Virgin, die geheimnisvolle Jacht - Axel Rudolph - E-Book

Virgin, die geheimnisvolle Jacht E-Book

Axel Rudolph

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Beschreibung

Pedro Garres, der Finanzdirektor von Porto Allegre, wurde wegen Betrug und Amtsmißbrauch zu zwanzig Jahre Zwangsarbeit und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, verurteilt. Aber ist er wirklich ein Betrüger? Dank der Hilfe von Kapitän Wex gelingt ihm die Flucht auf die Dampfjacht Virgin, die seiner Tochter Consuela gehört und vor New Orleans ankert. In einer Bank, nachdem sie eine hohe Geldsumme abgehoben hat, trifft Consuela auf den deutschen Arzt Heinrich Steffens, von dem sie sich verfolgt fühlt, der sich in sie verliebt und später heimlich mit an Bord geht. Kapitän Wex ist damit gar nicht einverstanden, denn das spricht gegen seine Pläne, die er mit Consuela und der Luxusjacht hat. Auf hoher See retten sie sechs Schiffbrüchige von einem Floß, die von Rio de Janeiro nach Cadiz unterwegs waren, bis ihr Schiff nach einer Kesselexplosion sank. Noch in der Nacht kommt es zu einer irren Schießerei auf der Virgin und die Ereignisse dramatisieren sich auf den Höhepunkt zu. Gelingt es den Schiffbrüchigen, die sich als Halunken entpuppen, die Jacht zu übernehmen? Kommt es zum Showdown zwischen Kapitän Wex und Heinrich Steffens? Und was wurde aus Pedro Garres? Dem Erfolgsschriftsteller Axel Rudolph (schrieb fast 70 Kriminal- und Abenteuerromane) wurde seine Verachtung für das nationalsozialistische Regime zum Verhängnis. Am 18. Juli 1944 standen er und seine Frau vor dem "Volksgerichtshof" von Roland Freisler. Wegen "Wehrkraftzersetzung" und "Feindbegünstigung" wurde Gertrud Rudolph zu dreijähriger Haft mit anschließendem Erziehungslager verurteilt. Axel Rudolph wurde zum Tod verurteilt. Am 30.Oktober starb er unter dem Fallbeil im Zuchthaus Brandenburg-Görden.

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Axel Rudolph

Virgin, die geheimnisvolle Jacht

Abenteuerroman

Reese Verlag

Inhaltsverzeichnis
Virgin, die geheimnisvolle Jacht
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Über den Autor
Impressum
Hinweise und Rechtliches
E-Books im Reese Verlag (Auswahl):

Virgin, die geheimnisvolle Jacht

Erstes Kapitel

Ob es gelingen wird?

Alle Nerven bis zum Bersten gespannt, die Finger in das harte Holz gekrallt, stand Consuela an der Reling und starrte mit brennenden Augen in die Nacht hinaus. Was konnte alles „dazwischenkommen“! Vielleicht war der Kapitän Wex ein Verräter! Oder er täuschte seine Hilfsbereitschaft nur vor! Lag vielleicht in dieser Stunde außerhalb des Gesichtskreises der „Virgin“ ruhig in einer Bucht, ohne daran zu denken, etwas zu unternehmen. Er konnte ja nachher immer noch ruhig an Bord zurückkehren und die Achseln zucken: „Es war unmöglich!“ Oder — wenn nun die Briefe längst aufgefangen waren? Wenn der bestochene Wärter doppeltes Spiel getrieben, das Geld genommen und den Plan dennoch verraten hatte! Wenn etwa die notwendigen Maßnahmen da drüben längst getroffen, Kapitän Wex bereits überwältigt und in Eisen gelegt worden war! Und es brauchte nicht einmal so viel. Irgendein unscheinbares kleines Hindernis, ein lächerlicher, unvorhergesehener Zufall konnte alles zum Scheitern bringen!

Hundert Möglichkeiten, hundert Gedanken huschten beängstigend durch Consuelas Kopf, während all ihre Sinne in heißer Spannung in die Nacht hinein lauschten. Mit einem unterdrückten Laut fuhr sie zusammen, als auf den Planken hinter ihr ein Schritt aufklang. Es war nur der Matrose der Deckwache, der seine Runde machte und respektvoll ausbog, als er die Schiffsherrin an der Reling stehen sah.

Wie endlos langsam die Zeit dahinkroch! Zwanzig Minuten nach Mitternacht. Nur hätten sie der Berechnung nach schon hier sein müssen, Kapitän Wex und ...

Da! Pochte da nicht ein Motor durch die Nacht? Consuela strengte ihre Augen an bis zum äußersten, ohne etwas bemerken zu können. So weit die Dunkelheit zu sehen gestattete, nichts als die schaukelnde Meeresfläche. Und trotzdem dieses leise, im Nachtwind und Wellenschlag sieh verlierende Pochen.

„Ahoi! Boot kommt an Steuerbord!“

Der laute Ruf der Deckwache ließ Consuela herumfahren. Mit ein paar Sprüngen war sie drüben an der jenseitigen Reling. Wahrhaftig! Da war das Boot! Kapitän Wex kam von der anderen Seite, hatte wohl einen großen Bogen um die „Virgin“ gemacht!

Bis zum Zerspringen hämmerte Consuelas Herz. Im Schein der Positionslaternen konnte sie bereits deutlich den Mann erkennen, der am Steuer des kleinen Motorbootes saß: Kapitän Wex! Aber das war auch vorläufig alles. Nichts in seinem starren Fischgesicht verriet, ob der Plan geglückt war oder nicht. Und fragen, ihn anrufen — nein, das durfte man nicht. Die Deckwache, die bereits dabei war, das Fallreep herabzulassen, konnte jedes Wort hören.

