Shopaholic & Sister - Sophie Kinsella - E-Book
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Shopaholic & Sister E-Book

Sophie Kinsella

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Beschreibung

Becky Bloomwood schwebt im siebten Himmel: Sie ist mit Luke Brandon, dem Mann ihrer Träume, auf Hochzeitsreise rund um die Welt, und natürlich kommt dabei auch das Shoppen nicht zu kurz. Wieder in London landet sie allerdings unsanft auf dem Boden der Realität. Sie hat keinen Job, Luke ist wegen ihrer überzogenen Konten sauer und ihre beste Freundin Suze hat eine neue Busenfreundin. Da taucht Jessica auf, eine Schwester, von deren Existenz Becky nichts wusste. Eine Schwester – eine Seelenverwandte! Ein Geizkragen? Becky ist fassungslos …

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Buch

Rebecca Bloomwood ist selig. Sie hat Luke Brandon, den Mann ihrer Träume, geheiratet, sich monatelang auf Hochzeitsreise die Welt angesehen und dabei natürlich zahllose Souvenirs erstanden. Jetzt kehren die beiden nach London zurück, und Becky landet etwas unsanft auf dem Boden der Realität. Ihr Konto ist überzogen, sie hat keinen Job und Luke ist höchst irritiert, als die Schnäppchenkäufe ihrer langen Reise in zwei Lastwagen angeliefert werden: die chinesischen Vasen und die zwanzig Seidenkimonos aus Hongkong, die Teppiche aus der Türkei, die hölzernen Giraffen aus Malawi, die Luke ihr explizit zu kaufen verboten hatte, und vieles mehr. Becky muss aber nicht nur Luke beruhigen, sondern auch selbst einen schweren Schlag verkraften: Ihre beste Freundin Suze hat sich während Beckys langer Abwesenheit eine neue Busenfreundin gesucht. Becky ist am Boden zerstört, bis ihre Eltern eine unglaubliche Neuigkeit eröffnen: Sie hat eine Schwester, von der bisher niemand etwas wusste, das Ergebnis einer Romanze, die ihr Vater lange vor seiner Ehe hatte. Becky ist begeistert: eine Schwester – eine Seelenverwandte! Bis sie Jessica das erste Mal trifft und erkennen muss, dass Welten zwischen ihnen liegen …

Weitere Informationen zu Sophie Kinsella sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin finden Sie am Ende des Buches.

Sophie Kinsella

Shopaholic & Sister

Roman

Aus dem Englischen von Marieke Heimburger

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die englische Originalausgabe erschien 2004 unter dem Titel »Shopaholic & Sister« bei Bantam Press, London
E-Book-Ausgabe Juli 2022 Copyright © der Originalausgabe 2004 by Sophie Kinsella Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2007 by Goldmann Verlag, ein Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Umschlaggestaltung: FAVORITBÜRO, München Redaktion: Martina Klüver MR · Herstellung: ik Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-28306-3V003

www.goldmann-verlag.de

Für Gemma und Abigail,die besten Schwestern der Welt!

Internationales Wörterbuch der Stammesdialekte

NACHTRAG

(Die folgenden Begriffe wurden nicht in den Hauptteil des Wörterbuches aufgenommen.)

DERSTAMMDERNAMI-NAMIINNEU-GUINEA, S. 67

fraa (»frar«): älteres, männliches Mitglied des Stammes; Patriarch

mopi (»mop-i«): ein kleiner Schöpflöffel zum Servieren von Reis und Schrot.

shup (»shop«): der Austausch von Waren gegen Geld oder Perlen. Dieses Konzept war dem Stamm völlig unbekannt, bis die Britin Rebecca Brandon (geb. Bloomwood) ihn im Jahre 2004 besuchte.

KGL. INSTITUT FÜR ARCHÄOLOGIE IN KAIRO

31 El Cherifeen Street, Kairo

Mrs Rebecca Brandon

c/o Nile Hilton Hotel

Tahrir Square

Kairo

15. Januar 2004

Sehr geehrte Mrs Brandon,

es freut mich zu hören, dass Sie Ihre Flitterwochen in Ägypten genießen. Insbesondere freut es mich, dass Sie sich dem ägyptischen Volk auf ganz besondere Weise verbunden fühlen, und ich kann Ihnen nur beipflichten, wenn Sie vermuten, möglicherweise ägyptisches Blut in Ihren Adern zu haben.

Darüber hinaus begrüße ich Ihr Interesse an dem in unserem Museum ausgestellten Schmuck, muss Ihnen aber leider gleichzeitig mitteilen, dass der »niedliche kleine Ring«, nach dem Sie sich erkundigen, nicht zu verkaufen ist. Er gehörte einst Königin Sobeknefru aus der 12. Dynastie, und ich kann Ihnen versichern, dass es entgegen Ihrer Einschätzung durchaus auffallen würde, wenn er fehlte.

Ich wünsche Ihnen weiterhin einen angenehmen Aufenthalt.

Mit freundlichen Grüßen

Khaled Samir

(Leitender Direktor)

REEDEREI BREITLING

TOWER HOUSE

CANARY WHARF

LONDON E14 5HG

Fax an:

Mrs Rebecca Brandon

c/o Four Seasons Hotel

Sydney

Australien

Von:

Denise O’Connor

Abteilungsleiterin Kundenservice

6. Februar 2004

Sehr geehrte Mrs Brandon,

wir bedauern sehr, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihre von Bondi Beach mitgebrachte »Meerjungfrau aus Sand« den Transport nach England nicht überstanden hat.

Wir möchten Ihnen in Erinnerung rufen, dass wir keinerlei Zusagen hinsichtlich einer unversehrten Ankunft Ihres Souvenirs gemacht, sondern Ihnen im Gegenteil sogar dringend vom Versand dieses Andenkens abgeraten hatten.

Mit freundlichen Grüßen

Reederei Breitling

Denise O’Connor

Abteilungsleiterin Kundendienst

ABENTEUER ALASKA AG

Postfach 80034

Chugiak · Alaska

Fax an:

Mrs Rebecca Brandon

c/o White Bear Lodge

Chugiak

Von:

Dave Crockerdale

Abenteuer Alaska AG

6. Februar 2004

Sehr geehrte Mrs Brandon,

besten Dank für Ihre Anfrage.

Wir möchten Ihnen dringend davon abraten, sechs Huskys und einen Schlitten nach Großbritannien zu verschiffen.

Ich bin ganz Ihrer Meinung, dass Huskys wunderbare Tiere sind, und finde Ihren Gedanken, dass diese Tiere die Antwort auf die massive Luftverschmutzung in den Städten sein könnten, sehr interessant. Aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass britische Behörden diese Art von Gespannen auf Londons Straßen zuließen, selbst wenn man den Schlitten, wie Sie vorschlagen, »den Gegebenheiten vor Ort anpassen und mit Rädern und einem Nummernschild versehen« würde.

Ich hoffe, diese Nachricht beeinträchtigt nicht den weiteren Verlauf Ihrer Flitterwochen.

Mit den besten Grüßen

Abenteuer Alaska AG

Dave Crockerdale

Fährten-Verantwortlicher

EINS

Okay. Ich schaffe das. Gar kein Problem.

Es geht schließlich bloß darum, mein höheres Selbst übernehmen zu lassen, Erleuchtung zu erlangen und ein strahlendes weißes Lichtwesen zu werden.

Kinderkram.

Ich bewege mich so unauffällig wie möglich auf meiner Yoga-Matte in eine Position, bei der mir die Sonne direkt ins Gesicht scheint, und schiebe mir die Spaghettiträger von den Schultern. Ist doch gar nicht einzusehen, wieso man nicht den ultimativen Glückszustand erreichen und gleichzeitig schön gleichmäßig braun werden sollte.

Ich sitze an einem Berghang mitten in Sri Lanka, das heißt im Blue Hills Refugium, einer sogenannten Erholungs- und Besinnungsstätte, und die Aussicht ist einfach umwerfend. Vor mir erstrecken sich Berge und Teeplantagen und verschmelzen mit einem tiefblauen Himmel. Ich kann die bunte Kleidung der Teepflücker auf den Feldern erkennen, und wenn ich den Kopf ein wenig drehe, sehe ich in der Ferne einen Elefanten gemächlich durchs hohe Gras stapfen.

Und wenn ich den Kopf noch weiter drehe, sehe ich Luke. Meinen Mann. Abgeschnittene Leinenhose, schäbiges altes T-Shirt … So sitzt er da im Schneidersitz und mit geschlossenen Augen. Auf einer blauen Yoga-Matte.

Ich weiß. Es ist unglaublich. Nach zehn Monaten Hochzeitsreise ist Luke ein völlig anderer Mensch. Ganz anders als der, den ich geheiratet habe. Der alte, immer nur an die Firma denkende Luke ist verschwunden. Die Anzüge sind verschwunden. Er ist braun gebrannt und dünn, und in seinen langen, von der Sonne gebleichten Haaren hängen immer noch ein paar von den bunten Zöpfen, die er sich am Bondi Beach hat einflechten lassen. An seinem Handgelenk trägt er ein Freundschaftsarmband, das er in der Masai Mara gekauft hat, und an seinem Ohr glitzert ein winziger, silberner Ring.

Luke Brandon mit Ohrring! Luke Brandon im Schneidersitz!

Als könne er meinen Blick auf sich spüren, öffnet er die Augen und lächelt mich an. Ich strahle zurück. Zehn Monate verheiratet. Und noch kein einziger Streit.

Na ja. Sie wissen schon. Jedenfalls kein richtiger.

