicht zauberhaft?« Ich lasse die Bommel vor Lukes Nase baumeln. »Die gab es auch für Babys.«

Ich mache eine vielsagende Pause, lasse das Wort »Babys« in der Luft hängen und setze sämtliche telepathischen Kräfte ein, die ich als Ehefrau aufbieten kann.

»Dieses Tesa ist scheiße. Das taugt nichts.« Ungeduldig wirft er es weg.

Hm. So viel zur ehelichen Telepathie. Vielleicht sollte ich etwas raffinierter vorgehen. Suze hat ihren Mann Tarkie einmal dermaßen geschickt zu einer Pauschalreise nach Disneyland überredet, dass er erst im Flugzeug gemerkt hat, wohin die Reise ging. Allerdings ist Tarkie eben Tarkie (liebenswert, gutgläubig, denkt normalerweise an Wagner oder Schafe). Und Luke ist Luke (immer am Ball und denkt ständig, ich führe was im Schilde. Was ich absolut NICHT tue.).

»Das mit Arcodas ist ja eine fantastische Neuigkeit!«, sage ich so nebenher. »Und das mit dem Haus auch.«

»Ja, toll, nicht?« Kurz macht sich auf Lukes Gesicht ein Lächeln breit.

»Es ist, als fügten sich alle Puzzleteilchen ineinander. Zumindest fast alle Puzzleteilchen.« Wieder lasse ich eine bedeutungsschwangere Pause, aber Luke merkt nichts davon.

Welchen Sinn hat es, die Konversation mit bedeutungsschwangeren Pausen zu spicken, wenn der Betreffende nichts davon merkt? Ich habe genug von Heimlichkeiten. Die sind total überbewertet.

»Luke, lass uns noch ein Baby machen!«, sage ich prompt. »Heute Abend!«

Was folgt, ist Schweigen. Einen Moment frage ich mich, ob Luke es überhaupt gehört hat. Dann hebt er den Kopf und sieht total entgeistert aus.

»Bist du verrückt?«

Ich starre ihn an, sprachlos.

»Selbstverständlich bin ich nicht verrückt! Ich finde, Minnie sollte einen kleinen Bruder oder eine Schwester haben. Du nicht?«

»Mein Blümchen …« Luke hockt sich hin. »Wir sind schon einem Kind nicht gewachsen. Wie um alles in der Welt sollen wir mit zwei Kindern zurechtkommen? Du weißt doch, wie sie sich heute benommen hat.«

Nicht er auch noch.

»Was sagst du da?« Unwillkürlich klinge ich verletzt. »Findest du etwa auch, dass Minnie verwöhnt ist?«

»Das meine ich damit nicht«, sagt Luke ganz vorsichtig. »Aber du musst zugeben, dass sie nicht zu bändigen ist.«

»Doch, ist sie wohl!«

»Sieh doch mal die Fakten! Sie wurde aus vier Weihnachtsmannwerkstätten verbannt.« Er zählt es an den Fingern ab. »Und aus der St Paul’s Cathedral. Ganz zu schweigen von dem Zwischenfall bei Harvey Nichols und dem Fiasko in meinem Büro.«

Will er ihr das bis an ihr Lebensende vorhalten? Ich finde eher, sie sollten nicht so teure Kunstwerke an die Wände hängen. Sie sollten lieber arbeiten und nicht den ganzen Tag rumstehen und sich moderne Kunst angucken.

»Sie ist nur lebhaft«, sage ich trotzig. »Vielleicht würde ihr ein kleines Geschwisterchen guttun.«

»Und uns würde es in den Wahnsinn treiben.« Luke schüttelt den Kopf. »Becky, lass es uns bei dem einen Kind belassen, okay?«

Ich bin am Boden zerstört. Ich will es nicht dabei belassen. Ich will zwei Kinder mit Bommelhüten.