„Hievt das Boot hoch!“ klang von unten die ruhige Kommandostimme des Kapitäns.

„Aye, Aye, Kapitän!“ Matrosenfäuste bedienten die Haltetaue, die Wex unten am Boot bereits angebracht hatte. In fünf Minuten hing das kleine Motorboot der „Virgin“ fest und sicher in den Davits. Kapitän Wex salutierte, das Deck betretend, korrekt die junge Schiffsherrin. Aber für den angstvoll fragenden Blick Consuelas hatte er keine Antwort. Kein Augenblinzeln, kein Lächeln oder Kopfnicken. —

„Das könnt ihr nachher machen“, wandte er sich ruhig an die Deckwache, die im Begriff war, die Persenning über das Motorboot zu ziehen. „Wir fahren. Ist Steuermann Bygdal auf der Brücke?“

„Hier, Sir!“ kam es von der Kommandobrücke herab. Kapitän Wex legte flüchtig einen Finger an den Mützenschirm.

„Halbe Kraft voraus, Bygdal! Legen Sie Kurs Ostnordost!“

Consuela vermochte ihre Nerven nicht länger zu bändigen. Wenn Wex nicht jetzt gleich etwas sagen, ihr wenigstens einen Wink geben würde, dann ... dann würde sie laut hinausschreien in die Nacht oder in einen hemmungslosen Weinkrampf verfallen. Aber gerade in dem Augenblick, da sie ihre letzte, mühsam bewahrte Fassung zusammenbrechen fühlte, wendete sich ihr das Gesicht des Kapitäns zu. Er sagte nichts, aber er kniff, während die übrigen Gesichtszüge unbeweglich blieben, langsam das rechte Auge zusammen. Zweimal sogar.

Geglückt!

Während die Planken schon unter den Maschinenschlägen zu zittern begannen, erhob sich unter dem Sitz des in seinem Lager hängenden Motorbootes vorsichtig eine dunkle Gestalt. Consuela hatte ihre ganze Kraft nötig, um einen Freudenschrei zu unterdrücken. Kapitän Wex gab sich gewandt den Anschein, als suche er irgendein liegengebliebenes Paket oder Kleidungsstück im Boot, und stellte sich dabei so, daß der „blinde Passagier“ Gelegenheit bekam, aus dem Motorboot auf das Deck zu klettern, ohne von der Brücke aus wahrgenommen zu werden. Im Dunkel des Kajütenaufbaues flog Consuela der aus dem Boot gekrochenen Gestalt lachend und weinend um den Hals.

„Vater! Gott sei gedankt, daß es geglückt ist!“

„Warum sollte es nicht?“ gab eine heisere Stimme zur Antwort. „Plumpe Sachen glücken immer — wenigstens im ersten Augenblick. Was dann kommt, ist freilich eine andere Sache. Wo ist meine Kabine, Kind?“

Glucksend schlugen die Wellen gegen die Bordwand der „Virgin“. Manchmal klatschte ein Spritzer gegen das dicke Glas der Bullaugen. Zwei Menschen saßen sich in einer ziemlich kleinen, aber mit reichem Geschmack ausgestatteten Kabine der Dampfjacht „Virgin“ gegenüber. Fest verschlossen war die Tür.

Wie alt und hohlwangig er geworden war! Consuela Garres saß da, die noch immer zitternden Hände verkrampft, und betrachtete in tiefem zärtlichen Mitleid das Gesicht des Vaters. Wie unendlich er gelitten haben mußte in diesem halben Jahr! Seine Züge sprachen von Leiden und Entbehrungen, seine Arme waren hager und ausgedörrt vom Sonnenbrand.

„Armer, lieber Vater!“

Pedro Garres hob bei dem zärtlichen Laut den grauen Kopf. Zerfurcht und verhärmt war sein Gesicht, aber unter der hohen Stirn glühten noch immer die alten, energischen Augen. Pedro Garres hatte noch nicht abgeschlossen mit dem Leben.

„Ja, Kind“, nickte er ernst, „so weit wären wir also nun. Ihr habt die Sache ausgezeichnet gemacht. Aber jetzt beginnt erst die eigentliche Schwierigkeit.“

„Meinst du, daß wir verfolgt werden, Pa?“ Consuelas Blick flog unwillkürlich ängstlich zu den Bullaugen in der Kajütenwand, aber Pedro Garres winkte beruhigend ab.

„Wenn das der Fall wäre, dann hätten wir schon die Scheinwerfer eines Torpedojägers über uns. Ich habe meine Uniformmütze vor den Klippen ins Wasser geworfen. Die wird man bestimmt finden und vielleicht annehmen, ich sei bei der Flucht ertrunken. Vielleicht ... hm, vielleicht auch nicht. Jedenfalls darf mich vorläufig niemand hier an Bord sehen.“

„Dafür ist gesorgt, Pa. Bis zum nächsten Hafen bleibst du hier unten. Für dein Essen sorge ich natürlich selbst. Und dann — lieber Papa, dann werden wir im Ausland sein, irgendwo, wo man dich nicht kennt! In Europa! Dann wirst du leben können, wie und wo du Lust hast. Mit mir zusammen, lieber armer Pa!“

Um den Mund Pedro Garres’ zuckte es bitter. „So einfach, wie du es dir vorstellst, ist die Sache nicht, Consuela. Die Behörden arbeiten Hand in Hand. Spitzel und Denunzianten gibt’s überall. Wo ich auch Ruhe suche, eines Tages wird man kommen und mir auf den Kopf Zusagen, daß ich Pedro Garres bin. Dann beginnt die Qual von neuem.“

