Mit dem Kopf durch die Wand - David Arp - E-Book

Mit dem Kopf durch die Wand E-Book

David Arp

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Beschreibung

Der neue Erziehungs-Ratgeber der Bestseller-Autoren Claudia und David Arp für Eltern willensstarker Kleinkinder und Schul-Kinder Kindererziehung ist immer eine Herausforderung. Aber manche Kinder fordern ihre Eltern in besonderer Weise: temperamentvolle, willensstarke kleine Energiebündel, die immer "Mit dem Kopf durch die Wand" wollen. Wie können Sie als Vater oder Mutter Ihr gefühlsstarkes Kind begleiten, ohne permanent über Ihre eigenen Kräfte zu gehen? In ihrem neuen Erziehungsratgeber erklären Claudia und David Arp, dass in den schwierigen Verhaltensweisen Ihres Kindes Botschaften stecken. Wie Sie diese verstehen und beantworten können, zeigen die Bestsellerautoren mit viel Feingefühl und Kompetenz. Die praktischen Hilfestellungen werden nicht nur für Ihr Kind gut sein, sondern auch Sie selbst entlasten! Neue Themen der aktualisierten Ausgabe: - Umgang mit Bildschirmmedien - Schulstress, Konkurrenzkampf, Mobbing u.v.m.

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Claudia und David Arp

MIT DEM

KOPF

DURCH

DIE WAND

Willensstarke Kinderverstehen und begleiten

Komplett überarbeiteteund ergänzte Ausgabe

Englischer Originaltitel: Answering the 8 Cries of the Spirited Child

© 2002 Claudia und David Arp

Für die deutsche Veröffentlichung neu bearbeitet, ergänzt und aktualisiert.

© 2019 Claudia und David Arp

Dieses Buch ersetzt keine professionelle medizinische oder therapeutische Beratung, wo die Umstände eine solche erfordern.

Diese Publikation enthält Links zu Webseiten Dritter, auf deren Inhalte der Verlag keinen Einfluss hat. Es wird deshalb keine Haftung dafür übernommen.

Weitere im Brunnen Verlag erschienene Bücher von Claudia und David Arp:

» Pubertät in Sicht. So begleiten Sie Ihr Kind zwischen 9 und 13

» Und plötzlich sind sie 13 oder: Die Kunst, einen Kaktus zu umarmen – So begleiten Sie Ihr Kind durch die Teenagerzeit

Deutsch von Heide Müller

Lektorat: Konstanze von der Pahlen

© der deutschen Ausgabe: 2019 Brunnen Verlag GmbH Gießen

Umschlagfoto: mauritius images / Tetra Images

Umschlaggestaltung: Jonathan Maul

Satz: DTP Brunnen

Druck: Finidr s.r.o, Tschechien

ISBN Buch 978-3-7655-0731-1

ISBN E-Book 978-3-7655-7547-1

www.brunnen-verlag.de

STIMMEN ZUM BUCH

In diesem Buch bekommen Eltern temperamentvoller Kinder endlich Hilfe, ihr Kind besser zu verstehen, ihre eigenen Emotionen ihrem Kind gegenüber zu kontrollieren und in unterschiedlichen Situationen angemessen zu reagieren. Anhand vieler praktischer Beispiele und in ihrer so ansteckend positiven Art ermutigen Arps: Auch zu willensstarken Kindern können wir eine gute Beziehung haben. So macht Erziehung (wieder) Spaß!

Susanne Mockler,Heilpraktikerin für Psychotherapie,Buchautorin und Mutter von acht Kindern

Alle gegenwärtige Forschung hat uns gezeigt, dass der wichtigste Faktor für langfristiges Lebensglück in guten nahen Beziehungen liegt, vor allem in Familien. Sie sind auch der wichtigste Schutzfaktor gegen seelische Belastungen. Kritische Phasen in Familienbeziehungen in ermutigende gemeinsame Entwicklungen umzuwandeln, ist eine der speziellen Gaben von David und Claudia Arp. Mit ihren über 30 Jahren Erfahrung haben sie großartige Lösungen für die praktischen Probleme auch von Eltern willensstarker Kinder entwickelt. Ich wünsche diesem ausgezeichneten Buch die Verbreitung, die es verdient.

Dr. Arne Hofmann, Facharzt für Psychotherapeutischeund Innere Medizin, Traumaexperte, Träger des Verdienstkreuzes amBande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland

Claudia und David Arp haben mir geholfen, mich besser in mein Kind hineinzuversetzen, mein eigenes Verhalten zu hinterfragen und mir bewusst zu machen, was mein Kind mir mit seinem Verhalten eigentlich sagen will. Ein ermutigender Ratgeber, der für mehr Entspanntheit zwischen uns gesorgt hat.

Susanne Degenhardt, Thalia-Buchhändlerin

Als Eltern eines sechsjährigen Sohnes und einer vierjährigen Tochter sind wir nicht nur täglich, sondern gefühlt stündlich in vielerlei Hinsicht herausgefordert. Wie können wir liebevolle Eltern sein und als Ehepaar gut zusammenhalten? In dieser Herausforderung ist uns „Mit dem Kopf durch die Wand“ zu einem unerlässlichen Ratgeber geworden. Insbesondere die aufgeführten Protestschreie und die positive Umdeutung extremer Charakterzüge verhelfen uns als jungen Eltern immer wieder zu wertvollen Durchbrüchen.

