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Im ersten Teil meisterte Lisa schon die ersten Herausforderungen auf ihrem Weg zum Ziel, dem Finnmarksløpet 2025. Nun muss sie die nächsten Herausforderungen angehen und dazu ihre eigenen Grenzen ein weiteres Mal überschreiten. Steige auf ihren Schlitten auf und sei hautnah dabei. Fahre mit ihr zusammen durch einen Schneesturm. Schaut zu, wie sie ein weiteres Mal die Weiße Wand erklimmt. Und sei überrascht, wie leistungsstark und anpassungsfähig ihre Hunde sind. Wie Lisa und ihr Gespann mit Freya und Kurt an der Spitze sich gemeinsam entwickeln und Herausforderungen bestehen. Selbst die nicht vorhersehbaren. Zittere mit mir bei kilometerlangen Bergabfahrten über vereiste Straßen, mit einem LKW und 20 Hunden an Bord. Erlebe, wie eine Tragödie mit ihrer Huskyhündin Aurora uns alles abverlangte. Doch die Zweifel nagen an ihr: War sie wirklich bereit für das Finnmarksløpet? Mit jedem Rennen schärft sie ihre Sinne, stärkt sie ihre Bindung zu ihren Hunden und entdeckt ihre inneren Grenzen. Sei Zeuge, wie die Dialoge zwischen Lisa und mir am Ende allen weiterhalfen. Eine Geschichte über Mut, Ausdauer und die unbändige Kraft der Natur, die zeigt, dass selbst die größten Träume mit genug Entschlossenheit wahr werden können.
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Seitenzahl: 308
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Ein herzliches Dankeschön an all die wundervollen Menschen, die Teil dieser besonderen Reise geworden sind. Eure Unterstützung war wie ein warmer Wind in meinem Rücken, der mich immer weiter getragen hat. Gemeinsam haben wir Berge versetzt und gezeigt, dass Träume wahr werden können. Ohne eure unzähligen kleinen und großen Beiträge wäre dieses Buch nicht möglich gewesen. Eure Worte, eure Taten und eure Begeisterung haben mich tief berührt. Ich bin unendlich dankbar für diese einzigartige Gemeinschaft, die sich um Lisa und ihre Abenteuer geschart hat.
Stinstedt im September 2024 Eckard Wulfmeyer
Ein herzliches Dankeschön an all die wundervollen Menschen, die meine Reise zu etwas ganz Besonderem gemacht haben. Eure Unterstützung war wie ein warmer Mantel an kalten Tagen. Jede ermutigende Nachricht, jeder praktische Tipp und jede gemeinsame Meile haben mich gestärkt. Ich bin unendlich dankbar für eure Freundschaft, eure Liebe und eure unerschütterliche Treue. Ohne euch wäre ich nie so weit gekommen.
Ein besonderer Dank gilt meinen Eltern, die immer an meiner Seite standen, egal wie verrückt meine Ideen waren. Eure bedingungslose Liebe und euer Vertrauen haben mir Flügel verliehen. Und natürlich Eckard, mein Fels in der Brandung. Deine Geduld und dein Humor haben mir oft den Tag gerettet. Dein Buch ist nicht nur eine Dokumentation unserer gemeinsamen Abenteuer, sondern ein Beweis für unsere einzigartige Verbindung.
Ich bin überwältigt von so viel Herzlichkeit und bin stolz, von euch umgeben zu sein. Gemeinsam haben wir Berge versetzt und gezeigt, dass Träume wahr werden können.
Stinstedt im September 2024 Lisa Pannenberg
Es beginnt
Mittsommer 2023
Saisonbeginn
Neue Ziele?
Ein intensives Wochenende
16. Schlittenhunde-Wagenrennen in Reingers/A
26. Schlittenhunde-Wagenrennen in Oberndorf
Klaistow/Berlin und Silberbergtrail Wingst 01.12. – 03.12
Anmeldung Amundsen Race
Quatsch im Matsch / Brast im Morast
Tage wie diese
Das Jahr 2023
Schweden-Schnee oder Destne-Dreck?
Eisige Grüße aus Lappland
Wir sind dann mal weg
Vor Ort, der Schnee, die Kälte.
Was machen die Hunde in der Kälte?
Das Rennteam
Die arktische Katze
Scheitern mit Ansage oder Sieg durch Minimalismus?
Und dann noch die Sache mit Aurora
Das Amundsen Race 2024 in Strömsund
Wie erholte sich das Rennteam?
Zwischen den Rennen
Rudi und die Kälte
Beaver Trap Trail 2024
Wie geht es weiter?
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„Am Ende wird alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende.“ ~ Oscar Wilde
Wir hatten mehrere Tage in unserem Haus in Lycksele in Schweden verbracht, um ein paar notwendige Reparaturen durchzuführen. Bestimmte Arbeiten und Wartungsarbeiten können nur im Sommer erledigt werden, denn bei -20 Grad Celsius ist es nicht möglich, unser Haus von außen zu streichen. Die Farbe würde nur am Pinsel festfrieren. Wir nutzten das mäßig warme Wetter und reparierten einen undichten Wasserhahn, ersetzten einige Lampen und Möbel und installierten Thermostatventile an den Heizkörpern. Der Tradition folgend, haben wir unsere Veranda mit den klassischen schwedischen Hausfarben verschönert. Wie fast überall in Schweden wies die überwiegende Mehrheit der hiesigen Häuser die typischen Bullerbü-Farben auf: Schwedenrot-weiß. Manche waren in hellem Grau-weiß. In Lycksele gibt es nur zwei schwarz gestrichene Häuser: Eins bewohnt der örtliche Tätowierer, das andere Håkan.