Consuela machte erschrockene Augen. „Kannst du dir nicht Papiere auf einen anderen Namen besorgen, Vater?“

Ein heiseres Lachen war die Antwort. „Dazu gehört nicht mehr als etwas Geld, Kind. Aber was nützt das? Selbst wenn ich mir die Haare schwarz färbe, eine Brille aufsetze und mir einen Vollbart wachsen lasse — alles nur lächerlich. Man hat ja leider meine Fingerabdrücke. Es wird dir ja bekannt sein, Consuela, daß man mit Hilfe von Fingerabdrücken einwandfrei nachweisen kann, daß ich — Pedro Garres bin.“

„Ja, was dann ...?“ Ratlos sah Consuela den Vater an. „Gibt es denn gar kein Mittel ...?“

„Vielleicht, Kind. Es besteht die Möglichkeit, durch einen ärztlichen Eingriff die Papillarlinien der Finger so zu zerstören, daß die Fingerabdrücke ihre Beweiskraft verlieren. Aber dabei muß man sehr vorsichtig zu Werke gehen. Solche Operationen sind den Ärzten natürlich verboten. Beschwindeln kann man sie auch nicht, denn jeder halbwegs vernünftige Arzt weiß natürlich, daß nur Leute, hinter denen ein Steckbrief herläuft und deren Fingerabdrücke bereits die Sammlungen der Polizei zieren, mit solchem Ansinnen an sie herantreten. Es gälte also, erst mal einen Arzt zu finden, der skrupellos genug ist, gegen anständige Bezahlung — sich strafbar zu machen.“

„Sie sollen dich nicht wieder fangen, Pa!“ In Angst und Liebe flog Consuela zu dem Vater hin und schlang beide Arme um seinen Hals. „Lieber ... lieber will ich mit dir und der ‚Virgin’ auf den Meeresboden, als daß ich dulde...“

„Kind, Kind, nicht so überschwenglich!“ Ruhig streichelte die Hand des Mannes ihr volles, dunkles Haar. „Ich werde mich schon selber wehren. Aber an Land gehe ich vorläufig nicht. Ich will nicht wie ein gehetztes Wild leben! Ich will nicht bei jedem Klingelzeichen angstvoll auflauschen, auf der Straße in jedem mir Begegnenden den Verräter fürchten müssen. Wenn du nichts dagegen hast, als Schiffsherrin, dann bleibe ich vorläufig auf der ‚Virgin’.“

„Sprich nicht so, Pa! Wem verdanke ich denn das Schiff? Es ist doch von dir, wie alles, was ich habe!“

Pedro Garres zuckte die Achseln. „Von dem, was ich dir hinterlassen konnte, Kind, wird man dir wohl keinen Pfennig übriggelassen haben. Oder täusche ich mich darin?“

„Nein. Dein Vermögen ist beschlagnahmt worden. Auch unser Haus in Porto Allegre und die Ländereien am Rio Pardo.“

„Idioten! Als ob damit etwas geholfen wäre!“ brummte Garres verächtlich. „Also du siehst: Was du noch behalten hast, verdankst du deiner verstorbenen Mutter, Kind, die ihr Vermögen sorgsam von dem meinen trennte.“

Consuela schüttelte den Kopf. „Es gibt so unendlich viel, anderes, was ich dir verdanke, Pa.“

„Nun, lassen wir das! Also ich bleibe auf der ‚Virgin’. In einem fremden Hafen wird sich ja wohl die Möglichkeit bieten, daß ein alter Herr als dein Gast oder meinetwegen als dein Rechtsanwalt an Bord kommt und als solcher in der Schiffsliste geführt wird. Denn auf die Dauer ist es natürlich unmöglich, daß ich unbemerkt hier an Bord bleiben kann. Bis dahin aber — nun, wenn man, was ja wahrscheinlich ist, die ‚Virgin’ anhalten und durchsuchen sollte, so glaube ich nicht, daß man mich so leicht finden wird. Ich kenne das Schiff schon vor früher her. Da ist so eine hübsche kleine Kammer, deren Tür man überhaupt nicht entdecken kann, wenn man nicht weiß, daß sie da ist ...“

„Ja, der schmale Raum zwischen meinem Schlafzimmer und dem Treppenaufgang.“

„Sieh da! Das hast du also doch entdeckt?“

„Ich nicht, Vater. Kapitän Wex hat den Raum gefunden und mir gezeigt.“

„Hm. Sag’ mal, wie stehst du eigentlich mit deinem Kapitän?“

„Wir sind Freunde, Pa. Das mußt du doch gemerkt haben. Jefferson Wex war es überhaupt, der mir half, den Plan für deine Flucht zu ersinnen, nachdem dein erster durchgeschmuggelter Brief uns angab, daß du einen deiner Wächter hattest bestechen können. Wex ist ein sehr energischer und kluger Mann, Pa. Ich weiß nicht, wie ich ihm danken soll, daß er dich mir gebracht hat!“

„Er ist sehr vorsichtig und hm — raffiniert zu Werke gegangen“, bestätigte Garres ernst. „Seine Angaben in den Briefen waren von vorbildlicher Klarheit und Sicherheit. Bin ihm natürlich auch dankbar für die Hilfe. Was hast du ihm gezahlt?“

„Wie meinst du das, Pa?“

„Na, ohne Entgelt wird Kapitän Wex sich doch wohl nicht der Gefahr ausgesetzt haben, wegen Gefangenenbefreiung selber ins Gefängnis zu wandern.“