»Siddhasana«, sagt unser Yoga-Lehrer Chandra, und sofort lege ich gehorsam den rechten Fuß auf den linken Oberschenkel. »Und jetzt den Kopf frei machen von allen unwesentlichen Gedanken.«

Okay. Kopf frei machen. Konzentrieren.

Ich will ja nicht angeben, aber ich finde es ziemlich einfach, den Kopf frei zu machen. Ich verstehe gar nicht, wie das überhaupt irgendjemand schwierig finden kann! Ich meine, nicht-denken muss doch im Grunde so viel einfacher sein als denken, oder?

Aber gut, ich bin ja auch gewissermaßen ein Naturtalent in Sachen Yoga. Wir sind erst seit fünf Tagen in diesem Refugium, und ich kann schon den Lotus-Sitz und alles! Ich habe mir sogar schon überlegt, eventuell als Yoga-Lehrerin zu arbeiten, wenn wir wieder nach Hause kommen.

Vielleicht könnte ich mich ja mit Trudie Styler zusammentun. Au ja! Dann könnten wir auch eine ganze Kollektion bequemer Yoga-Kleidung entwerfen, alles in Grau und Weiß, mit einem kleinen Logo …

»Auf die Atmung konzentrieren«, sagt Chandra.

Ach, ja, richtig. Atmen.

Einatmen … ausatmen. Einatmen … ausatmen. Einatmen …

Mann, sehen meine Fingernägel toll aus. Ich habe sie mir in dem Spa machen lassen – kleine rosa Schmetterlinge auf weißem Grund. Und die Fühler sind winzige, glitzernde Diamanten. Die sind so süß. Hm, der eine ist anscheinend leider abgefallen. Ob die mir das reparieren …

»Becky.« Chandras Stimme lässt mich zusammenzucken. Er steht direkt vor mir und mustert mich mit diesem ganz speziellen Chandra-Blick: sanft und allwissend, als könne er einem in die Seele gucken.

»Du machst das sehr gut, Becky«, lobt er mich. »Du hast einen wunderschönen Geist.«

Mein ganzer Körper prickelt vor Freude. Ich, Rebecca Brandon, geborene Bloomwood, habe einen wunderschönen Geist! Ich habe es gewusst!

»Deine Seele ist der Welt abgewandt«, fügt er sanft hinzu, und ich starre ihn vollkommen gebannt an.

»Weltliche Güter bedeuten mir gar nichts«, entgegne ich atemlos. »Das Einzige, was mir wirklich wichtig ist, ist Yoga.«

»Du hast deinen Weg gefunden.« Chandra lächelt.

Ich höre ein seltsames Schnauben aus Lukes Richtung, und als ich mich nach ihm umdrehe, sehe ich, dass er uns sichtlich amüsiert beobachtet.

Ich wusste, dass Luke das hier nicht wirklich ernst nehmen würde.

»Das hier ist ein Privatgespräch zwischen mir und meinem Guru, also bitte, ja?«, pflaume ich ihn an.

Aber eigentlich sollte mich das ja gar nicht überraschen. Davor hat man uns nämlich am ersten Tag dieses Yoga-Kurses ausdrücklich gewarnt. Es kommt anscheinend häufig vor, dass der eine Partner größere Erleuchtung erfährt als der andere, und dass der andere darauf mit Skepsis oder gar Neid reagiert.

»Du wirst sicher schon bald über die glühenden Kohlen gehen können.« Chandra nickt lächelnd in Richtung der unweit gelegenen, mit weiß glühenden, aschebedeckten Kohlen gefüllten Grube, und der Rest der Gruppe lacht nervös. Heute Abend werden Chandra und einige seiner besten Yoga-Schüler uns den Gang über die Kohlen demonstrieren. Das soll unser aller Ziel sein. Angeblich kann der Glückszustand so profund sein, dass man überhaupt nicht merkt, wie die Kohlen einem die Füße verglühen. Man ist hundertprozentig schmerzfrei!

Meine geheime Hoffnung dabei ist ja, dass das auch mit 15 cm hohen Stilettos funktioniert.

Chandra korrigiert meine Armhaltung und geht dann weiter. Ich schließe die Augen und genieße die wärmende Sonne im Gesicht. Ich fühle mich so rein und ruhig, während ich an diesem Berghang in der absoluten Pampa sitze. Nicht nur Luke hat sich in den vergangenen zehn Monaten verändert. Ich auch. Ich bin erwachsen geworden. Meine Prioritäten haben sich geändert. Genau genommen, bin ich ein ganz anderer Mensch geworden. Ich meine, jetzt sehen Sie mich doch mal an! Ich mache Yoga in einem echten Refugium! Ich besinne mich! Meine alten Freunde würden mich wahrscheinlich gar nicht wiedererkennen, wenn sie mich so sähen.

Auf Chandras Anweisung hin nehmen wir alle die Vajrasana-Haltung ein. Von meinem Platz aus sehe ich, wie sich ein alter Mann mit zwei riesigen Taschen Chandra nähert. Die beiden unterhalten sich kurz, wobei Chandra wiederholt den Kopf schüttelt, bis der Mann schließlich wieder im Gebüsch des Berghangs verschwindet. Als er außer Hörweite ist, wendet Chandra sich an die Gruppe und verdreht die Augen.

»Dieser Mann ist ein fliegender Händler. Er hat gefragt, ob jemand von euch an Edelsteinen interessiert sein könnte. Halsketten, billige Armbänder. Ich habe ihm gesagt, dass ihr euch in ganz anderen geistigen Sphären bewegt.«

Einige der Kursteilnehmer um mich herum schütteln fassungslos den Kopf. Eine Frau mit langen roten Haaren sieht nachgerade beleidigt aus.

»Sieht der denn nicht, dass wir uns mitten in einer Meditation befinden?«, fragt sie.

»Er versteht eure Art der geistigen Hingabe nicht.« Chandra lässt einen ernsten Blick über die Gruppe schweifen. »Und es gibt da draußen in der Welt noch viel mehr seinesgleichen. Es gibt Menschen, die nicht verstehen können, dass Meditation Seelennahrung ist. Ihr braucht keine … Saphirarmbänder!«

Einige der anderen nicken zustimmend.

»Aquamarinanhänger an Platinketten«, fährt Chandra abfällig fort. »Das ist doch alles nichts im Vergleich zu dem Glanz, den die Erleuchtung uns verleiht!«

Aquamarin?

Wow. Wie viel die wohl –

Ich meine, nicht, dass mich das ernsthaft interessieren würde. Natürlich nicht. Die Sache ist nur so, dass ich neulich rein zufällig in einem Schaufenster Aquamarine angeguckt habe. Aus rein akademischem Interesse.

Ich sehe der kleiner werdenden Gestalt des alten Mannes nach.

»Drei-Karat-Fassung, Fünf-Karat-Fassung, hat er ständig gesagt. Alles zum halben Preis.« Chandra schüttelt den Kopf. »Ich habe ihm gesagt, diese Menschen hier sind nicht an so etwas interessiert.«

Zum halben Preis? Fünfkarätige Aquamarine zum halben Preis?

Schluss jetzt. Aufhören! Chandra hat recht. Natürlich interessieren mich diese dämlichen Aquamarine nicht. Ich gebe mich ganz der Erleuchtung hin.

Und überhaupt ist der alte Mann jetzt fast ganz weg. Er ist nur noch ein winziger Punkt dort oben am Berg. Gleich ist er völlig verschwunden.

»Und jetzt«, lächelt Chandra, »die Halasana-Stellung. Becky, zeigst du sie uns?«

»Gerne.« Ich erwidere Chandras Lächeln und bereite mich darauf vor, die gewünschte Stellung einzunehmen.

Aber irgendetwas stimmt nicht. Das Gefühl der Zufriedenheit ist weg. Das Gefühl der inneren Ruhe ist weg. Stattdessen macht sich ein ganz merkwürdiges Gefühl in mir breit und verdrängt alles andere. Es wird immer mächtiger, immer massiver …

Und dann kann ich mich nicht mehr beherrschen. Bevor ich selbst weiß, was ich tue, renne ich, so schnell ich kann, barfuß los den Berg hinauf auf die kleine Gestalt zu. Meine Lungen stechen, meine Füße brennen, und die Sonne knallt mir auf den ungeschützten Kopf, aber ich renne weiter, bis ich den Bergkamm erreicht habe. Dort bleibe ich keuchend stehen und sehe mich suchend um.

Das glaube ich nicht. Er ist weg. Wie vom Erdboden verschluckt.

Ich verharre eine Weile, während ich versuche, wieder zu Puste zu kommen, und blicke in alle Richtungen. Er ist nirgends zu sehen.

Leicht deprimiert drehe ich mich schließlich wieder um und kehre bergab zurück zu meiner Yoga-Gruppe. Als ich mich ihnen nähere, bemerke ich, dass sie alle rufen und mir wie wild winken. O Gott. Ob ich jetzt Ärger kriege?

»Du hast es geschafft!«, kreischt die Rothaarige. »Du hast es geschafft!«

»Was geschafft?«

»Du bist über die glühenden Kohlen gerannt! Du hast es geschafft, Becky!«

Wie bitte?

Ich gucke auf meine Füße … Und ich fasse es nicht! Sie sind über und über mit grauer Asche bedeckt! Benommen blicke ich zu der Kohlengrube – und auf den Kohlen sind ganz klar und deutlich Fußabdrücke zu sehen!

O mein Gott. O mein Gott! Ich bin über die Kohlen gerannt! Ich bin über die glühend heißen Kohlen gerannt! Ich habe es geschafft!

