Miß Gwen und der Kapitän - Axel Rudolph - E-Book

Miß Gwen und der Kapitän E-Book

Axel Rudolph

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Beschreibung

Die betörend schöne Gwendolyn Torrel und der Kapitän Jeff Boysen – stets dem Alkohol zugeneigt – sind die Hauptfiguren dieses ungewöhnlichen Seefahrer-Romans. Gwen ist die Eignerin einer wunderschönen Yacht und sie sucht händeringend einen tüchtigen Seemann und Kapitän. Trotz seiner etwas abgerissenen Erscheinung macht Jeff Boysen einen kompetenten Eindruck auf sie und sie stellt ihn ein. Das erste Ziel ist New York und neben der Mannschaft gibt es eine illustre Gästeschar auf dem Schiff. Den jungen Millionär Freddy Williams mit seiner Tante, Mr. Charles Brooks, die temperamentvolle Ungarin Ilona Jabonik, Graf Zech und den Hamburger Millionär Fahrendorf. Freddy Williams ist durch Glücksspiel verschuldet und hofft, dass ihn die angeblich schwerreiche Gwen heiratet. Auch die anderen Gäste verfolgen ehrgeizige Ziele. Der erste Eklat droht, als plötzlich der wertvolle Schmuck der Elisabeth Williams verschwunden zu sein scheint. Doch in New York kommt es zum großen Showdown. Der Kapitän wird gezwungen abzumustern, drei neue Matrosen mit Galgengesichtern kommen an Bord und kurz darauf taucht die Polizei auf und verhaftet den neuen Kapitän. Die bezaubernde Gwen ist völlig ratlos. Wie soll das alles weitergehen?-

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Axel Rudolph

Miß Gwen und der Kapitän

Saga

Miß Gwen und der KapitänCopyright © 2019 Axel Rudolph und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711445174

1. Ebook-Auflage, 2019 Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

Absprache mit SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

Der wackere Jep Boysen sass breit und massig hinter dem verscheuerten, bierfleckigen Holztisch wie ein klobiger Holzstamm, der an Land getrieben ist und sich festgekeilt hat: so! Hier bin ich und da bleib ich! Es war, nach den Strichen zu urteilen, die der Kellner auf den Bierfilz gemalt hatte, der dritte Grog, der den Weg durch die durstige Kehle Jep Boysens nahm. Der dritte hier, im „Grossen Fass“, vorher hatte er bestimmt schon in verschiedenen anderen Kneipen vor Anker gelegen. Von drei steifen Grogs pflegten Jep Boysens Augen nicht so selig verschwommen auszusehen, wie sie es jetzt taten. Nebenbei bemerkt: es war 11 Uhr vormittags.

„Schön ist jeder Tag, den du mir schenkst, Marie Luise“, schnarrte in einer Ecke die Konservenmusik eines alten Grammophons. Dazwischen klapperten die Bierseidel und Groggläser auf dem Schenktisch. Ein paar Bitchcombers in dicken, dunkelblauen Sweaters droschen geräuschvoll ihren Skat. In einer Ecke schlief ein älterer Heizer seinen frühen Rausch aus.

„Morjen, Herr Inspektor!“ Der Stiernacken mit der weissen Kellnerschürze schloss dienstbeflissen die Tür hinter dem untersetzten, breitschultrigen Mann, der eben, einen Finger an die Mütze legend, eingetreten war. „N’ lütten Grog, Herr Inspektor?“

„Man tau, Krischan. Een in de Morningtime ist besser, als den ganzen Tag gor kein.“ Inspektor Brink von der Hafenpolizei nickte dem Wirt hinter dem Schenktisch zu und sah sich flüchtig im Lokal um. Seine Augen blieben an Boysen hängen. Er nickte ihm zu und setzte sich ohne weitere Begrüssung auf einen Stuhl an seinen Tisch und sah ihn kopfschüttelnd an.

„Schon wieder duhn, Jep? Hat dir der Alkohol noch nicht genug die Suppe versalzen?“

„Hol’t Mul, Brink.“ Er verdrehte empört die Augen. „Die paar kleenen Nordlichter moken Jep Boysen nich duhn!“

„Wohlsein, Herr Inspektor!“ Der Kellner Krischan stellte den dampfenden Grog vor Brink hin und schob die neueste Nummer der „Schiffahrts-Nachrichten“ auf den Tisch. Er wunderte sich nicht über den vertraulichen Ton zwischen dem Beamten und dem seligen Biest, wie Boysen aus naheliegenden Gründen in seinem Stammlokal genannt wurde. Inspektor Brink war alter Hamburger und stand auf du und du mit allen Kneipwirten, Steuermännern und Fahrensleuten im Hafen. Er kannte auch alle und jeden, der im Hamburger Hafen auftauchte, selbst diesen Jep Boysen, der sich doch schon, wie er selbst sagte, zehn Jahre lang als Steuermann irgendwo an der Ostküste herumgetrieben hatte, und auf den man sich hier im Hafenviertel kaum noch besinnen konnte.