Consuela schüttelte den Kopf. „Du tust ihm unrecht, Pa. Kapitän Wex hat nie etwas für seine Hilfe verlangt. Er bot mir selber seinen Beistand an, und — offen gestanden — ich hätte ohne ihn auch gar nicht gewußt, was ich anfangen sollte. Aber er hat alles wundervoll geregelt. Bis ins kleinste hat er mir den Plan zu deiner Befreiung ausgearbeitet. Wir sind wochenlang gekreuzt. Er hat sogar, damit der Steuermann nichts merken sollte, den Kurs falsch abgesetzt und falsche Bestecks aufgenommen. Außer Wex und mir weiß niemand hier an Bord, wo wir diese Nacht geankert haben. Ich glaube, Wex hätte dich sogar herausgeholt, auch wenn du nicht durch die Bestechung deines Wärters vorgearbeitet hättest. Er liebt dich, Pa.“

„Mich? Viel Ehre!“ Pedro Garres zog ein zweifelndes Gesicht. „Ich glaube kaum, daß es einen Menschen auf der Welt gibt, der mich liebt — dich ausgenommen, Kind. Aber — dieser Wex hat also kein Geld von dir verlangt? Hm. Das ist gut, das beweist, daß der Mann andere Pläne und Hoffnungen hat, als — Geld zu machen. Vielleicht hat er es wirklich jemand zuliebe getan. Wenn nicht mir, dann dir zuliebe, Kind. Sehr gut ist das. Dann wird er schweigen. Also, wenn Gefahr drohen sollte, verberge ich mich in der bewußten Kammer.“

Consuela schmiegte sich zärtlich an den Vater. „Willst du nicht etwas essen, Pa? Ich bringe dir ...“

„Nein, danke. Ich bin nicht hungrig, Kind. Aber — bring’ mir Zeitungen! Alle alten Zeitungen, die ihr an Bord habt! Alle Blätter, in denen etwas steht von — mir!“

„Ich habe eine ganze Sammlung davon, Pa“, nickt Consuela betrübt. „Aber willst du wirklich lesen? Es ... es ist alles ... so häßlich!“

„Ja, ja! Bring’ mir nur die Zeitungen, Kind! Ich möchte lesen, bis ich einschlafen kann.“

Consuela drückte einen Kuß auf die Stirn des Vaters und erhob sich gehorsam. An der Tür blieb sie noch einmal stehen. Eine bange, schwere Frage brannte in ihren Augen, formte sich zögernd auf ihren Lippen.

„Sei nicht böse, Pa ... du weißt ja, wie ich denke. Aber eines möchte ich wissen: Fühlst du dich unschuldig? Bist du selbst davon überzeugt, daß man dir unrecht tat?“

Pedro Garres hob verwundert den Kopf. „Selbstverständlich bin ich das“, sagte er ruhig. „Bring’ mir nur die Zeitungen!“

*

Warme, windstille Tropennacht. Kein Licht, kein Laut, so weit Auge und Ohr reichten. Es war, als sei die „Virgin“ das einzige Schiff mitten in der endlosen Weite des Ozeans. Ruhig und stetig stampften die Maschinen. Unentwegt, in immer gleichem Rhythmus klatschten die dunklen Wogen gegen die Flanken.

Consuela Garres blieb vor dem Kajüteneingang stehen und schöpfte tief Atem. Wie feierlich still die Nacht war! Nirgends ein Zeichen von Gefahr. Kein heranbrausender Tornado, kein suchend umherhuschender Scheinwerfer eines Küstenwachschiffes. Stille und Friede über dem weiten Meer.

Kapitän Wex kam von der Brücke herab und näherte sich mit leichten Schritten der Mädchengestalt, die da, noch überwältigt von den Geschehnissen der letzten Stunden, an die Tür des Deckaufbaues gelehnt stand. Beide Hände streckte Consuela ihm in tiefer Dankbarkeit entgegen.

„Ich danke Ihnen, Herr Wex! Von ganzem Herzen danke ich Ihnen!“

„Ist Ihr ... hm, der alte Herr wohlauf?“

„Ja, er scheint gottlob gesund zu sein, trotz allem, was er durchgemacht hat. Er hat Zeitungen verlangt und will lesen.“

Kapitän Wex nickte achtungsvoll. „Zäher Charakter. War direkt ein Vergnügen, wie fix er die Situation erfaßte. Ich brauchte ihm kein Wort zu flüstern. Na, war ja eigentlich selbstverständlich bei einem Manne wie — hm, den Namen wollen wir lieber nicht nennen.“

„Wenn ich nur wüßte, wie ich Ihnen danken soll, Herr Wex!“

Kapitän Wex hielt noch immer die Hände fest, die sich ihm so freiwillig überlassen hatten. Im Schein der Lampe über dem Treppeneingang sah sie deutlich sein Gesicht. Es war kalt und fischartig wie immer, aber in den Augen glomm plötzlich ein fremdes, dunkles Feuer auf.

„Erinnern Sie sich, Fräulein Consuela, was Sie mir versprachen, als ich mit bereit erklärte, die Sache zu machen? Sie sagten, daß Sie es mir danken werden!“

„Das tue ich auch, Herr Wex. Oh, wie gern tue ich das!“

„Well, dann brauchen wir darüber nicht mehr zu sprechen“, gab der Kapitän trocken zurück, aber seine Finger, die dabei leise ihre Hände streichelten, waren heiß und feucht. Consuela fühlte jäh einen Schrecken in ihrem Innern. ‚Vielleicht hat er es dir zuliebe getan,’ hatte der Vater vorhin gesagt. Und dieser sonderbare Blick — großer Gott, sollte Kapitän Wex in sie verliebt sein? Erwartete er etwa von ihr, daß sie zum Dank — seine Frau würde? Unwillkürlich zog sie ihre Hände zurück und sah ihn in verhaltener Angst an.

