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Der Glaube in Europa schwindet. Zunehmende Säkularisierung, gesellschaftlicher und religiöser Pluralismus haben unter anderem dazu beigetragen. In diesem Zusammenhang spricht man wieder von Mission in den christlichen Kirchen Europas. Doch dieser Begriff ist belastet, denn die Geschichte zeigt, dass Mission sehr oft mit der Ausübung von Macht und Vorherrschaft verbunden war. Andererseits gehört Mission unverzichtbar zum christlichen und kirchlichen Selbstverständnis. Wie ist also Mission heute in Europa zu denken und praktizieren - in der Spannung zwischen Auftrag und Verpflichtung, geschichtlicher Last und den gegenwärtigen Herausforderungen und Versuchungen? Pastoraltheologin Regine Polak überdenkt dieses heikle Thema unter neuen Gesichtspunkten und gibt einen Überblick über die wichtigsten Fragen. Band 4 der Reihe "Spiritualität und Seelsorge", die im Auftrag der Ordensgemeinschaft der Redemptoristen herausgegeben wird.
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Seitenzahl: 142
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REGINA POLAK
AUFTRAG – HERAUSFORDERUNG – RISIKO
Band 4 der Reihe „Spiritualität und Seelsorge“, die von P. Martin Leitgöb und P. Hans Schalk im Auftrag der Ordensgemeinschaft der Redemptoristen herausgegeben wird.
Mitglied der Verlagsgruppe „engagement“
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
2012© Verlagsanstalt Tyrolia, InnsbruckUmschlaggestaltung: stadthaus 38, InnsbruckLayout und digitale Gestaltung: Tyrolia-VerlagDruck und Bindung: Alcione, Lavis (I)ISBN 978-3-7022-3147-7 (gedrucktes Buch)ISBN 978-3-7022-3237-5 (E-Book)E-Mail: [email protected]: www.tyrolia-verlag.at
RISIKO
Mission: Zuwendung im Horizont der Liebe
Mission: Metanoia im Horizont des Reiches Gottes
PERSÖNLICHER EINBLICK
Wie bin ich „missioniert“ worden?
Beziehung stiften: Personen, Bücher, Ereignisse
Grenzen überschreiten: Konversion und Sozialisation
Wie hat sich mein Missionsverständnis entwickelt?
Was möchte dieses Buch?
AUFTRAG
Der Auftrag der Gegenwart
Zur Ausgangslage
Gegenwart als Lernort
Der biblische Auftrag
Der „Missionsbefehl“?
Mission in der Bibel
Ausgewählte biblische Begründungen
Der Auftrag der Geschichte
Lernen aus der Missionsgeschichte?
Die antike Kirche
Die Karolingische „Schwertmission“
Der Auftrag der Kirche
Eine evangelische Entdeckung
Katholischer Paradigmenwechsel
Nachkonziliare Entwicklungen
Dialog – Evangelisierung – Mission
Zeitgenössische Missionskonzepte in der Theologie und in Ordens-Leitbildern
HERAUSFORDERUNG EUROPA
Wer die Gegenwart nicht versteht, dem muss Gott fremd bleiben
Globalisierung und Transformation als Kontext
Globalisierung
Transformation
Herausforderungen in Europa
Risiken und Reichtum Europas
Veränderungen in Wirtschaft und Technologie
Veränderungen in der Politik
Veränderungen durch Demographie und Migration
Veränderungen durch den anthropogenen Klimawandel
Soziale Veränderungen
Sozioreligiöse Veränderungen
Gegenwartstheologien für Europa riskieren
Warum und wie?
Beispiele zum Weiterdenken
OPTIONEN – PERSPEKTIVEN – ORIENTIERUNGEN
Lebens- und Lerngemeinschaft christlicher Praxis
Lebens- und Lerngemeinschaft
Eine neue Wahrnehmung von „Praxis“ lernen
Ökumene
Mission im ökumenischen Horizont realisieren lernen
Lernen von anderen Missionsverständnissen
Mission im interreligiösen Dialog lernen – und umgekehrt
Von Anderen lernen
Lernen von Missionaren in der Welt
Von verschiedenen „Anderen“ lernen
Von Theologie lernen
„Praktisches“
Pastoral planen lernen im Horizont von Mission
Entscheidend: Begegnung und Beziehung lernen
Eine neue Sprache lernen?