„Was willst du eigentlich jetzt machen, Jep?“ Inspektor Brink nahm einen zünftigen Schluck. „Dem Alkohol abschwören und um gut Wetter bitten bei deinem Vorgesetzten? Wäre entschieden das Vernünftigste für dich.“

Boysen schüttelte brummig den Kopf. „Nee, Brink, ick hebb de Näs’ voll vun Hamburg. Ick goh to See. Ick werd anmustern. Und wenn einer auf ner Pardune angeritten kommt und dich fragt, auf wat for’n Eimer Jep Boysen fährt, denn grüss ihn man von mir und segg: Jep Boysen fährt auf der ,Eleanor‘.“

„Auf der ,Eleanor‘?“ Der Inspektor, machte grosse Augen. „Meinst du die Luxusjacht von dem Amerikaner, die seit einem halben Jahr hier an der Kette liegt und jetzt gerade verkauft ist?“

„Das soll wohl sein.“

„Hm! Hast du denn schon Heuer, Jep?“

„Nee, noch nich. Aber ick geh jetzt zum Heuerbas und melde mich. In vier Stunden bin ich auf der ,Eleanor‘ installiert, verlass dich man drauf, Brink. För oder achtern Mast, dat ’s mi egol.“

„So, so!“ Brinks Augen glitten etwas ungläubig über das Gesicht des Steuermannes. „Wenn du auf so ’nem noblen Schiff anmustern willst, Jep, wär’s dann nicht besser, wenn du dich erst mal ’n bisschen feinmachen würdest?“

„Hähä!“ Boysen lachte vergnügt und kniff die Augen zusammen. „Wenn ich ashore bin, trink ich, Brink. Dat ’s Seemannsregel. Mit meiner Arbeit an Bord hat das nichts zu tun.“ Er klopfte sich wohlgefällig mit der Hand gegen die Brusttasche. „Steuermannspatent für grosse und kleine Fahrt, Brink. Ick wett ’n Buddel Köhm, dat ick die Heuer kriege.“

„Wär nicht schlecht, Jep. Der ,Boss‘ ist verdammt schlecht zu sprechen auf dich. Ich weiss“, fuhr er beruhigend fort, als Jep aufbegehren wollte, „im allgemeinen bist du ’n prachtvoller Kerl und trinkst auch nicht im Dienst. War ein Pech, dass der ,Alte‘ gerade gestern dich erwischen musste, als du mit ’ner soliden Schlagseite aus der Kneipe segeltest.“

Jep Boysen sah besinnlich in sein Glas. „Tja, Brink, dat soll wohl sein. Aber damit du mich nicht auch für ’nen total verkommenen Säufer hältst, wie mein hoher Chef, will ich’s dir sagen: Ich hatt’ da gestern morgen ’ne lütte Entdeckung gemacht und war darüber so gut gelaunt, dass ich einen ordentlichen Frühtrunk heben musste.“ Er kratzte sich den Kopf. „Na ja, hat sich dann ’n bissken in die Länge gezogen, der Frühschoppen. Aber, zum Donnerwetter, ich war doch nicht im Dienst!“

„Eine Entdeckung hast du gemacht, Jep?“ Inspektor Brink bekam plötzlich interessierte Augen. „Inwiefern denn, Jep?“

„Lass gut sein, Brink.“ Jep schüttelte abwehrend den Kopf. „Ich mustre jetzt auf der ,Eleanor‘ an, und dann adje Hamburg!“

„Die ,Eleanor‘ ist ein Leckerbissen. Sehr gut von der Mastspitze bis zum Kiel.“ Brink schlug die vor ihm liegende Nummer der „Schiffahrts-Nachrichten“ auf und überflog sie mit der Sicherheit des täglichen Lesers. „Aha, hier steht’s ja: Die für den Multimillionär G. B. Miller, Neuyork, erbaute Dampfjacht ,Eleanor‘, die seit längerer Zeit im Hafen liegt, ist, wie wir bereits berichteten, vom Eigentümer an Mrs. Gwendolyn Torrel verkauft worden. Kaufpreis unbekannt.“ Inspektor Brink nickte achtungsvoll. „Wird ’n schönes Stück Geld sein. Ich möcht’ das Kapital mal auf einem Tisch sehen!“ Er schlug das Blatt um und fuhr laut vorlesend fort:

