Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Im antiken Griechenland und Rom gehörten Frauen zum vererbbaren Besitz ihrer Väter und Ehemänner. In der Neuzeit wurden Frauen als Hexen verbrannt, im 19. Jahrhundert verloren sie bei der Eheschließung den eigenen Besitz an den Gatten, dessen Züchtigungsrecht gesetzlich verankert war. Bis heute kämpfen Frauen in hochentwickelten Industrieländern um gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit. Witwenverbrennungen in Indien, Klitorisamputationen in Nordafrika und Massenvergewaltigungen in Kriegsgebieten sind traurige Realität. Jack Holland stellt die misogyne Grundhaltung heraus, die sich durch die Geschichte nicht nur des Westens zieht, verfolgt sie zurück bis zu ihren Wurzeln in der griechischen Philosophie und in der christlichen Lehre, den beiden Eckpfeilern der abendländischen Kultur. Er zeigt, wie männliche Denker und Schriftsteller von Platon und Aristoteles über Juvenal und Rousseau bis Weininger die aberwitzigsten, mal wissenschaftlich, mal philosophisch untermauerten Begründungen für ihre Theorien der naturgegebenen Minderwertigkeit der Frau geliefert haben. Und er zeigt, dass sich hinter diesen Anschauungen auch tief sitzende Ängste des Mannes vor der weiblichen Sexualität verbergen. Ein wichtiges Buch in Zeiten der #MeToo-Debatte.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 499
Veröffentlichungsjahr: 2020
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Zweitausendeins
Basierend auf der 3. Auflage, Sommer 2020. Die englische Originalausgabe ist 2006 unter dem Titel »Misogyny. The World’s Oldest Prejudice« bei Robinson, an Imprint of Constable & Robinson Ltd., London, erschienen. Copyright © 2006 by Jack Holland. Copyright © für das Nachwort 2007 by Marlene Streeruwitz. Alle Rechte für die deutsche Ausgabe und Übersetzung Copyright © Zweitausendeins Versand-Dienst GmbH, Bahnhofstr. 30, 82340 Feldafing. www.zweitausendeins.de Umschlaggestaltung unter Verwendung einer Abbildung der Skulptur: »Perseus und Medusa« von Benvenuto Cellini, Florenz, Piazza della Signoria. Lektorat: Katharina Theml (Büro W, Wiesbaden). Korrektorat: Ursula Maria Ott (Frankfurt).ISBN 978-3-96318-108-5
Dieses Buch ist dem Andenken seines Autors gewidmet.Und es ist den Frauen gewidmet, die ihn erzogen haben –seiner Mutter Elizabeth Rodgers Holland, seiner Großmutter Kate Murphy Holland, seiner Tante »Cissy« Martha Hollandund seinen Schwestern Katherine, Elizabeth und Eileen.
Inhalt
Dank
Vorwort
Einleitung
1 Pandoras Töchter
2 Frauen vor den Toren: Misogynie im alten Rom
3 Göttliche Intervention: Frauenhass und der Aufstieg des Christentums
4 Von der Himmelskönigin zum Satansweib
5 Schöne neue Welt: Misogynie und Aufklärung
6 Die Geheimnisse der Viktorianer
7 Misogynie im Zeitalter des Übermenschen
8 Körperpolitik
Zum Schluss
Nachwort Marlene Streeruwitz
Anmerkungen
Literaturempfehlungen
Über den Autor
In unserem Wunsch, dieses Buch posthum zu veröffentlichen, haben uns eine ganze Reihe von Personen unterstützt. Für ihren moralischen und/oder praktischen Beistand danken wir Stephen Davis, Don Gilbert, Susan Phoenix, Marcia Rock und Michelle Stoddard. Besonderer Dank gebührt Brad Henslee, David Goodine und Mike Myles für die Einrichtung und Pflege der Website www.jackholland.net.
Ein Extradank an Sappho Clissitt, unsere Literaturagentin in London, die den Mut und die Weitsicht besaß, sich eines Projekts anzunehmen, an das viele andere nicht heranwollten.
Mary Hudson und Jenny Holland
Mein Vater interessierte sich für Geschichte, und er liebte die Frauen. Diese beiden Faktoren lenkten seinen Blick auf das Thema Frauenhass, das sich so grundsätzlich von den spezifisch nordirischen Problemen unterschied, mit denen er sich als Journalist vor allem beschäftigt hatte.
2002 begann er an dem Buch zu schreiben. Von Anfang an sorgte das Thema für Gesprächsstoff. Eine Reaktion, die häufig von anderen Männern kam, wenn mein Vater ihnen erzählte, woran er gerade arbeitete, war die Annahme, dass sein Buch irgendeine Art von Rechtfertigung des Frauenhasses werden sollte, was er unbegreiflich fand. Eine andere weit verbreitete Reaktion war die Frage, wie ein Mann dazu kam, ein Buch über Misogynie zu schreiben. Seine Antwort darauf war einfach. »Warum nicht? Sie wurde von Männern erfunden.«
Er war überwältigt von der unvorstellbar langen Liste der Verbrechen, die von Ehemännern, Vätern, Nachbarn und Regierenden gegen Frauen verübt wurden und werden. Meine Mutter und ich hörten schaudernd zu, wenn er sie uns aufzählte: von den aberwitzigen Folterungen angeblicher Hexen im Europa des ausgehenden Mittelalters bis zu den entsetzlichen Grausamkeiten, die Frauen in nordkoreanischen Gefängnissen erleiden müssen. Er sammelte Zeitungsausschnitte, er las unzählige Tatsachenberichte, er suchte in Dichtung und Theaterliteratur nach einer kulturgeschichtlichen Erklärung.
Für meinen Vater war dies sein wichtigstes Werk. Mit ihm richtete er sein journalistisches Interesse auf die deprimierende Frage: Wie ist es zu erklären, dass seit Anbeginn der Geschichte eine Hälfte der Menschheit von der anderen unterdrückt und ihrer menschlichen Würde beraubt wird?
Er ging dieser Frage mit dem Instrumentarium nach, das es ihm auch ermöglichte, seinen Lesern andere Konflikte unserer Zeit begreiflich und erfahrbar zu machen: mit seiner Fähigkeit, schwieriges, unzugängliches Material zu bündeln, seiner gründlichen Kenntnis der westlichen Kultur und Geschichte, seinem Mitgefühl für die Unterdrückten und seinem lyrischen Prosastil. Auf dieser Grundlage zeichnete er eine Geschichte auf, die angesichts ihrer oft grausamen Details erstaunlich leicht zu lesen ist.
Im März 2004, einen Monat, nachdem er das Manuskript zu diesem Buch abgeschlossen hatte, wurde Krebs bei ihm diagnostiziert. Zwei Monate später starb er am NK/T-Zell-Lymphom, einer extrem seltenen Form der Krebserkrankung, die fast immer tödlich verläuft. Auch wenn er bereits geschwächt war durch Krankheit und Therapie, nahm ihn das Projekt doch nach wie vor so in Anspruch, dass er noch im Krankenhaus an den letzten Korrekturdurchgängen arbeitete.
Die Vater-Tochter-Beziehung nimmt einen wichtigen Platz in diesem Buch ein, denn gerade in dieser engsten aller Bindungen wird die folgenschwere Linie des Frauenhasses perpetuiert oder unterbrochen. Sie spielt darüber hinaus eine zentrale Rolle im Leben eines jeden Mädchens – und mein Vater erfüllte seinen elterlichen Auftrag mit heiterer Gelassenheit und ungetrübter Bewunderung. Den Beginn meines Frauseins nahm er mit Würde und wohlwollendem Verständnis hin. Vor allem aber fragte er mich immer nach meiner Meinung. Er ermutigte mich, meine Gedanken zu äußern, ihm zu widersprechen. Manchmal lachte er und zog mich mit meinen jugendlichen Überzeugungen auf; bei anderen Gelegenheiten entwickelten sich hitzige Diskussionen. An dem, was er sagte, merkte ich, dass er meinen Intellekt zu würdigen wusste. An dem weichen Ausdruck in seinen Augen merkte ich, dass er das Weibliche an mir schätzte.
Ich kann dieser vorbehaltlosen Anerkennung gar nicht genug Bedeutung beimessen, insbesondere jetzt, da ich sie nicht mehr habe. Als ich las, was mein Vater über das geschrieben hatte, was Frauen über die Jahrhunderte hinweg auf allen Kontinenten zu erdulden hatten, wurde ich mir einer gewissen Ironie bewusst. Mir selbst blieben die Begleiterscheinungen des Frauenhasses erspart. Ich genoss das Privileg, zumindest zu Hause ein Leben ohne Fesseln dieser Art zu führen.
Der zärtlichste Moment, der mir aus einem ganzen Leben voller liebevoller Erinnerungen im Gedächtnis geblieben ist, war unser Beisammensein, drei Tage bevor er starb. Wir saßen im Aufenthaltsraum eines Krankenhauses in Manhattan und gingen gemeinsam das Manuskript durch. Ich las laut vor, und er wollte wissen, ob ich irgendwelche Änderungsvorschläge habe. Ich fühlte mich geschmeichelt, dass er – der anerkannte Autor und erfahrene Journalist, der Erwachsene und Vater – mich – die Nachwuchsreporterin ohne jede Erfahrung, die junge Frau und Tochter – nach meiner Meinung fragte.
Es war ein strahlender Augenblick, verklärt noch in der Erinnerung. Ich hatte das Gefühl, dass die stille Beschäftigung, in die wir vertieft waren, stärker war als die Krankheit. In dem sonnendurchfluteten Raum hoch über dem Hudson River konnten wir für kurze Zeit den Schmerz und die Angst vergessen, die auf dieser Krebsstation allgegenwärtig waren.
Wir saßen noch nicht lange über das Manuskript gebeugt, als ich merkte, dass der Arzt meines Vaters, ein freundlicher, sanfter Mann, der kaum zwei Wochen zuvor meiner Mutter und mir mitgeteilt hatte, dass das Ende bevorstand, in der Tür stand und uns, sichtlich bewegt, ansah. Seinem Gesichtsausdruck entnahm ich, dass er Szenen wie diese nicht sehr oft beobachten konnte.