»Aber … aber … Ich habe überhaupt nichts gemerkt!«, stelle ich verwirrt fest. »Und meine Füße sind auch nicht verbrannt!«

»Wie hast du das gemacht?«, will die Rothaarige wissen. »Woran hast du gedacht?«

»Das kann ich beantworten.« Chandra tritt vor und lächelt. »Becky hat die höchste Form karmischer Glückseligkeit erlangt. Sie hat sich auf ein Ziel konzentriert, auf ein ganz klares Bild, und das hat ihren Körper in einen übernatürlichen Zustand versetzt.«

Die anderen glotzen mich alle an, als wenn ich plötzlich der Dalai Lama wäre.

»Ach, alles halb so wild«, winke ich bescheiden ab. »Ich hatte bloß … na, ihr wisst schon. Die Erleuchtung.«

»Kannst du das Bild beschreiben?«, fragt die Rothaarige aufgeregt.

»War es weiß?«, fragt jemand anders.

»Nein, weiß war es eigentlich nicht …«, sage ich.

»War es so eine Art glänzendes Blaugrün?«, höre ich Lukes Stimme von ganz hinten. Abrupt sehe ich auf. Luke hält meinem Blick völlig cool stand.

»Ich weiß es nicht mehr«, gebe ich kühl zurück. »Die Farbe war auch nicht wirklich wichtig.«

»Hat es sich so angefühlt wie …« Luke tut, als würde er scharf nachdenken. »…als wenn die Glieder einer Kette dich magnetisch anziehen und hinter sich herziehen würden?«

»Das ist ein ausgezeichnetes Bild, Luke«, freut sich Chandra.

»Nein«, antworte ich knapp. »So hat es sich nicht angefühlt. Weißt du was, ich glaube, um das zu begreifen, braucht man doch ein gewisses Minimum an Verständnis für spirituelle Phänomene.«

»Verstehe.« Luke nickt ernst.

»Du kannst ja so stolz sein, Luke.« Chandra strahlt Luke an. »Hast du deine Frau schon jemals etwas so Außergewöhnliches tun sehen?«

Plötzlich herrscht Stille. Luke sieht von mir zu den glühenden Kohlen, zur schweigenden Yoga-Gruppe und schließlich zu Chandra, der immer noch strahlt.

»Chandra«, sagt er. »Glaub mir. Das war gar nichts.«

Als der Unterricht vorbei ist, gehen alle auf die Terrasse, wo gekühlte Getränke bereitstehen. Aber ich bleibe auf meiner Matte und meditiere noch ein bisschen weiter, um deutlich zu machen, wie sehr ich mich den höheren geistigen Sphären hingebe. Die eine Hälfte meines Geistes konzentriert sich gerade auf das weiße Licht meines Wesens, während ich mir mit der anderen Hälfte vorstelle, wie ich vor Trudies und Stings Augen durch die glühenden Kohlen renne und die beiden mir begeistert applaudieren – als ich einen Schatten auf meinem Gesicht wahrnehme.

»Sei gegrüßt, o du Erleuchtete«, sagt Luke, und als ich die Augen öffne, steht er vor mir und hält mir ein Glas Saft hin.

»Du bist doch bloß neidisch, weil du keinen schönen Geist hast«, kontere ich und streiche mir die Haare aus dem Gesicht, sodass der rote Punkt auf meiner Stirn sichtbar wird.

»O ja, und wie«, stimmt Luke zu. »Hier.«

Er reicht mir das Glas und setzt sich neben mich auf den Boden. Ich trinke einen Schluck köstlichen, eisgekühlten Passionsfruchtsaft, und dann sitzen wir einfach da und genießen den fantastischen Blick über die Berge, die in der Ferne im Nebel verschwinden.

»In Sri Lanka könnte ich wirklich ohne Probleme leben«, seufze ich. »Hier ist es doch perfekt. Das Wetter … die Landschaft … die Menschen hier sind so nett …«

»Das hast du in Indien auch gesagt«, stellt Luke fest. »Und in Australien«, fügt er hinzu, als ich den Mund öffne. »Und in Amsterdam.«

Wow, Amsterdam. Das hatte ich ja schon ganz vergessen, dass wir da gewesen sind. Das war nach Paris. Oder war’s davor?

Ach, ja, natürlich. Das war doch da, wo ich so viel von diesen abgefahrenen Kuchen gegessen habe und fast in den Kanal gefallen wäre.

Ich trinke noch einen Schluck und lasse die letzten zehn Monate Revue passieren. Wir waren in so vielen Ländern, dass es mir wirklich schwerfällt, mich an alle Einzelheiten zu erinnern. Das Ganze kommt mir vor wie ein unscharfer Film, in dem hier und da klare, scharfe Bilder auftauchen. Wie wir am Great Barrier Reef mit den vielen blauen Fischen schnorcheln … die Pyramiden in Ägypten … die Elefanten-Safari in Tansania … wie ich in Hongkong haufenweise Seide kaufe … der goldene Souk in Marokko … wie ich das Ralph-Lauren-Outlet in Utah finde …

Mann, haben wir viel erlebt. Ich stoße einen glücklichen Seufzer aus und trinke noch einen Schluck Saft.

»Ach, übrigens«, sagt Luke und reicht mir einen Stapel Umschläge, »Post aus England.«

Aufgeregt setze ich mich auf und sehe die Umschläge durch.

»Die Vogue!«, quietsche ich, als ich die Sonderausgabe für Abonnenten in ihrem glänzenden Plastikumschlag entdecke. »Och, guck doch mal! Die haben eine Engel-Tasche auf dem Cover!«

Ich warte auf eine Reaktion – aber Lukes Blick ist leer. Das frustriert mich jetzt ja schon ein klein wenig. Wie kann er nur so ungerührt dreinblicken? Ich habe ihm doch letzten Monat den ganzen Artikel über die Engel-Taschen vorgelesen, ihm die Bilder gezeigt und alles!

Ich weiß, dass das hier unsere Flitterwochen sind. Aber manchmal wünschte ich mir echt, Luke wäre eine Frau.

»Du weißt schon!«, versuche ich ihm auf die Sprünge zu helfen. »Engel-Taschen! Die allercoolsten, hippesten Taschen seit … seit …«

Ach, ich verschwende ja doch nur meine Zeit. Da gucke ich mir doch lieber lustvoll das Foto der Tasche an. Sie ist aus weichem, cremefarbenen Kalbsleder und hat einen wunderschönen, handgemalten Engel mit Flügeln auf der Vorderseite. Unter dem Bild ist in Strass der Name »Gabriel« appliziert. Es gibt sechs verschiedene Engel, und die Promis kloppen sich nur so um die Taschen. Bei Harrods sind sie permanent ausverkauft. Die Schlagzeile neben dem Foto lautet: »Himmlische Erscheinung«.

Ich bin so hin und weg, dass Lukes Stimme kaum richtig zu mir durchdringt, als er mir einen Umschlag reicht. Ich höre nur »Uuus«.

»Wie bitte?« Benommen sehe ich auf.

»Ich sagte, hier ist noch ein Brief«, erwidert er mit einer Engelsgeduld. »Von Suze.«

»Suze?« Ich lasse die Vogue fallen und schnappe ihm den Brief weg. Suze ist meine allerallerbeste Freundin auf der ganzen Welt. Und ich habe sie so vermisst!

Der Umschlag ist aus richtig dickem, cremig-weißem Papier, und auf der Rückseite trägt er ein Wappen mit einem lateinischen Sinnspruch. Ich vergesse immer wieder, wie absolut vornehm Suze eigentlich ist. Zur Veranschaulichung: Auf ihrer Weihnachtskarte an uns war ein Foto vom Schloss ihres Mannes Tarquin in Schottland, und in der Karte stand »Vom Anwesen der Cleath-Stuarts«. (Das konnte man allerdings kaum lesen, weil ihr einjähriger Sohn Ernie alles mit roten und blauen Fingerabdrücken bedeckt hatte.)

Ich reiße den Umschlag auf, und schon fällt mir eine Karte entgegen.

»Eine Einladung!«, rufe ich. »Zur Taufe der Zwillinge!«

Ich betrachte die edle, verschnörkelte Schrift und bin ein kleines bisschen traurig. Wilfrid und Clementine Cleath-Stuart. Suze hat noch zwei Kinder bekommen, und ich habe sie noch nicht mal gesehen. Vier Monate sind sie jetzt schon alt. Wie sie wohl aussehen? Wie es Suze wohl geht? Irgendwie ist so wahnsinnig viel passiert ohne uns.

Ich drehe die Karte um und lese Suzes hingekrakelte Zeilen.

»Ich weiß, dass ihr nicht kommen könnt, aber ich dachte mir, ihr freut euch trotzdem drüber … Ich hoffe, dass alles weiter so super läuft bei euch! Alles Liebe von uns allen, Suze. PS: Ernie ist total vernarrt in sein chinesisches Outfit, tausend Dank!!«

»In zwei Wochen«, sage ich und zeige Luke die Karte. »Echt schade, dass wir nicht hinkönnen.«

»Ja«, stimmt Luke zu. »Wirklich schade.«

Wir schweigen einen Moment. Dann sieht Luke mich an. »Ich meine … Du willst doch noch nicht zurück, oder?«, fragt er unbefangen.

»Nein!«, entgegne ich prompt. »Natürlich nicht!«

Wir sind erst seit zehn Monaten unterwegs, und wir hatten gesagt, dass wir mindestens ein Jahr weg sein wollen. Und außerdem ist uns die Wanderlust jetzt in Fleisch und Blut übergegangen. Wir sind zu Nomaden geworden, die nicht verweilen und kein Moos ansetzen. Womöglich werden wir nie wieder in der Lage sein, zu einem normalen Leben zurückzukehren, so wie Seeleute nicht an Land leben können.