„Die neue Eigentümerin beabsichtigt, bereits in den nächsten Tagen mit der ,Eleanor‘ in See zu gehen, zunächst nach Kuba. Als Gäste der Eigentümerin nehmen an der ersten Fahrt der. ,Eleanor‘ teil: Mr. Fred Williams; Mr. Charles Brooks, Neuyork; Graf Zech; die bekannte Operettensängerin Ilona Jabornik aus Budapest sowie Konsul Peter Fahrendorf, Hamburg.“

„Lauter feine Leute“, meinte Boysen. „Da fahr ich mit! Und wenn ich als Trimmer anmustern muss!“ Er winkte dem Kellner ab, der das leere Glas zum Füllen fortnehmen wollte, stemmte sich hoch und bot dem Inspektor die breite Schaufelhand zum Abschied. „Lass dir noch ’nen Steifen auf meine Rechnung geben, Brink. Ick goh tom Hürbas.“

Inspektor Brink sah ihm kopfschüttelnd nach. Der Wirt schmunzelte. Der Kellner Krischan lachte halblaut dem leicht angetrunkenen Steuermann nach, der ausgerechnet auf einer Millionärsjacht anmustern wollte.

„Mach Platz, Korl! Die Hautevolee kommt!“ Die Bitchcombers und Hafenbummler an den Sankt-Pauli-Landungsbrücken bildeten einen Halbkreis um das stoppende Auto. Donnerschlag, das war ein Wagen! Zwölfzylinder! Kein Tinnef! Und auch der andere Wagen, der fast geräuschlos hinter dem ersten aufschloss, war allererste Klasse.

Eine hochgewachsene schlanke Dame in knappem marineblauem Bordjäckchen begrüsste die Herren und Damen, die sich aus ihren Mänteln schälten und dann ausstiegen.

„Welcome, Mr. Williams! — Freue mich, Sie wiederzusehen, Fräulein Jabornik! — Guten Tag, Freddy!“

Der lange, etwas verlebt aussehende junge Mann, dem die letzten Worte galten, legte salutierend die Hand an seine Sportmütze. „Guten Tag, Gwen! Alles in Ordnung! Nichts vergessen! Tante und Miss Jabornik hast du ja schon begrüsst. Hier Mr. Brooks und Graf Zech! Hier Mr. Fahrendorf! Und das hier ist Mr. Philips, erster Sekretär und Vertrauensmann bei Tante Elizabeth.“

Gwendolyn Torrel reichte allen mit liebenswürdigem Lächeln die Hand: dem gedrungenen, massiv gebauten Fabrikanten aus Neuyork, dem hageren Grafen, dem ruhigwürdevollen Hamburger Kaufherrn und zuletzt — mit einer ganz kleinen Spur damenhafter Herablassung — auch dem scharfäugigen, verkniffenen Sekretär Mr. Philips.

„Thank you, Fred. Sie sind wirklich ein ausgezeichneter Reisemarschall.“

„Und was bekomme ich dafür? Einen Kuss?“

„Eins hinter Ihre leider immer noch nicht trockenen Ohren“, lachte Gwen den langen Frechdachs an. „Machen Sie sich weiter nützlich, Freddy, und sorgen Sie, dass das Gepäck vollzählig an Bord kommt.“

„Das besorgen die Leute.“ Fred Williams sah sich um und nickte den beiden Chauffeuren zu, die bereits unter der Aufsicht Mr. Philips dabei waren, die grossen Lederkoffer, Plaids und Hutschachteln aus den Riemen zu schnallen. „Es kommt noch eine ganze Wagenladung von Koffern nach, Gwen.“

Die „Eleanor“ lag bereits am Kai vertaut. Ihr kurzer, weisser Schornstein hob sich vornehm über die schwarzen, plumpen Fährboote und Kähne. Gwen Torrel führte lebhaft plaudernd ihre Gäste über die Brücke hinunter zum Schiff. Ein paar weissgekleidete Stewards mit blanken Knöpfen empfingen die Gesellschaft und übernahmen die weitere Führung zu den einzelnen Appartements. Gwen Torrel warf zwischen liebenswürdigen Phrasen einen raschen Blick zurück auf die Landungsbrücken. Es waren nicht viele Leute dort. Ein paar fremde Reisende, die den langen, hölzernen Kai hinunterspazierten. Drei oder vier Hamburger, die an den Verkaufsbuden standen und neugierige Blicke auf die schlanke, vornehme Jacht warfen. Und am Zeitungskiosk stand noch ein unauffällig gut gekleideter Herr, dessen scharfgeschnittenes braunes Gesicht einen ausgesprochen südländischen Typus zeigte.