Mein Vater erlebte seine Kindheit und Jugend in Nordirland in den Fünfzigern und den gesellschaftlich und politisch turbulenten Sechzigern des letzten Jahrhunderts. Von klein auf war er von patenten Frauen umgeben. Er wuchs hauptsächlich bei seiner Großmutter Kate Murphy Holland, einer echten Matriarchin aus der wild-verwegenen Landschaft von Down, auf, sowie bei seiner Tante »Cissy« Martha Holland, einer sehr schönen Frau, die nie verheiratet war und in einer der vielen Leinenwebereien in Belfast gearbeitet hatte. Die Familie seiner Mutter Elizabeth Rodgers Holland war so arm, dass das Mädchen nur unregelmäßig die Schule besuchen konnte. In seiner beruflichen Laufbahn war sie eine Quelle der Inspiration für ihn. Sein Ziel als Autor und Journalist war es, Menschen wie ihr, die im herkömmlichen Sinne ungebildet waren, aber einen klugen Kopf hatten, den Zugang zu komplexen Gedankenzusammenhängen zu öffnen.
Die Erfahrungswelt der Frauen hat ihn immer beschäftigt. Als er sein erstes Sachbuch über den Nordirlandkonflikt schrieb, der zu dieser Zeit seinen blutigen Höhepunkt erreicht hatte, griff er unter anderem auf Briefe und mündliche Erzählungen seiner Mutter und seiner Tante zurück. Entstanden ist ein bewegendes Dokument, das Buch Too long a Sacrifice: Life and Death in Northern Ireland since 1969, das 1981 erschien. Sein erster Roman, The Prisoner’s Wife (1982), handelte von dem Leid, das Frauen erdulden, wenn Männer Kriege führen.
Die wichtigste Frau im Leben meines Vaters war meine Mutter Mary Hudson, eine begnadete Sprachwissenschaftlerin und Lehrerin mit scharfem Verstand. Die beiden, die sich persönlich und beruflich auf wunderbare Weise ergänzten, führten eine erfüllte und glückliche 30-jährige Ehe. Als Kind und Jugendliche habe ich zahllose Gespräche bei Tisch erlebt, in denen es darum ging, wie dieser oder jener Aspekt eines Buches, an dem er gerade schrieb, herausgearbeitet werden könne. Bei allen seinen Büchern sorgte ihre redaktionelle Bearbeitung für den letzten Schliff.
Der Hartnäckigkeit meiner Mutter ist es zu verdanken, dass dieses Buch überhaupt erscheinen konnte. Der US-amerikanische Verlag, mit dem mein Vater einen Vertrag abgeschlossen und während des Schreibens enge Verbindung gehalten hatte, erklärte das Manuskript nach seinem Tod unbegreiflicherweise für nicht veröffentlichbar. Meine Mutter wusste, dass das nicht stimmte, und sie setzte es sich in den Kopf, eine Heimat für das Buch zu finden, weil sie der Meinung war, dass die Geschichte, von der es handelt, erzählt werden muss. Und mit ihrer Unbeirrbarkeit schaffte sie es, dass das Buch mit seiner wichtigen und nachdenklich stimmenden Botschaft nun seine Leserschaft erreicht.
Wir leben heute in einer einigermaßen aufgeklärten Zeit, in der Misogynie nicht nur als Ursache für Unterdrückung und Ungerechtigkeit, sondern auch als Hindernis für die menschliche Entwicklung und den sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt erkannt worden ist. Dennoch werden Frauen für die gleiche Arbeit immer noch schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen, wird das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, das in den USA vor Jahrzehnten errungen wurde, wieder verwässert. Eine echte Gleichberechtigung ist noch in weiter Ferne, und in vielen Teilen der Welt, in denen die Geschlechterfrage durch Armut, Unwissenheit, Fundamentalismus und Krankheit überlagert ist, hat sich die Lage der Frauen in den letzten Jahrhunderten kaum verbessert.
Natürlich war sich mein Vater darüber im Klaren, dass diese Probleme nicht durch ein Buch und auch nicht durch viele Bücher zu lösen sind. Aber dieses sein letztes Werk ist ein wichtiges Werkzeug im Kampf gegen die älteste Diskriminierung der Welt.
Jenny Holland
Ihr rasierter Schädel –Ein schwarzes Stoppelfeld,die Augenbinde ein Dreckverband, die Schlinge ein Ring.
SEAMUS HEANEY, »Bestrafung« aus Norden (1975)
Am 22. Juni 2002 wurde in einer entlegenen Gegend der pakistanischen Provinz Punjab eine Frau namens Mukhtaran Mai vom Dorfältestenrat verurteilt, von mehreren Männern vergewaltigt zu werden, weil ihr Bruder angeblich strafbaren Umgang mit einer Frau gepflegt hatte, die einer höheren Kaste angehörte als er. Vier Männer zerrten sie in eine Hütte, ohne sich um ihre Bitten um Gnade zu scheren.
»Sie haben mich eine Stunde lang vergewaltigt, bis ich mich kaum noch bewegen konnte«, berichtete sie Journalisten. Für die Verurteilung gab es Hunderte von Zeugen, aber niemand kam der Frau zu Hilfe.
Am 2. Mai 2002 machte Lee Soon-ok aus Nordkorea vor dem Committee of International Relations des Repräsentantenhauses in Washington ihre Aussage über die Zustände im Frauengefängnis im nordkoreanischen Kaechon, dessen Insassen zu 80 Prozent Hausfrauen sind. Sie war zugegen gewesen, als drei Frauen ihre Kinder auf dem nackten Betonfußboden geboren hatten. »Es war schrecklich mit anzusehen, wie der Gefängnisarzt die schwangeren Frauen mit seinen Stiefeln in den Bauch trat. Sobald ein Baby geboren war, rief der Arzt: »Tötet das Kind auf der Stelle. Wie kommt eine inhaftierte Kriminelle dazu zu glauben, dass sie ein Kind haben kann?«
Nigeria, 2002. Amina Lawal wurde zum Tod durch Steinigung verurteilt, weil sie nach ihrer Scheidung ein uneheliches Kind erwartete. Sie sollte bis zum Hals eingegraben werden, und die Leute sollten so lange mit Steinen nach ihr werfen, bis ihr Schädel zertrümmert war.
Fayetteville, North Carolina. Im Sommer 2003 wurden am Militärstandort Fort Bragg innerhalb von nur sechs Wochen vier Frauen von ihren Ehemännern ermordet. Einer der Männer hatte 50-mal auf die Frau eingestochen, die er einmal zu lieben behauptet hatte.
Ostafrika. In einem Gebiet, das sich von Ägypten bis nach Somalia erstreckt, sind Schätzungen zufolge zwischen 80 und 100 Prozent der Frauen und Mädchen durch Klitorisbeschneidung verstümmelt. Einige dieser Frauen haben in den USA Asyl beantragt. Sie fordern für sich den gleichen Schutz wie Menschen, die in ihrer Heimat politischer Verfolgung ausgesetzt sind. Aber der Kampf, den diese Frauen austragen, ist viel älter als alle Schlachten, die je für Freiheits- oder Bürgerrechte geschlagen wurden.
* * *
Ich bin in Nordirland groß geworden, weitab vom Punjab, von Nordkorea und Ostafrika. Aber in einer Welt, in der das Wort »Fotze« die größte Verachtung ausdrückte, die ein Mensch einem anderen entgegenbringen kann. Wenn man jemanden wirklich widerlich fand, sagte »Fotze« alles.
Das Wort war auf die Mauern von müllübersäten Gassen geschrieben und an die Wände öffentlicher Toiletten gekritzelt, die nach Urin und Kot stanken. Nichts war schlimmer, als wie eine »Fotze« behandelt zu werden, und nichts so dumm wie eine »dumme Fotze«.
Die Stadt Belfast, in der ich aufgewachsen bin, hatte ihre eigenen spezifischen Animositäten. Der sektiererische Hass, von dem sie erfüllt war, machte sie zu einem Synonym für Gewalt und Blutvergießen. Aber einen Punkt gab es, in dem sich die verfeindeten Gruppen der Katholiken und Protestanten einig waren: der verachtenswerte gesellschaftliche Status der Fotze.
In dieser Hinsicht unterschied sich Belfast nicht sonderlich von anderen verarmten Industrieregionen Großbritanniens, in denen eine alltägliche Form der Frauenmissachtung, nämlich Gewalt in der Ehe, ziemlich weit verbreitet war. Männer mischten sich ein, wenn ein anderer Mann seinen Hund mit Fußtritten traktierte, fühlten sich aber nicht berufen einzugreifen, wenn eine Frau von ihrem Ehemann misshandelt wurde. Absurderweise war der Grund für diese Zurückhaltung die »Heiligkeit« der Ehe.
Als gegen Ende der sechziger Jahre die politischen Unruhen eskalierten, fanden frauenfeindliche Tendenzen auch im öffentlichen Raum sichtbaren Ausdruck. Katholische Frauen, die sich mit britischen Soldaten trafen, wurden auf die Straße gezerrt, gefesselt und (oft von anderen Frauen) festgehalten, während die Männer ihnen die Haare abschnitten, den Kopf kahl rasierten und sie dann teerten und federten. Anschließend band man sie an einen Laternenpfahl, wo sie von den Passanten begafft werden konnten, und hängte ihnen ein Schild um den Hals, auf dem – wieder eine sexuelle Verunglimpfung – das Wort »Hure« stand.
Vielleicht taten sie es den Franzosen nach, die sich die englisch sprechenden Nationen in sexuellen Dingen gewöhnlich zum Vorbild nehmen. Die Bilder, die sie nach der Befreiung Frankreichs von dort gesehen hatten, zeigten ja deutlich genug, was mit Frauen geschah, die sich mit deutschen Soldaten eingelassen hatten. Aber sie folgten auch der inneren Logik ihrer eigenen übermächtigen Gefühle, der gleichen Wut, die sich kurz und prägnant in dem Wort »Fotze« Bahn bricht.