Rainer und Kerstin Knaack, Co-Founder von RelateWorks®

Ein wunderbarer Ratgeber, der Eltern wertvolle Werkzeuge an die Hand gibt, um die Herausforderungen des Familienalltags mit willensstarken Kindern zu bestehen. Wie kann ich hinter dem Verhalten meines Kindes dessen Bedürfnisse verstehen und ihnen begegnen? Sehr alltagsnah und ermutigend bekommt der Leser vor Augen geführt, wie wichtig ungeteilte Aufmerksamkeit, gegenseitige Vergebung und Liebe, Annahme und Bestätigung sind. Praktische Beispiele und Expertentipps helfen dabei, neue Wege einzuschlagen und festgefahrene Verhaltensweisen zu verändern. Das Resultat ist eine sichere Bindung, die von gegenseitiger Wertschätzung und einem positiven Umgang mit sich selbst und anderen geprägt ist und Ihrem Kind auf dem Weg helfen wird, seine Persönlichkeit zu entfalten.

Miriam Bötzer, Mutter, Hebamme und pädagogische Fachkraft

Mit diesem Buch fühle ich mich als Mutter von vier Kindern wirklich verstanden und gut begleitet. Es lebt von Beispielen, in denen ich mich absolut wiedergefunden habe, weil sie aus dem echten Leben gegriffen sind.

Lydia Theiß, Mutter

INHALT

Ein paar Worte vorab von Claudia und David Arp

Los geht’s!: Hilfe, ich habe ein willensstarkes Kind!

Protestschrei 1 „Schau mich an!“

Botschaft: Bitte versteh mich!

Protestschrei 2 „Hab ich das gut gemacht?“

Botschaft: Ermutige mich! Schau auf das Gute!

Protestschrei 3 „Du hörst mir überhaupt nicht zu!“

Botschaft: Hör mir zu! Rede mit mir!

Protestschrei 4 „Ich will das machen, wie ich will!“

Botschaft: Zeig mir, wie ich mit anderen auskommen kann!

Protestschrei 5 „Du kannst mich nicht zwingen!“

Botschaft: Setze mir Grenzen!

Protestschrei 6 „Ich hasse dich!“

Botschaft: Hilf mir, mit Wut und Enttäuschung umzugehen!

Protestschrei 7 „Ich will ans Tablet, und zwar sofort!“

Botschaft: Hilf mir, mich in der heutigen Welt zurechtzufinden!

Protestschrei 8 „Ich will aber nicht!“

Botschaft: Gib mir Gelegenheit, Verantwortung zu lernen!

Nachwort: Als Eltern im Gleichgewicht bleiben

Danksagung

Anmerkungen

EIN PAAR WORTE VORAB VON CLAUDIA UND DAVID ARP

Willkommen zur komplett überarbeiteten, aktualisierten und erweiterten Ausgabe von Mit dem Kopf durch die Wand. Wir folgen damit dem Wunsch vieler Eltern und Pädagogen. Vor Kurzem schrieben wir als Ergänzung zu unserem Ratgeber Und plötzlich sind sie 13 das Buch Pubertät in Sicht. Es soll Eltern von 9- bis 12-jährigen Kindern helfen, sich auf die Herausforderungen der Teenagerjahre vorzubereiten.

Nun vervollständigen wir unsere Reihe wieder mit einer Hilfestellung für Eltern willensstarker Kinder im Alter von bis zu 9 Jahren. Wenn Sie nur ein Kind haben, werden Sie sich vermutlich ohnehin angesprochen fühlen. In gewisser Weise sind nämlich alle Kinder willensstark. Deshalb ist dieses Buch auch für Sie gedacht.

Seit dem erstmaligen Erscheinen von Mit dem Kopf durch die Wand hat sich in unserer Kultur vieles verändert. In den letzten 15 Jahren haben sich zum Beispiel die digitalen Medien rasant verbreitet. Den Kindern von heute ist der Umgang mit Tablets und Smartphones quasi schon in die Wiege gelegt. In der Schule haben Konkurrenzdenken und Stress zugenommen. Mobbing beginnt bereits im Kindesalter und schon Grundschulkinder können unwissentlich mit Pornografie in Berührung kommen.

Unsere Kinder werden heute schneller reif als früher und die kindliche Erfahrungswelt ist eine ganz andere als noch vor 10 Jahren. Eltern zu sein, war noch nie einfach, ist aber in unserer hektischen und hochtechnisierten Welt eine ganz besondere Herausforderung – insbesondere, wenn Sie ein temperamentvolles Kind haben. Kürzlich erreichte uns eine E-Mail, die uns davon überzeugte, dass diese Aktualisierung schon lange fällig war:

Liebes Ehepaar Arp,

bitte bringen Sie Ihr Buch „Mit dem Kopf durch die Wand“ wieder heraus! Vor Jahren war es tröstlich für mich zu wissen, dass auch andere Eltern temperamentvolle Kinder haben. Manchmal fühlte ich mich so allein, weil um uns herum niemand ein so empfindliches, dünnhäutiges Kind hatte wie wir. Claus ist jetzt ein so netter Junge. Sensibel ist er zwar immer noch, kann aber nun als 24-Jähriger seine Gefühle wesentlich besser steuern. Dass er in kein Schema passt, kann ich heute in einem neuen Licht sehen. Er ist einfach in jeder Hinsicht ein Individualist – in Sachen Kleidung, Frisur, Ernährung usw.

Er, der mich in seiner Kindheit so viele Male zur Verzweiflung gebracht hat, erweist sich nun als ausgesprochen kreativ und unkonventionell. Einmal zum Beispiel hatte der Sprecher bei einer Schulversammlung alle Mütter dazu aufgefordert aufzustehen. Als ich aufstand, sagte Claus laut und deutlich: „Mama, setz dich. Das galt nur für gute Mütter!“

Letzten Sommer sagte er mir, wie sehr er es zu schätzen wisse, dass ich ihn über all die Jahre so unterstützt habe. Er kann also am Ende doch zugeben, dass ich eine gute Mutter war und bin. Und ich kann jetzt erst seine Kreativität richtig würdigen.