Während die Gäste in den Kabinengängen verschwanden, schlenderte Gwen Torrel langsam über den Laufsteg zurück zum Kai.

„Alle an Bord?“ Der südländisch aussehende Herr war vom Zeitungsstand zurückgetreten und lüftete leicht den Hut. Die blonde Schiffsherrin zuckte nervös mit den Schultern.

„Bis auf den Kapitän. Ich habe nochmals im Eppendorfer Krankenhaus angefragt. Man hält es für ausgeschlossen, dass Renders vor drei bis vier Wochen wieder dienstfähig ist. Zu dumm! Wir haben noch keinen Ersatz für ihn als Kommandant der ,Eleanorʻ.“

„So? Hat die Heuerstelle keinen geschickt?“

„Mehr als genug!“ Gwen Torrel nestelte etwas erregt an ihren Jackenknöpfen. „Aber sie bedanken sich alle für eine Heuer, die schon in Neuyork ablaufen soll.“

„Dann müssen wir eben jemand nehmen, der als unser Mann an Bord bleibt. Ist ja nicht unbedingt nötig, dass wir in Neuyork einen neuen Skipper nehmen.“

„Gut, Ramirez. Aber woher einen geeigneten Kapitän für die ,Eleanorʻ bekommen. Es kann doch nicht irgendein x-beliebiger sein.“

Ramirez Benhavides kräuselte verächtlich die Lippen. „Ich werde dir einen besorgen, Gwen. Heute noch.“

Niemand hätte etwas Auffälliges in der Haltung der beiden erkennen können. Sie standen dicht nebeneinander wie in einem gleichgültigen Gespräch, zwei Bekannte, die sich leichthin unterhielten.

Aber in dem Gesicht der schönen Frau war ein unmerkliches Zucken. „Ich habe Angst, Ramirez“, sagte sie halblaut, ohne den Mann anzusehen. „Diese ganze Geschichte . . . ich weiss nicht, ob ich ihr gewachsen sein werde.“

Auch der Mann dämpfte seine Stimme. „Unsinn, Gwen! Du bist doch sonst forsch genug. Gerade deine überlegene, stolze Sicherheit qualifiziert dich ganz besonders. Und du weisst doch . . .“ Seine Stimme wurde noch leiser und bekam einen ernsten, fast ein wenig pathetischen Klang. „. . . meine Heimat, mein armes Vaterland wartet auf uns. Wir haben die heilige Pflicht . . .“

„Ja, ja, Ramirez, ich weiss!“ Die leise Besorgnis wich nicht aus Gwen Torrels Zügen. „Aber warum bleibst du selbst im Hintergrund? Warum willst du absolut die Rolle eines Stewards auf der ,Eleanorʻ spielen?“

„Weil ich sicher gehen muss, Gwen.“ Ein ganz leises, ironisches Lächeln erschien unter dem kurzgestutzten, schwarzen Schnurrbart. „Deine Papiere sind echter als echt, Gwen. Und du bist eingeführt. Mr. und Mrs. Williams, Brooks und die anderen kennen dich schon von Paris her: die schöne, reiche Mrs. Torrel aus Cuba. Mich aber kennt kein Mensch. Und diese Leute lassen sich nicht leicht einen unbekannten Fremden aufoktroyieren. Sie wollen wissen, mit wem sie an einem Tisch sitzen. Es genügt ja auch, dass ich an Bord bin, Gwen.“

„Ja, Ramirez.“ Die blonde Frau senkte den Kopf und atmete tief. Wie zufällig streifte die Hand des Fremden ihren herabhängenden Arm.

„Also: Kopf hoch und Ohren steif, Gwen. Ich gehe jetzt und suche dir einen passenden Skipper.“

Ein leichtes Kopfnicken — Ramirez Benhavides lüftete den Hut und ging in der Richtung auf die Vorsetzen davon.

Gwen Torrel wandte sich und schritt langsam den Laufsteg hinauf. Von der Reling her winkte ihr Freddy Williams mit beiden Händen vergnügt entgegen.

„Tadelloses Schiff, Gwen! Da hast du wirklich einen guten Kauf gemacht. Tante ist entzückt, Mr. Brooks ist entzückt. Alle sind entzückt! Ich bin am meisten davon entzückt, dass diese famose Jacht eine so wundervolle Besitzerin hat.“

Er beugte sich über die schlanke Hand Gwen Torrels und küsste sie.