Diese Logik hatte Tertullian (ca. 160–230 n. Chr.), einer der Gründerväter der römisch-katholischen Kirche, schon 1800 Jahre früher artikuliert, als er schrieb:
Du bist es, die dem Teufel Eingang verschafft hat, du hast das Siegel jenes Baumes gebrochen, du hast zuerst das göttliche Gesetz im Stich gelassen, du bist es auch, die denjenigen betört hat, dem der Teufel nicht zu nahen vermochte. So leicht hast du den Mann, das Ebenbild Gottes, zu Boden geworfen.1
Der Weg der Misogynie, des krankhaften Hasses auf Frauen, reicht weit, von den luftigen Höhen des Denkens griechischer Philosophen, die die Weltsicht der westlichen Gesellschaft mit geprägt haben, bis in die dunklen Gassen Londons im 19. Jahrhundert und auf die Autobahnen um Los Angeles, wo Serienmörder eine blutige Spur verstümmelter Frauenleichen hinterlassen haben. Ob in der christlichen Ästhetik des 3. Jahrhunderts oder unter dem Regime der Taliban in Afghanistan, stets hat sich dieser Hass in der Unterdrückung der weiblichen Sexualität niedergeschlagen. Mindestens einmal in der Geschichte, während der Hexenjagden im ausgehenden Mittelalter, gipfelte der Hass in einem Pogrom, in dessen Verlauf hunderttausende – einige Historiker sprechen von mehreren Millionen – Frauen auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Er findet sich in den Werken der größten und berühmtesten Künstler, die die Zivilisation hervorgebracht hat, ebenso wie in den vulgären Produkten der modernen Pornografie. Die Geschichte der Frauenfeindlichkeit ist wahrhaftig die Geschichte eines einmaligen, weil Jahrtausende alten Hasses, der Aristoteles mit Jack the Ripper, König Lear mit James Bond verbindet.
Auf der allerprivatesten Ebene wurde der Geschlechtsakt selbst zu einer Form der Erniedrigung und der Schande – der Erniedrigung für die Frau, die ihn erlebte, und der Schande für den Mann, der ihn vollzog. Im Belfaster Jargon hat das Verb »to stiff«, steif machen, zwei Bedeutungen: »mit einer Frau schlafen« oder »töten«. Aber Tod ist hier nicht im Sinne des französischen »petit mort«, des kleinen Todes, gemeint, mit dem das Sichfallenlassen in der ekstatischen Ohnmacht des Orgasmus umschrieben wird. Vielmehr ist das Opfer in diesem Fall, ganz gleich, in welchem Sinne das Wort verwendet wird, wertlos geworden, seiner Menschlichkeit vollkommen beraubt.
Es ist immer eine komplexe Angelegenheit, die Geschichte eines Hasses zu erforschen. An der Wurzel einer bestimmten Form von Hass, sei er rassistischer, religiöser oder politischer Natur, findet man fast immer einen Konflikt. Aber von allen Formen des Hasses, den Menschen füreinander empfinden können, geht es nur bei der Misogynie auch um dieses elementare Bedürfnis, das Verlangen des Mannes nach der Frau und der Frau nach dem Mann. Hier gehen Hass und Begehren auf merkwürdige Weise miteinander einher. Aus diesem Grund ist die Frauenfeindlichkeit ein so komplexes Thema: Sie basiert auf einem inneren Konflikt des Mannes. Und dieser Konflikt wird in den meisten Fällen nicht erkannt. In der katholischen Welt drückt sich dies in einem Phänomen aus, das auf den ersten Blick wie ein Widerspruch in sich wirkt. Da werden Frauen auf der Straße vielleicht geringschätzig behandelt, aber man braucht nur in eine x-beliebige Kirche zu gehen, schon sieht man sich mit dem Bild einer Frau konfrontiert, die zutiefst verehrt, ja angebetet wird.
* * *
Unsere Gemeindekirche in Belfast war ein unscheinbares Gebäude, wie viele der Kirchen in Irland, die um 1900 entstanden sind – also lange nach dem Niedergang der großen katholischen Sakralarchitektur, auf die eine von sentimentaler Frömmelei geprägte Zeit gefolgt war. Sie war aus rotem Backstein gebaut wie die kleinen Reihenhäuser, zwischen denen sie stand. Ein pseudogotisches Portal und ein Weihwasserbecken aus Porphyr waren die einzigen schmückenden Elemente an dem Gebäude. Auf dem Boden des Weihwasserbeckens bildeten sich allsonntäglich bis zum Ende der letzten Messe kleine, mit Fusseln vermischte Schmutzklümpchen.
Wenn man den düsteren Kirchenraum betrat, fiel der Blick auf die Statue einer jungen Frau in blauem Mantel, deren Haupt von einem Heiligenschein aus Sternen umschwebt war und die mit ihren hellen, zarten Füßen den Kopf einer sich windenden Schlange zertrat. Die Schlange streckte ihre gespaltene Zunge aus einem grellroten, aufgerissenen Maul. Aber ihr giftiger Biss konnte der Frau nichts anhaben: »Und es wurde hinausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt: Teufel und Satan, der die ganze Welt verführt, und er wurde auf die Erde geworfen, und seine Engel wurden mit ihm dahin geworfen.« (Offenbarung des Johannes 12,9)
Eine Jungfrau hatte den Teufel kraft ihrer vollkommenen, unangreifbaren Reinheit besiegt. Uns Kindern wurde das Böse, über das sie einen so triumphalen Sieg errungen hatte, als die Sünde des Fleisches, der Lust, des Verlangens nach Unaussprechlichem verkauft. Aber die Tatsache, dass die Schlange ein selbst für uns offensichtliches Sexualsymbol war, untergrub den pädagogischen Gedanken. Anstatt den Sieg der Reinheit über das körperliche Verlangen zu personifizieren, strahlte die Statue eine latente Sinnlichkeit aus – so, wie ihr Rocksaum ein klein wenig gelupft war und den zartgliedrigen Frauenfuß in intimster Berührung mit der sich windenden Schlange zeigte. Eines Tages würden wir begreifen, dass die Unterdrückung des Sexuellen ebenso wie die Pornografie eine Form der sexuellen Neurose ist.
Spätestens mit 15 hatten meine Freunde und ich kapiert, was die Jungfrau da im Staub zertrat. Das war die Rolle, die den Frauen von der Gesellschaft zugeschrieben wurde: anderen ihre Lustgefühle zu verwehren und sie in sich selbst zu unterdrücken.
Man muss nicht Philosophie studiert haben, um die Frauenfeindlichkeit in der Verwendung des Wortes »Fotze« zu erkennen. Aber im Marienkult zeigt sich, dass Misogynie ebenso in der Verklärung wie in der Erniedrigung von Frauen zu finden ist. Gleichgültig, welche Richtung sie nimmt, das Ergebnis ist das gleiche: die ihres Menschseins beraubte Frau.
Die Misogynie reicht weit zurück in der Geschichte, aber sie hat sich im Lauf der Jahrhunderte verändert und entwickelt, sie hat sich unter dem Einfluss gesellschaftlicher, politischer und vor allem religiöser Strömungen mal abgemildert, mal verschärft. Eine dramatische Wandlung erfuhr der institutionalisierte Frauenhass mit der Verbreitung des Christentums und der Lehre von der Erbsünde.
Wie an späterer Stelle in diesem Buch ausgeführt wird, ergab sich die Lehre von der Erbsünde daraus, dass in der christlichen Theologie drei mächtige Denkströme der Alten Welt zusammenflossen: der griechische Platonismus, der patriarchale Monotheismus der Juden und der Offenbarungsgedanke, wie er sich im Glauben an Jesus Christus ausdrückt, in dessen Person Gott selbst Mensch wurde, um sich direkt in die Angelegenheiten der Menschen einmischen zu können. Diese beispiellose Vermischung philosophischer, mystischer und historischer Sichtweisen schuf eine tragfähige ideologische Grundlage für die älteste Diskriminierung der Welt, indem die Empfängnis selbst zur Sünde erklärt wurde – der Erbsünde. Die Frau wurde in der Gestalt der Jungfrau Maria auf den Sockel gehoben, aber gleichzeitig wurde ihr die Verantwortung für die Erbsünde zugeschoben, dafür, dass der Mensch aus dem paradiesischen Zustand der Gnade Gottes vertrieben und den Schrecken des irdischen Lebens anheimgegeben wurde.
Die Frage, wie es zu diesem zweifachen Prozess der Entmenschlichung – einmal nach oben und einmal nach unten – kommen konnte, führt weit hinter den Marienkult zurück. Sie bringt uns zur Geschichte des ältesten Vorurteils, das in der einen oder anderen Form alle Umwälzungen überlebt hat, in denen Reiche und Kulturen und deren Lebens- und Denkweisen sang- und klanglos untergingen. Das misogyne Vorurteil hat auch die philosophischen und wissenschaftlichen Revolutionen überstanden, die unseren Blick auf die Welt auf Dauer verändert haben. Soziale und politische Unruhen haben dazu geführt, dass sich das Verhältnis zwischen dem Staat und seinen Bürgern gewandelt hat, Demokratien haben Oligarchien und Alleinherrscher verdrängt, doch wie ein böser Geist, den man nicht austreiben kann, meldet sich die Misogynie zur Stelle, um unserem Ideal von der Gleichheit aller Menschen Hohn zu sprechen. Sie ist so aktuell wie die neueste Pornoseite im Internet und so alt wie die Zivilisation selbst.