Am Abend vor unserer Abreise nach Stinstedt waren wir bei Håkan (sprich: Hokan) und seiner Familie zu Hause eingeladen. Dies war eine große Ehre für uns, denn es ist nicht üblich, dass Ausländer eingeladen werden. Das konnten wir immer wieder von Auswanderer-Gruppen auf Facebook hören und lesen. Håkan ist ein echter Freund für uns geworden - und ein sehr hilfsbereiter dazu. Außerdem hat er einen Radlader! Warum das wichtig ist? Mit einem Radlader kann man große Mengen Schnee in kurzer Zeit bewegen. Wenn wir Lycksele im Winter besuchen, sind die gesamte Einfahrt und der Hof bei unserer Ankunft bereits geräumt, damit wir das nicht selbst machen müssen. Obendrein ist das Haus vorgeheizt, was sehr angenehm ist.
An diesem Abend bei Håkan, Zandra, Ramona und Kenny machten wir erneut die Erfahrung, die wir bislang mit allen Schweden gemacht hatten: Begegnete man ihnen freundlich, dann gaben sie die Freundlichkeit genauso zurück. Zudem lernten wir eine Menge über dieses Land – Dinge, die man in keinem Schulbuch findet.
Wir saßen auf einer großen, schwarzen Terrasse, an einem großen, schwarzen Tisch, neben einem großen, schwarzen Grill. Die Stühle waren allerdings nicht schwarz, genauso wenig wie der Fußboden. In diesen war ein großer Pool integriert, der bei Bedarf unter ihm verschwand.
Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich die Gelegenheit, schwedisches Bier zu probieren. Obwohl ich bekanntermaßen weniger ein Bier- als vielmehr ein Kaffeetrinker bin, mochte ich dieses Bier. Es war sanft im Geschmack, nicht so herb.
Håkan schaute unsere Hunde an und streichelte sie. Ich war mir sicher, dass er selbst gerne einen Hund hätte. Oder zwei. Und groß sollten sie sein. Aber der Zeitaufwand…
Wir unterhielten uns über den vergangenen Winter, die Rennen und unsere Wahrnehmungen und Erfahrungen mit Schnee in Lappland. Es war ein lustiger Abend, an dem wir uns ausschließlich auf Englisch unterhielten. Unsere Schwedischkenntnisse waren noch nicht gut genug, um lange Unterhaltungen zu führen, aber für die notwendigsten Dinge, wie zum Beispiel Brot kaufen, reichte es. Da wir alle keine englischen Muttersprachler waren, war es für uns alle anstrengend, uns zu unterhalten. Umso dankbarer waren wir für die Freundlichkeit unserer Gastgeber, die diese Last auf sich nahmen.
Ich erzählte, dass ich alle Geschichten der letzten Saison in einem Buch zusammengefasst hatte, und dass es einen weiteren Teil geben würde. „When does the story begin?“, fragte man mich. Ich hatte ein Déjà-vu. Vor etwa einem Jahr, im Hotel Bösehof in Bad Bederkesa, hatte mich mein Bruder beim Essen mit derselben Frage konfrontiert: Wann beginnt die Erzählung? Damals war die Antwort: In diesem Moment. „I have to see“, antwortete ich jetzt. Doch insgeheim dachte ich: Warum nicht jetzt? Es ist ein toller Abend. So beginnt Teil 2 dieser Buchreihe jetzt, an diesem sommerlich warmen Abend in Lappland, in Lycksele, in einem schwarzen Haus, bei Håkan und seiner Familie.
Lisa und ich erlebten einen beeindruckenden Abend - und wie jeder schöne Abend ging auch dieser viel zu schnell zuende.
Am nächsten Morgen begannen wir frühzeitig zu packen. Die Heimreise stand bevor, aber nicht auf direktem Wege, denn Lisa wünschte sich „einen kleinen Schlenker“, der allerdings in Lappland einen Umweg von 450 bis 500 Kilometern bedeutet. In Schweden ist eben alles etwas größer: die LKW, die Schneeschaufeln, die Räumfahrzeuge, die Wälder, die Straßen, die Rentierherden, die Skidoos, die Schneemengen und die Langstreckenrennen. Auch die kleinen Umwege.
Der kleine Umweg führte uns zuerst nach Borgafjäll, ein Ort voller Emotionen und Erinnerungen an ein großes Abenteuer für Lisa, wie jeder weiß, der Teil 1 gelesen hat. Dort befand sich der Checkpoint des BTT, des Beaver Trap Trails. Das ist dasjenige Langstreckenrennen, welches Lisa im März absolvierte – ihr allererstes. Sie wollte die Geschehnisse in ihrem Kopf noch einmal Revue passieren lassen und ihre Neugier befriedigen, wie es dort im Sommer aussieht.
Nach zweieinhalb Stunden kamen wir dort an. Ich hatte die Idee im Kopf, ein Bild von der Stelle zu machen, an der ich mit Lisa im Schnee zwischen den Huskys zusammengesessen hatte – nur diesmal im Sommer. Doch nach meiner Ankunft stellte ich schnell fest, dass es nicht gehen würde. Das, was sich im Winter als feste und ebene Fläche präsentierte, war im Sommer eine matschige Sumpflandschaft. Schon nach 12 bis 15 Schritten von der Straße Richtung Checkpoint waren meine Schuhe und Strümpfe nass. Ich sank bis zu den Knöcheln ein. Ein wenig frustriert kehrte ich um. Schuhwechsel war angesagt. Aus dem Bild wurde nichts. Dafür hatte ich einfach nicht die passende Kleidung dabei.
Während Lisa die nähere Umgebung inspizierte und die Erinnerungen an dieselbe Landschaft im Schnee in ihren Kopf zurückholte, suchte ich nach einem besseren Fotomotiv. Mit trockenen Schuhen war es schnell gefunden: der Berg, auf den sie zufuhr, und den sie mit einer großartigen Energieleistung überwunden hatte.