PERSÖNLICHER AUSBLICK
Wie können Menschen in Vielfalt miteinander leben lernen?
Convivenz in Differenz fördern – das Zusammenleben in Vielfalt und Verschiedenheit
RISIKO
Gewalt
Das Verhältnis zur „Welt“
Die veränderte Kirche
Anmerkungen
„ ‚Missionarisch‘ zu sein heißt für die Kirche, zu anderen Generationen, zu fremden Kulturen, zu neuen menschlichen Strebungen zu sagen: ‚Du fehlst mir‘ – nicht so, wie ein Grundbesitzer über das Feld seiner Nachbarn spricht, sondern wie ein Liebender. Wenn sie als ‚katholisch‘ qualifiziert wird, wird sie definiert durch den Bund zwischen der Einzigkeit Gottes und der Pluralität menschlicher Erfahrungen: Immer neu dazu aufgerufen, sich zu Gott zu bekehren (der sie nicht ist und ohne den sie nichts ist), antwortet sie, indem sie sich zu anderen kulturellen Regionen, zu anderen Geschichten, zu anderen Menschen hinwendet, die der Offenbarung Gottes fehlen.“1
Diese Worte des französischen Jesuiten Michel de Certeau sind zum Zentrum meines Missionsverständnisses geworden. Mission ist für ihn eine „Liebeserklärung“ an die Anderen. Diese Anderen fehlen der Offenbarung Gottes, d. h. sie sind unverzichtbar für die Gläubigen, um die „geoffenbarte Wahrheit“ Gottes immer „tiefer erfassen, besser verstehen und passender verkünden zu können“2. Ohne Einsicht in die eigene Bedürftigkeit, ohne Sehnsucht nach den Anderen, ohne Bereitschaft zum Verlassen des Eigenen und Aufbruch zu den Anderen ist Mission nicht möglich. Mission wurzelt in der Liebe. Die Liebe wird hier beschrieben als Bedürftigkeit nach den Anderen, weil diese anders sind. Die Unterschiede zwischen Menschen oder Kulturen verschwimmen daher nicht, sondern werden als heilsnotwendig für die Offenbarungsgeschichte erkannt. Diese Liebe vollzieht sich als Transformationsprozess, als Verwandlungsgeschehen, als Umkehr zu Gott. Konkret sichtbar wird die Umkehr in der Zuwendung zur Pluralität menschlicher Erfahrungen. Diese Art von Liebe ist ein Risiko. Denn die Bejahung von Vielfalt und das Lernen an Unterschieden sind bereichernd, aber auch verunsichernd. Das Eigene wird in Frage gestellt. Das bedeutet für alle Beteiligten immer auch Konflikt, Scham und Schmerz. Eine solche Liebe ist bedroht von Selbstgenügsamkeit, Ichbezogenheit und der Versuchung, den Anderen für sich selbst vereinnahmen zu wollen. Dahinter lauert die Angst vor der alles verwandelnden Liebe Gottes. Denn diese verlangt, den Eigenwillen vom Willen Gottes durchformen zu lassen. Dies geschieht, indem man sich selbst riskiert und sich im Horizont der Liebe Gottes auf die Anderen einlässt. Ohne diesen spirituellen Lernprozess steht Mission immer in der Gefahr, die Anderen bloß vom Eigenen überzeugen zu wollen. Die Kirche braucht die Anderen, um ihre eigene Wahrheit besser zu erkennen. Dies verlangt, deren Wahrheit verstehen zu lernen, im Wissen, dass dies nie zur Gänze möglich ist. Liebe braucht die Bereitschaft, sich in diesem Lernprozess tiefer selbst zu erkennen und zu verändern, was immer auch Verlust und Schmerz bedeutet; sie bedarf der Wechselseitigkeit von Beziehungen und der Dankbarkeit füreinander, auch wenn man einander vielleicht fremd bleibt. Möglich wird dieses Risiko durch die Liebe Gottes, die Menschen hilft, das Lieben zu lernen. So verstanden hat das geschichtlich belastete Wort Mission hoffentlich Zukunft.