Denn wir sind die Erben einer uralten Tradition, wurzelnd in den Ursprüngen der großen Kulturen der Vergangenheit, die unser Bewusstsein so nachhaltig geprägt und den Dualismus geschaffen haben, der hinter unserer Tendenz steht, der Hälfte unserer eigenen Spezies das Menschsein abzusprechen. »Der Dualismus in der Welt ist das Unbegreifliche«, schrieb Otto Weininger, der österreichische Denker und vielleicht letzte westliche Philosoph, der die Frauenfeindlichkeit philosophisch zu begründen suchte, »das Motiv des Sündenfalles, das Ur-Rätsel: der Grund und Sinn und Zweck des Absturzes vom ewigen Leben in ein vergängliches Dasein, des Zeitlosen in die irdische Zeitlichkeit, das nie enden wollende Geraten des gänzlich Schuldfreien in die Schuld.«2
Vielleicht hilft es uns, das »Rätsel« zu lösen, wenn wir seine Geschichte begreifen. Aber um seine Wurzeln erforschen zu können, müssen wir uns ansehen, was vorher gewesen sein könnte. Wenn Frauen über Jahrhunderte systematisch diskriminiert wurden, gibt es dann auch eine Geschichte der Frauen vor der Frauenfeindlichkeit?
Diese Frage bewegt die Gemüter vieler, meist feministischer Historikerinnen, wenn sie die Geschichte der Frauen jenseits der ausgetretenen Pfade der Wissenschaft, auf denen Frauen bis vor kurzem nur in ihrer Beziehung zu den Männern und ansonsten eher gar nicht in Erscheinung getreten sind, zu erforschen suchen.
Geschichte war – und ist – weitgehend die Geschichte von Männern und ihrer Einflussnahme auf die Welt in allen ihren komplexen Bereichen: Religion, Politik, Militär, Gesellschaft, Philosophie, Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft. Nicht nur Feministinnen haben Geschichte in ihrem Wesen als Produkt einer patriarchalen Gesellschaft beschrieben, in der die Rolle und die Leistungen der Frauen heruntergespielt oder schlichtweg ignoriert werden. Innerhalb dieser Geschichte hat sich der Frauenhass zu verschiedenen Zeiten in verschiedenem Gewand offenbart. In den Augen mancher ist Geschichte nichts anderes als die Legende, die eine patriarchale Gesellschaft verbreiten will, und Misogynie ist die ihr zugrunde liegende Ideologie, ein Ideengebäude, mit dessen Hilfe die Überlegenheit des Mannes gegenüber der Frau erklärt werden soll.
Frustriert über diese historische Form des Tunnelblicks haben viele Feministinnen ihr Heil in der Vorgeschichte gesucht und eine ferne Vergangenheit mit matriarchalischer Gesellschaftsform konstruiert, in der Frauen durch ihre höhere soziale Stellung vor der Diskriminierung geschützt waren, die in späterer Zeit ihr Leben vergiften und das Frauenbild insgesamt aufs Negativste beeinflussen sollte.
Vom beginnenden 19. Jahrhundert an hat das matriarchalische Modell in dieser oder jener Form eine ungeheure Faszination auf Menschen unterschiedlichster Provenienz – von Friedrich Engels und Sigmund Freud bis zu den feministischen Vertreterinnen der New-Age-Bewegung Ende des 20. Jahrhunderts – ausgeübt. Es wurde von renommierten Wissenschaftlerinnen wie Marija Gimbutas propagiert und in Bestsellern wie Rosalind Miles’ Weltgeschichte der Frau einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Miles schreibt:
Denn am Anfang, als die Menschheit aus der Dunkelheit der Vorgeschichte aufbrach, war Gott eine Frau. Und was für eine! … Macht und Bedeutung der ersten weiblichen Gottheit sind eins der bestgehüteten Geheimnisse der Menschheitsgeschichte.3
Die Autorin entwirft eine Chronologie des Göttinnenkults, den sie in unmittelbarem Zusammenhang mit den matriarchalen Gesellschaften ansiedelt:
Wir sehen, dass der heilige Status der Weiblichkeit mindestens 25.000 Jahre lang währte. Einige Experten halten sogar einen Zeitraum von 40.000 oder 50.000 Jahren für möglich. Letztendlich gab es in diesem Abschnitt der Menschheitsgeschichte keine Phase, da die Frau nicht etwas Besonderes und Magisches darstellte.4
Schwierig wird es allerdings, wenn es darum geht, Beweise für die Existenz matriarchaler Gesellschaften zu finden. Und selbst wenn es solche Beweise gäbe, würde das an sich noch nichts an der Tatsache ändern, dass die Rolle der Frau in der Geschichte durch ihre Beziehung zum Mann definiert wird: Eine matriarchale Geschichtsdeutung setzt lediglich an die Stelle der untergeordneten eine dominante Stellung in der Gesellschaft. Aus der Zeit, in der das Matriarchat existiert haben soll, gibt es keine schriftlichen Überlieferungen. Immer wieder werden steinzeitliche Fundstücke wie die so genannten Venusstatuen, die in so weit auseinanderliegenden Gebieten wie Südfrankreich und Sibirien entdeckt wurden, als Beweis für die Verbreitung des Göttinnenkults im gesamten alteuropäischen Raum angeführt. Doch ganz so einfach ist die Deutung solcher Kunstwerke nicht. Für Vertreterinnen der Matriarchatstheorie belegen sie die Bewunderung und Verehrung, die Frauen in dieser Epoche entgegengebracht wurde. Andere interpretieren das Gegenteil in die Figuren hinein; ihre übertriebenen Proportionen, so argumentieren sie, legen nicht Verehrung und Bewunderung nahe, sondern wirken eher furchterregend. Aber selbst wenn bewiesen werden könnte, dass die Venusfiguren Ausdruck eines Göttinnenkults sind, hat die Geschichte doch gezeigt, dass Göttinnenverehrung nicht gleichbedeutend ist mit einer hohen gesellschaftlichen Stellung der Frau – gerade in der Zeit der mittelalterlichen Hexenverbrennungen erlebte die Marienanbetung eine ungeahnte Blüte.
Erst lange nach dem Ende der Altsteinzeit tauchte mit den Kelten eine vorklassische Kultur in Europa auf, die schriftliche Hinweise dafür lieferte, dass es eine matriarchalisch organisierte Gesellschaft gegeben haben könnte, bevor die Griechen und Römer der Geschichte ihren hegemonialen Stempel aufdrückten. Anhaltspunkte hierfür finden sich nicht nur in keltischen Mythen und Legenden, sondern auch in griechischen und römischen Schriften, in denen die empörenden Freiheiten kommentiert wurden, die Frauen in keltischen Kulturen genossen.
Sicher wäre es reizvoll, an die Existenz eines vergangenen Arkadien zu glauben, eines goldenen, aber verlorenen Zeitalters, in dem die Beziehung zwischen Frauen und Männern vollkommen harmonisch war; aber das ist illusionär. Bestenfalls könnte man – in Bezug auf die keltische Kultur zumindest – spekulieren, dass es einmal eine ausgewogenere Beziehung zwischen den Geschlechtern gegeben hat. In den folgenden Kapiteln wird gezeigt werden, dass diese Beziehung mit dem Aufstieg des griechischen und des römischen Reichs aus dem Gleichgewicht geriet, und wir werden den von Weininger benannten Dualismus unter die Lupe nehmen, den diese beiden Kulturen etablierten. In diesem Dualismus ist der Mann die These und die Frau die Antithese.
Im dualistischen Denken gibt es, anders als in der Dialektik, keine Synthese – der Konflikt zwischen den Geschlechtern ist auf ewig festgeschrieben. Frauen sahen sich mit einer Fülle philosophischer, wissenschaftlicher und juristischer Argumente konfrontiert, die dem Zweck dienten, ihre »naturgegebene Minderwertigkeit« gegenüber den Männern zu belegen und zu zementieren. Das Christentum fügte dem später noch sein theologisches Argument mit solchem Nachdruck hinzu, dass wir die Auswirkungen noch heute spüren.
Mit der Verbreitung der freiheitlichen Demokratie im Gefolge der Aufklärung nahm der lange Kampf um die politische und rechtliche Gleichstellung der Frauen seinen Anfang. Doch der institutionalisierte Frauenhass hat sich noch nie durch den Fortschritt aufhalten lassen. Als auf die politische und rechtliche Gleichstellung der Frauen in der westlichen Welt die sexuelle Revolution folgte, löste dies eine heftige Gegenreaktion fundamentalistischer Protestanten und konservativer Katholiken aus. In vielen Ländern der Dritten Welt bedrohte das Bestreben um die Durchsetzung von Frauenrechten tiefsitzende religiöse Überzeugungen und gesellschaftliche Konventionen. Die Entwicklung kulminierte im talibanregierten Afghanistan – einem Staat, der sich die Unterdrückung der Frau zum obersten Ziel gemacht hatte. Hier wurden Frauen per Gesetz aus dem öffentlichen Leben verbannt und ihrer Grundrechte beraubt – ähnlich den deutschen Juden im Nationalsozialismus, die durch die Nürnberger Gesetze zu Menschen zweiter Klasse erklärt wurden. Selten – wenn überhaupt je zuvor – hat sich das Wesen der Misogynie – die Entmenschlichung der Hälfte der Menschheit – so unverhüllt offenbart.
Frauenhass trifft uns wie kein anderer Hass, weil er auf unser tiefstes Inneres zielt. Er ist da angesiedelt, wo sich innere und äußere Welt überschneiden. Die Geschichte der Misogynie mag sich mit deren äußeren Folgen befassen, aber gleichzeitig zwingt sie uns, darüber nachzudenken, warum sich in der komplexen Beziehung des Mannes zur Frau ein solcher Hass breitmachen konnte. Am Ende sollte dieses Nachdenken die Menschen zu der Erkenntnis führen, dass die Gleichheit der Geschlechter der Boden ist, auf dessen Grundlage der Frauenhass überwunden und der ältesten Diskriminierung der Welt ein Ende gesetzt werden kann.