Dabei war die Erziehung eine echte Herausforderung! Ihr Buch war für mich wie ein Rettungsanker. Ich merkte, dass ich nicht allein war. Bitte ermutigen Sie alle Eltern von temperamentvollen, unkonventionellen Kindern zum Durchhalten. Ich habe 20 Jahre gebraucht, um zu erkennen, dass Freidenker wie mein Sohn mit ihrem ständigen „Warum?“ unsere Zivilisation voranbringen.

Bitte nehmen Sie in Ihrer aktualisierten Ausgabe meine Erfahrungen auf, um auch anderen Eltern die Gewissheit zu geben, dass sie nicht allein sind und allen Grund zur Hoffnung haben: Aus temperamentvollen Kindern können einmal großartige Erwachsene werden!

Claus ist heute eine einzigartige, wunderbar begabte Persönlichkeit. Als außerordentlich lebhaftes Kind hatte er eine weise, gute Mutter. Wir persönlich sind überzeugt, dass ihr bei seiner Erziehung ein Balanceakt gelungen ist. Sie hat ihm einerseits Freiraum gelassen, ihn aber andererseits unterstützt und dafür gesorgt, dass ihre Beziehung zu ihm nicht abriss. An ihren Erkenntnissen lassen wir Sie gern teilhaben.

In diesem Buch, zu dem auch andere Eltern und Familienpädagogen beigetragen haben, möchten wir Ihnen Leitlinien anbieten, wie Sie Ihr Kind durch seine ersten neun Lebensjahre führen und ihm den Weg in die folgenden Jahre ebnen können. Betrachten Sie Mit dem Kopf durch die Wand (und unsere anderen beiden Bücher: Pubertät in Sicht und Plötzlich sind sie 13!) als Leitfaden zur Vorbereitung auf die aufregenden, abenteuerlichen, nervenaufreibenden, anstrengenden, dabei aber doch immer wieder herzerwärmenden Jahre mit Ihrem Kind – und als Überlebenshilfe, wenn Sie mittendrin stehen.

Machen Sie sich bereit!

Die ersten Lebensjahre des Kindes sind die beste Zeit, ein solides Fundament für die kommenden Jahre zu legen. Auf den folgenden Seiten lassen wir Sie an manchen eigenen Erfahrungen teilhaben. Es sollen aber auch andere Eltern lebhafter Kinder zu Wort kommen. Sie finden außerdem Erkenntnisse aus der aktuellen Familienforschung und Tipps von Erziehungsberatern und Familienpsychotherapeuten, die mit Eltern von willensstarken, schwierigen Kindern arbeiten. Wir geben Ihnen auch Werkzeuge an die Hand, die Ihnen helfen sollen, Ihr Kind zu lieben, zu leiten und die Verbindung zu ihm zu stärken.

Darüber hinaus finden Sie eine bunte Mischung an Vorschlägen und Tipps für die Gestaltung des Familienlebens. Versuchen Sie bitte nicht, alles umzusetzen! Greifen Sie einfach einiges heraus, was Sie anspricht und Ihnen für Ihre Familie passend erscheint. Lehnen Sie sich also zurück und blättern Sie sich durch die Seiten. Wir hoffen, dass die Erziehung Ihres temperament-vollen Kindes Ihnen Herausforderung und Erfüllung zugleich ist!

Gute Reise!Claudia & David Arp

LOS GEHT’S!

Hilfe, ich habe ein willensstarkes Kind!

Bei einer Tasse Kaffee erzählte mir unsere Freundin Ingrid folgende Geschichte:

Ich war gerade im Garten, als der Streit ausbrach. Als ich mich umdrehte, sah ich, wie mein achtjähriger Sohn Paul seinen sechsjährigen Bruder David zu Boden stieß.

„Hey, was ist denn hier los?“, schrie ich, stand auf und lief zu den Streithähnen hinüber.

Meine Söhne und drei Nachbarskinder, die zum Spielen herübergekommen waren, redeten nun gleichzeitig auf mich ein. Offenbar hatte Paul bemerkt, dass David sein Longboard genommen hatte, ohne ihn zu fragen. Sofort hatte er es ihm mit Gewalt entrissen und gebrüllt: „Du Blödmann, wer hat dir erlaubt, mein Longboard zu nehmen?“

„Ich wollte doch auch mal fahren“, hatte David erwidert und angefangen zu weinen.

„Frag das nächste Mal gefälligst vorher“, hatte Paul geschrien, „dann hätte ich nämlich gleich Nein gesagt!“ Und schon hatte er seinen Bruder zu Boden gestoßen. In diesem Moment war ich dazugekommen.

Ich holte tief Luft. „Paul, ich verstehe, dass du wütend bist, weil David ohne zu fragen dein Longboard genommen hat“, sagte ich, „aber das ist noch lange kein Grund, ihn so zu schubsen. Das macht man einfach nicht!“

„Aber wenn er’s doch verdient hat! Er hat sich’s nicht geliehen – er hat’s geklaut. Er hätte fragen müssen!“

„Ja, das stimmt. Aber trotzdem: Du darfst nicht so grob zu ihm sein, nur weil er einen Fehler gemacht hat.“

„Von wegen Fehler! Das war volle Absicht!“, schrie Paul und stieß seinen Bruder erneut zu Boden.