»Luke, ich habe es mir wirklich gut überlegt. Ich möchte nicht, dass Minnie als Einzelkind aufwächst. Und ich möchte, dass unsere Kinder altersmäßig nah beieinander sind, nicht Jahre auseinander. Und ich habe Gutscheine im Wert von mehreren Hundert Pfund für Baby World, die ich nie ausgegeben habe!«, füge ich hinzu, weil es mir plötzlich einfällt. »Die laufen bald ab.«

»Becky.« Luke rollt mit den Augen. »Wir werden nicht noch ein Kind bekommen, weil wir ein paar Gutscheine für Baby World haben.«

»Das ist ja nicht der einzige Grund!«, sage ich beleidigt. »Das wäre nur ein weiterer Grund.«

War klar, dass er sich darauf stürzt. Er will nur dem eigentlichen Thema ausweichen.

»Also, was willst du mir damit sagen? Dass du überhaupt kein Baby mehr möchtest?«

Trotz blitzt in Lukes Miene auf. Er antwortet nicht, sondern packt das Geschenk zu Ende ein, knickt alle Ecken um und streicht das Tesa glatt. Er sieht aus wie jemand, der einem Gespräch ausweichen möchte, das ihn an seinem wunden Punkt erwischt hat.

Mit wachsender Bestürzung sehe ich ihn mir an. Seit wann ist denn ein zweites Baby bei Luke ein wunder Punkt?

»Vielleicht hätte ich gern noch ein Kind«, sagt er schließlich. »Theoretisch. Eines Tages.«

Tja, er könnte nicht weniger begeistert klingen.

»Gut.« Ich schlucke. »Verstehe.«

»Becky, versteh mich nicht falsch. Minnie zu bekommen war … unbeschreiblich. Ich liebe sie von ganzem Herzen, das weißt du.«

Er sieht mir offen in die Augen, und ich bin zu ehrlich, als dass ich irgendetwas anderes tun könnte, als zu nicken.

»Aber wir sind nicht bereit für noch ein Kind. Sieh den Tatsachen ins Gesicht, Becky. Es war ein mörderisches Jahr, wir haben noch nicht mal ein eigenes Zuhause, Minnie ist ein echter Wildfang, wir haben auch so schon genug um die Ohren … Lass es uns fürs Erste vergessen. Freuen wir uns über Weihnachten, über uns drei. Lass uns später noch mal drüber reden, in einem Jahr vielleicht.«

In einem Jahr?

»Aber das ist ja eine Ewigkeit.« Zu meinem Entsetzen bebt meine Stimme leicht. »Ich hatte gehofft, wir könnten nächstes Weihnachten schon ein neues Baby haben! Ich habe sogar schon die perfekten Namen gefunden, falls es heute klappt. Nikolaus oder Schneeflöckchen.«

»Ach, Becky.« Luke nimmt meine Hände und seufzt. »Wenn wir doch nur einen Tag ohne größeren Zwischenfall hinter uns bringen könnten, wäre mir vielleicht anders zumute.«

»So schlimm ist sie auch wieder nicht!«

Er richtet sich auf. »Gab es denn einen einzigen Tag, an dem Minnie nicht irgendwie Chaos angerichtet hat?«

»Okay«, sage ich etwas widerborstig. »Wart’s ab. Ich werde ein kleines Buch anlegen, in dem ich etwaige Zwischenfälle notiere, und ich wette, es wird keinen einzigen Eintrag geben. Ich wette, Minnie ist ab jetzt ein Engel.«

Schweigend mache ich mich wieder daran, Geschenke einzupacken, und reiße das Klebeband mit Gewalt ab, um zu zeigen, wie verletzt ich bin. Wahrscheinlich wollte er von vornherein gar keine Kinder. Wahrscheinlich verachtet er mich und Minnie. Wahrscheinlich wünscht er sich, er wäre nach wie vor Junggeselle und könnte den ganzen Tag mit seinem Sportwagen durch die Gegend geigen. Ich wusste es.

»Sind das jetzt alle Geschenke?«, sage ich schließlich und klebe dabei eine große gepunktete Schleife auf das letzte Päckchen.

»Ehrlich gesagt … eins habe ich noch.« Luke sieht etwas verlegen aus. »Ich konnte nicht widerstehen.«