1 Tertullian, »De cultu feminarum« (»Über den weiblichen Putz«, deutsche Übersetzung von Heinrich Kellner), I.1, in: Private und katechetische Schriften, Reihe 1, Band 7, München, Kösel 1912
2 Otto Weininger, Geschlecht und Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung, Wien, Leipzig, Gustav Kiepenheuer Verlag und Wilhelm Braunmüller Verlag 1932, S. 373 f.
3 Rosalind Miles, Weltgeschichte der Frau, München, Piper 1993, S. 38 f.
4 Ebd., S. 40
Man kann den Zeitpunkt, an dem eine Diskriminierung beginnt, nur selten genau bestimmen. Aber wenn der Frauenhass einen Ursprung hat, dann irgendwann im 8. Jahrhundert v. Chr. irgendwo im östlichen Mittelmeerraum.
Um diese Zeit verbreiteten sich in Griechenland und Judäa Schöpfungsgeschichten von mythologischer Kraft, in denen vom Sündenfall des Menschen erzählt und die Schuld an allem daraus resultierenden Elend und Leiden den Frauen und ihrer Charakterschwäche angelastet wird. Beide Schöpfungsmythen sind fest im Weltbild der abendländischen Kulturen verankert, gespeist von ihren beiden einflussreichsten Quellen: In der jüdischen Tradition, wie sie in der Genesis erzählt (und zumindest in den Vereinigten Staaten von den meisten Menschen noch heute für wahr gehalten) wird5, ist Eva die Übeltäterin, bei den Griechen ist es Pandora.
Die Griechen sind die Gründungsväter unserer Geisteswelt. Ihre Vorstellung eines von Naturgesetzen bestimmten Universums, die der menschliche Geist erforschen und begreifen kann, ist das Fundament, das unserer Wissenschaft und Philosophie zugrunde liegt. Sie haben die erste Demokratie errichtet. Aber auch in der Geschichte des Frauenhasses nehmen sie eine herausragende Stellung als Wegbereiter eines negativen Frauenbildes ein, das sich bis in unsere Zeit gehalten hat und jede uns möglicherweise noch verbliebene Illusion, mit dem Aufstieg von Vernunft und Wissenschaft müsse zwangsläufig ein Niedergang von Vorurteilen und Hass einhergehen, zunichte macht.
Die erste schriftliche Überlieferung des Pandora-Mythos stammt von Hesiod, einem Bauern, der sich zum Dichter berufen fühlte und die Geschichte im 8. Jahrhundert v. Chr. in zwei epischen Dichtungen – Theogonie und Werke und Tage – aufschrieb. Seine als Bauer erworbenen Kenntnisse der Natur hinderten ihn nicht daran, in seinem Bericht von der Erschaffung der Menschheit einige grundlegende Tatsachen des Lebens zu ignorieren. Dem zufolge lebten die Männer nämlich, bevor die Frauen in Erscheinung traten, in seliger Selbstgenügsamkeit als Gefährten der Götter, »fern von Übeln, elender Mühsal und quälenden Leiden …«6. Wie in der biblischen Schöpfungsgeschichte ist die Frau nur ein nachträglicher Einfall. Aber in der griechischen Mythologie ist damit auch noch eine bösartige Absicht verbunden. Der Göttervater Zeus will die Männer bestrafen, indem er ihnen das Geheimnis des Feuers vorenthält, so dass sie das Fleisch roh essen müssen wie Tiere. Doch der Halbgott Prometheus, der die ersten Männer geschaffen hat, stiehlt das Feuer aus dem Himmel und bringt es auf die Erde. Wütend über diese Täuschung ersinnt Zeus eine beispiellose Gemeinheit in Form eines »Geschenks«: Er will den Männern »ein Übel geben, an dem jeder seine Herzensfreude haben und doch sein Unheil umarmen soll«: Pandora, das »Allgeschenk« – »weil alle Bewohner der olympischen Häuser ihr Gaben schenkten zum Leid der schaffenden Männer«7. Kalon Kakon, wie sie im Griechischen auch genannt wird, heißt »das schöne Übel«. Sie war so schön wie die Göttinnen selbst.
Von ihr kommt das schlimme Geschlecht und die Scharen der Weiber, ein großes Leid für die Menschen; sie wohnen bei den Männern, Gefährtinnen nicht in verderblicher Armut, sondern nur im Überfluss.8
Zeus weist die Götter an, Pandora einen »hündischen Sinn und verschlagene Art einzupflanzen«. Dann schickt er sie Epimetheus, dem jüngeren Bruder des Prometheus, als Geschenk. Der erliegt ihrem Zauber und nimmt sie zur Gemahlin. Pandora bringt ein großes versiegeltes Fass mit, das sie dem Willen der Götter nach niemals öffnen darf. Das Fass ist ein tönernes, bauchiges Gefäß, wie es als Vorratsbehälter für Wein und Olivenöl und in früherer Zeit auch als Sarg verwendet wurde.9 Pandora kann der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick hineinzuwerfen:
Das Weib aber hob mit den Händen den mächtigen Deckel vom Fass, ließ alles heraus und schuf der Menschheit leidvolle Schmerzen.10
Seither, so die griechische Mythologie, sind die Menschen dazu verdammt, sich zu plagen, zu altern, Krankheit und qualvollen Tod zu erleiden.
Mythen haben die Funktion, Fragen zu beantworten, wie wir sie als Kinder gestellt haben, etwa in der Art von: »Warum leuchten die Sterne?« oder: »Warum ist der Großvater gestorben?«. Sie dienen aber auch dazu, die bestehende – natürliche und soziale – Ordnung der Dinge zu rechtfertigen und prägen Traditionen, Überzeugungen und Rollen in der Gesellschaft. Einer der zentralen Glaubenssätze der griechischen und später auch der judaisch-christlichen Kultur besagte, dass der sterbliche Mann von den Göttern beziehungsweise von Gott nicht zusammen mit den Tieren, sondern in einem eigenen Schöpfungsakt geschaffen wurde. Dieser Glaube, der sich unter konservativen Christen beharrlich gehalten hat, ist auch der Grund, warum Darwins Evolutionstheorie bis heute auf so erbitterten Widerstand stößt. Der Besitz des Feuers galt als Beweis dafür, dass sich der Mann von den Tieren unterschied und dass er in der Artenhierarchie höher stand als diese. Aber dadurch, dass sich der Mann in den Besitz des Feuers brachte, trat er den Göttern zu nahe. Für diesen Hochmut nun wurde er mit der Frau bestraft, die ihn daran erinnern sollte, dass der sterbliche Mensch, gleichgültig was seine Herkunft und seine höheren Ziele sein mögen, genauso in die Welt eintritt wie das niedrigste Tier. Heute wird diese ursprünglich verächtliche Sicht von einigen ins Gegenteil verkehrt: Sie preisen gerade diese, wie sie es sehen, engere Verbindung der Frau zur Natur. Die Griechen jedoch sahen in der Natur eine Bedrohung ihres höheren Selbst, und die Frau war für sie die mächtigste (weil verführerischste) Verkörperung der Natur. Sie musste ihres Menschseins beraubt werden, obwohl sie den Fortbestand der Menschheit sicherte. Ihr gebührte Verachtung, weil sie die Lust entfachte, die uns in den Kreislauf von Geburt und Tod führt, aus dem es kein Entrinnen gibt.
Die Griechen schoben nicht nur Pandora die Schuld für die Sterblichkeit des Menschen in die Schuhe, sie definierten darüber hinaus die Frau als die Antithese zur männlichen These, das »Andere«, das in festen Grenzen gehalten werden musste. Vor allem aber legten die Griechen das philosophisch-wissenschaftliche Fundament für eine dualistische Sicht der Wirklichkeit, in der Frauen auf ewig dazu verdammt waren, diese wandelbare und grundsätzlich verachtenswerte Welt zu repräsentieren. Das ist eines der Paradoxa, mit denen wir uns heute konfrontiert sehen: dass einige der Werte, die uns am meisten bedeuten, in einer Gesellschaft geprägt wurden, in der Frauen erniedrigt, verunglimpft und geschmäht wurden. »Im Athen des Dunklen Zeitalters setzte sich eine auch dem heutigen Leser vertraute geschlechtsspezifische Rollenverteilung endgültig durch«11, schreibt die Historikerin Sarah Pomeroy. Das heißt, neben Platon und dem Parthenon verdanken wir Griechenland einige der billigsten geschlechtlichen Dichotomien wie die vom »guten« und vom »bösen« Mädchen.