„Jetzt reicht’s aber!“, rief ich und packte Paul am Arm. „Geh in dein Zimmer und reg dich ab, bis du wieder bereit bist, dich normal zu benehmen!“

„Nein, mach ich nicht! David soll in sein Zimmer gehen, weil er mein Longboard geklaut hat!“

„Paul, um deinen Bruder kümmere ich mich. Du regst dich jetzt erst mal ab!“

Wutentbrannt stampfte Paul nach oben in sein Zimmer. Ich sah ihm noch bis zur Treppe nach und hörte kurze Zeit später die Tür knallen.

An diesem Punkt hätte ich merken müssen, wie geladen er immer noch war, denn es war nicht zu überhören, dass er Möbelstücke auf dem Holzfußboden herumschob. Aber ich schritt nicht ein. Vielleicht würde das Umräumen ihm ja helfen, überschüssige Energie abzubauen, dachte ich und ging wieder an meine Gartenarbeit.

Plötzlich schrien die anderen Kinder: „Er schlägt das Fenster ein!“ Und tatsächlich, Pauls Fenster zerbrach mit lautem Klirren.

Ich stürzte die Treppe hinauf und musste feststellen, dass er seine Tür verbarrikadiert hatte. Nun brüllten wir beide um die Wette. Es war eine sehr unschöne Szene. Ich warf mich mit Wucht gegen die Tür, bis sie nachgab, und fragte ihn entgeistert, was hier los sei.

„Ich lasse mich nicht einfach in mein Zimmer abschieben!“, schrie er.

„Hast du dir wehgetan?“

„Ich glaub nicht“, erwiderte er nun etwas ruhiger.

Ich nahm ihn in den Arm, drückte ihn fest an mich und hatte nur einen Gedanken: Was sollen wir bloß mit ihm machen?

Können Sie sich in dieser Geschichte wiederfinden? Wir schon. Wir waren so wunderbare Eltern – solange wir noch keine Kinder hatten. Dann veränderte der kleine Satz: „Es ist ein Junge!“, unser Leben für immer. Der Arzt hätte eigentlich gleich hinzufügen können: „... und ein kleiner Dickkopf noch dazu!“ Aber das war gar nicht nötig. In den folgenden Tagen und Monaten war es für uns keine Frage mehr, dass unser Sohn seinen eigenen Kopf hatte.

Da er unser erstes Kind war, gingen wir davon aus, dass alle Kinder von Natur aus so eigenwillig sind – und bis zu einem gewissen Grad stimmt das auch. Haben Sie ein lebhaftes, willensstarkes Kind? Wenn es Ihr einziges ist, kommt es Ihnen bestimmt so vor. Haben Sie jedoch mehrere Kinder, dann wissen Sie, dass Begriffe wie „schwierig“ oder „temperamentvoll“ immer eine Frage der Ausprägung sind. Man könnte sich folgende Skala vorstellen von verträglich über temperamentvoll, schwierig und widerspenstig bis hin zu aufbrausend:

In diesem Buch möchten wir Ihnen mit Einsichten und Gedanken Mut machen für Ihre Reise als Eltern, ganz gleich, an welchem Ende der Skala Sie Ihr Kind einordnen würden – aber ganz besonders, wenn es irgendwo in der Mitte ist. Als Hilfe haben wir für Sie ein paar Fragen zusammengestellt, eine Art „Bestandsaufnahme für willensstarke Kinder“. Vergeben Sie bei jeder Aussage zwischen einem und zehn Punkten, wobei eins bedeutet: „Trifft nicht auf mein Kind zu“, und zehn: „Ja, das ist mein Kind – ganz eindeutig!“

Bestandsaufnahme für willensstarke Kinder

Als die Energie verteilt wurde, hat mein Kind eine extra Portion abbekommen.

Ein Nein ist keine Antwort, sondern eine Herausforderung.

Mein Kind ist sehr stürmisch in allem, was es tut.

Anpassungsfähigkeit ist für mein Kind ein Fremdwort.

Mein Kind will immer das letzte Wort haben.

Mein Kind übertrifft fast immer das, was bei Kindern allgemein als „normal“ gilt.

Mein Kind lehnt sich gegen feste Schlafenszeiten, Essenszeiten und sonstige festgelegte Gewohnheiten auf.

Mein Kind verleiht dem Wort „Beharrlichkeit“ eine ganz neue Bedeutung.

Mein Kind ist empfindlich gegenüber Lärm, Eindrücken, kratzenden Kleidungsstücken, bestimmten Nahrungsmitteln usw.

Mein Kind wird häufig wütend.

Mein Kind scheint andere absichtlich ärgern zu wollen.

Mein Kind lehnt sich häufig gegen meine Regeln oder Bitten auf.

Nun zählen Sie die Punkte zusammen. Ist das Ergebnis unter 50, haben Sie vermutlich ein sehr umgängliches, kooperatives Kind. Aber auch wenn Ihr Kind nicht „temperamentvoll“ oder „schwierig“ ist, werden Sie in diesem Buch Tipps finden, mit denen Sie Ihr Elternsein noch mehr genießen können.

Wenn Sie auf 70 bis 80 Punkte gekommen sind, haben Sie vermutlich zu diesem Buch gegriffen, weil Sie Ihren kleinen Engel im Titel wiedergefunden haben. Bei über 80 Punkten empfehlen wir Ihnen sehr, sich mit anderen Eltern temperamentvoller Kinder zusammenzuschließen und sich gegenseitig zu unterstützen. Sie brauchen das.