Ich stecke die Einladung zurück in den Umschlag und trinke noch einen Schluck. Wie es Mum und Dad wohl geht? Von denen habe ich in letzter Zeit auch nicht sehr viel gehört. Wie Dad wohl sein Golfturnier gemeistert hat?

Und der kleine Ernie kann jetzt wahrscheinlich längst schon laufen. Ich bin seine Patentante, und ich habe ihn noch nicht mal laufen sehen!

Na ja. Egal. Dafür sammele ich einmalige Erfahrungen auf unserer Reise um die Welt.

»Wir müssen uns überlegen, wo wir als Nächstes hinwollen«, sagt Luke und lehnt sich zurück auf seine Ellbogen. »Der Yoga-Kurs ist bald zu Ende. Hatten wir nicht über Malaysia geredet? Oder wollen wir zurück nach Indonesien? Oder weiter in den Norden?«

»Hmmm«, mache ich. »Ach, guck mal, ein Affe.«

Das ist ja wohl unglaublich, dass ich so blasiert auf den Anblick eines Affen reagiere! Als ich in Kenia das erste Mal diese Baboon-Affen sah, fand ich das so aufregend, dass ich mindestens sechs Filme verknipst habe. Und jetzt sage ich bloß: »Ach, guck mal, ein Affe.«

»Oder Nepal … oder noch mal nach Thailand …«

»Oder nach Hause«, höre ich mich selbst sagen.

Stille.

Komisch. Ich hatte gar nicht vor, das zu sagen. Ich meine, wir fahren natürlich selbstverständlich jetzt noch nicht nach Hause! Wir sind noch nicht mal ein Jahr unterwegs!

Luke richtet sich auf und sieht mich an.

»Nach Hause? Richtig nach Hause?«

»Nein!«, wehre ich mit einem Lachen ab. »Das war doch nur ein Witz!« Ich zögere. »Obwohl …«

Wir schweigen angespannt.

»Also, vielleicht … Wir müssen ja nicht unbedingt ein ganzes Jahr unterwegs sein«, sage ich vorsichtig. »Wenn wir nicht wollen.«

Luke fährt sich mit der Hand durch die Haare, und die kleinen Perlen in seinen Zöpfen klickern leise aneinander.

»Sind wir so weit? Können wir zurückkehren?«

»Ich weiß es nicht.« Ich bin ein klein wenig beklommen. »Was meinst du?«

Ich kann kaum glauben, dass wir tatsächlich darüber reden, nach Hause zu fahren! Ich meine, sehen Sie uns doch mal an! Meine Haare sind total ausgetrocknet und gebleicht, ich habe Henna an den Füßen und seit Monaten keine richtigen Schuhe mehr angehabt!

Vor meinem inneren Auge sehe ich plötzlich mich selbst, wie ich in Mantel und Stiefeln durch London marschiere. Glänzende, hochhackige Stiefel von L K Bennett. Und eine dazu passende Handtasche.

Auf einmal überkommt mich eine so heftige Sehnsucht, dass ich heulen könnte.

»Ich glaube, ich habe genug von der Welt gesehen.« Ich sehe Luke an. »Ich möchte zurück ins echte Leben.«

»Ich auch.« Luke nimmt meine Hand und verflicht unsere Finger miteinander. »Ich möchte das ehrlich gesagt schon seit einer ganzen Weile.«

»Aber warum hast du denn nichts gesagt?« Entsetzt sehe ich ihn an.

»Ich wollte kein Spielverderber sein. Aber ich bin ganz bestimmt so weit. Ich kann nach Hause fahren.«

»Und du wärst trotzdem immer weiter gereist? Nur mir zuliebe?« Ich bin total gerührt.

»Na ja, so entbehrungsreich wäre das ja nun auch wieder nicht gewesen.« Luke wirft mir einen Blick zu, der Ironie andeutet. »Ist ja nicht so, als würden wir wie kernige Pfadfinder reisen.«

Mir steigt eine leichte Röte ins Gesicht. Als wir uns vor zehn Monaten auf die Reise begaben, sagte ich Luke, dass ich fest entschlossen war, so richtig ursprünglich zu reisen, und nur in kleinen Hütten zu übernachten. Genau wie Leonardo di Caprio in Der Strand.

Aber das war, bevor ich jemals eine Nacht in einer kleinen Hütte verbracht hatte.

»Und wenn wir von ›nach Hause‹ reden – « Luke macht eine Pause. »Meinen wir dann London?«

Fragend sieht er mich an.

O Gott. Die Stunde der Entscheidung.

Die letzten zehn Monate haben wir immer wieder darüber geredet, wo wir nach unserer Hochzeitsreise leben sollen. Vor unserer Hochzeit haben Luke und ich in New York gewohnt, und das fand ich genial. Aber die englische Heimat hat mir doch auch irgendwie gefehlt. Und jetzt expandiert Lukes britisches Unternehmen nach Europa, was ziemlich aufregend ist. Darum würde er gerne nach London zurückkehren – zumindest vorübergehend.

Und das ist ja auch okay … Das einzige Problem ist, dass ich da keinen Job habe. Zuletzt habe ich als persönliche Einkaufsberaterin bei Barneys in New York gearbeitet. Das war mein Traumjob.

Aber egal. Ich werde schon was Neues finden. Und nicht nur was Neues, sondern auch was Besseres!

»Ja, London«, sage ich entschieden und sehe auf. »Meinst du … wir schaffen es rechtzeitig zur Taufe?«

»Wenn du willst.« Luke lächelt, und ich bin auf einmal ganz aufgeregt. Wir werden bei der Taufe dabei sein! Ich werde Suze wiedersehen! Und Mum und Dad! Nach fast einem Jahr! Mann, werden die sich freuen! Und wir haben so viel zu erzählen!

Ich habe eine Vision von mir, wie ich alle meine Freunde bei Kerzenlicht an einem festlich gedeckten Tisch zum Abendessen um mich versammelt habe und wie sie gebannt meinen Erzählungen aus fernen Ländern und von exotischen Abenteuern lauschen. Wie ein zweiter Marco Polo werde ich dort sitzen und dann meinen Überseekoffer öffnen, in dem sich kostbare Schätze befinden … und es wird ein bewunderndes Raunen zu hören sein …

»Dann geben wir mal besser Bescheid«, sagt Luke im Aufstehen.

»Nein, warte!« Ich halte ihn an seiner Hose fest. »Ich habe eine Idee. Wir überraschen sie! Wir überraschen sie alle!«

»Alle überraschen?« Luke sieht mich zweifelnd an. »Becky, bist du dir sicher, dass das eine so gute Idee ist?«

»Das ist eine hervorragende Idee! Überraschungen sind toll! Das findet jeder.«

»Aber – «

»Jeder findet Überraschungen toll«, wiederhole ich mit fester Stimme. »Vertrau mir.«

Wir schlendern durch die Parkanlage zurück zum Hauptgebäude des Hotels – und ich bin ein klein wenig wehmütig beim Gedanken daran, dass wir jetzt abreisen werden. Es ist so schön hier. Diese fantastischen Bungalows aus Teakholz und die bezaubernden Vögel überall – und wenn man dem Bach folgt, kommt man zu einem echten Wasserfall! Wir erreichen die Holzschnitzwerkstatt, wo man die Kunsthandwerker bei der Arbeit beobachten kann, und ich bleibe einen Moment stehen und sauge den köstlichen Duft nach Holz ein.

»Mrs Brandon!« Der Werkstattleiter, Vijay, ist am Eingang aufgetaucht.

Mist. Ich wusste nicht, dass er hier war.

»Tut mir Leid, Vijay«, weiche ich schnell aus, »aber ich habe es gerade ziemlich eilig. Wir reden später … Komm, Luke!«

»Kein Problem!« Vijay strahlt mich an und wischt sich die Hände an seiner Schürze ab. »Ich wollte Ihnen nur sagen, dass der Tisch fertig ist.«

Verdammt.

Luke dreht sich langsam zu mir um und sieht mich an.

»Tisch?«, fragt er.

»Ihr Esstisch«, freut Vijay sich. »Und zehn Stühle. Hier, ich zeige sie Ihnen! Wir stellen sie auf!« Er schnippt mit den Fingern und bellt ein paar Anweisungen, dann traben zu meinem Entsetzen plötzlich acht Mann mit einem riesigen geschnitzten Teaktisch auf den Schultern aus der Werkstatt.

Wow. Ist ein bisschen größer, als ich in Erinnerung hatte.

Luke sieht völlig perplex aus.

»Holt die Stühle!«, kommandiert Vijay herum. »Stellt das ordentlich auf!«

»Sind die nicht toll?«, flöte ich.

»Du hast einen Esstisch und zehn Stühle bestellt … ohne mir etwas davon zu sagen?« Luke kullern fast die Augen aus dem Kopf, als die Stühle einer nach dem anderen auftauchen.

Okay. Jetzt wird’s eng.

»Das ist … mein Hochzeitsgeschenk für dich!«, verkünde ich, einer plötzlichen Eingebung folgend. »Sollte eine Überraschung sein. Herzlichen Glückwunsch zur Hochzeit, Darling!« Ich drücke ihm einen Kuss auf die Wange und sehe hoffnungsvoll lächelnd zu ihm auf.