Der Aufenthalt dauerte nicht lange. Ich hatte es eilig, denn wir hatten noch über 2.000 Kilometer Rückreise vor uns. Wir packten die Hunde wieder ins Auto und fuhren ein Stück zurück. Wir mussten um die beiden Berge auf dem Bild herumfahren, denn auf der anderen Seite gab es noch etwas, das Lisa anzog: Eine Gegend namens Stekenjokk, wo es eine Straße gibt, die im Jahr nur für ein paar Wochen geräumt und somit befahrbar ist. In der übrigen Zeit ist sie meist meterhoch mit Schnee bedeckt und nicht passierbar. Eine völlig intakte Straße, die nur ein paar Wochen im Juni und Juli befahrbar ist, in einer Region mit weniger als einem Zehntel der Bevölkerungsdichte Deutschlands. Für mich als Deutschen war das schon eine interessante Erfahrung.
Wir hielten an einem großen Parkplatz namens Stekenjokk Mine. Es gab ein paar Anhänger, die als Verkaufsstände für Essen und Souvenirs eingerichtet waren. Ich schaute mir die geparkten Autos an und hatte nicht das Gefühl, in Schweden zu sein, denn über 80 % der Fahrzeuge hatten ein deutsches Nummernschild, und überall sprachen die Leute Deutsch.
Um den Parkplatz herum war ein kleiner Wanderweg angelegt, den wir mit unseren Hunden entlang gingen. Es waren einige Wegweiser angebracht, die die Entstehung dieses Weges darstellten. Zudem befassten sich zahlreiche Schilder mit der örtlichen Flora und Fauna.
Vor mir erstreckte sich eine einzigartige Landschaft, die ich eigentlich nur schwer beschreiben kann: Es gab zwar Berge, aber keine richtigen Berge und auch keine Hügel. Eine große Fläche war mit Schnee bedeckt, der von breiten, grauen Felsbändern durchzogen war. Wo etwas wachsen konnte, wuchs etwas. Aber nichts war groß. Alles, was dort wuchs, war klein.
Wir sahen ein paar Weiden, und ich las etwas Überraschendes auf einem Schild. Diese Weiden waren nur einen halben Meter hoch, aber schon über 20 Jahre alt. In dieser Region wächst nur wenig, und es wächst langsam. Sehr langsam. Denn die Vegetation hat dafür nur ein paar Wochen im Jahr Zeit.
Bald begannen wir unsere Rückreise nach Stinstedt. Wir fuhren in die Dunkelheit hinein, und ich brauchte einige Zeit, um mich daran zu gewöhnen. In Lycksele war es in den Tagen zuvor fast immer hell gewesen. Als wir in Richtung Süden fuhren, schaute ich immer wieder in den Rückspiegel und stellte fest, dass es dort immer noch hell war, selbst als es auf Mitternacht zuging. Die Diskrepanz zwischen den beiden Regionen war frappierend und verdeutlichte mir, wie einzigartig jeder Ort war, den wir besuchten.
Wir suchten uns einen Platz, um ein wenig im Auto zu schlafen und die Reise am nächsten Tag fortzusetzen. Irgendwo zwischen Stockholm und Malmö zeigte mir Lisa ein Bild auf ihrem Smartphone. Es war ein LKW- Pferdetransporter abgebildet. „Schau mal, wäre der nicht klasse?“, fragte sie. „Wofür?“, wollte ich wissen. „Da könnte ich alle Huskys mitnehmen und müsste keinen zurücklassen.“ Nein, darüber wollte ich zu diesem Zeitpunkt wirklich nicht reden. Schnell suchte ich nach einer Ablenkung. „Würdest du mir einen Kaffee machen?“, fragte ich mit einem Lächeln. „Ja, ich habe noch heißes Wasser in meiner Thermoskanne.“ Der Weg zurück nach Stinstedt verlief problemlos. Das ist bei uns beiden durchaus erwähnenswert.
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Es summte und zwitscherte, während ich auf der schattigen Terrasse saß und den Schwalben zusah. Neben meinem Laptop stand ein Eis-Espresso in einer großen Tasse. Drei Espressi, in denen eine Kugel Vanilleeis schwamm. Manche nennen es Luxus, ich nenne es die Freiheit: meine Zeit nach meinen Vorstellungen einteilen zu können und die Freiheit, mir Zeit zu nehmen für die Dinge, die ich liebe.
Wenn ich Schwalben sehe, habe ich stets das Gefühl, einem kleinen Wunder beizuwohnen: Sie wiegen kaum mehr als ein Brief, fliegen 10.000 Kilometer ohne zu rasten, können sogar im Flug schlafen und dabei eine Gehirnhälfte abschalten. Die Schwalbe ist ein Vogel, der nie ganz ankommt, immer unterwegs ist. Sie lebt mit uns, ist aber nie ganz bei uns.
Im Augenblick war die Luft voller Insekten und die Schwalben sammelten sie in der Luft. Sie pflückten sie so, wie wir Beeren von wilden Sträuchern pflücken. Für Lisa fühlte sich das an wie Freiheit. Und das war ein gutes Stichwort, denn Lisa saß mir gegenüber und plante ihre nächsten Abenteuer, die Wettbewerbe in Mitteleuropa und die Langstreckenrennen in Skandinavien. Sie bereitete ihre eigene Freiheit vor.
Die Schwalben sind nicht nur ihre Lieblingsvögel, sondern auch ein Freiheitssymbol. Viel mehr noch als ihre Huskys. Denn die Freiheit einer Schwalbe unterscheidet sich von der Freiheit ihrer Huskys und anderen Tieren. Die Schwalbe ist nicht domestiziert wie unsere Hunde, sie kann gut wild leben. Ihre Freiheit besteht darin, dass sich ihre Gattung gut ausbalanciert hat, sich gut regenerieren und fast sorglos leben kann. Das war die Freiheit, die Lisa meinte, und die sie auf den Langstreckenrennen spüren und erfahren konnte. Die schnellstmögliche Überwindung riesiger Distanzen nur durch Muskelkraft und Anpassung. So definiert jeder seine Freiheit individuell.