„Vater und ich, wir werden immer Ihre Schuldner sein, Herr Wex. Aber ich muß jetzt ... ich will ... die Zeitungen ...“

In heißer Verwirrung floh sie vor seinem Blick die Kajütentreppe hinunter. Jefferson Wex sah ihr einen Augenblick befriedigt nach. Reizend die Kleine in ihrer Verwirrung! Wie wird das erst sein, wenn sie ...

Die Hände in den Taschen, eine forsche Melodie halblaut vor sich hin pfeifend, ging Kapitän Wex auf die Brücke zurück und pustete in den Maschinentelegrafen:

„Volle Kraft voraus!“

Zweites Kapitel

Alte Zeitungen! Pedro Garres durchstöberte Blatt für Blatt der bereits mehrere Monate alten Nummern, stürzte sich mit wahrer Inbrunst über die hier und da mit Blaustift angemerkten Artikel und Berichte. Zeitungen aus Rio und Santos, Pernambuco und Porto Allegre, dazwischen auch argentinische, nordamerikanische, englische, deutsche, französische Blätter. Dutzende von verschiedenen dickgedruckten Überschriften, und im Grunde doch alle gleichen Inhalts:

„Pedro Garres verurteilt!“

„Zwanzig Jahre Zwangsarbeit für den Finanzdiktator von Porto Allegre!“

„Das Urteil über Don Pedro Garres gesprochen!“

„Zuchthaus für den Millionenbetrüger Garres!“

„Bankdirektor Garres wegen Betruges und Unterschlagung verurteilt“, schrieben die wenigen noch etwas wohlwollenden Zeitungen zaghaft, aber ihr Gesäusel wurde überheult von den vielen haß- und rachespeienden Blättern:

„Der Volksaussauger Garres ins Zuchthaus!“

„Der Millionenschwindler!“

„Der größte Gauner und Betrüger Südamerikas!“

Am ausführlichsten waren natürlich die Berichte in den Zeitungen der Provinz Rio Grande do Sul.

„Dem Antrag des Staatsadvokaten gemäß verurteilte das Appellationsgericht heute den ehemaligen Bankdirektor Pedro Garres wegen fortdauernden Betruges, Unterschlagung, Urkundenfälschung und Amtsmißbrauchs zu einer Gesamtstrafe von zwanzig Jahren Zwangsarbeit und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte“, las Garres ingrimmig in dem Hauptblatt der Stadt Porto Allegre. „In der Urteilsbegründung wurde hervorgehoben, daß Pedro Garres nach seinem eigenen Eingeständnis sich seit Jahren an den ihm anvertrauten Bank- und Spargeldern vergriffen, Spekulationen vorgenommen, zu denen er nach den Bankgesetzen keinesfalls berechtigt war, und diese Spekulationen durch verschleierte Bilanzen und wissentlich falsche Buchführung geheimgehalten habe. Der Beteuerung des Angeklagten, daß er keine persönlichen Vorteile mit diesen Spekulationen erstrebt, sondern versucht habe, auf diese gewagte Weise die Finanzverhältnisse der Provinz zu sanieren, wird vom Gericht Glauben beigemessen. Diesem guten Glauben steht jedoch die strafverschärfende Tatsache gegenüber, daß der Angeklagte durch seine Manipulationen einen schweren Vertrauensbruch begangen und unzählige Sparer und Bankkunden um ihr ganzes Vermögen gebracht hat. Das Urteil wurde trotz der eindringlichen Mahnung des Gerichtspräsidenten, die Ruhe und Würde des Ortes zu wahren, von der Volksmenge mit lautem Beifall aufgenommen.“

Pedro Garres schloß die Augen und sah diese ganze Gerichtsverhandlung vor sich. Die langen, qualvollen Verhöre vor dem Untersuchungsrichter, die Tage auf dem Armensünderbänkchen, während draußen vor dem Gerichtsgebäude die erregte Volksmenge Schmährufe ausstieß und drohend den Tod des „Don Pedro“ verlangte, die spitzfindigen juristischen Fragen des Vorsitzenden, so sinnlos und hoffnungslos, denn dem Gericht wie jedem anderen war es von vornherein klar, daß die Verurteilung erfolgen mußte, wollte man nicht Gefahr laufen, die Empörung der Menge in helle Revolution ausbrechen zu sehen. Dann die Plädoyers der Verteidiger! Demütigend, beschämend war es gewesen, dasitzen zu müssen und diese langen Reden anzuhören, in denen die Rechtsanwälte ihren Klienten priesen als das große Finanzgenie, das schon vor Jahrzehnten einmal Stadt und Provinz vor dem Ruin gerettet hatte, jede einzelne verdienstvolle Haltung hervorsuchten und breitquetschten — nicht um einen Freispruch zu erzielen, nicht um Pedro Garres’ Handlungsweise verständlich erscheinen zu lassen, sondern nur um zu betteln, um gnädige, milde Strafe zu bitten! Nie hatte Pedro Garres sich so beschmutzt und erniedrigt gefühlt wie in diesen Stunden der Plädoyers. Und die Pausen, in denen die Verteidiger ihn umdrängten, ihm noch einmal „Instruktionen“ gaben, juristische Haarspaltereien und Sophismen! Nur nichts glatt zugeben, nur lavieren, jonglieren. Die Dinge lagen ja kaufmännisch so verwickelt, boten so manches Hintertürchen!