Nicht vergessen: Als Eltern willensstarker Kinder stehen Sie nicht allein da! Eine Freundin schrieb uns:

Ich kann mich so gut in Ingrids Geschichte hineinversetzen, in der Paul seine Möbel herumgeschoben und die Fensterscheibe eingeschlagen hat. In den letzten zwei Tagen hat es mit unserer jüngeren Tochter Marie (7) nur noch gekracht. Sie ist eindeutig ein temperamentvolles Kind! In der Bestandsaufnahme kam sie auf 84 Punkte. Genau wie Paul hat sich Marie schon manches Mal in ihrem Zimmer verbarrikadiert. Es dauert lange, bis sie sich beruhigt.

Am Dienstag war sie auf dem kompletten Schulweg den Tränen nahe und hat mir vorgejammert, ihr älterer Bruder würde immer seinen Willen bekommen. „Der darf einfach alles machen!“, schrie sie. „Ich erzähl euch immer, was er wieder angestellt hat, und trotzdem schimpft ihr nicht mit ihm!“

Ihr Bruder saß direkt neben ihr im Auto und Marie brüllte ihm ins Ohr: „Du bist so ein Dummkopf!“ Bei ihr könnte man hinter jeden Satz ein Ausrufezeichen setzen.

Was mich am meisten stört, ist, dass sich Marie bei jedem Wort, das ich sage, angegriffen fühlt. Meistens lasse ich sie dann erst mal in Ruhe und versuche später noch mal, mit ihr zu reden. Aber selbst dann fasst sie alles, was ich sage, gegen sich auf. Ich kann ihr noch so oft sagen, dass ich sie lieb habe: Sie fühlt sich trotzdem abgelehnt. Damit schneidet sie sich immer wieder ins eigene Fleisch. Jeden Tag bete ich um Ruhe. Aber es ist so schwer!

Was Kinder sagen und was sie eigentlich meinen

Was frustriert Sie an Ihrem anstrengenden Kind am meisten? Als wir diese Frage mehr als 200 Eltern in Deutschland und in den USA stellten, entdeckten wir, dass Kinder überall auf der Welt einfach Kinder sind. Willensstarke, schwierige Kinder fordern ihre Eltern in ähnlicher Weise, ob sie nun in Frankfurt, Wien oder New York City leben. Hier ein paar Dinge, die Eltern uns erzählt haben:

Ich habe eine Tochter, die meint, es müsste immer alles nach ihrem Kopf gehen: Sie will die Regeln selbst bestimmen, will selbst entscheiden, welche Konsequenzen sie akzeptiert und wie diese durchgesetzt werden dürfen – und das alles nicht nur in Bezug auf sie selbst, sondern auch auf uns Eltern und ihre Geschwister.

Mein Sohn springt jeden Morgen aus dem Bett und rennt wie ein losgelassener Stier durch den Tag. Dabei ist er gerade mal acht – wie wird das erst, wenn er Teenager ist? Davor graut mir heute schon!

Ich habe das Gefühl, mein Kind ständig zu bestechen oder ihm nachzugeben, weil ich einfach keine Lust habe zu kämpfen. Es kostet mich zu viel Kraft, mit ihm zu verhandeln.

Was soll ich machen, wenn meine zweijährige Tochter mir in die Augen schaut, Nein sagt und dabei die Hände in die Hüften stemmt, während mein größeres Kind lächelnd seiner Wege geht?

Mein Sohn will immer seinen Willen durchsetzen. Und wenn er ihn nicht bekommt, geht er hoch wie eine Rakete!

Kommen Ihnen manche dieser Erfahrungen bekannt vor? Das Interessante, was wir in unserer Umfrage (und in mehr als drei Jahrzehnten unserer Arbeit als Familienpädagogen) herausgefunden haben, ist, dass willensstarke, schwierige Kinder nicht nur ähnliche Wesenszüge und Verhaltensweisen zeigen, sondern auch ähnliche Bedürfnisse haben. Und oft schreien sie nach etwas – vielleicht nicht in Worten, sondern in Taten: „Mama, Papa, ich brauche etwas Bestimmtes von dir, damit ich wachsen und als Person reifen kann.“

Natürlich haben alle Kinder – auch die umgänglichsten – ähnliche Bedürfnisse. Aber temperamentvolle verlangen ihren Eltern ein Vielfaches an Geduld, Verständnis, Führungsstärke und Kreativität ab, um diese Bedürfnisse erkennen und erfüllen zu können. Denn diese Kinder bringen ihre Bedürfnisse selten in ruhigen Worten direkt zum Ausdruck. Vielmehr schreien sie ihren Ärger hinaus oder lassen Taten sprechen – sodass es an ihren Eltern ist zu „hören“, was sie eigentlich sagen wollen.

Wenn Sie sich in den Geschichten unserer Freunde über Paul und Marie oder in den Klagen der anderen Eltern wiederfinden können, dann haben wir dieses Buch für Sie geschrieben. Unser Ziel war es jedoch nicht, Eltern einen „perfekten Erziehungsplan“ – vielleicht gar in „fünf einfachen Schritten“ – überzustülpen. Stattdessen werden wir in den folgenden Kapiteln die acht häufigsten „Protestschreie“ vorstellen, die Sie von Ihrem Kind wahrscheinlich im Laufe der Zeit zu hören bekommen.