„Wie können Sie in diesem angetrunkenen Zustand . . .“ Der Heuerbas, der alte, weissbärtige Käppen Burmeister, warf das Seefahrtsbuch empört auf den Tisch, das ihm Jep Boysen in die Hand gedrückt hatte. „’ne Schande ist das!“

„Hä?“ Das „selige Biest“ stand mit beiden Fäusten auf den Tisch gestützt und glotzte den Aufgeregten an.

„Schande, sag ich!“ donnerte Käppen Burmeister. „’ne ausgewachsene Affenschande für die ganze deutsche Handelsmarine, in so einem Zustand hier in das Heuerbüro zu kommen. Und so was will ’ne Heuer auf einem Schiff wie die ,Eleanorʻ!“ Käppen Burmeister nahm seine ganze Würde zusammen und heftete seine wasserhellen Augen vorwurfsvoll und missbilligend auf den vor ihm Stehenden. Er hatte etwas Väterliches in seiner Art, mit den Seeleuten umzugehen, aber zugleich etwas Imponierendes. Vor seinen ernsten Blicken hatte schon mancher grobe Fahrensmann die Augen niedergeschlagen. Das selige Biest nicht. Es streckte die Hand aus und zog seelenruhig eine Rolle Kautabak aus der Brusttasche, biss ein Stück ab und verstaute sie dann wieder in der Tasche.

Das gab Käppen Burmeister den Rest. „Raus!“ brüllte er, das Seefahrtsbuch dem Besucher ins Gesicht pfeffernd. „Kommen Sie wieder, wenn Sie Ihren Rausch ausgeschlafen haben . . .“

Das aufklatschende Büchlein schien Boysen ein wenig zu ernüchtern, aber er wurde nicht böse. Im Gegenteil, er lächelte ganz gemütlich, schob den Priem von Backbord nach Steuerbord und steckte seine Legitimationspapiere umständlich in die Tasche.

„Warum gleich so fünsch? So’n lütten Priem . . .“

„Raus sag ich!“ Käppen Burmeisters Stimme klang wie eine Heulboje. Der Assistent, der riesenhafte Klaus Mock, steckte den Kopf aus dem Nebenzimmer, besah sich einen Augenblick die Situation und packte dann mit festem Griff das selige Biest am Kragen. In Anbetracht der anscheinend nicht geringen Körperkräfte des anderen ballte sich die rechte Hand Klaus Mocks kinnhakenbereit, aber merkwürdigerweise liess sich das selige Biest ohne grossen Widerstand aus der Tür und die kleine Treppe hinunterstossen. Traurig, dachte Klaus Mock, was der Alkohol aus so einem bärenstarken Kerl moken kann.

Die Willfährigkeit Boysens ermunterte Klaus Mock, ihm zum Abschied einen sanften Stoss in den Rücken zu versetzen. Die arbeitsuchenden Seeleute, die vor dem Paritätischen Heuerbüro warteten, sahen zu ihrem Erstaunen einen bald vierzigjährigen Seemann, den selbst der dümmste Schiffsjunge ohne weiteres auf einen „Styrmann“ taxiert haben würde, unsanft aus der Tür taumeln.

„Hoppla!“ Sogleich sammelte sich um den Hinausgeworfenen ein neugieriger Kreis, der lachend seine Beobachtungen an die weiter rückwärts Stehenden durchgab.

„Hei is duhn!“

„Oll Burmeister hät ihn rutsmeten!“

Den ihn umdrängenden Neugierigen gegenüber schien Jep Boysen sich auf seine Kräfte zu besinnen. Er bahnte sich mit Schultern und Fäusten eine Gasse und setzte den Kurs quer über die Strasse auf die Kneipe „Cap Horn“ zu, von deren seit der letzten Osterreinigung nicht mehr geputztem Fenster ein Bündel gemalter Fahnen aller seefahrenden Nationen einladend schillerte. Ein gutgekleideter Zivilist mit einem pechschwarzen, gestutzten Schnurrbärtchen, der ebenfalls vor dem Heuerbüro gestanden hatte, folgte ihm wie der Hai im Kielwasser des Schiffes.

„’n Toddy, Jan! Averst richtig steif!“ Boysen liess sich ächzend auf die von Hosenböden abgewetzte Holzbank sinken und kämmte sich mit der Rechten die Flachshaarsträhnen aus dem Gesicht. Noch ehe das dampfende Getränk auf dem Tisch stand, kam auch der Fremde herein und steuerte ohne Umstände auf den Tisch los.