Lisa unterbrach das Schweigen. „Schau mal“, sagte sie und hielt mir ihr Smartphone vor die Nase, auf dem ein LKW zu sehen war, ein Pferdetransporter. Sie schaute wortlos erst auf den Bildschirm und dann mit einem ganz deutlichen Fragezeichen zu mir zurück.
„Der ist zu verkaufen!“
„Du willst einen Pferdetransporter kaufen?“
„Ja, für die Huskys.“
„Warum?“
„Damit ich alle Hunde nach Schweden mitnehmen kann“
„Warum ist das wichtig?“
„Damit die jungen Hunde nicht zu Hause bleiben und zwei bis drei Monate nichts tun, sondern auch entsprechend bewegt werden und Erfahrung sammeln können. Das gleiche gilt auch für die erwachsenen Hunde. Zu Hause ist es kalt, sie wollen laufen, aber sie werden nur versorgt, es ist dort keiner, der mit ihnen losfährt. Jemanden zu finden, der sich über die allgemeine Versorgung hinaus um die Huskys kümmert, ist sehr schwierig“
„Und wer soll den LKW fahren?“
„Du erst einmal, aber ich mache dann einen Führerschein dafür.“
„Wann?“
„Sobald ich dazu komme.“
„Also nie,“ würgte ich das Gespräch ab.
Wie auf ein unsichtbares Zeichen hin standen wir beide auf, mit dem gleichen Ziel, aber unterschiedlichen Motiven. Wir gingen in das große Husky-Gehege. Lisa wollte dort weiter die Verdauungsergebnisse der Huskys aufsammeln, und ich wollte noch nach dem Fahrrad schauen. Wir gingen den Hauptweg entlang. Auf der rechten Seite waren Phoenix und Nanna. Phoenix war jetzt schon 10 Monate bei uns. Und es war immer noch so, dass ich, wenn ich ihn sah, seine Art sich zu bewegen, seinen Gang, sein Auftreten, ein leichtes Zittern in meiner Stimme bekam und meine Augen feucht wurden. Mir war in den vergangenen Monaten klar geworden, dass nur die Wenigsten in ihm das sehen konnten, was ich sah. Aber das machte nichts, denn auch wenn ich ihn manchmal mehrere Tage nicht sehen konnte, verspürten wir beide Zuneigung und Respekt, sobald ich vor dem Gehege stand. Ich kraulte ihn an den Ohren und den Flanken.
Lisa und ich begannen ein Gespräch über das Renngespann für die nächste Saison. Mit solchen Überlegungen und Planungen könne man nie früh genug anfangen und auch nie zu spät aufhören, fand sie. Im Grunde fanden solche Gespräche das ganze Jahr über statt, im Sommer in etwas größeren Intervallen, im Winter mindestens jeden zweiten bis dritten Tag. Sie erzählte von den Positionsverschiebungen in ihrem Renngespann. Das waren die Momente, in denen sie in ihrem Kopf und vor ihrem geistigen Auge die einzelnen Hunde auf deren jeweiligen Positionen verschob als würde sie Schach spielen. Ein Spiel, das nur sie sehen konnte. Dabei redete sie unentwegt über die jeweiligen Vor- und Nachteile des einzelnen Hundes auf der Position. Ich hörte ihr zu. „Was sagst du denn dazu?“, fragte sie mich am Ende. Ohne direkt auf die Frage einzugehen, zeigte ich auf Phoenix und entgegnete Lisa: „Für mich wäre er die Nummer 9.“ Bei den Rennen fuhr Lisa mit einem Husky-Gespann von 8 Hunden. Mit der Nummer 9 meinte ich, dass er der erste Ersatz wäre. Er war zwar schon alt, hatte aber Erfahrung. Und er hatte Ehrgeiz, Biss und Willen. Er war, ein wenig so wie Alex, ein menschliches Mentalitätsmonster, das jeden Tag aufs Neue den Rückweg von der Arbeit nach Hause auf dem Rad als Herausforderung ansieht, um einen neuen Streckenrekord aufzustellen. Phoenix rannte nicht gegen die Uhr. Wie Alex rannte er gegen etwas viel Intensiveres: gegen sich selbst. Als könnten sie das Übel dieser Welt mit ihrer Willenskraft besiegen. Ihr Ehrgeiz trieb sie an, sich zu quälen. Etwas, was ich theoretisch verstand, aber nie und nimmer praktisch. Wenn Ehrgeiz dich nicht quält, dann hast du keinen.
Hatte ich Phönix vor dem Fahrrad, merkte ich, wie konzentriert er war. Aufgrund seiner enormen Erfahrung zog er nur so viel oder wenig wie nötig, um mich mit meinem Fahrrad in Bewegung zu halten. Dadurch war sein Energieaufwand sehr gering, und er konnte das sehr lange durchhalten. Die Bewegung gab ihm eine tiefe Befriedigung, er brauchte sie wie ich den Kaffee. Manchmal hatte ich das Gefühl, die Bewegung befreite ihn, wovon auch immer.
Phönix war fit und gesund, er hatte sich gut von seiner Verletzung im letzten Herbst erholt. Er war bereit. Dachte er. Dachte ich. Was dachte Lisa? Sie ließ es mich nicht wissen, und mit höflichen Worten umschrieb sie, warum sie keine Entscheidung dazu traf. Ich sagte zu ihr: „Er kann schön mit Nanna laufen.“ Lisa bestätigte dies ausdrücklich. „Die sind beide selbst im hohen Tempo noch im Trab. Selbst da, wo der Rest des Gespanns schon im Galopp ist, traben die beiden noch. Und es wäre dann der jüngste und der älteste Hund im Gespann nebeneinander.“ Aber es bestanden natürlich noch einige Optionen mit den heranwachsenden Hunden. Wer weiß, wer sich bis dahin aufdrängte. Bis Lisa sich entscheiden musste, waren es noch drei Monate. Dann startete das erste Rennen. Und bis dahin würden diese Planspiele in Lisas Kopf weitergehen.