1.„Schau mich an!“

2.„Hab ich das gut gemacht?“

3.„Du hörst mir gar nicht zu!“

4.„Ich will das machen, wie ich will!“

5.„Du kannst mich nicht zwingen!“

6.„Ich hasse dich!“

7.„Ich will ans Tablet, und zwar sofort!“

8.„Ich will aber nicht!“

Vermutlich haben Sie viele dieser Protestsätze bei sich zu Hause schon gehört, vielleicht sogar alle. Aber wussten Sie, dass hinter jedem einzelnen eine tiefere Bedeutung steckt, die Ihr Kind nicht so richtig ausdrücken kann? Wir möchten Ihnen helfen zu verstehen, was Ihr Kind wirklich meint, wenn es Sie mit Worten oder Taten auf die Palme bringt, und Sie darin unterstützen, die dahinterstehenden Bedürfnisse Ihres Kindes zu stillen. Sie sollen für Ihre Rolle als Eltern so ausgerüstet werden, dass Sie Ihr willensstarkes Kind vertrauensvoll in seiner Entwicklung begleiten können. Und schließlich möchten wir Ihnen auch dabei helfen, eine gesunde Beziehung zu Ihrem Kind aufzubauen und zu erhalten – ein Leben lang.

Warum ich?

Vielleicht fragen Sie sich, warum ausgerechnet Ihr Kind Sie so fordert.

Einige Teilnehmer unserer Umfrage sagten, sie hätten vom ersten Tag an gewusst, dass ihr Kind willensstark sei. Andere erzählten, sie hätten irgendwann von einem Tag auf den anderen gemerkt, dass ihr Kind ihnen das Heft aus der Hand genommen hat – ohne dass sie so genau sagen konnten, wie es dazu gekommen ist. Doch ob Ihrem Kind sein Temperament bereits in die Wiege gelegt wurde oder ob es sich später entwickelt hat, ist gar nicht so entscheidend. Ihre Aufgabe ist es nun, ihm zu helfen, damit umzugehen.

Denn wer weiß? Vielleicht wird aus Ihrem Kind einmal der Wissenschaftler, der das lang ersehnte Heilmittel gegen Krebs entdeckt! Lachen Sie nicht! Viele der größten Führungspersönlichkeiten dieser Welt waren einmal eigenwillige, anstrengende Kinder. Wussten Sie zum Beispiel, dass Winston Churchill als Kind kaum zu bändigen war? Können Sie sich vorstellen, wie viel Nerven er seine Eltern gekostet haben muss? Albert Einstein wurde von Lehrern vorgeworfen, dass seine Respektlosigkeit auf Mitschüler abfärbe.

Wie können Sie nun Ihrem Kind helfen, sein Temperament, seine überschüssige Energie und Willenskraft in positive Bahnen zu lenken? Eltern temperamentvoller Kinder brauchen in der Erziehung immer ein Quäntchen mehr Geduld, Weisheit und Selbstbeherrschung, um durchzuhalten. Die Aufgabe liegt vor Ihnen und wir möchten Ihnen versichern: Sie sind ihr gewachsen! Sie schaffen das!

Eine entscheidende Hilfe könnte es sein, sich mit anderen Eltern in ähnlicher Situation zusammenzuschließen. Vielleicht können Sie dieses Buch gemeinsam durcharbeiten. Es wird Ihnen guttun zu merken, dass andere im selben Boot sitzen. Eine solche Gruppe bietet Gelegenheit zum Austausch und kann Ihnen Mut machen, wenn Sie sich überfordert fühlen.

Und hier noch ein guter Rat von einem Familienpsychotherapeuten, der auch ein willensstarkes Kind hat:

In der heutigen Welt fühlen wir uns so leicht isoliert. Zwar können wir uns im digitalen Zeitalter mit allen und jedem verbinden, bleiben dabei aber nicht selten einsam. Anstatt echte Beziehungen zu pflegen, verbringen wir Zeit vor dem Bildschirm. Vielleicht ist es Zeit, Smartphone und Computer mal auszuschalten und uns mit anderen Eltern zusammenzusetzen. Wobei es keine Frage ist, dass die Technik auch eine Hilfe sein kann. Warum nicht ein Online-Erziehungsnetzwerk ins Leben rufen?

Ob Sie dieses Buch nun allein, mit Ihrem Partner, mit Freunden oder einer Online-Gruppe durcharbeiten – Sie sollten eines nicht vergessen: Fortschritt ist wichtiger als Perfektion. Leider verlieren Eltern diesen wichtigen Unterschied oft aus dem Blick. In unserer Elternarbeit sind wir über die Jahre schon vielen begegnet, die fest davon überzeugt waren, mit der Erziehung ihrer anstrengenden, schwierigen Kinder überfordert zu sein. Ständig verglichen sie sich mit ihrem Bild von Supereltern – Sie wissen schon: Eltern mit umgänglichen und verständigen Kindern, die immer „Bitte“ und „Danke“ sagen; Eltern, die ihren Tag stets mit einem Lächeln beginnen, weil ihre Kinder sie niemals ärgern oder zur Verzweiflung bringen; Eltern, die genau wissen, wann und wie sie ihre Kinder zurechtweisen müssen – und die immer das erreichen, was sie sich vorgenommen haben. Wir sind zwar noch nie solchen Supereltern begegnet, aber es soll tatsächlich welche geben.

Wir würden Ihnen von Herzen wünschen, dass Sie solche Eltern sind. Aber höchstwahrscheinlich sind Sie eher wie wir: nicht von Natur aus geduldig, liebevoll und fröhlich, sondern oft ausgelaugt und der Verzweiflung nahe. Wir waren keine Supereltern – das können Ihnen unsere Kinder bestätigen, die mittlerweile erwachsen und selbst Eltern sind.

Die Erziehung unserer drei Söhne war ganz eindeutig die anstrengendste, schwierigste Aufgabe unseres Lebens. Wir haben erlebt, welche enorme Herausforderung willensstarke Kinder für ihre Eltern sein können. Dabei haben wir so manchen Fehler gemacht, durften uns aber auch über wunderbare Erfolgserlebnisse freuen. Über all die Jahre war uns eine gesunde Beziehung zu unseren Söhnen besonders wichtig.