Mission zielt auf Umkehrung, auf Bekehrung, auf Metanoia: auf eine radikal veränderte Weise, die Wirklichkeit wahrzunehmen und zu denken, sowie auf eine Praxis, die im Geist Gottes und im Sinne des Evangeliums erneuert wird. Eine solche Metanoia ist eine lebenslange Aufgabe für alle: für jene, die das Evangelium verkünden, und jene, denen es verkündet wird. Diese Umkehr erfolgt im Horizont des Reiches Gottes:
„Erfüllt ist die Zeit, und nahegekommen ist das Reich Gottes. (Deshalb) kehrt um und glaubt an die frohe Botschaft!“ (Mk 1,15)
Die Ankündigung des Reiches Gottes bildet das Zentrum der jesuanischen Botschaft (vgl. auch Lk 4,43). Jesus spricht nicht nur über das Reich Gottes, sondern er sagt es an – als öffentliche Anrede und als Wirklichkeit. Jetzt erfüllen sich die prophetischen Verheißungen. Jetzt ist das Reich Gottes da. Jesus beschreibt eine Weise, die Wirklichkeit wahrzunehmen: als Zeit der Gegenwart Gottes. Die Umkehr ist dabei nicht die Bedingung, sondern die Folge des Heiles, das schon da ist.3 Wer die Gegenwart als Anwesenheits- und Handlungsraum Gottes wahrnimmt, dem erschließt sich die „Logik“ Gottes, von der die gesamte Heilige Schrift erzählt. Ein Umkehrprozess in die Wirklichkeit Gottes findet statt: eine Metanoia. Auch dieser Vorgang ist ein Risiko. Metanoia ist eine schmerzhafte und zugleich erfüllende Erfahrung. Mission bedeutet zuallererst, die Wirklichkeit des Reiches Gottes, wie es Jesus beschreibt, wahrnehmen zu lernen – als Realität, die das Individuum und seine gesellschaftlichen Verhältnisse verwandelt. Mission ereignet sich daher immer auch im Horizont der Verwirklichung je größerer Gerechtigkeit in der Welt. Sonst hat sie ihren Namen nicht verdient. In Erzählungen, Gleichnissen und seinen Taten beschreibt und verwirklicht Jesus das Reich Gottes.4 Riskant ist dieser Vorgang, weil die Reich-Gottes-Logik die allzu selbstverständliche menschliche Alltagslogik hinterfragt, erschüttert und radikal umkehrt. Das Reich Gottes ereignet sich „schon jetzt“ – wenn auch „noch nicht“ ganz. Aber dieses „Noch-Nicht“ beschreibt nicht das mangelhafte Wirken Gottes, sondern die Antwort der Menschen, die noch in der Entscheidung für oder gegen die Annahme dieser Wirklichkeit stehen. „Deshalb ist die Gottesherrschaft zwar nahe, aber noch nicht da. Sie ist dem Gottesvolk (…) vor die Füße gelegt (…). Aber solange sie nicht angenommen ist, ist sie nur nahe und um das Reich Gottes muss noch gebetet werden: ‚Dein Reich komme!‘ (Mt 6,10).“5 Mission bedeutet, in jeder Generation das Reich Gottes neu wahr- und annehmen zu lernen.
Auch die Kirche ist unterwegs zum Reich Gottes, ist aber nicht ident mit ihm: „Von daher empfängt die Kirche (…) die Sendung, das Reich Christi und Gottes anzukündigen und in allen Völkern zu begründen. So stellt sie Keim und Anfang dieses Reiches auf Erden dar. Während sie allmählich wächst, streckt sie sich verlangend aus nach dem vollendeten Reich; mit allen Kräften hofft und sehnt sie sich danach, mit ihrem König in Herrlichkeit vereint zu werden.“6 Deshalb bedarf auch sie immer wieder der Umkehr.
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