Hesiod verfasste seine Schriften etwa fünf Jahrhunderte, nachdem die Stämme, aus denen später die Griechen wurden, als Eroberer in den Mittelmeerraum eingedrungen waren und neben dem griechischen Festland auch die umliegenden Inseln und die westlichen Küstengebiete Kleinasiens (die heutige Türkei) besetzt hatten. Im 6. Jahrhundert hatten sich die Griechen im Westen bis nach Sizilien, in die Küstenregionen Süditaliens und an die Südostküste Galliens (des heutigen Frankreich) ausgebreitet. Sie brachten ihr Pantheon kriegerischer Götter mit, deren Mächtigster Zeus mit dem Donnerkeil war. Nun ist eine Kultur noch nicht zwangsläufig frauenfeindlich, nur weil sie ein paar gewalttätige Kriegsgötter hat. Ältere Kulturgruppen, auf die die Griechen bei ihren Eroberungszügen stießen, wie die Ägypter oder die Babylonier beispielsweise, hatten Kriegsgötter in Hülle und Fülle, aber sie hatten nichts, was dem Mythos vom Sündenfall vergleichbar gewesen wäre. Im sumerischen Gilgamesch-Epos, das um 3000 v. Chr. in Mesopotamien entstand, gibt es einen Helden, der wie Prometheus die Götter herausfordert. Gilgamesch tut dies, indem er gleich ihnen Unsterblichkeit erlangen möchte; aber in diesem Fall wird keine Frau zum Instrument eines rachsüchtigen Gottes gemacht, der die Männer dafür bestraft, dass sie das Schicksal der Sterblichkeit nicht hinnehmen wollen. Gilgamesch macht auch nicht die Frauen für das »Los der Menschen« verantwortlich; daran, dass wir sterben müssen, sind die Götter schuld. Die Göttin, die über das Paradies herrscht, sagt zu Gilgamesch:
Gilgamesch, wohin läufst du? Das Leben, das du suchst, wirst du sicher nicht finden! Als die Götter die Menschheit erschufen, teilten den Tod sie der Menschheit zu, nahmen das Leben für sich in die Hand. Du, Gilgamesch – dein Bauch sei voll, ergötzen magst du dich Tag und Nacht! Feiere täglich ein Freudenfest! Tanz und spiel bei Tag und Nacht! Deine Kleidung sei rein, gewaschen dein Haupt, mit Wasser sollst du gebadet sein! Schau den Kleinen an deiner Hand, die Gattin freu’ sich auf deinem Schoß! Denn auch solcher Art ist des Menschen Los!12
In der nomadischen Kultur der Kelten, die sich etwas später in Nordwesteuropa ausbreitete, gab es zwar ebenfalls jede Menge Geschichten vom gefundenen und verlorenen Paradies, aber den Mythos vom Sündenfall sucht man auch hier vergebens. Wie die Sumerer stellten sich die Kelten das Paradies als blühenden Garten vor, in dem schöne Frauen herrschen und die Männer verführen, sich einem Leben in Glückseligkeit hinzugeben. Der einzige Konflikt, der daraus resultiert, ist der innere Zwiespalt des Mannes, der zwischen Heimweh und seinem Verlangen nach den Frauen des Gartens hin- und hergerissen ist. Hier gibt es die Lust, aber ganz ohne negative Folgen. Die Kelten kennen keine Entsprechung der Pandora oder der Eva.
Die Götter des Pantheon – der Überlieferung nach auf dem Olymp angesiedelt – wurden zu den Nationalgöttern Griechenlands und erhielten ein paar charakteristische Wesenszüge. Vier der fünf höheren Göttinnen sind entweder jungfräulich oder geschlechtslos. Die wichtigste von allen, Athene, ist so androgyn wie die Freiheitsstatue im Hafen von New York. Sie wird gewöhnlich mit Schild, Schwert und Helm dargestellt, gekleidet in ein langes, schweres Gewand, das ihre Körperformen verhüllt. Aphrodite, die Göttin der Liebe, verhält sich gelegentlich wie ein himmlischer Schwachkopf. Die Geschlechtslosigkeit der griechischen Göttinnen steht in eklatantem Gegensatz zur gewalttätigen Draufgängernatur ihrer männlichen Gegenparts. Und zu allem Überfluss steht dem griechischen Pantheon mit Zeus ein Serienvergewaltiger als Göttervater vor. Fast alle seine zahlreichen Nachfahren sind durch Vergewaltigung einer sterblichen Frau gezeugt, mit Ausnahme von Athene und Dionysos, die Zeus höchstpersönlich gebiert. Athene entspringt – in voller Rüstung, mit Schwert und Schild – dem Kopf des Zeus, Dionysos wird aus seinem Schenkel geboren.
Alle Religionen verlangen von uns, dass wir an das Unmögliche glauben. Im Schöpfungsmythos um Pandora, in dem Männer ohne weibliches Zutun das Licht der Welt erblicken können, drückt sich die männliche Wunschvorstellung von einer autarken, von Frauen gänzlich unabhängigen Existenz aus. Der unmögliche Wunsch gipfelt im griechischen Pantheon in dem männlichen Anspruch, Frauen ausgerechnet da für überflüssig zu erklären, wo sie tatsächlich unentbehrlich sind – bei der Fortpflanzung. So absurd der Mythos vom Göttervater, der zur Mutter der Götter wird, auch klingen mag, erhielt er doch Auftrieb durch Aristoteles’ Lehre, in der die Rolle der Mutter während der Schwangerschaft als eine rein nährende definiert ist. Er sah sie als passive Empfängerin des männlichen Samens, der außer der Umgebung alles enthält, was der Fötus zu seiner Entwicklung benötigt. Was immer die Frauen können, die Männer können es offenbar besser – auch wenn man noch von keinem griechischen Mann gehört hat, der sich darum gerissen hätte, Möglichkeiten seiner Befruchtung und Gebärfähigkeit zu erforschen.
Die Frauenfeindlichkeit breitete sich in Griechenland im 8. Jahrhundert v. Chr. genau zu der Zeit aus, als der Einfluss der Familiendynastien nachließ und die Macht auf den Staatskörper des Stadtstaates überging. Die Historikerin Susan Blundell schreibt:
Wo die politische Macht im Herrscherhaus wurzelte, waren die Grenzen zwischen familiären und politischen, zwischen privaten und öffentlichen Dingen nicht annähernd so scharf gezogen. Die Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen war fließend, und so kam es, dass eine Frau – in Abwesenheit ihres Mannes – politische Macht ausüben konnte.13
Bündnisse zwischen Adelsfamilien waren von großer Bedeutung, und die Frauen spielten beim Knüpfen solcher Bande eine entscheidende Rolle. Das spiegelt sich im Werk Homers, eines der begnadeteren Zeitgenossen Hesiods. In der Ilias, der Geschichte von der Belagerung Trojas, hat Menelaos von Sparta seiner Gattin Helena die Königswürde zu verdanken. Für ihn ist es nicht nur ihrer unvergleichlichen Schönheit wegen lebenswichtig, Helena wiederzubekommen, nachdem sie sich mit Paris nach Troja davongemacht hat, sondern vor allem deshalb, weil sein Thron davon abhängt.
In der Ilias und in der Odyssee greift Homer auf Geschichten aus der älteren dynastischen Zeit zurück. In diesem ursprünglichen Stoff sind Frauen im Allgemeinen positiv porträtiert: Sie sind komplexe, starke Charaktere und gehören zum Einprägsamsten, was die Literatur zu bieten hat. Das Ende dieser Periode ging einher mit dem Übergang von der Hirtenkultur zu einer arbeitsintensiveren Ackerbauwirtschaft, in der die Sicherung von Besitz ein wichtiges Anliegen war. Aber wie jede andere Form eines tiefsitzenden Hasses kann man die Frauenverachtung, die aus Hesiods Werken und überhaupt aus den noch existierenden Schriften des 8. Jahrhunderts spricht, nicht allein auf die Veränderungen der politischen und gesellschaftlichen Strukturen zurückführen. Sie schufen lediglich den Rahmen, der es Männern leicht machte, sich als Frauenhasser zu profilieren.14 Die Frau, gegen die sich dieser Hass am vehementesten Bahn brechen konnte, war eine Erfindung des 8. Jahrhunderts: Helena von Troja, Playmate der griechischen Misogynie, das Gesicht, »das tausend Schiffe trieb, [das] Trojas Feste hat in Brand gesteckt«15.
Helenas Mutter Leda war eines von Zeus’ Vergewaltigungsopfern, sie wurde von ihm in Gestalt eines Schwans heimgesucht. Aber in ihrer bemerkenswerten Rolle als vielschichtige Ikone, die sowohl Lust als auch Abscheu erregt, ist Helena in Wahrheit eher eine Tochter der Pandora. Wie bei dieser ist ihre Schönheit eine Falle. Sie weckt ein ungeheures Verlangen in den Männern. Aber wer dem Verlangen nachgibt, öffnet die Schleusen der blutigen Zerstörung. In der Ilias schmäht Helena sich selbst als »schnödes, unheilstiftendes und schändliches Weib« und wiederholt damit die Charakterisierung der Pandora.16 Auf der Höhe der griechischen Klassik wird der Selbsthass zu einem Wesenszug der Frauenfiguren in manchen der großen Dramen, und Helena wird zum zentralen Objekt der Misogynie. Sie ist die Schlächterin und der Fluch der Männer, Hure und Vampir, Zerstörerin von Städten, vergifteter Kelch und Männerfresserin – so ziemlich jedes frauenfeindliche Klischee wird ihr übergestülpt. In Euripides’ Die Troerinnen warnt Hekabe, die Witwe des Priamos, den siegreichen spartanischen König Menelaos:
O töte sie, ich preise dich darum!Schau sie nicht an, sie weckt die alte Glut! Sie fängt die Männer, sie zerstört die Stadt, Verbrennt die Häuser mit dem Zauberblick, Wir alle kennen ihn zu unserm Leid.17
Hekabes mahnende Worte sind vergebens. Menelaos braucht Helena so sehr und so groß ist sein Verlangen nach ihr, dass er es nicht über sich bringt, sie zu bestrafen. Er nimmt sie mit nach Sparta zurück, wo sie ihr Eheleben fröhlich wieder aufnehmen, während den anderen Frauen nichts bleibt als ein Leben in Sklaverei und Wehklagen um ihre verlorenen Ehemänner, Väter und Söhne.
Die Geschichte der Helena ist wie die der Pandora eine Allegorie, in der körperliches Begehren und Tod untrennbar miteinander verbunden sind. Mit dem Verlust ihrer Jungfräulichkeit – dem Öffnen des Fasses – bringt Pandora den Tod in die Welt, so wie Paris’ Verlangen nach Helena den Krieg mit allen seinen Schrecken entfesselt. Allegorien dieser Art sind Ausdruck dessen, was Sigmund Freud als den ewigen Kampf zwischen Eros und dem Destruktions- oder Todestrieb – Thanatos – beschreibt.18 In einer frauenverachtenden Kultur lernen Frauen, schwere Schuldgefühle zu empfinden, weil ihre Schönheit Begierde weckt und so den Kreislauf von Leben und Tod initiiert.