Pedro Garres hatte die Hintertürchen verschmäht. Seine Verteidiger waren fast auf den Rücken gefallen vor Schrecken, als er auf die Frage des Vorsitzenden, ob er sich schuldig bekenne des Betruges und der Unterschlagung nach dem Wortlaut des Gesetzes, mit einem glatten, runden „Ja“ geantwortet hatte.

Es war keine Reue gewesen, die Pedro Garres zu diesem Geständnis veranlaßt hatte. Auch nicht der Wunsch, sich dadurch mildernde Umstände zu verschaffen. Er hatte einfach nicht an diese Verurteilung geglaubt. Er hatte die ganze Verhandlung als Komödie genommen und das Seine dazu beitragen wollen, sie möglichst schnell zu beenden. Natürlich mußte das Gericht ihn verurteilen. Die öffentliche Meinung verlangte dieses Urteil, und die Richter mußten es fällen. Genau so, wie sie ihn überhaupt auf die Anklagebank bringen mußten. Nicht die Richter, nicht der Staat war es, der diese ganze Lawine ins Rollen gebracht hatte. Der Gouverneur selbst hatte ihn gewarnt, als die ersten Sturmsignale auf tauchten, hatte mit ihm in langen Verhandlungen beratschlagt, wie dem Unheil vorzubeugen sei. Die Polizei? Pah, der Polizeipräfekt hatte bestimmt längst von diesen „gewagten Spekulationen“ gewußt. Er war nur klug und vernünftig genug gewesen, abzuwarten und nicht vorzeitig mit plumper Hand dazwischenzutappen. Nein, die Gegner waren es, die Neider, die braven Herren, die in Pedro Garres ein Hindernis sahen, selber im Staate Rio Grande do Sul zur Macht zu gelangen. Die hatten zuerst in ihren Blättern und Blättchen Verdächtigungen und Vermutungen gebracht, so lange, bis die öffentliche Meinung in Panik versetzt worden war und rasend strenge Untersuchung gefordert hatte. Da konnten Staat und Polizei natürlich nicht mehr anders. Da mußten sie Don Pedro Garres, den Bankdirektor, den Finanzdirektor, den einflußreichsten und mächtigsten Mann der Provinz, unter Anklage stellen.

Pedro Garres hatte Verständnis dafür. Auch für die Tatsache, daß er zu einer harten und langen Strafe verurteilt werden mußte. Aber er hatte nicht an die Vollstreckung des Urteils geglaubt. Man würde ihn verurteilen und gefangenhalten, ein paar Wochen oder auch Monate, bis man ihm auf dem „Gnadenwege“ die Freiheit wiedergeben würde, sobald sich der allgemeine Sturm gelegt hatte. Oder man würde ihm eine Gelegenheit geben zu entweichen, sich irgendwo im Ausland verborgen zu halten, bis Gras über die Geschichte gewachsen war.

Nichts davon war geschehen. Pedro Garres war nicht nur verurteilt, sondern auch nach der Sträflingsinsel Fernando do Noronha abtransportiert worden. In langen Monaten, schwer arbeitend zwischen Mördern und Räubern, die Kettenkugel am Fuß, hatte Pedro einsehen müssen, daß es ernst war mit der Strafe. Die Gnadengesuche seiner Anwälte waren abgelehnt worden. Sogar die angestrebte Wiederaufnahme des Verfahrens stieß auf Ablehnung. Es blieb bei dem Urteil von Porto Allegre: zwanzig Jahre Zwangsarbeit! Zwanzig Jahre! Warum nicht lebenslänglich? Warum nicht gleich der Tod? Es war gleichbedeutend, denn Pedro Garres zählte bereits sechsundfünfzig Jahre.

Mit einer raschen Handbewegung griff er nach den nächsten Blättern, las schwarz auf weiß, was er bereits durch seine Anwälte wußte, daß sein gesamtes Vermögen zur Deckung des Schadens beschlagnahmt worden war.

Eine lächerliche Maßnahme, mit der niemand geholfen war. Pedro Garres wußte nur zu genau daß selbst sein großes Privatvermögen kaum ein Zwanzigstel der gewaltigen Summen ausmachte, die abzudecken gewesen wären. Er hatte wahrlich nicht in die eigene Tasche gewirtschaftet. Die Papiere, ja, die waren da, die ungeheuren Kupferaktien, die er aufgekauft hatte! Aber gerade damit wußten die Leute nichts anzufangen.

„Haben Sie irgendeinen positiven Anhaltspunkt dafür gehabt, daß diese Aktien in absehbarer Zeit in einem solchen Ausmaß steigen würden, daß sie die fehlenden Summen ersetzten?“ hatte der Vorsitzende am letzten Verhandlungstage gefragt. Und Pedro Garres hatte, der Wahrheit gemäß, geantwortet:

„Einen positiven Anhaltspunk dafür hatte ich nicht. Nur meine persönliche Überzeugung.“

Damit war sein Schicksal besiegelt, denn alle Finanzsachverständigen sagten als Zeugen aus, daß sie niemals die Einwilligung zu einer so ungeheuerlichen und gewagten Spekulation mit den anvertrauten Barmitteln gegeben hätten.

„Wertlose Aktien hat der Betrüger uns zurückgelassen“, schrieben die Zeitungen. „Die Kupferaktien stehen heute um ein Drittel niedriger als zur Zeit des Ankaufs. Wenn man sie auf den Markt wirft.