»Becky, du hast mir schon ein Hochzeitsgeschenk gegeben«, sagt Luke und verschränkt die Arme. »Und außerdem ist unsere Hochzeit inzwischen schon eine ganze Weile her.«

»Ich habe … es für später aufgehoben!« Und damit Vijay es nicht hören kann, flüstere ich Luke zu: »Und ehrlich gesagt, sooo teuer sind die Sachen gar nicht – «

»Becky, es geht nicht ums Geld. Es geht um den Platz! Wo soll dieses Monster denn bloß stehen?«

»Also, so groß ist er nun auch wieder nicht. Und überhaupt«, füge ich schnell hinzu, bevor er etwas sagen kann, »wir brauchen schließlich einen guten Tisch!« Ich breite die Arme aus. »Ist es nicht das, worum es in einer guten Ehe geht? Dass man sich abends am Tisch zusammensetzt und über alles redet? Dass man an einem soliden Holztisch beieinander sitzt und … einen Teller deftigen Eintopf isst?«

»Deftigen Eintopf?«, hakt Luke nach. »Und wer macht diesen deftigen Eintopf?«

»Den können wir bei Waitrose kaufen«, erkläre ich.

Ich gehe um den Tisch herum und sehe ernst zu Luke auf. »Luke, denk doch mal nach. Wir werden nie wieder in Sri Lanka sein und waschechten Holzschnitzern direkt gegenüberstehen. Das hier ist eine einmalige Gelegenheit. Und ich habe dafür gesorgt, dass es ein ganz persönliches Andenken ist.«

Ich zeige auf die Tischkante. Dort sind inmitten der Blumen die Worte »Luke und Rebecca, Sri Lanka, 2003« in das Holz geschnitzt.

Luke streicht mit der Hand über die Tischplatte. Er hebt einen der Stühle an. Ich sehe ihm förmlich an, wie er nachgibt. Doch dann sieht er mit gerunzelter Stirn auf.

»Du hast nicht zufällig noch andere Sachen gekauft, von denen du mir nichts erzählt hast, Becky?«

Uuuuups. Was sag ich denn jetzt bloß? Ich verschaffe mir einige Sekunden Bedenkzeit, indem ich mich intensivst mit einer der geschnitzten Blumen befasse.

»Natürlich nicht!«, sage ich schließlich. »Das heißt … na ja – vielleicht hier und da mal ein kleines Souvenir, wo es sich gerade anbot …«

»Wie zum Beispiel?«

»Das weiß ich doch nicht mehr!«, rufe ich. »Meine Güte, wir sind schließlich schon zehn Monate unterwegs!« Ich wende mich wieder dem Tisch zu. »Komm schon, Luke, ich wette, du findest den Tisch auch toll. Denk doch nur mal an die einzigartigen Dinnerpartys, die wir jetzt ausrichten können … Und außerdem ist er das perfekte Erbstück! Eines Tages werden wir ihn an unsere Kinder weitergeben …«

An dieser Stelle breche ich meinen Vortrag peinlich berührt ab. Ich kann Luke in diesem Moment gar nicht in die Augen sehen.

Vor ein paar Monaten hatten wir diese Riesendiskussion von wegen Baby und so. Mit dem Ergebnis, dass wir es versuchen wollen. Aber bis jetzt … hat sich noch nichts getan.

Ich meine, nicht dass das ein großes Problem wäre. Wird schon noch klappen. Natürlich wird es klappen.

»Na, gut«, lenkt Luke mit etwas sanfterer Stimme ein. »Du hast gewonnen. Er tätschelt den Tisch und sieht dann auf die Uhr. »Ich werde eben eine E-Mail ans Büro schicken und die Leute dort über unsere Rückkehr informieren.« Er sieht mich ein bisschen schräg an. »Es sei denn, du bestehst darauf, dass ich unangemeldet die Tür zum Vorstandszimmer aufreiße und ›Überraschung!!!‹ brülle …?«

»Natürlich nicht!«, pariere ich sofort.

Obwohl das eigentlich so in etwa das war, was ich mir vorgestellt hatte. In meiner Vorstellung war ich allerdings mit von der Partie, mit einer Flasche Sekt in der Hand und ein paar Luftschlangen.

»So blöd bin ich nun auch wieder nicht«, füge ich etwas kleinlaut hinzu.

»Gut.« Luke grinst mich an. »Dann schlage ich vor, dass du dir noch einen Drink bestellst – ich bin in zwei Minuten wieder da.«

Ein klein wenig beunruhigt setze ich mich auf die Terrasse in den Schatten und versuche, mir all die Sachen in Erinnerung zu rufen, die ich gekauft und nach England habe schicken lassen, ohne Luke davon zu erzählen.

Ich meine, nicht dass ich mir so richtig Sorgen machen würde. Sooo viel kann es ja nicht gewesen sein. Oder?

Also, da waren die hölzernen Giraffen in Malawi. Die, von denen Luke meinte, sie seien zu groß. Was absoluter Quatsch ist. Die werden toll aussehen! Alle werden sie bewundern!

Und dann waren da diese tollen Batiksachen in Bali. Von denen ich Luke wirklich erzählen wollte … Ich kam nur irgendwie nie dazu.

Und dann waren da die zwanzig chinesischen Morgenmäntel aus Seide.

Ja, gut, ich weiß! Zwanzig hört sich jetzt ziemlich viel an. Aber das war ein solches Schnäppchen! Nur leider hat Luke mein Argument nicht ganz verstanden, dass wenn wir jetzt zwanzig Stück kaufen, wir für den Rest unseres Lebens keine mehr kaufen müssen, und dass es sich ergo um eine sinnvolle Investition handelt. Für jemanden, der tagtäglich mit Finanz-PR zu tun hat, ist er manchmal wirklich ein bisschen schwer von Begriff.

Also bin ich später noch mal heimlich zu dem Laden zurückgegangen, habe die Dinger gekauft und direkt nach Hause versenden lassen.

Also, die Möglichkeit, alles rund um die Welt verschicken zu können, macht die Sache ja so viel einfacher! Man muss den ganzen Kram überhaupt nicht mit sich herumschleppen – man zeigt bloß auf das, was man haben will, und lässt es schicken: »Bitte schicken Sie mir das da an meine Heimatadresse. Und das da. Und das.« Dann gibt man den Leuten seine Karte, und schwupps … – und Luke bekommt von all dem überhaupt nichts mit.

Vielleicht hätte ich doch besser aufschreiben sollen, was ich wo gekauft habe.

Ach was, ist halb so schlimm. Ist ganz bestimmt nur halb so schlimm.

Und außerdem wollen wir ja schließlich ein paar Souvenirs haben, oder? Wäre ja wohl ein bisschen blödsinnig, um die ganze Welt zu reisen und mit leeren Händen zurückzukehren, oder? Eben.

Ich sehe Chandra vorübergehen und winke ihm freundlich zu.

»Du warst heute wirklich sehr gut, Becky«, lobt er mich und kommt auf mich zu. »Ich würde dich gerne etwas fragen. In zwei Wochen leite ich einen Meditationskurs für Fortgeschrittene. Die Teilnehmer sind in erster Linie Mönche und Leute mit langjähriger Yoga-Erfahrung, aber … ich habe das Gefühl, du würdest sehr gut in die Gruppe passen. Was meinst du? Bist du interessiert?«

»Ach, wäre das toll!« Ich setze ein enttäuschtes Gesicht auf. »Aber ich kann leider nicht. Luke und ich fahren nach Hause.«

»Nach Hause?« Chandra sieht richtig schockiert aus. »Ja, aber … du bist so gut! Du willst doch nicht etwa den Yoga-Pfad verlassen?«

»Nein, nein«, versichere ich ihm. »Keine Sorge. Ich kaufe mir ein Video.«

Als Chandra weitergeht, sieht er regelrecht erschüttert aus. Ist ja auch kein Wunder. Er wusste wahrscheinlich noch nicht mal, dass es so etwas wie Yoga-Videos überhaupt gibt. Und von Geri Halliwell hat er bestimmt auch noch nie gehört.

Neben mir taucht ein Kellner auf, und ich bestelle einen Mango-Papaya-Cocktail, der auf der Karte »Happy Juice« heißt. Na, das passt doch hervorragend zu meiner momentanen Stimmung! Ich sitze hier auf meiner Hochzeitsreise in der Sonne und werde bald alle meine Lieben mit meiner unangekündigten Rückkehr überraschen! Bingo!

Ich sehe auf, als Luke sich mit seinem Palm Pilot in der Hand dem Tisch nähert. Bilde ich mir das bloß ein, oder geht er tatsächlich irgendwie schneidiger, und sieht er tatsächlich irgendwie lebhafter aus als in den vergangenen Monaten?

»Okay«, verkündet er. »Ich habe mit dem Büro gesprochen.«

»Und, ist alles in Ordnung?«

»Alles in Ordnung.« Er wirkt, als könne er die in ihm sprudelnde Energie kaum kontrollieren. »Sogar in allerbester Ordnung. Genau genommen läuft alles so gut, dass ich für Ende dieser Woche gerne ein paar Termine machen würde.«

»Na, das ging ja schnell!« Ich bin erstaunt.

Mannomann. Ich dachte, es würde mindestens eine Woche dauern, bis wir uns ansatzweise irgendwie organisiert hätten.

»Aber da ich weiß, wie viel dir der Aufenthalt in diesem Yoga-Refugium bringt, schlage ich vor, dass ich schon mal vorfahre, und dass du dann später nachkommst … Und dann fliegen wir zusammen nach England.«

»Und wo sind deine Termine?«, erkundige ich mich leicht verwirrt.

»In Italien.«

Der Kellner kommt mit meinem Happy Juice, und Luke bestellt sich ein Bier.