So haben wir überlebt. Und das können Sie auch! Wir sind der lebende Beweis, dass man auch mit anstrengenden Kindern nicht wahnsinnig werden muss.

Wir hoffen, dass dieses Buch Ihnen für Ihre Reise als Eltern Hilfe und Ermutigung zugleich sein kann. In manchen Fällen kann es allerdings professionelle medizinische oder therapeutische Unterstützung nicht ersetzen. Wir empfehlen Ihnen, sich dann kompetente Hilfe zu suchen.

Einige Tipps für die Reise

Wussten Sie, dass Sie als Eltern ein Spiegel für die Gefühle Ihres Kindes sind? Wenn Sie wütend sind, überträgt sich das auf Ihr Kind. Wenn Sie angespannt sind, werden Sie diese Anspannung auch in Ihrem Kind wiederfinden. Sind Sie unbeschwert, wird auch Ihr Kind das Leben optimistisch sehen. Aber wie können Sie als Eltern positiv und voller Vertrauen sein, wenn Ihr Kind alles tut, um Ihnen das Leben schwer zu machen?

Einfach ist Erziehung nie: 24-Stunden-Dienst, schlechte Bezahlung, und wie sieht es mit Anerkennung aus? Davon brauchen wir gar nicht zu reden! Sie befinden sich auf einer der schwierigsten Reisen Ihres Lebens – aber auch auf einer der wichtigsten und nicht zuletzt einer der erfüllendsten. So wollen wir Ihnen zu Beginn ein paar Tipps mit auf den Weg geben – Dinge, die wir in unserer Arbeit mit Eltern und aus eigener Erfahrung gelernt haben.

Die ersten drei Tipps sind für Sie selbst bestimmt:

•Machen Sie Ihren Selbstwert nie vom Verhalten Ihres Kindes abhängig! Denn wenn Sie das tun, fühlen Sie sich super, solange Ihr Kind Ihnen keine Probleme macht, und schrecklich, wenn es aus der Rolle fällt.

•Verlieren Sie Ihren Humor nicht! Nehmen Sie sich selbst nicht so ernst. Lachen ist gesund und es entspannt. Sie werden viele originelle Geschichten zu erzählen haben, wenn Ihr Kind einmal erwachsen ist.

•Geben Sie auf sich selbst acht! Sie sind ein Mensch – deshalb brauchen Sie ausreichend Schlaf und eine gesunde Ernährung. Wie eine Mutter in unserer Umfrage schrieb: „Wie soll ich ruhig bleiben können, wenn ich müde bin? Ich glaube, ich schreie zu viel.“ Ihr Kind kann buchstäblich alle Kraft aus Ihnen heraussaugen, sodass Sie sich nur noch als sein Aufseher fühlen. Nehmen Sie sich auch Zeit für sich, treiben Sie etwas Sport, gehen Sie unter Leute und seien Sie ganz Sie selbst.

Nicht vergessen:

Sie sind nicht Ihr Kind!

Lachen ist gesund!

Geben Sie auf sich selbst acht!

Die folgenden vier Tipps betreffen Ihre Beziehung zu Ihrem Kind:

•Bemühen Sie sich um gegenseitigen Respekt. Wenn Sie erwarten, dass Ihr Kind Sie respektiert, sollten Sie ihm auch Respekt entgegenbringen.

Eine Mutter schrieb:

Wenn ich mir mal richtig bewusst mache, dass es mein eigentliches Ziel ist, meine Kinder zu guten Menschen zu erziehen, muss ich mich als Erstes fragen, wie ich mit ihnen umgehe. Wenn ich sie mit Respekt behandle, sind sie eher bereit, kooperativ zu sein und zuzuhören. Vielleicht beruhigen sie sich sogar und lenken ein. Manchmal wollen sie trotzdem weiter streiten und werfen mir Frechheiten an den Kopf, aber oft kann ich durch meinen Ton und mein Verhalten die Lage entschärfen.

•Planen Sie Zeiten ungeteilter Zuwendung ein – und lernen Sie Ihr Kind dabei besser kennen. Versuchen Sie, jeden Tag ein paar Minuten freizuhalten, in denen Sie sich ganz auf Ihr Kind konzentrieren. Entdecken Sie, was ihm Freude macht (ohne digitale Medien!). Ein guter Rat: Führen Sie die „Dark-Screen-Regel“ ein: Schalten Sie während dieser „Nur du und ich“-Zeiten Ihr Smartphone aus und widmen Sie sich ganz dem Gespräch mit Ihrem Kind. Diese Regel kann auch bei älteren Kindern angewandt werden, die schon selbst ein Smartphone haben.

•Begrenzen Sie Ihre absoluten Neins. Anstatt „Hör auf zu schreien!“ könnten Sie zum Beispiel sagen: „Meine Ohren tun weh, wenn du in diesem Ton mit mir sprichst. Versuch’s doch mal etwas leiser!“ Oder anstatt „Quengel nicht so herum!“ sagen Sie: „Kannst du auch etwas ruhiger mit mir sprechen?“

•Probieren Sie die Prinzipien aus, die wir Ihnen in den folgenden Kapiteln vorstellen. So können Sie auf die verbalen und non-verbalen „Protestschreie“ Ihres Kindes reagieren. Als Hilfe haben wir jedes Kapitel in drei Hauptabschnitte gegliedert: „Die Herausforderung verstehen“, „Die Gegenwart meistern“ und „Gute Gewohnheiten für die Zukunft entwickeln“. Der dritte Abschnitt enthält ganz praktische Ideen und Vorschläge, die Sie zu Hause sofort ausprobieren können.