Pedro Garres warf, verächtlich lachend, das Blatt zu den übrigen. Auf den Markt werfen! Das wäre das Richtige! Dann freilich gingen Millionen über Millionen verloren. Durchhalten mußte man! Abwarten! Das Kupfer mußte eines Tages steigen. Und er, Pedro Garres, hatte durchgehalten. Er hatte gekämpft wie ein Berserker in jener Zeit, da die finanziellen Schwierigkeiten über Rio Grande do Sul hereinbrachen. Er hätte weitergekämpft, verbissen und verschlagen, bis eines Tages der Erfolg da war, der große Erfolg, der nicht nur die ausgegebenen Summen hereinbrachte, sondern mit einem Schlage die verworrenen Finanzverhältnisse von Stadt und Land gesunden ließ. Wenn man ihn ruhig hätte kämpfen lassen! Aber sie wollten es ja nicht anders, die Idioten! Nun hatten sie den Schaden! Der Gerechtigkeit, der „öffentlichen Meinung“, war Genüge getan, aber das Land hatte Millionen dafür bezahlen müssen. Und wenn man wirklich die Kupferaktien zu dem heutigen niederen Stand verschleuderte, dann — drohte der Ruin!

Neue Zeitungen! Da waren auch Leitartikel über den „Fall Pedro Garres“, schwülstige, moraltriefende Betrachtungen, vermischt mit wehleidigem Bedauern über den Höllensturz eines Mannes, der „unzweifelhaft eines der größten Finanzgenies unseres Landes war“. Man erging sich in geistreichen Abhandlungen über „Cäsarenwahn“ und „Versuchungen, denen auch die Größten unterliegen“. Man „beleuchtete“ die „Psyche des Verbrechers“ von allen Seiten. Ein Teil der Leitartikler schwelgte in wutschnaubenden Verwünschungen des Schwindlers und Betrügers und schlug aus dem Sturz Don Pedros politisches Kapital. Ein anderer Teil versuchte ehrlich, dem Gefallenen „gerecht zu werden“, indem er darauf hinwies, daß Pedro Garres vielleicht wirklich eine Zeitlang geglaubt habe, daß seine Riesenspekulation ihm glücken würde. „Sein schwerstes Verschulden besteht darin, daß er nicht den Mut fand, seinen Fehlgriff einzugestehen, als die Papiere immer weitersanken, anstatt zu steigen. Es gab eine Zeit, da der Verlust noch nicht so riesengroß gewesen wäre und Pedro Garres noch die Möglichkeit hatte, durch ein offenes Geständnis zu retten, was noch zu retten war.“

Nirgends aber ein Wort oder auch nur eine Andeutung davon, daß überhaupt keine Verluste eingetreten wären, wenn man ihm Zeit gelassen hätte! Nirgends auch nur ein schwacher, zaghafter Hinweis auf die Möglichkeit, daß die Kupferaktien eines Tages doch noch steigen würden, wie Pedro Garres es sich gedacht hatte.

Wie klug die Leute auf einmal alle waren! José und Juan wußten auf einmal ganz genau, daß diese Papiere wertloser Dreck waren und auf Jahrzehnte hinaus blieben. Nur er, Pedro Garres, hatte das nicht gewußt, er, den man in fast gleichem Atem „das größte Finanzgenie des Landes“ nannte! Zum Donnerwetter, warum hatten sie ihn denn zum Leiter der Staatsbank gemacht, warum ihm eine fast unumschränkte Kontrolle über die Gelder der Provinz in die Hände gelegt, wenn sie das alles viel besser wußten als er?!

Wieder flog ein Zeitungsblatt auf den Fußboden. Pedro Garres griff nach anderen. Blätter älteren Datums, aus den bösen Wochen, da der Sturm losbrach.

„Unregelmäßigkeiten bei der Staatsbank!“

„Wir verlangen Untersuchung!“

„Ist Don Pedro Garres ein Betrüger?“

„Massensturm der Sparer auf die Staatsbank.“

Und endlich:

„Don Pedro Garres, der Leiter der Staatsbank, verhaftet!“

Ja, das war damals. All diese schönen Schlagzeilen und Überschriften hat Pedro Garres damals schon gelesen, als ihm noch die Post die Zeitungen ins Haus oder in sein Büro brachte. Aber da waren noch andere, kleinere Nachrichten in diesen Blättern, Nachrichten, die er damals kaum beachtet hatte. Heute verweilte sein Blick aufmerksamer und nachdenklicher bei diesen kurzen Zeilen, die so wenig und doch so viel enthielten.

„Der Zusammenbruch der Handelsbank in San Leopoldo.“

„Die Sparkasse in Desterro muß ihre Zahlungen einstellen.“

„Pflanzerfamilie durch den Bankzusammenbruch an den Bettelstab gebracht.“

„Die Firma Estarros & Co. ruiniert.“

Und so ging es weiter. Jede Nummer der Zeitungen brachte neue kurze Notizen: Insolvenzen, Zusammenbrüche, Ruin, Verzweiflung.

Pedro Garres schaute über die Blätter hinweg ins Leere. Ja, es war eine harte Zeit damals. Er mußte kämpfen, um die Staatsbank über Wasser zu halten und — die Kupferaktien nicht unter Preis hergeben zu müssen. Es ging um das Ganze! Was galten da die einzelnen! Tag für Tag wurde die Lage schwieriger. Kredite und Hypotheken mußten gekündigt, Außenstände rigoros eingetrieben werden. Die kleinen Bankgeschäfte, die den Atem verloren, — weg damit!