»Ich will mich aber nicht von dir trennen!«, beschwere ich mich, als der Kellner wieder weg ist. »Das hier ist unsere Hochzeitsreise, Luke!«

»Aber wir haben doch schon zehn wunderschöne Monate miteinander verbracht …«, ruft Luke mir in Erinnerung.

»Ich weiß. Aber trotzdem …« Unglücklich nippe ich an meinem Happy Juice. »Und wo in Italien?«

»Ach, in irgendeinem uninteressanten Städtchen«, antwortet Luke nach einer kurzen Pause. »Irgendwo im Norden … Nichts Besonderes. Geradezu langweilig. Ich würde dir wirklich empfehlen, hier zu bleiben und die Sonne zu genießen.«

»Na ja …« Hin- und hergerissen sehe ich mich um. Es ist wirklich schön hier. »Wie heißt die Stadt?«

Luke schweigt.

»Mailand«, antwortet er dann sichtlich widerwillig.

»Mailand?« Ich falle fast vom Stuhl vor Aufregung. »Du fliegst nach Mailand? Ich war noch nie in Mailand! Da wollte ich schon immer mal hin!«

»Ach«, sagt Luke. »Wirklich?«

»Ja! Natürlich! Ich will mit!«

Wie konnte er bloß glauben, dass ich nicht nach Mailand wollte? Davon träume ich schon so lange!

»Okay.« Luke schüttelt den Kopf. »Ich muss verrückt sein, aber okay, du kannst mit.«

Restlos begeistert lehne ich mich auf meinem Stuhl zurück und trinke einen großen Schluck Happy Juice. Diese Hochzeitsreise wird von Tag zu Tag besser!

ZWEI

Also, das ist mir ja wohl mal ein totales Rätsel, wie Luke auf die Idee kommen konnte, ohne mich nach Mailand zu fliegen! Ohne mich! Ich bin wie geschaffen für Mailand!

Ach nein, nicht Mailand. Milano.

Abgesehen von einem Taxi und unserem Hotelzimmer habe ich zwar noch nicht viel von der Stadt gesehen – aber das macht einer Weltenbummlerin wie mir kaum etwas aus. Ich kann die Atmosphäre einer bestimmten Umgebung in null Komma nichts erfassen – genau wie die Buschmänner in der Wildnis. Ich musste nur ganz kurz im Foyer die topschick in Prada und D&G gekleideten Frauen sehen, die einander Küsschen gaben und gleichzeitig ihre Espressos tranken und ihre glänzenden Haare zurückwarfen, und schon sagte mein mir angeborener, natürlicher Instinkt: Diese Stadt ist eine Stadt für dich.

Ich trinke einen Schluck von dem Cappuccino, den der Zimmerservice mir gebracht hat, und betrachte mich im Spiegel am Kleiderschrank. Ich sehe doch richtig italienisch aus! Jetzt brauche ich nur noch eine Caprihose, dunklen Eyeliner und eine Vespa.

»Ciao«, sage ich lässig und werfe mein Haar zurück. »Sì. Ciao.«

Ich würde doch ohne Probleme als Italienerin durchgehen! Na ja, ein paar mehr Vokabeln sollte ich vielleicht lernen.

»Sì.« Ich nicke mir im Spiegel zu. »Sì. Milano.«

Vielleicht könnte ich mit der Zeitung üben. Ich schlage das kostenlose Exemplar des Corriere della Sera auf, das wir zusammen mit dem Frühstück gebracht bekamen, und fange an, die ersten Sätze zu lesen. Und ich verstehe schon eine ganze Menge! Im ersten Artikel geht es um den Präsidenten und darum, dass er sein Piano wäscht. Zumindest … bin ich mir ziemlich sicher, dass es das ist, was presidente und lavoro pieno bedeutet.

»Weißt du was, Luke? Ich könnte ohne Probleme in Italien leben«, verkünde ich, als Luke aus dem Bad kommt. »Ich meine, dieses Land ist doch perfekt. Hier gibt es alles! Cappuccino … leckeres Essen … elegante Kleidung … Gucci ist hier billiger als bei uns …«

»Und die Kunst«, ist Lukes bierernster Kommentar.

Mann, geht der mir manchmal auf den Zeiger.

»Ja, selbstverständlich die Kunst«, sage ich und verdrehe die Augen. »Ich meine, die Kunst brauche ich ja wohl nicht extra zu erwähnen!«

Ich blättere weiter im Corriere della Sera und überfliege die Schlagzeilen. Dann macht es in meinem Kopf plötzlich klick.

Ich lasse die Zeitung sinken und starre Luke an.

Was ist denn mit dem passiert?

Vor mir steht der Luke Brandon, den ich seinerzeit als Finanzjournalistin kennenlernte. Er ist glatt rasiert und steckt in einem makellosen Anzug mit einem blassgrünen Hemd und einer Krawatte in einem etwas dunkleren Grün. Er trägt richtige Schuhe und richtige Socken. Sein Ohrring ist weg. Sein Armband ist weg. Das einzige Überbleibsel unserer Reise sind die vielen kleinen Zöpfe auf seinem Kopf.

Ich spüre, wie Enttäuschung in mir aufwallt. Er hat mir so gut gefallen, als er so relaxed und ungepflegt war.

»Du, äh … hast dich ja richtig in Schale geworfen!«, merke ich an. »Wo ist dein Armband?«

»Im Koffer.«

»Aber die Frau in der Masai Mara hat gesagt, dass wir die Armbänder niemals abnehmen dürfen!« Ich bin entsetzt. »Sie hat extra dieses ganz besondere Masai-Gebet gesprochen!«

»Becky …«, seufzt Luke. »Ich kann wohl kaum mit einem ollen Stück Seil am Handgelenk an einem Geschäftstermin teilnehmen.«

Olles Stück Seil? Das war ein heiliges Armband, und das weiß er ganz genau!

»Und deine Zöpfe?«, halte ich dagegen. »Wenn du Zöpfe haben kannst, kannst du ja wohl auch ein Armband tragen!«

»Die Zöpfe kommen auch ab!« Luke lacht auf. »In zehn Minuten habe ich einen Termin beim Friseur.«

Friseur?

Zöpfe ab?

Das geht mir alles ein bisschen zu schnell. Ich ertrage den Gedanken nicht, dass Lukes sonnengebleichte Haare abgeschnitten werden und achtlos zu Boden fallen. Unsere Hochzeitsreisenhaare. Schnipp-schnapp-ab!?

»Luke, nein!«, protestiere ich, ohne nachzudenken. »Das kannst du nicht machen!«

»Was ist denn los?« Luke dreht sich um und sieht mich eingehend an. »Stimmt was nicht, Becky?«

Nein. Ich meine, ja, allerdings. Aber ich weiß nicht, warum.

»Du darfst dir die Haare nicht abschneiden!«, bettele ich. »Dann ist alles vorbei!«

»Sweetheart … es ist vorbei.« Luke kommt zu mir und setzt sich neben mich. Er nimmt meine Hände und sieht mir in die Augen. »Das weißt du doch, oder? Es ist vorbei. Wir fahren nach Hause. Wir kehren zurück in die Realität.«

»Ich weiß!«, räume ich nach einer Weile ein. »Es ist nur … du gefällst mir so gut mit den langen Haaren!«

»So kann ich aber nicht an einem Geschäftstermin teilnehmen.« Luke schüttelt den Kopf, sodass die Perlen in seinen Haaren aneinanderklicken. »Das weißt du genauso gut wie ich.«

»Aber du musst sie dir ja nicht gleich abschneiden!«, plappere ich los, als mir etwas einfällt. »Guck doch mal, wie viele Italiener lange Haare haben. Wir machen nur alle Zöpfe auf!«

»Becky …«

»Ich mach das! Ich löse alle deine Zöpfe auf! Warte.«

Ich fange an, die ersten Perlen herauszupulen und entflechte dann die ersten Zöpfe. Ich bin Luke so nahe, dass ich sein teures Armani-Aftershave riechen kann, dass er immer benutzt, wenn er zur Arbeit geht. Das letzte Mal hat er vor unserer Hochzeit so gerochen.

Ich setze mich um und mache mich vorsichtig daran, auch die Zöpfe auf der anderen Seite aufzulösen. Wir schweigen – das einzige Geräusch ist das sanfte Aneinanderklicken der Perlen. Als ich die allerletzte entferne, steckt mir ein Kloß im Hals. Was natürlich albern ist.

Ich meine, unsere Hochzeitsreise konnte ja schließlich nicht endlos weitergehen, oder? Und ich freue mich darauf, Mum und Dad wiederzusehen, und Suze, und wieder ein normales Leben zu führen …

Aber trotzdem. Die letzten zehn Monate habe ich quasi rund um die Uhr mit Luke verbracht. Die Stunden, in denen wir nicht zusammen waren, kann ich an beiden Händen abzählen. Und jetzt soll das alles vorbei sein.

Na ja. Wird schon gehen. Ich werde mich in meine neue Arbeit stürzen … alle meine Freunde sehen …

»Fertig!«

Ich hole mein Anti-Locken-Serum, verteile etwas davon in Lukes Haar und bürste es dann so gut es geht glatt. Ein bisschen gewellt ist es immer noch – aber es ist okay. Er sieht europäisch aus.

»Siehst du?«, sage ich schließlich. »Du siehst toll aus!«

Luke betrachtet sich wenig überzeugt im Spiegel, und einen schrecklichen Augenblick lang glaube ich, dass er jetzt sagt, er gehe trotzdem zum Friseur. Dann lächelt er.