Dieser komplizierte Tanz von Eros und Thanatos spielt auch in anderen Kulturen und Mythologien eine Rolle, hier aber vor allem als unausweichlicher Teil des Lebens. Mit den Göttinnen der keltischen Mythologie wird das Prinzip des Lebens wie des Todes assoziiert. Diese Doppelrolle wird jedoch nicht dualistisch, also als zwei ständig miteinander im Kampf liegende Prinzipien, interpretiert. Die Kelten sehen ihre Göttinnen als diejenigen, die unbefangen die Kräfte des Lebens und des Todes miteinander versöhnen, so wie es jede Mutter in Wirklichkeit tut: Indem sie Leben in die Welt setzt, bringt sie auch den Tod. Im Verständnis der Kelten ist diese Versöhnung von Leben und Tod kein Grund für Schuldzuweisungen und Vorwürfe, sondern sie liegt einfach in der Natur der Dinge. Aber in der dualistischen Weltsicht der Griechen verkörpert die Natur die Schwächen und Grenzen des Menschen, und die Frau verkörpert die Natur. Das macht sie für den Mann zur verhassten, Fleisch gewordenen Mahnung, die ihn permanent an seine Schwächen erinnert. Das ist die Sünde der Pandora und ihrer Töchter, für die das Patriarchat, von seinen Märchen bis zu seinen philosophischen Lehren, alle Frauen bestrafen will.
»Ein durchgängiges Prinzip der Mythologie lautet: In dem, was bei den Göttern dort oben geschieht, spiegeln sich immer Ereignisse auf der Erde«19, schreibt der britische Dichter Robert Graves. Beziehungs- und Verhaltensmuster, die ihre Legitimation in der Mythologie finden, schlagen sich in der Regel im Gesetzeswerk und in gesellschaftlichen Konventionen nieder. Im 6. Jahrhundert v. Chr. offenbarte sich dies in den neu entstandenen Demokratien und Stadtstaaten wie beispielsweise Athen, wo sehr schnell ein restriktiver Verhaltenskodex für Frauen entwickelt wurde.
Einem modern denkenden Menschen mag die Vorstellung, dass der gesellschaftliche Status der Frauen mit dem Aufkommen der Demokratie niedriger wurde, als eklatanter Widerspruch erscheinen. Aber Gleichberechtigung und allgemeines Wahlrecht waren nicht das ideologische Fundament, auf der die griechische und die römische Demokratie errichtet wurden. Beides waren Sklavenhaltergesellschaften, in denen demokratische Rechte nur für die erwachsenen männlichen Bürger galten. In einer Sklavenhaltergesellschaft hätte die Prämisse, dass alle Menschen gleich geboren werden, in einem offensichtlichen Widerspruch zu einer ebenso eigennützigen wie allgemeingültigen Wirklichkeit gestanden. Sklaverei war das »natürliche« Produkt systemimmanenter Ungleichheiten. In einer Gesellschaft, in der bereits eine Form der Ungleichheit institutionalisiert ist, hat es eine andere nicht schwer, sich durchzusetzen.
Gesetze, die vorschrieben, wie Frauen sich zu verhalten hatten und welche Möglichkeiten der Entfaltung sie genossen, belegen aufs anschaulichste und drastischste, wie Hesiods Allegorie der Frauenfeindlichkeit zu einem gesellschaftlichen Faktum wurde. Rechtlich gesehen standen Frauen in Athen auf der Stufe eines Kindes und blieben ihr Leben lang unter der Vormundschaft eines Mannes. Eine Frau durfte das Haus nur in Begleitung eines Aufpassers verlassen. Sie wurde selten mit ihrem Mann zu Tisch geladen und wohnte in einem abgetrennten Bereich des Hauses. Offizielle Bildungswege blieben ihr verschlossen. »Ein Weib soll sich nicht im Denken üben. Denn das wäre arg«, wusste der Philosoph Demokrit dazu zu sagen. Frauen wurden verheiratet, wenn sie die Pubertät erreichten, nicht selten mit einem Mann, der doppelt so alt war wie sie selbst. Der Altersunterschied und das geringere Maß an Lebenserfahrung und Bildung stärkten die Vorstellung von der naturgegebenen Minderwertigkeit der Frau. Den Ehemännern zur Warnung legt Menander einer Figur in einem seiner Lustspiele die Worte in den Mund: »Wer seine Frau das Schreiben lehrt, ist schlecht beraten: Er gibt einer Schlange noch zusätzliches Gift.«20
Ehebruch des Mannes galt nicht als Scheidungsgrund. (Dieser Grundsatz hielt sich in England noch bis 1923, ein Beleg dafür, wie stark die britische Oberschicht vom Geist der griechischen Klassik durchdrungen war.) Wenn aber eine Frau Ehebruch beging oder vergewaltigt wurde, musste ihr Mann sie verstoßen, sonst wurden ihm seine Bürgerrechte aberkannt. So gesehen waren die Frauen in der ersten Demokratie der Welt schlimmer dran als im autokratisch regierten Babylon. Unter dem 1750 v. Chr. von König Hammurabi entworfenen Gesetzeswerk hatte ein Ehemann, dessen Frau des Ehebruchs überführt worden war, immerhin das Recht, diese zu begnadigen.
Einvernehmlicher Geschlechtsverkehr mit der Ehefrau eines anderen war in Griechenland ein schwereres Vergehen als die Vergewaltigung derselben. Im Prozess gegen einen Mann, der beschuldigt wird, den Liebhaber seiner Frau ermordet zu haben, liest der Anwalt der Verteidigung aus den Gesetzestexten des Solon aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. eine Passage vor, in der es um Vergewaltigung geht:
Daher also, hohes Gericht, war der Gesetzgeber der Meinung, dass der Vergewaltiger eine niedrigere Strafe verdiene als der Verführer: Für Letzteren hat er die Todesstrafe vorgesehen, für Ersteren nur eine Geldstrafe. Er ging davon aus, dass diejenigen, die Gewalt anwenden, von den Personen, gegen die sich diese Gewalt richtet, gehasst werden, während diejenigen, die ihr Ziel mit schmeichelnden Worten erreichen, sich so im Denken der Frauen einnisten, dass die Ehefrauen anderer Männer sich ihnen stärker verbunden fühlen als ihrem eigenen Gatten, so dass der ganze Haushalt in ihrer Gewalt ist und nicht mehr mit Sicherheit gesagt werden kann, ob der Vater der Kinder der Ehemann oder der Liebhaber ist.21
Der Ehemann verteidigte sich mit dem Argument, es sei sein gutes Recht gewesen, den Liebhaber seiner Frau zu töten, weil er die beiden in flagranti erwischt habe. Wurde eine Frau Opfer einer Vergewaltigung, so hatte sie mit der gleichen Strafe zu rechnen wie eine Ehebrecherin, durfte nicht mehr an öffentlichen Feiern teilnehmen und keinen Schmuck mehr tragen. Wie in fundamentalistischen muslimischen Kreisen unserer Zeit wurde dem Opfer die Schuld für die Vergewaltigung zugeschoben. Sie wurde mit gesellschaftlicher Ächtung bestraft, ein furchtbares Los in einem so eng gefügten Gemeinwesen wie dem Stadtstaat.22
Solon beschnitt die Freiheit der Frauen noch auf anderen Gebieten: Ihr öffentliches Auftreten bei Beerdigungen, wo ihnen eine Rolle als bezahlte Klageweiber zugestanden wurde, und an Feiertagen wurde gesetzlich geregelt, die Möglichkeit, privaten Reichtum zur Schau zu stellen, eingeschränkt. Sie durften Land weder kaufen noch verkaufen und mussten, wenn sie noch unverheiratet waren und keine Brüder hatten, beim Tod des Vaters dessen nächsten männlichen Verwandten ehelichen. Söhne, die aus dieser Ehe hervorgingen, erbten allen vorhandenen Landbesitz. Auf diese Weise wurden die Frauen zum »Vehikel, durch das der Besitz in der Familie gehalten werden konnte«23. Selbst nach der Eheschließung stand die Frau weiterhin unter dem Einfluss ihres Vaters, der das Recht für sich in Anspruch nehmen konnte, ihre Ehe zu annullieren und sie mit einem anderen Mann zu verheiraten, wenn ihm das vorteilhaft erschien. Einem anderen, ebenfalls Solon zugeschriebenen Gesetz zufolge durfte kein Bürger von Athen einen anderen freien Bürger versklaven (auf Personen, die nicht das Stadtbürgerrecht besaßen, traf das Gesetz nicht zu), mit einer Ausnahme: Ein Vater oder Haushaltsvorstand durfte die unverheiratete Tochter des Hauses in die Sklaverei verkaufen, wenn sie vor der Ehe ihre Unschuld verloren hatte.
Um die Unschuld der »braven« Mädchen vor Aufdringlichkeiten zu schützen, mussten »böse« Mädchen her, die die sexuellen Bedürfnisse der Männer befriedigten. Die Legalisierung staatlicher Bordelle, die mit Sklavinnen und Ausländerinnen besetzt wurden, waren die Folge. Während die braven Mädchen nur einer Kategorie (Ehefrau/Mutter) zuzuordnen waren, gab es bei den bösen Mädchen Abstufungen von der umsorgten Hetäre – der antiken Entsprechung der Kurtisane – bis zur einfachen Hure, die jeder gegen einen geringen Obolus auf dem Straßenstrich in der Nähe der Müllplätze, wo die Menschen ihre Notdurft verrichteten, aufgabeln konnte. Die Sexualität der Prostituierten war eine öffentliche Dienstleistung; sie hatte den Stellenwert einer Kanalisation, über die die körperlichen Begierden der Männer abgeleitet wurden.24
»Wir heiraten das Weib, um eheliche Kinder zu erhalten und im Hause eine treue Wächterin zu besitzen; wir halten Beischläferinnen zu unserer Bedienung und täglichen Pflege, die Hetären zum Genuss der Liebe«, soll Demosthenes, der bedeutendste Redner des antiken Athen, einmal gesagt haben. Diese Abgrenzung, die weibliche Tugend mit Asexualität gleichsetzt, wird bis heute dazu benutzt, Frauen zu entmenschlichen.