„Kein Glück gehabt bei dem Heuerbas, Maat?“

„Wat heisst hier Maat?“ Das selige Biest sah entrüstet auf. „Wenn du wat von mi willst, ick bin Styrmann, verstanden! Grosse und kleine Fahrt! Ick könnt all Kaptän sein, wenn ich nich von der ,Hammoniaʻ getürmt . . . aber dat geiht di nix an, min Jung’.“

Auch der Fremde bestellte sich einen Grog. „Suchen Sie Heuer, Steuermann?“

Jep Boysen gab keine direkte Antwort. Er nahm einen tiefen Schluck und legte eine geballte Faust neben das Glas auf den Tisch. „,Rutsmeten hät hei mi!“ grollte er. „’n Satanspack, diese ollen Heuerfritzen!“

Der Fremde bestellte eine neue Lage. Das selige Biest bekam bei dieser Bestellung ein milderes Gesicht.

„Wat wullt Sei von mi?“ fragte er freundlicher.

„Wenn Sie Heuer suchen, Steuermann — ich — hm — ich könnte Ihnen eine auf der Stelle beschaffen. Weiss da ein Schiff, das morgen in See geht und nach einem tüchtigen Skipper ausschaut, weil sein Führer plötzlich erkrankt ist.“

„So? Wohl so’n Totenschiff? Blitzblankes Deck und verfaulten Boden, was? Pett di man nich auf’n Slips, verdammter Landhai! Jep Boysen hat sich all lang genug den Wind um die Nase wehen lassen. Der kennt den Dreh.“

„Das Schiff heisst ,Eleanorʻ“, sagte der Fremde sachlich. Jep Boysen hob die Nase und peilte misstrauisch den Fremden an. Die ,Eleanorʻ? Süh so! Dat ’s ’n besserer Eimer. Da nehm ick alles zurück.“

„Wenn Sie mal hingehen wollen . . . Das Schiff liegt klar an den Landungsbrücken.“ Er riss ein Stück Zeitungspapier ab und kritzelte mit einem Bleistift rasch etwas darauf. „Zeigen Sie dem Owner nur diese Nummer, dann weiss er, dass ich Sie geschickt habe.“

„1449“. Jep Boysen las die Zahl und steckte den Papierfetzen zu sich. Dann griente er schlau. „Scheunen Dank. Aber morgen ist zu früh. Ick heb noch Pinke.“ Er holte aus feiner Hosentasche einige zerknüllte Scheine und etwas Kleingeld und breitete es vor sich aus. „Zwanzig, vierzig, zwoundvierzig — vierundvierzig Mark. Dat reicht noch ’n paar Tage. Und solange Jep Boysen noch Geld in der Tasche hat, geiht hei nich in See. — Jan! Noch ’n Toddy!“

Der Fremde winkte lebhaft dem Kellner und liess ihn eine neue Lage auf seine Rechnung bringen. Eine Weile schwiegen die beiden Männer. Jep beschäftigte sich ausgiebig mit seiner flüssigen Nahrung und sah still dem Fremden zu. Der hatte aus Langeweile drei Fingerhüte aus der Tasche gezogen und spielte damit. Er liess sie mit fabelhafter Geschicklichkeit in den Händen rotieren und stülpte sie dann dicht nebeneinander auf dem Tisch um, so dass einer von ihnen ein Zehn-Pfennig-Stück bedeckte.

„Sünd Sei Schneider?“ erkundigte sich Jep teilnahmsvoll, als der Kellner auf einen Wink des Fremden die dritte Lage brachte. Der Fremde schüttelte den Kopf. „Ein Spiel“, erklärte er, auf die Fingerhüte deutend. „Ist bei uns zu Hause allgemein üblich. Können Sie mir sagen, unter welchem Fingerhut das Geldstück liegt?“

„Natürlich kann ich das!“ Jep zeigte gelassen auf den mittelsten.

„Stimmt!“ Der Fremde hob den Hut und zeigte das Geldstück, liess dann die drei Fingerhüte spielen und stülpte sie rasch wieder über. „Und jetzt?“

„Kinderleicht!“ Jep hatte aufmerksam beobachtet und zeigte nun auf den linken Fingerhut. Aber als der Fremde ihn hob, weiteten sich verwundert seine Augen. „Donnerslag! Ick heb doch genau sähn . . .“ Jep Boysen rückte interessiert näher. Nach fünf Minuten war das Spiel in vollem Gange und ein paar Markstücke waren von Jep bereits zu dem Fremden hinübergewechselt.