»Okay. Für heute überredet. Aber früher oder später müssen die Haare ab.«

»Ich weiß.« Jetzt geht es mir schon gleich wieder viel besser. »Nur nicht heute.«

Ich beobachte Luke dabei, wie er seine Unterlagen zusammensammelt und in seinen Aktenkoffer steckt.

»Und … worum genau geht es eigentlich? Ich meine, warum musstest du nach Mailand?«

Luke hat mir das zwar bereits im Flugzeug von Colombo hierher erzählt – aber da gab es gratis Sekt an Bord, und ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich alles hundertprozentig mitbekommen habe.

»Wir bemühen uns um einen neuen Kunden. Die Arcodas Gruppe.«

»Ach ja, stimmt. Ich erinnere mich.«

Lukes Firma – Brandon Communications – ist eine PR-Agentur, die hauptsächlich für Banken, Wohnungsbaugesellschaften und Vermögensverwaltungen tätig ist. Wir haben uns auf einer seiner Pressekonferenzen kennengelernt, als ich noch als Journalistin für ein Finanzmagazin gearbeitet habe.

»Wir wollen ein bisschen aus dem Finanzbereich hinaus expandieren.« Luke lässt die Schlösser an seinem Aktenkoffer zuschnappen. »Die Arcodas Gruppe ist ein ziemlich großes und vielseitiges Unternehmen, das sich unter anderem im Immobiliengeschäft engagiert. Dazu gehören aber auch Einkaufs- und Freizeitzentren …«

»Einkaufszentren?« Ich horche auf. »Kriegst du da Rabatt?«

»Wenn wir den Zuschlag bekommen. Vielleicht.«

Mann, ist das cool! Vielleicht expandiert Lukes Firma in den Modebereich und macht dann die PR für Dolce & Gabbana statt für irgendwelche öden Banken!

»Weißt du, ob die in Mailand ein Einkaufszentrum haben?«, frage ich hilfsbereit nach. »Dann könnte ich da ja mal hingehen und es mir angucken. Ein bisschen für dich recherchieren.«

»In Mailand haben sie keins. Sie sind nur hier wegen einer Einzelhandelskonferenz.« Luke stellt den Koffer ab und sieht mich sehr lange und eindringlich an.

»Was?«, frage ich.

»Becky … Ich weiß, wir sind in Mailand. Aber bitte – versprich mir, dass du heute nicht durchdrehst.«

»Durchdrehen?«, frage ich leicht beleidigt zurück. »Was meinst du denn damit?«

»Ich weiß, dass du heute einkaufen gehen wirst …«

Woher will er das denn wissen? Also, echt, Luke hat vielleicht Nerven! Woher will er wissen, dass ich mir nicht irgendwelche berühmten Statuen oder so angucken gehe?

»Ich werde nicht einkaufen gehen!«, gebe ich hochmütig zurück. »Die Sache mit dem Einkaufszentrum habe ich lediglich erwähnt, um dir zu zeigen, dass ich mich für deine Arbeit interessiere!«

»Verstehe.« Luke sieht mich zweifelnd an, und das nervt mich.

»Ich bin hier, um mir etwas von der hiesigen Kultur anzusehen.« Ich hebe das Kinn an. »Und weil ich noch nie in Mailand war.«

»Hm-hm.« Luke nickt. »Du hattest also nicht vor, dir heute den einen oder anderen Designerladen anzugucken?«

»Luke«, hebe ich überfreundlich an. »Ich bin vom Fach. Es ist mein Job, Kundinnen bei ihren Klamotteneinkäufen zu beraten. Persönlich und professionell. Glaubst du allen Ernstes, ich könnte wegen so ein paar Designerläden aus dem Häuschen geraten?«

»Ehrlich gesagt, ja.«

Ich bin entrüstet! Was haben wir uns vor zehn Monaten hoch und heilig versprochen? Hat er mir nicht versprochen, mich zu respektieren und mein Wort niemals in Zweifel zu ziehen?

»Du glaubst, ich wäre nur zum Einkaufen hergekommen? Bitte. Dann nimm das.« Ich schnappe mir meine Tasche, hole mein Portemonnaie heraus und werfe es Luke zu.

»Becky, nun sei doch nicht albern – «

»Nimm es! Ich werde mir einfach nur die Stadt ansehen!«

»Na gut.« Luke zuckt mit den Schultern und steckt mein Portemonnaie ein.

Mist. Ich habe nicht damit gerechnet, dass er es wirklich an sich nehmen würde.

Aber macht nichts, ich habe nämlich noch eine Kreditkarte in meiner Handtasche versteckt, und von der weiß Luke nichts.

»Prima.« Ich verschränke die Arme. »Nimm ruhig all mein Geld. Ist mir piepegal!«

»Ich wette, du wirst auch so überleben«, sagt Luke. »Im Notfall kannst du ja immer noch die Kreditkarte benutzen, die du in deiner Handtasche versteckt hast.«

Was?

Woher weiß er das denn? Hat er mich etwa ausspioniert?

Das ist ja wohl ein Scheidungsgrund!

»Die kannst du auch haben!«, fauche ich und grabsche in meine Tasche. »Du kannst alles haben! Mein letztes Hemd! Los, zieh es mir schon aus!« Ich schmeiße die Kreditkarte nach ihm. »Du glaubst vielleicht, mich zu kennen, Luke. Tust du aber nicht. Ich will nichts anderes als ein bisschen Kultur schnuppern und vielleicht das eine oder andere kleine Souvenir oder einen typisch Mailänder Kunstgegenstand kaufen.«

»Einen typisch Mailänder Kunstgegenstand?«, wiederholt Luke. »Damit meinst du doch wohl nicht etwa Schuhe von Versace?«

»Nein!«, halte ich nach einer kurzen Pause dagegen.

Und das stimmt auch.

Fast.

Ich hatte da eher an Miu Miu gedacht. Ich habe gehört, dass das hier richtig billig sein soll!

»Hör zu, Becky, ich möchte ja nur nicht, dass du es übertreibst«, sagt Luke. »Wir haben unser Gepäcklimit so schon erreicht.« Er wirft einen Blick auf unsere offenen Koffer. »Ich meine, mit der südamerikanischen Ritusmaske und dem Voodoo-Stab … ach, und nicht zu vergessen die Tanzzeremonie-Schwerter …«

Wie oft will Luke mich eigentlich noch mit den Tanzzeremonie-Schwertern nerven? Nur, weil die ein Loch in sein blödes Hemd gerissen haben.

»Zum hunderttausendsten Mal, das sind Geschenke!«, erkläre ich. »Die konnten wir nicht auf anderem Wege nach Hause schicken, weil wir sie bei unserer Ankunft bei uns haben müssen, sonst sehen wir nicht wie echte Globetrotter aus!«

»Ist ja in Ordnung. Ich sage ja auch nur, dass wir keinen Platz für südamerikanische Masken und sechs Paar Stiefel haben.«

Das findet er wohl mal wieder sehr komisch.

»Luke, so bin ich nicht mehr, okay?« Ich bemühe mich, vernichtend zu klingen. »Ich bin erwachsen geworden. Ich dachte, das sei dir vielleicht aufgefallen.«

»Wenn du meinst.« Luke hält meine Kreditkarte hoch, betrachtet sie eingehend, und gibt sie mir dann zurück. »Auf der hast du sowieso nur noch ungefähr zweihundert Pfund.«

Was?

»Woher willst du das wissen?«, frage ich empört. »Das ist meine eigene Kreditkarte!«

»Dann würde ich die Auszüge dafür nicht unter der Matratze verstecken. Das Zimmermädchen in Sri Lanka hat den letzten gefunden, als sie unser Bett machte, und hat ihn mir gegeben.« Er gibt mir einen Kuss und nimmt seinen Koffer. »Einen schönen Tag in Mailand.«

Nachdem die Tür ins Schloss gefallen ist, bin ich ein klein wenig verstimmt. Was weiß Luke schon. Nichts weiß er. Er weiß zum Beispiel nicht, dass ich ihm heute nämlich ein Geschenk kaufen wollte. Vor einigen Jahren, als ich Luke kennenlernte, hatte er so einen ganz tollen italienischen Ledergürtel, an dem er sehr hing. Trotzdem hat er ihn eines Tages mal im Badezimmer liegen gelassen, und da ist dann eben heißes Haarentfernerwachs draufgekommen.

Und das war nun wirklich nicht allein meine Schuld. Ich habe das Luke erklärt: Wenn man unmenschliche Schmerzen aushalten muss, dann denkt man nicht »Na, was wäre dann jetzt wohl das passendste Gerät, um mir das kochend heiße Wachs von den Schienbeinen zu kratzen?«. Nein, man krallt sich einfach den nächstgelegenen Gegenstand.

Wie dem auch sei. Ich hatte jedenfalls fest vor, ihm heute endlich einen Ersatz zu kaufen. Ein kleines Geschenk zum Ende der Hochzeitsreise. Aber vielleicht hat er das eigentlich gar nicht verdient, wenn er mich ausspioniert und meine Kreditkarten-Kontoauszüge liest. Also, ich meine, was fällt dem denn ein? Lese ich etwa seine private Post?

Öh … ja. Und da sind manchmal echt interessante Sachen dabei! Aber der Punkt ist ja …

O Gott. Mir kommt da gerade ein ganz schrecklicher Gedanke. Heißt das womöglich, dass er gesehen hat, wie viel ich in Hongkong an dem Tag ausgegeben habe, an dem er sich die Börse angeguckt hat?

Scheiße.

Und er hat kein Wort gesagt. Okay, vielleicht hat er doch ein Geschenk verdient.