Mochten sie zusammenkrachen. Es ging ums Ganze! Unbarmherzig hatte Pedro Garres damals die Kleinen fallen lassen, um nicht dieses Ganze zu gefährden. Krieg und Sieg kosten Opfer — das ist nun mal nicht anders.

War das wirklich notwendig damals? Wäre es nicht doch besser gewesen, diese gewaltige Spekulation zu unterlassen? Pedro Garres’ Hände legten stumm das letzte Zeitungsblatt fort. Seine Gedanken gingen den Weg zurück in die Vergangenheit. Ja und tausendmal ja: Es war notwendig! Wie stand es denn um die Finanzen der Provinz Rio Grande do Sul? Elend, entsetzlich! Der Bankrott nahte unaufhaltsam, wenn nicht Wandel geschafft wurde. Und das war möglich durch einen Riesengewinn, der die Finanzwirtschaft auf Jahre hinaus gesunden ließ. Anleihen? Kein Mensch gab der verschuldeten Provinz noch eine größere Anleihe, oder doch nur zu Wucherbedingungen, die jede Gesundung ausschlossen. Wieviel Konferenzen und Besprechungen hatte es damals gegeben — ergebnislos! Wenn man auseinanderging, war man genau so klug wie zuvor. Es mußte etwas geschehen, etwas Großes, Weitausholendes. Damals war es gewesen, daß die Kupferpapiere plötzlich ein gut Stück unter Pari sanken und in Pedro Garres den großen Plan weckten. Kaufen! Ungeheure Mengen kaufen, solange die Depression anhielt! Aber dazu gehörten viele Millionen. Pedro Garres hatte sich nicht bedacht, hineinzuwerfen, was ihm an verfügbaren Geldern zu Gebote stand. Aber die Kupferpapiere sanken immer weiter, sanken unwahrscheinlich tief, bis endlich ... ja, da war man wieder beim Anfang.

Mit einem schweren Seufzer streckte Pedro Garres sich auf das Ruhebett in der Kabine. Eintönig rauschte draußen die See. Wie hatte Consuela eben gefragt: ob er davon überzeugt sei, daß ihm Unrecht geschehen? Natürlich war er davon überzeugt. Sträfliche Dummheit war es, ihm in den Arm zu fallen, bevor die Unrichtigkeit seiner Spekulation erwiesen war! Himmelschreiendes Unrecht war es, ihn an Mörder und Gauner zu schmieden und ins Zuchthaus zu schicken, ihn, den einzigen, der alle zusammen retten konnte! Nun mochten sie es haben! Nun waren sie ruiniert, verloren Millionen über Millionen, die Schreier und Hetzer, da drüben, während er, Pedro Garres, trotz allem geborgen hier auf der „Virgin“ ihrem „Rächerarm“ entfloh.

Keine Sekunde hatte er an seinem guten Recht gezweifelt, sich dieser „Strafe“ zu entziehen. Aber — die Zeitungen da am Boden, diese kurzen, inhaltschweren Notizen ... Zum ersten Male begann Pedro Garres über diese kleinen Notizen nachzudenken, und als er die Augen schloß, geisterten viele blasse, anklagende Gestalten durch seinen Schlaf. Nicht die Menge, die vor dem Gerichtsgebäude gerast hatte, nicht die Gegner, die ihn mit Wort und Schrift bespien, beschimpft und verflucht hatten —, sondern die Unbekannten, die Namenlosen, die Opfer des Kampfes, von denen die Zeitungen nur so nebenbei ein paar Zeilen schrieben.

Pedro Garres schlief in dieser ersten Nacht in der Freiheit schlechter als all die Nächte im Gefängnis.

Drittes Kapitel

Vier Monate lang war Pedro Garres nun schon auf der „Virgin“.

Im ersten Hafen, den man nach jener Befreiungsnacht anlief, in Kingston, war richtig die Polizei an Bord gekommen. Die Schiffspapiere waren einer gründlichen Revision unterzogen worden. Ein sehr höflicher und korrekter britischer Beamter hatte Consuela in ein langes Verhör genommen, sich angelegentlich erkundigt, ob sie Nachrichten von ihrem Vater habe. Auch Kapitän Wex hatte man vorgenommen und endlich sogar unter Führung des Kapitäns eine Durchsuchung der „Virgin“ vorgenommen. Nichts war dabei herausgekommen. Das von Wex gefälschte Logbuch der „Virgin“ wies nichts Verdächtiges auf. Der kleine Raum, in dem Pedro Garres sich sorgfältig verborgen hielt, war nicht entdeckt worden, zumal, da die britischen Beamten augenscheinlich kein besonderes Interesse an dem Fall hatten, sondern nur ihre begrenzte Pflicht taten und einen oberflächlichen Rundgang durch das Schiff machten. Und Consuela war dabei geblieben, daß sie seit Monaten nichts von ihrem Vater gehört hatte, außer was die Zeitungen schrieben. Und dies wußten die Beamten natürlich ebensogut wie Consuela.

Bereits während der Fahrt hatte man dann die drahtlose Nachricht auf der „Virgin“ aufgefangen, daß der Sträfling Pedro Garres bei einem Fluchtversuch von der Insel Fernando do Noronha augenscheinlich ertrunken sei.

Aber Pedro Garres hatte dazu bedenklich den Kopf geschüttelt. „Es mag sein, daß sie mich ertrunken glauben. Die Nachricht kann aber ebensogut eine Falle sein, die mich sicher machen und den Behörden meine Wiederergreifung erleichtern soll. Nein, Kind, solange die Linien meiner Finger noch gegen mich zeugen, ist an Ruhe und Sicherheit nicht zu denken.“