„Pling!“ krakeelte mein Telefon: Eine Nachricht von Lisa mit einem Link. Ich folgte diesem Link und es öffnete sich eine Anzeige. Jemand wollte einen Pferdetransporter verkaufen.
„Was soll ich damit?“
„Dir mal anschauen.“
„Hab ich.“ entgegnete ich und steckte mein Smartphone in die Tasche.
Einige Tage später saß ich wieder draußen auf der überdachten Terrasse. Die Sonne brannte vom Himmel, ich war froh über das Dach als Sonnenschutz. Mein Laptop stand geöffnet vor mir, ich schrieb. Etwas später auch diese Zeilen. Lisa setzte sich zu mir. Wir aßen Gebäck. Das Gesprächsthema war sofort: Schlittenhundesport. Sie hatte sich entschieden, wie der Rennkalender für die kommende Saison aussehen sollte:
Reingers (Österreich/Tschechien)
Oberndorf (Bayern)
Klaistow (Berlin)
Wingst (Bei uns um die Ecke)
Tramelan / Trainingslager (Schweiz)
Destne (Tschechien)
Amundsen Race (Schweden)
Beaver Trap Trail (Schweden)
Das war der Plan und so sollte es sein. Und warum war das Finmarksløpet nicht dabei? Es war Lisas ausgegebenes Ziel, an diesem Rennen in Nord-Skandinavien teilzunehmen. Und die Qualifikation dazu hatte sie mit dem Erreichen der Ziellinie des Beaver Trap Trail im März 2023 erreicht. Warum startete sie dann nicht dieses Jahr bei diesem Rennen? Lisa war der Sprung von 223 km auf 600 km zu groß. Deswegen wollte sie ein Rennen bestreiten, das dazwischen lag. Und das war das Amundsen Race mit 350 km Länge. Man könnte jetzt lange darüber diskutieren, ob diese Entscheidung richtig oder falsch war. Beide Seiten hatten vernünftige Argumente. Letztlich war es Lisas Entscheidung.
Als ich versuchte, die Anzahl der Kilometer zu errechnen, die ich in der kommenden Saison zurückzulegen hätte, brach ich meine Bemühungen schnell ab. Es würde wahrscheinlich wieder eine beträchtliche Menge sein, möglicherweise sogar noch mehr als die zermürbenden 12.000 km aus dem letzten Jahr. Ich seufzte innerlich und überlegte, wie viel Liter Kaffee ich wohl auf dieser Strecke konsumieren würde, sicherlich viel weniger als Isolinchen Diesel.
In den nächsten Kapiteln eile ich vorwärts durch die Zeit. Wir ließen schnell die ersten Rennen der Saison hinter uns, die bereits im ersten Teil ausführlich beschrieben wurden. Deshalb warf ich nur noch einen kurzen Blick auf die Besonderheiten: auf „Dreck“, wie Musher die Rennen ohne Schnee bezeichnen. War hingegen Schnee im Spiel, dann ging die Post so richtig ab. Wir tauchten tief in den Schlittenhundesport und Lisas Abenteuer ein.
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„Niemand ist so urlaubsreif wie jemand, der gerade Urlaub hatte.“ ~ Albert Hubbert
Es war Sonntag, der 27. August 2023, der Tag vor Lisas Geburtstag. Weil kühles Morgenwetter mit um die 13 Grad vorhergesagt war, hatte Lisa sich schon darauf gefreut, die neue Saison zu beginnen. Endlich war es kalt genug.
Als sie aber unter der Dusche stand und ihr das warme Wasser den Rücken hinunterlief, überlegte sie schon, ob es für den Saisonauftakt nicht doch noch zu früh war. Zweifel beschlichen sie. Sollte sie vielleicht nicht doch noch ein paar Tage warten? Die Dämonen begannen ihr Werk. War es womöglich doch noch zu warm? Lieber erst noch kürzere Strecken mit dem Rad? Lisa bat Alexa, Musik zu spielen, und dann geschah etwas Unerwartetes: Alexa begann „Eye of the Tiger“ zu spielen. Das Lied, das zu Lisas Schlittenhundesong wurde. Lisa nahm dies als ein Zeichen des Universums, das ihr sagte, sie solle die Herausforderung annehmen, die der frühe Start mit sich brachte.
Und so beschloss sie, ihre Zweifel beiseite zu schieben. Mit „Eye of the Tiger“ in den Ohren fühlte sie sich stark und bereit, sich allem zu stellen, was in der kommenden Saison auf sie zukam.
Als sie aus der Dusche stieg, konnte Lisa nicht anders, als sich darauf zu freuen, was die Zukunft bringen würde. Mit dem morgigen Tag begannen ihr neues Lebensjahr und eine neue Saison. Sie war bereit, alles mit Leidenschaft und Energie anzugehen. Sie war gespannt auf die Herausforderungen und Abenteuer, die vor ihr lagen. Bei dem Gedanken an all das Kommende machte ich mir erst einmal einen Kaffee, denn ich wusste: Zwischen Träumen und Erfolg steht viel Blut, Schweiß und Mut.
Lisas Geburtstag war an einem Montag, und ihr schönstes Geschenk war, dass sie nach all den Wochen des Wartens aufgrund der zu hohen Temperaturen wieder mit ihren Huskys eine Runde drehen konnte. Die Hunde flippten regelrecht aus, als sie mit den Zuggeschirren in das große Gehege kam. Denn alle wussten, was das hieß: ENDLICH WIEDER RENNEN!