Ich trinke noch einen Schluck Cappuccino. Und überhaupt, wer zuletzt lacht, lacht am besten. Und ich lache zuletzt, nicht Luke. Er hält sich für so verdammt clever, aber er weiß natürlich nicht, dass ich noch einen geheimen Masterplan habe.

Eine halbe Stunde später komme ich in einer engen schwarzen Hose (nicht ganz Capri-, aber fast), einem gestreiften T-Shirt und einem dünnen Schal um den Hals in die Empfangshalle und komme mir total europäisch vor. Zielstrebig steuere ich das Wechselbüro an und strahle die hinter dem Tresen sitzende Dame an.

»Ciao!«, begrüße ich sie fröhlich. »Il …«

Und dann verstumme ich.

Mann, ist das ärgerlich. Ich dachte eigentlich, wenn ich nur selbstsicher genug loslegen und ein bisschen gestikulieren würde, dann käme mir Italienisch nur so aus dem Mund gesprudelt. Ganz natürlich.

»Ich möchte bitte in Euros wechseln«, sage ich dann doch auf Englisch.

»Gerne«, lächelt die Dame mich an. »Aus welcher Währung?«

»Währungen.« Ich hole ein Bündel zerknitterter Geldscheine aus meiner Handtasche. »Rupien, Dirhams, Ringgits …« Ich lege die Scheine auf den Tresen und hole noch mehr aus der Tasche. »Kenianische Dollars …« Ich betrachte einen seltsamen, rosafarbenen Schein, den ich nicht wiedererkenne. »Was auch immer das hier ist …«

Das ist doch unglaublich, wie viel Geld ich mit mir herumgeschleppt habe, ohne es überhaupt gemerkt zu haben! Ich hatte zum Beispiel massenweise Rupien in meinem Kulturbeutel und einen Haufen äthiopischer Birr in einem Taschenbuch. Außerdem flogen jede Menge Scheine und Münzen ganz unten in meiner Reisetasche herum.

Und das Beste daran ist: Dieses Geld ist gratis! Das ist Geld, das wir bereits hatten.

Ich sehe ganz aufgeregt dabei zu, wie die Dame hinter dem Tresen das Geld sortiert. »Sie haben hier siebzehn verschiedene Währungen«, kommentiert sie schließlich leicht benommen.

»Wir sind viel rumgekommen«, erkläre ich. »Und wie viel ist das alles jetzt in Euro?«

Die Dame tippt alles in einen kleinen Computer ein, und ich bin ganz aufgeregt. Vielleicht haben sich die Wechselkurse für manche dieser Währungen ja in der Zwischenzeit zu meinem Vorteil geändert. Vielleicht ist das alles ein kleines Vermögen wert!

Und dann bekomme ich einen Anflug von schlechtem Gewissen. Ich meine, es ist ja schließlich auch Lukes Geld. Und darum beschließe ich umgehend, ihm die Hälfte davon abzugeben, falls es mehr als hundert Euro sein sollten. Das ist ja wohl nur fair. Und mir blieben immerhin noch fünfzig. Nicht schlecht, dafür dass ich keinen Finger krumm gemacht habe.

»Nach Abzug der Gebühren …« Die Dame sieht zu mir auf. »Sieben fünfundvierzig.«

»Siebenhundertfünfundvierzig Euro?« Überglücklich strahle ich sie an. Ich hatte ja keine Ahnung, dass ich so viel Geld bei mir hatte! Mann, da sieht man mal wieder! Wie oft habe ich schon den Spruch gehört »Kleinvieh macht auch Mist«… Wie wahr! Wer hätte das gedacht?

Davon kann ich dann ja ein Geschenk für Luke kaufen und ein Paar Schuhe von Miu Miu und –

»Nicht siebenhundertfünfundvierzig.« Die Dame zeigt mir den mit Hand aufgeschriebenen Betrag. »Sieben Euro und fünfundvierzig Cent.«

»Was?« Mir entgleist mein glückseliges Lächeln. Das kann nicht stimmen.

»Sieben Euro und fünfundvierzig Cent«, wiederholt die Dame geduldig. »Wie hätten Sie es gerne?«

Sieben armselige Euro? Ich bin immer noch total vor den Kopf gestoßen, als ich das Hotel verlasse. Wie kann so viel echtes, handfestes Geld nur sieben Euro wert sein? Das kann doch gar nicht sein. Und das habe ich der Dame auch erklärt, dass man in Indien massenweise einkaufen konnte für die paar Rupien. Womöglich ein ganzes Auto … oder sogar einen Palast. Aber sie hat nicht nachgegeben. Im Gegenteil, sie hat sogar behauptet, großzügig gewesen zu sein.

Hmpf. Aber gut, sieben Euro sind immer noch besser als gar nichts. Vielleicht haben die bei Miu Miu ja eine Super-Sonder-Rabattaktion mit 99,9 Prozent Nachlass oder so.

Ich mache mich auf den Weg die Straße hinunter, wobei ich mich ganz genau an den Stadtplan halte, den der Concierge mir gegeben hat. Der war vielleicht hilfsbereit! Ich habe ihm erklärt, dass ich gerne die kulturell wichtigen Sehenswürdigkeiten von Mailand besichtigen würde, und da fing er dann an, von einem Gemälde von Leonardo da Vinci zu reden. Also erklärte ich ihm sehr höflich, dass ich mich mehr für die zeitgenössische italienische Kultur interessiere, was ihn dazu veranlasste, mir von einem Künstler zu erzählen, der Kurzfilme zum Thema Tod macht.

Als ich ihm schließlich weiter erläuterte, dass ich mit »zeitgenössischer italienischer Kultur« eigentlich eher Kultur-Ikonen wie Prada und Gucci meinte, strahlte er förmlich vor Glück, dass er mich endlich verstanden hatte. Er nahm den Stadtplan und markierte darauf eine Straße in einem Viertel, das das »goldene Viereck« genannt wird und ihm zufolge »voller Kultur« ist, die mir »sicher sehr gefallen« würde.

Die Sonne scheint, und es weht eine leichte Brise. Fenster und Autos glitzern in der Sonne und ständig flitzen irgendwelche schneidigen Vespas an mir vorbei. Mann, Mailand ist einfach klasse. Jeder, aber auch jeder, an dem ich vorbeikomme, trägt eine Designersonnenbrille und eine Designerhandtasche – sogar die Männer!

Einen Moment lang denke ich darüber nach, Luke eventuell eine Herrenhandtasche zu kaufen statt eines Gürtels. Ich versuche mir vorzustellen, wie er mit einer schicken kleinen Tasche am Handgelenk ins Büro geht …

Hmmm. Vielleicht doch besser den Gürtel.

Auf einmal fällt mir eine junge Frau vor mir auf, die einen cremefarbenen Hosenanzug trägt, dazu hohe Riemchenschuhe und einen pinkfarbenen Mopedhelm mit Zierleisten in Leopardenmuster.

Sehnsüchtig fixiere ich sie. Ich will auch so einen Helm haben! Ich weiß, ich weiß, ich habe keine Vespa – aber den Helm könnte ich doch trotzdem tragen, oder? Könnte mein ganz spezielles Markenzeichen werden. Dann würden mich die Leute »Die Frau mit dem Vespa-Helm« nennen. Außerdem könnte mir dann so leicht kein Straßenräuber eins über die Rübe ziehen, also, so gesehen wäre das eine Investition in meine Sicherheit …

Ich glaube, ich frage sie, wo sie das Ding her hat.

»Excusez-moi, mademoiselle!«, rufe ich und bin selbst bass erstaunt, dass ich plötzlich so fließend spreche. »J’adore votre chapeau!«

Die Frau sieht mich verständnislos an und verschwindet dann um die nächste Ecke. Was ich offen gestanden ein klein wenig unhöflich finde. Ich meine, da gebe ich mir so eine Mühe, ihre Sprache zu spre –

Oh. Ach so.

Ups. Bisschen peinlich.

Egal, vergessen. Ich bin ja schließlich nicht hier, um Vespa-Helme zu kaufen. Ich bin hier, um ein Geschenk für Luke zu erstehen. Genau darum geht es ja in einer Ehe: Immer zuerst an den Partner zu denken. Die Bedürfnisse des anderen stets als Erstes zu berücksichtigen.

Und außerdem fällt mir gerade ein, dass ich ja wohl jederzeit mal eben für einen Tag nach Mailand rüberjetten kann. Dauert doch bestimmt nicht lange von London aus, oder? Und dann könnte ich auch Suze mitnehmen, fällt mir zu meiner großen Freude ein. Au ja, das wäre ein Spaß. Ich sehe Suze und mich schon vor mir, wie wir Arm in Arm die Straße hinunterschlendern, mit unseren Taschen herumschlenkern und zusammen lachen. Ein Girlie-Ausflug nach Mailand! Das müssen wir unbedingt mal machen!

Ich komme an die nächste Straßenecke und sehe auf dem Stadtplan nach. Kann nicht mehr weit sein. Er hat gesagt, es ist ganz in der Nähe …

In dem Moment geht eine Frau mit einer Tragetasche von Versace an mir vorüber. Ja! Ja! Ist das aufregend! Ich komme ganz offensichtlich immer näher an die Quelle … Genau wie vor ein paar Wochen (oder Monaten?), als wir diesen Vulkan in Peru besichtigten und der Führer uns ständig auf irgendwelche Zeichen hinwies, die uns verrieten, dass wir uns dem Krater näherten. Ich muss nur die Augen aufmachen und nach weiteren Versace-Tüten Ausschau halten …