„Sie sind Steuermann und können zur Not ein Schiff führen?“ Gwendolyn Torrel zerriss langsam den numerierten Zettel Ramirez’ und sah den vor ihr stehenden Mann forschend an. Jep Boysen stand, ohne zu schwanken, breit und fest in seinen Stiefeln, Schuhnummer 43, und sprach sogar gutes Hochdeutsch.

„Zur Not, Madame? Ich habe Stipperpatent für grosse Fahrt; wie mein oller Kaptain auf der ,Hammonia‘ unten am Kap Horn über Bord ging, hab ich allein den Kahn in den Hafen von Punta Arenas gebracht. War ’n anständiges Stück Seemannsarbeit, Madame, das können Sie mir glauben.“

Die hellgrauen Augen des Mädchens ruhten sicher und ernst auf seinem Gesicht. Gwen Torrel überlegte. Der Mann gefiel ihr. Und er kam bestimmt von Ramirez. 1449 — eine durch sieben teilbare Zahl —, das war das Erkennungszeichen. Flüchtig blätterte sie die Papiere durch, die Jep ihr hinhielt.

„Wenn Sie, wie ich sehe, tatsächlich Steuermann sind, warum suchen Sie dann Heuer als einfacher Matrose?“

„Das hat seine Gründe, Madame.“ Jep sah betrübt drein. „Ich fahr sonst nicht vor dem Mast, aber heut muss ich ’ne Heuer haben, ganz egal, ob im Mannschaftslogis oder achtern.“

In Gwens Augen kam ein belustigendes Lächeln.

„Blank?“

„Akkurat, Madame. Heut morgen hatť ich noch einige vierzig Emmchen. Aber da hab ich so’n neues Spiel ausprobiert in einer Schenke, ein verflucht kniffliches Spiel, Madame, bei dem man Lehrgeld zahlen muss. Haben Sie schon mal was von einem Spiel mit drei Fingerhüten gehört?“

Gwen lachte hell heraus. „Sie sind also einem Bauernfänger aufgesessen?“

„Das nicht, Madame. Der Mann, der mich das Spiel lehrte, war ein reeller Mann. Es ging alles mit rechten Dingen zu. Ich hab ihm genau auf die Finger gesehen. Aber mein schönes Geld ging dabei futsch.“

„Also schön. Wir gehen morgen in See und brauchen einen tüchtigen Kapitän. Sie erhalten als Heuer das, was nach dem Seetarif üblich ist, und ausserdem eine anständige Gratifikation nach glücklich beendeter Fahrt. Sind Sie damit einverstanden?“

„Allemal!“ Jep Boysens Haltung wurde um eine Nuance respektvoller, bekam einen fast dienstlichen Anstrich. „Wohin geht die Fahrt, Madame?“

„Zunächst nach Neuyork. Dort erhalten Sie weitere Order.“

„All right, Madame.“

Gwen nickte lächelnd. „Und wenn Sie wieder mal in einem Hafen mit drei Fingerhüten spielen, dann seien Sie vorsichtiger, Kapitän. Ich kenne zufällig das Spiel. Es ist ein ganz gewöhnlicher Gaunertrick, mit dem man auf den Antillen den Gimpeln das Geld aus der Tasche zieht.“

„Nicht möglich, Madame! Sie meinen, dass der Mann mit den drei Fingerhüten mich betrogen hat?“

„Ganz sicher. Es ist ein ganz gewöhnlicher Bauernfänger gewesen.“

Jep Boysen schaute ein paar Sekunden vor sich hin. Es arbeitete schwer in seinem Gesicht. Dann hob er den Kopf.

„Kann ich wohl noch ein paar Stunden Urlaub haben, Madame?“

„Urlaub? Warum?“

Jep druckste verlegen. „Ich weiss noch nicht, ob ich die schöne Heuer annehmen kann, Madame. Hab vorher noch etwas Wichtiges zu erledigen.“

Gwen machte ein ärgerliches Gesicht. „Wenn es unbedingt sein muss. Aber länger als bis heute abend um 10 Uhr kann ich die Stelle nicht für Sie freihalten. Ich muss mich dann nach einem anderen Schiffsführer umsehen.“

„Das genügt. Bis 10 Uhr werde ich mich einfinden, oder Sie können einen anderen Kaptain nehmen.“

„Gwen! Wo stecken Sie denn, Gwen?“ Freddy Williams, schon zum Diner angezogen, erschien in der Kajütentür und sah sich suchend an Deck um.