Zudem bedeutete es noch etwas anderes: den frühen Weckruf. In den kommenden Tagen begann Edge kurz vor 6 Uhr morgens zu kläffen, um alle zum Heulen zu bringen. Er verkündete so, dass es Zeit war, aufzustehen; es war kühl genug, und sie konnten loslegen! Lisa mischte sich dann immer von ihrem Schlafzimmerfenster aus ein und sorgte dafür, dass nicht alle gleichzeitig anfingen zu heulen, um ihre Aufregung über den bevorstehenden Ausflug zum Ausdruck zu bringen. Um Punkt 6 Uhr morgens klingelte Lisas Wecker, und den konnten die Huskys hören. Zusammen mit dem Wecker stimmten alle ein Guten-Morgen-Geheul an. Aber Lisa unterbrach dies ebenfalls schnell von ihrem Schlafzimmerfenster aus. Um 6:15 Uhr wurden die Haushunde in den Garten gelassen, um ihr Geschäft zu verrichten. Ein paar einzelne Huskys versuchten, das Rudel mit Heulen aufzumischen, aber Lisa brach den gemeinsamen Lärm ab, indem sie sie einzeln zur Ruhe ermahnte. Sie kann jeden einzelnen ihrer Huskys an deren Bellen oder Heulen erkennen. Gegen halb sieben unternahmen diese einen weiteren Versuch. Diesmal waren sie alle mit voller Kraft dabei und entfesselten freudig ihre Stimmen. Sie brüllten mindestens eine Minute lang, als Lisa das große Gehege betrat, und versprühten pure Energie und Emotionen, die jeden vor Freude und Ehrfurcht erstarren ließen. Besucher, die diese Begeisterung zum ersten Mal erlebten, beschrieben dies oft als Gänsehaut-Moment. Wenn ich in diesen Momenten zum Beispiel mit einem Kaffee in der Hand Nachrichten las und dabei Musik hörte, musste ich sie deutlich lauter stellen, um sie weiter hören zu können. Und das drinnen im Haus. Dieses Prozedere, dieses Ritual fand in den letzten Augusttagen und den ersten Septemberwochen jeden Morgen statt. Nein, das stimmte nicht, nicht jeden Morgen. An manchen Tagen begann Edge morgens nicht frühzeitig zu drängeln und auch die anderen Huskys initiierten kein Geheul. An diesen Tagen waren sie meist erst gegen 7 Uhr das erste Mal zu hören. Und dann auch nicht so enthusiastisch, sondern mehr ritualisiert. Warum war das so? Was machte den Unterschied? Die Antwort klingt ganz einfach, kommt aber für viele Hundehalter überraschend, die das zum ersten Mal hören: Es war die Temperatur. Die Huskys wussten, wann es zu warm war und Lisa mit ihnen keine Ausfahrt unternehmen würde. So intensiv war das Zusammenleben von Lisa und ihren Huskys, dass die Hunde sogar auf die Temperaturen achteten, um ihr Leben mit Lisa teilen und verbessern zu können.
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„Das Haus ruht nicht auf der Erde, sondern auf den Schultern der Frau.“ ~ Mexikanisches Sprichwort
Das Erreichen der Ziellinie des Beaver Trap Trail 2023 war aus Lisas Sicht gut, aber mehr auch nicht. Mit dem Erreichen der Ziellinie hatte sie die Qualifikation für das Finnmarksløpet geschafft, sie konnte also im März 2024 daran teilnehmen. Sie hatte ihr Ziel erreicht und ihren Traum realisiert, dem sie seit Monaten alles andere untergeordnet hatte. Diesem sehnlichen Wunsch, dort zu starten und die Ziellinie zu erreichen. Sie hatte im Sommer immer wieder darauf hingewiesen, dass beim BTT längst nicht alles gut war. Und so konnte es noch lange nicht das Ende sein. Sie wollte gewinnen, oder zumindest auf das Podest. Das mit dem „Podest“ muss man in diesem Zusammenhang eher symbolisch nehmen, denn tatsächlich gab es bei der Siegerehrung des BTT kein Podest. Es gab nur eine Bühne und der Sieger stand in der Mitte.
„Warum willst du denn jetzt den Sieg als Ziel ausgeben?“
„Schulterklopfen ist auch nur einen Meter höher als ein Tritt in den Hintern.“
„Und kannst du mir sagen, wie du auf 223 km 7 Stunden schneller sein willst?“
„Durch Training!“
„Training für wen?“
„Für die Hunde!“
„Und dann wirst du 7 Stunden schneller?“
„Ich muss nur 3 km pro Stunde schneller werden. Das ist nicht viel.“
„Du musst 3 km pro Stunde 26 Stunden lang schneller werden. Das ist viel, und es ist etwas völlig anderes. Und was ist mit deinem Training?“
„Das ergibt sich dann schon.“
„Lass mich raten: Du hast keinen Plan! Und nein, es ist kein Plan, zu sagen: Das klappt schon irgendwie.“
„Wenn ich meine Hunde trainiere, dann trainiere ich mich automatisch mit.“
„Aber nur zum Teil, denn du benötigst zusätzlich noch anderes Training als deine Hunde.“
„Das wird schon…“
„Als Sportlerin in deinem gewünschten Leistungsbereich musst du bereit sein, dich zu quälen. Sonst bekommst du keine Ergebnisse zustande. Und das sehe ich bei dir nicht.“
„Ich bin zäh.“
„Das bist du, aber das ist zu wenig. Nur zäh zu sein bedeutet, hinter den Guten und sehr Guten anzukommen, also lediglich das Ziel zu erreichen.“
Lisa lächelte das Gespräch weg und verschwand.
Um eine gute Platzierung zu erreichen, musste Lisa mit ihrem Gespann die Leistung deutlich verbessern. Dazu konnte sie verschiedene Strategien anwenden, wie z. B. die Verbesserung ihrer Ausrüstung, ihr Trainingsprogramm oder die Optimierung von Taktik und Strategie während des Rennens. Für Lisa und ihr Team war es wichtig, die Stärken und Schwächen sorgfältig zu analysieren und Bereiche zu identifizieren, in denen deutliche Verbesserungen erzielt werden konnten. Und dann kam der schwierige Teil: Dies alles in die Praxis umzusetzen.