Angesichts der Vielzahl der Grenzen, die den Frauen gesetzt waren, verwundert es nicht, dass unter den Männern die Beschäftigung mit dem Thema Grenzüberschreitung durch Frauen fast obsessive Züge annahm. Symptomatisch für diese Obsession war die Faszination der Griechen für die Amazonen, dieses legendäre Volk von Frauen, das die männlichste aller Domänen, nämlich die organisierte Kriegsführung, für sich erobert hatte. Zum ersten Mal im 5. Jahrhundert bei Herodot (dem Vater der Geschichtsschreibung) erwähnt, tauchen die Amazonen in der griechischen Kunst und Literatur immer wieder auf, und das Thema hat sich bis heute gehalten. Der griechischen Überlieferung zufolge lebten die Amazonen an den Grenzen der Zivilisation und widmeten sich ausschließlich ihren kriegerischen Ambitionen. Männer ließen sie nur in ihre Nähe, wenn sie sich paaren wollten, von den Sprösslingen dieser Begegnungen zogen sie nur die weiblichen auf, die männlichen Kinder wurden ausgesetzt. Die Amazonenkultur ist das Spiegelbild des patriarchalen Athen. In der Amazone trifft die männliche Fantasie vom autarken Mann auf ihr alptraumhaftes Gegenteil, die autarke Frau.
Die Faszination der Männer für die kriegerische Amazone hat eine lange Geschichte; sie reicht von der Antike bis zur Comic-Heldin Wonder Woman und den Profi-Wrestlerinnen unserer Zeit. Was Amazonen und Wrestlerinnen verbindet, ist die Tatsache, dass ihr Kampf kein Kampf ist, sondern reine Fantasie. Die mit einer gewissen Lustangst einhergehende Faszination der Männer jedoch ist real und nahm bei den Athenern ein Ausmaß an, das an Besessenheit grenzte. Kämpfe zwischen Männern und Amazonen gehörten in der Antike zu den beliebtesten Frauenabbildungen überhaupt. Bis heute sind mehr als 800 entsprechende Kunstwerke erhalten, von denen bei weitem die meisten aus Athen stammen.25 Das Amazonenmotiv ziert so ziemlich alles vom Tempel bis zur Amphore und zum Trinkgefäß. Wohin sich ein Athener auch wenden mochte, unweigerlich fiel sein Blick auf eine Szene, in der ein Mann mit erhobenem Schwert oder Speer eine Frau an den Haaren vom Pferd zerrt, mit einem Dolch auf sie einsticht oder sie zu Tode knüppelt, wobei seine Speerspitze auf ihre entblößte Brust zeigt, während ihre kurze Tunika über die Schenkel hochgerutscht ist. Der heiligste Tempel von Athen, der Parthenon, wurde 437 v. Chr. zu Ehren von Athene, der Schutzgöttin der Stadt Athen, und zur Feier des Sieges der Griechen über die persischen Eindringlinge errichtet. Doch das Bild, das man als Schmuckwerk für Athenes Schild wählte, hatte keinerlei Bezug zu historischen Ereignissen. Es zeigt den sagenhaften Sieg des mythologischen Stadtgründers Theseus über ein einfallendes Amazonenheer. Die Beliebtheit solcher Szenen ist nicht nur damit zu erklären, dass sie das einzige Motiv boten, in dem Frauen nackt oder teilweise unbekleidet abgebildet werden konnten. (Ansonsten durfte den gesellschaftlichen Konventionen zufolge nur der männliche Körper entblößt dargestellt werden). Die Szene wiederholt sich mit pornografischer Hartnäckigkeit. Aber wie in der Pornografie kann die Wiederholung nicht über die drängenden Ängste hinwegtäuschen, die ihr zugrunde liegen.26
Die Ängste des Mannes vor der Frau, die ihr gesetzte Grenzen überschreitet, finden ihren nachhaltigsten und denkwürdigsten Ausdruck in den griechischen Dramen. Sämtliche erhaltenen Tragödien wurden innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne im 5. Jahrhundert von attischen Dichtern geschrieben. Es gibt nur ein einziges Stück aus dieser Zeit, nämlich Philoktetes von Sophokles, in dem keine Frau vorkommt. In den Titeln von mehr als der Hälfte aller Tragödien taucht der Name einer Frau oder eine andere weibliche Anspielung auf. Das Interesse der Dichter richtete sich auf Frauen und ihre ungeheuerlichen Taten.
Die Handlung der Tragödien basierte fast ausschließlich auf Homers großen Epen, ihre Charaktere waren seinen bronzezeitlichen Helden, Heldinnen und Schurken nachempfunden. Es war in etwa so, als wären heutige Dichter einer literarischen Konvention verpflichtet, die sie zwingt, Stoff und Personal all ihrer Romane auf der Artussage aufzubauen. Daher wurde immer wieder die Frage gestellt, wie viel wir aus diesen Dramen tatsächlich über das Leben und die Probleme real existierender Frauen jener Zeit erfahren können. Die Frage ist jedoch nicht, wie wirklichkeitsgetreu sie das Leben der damaligen Frauen wiedergeben, sondern ob das, was sie uns über die gesellschaftlichen Ängste in Bezug auf das Verhältnis zwischen Männern und Frauen verraten, ein realistisches Bild der Situation vermittelt. Und dass sie das tun, steht außer Zweifel.27
In Medea von Euripides ermordet die gleichnamige Heldin ihre Kinder, um sich an ihrem Mann, dem mythologischen Helden Jason, zu rächen, als dieser sie verlässt und eine andere Frau heiraten will. In Agamemnon von Aischylos nimmt sich Klytaimnestra einen Geliebten, als ihr Mann gen Troja in den Krieg zieht; nach seiner Heimkehr ermordet sie ihn und reißt die Staatsmacht an sich. In Sophokles’ Elektra überredet Agamemnons Tochter ihren sich sträubenden Bruder Orest, aus Rache für den Mord an ihrem Vater nunmehr ihre Mutter Klytaimnestra zu töten. Antigone erzählt die Geschichte einer Frau, die entgegen dem Verbot ihres Onkels Kreon ihren Bruder bestattet und dafür zum Tod durch Einmauern verurteilt wird. In Euripides’ Tragödie Die Bakchen wird berichtet, wie die Anhängerinnen des orgiastischen Weingottes Dionysos in Amazonen verwandelt werden. Sie ziehen plündernd durch die Lande, zerstören alles, was ihnen in den Weg kommt, besiegen einen Trupp Soldaten im Kampf und zerreißen König Pentheus bei lebendigem Leib, als er sie heimlich bei einer ihrer angeblichen Orgien beobachten will.
In allen diesen Geschichten nimmt die Tragödie ihren Lauf, wenn sich Frauen gegen das patriarchalische System auflehnen und zeitweise die Fesseln sprengen, die dieses System ihnen auferlegt hat. Indem sie dies tun, berufen sie sich auf das Recht, das die »Natur« fordert. Nicht selten geschieht die Auflehnung im Namen der Familie, deren Belange über die Ansprüche des Staates gestellt werden. »So geh hinunter, wenn du lieben willst, und liebe dort! Mir herrscht kein Weib im Leben«28, ereifert sich Kreon, als Antigone verkündet, dass sie sich aus Liebe zu ihrem Bruder verpflichtet fühlt, diesen gegen das königliche Gesetz anständig zu begraben.
Sich auflehnend überschreiten die tragischen Heldinnen die Grenze zu einem gesellschaftlich nicht annehmbaren weiblichen Verhalten und nehmen dadurch maskuline, fast amazonenhafte Züge an. Als Antigone gegen das königliche Gesetz rebelliert, wird sie von ihrer Schwester Ismene ermahnt: »Dies auch denke, Weiber sind wir und dürfen so nicht gegen Männer streiten.«29
Die Botschaft ist ambivalent, wenn nicht gar widersprüchlich. Einerseits zeigt der Dichter Verständnis für die Frauen, die durch Leid und Unterdrückung zur Auflehnung getrieben wurden, andererseits unterstreicht er in der daraus resultierenden Gewalt und Barbarei das Bild von den Frauen als Naturereignis, als wilde und irrationale Geschöpfe, die eine Bedrohung der von Männern geordneten Welt sind. Am vehementesten wird dies in einem Werk zum Ausdruck gebracht, das geradezu beispielhaft ist für die Frauenfeindlichkeit damaliger Literatur, nämlich in Hippolytos von Euripides:
Fluch euch! Ich werde nimmer satt, die Weiber Zu schmähn, ob man auch spöttelt, dass ich’s tu.Denn immer sind von Grund aus schlecht auch sie. Und wer sie nicht zur Keuschheit kann erziehn, Gestatte mir, auch künftig sie zu schmähn.30
Auch wenn die Ungerechtigkeiten, unter denen die Frauen zu leiden haben, erkannt werden, bleibt doch die Notwendigkeit bestehen, die patriarchale Ordnung zu verteidigen, in deren Rahmen sie geschehen.
Die Sicht der Frau als »das Andere«, als Antithese des Mannes, spricht deutlich aus den griechischen Dramen. Dafür, dass sich dieser Dualismus der Geschlechter in der abendländischen Kultur so nachhaltig eingebürgert hat, tragen nicht zuletzt Platon und Aristoteles die Verantwortung, die ihn philosophisch und wissenschaftlich untermauert haben.
Platon (429–347 v. Chr.) wird von vielen als der bedeutendste und einflussreichste Philosoph aller Zeiten – von der Antike über das Mittelalter bis zur Neuzeit – angesehen. Seine Ideen über das Wesen der Welt haben sich überall dort, wo die abendländische Kultur und ihr kämpferischster Eroberungstrupp, das Christentum, Fuß fassen konnten, ausgebreitet und die intellektuelle und geistige Entwicklung in Erdteilen und Ländern beeinflusst, die zu Platons Zeit noch gar nicht entdeckt oder erforscht waren. Aber Platons Beitrag zur Geschichte der Misogynie birgt auch Widersprüche.
So wird Platon gelegentlich als erster Feminist gepriesen, weil er in seinem Hauptwerk, Politeia