•Eine Warnung vorneweg: Versuchen Sie nicht, alles umzusetzen! Suchen Sie sich einfach die Vorschläge heraus, die Ihnen zusagen, und lassen Sie es auf einen Versuch ankommen.

Nicht vergessen:

1.Bemühen Sie sich um gegenseitigen Respekt!

2.Lernen Sie Ihr Kind kennen!

3.Begrenzen Sie Ihre Neins!

4.Hören Sie auf die Protestschreie Ihres Kindes!

Sie schaffen das!

Vielleicht fragen Sie sich, wie es in der Geschichte von Pauls zerbrochener Fensterscheibe weiterging. Ingrid hat es uns erzählt:

Erstaunlicherweise hat Paul tatsächlich mitgeholfen, die Scherben zusammenzukehren. Er ging sogar mit mir zum Glaser. Als er erfuhr, wie viel das neue Fenster kosten würde, war er damit einverstanden, einen Teil der Rechnung von seinem Taschengeld und von seinem Ersparten zu bezahlen. Aber so ist Paul – ein emotionaler Achterbahnfahrer, bei dem man nie weiß, welche Überraschungen hinter der nächsten Kurve warten. Seit ich sein Temperament begriffen hatte, fällt es mir leichter, ihn zu begleiten – es kracht immer noch hin und wieder, aber wir machen Fortschritte.

Einige Jahre sind mittlerweile vergangen und Paul fordert seine Mutter nach wie vor. Aber Ingrid versteht heute seine Bedürfnisse besser und hat wirksame Strategien entwickelt, sie zu stillen. Und sie sieht zuversichtlich und hoffnungsvoll in die Zukunft – sie und Paul werden es schaffen.

Sie auch! Lernen Sie, die acht Protestschreie Ihres Kindes richtig zu deuten und darauf angemessen zu reagieren. Und vertrauen Sie darauf, Ihren Kindern das geben zu können, wonach sie sich sehnen, ja wonach sie buchstäblich schreien! Beginnen wir damit, wie wir lernen können, unsere willensstarken Kinder besser zu verstehen.

PROTESTSCHREI 1

„Schau mich an!“

BOTSCHAFT: BITTE VERSTEH MICH!

Ich freue mich über meine zwei Mädchen, die so unterschiedlich sind: die eine gesprächig und aufgeschlossen – ein richtiger Sonnenschein; die andere scharfsinnig und analytisch, dass dem Wissenschaftler in mir das Herz aufgeht. Temperamentvoll sind sie beide.

Oft ertappe ich mich dabei zu fragen, ob mein Kind ganz normal ist. Wie verhält sich eigentlich ein „normaler“ Junge? Gar nicht so einfach zu entscheiden, wo Strenge gefragt ist und wo ich die Dinge laufen lassen kann.

„Mama, ich will kein Streber sein, der immer nur Einsen schreibt.“

Ich (Claudia) starrte unseren Sohn ungläubig an. Welcher Schüler will denn nicht ganz vorne mitspielen?, dachte ich. Was ist das für ein Kind? Wurde er vielleicht im Krankenhaus vertauscht?

Ich konnte ihn einfach nicht verstehen. In meinem Elternhaus galten gute schulische Leistungen als Schlüssel zum Erfolg und als Basis für ein starkes Selbstwertgefühl. Ich weiß noch gut, wie frustriert ich jedes Mal war, wenn ich „nur“ eine Zwei geschrieben hatte. Und jetzt stand ich hier als Mutter eines Sprösslings, dem gute Noten anscheinend ganz egal waren.

Dasselbe Kind an einem anderen Tag – und ein weiterer Beweis, dass ein Außerirdischer bei uns lebte, der sich als mein Sohn ausgab. Nach langem guten Zureden hatte er sich endlich bereit erklärt, mit mir ein neues Hemd kaufen zu gehen. Natürlich hatten wir nicht denselben Geschmack. Ich plädierte für klassische Streifen. Er stand mehr auf Schnörkelmuster.

Also gut, soo wichtig ist das nicht, dachte ich, soll er seinen Willen haben! Ich holte tief Luft und sagte: „Das Gemusterte steht dir eigentlich richtig gut. Nehmen wir das!“ Seine Antwort: „Mama, warum sagst du erst so, dann so?“

Wir kauften natürlich das Hemd, das er wollte – aber dreimal dürfen Sie raten, wer es nie angezogen hat … Er blieb mir einfach ein Rätsel! Und immer wenn ich dachte, endlich zu wissen, wie er tickt, belehrte er mich im Handumdrehen eines Besseren.

Mit meiner Geschichte stehe ich nicht allein da.

„Was ist bloß mit meiner Kleinen los, seit sie sechs ist?“, fragte eine Mutter in unserer Elterngruppe. „Mit fünf war sie noch ganz umgänglich, aber seit ihrem sechsten Geburtstag geht sie jedes Mal hoch wie eine Rakete, wenn ich ihr auch nur etwas querkomme.“

„Davon kann ich auch ein Lied singen“, bestätigte ein anderer Teilnehmer. „Immer, wenn ich meine, ich durchschaue meinen Sohn so allmählich, ist er von heute auf morgen kaum mehr wiederzuerkennen. Letztes Jahr ist er gern in die Schule gegangen. Dieses Jahr jammert er jeden Morgen über Bauchschmerzen und es gibt ein Riesentheater. Was soll ich bloß machen?“

DIE HERAUSFORDERUNG VERSTEHEN

Kommen Ihnen die Erfahrungen dieser Eltern bekannt vor? Kaum können wir unsere temperamentvollen Kinder halbwegs einschätzen, da legen sie ihre nächste Kehrtwende hin. Bei willensstarken