Im leistungsorientierten Sport dreht sich alles um Leidenschaft, Liebe und Sucht. Wenn du die Fähigkeit und den Willen hast, über deine Grenzen hinauszugehen, dann ist es egal, ob es regnet, kalt ist oder ob deine Hände und Füße taub sind, während du eine weitere brutale Trainingseinheit absolvierst. In solchen Momenten werden deine mentalen Grenzen bis an den Rand gedehnt und manchmal sogar ganz beiseite geschoben. Im Sport kannst du lernen, diese Grenzen zu überwinden und zu erkennen, dass du zu so viel mehr fähig bist, als du dir zugetraut hast. Und das gilt nicht nur für die im Sport geforderte Ausdauer, sondern für das ganze Leben. Diese wichtigen Lektionen lernt man durch Sport.
Ich ging weiter meiner Tätigkeit nach. Einige Minuten später signalisierte mir mein Smartphone aufgeregt, dass es eine neue Nachricht gab. Sie kam von Lisa. Es war ein Link zu einem Pferdetransporter, der zum Verkauf stand.
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Es begann alles am Freitag mit Kuchen, Tee und Kaffee. Fünf Stücke Torte hatten wir von einem Nachbarn als Dankeschön geschenkt bekommen. Wir machten es uns draußen gemütlich und genossen das warme Wetter, während unsere Haushunde um uns herum lagen. Die Huskys lagen in der Sonne oder zogen sich in ihre isolierten Hütten zurück. Vielleicht waren sie frustriert, weil sie nicht laufen konnten, oder sie wollten sich einfach abkühlen. Ihr Verhalten ließ uns im Unklaren über ihre Beweggründe.
Nach dem ersten Stück Kuchen meinte Lisa: „Wir müssen die anderen Stücke einfrieren.“
„Warum?“
„Ich bin jetzt schon am Kämpfen.“
„Nach nicht mal einem Stück?“
„Ja, das ist ganz schön viel.“
„Du kämpfst bereits mit einem Stück Torte, aber du willst das Finnmark bestehen?“
„Ja, das ist etwas anderes.“
„Klar, das Finnmark ist eine viel höhere Herausforderung, als das Essen eines Stückes Kuchen. Ist klar.“
„Ich habe aber nicht jeden Tag Torte-Essen trainiert, so wie du. Ich habe noch einen Magen, der nicht so groß ist wie deiner.“
Da war sie wieder, die Pipi Langstrumpf in ihr. Ein solcher Dialog deutete darauf hin, dass sie sich jetzt in einem Zustand befand, in dem ihre Dämonen nicht die geringste Chance hatten, sie anzugreifen. Das war wichtig für die folgenden Tage.
Ganz vorsichtig und mit der dezenten Frage, ob ich eben etwas Zeit für sie hätte, begann Lisa ein Gespräch über einen neuen Transporter. Sie endete mit der Frage, was ich von den diversen Pferdetransportern halten würde, die sie mir in den vergangenen Tagen geschickt und gezeigt hatte. Meine Antwort war darauf einfach: „Zwei Dinge: nichts und nichts!“ Natürlich bestand sie darauf, dass ich dies begründete. Und das war aus meiner Sicht relativ einfach: Sie hatte einen Transporter, von dem wir genau wussten, wo seine Stärken und Schwächen lagen. Der war groß genug, dass alles Notwendige hinein passte, um mindestens eine ganze Woche autark darin zu leben. Er war groß genug, um bis zu 14 Huskys mitzunehmen. Zuzüglich unserer Haushunde. Er war aber auch klein genug, um in einer Stadt wendig unterwegs zu sein oder um einen Parkplatz für eine Übernachtung zu finden. Auf Raststätten konnten wir problemlos die PKW-Plätze nutzen.
Isolinchen war kein Jahr bei uns, und wir hatten einige Stunden an Arbeit hineingesteckt, um ihn so herzurichten, wie er jetzt war: annähernd perfekt für uns. Ich sah absolut keine Notwendigkeit, dies Fahrzeug auszutauschen. Lisa schon. Sie wollte gerne alle Hunde mitnehmen und keine zurücklassen müssen. Speziell in den vielen Wochen, die wir in Schweden verbringen würden. Alle mitzunehmen hätte tatsächlich einige Vorteile, das musste ich zugeben. Zunächst wäre es einfacher, jemanden zu finden, der sich bei uns zu Hause ausschließlich um die Pferde, Kühe, Schafe und Hühner kümmert, als einen, der sich auch noch um die zurückgelassenen Huskys kümmern muss. Der müsste nämlich bei uns wohnen. Einen solchen Housesitter zu finden, ist viel schwieriger und natürlich teurer. Wenn Lisa alle Hunde mit nach Schweden nehmen kann, dann müssten die jungen Hunde nicht zurückbleiben und könnten stattdessen weiter Erfahrung sammeln und trainiert werden. Im heimischen Stinstedt könnten sie das nicht bekommen. Es ist schon nicht einfach, jemanden zu finden, der für acht Wochen einzieht, aber noch schwieriger ist es, jemanden zu finden, der in dieser Zeit auch noch die Hunde trainiert. Mit dieser Argumentation ließ ich mich auf ein beinhartes und emotionales Wochenende ein. Denn eines war klar: Ohne meine Zustimmung wird es das Durchtauschen der Fahrzeuge nicht geben. Denn nur ich verfügte über den nötigen Führerschein.