„Gleich, Freddy!“ Gwen winkte leicht mit der Hand und wandte sich noch einmal an den neuen Kapitän. „Wenn es Ihnen recht ist, gebe ich Ihnen gleich einen Vorschuss auf die Heuer, damit Sie sich einkleiden können.“ Ihr Blick fiel vorwurfsvoll über Jeps etwas zerknautschten Anzug. „So braucht man wirklich nicht auszusehen!“

Auf Jeps Stirn breitete sich eine leichte Röte, die diesmal nicht vom Grog herrührte. Aber zu dem Angebot schüttelte er entschieden den Kopf.

„Danke, Madame, aber das schaff’ ich schon selber. Jetzt, wo ich Heuer habe, borgt man mir im Seemannsheim das Nötige. Das heisst also, wenn ich bis 10 Uhr überhaupt mit meinen Besorgungen fertig bin und die Heuer annehmen kann.“

„Ich hoffe es.“ Gwen neigte leicht den Kopf und wandte sich endgültig Freddy Williams zu, der vom Kajüteneingang her über das Promenadendeck auf sie zukam.

Hatte die frische Luft und die unerwartete Anstellung als Kapitän der „Eleanor“ nun das selige Biest nüchtern gemacht oder konnte Jep Boysen so viel vertragen, dass das Alkoholquantum vom Vormittag ihm am Nachmittag keine merkbaren Schwierigkeiten mehr bereitete — jedenfalls marschierte er schnurgerade und mit festen Schritten, als er von der „Eleanor“ über die Landungsbrücken schritt. Auch in seinem Kopf sah es ganz logisch geordnet aus. Er wusste, dass es keinen Zweck haben würde, nach den Vorsetzen zurückzugehen. Der Kerl mit den drei Fingerhüten war sicher längst verschwunden und hatte kaum in der Kneipe hinterlassen, wo er zu finden sein würde. Aber diese Art Bauernfänger trieb sich meist in Sankt Pauli herum, und das kannte Jep Boysen so genau wie das ABC. Wenn er nur ein bisschen Glück hatte, würde ihm der Bruder irgendwo zwischen Freiheit und Reeperbahn in die Finger rennen.

Aber Jep hatte kein Glück. Er revidierte nacheinander sämtliche Kneipen, schaute ins „Grenzfass“ und in die „Glocke“, warf seine Blicke wie Bootshaken in sämtliche Kneipen der Silbersack-, Thal-, Bernhard- und Heinrichstrasse. Er fragte Kellner, Kneipwirte und Hafenjulen, aber niemand kannte einen Mann, auf den das Signalement des Bauernfängers passte. Entweder zahlte der Kerl wie ein Fürst oder er verkehrte wirklich nicht hier in der Gegend. Jep patroullierte durch die Tanzlokale in der „Grossen Freiheit“, machte einen Abstecher in das Café „Waldvogel“ und ähnliche Lokale, vor denen der richtige Seemann sonst naserümpfend vorbeistolziert, und bot dem betressten Portier des „Alkazar“, der sich weigerte, einen „Herrn ohne Kragen“ einzulassen, Ohrfeigen an. Aber den Mann mit den drei Fingerhüten fand er nirgends.

Es war bereits 10 Uhr geworden, als Jep prustend und fluchend am Ende der Reeperbahn angelangt war. Er beschloss, nun doch durch die Elbanlagen zu den Landungsbrücken und den Vorsetzen hinunterzugehen, und so lief, kurz bevor er seine Suche als vergeblich aufgab, Ramirez Benhavides, der vom Millerntor her kam, um sich ohne Aufsehen an Bord der „Eleanor“ zu begeben, ihm schliesslich doch noch in die Arme.

Jep sah ihn kommen und erkannte schon auf zwanzig Schritt Entfernung im Lichtkreis einer Laterne, wer da durch die einsamen Anlagen den Weg hinunterspazierte. Ein Schupomann war weit und breit nicht zu sehen, und für die Liebespärchen, die nachts die Anlagen der Elbhöhe bevölkern, war es noch zu früh. So kam es, dass Ramirez Benhavides, als er eben an einem der dichten Gebüsche vorbeischritt und dabei wohlgelaunt eine Arie vor sich hinsummte, sich plötzlich von einer festen Hand gepackt fühlte, die ihm den Kragen so eng zusammenzog, dass sein Überraschungsschrei nur ein ohnmächtiges Gurgeln wurde. In der nächsten Sekunde fuhr seine Rechte in die Tasche, aber Jeps Linke fing geschickt das Messer ab. Ein leichter Druck, ein Stöhnen, und es fiel aus der ausgereckten Hand.