„Ein Pferdetransporter kostet viel Geld. Woher willst du das nehmen?“
„Von dem Verkauf von Isolinchen. Und dann muss ich gar nicht mehr viel dazu zahlen.“
„Besteht keine andere Möglichkeit?“
„Dann sag mir eine! Ich habe viel überlegt, aber ich finde keine.“
„Wie wäre es mit einem Anhänger? Du hattest übrigens mal einen passenden, den haben wir aus Eschwege geholt, und den hast du vor ein paar Wochen gerade erst verkauft, weil du mir erklärt hast, den bräuchtest du nicht. Aber mit dem Anhänger hättest du jetzt alle deine Probleme gelöst und alle Vorteile erreicht. Wir könnten Isolinchen behalten, bräuchten nicht immer einen Riesentransporter mitzunehmen, wenn du nur zu einem Rennwochenende fährst, und du würdest dadurch Unterhaltskosten sparen, da der Anhänger nicht viel Geld im Unterhalt kostet.“
„Ja, an einen Anhänger habe ich auch schon gedacht. Ich habe mich auch schon geärgert, dass ich ihn verkauft habe. Aber der war auch nicht so richtig praktisch, denn er war nicht isoliert.“
„Du hast mir selbst gesagt, dass der Vorbesitzer mit seinen Hunden damit bis hinter den Polarkreis gefahren war. Im Winter. Und nun willst du mir sagen, dass der Anhänger nicht ausgereicht hätte für deine Hunde?“
„Der hatte sibirische Huskys, die plüschigen, meine Alaskans würden da oben die ersten Tage frieren.“
„Du hast selbst im März gesehen, wie schnell deine Hunde bei der Kälte Fell nachgeschossen haben. Sogar zwischen den Pfotenballen waren innerhalb weniger Tage lange Haare gewachsen.“
„Ja, aber jetzt ist der Anhänger weg, es ist sinnlos, ihm nachzutrauern.“
„Doch, es hat Sinn, weil ich dich damals gefragt habe, wofür du den Anhänger überhaupt brauchst. Da hast du mir alle möglichen Argumente dafür genannt. Wir sind wegen des Anhängers nach Schwerin und nach Hessen gefahren. Aber am Ende hast du ihn doch nicht gebraucht und verkauft. Nun versuchst du mir mit allen möglichen Argumenten zu erklären, dass du einen Pferdetransporter benötigst. Von dem ich dir aber sage, du brauchst den gar nicht. Warum sollte es diesmal anders sein?“
„Weil ich jetzt genau weiß, was ich benötige. Und einen Pferdetransporter könnte ich so herrichten.“
„Das kostet aber wieder alles Geld, Zeit und Nerven.“
„Ich mache das schon!“
„Wann? In wenigen Wochen ist das erste Rennen. Du musst den neuen LKW bis dahin komplett eingerichtet haben.“
„Bei den meisten ist bereits ein Wohnabteil vorhanden.“
„Welches aber nicht unseren pragmatischen Mindestanforderungen entspricht. Du musst dann wieder bauen, basteln und viele Kabel verlegen. Das ganze Material kostet wieder viel Geld.“
Wir haben uns überlegt, ob wir mit Isolinchen und einem Anhänger flexibler wären, aber der Anhänger hätte zusätzliche Kosten von mehreren tausend Euro verursacht. Lisa müsste außerdem nicht nur einen Führerschein bis 7,5 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht machen, sondern auch einen für Anhänger. Im fraglichen LKW hätten wir alles zusammen geladen: uns, unsere Hunde und die Ausrüstung. Ein Anhänger war daher nicht notwendig. Jedoch war der LKW im Unterhalt teurer. Ein umgebauter Pferdetransporter hätte einen Durchgang vom Fahrerbereich zum Wohnbereich und somit mehr Platz für uns und unsere Hunde geboten. Außerdem hätte Lisa nur wenig Geld in den Umbau eines Pferdetransporters investieren müssen, was im Gegensatz zum Kauf eines geeigneten Anhängers viel günstiger gewesen wäre. Wir hätten also Isolinchen gegen den Pferdetransporter tauschen können, jedoch war der Risikofaktor das Fahrzeug selbst, da der Pferdetransporter wie ein Überraschungsei war und man nie wusste, welche Überraschungen im Inneren warteten. Bei Isolinchen waren hingegen alle Stärken und Schwächen bekannt. Ein umgebauter Pferdetransporter war größer und weniger flexibel für den allgemeinen Gebrauch. Er war ein wenig länger und schwerer als Isolinchen, aber auf Autobahnen und Bundesstraßen komfortabler zu fahren. Es gab also viel zu diskutieren, abzuwägen und zu überlegen. Wir mussten auch rechnen, denn Lisas Budget war auf 15.000 € begrenzt, was den Verkauf von Isolinchen einschloss.
Es war ein anstrengendes Wochenende, das mir viel abverlangt hatte. Wir hatten stundenlang diskutiert und uns Hundeanhänger und Pferdetransporter auf verschiedenen Online-Plattformen angesehen. Die Quintessenz all unserer Diskussionen ließ sich in Lisas Aussage am Sonntagabend zusammenfassen: „Fährst du am Mittwoch mit mir nach Celle, um dir den Pferdetransporter anzuschauen? Du hast viel mehr technisches Wissen als ich.“ Ich bin mir sicher, dass diese Aussage für sich selbst sprach. Wir bekamen also einen Pferdetransporter.
Abschied und Neubeginn: Ein LT 46 wurde verkauft, ein MB 817 übernahm seine Aufgabe.
Am Mittwochnachmittag fuhren wir nach Celle und da stand er, der große, silberne Schuhkarton. So habe ich es jedenfalls wahrgenommen. Lisa interessierte sich für das Innere und machte Smalltalk mit den Besitzern. Während der Besichtigung war Lisa überrascht, als sie den Verkäufer erkannte. Sie hatte es während des Gesprächs nicht bemerkt, aber es war Peter Baumann, ein erfolgreicher Distanzreiter, der auf der ganzen Welt trainierte und an Wettkämpfen teilnahm. Er war nicht nur ein erfahrener Reiter, sondern hatte auch faszinierende Geschichten aus seinem Leben zu erzählen. Lisa und ich waren von seinen lebendigen und beeindruckenden Erlebnissen gefesselt. Bevor Lisa „auf den Hund kam“, fand sie ihr Glück auf dem Rücken der Pferde. Sie leitete mehrere Jahre lang eine Reitschule und nahm an nationalen Distanzritten teil. Bei einigen Wettbewerben war sie Peter über den Weg gelaufen, daher kannte sie ihn. Manchmal kann die große, weite Welt erstaunlich klein sein.