Mit dem Unbewussten arbeiten - Günter Gödde - E-Book

Mit dem Unbewussten arbeiten E-Book

Günter Gödde

0,0

Beschreibung

Das therapeutische Arbeiten mit dem Unbewussten hat in den psychodynamischen Therapierichtungen nach wie vor einen hohen Stellenwert. Günter Gödde unterscheidet zwischen Konzepten des »dynamisch«, »intersubjektiv« und »implizit« Unbewussten und zwischen einer vertikalen und einer horizontalen Dimension bis hin zur Annahme eines »resonant« Unbewussten. An die Stelle räumlicher Leitmetaphern des Unbewussten wie Dunkelheit, Tiefe und Innenwelt sind in den letzten Jahren zunehmend interaktionelle Metaphern der Balance, des Rhythmus und der Resonanz getreten. Die Annäherung an die unbewussten Vorgänge im Patienten erfordert vom Therapeuten eine Haltung gleichschwebender Aufmerksamkeit sowie die Fähigkeit, mit der Übertragung und Gegenübertragung zu arbeiten und die intersubjektiven Prozesse in der therapeutischen Beziehung zu erfassen und mitzugestalten. Das Verstehen und Interpretieren unbewusster Konflikte und Strukturen wird anhand von Fallvignetten erhellt. Träume und Märchen bereichern die therapeutische Arbeit mit dem »kreativ« Unbewussten.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 102

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Herausgegeben von

Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Günter Gödde

Mit dem Unbewussten arbeiten

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sindim Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-647-90074-2

Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter:www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

Umschlagabbildung: Paul Klee, Vollmond im Moor, 1938/akg-images

© 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,Theaterstraße 13, D-37073 Göttingenwww.vandenhoeck-ruprecht-verlage.comAlle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlichgeschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällenbedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datametics, Griesheim

Inhalt

Vorwort zur Reihe

Vorwort zum Band

1Überblick

2Das Unbewusste als Grundpfeiler der Psychoanalyse

2.1 Freuds Psychologie des »dynamisch« Unbewussten

2.2 Das topische Modell von Bewusstem, Vorbewusstem und Unbewusstem

2.3 Das Strukturmodell von Es, Ich und Über-Ich

2.4 Freuds hermeneutische Psychologie »des anderen Sinns«

3Das Unbewusste in der heutigen Pluralität psychodynamischer Therapiekonzepte

3.1 Das Unbewusste in der Polarität von Einsichts- und Erlebnistherapie

3.2 Neue Akzentuierungen des Unbewussten in der Objektbeziehungs- und Selbstpsychologie

3.3 Die Weichenstellung zu einer Konzeption des »intersubjektiv« Unbewussten

3.4 Die Erweiterung zum »implizit« Unbewussten

4Die vertikale, horizontale und resonante Dimension des Unbewussten

4.1 Polaritäten in der Metapherngeschichte des Unbewussten

4.2 Die Fragwürdigkeit der räumlichen Metaphern von Oben und Unten, Tiefe und Innenwelt

4.3 Der Gegensatz zwischen der horizontalen und vertikalen Dimension des Unbewussten

4.4Balance, Rhythmus und Resonanz als Leitmetaphern des »resonant« Unbewussten

5Erleben und Erkennen der unbewussten Dynamik in der therapeutischen Beziehung

5.1 Zusammenspiel von freien Einfällen und gleichschwebender Aufmerksamkeit

5.2 Übertragung und Gegenübertragung als Erkenntnisinstrumente

5.3 Szenisches Verstehen

5.4 Intersubjektive Gestaltung der therapeutischen Beziehung

6Verstehen und Interpretieren unbewusster Prozesse

6.1 Offenlegung krank machender Geheimnisse

6.2 Aufdeckende Bearbeitung unbewusster Konflikte

6.3 Orientierung am unbewussten Modus der Konfliktverarbeitung

6.4 Strukturelle Dimensionen im Behandlungsfokus

7Arbeiten mit dem »kreativ« Unbewussten

7.1 Der Stellenwert unbewusster Intuitionen

7.2 Kreative Wege zu neuen Beziehungserfahrungen

7.3 Kreative Weichenstellungen in Träumen

7.4 Therapeutisches Arbeiten mit Lieblingsmärchen

8Rückblick und Ausblick

Literatur

Vorwort zur Reihe

Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrundlagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich.

Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 70 bis 80 Seiten je Band kann sich der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen.

Themenschwerpunkte sind unter anderem:

–Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung.

–Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internetbasierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze.

–Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen.

–Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen.

–Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Soziale Arbeit, Arbeit mit Geflüchteten und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Familien, Gruppen, Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie.

–Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.

Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann.

Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Vorwort zum Band

Das Unbewusste stellt nach wie vor einen der Grundpfeiler der Psychoanalyse dar. Das therapeutische Arbeiten mit dem Unbewussten bildet ein zentrales Element der psychodynamischen Praxis. Ein Blick in die Begriffsgeschichte zeigt die Dialektik auf: Der besonderen Betonung des Bewusstseins in der Aufklärung wurde seit der Romantik das Unbewusste als dunkle Trieb- und Willenskraft entgegengesetzt. Für Freud war die Psychologie des Unbewussten als explizites Gegenmodell zur klassischen Bewusstseinspsychologie angelegt. Das Verhalten wird nicht durch Logik und Vernunft bestimmt, sondern durch die seelischen Tiefenschichten gesteuert.

Der Autor führt den Leser, die Leserin durch eine kurze Geschichte der Begriffe ins Zentrum des psychoanalytischen Denkens. Das dynamisch Unbewusste wird im topischen Modell als Gegensatz zum Bewussten und Vorbewussten gefasst und im Strukturmodell mit den Begriffen Es, Ich und Über-Ich in Beziehung gesetzt. Danach wird das Unbewusste in der heutigen Pluralität psychodynamischer Therapiekonzepte dargestellt: Von den Objektbeziehungstheorien über die Selbstpsychologie zu den intersubjektiven Konzeptionen des Unbewussten spannt sich der Bogen. Aus der Gedächtnisforschung resultiert die Modellbildung des implizit Unbewussten. Auch die Fragwürdigkeit räumlicher Metaphern des »Vertikalen und Horizontalen« wird diskutiert und um Dimensionen der »Resonanz« ergänzt.

Ein wichtiges Kapitel handelt von dem Erleben und Erkennen unbewusster Prozesse in der therapeutischen Beziehung. Neben der Übertragung und Gegenübertragung wirkt das szenische Verstehen als Erkenntnisinstrument. Das Verstehen und Interpretieren unbewusster Prozesse wird durch erhellende Fallvignetten bereichert. Auch in kreativen Therapieprozessen wird das Unbewusste angesprochen und kann zu neuen Beziehungserfahrungen führen. Träume und Märchen bereichern die intersubjektive therapeutische Arbeit.

Das Konzept eines intersubjektiv Unbewussten führt uns vor Augen, wie »das Beziehungsgeschehen von unbewussten Mechanismen strukturiert wird, die vor allem mit Resonanzphänomenen zu tun haben«. Flüchtige, noch nicht verbal erfassbare Erfahrungen werden im Beziehungsrahmen mit Bedeutungen versehen. Der Begriff des »resonant Unbewussten« bildet so die Therapeut-Patient-Beziehung ab.

Dieses lesenswerte, historisch fundierte und praktisch relevante Buch bringt Klarheit in die begriffliche Verwirrung um eines der wichtigsten Grundthemen der Psychoanalyse: das Unbewusste.

Inge Seiffge-Krenke und Franz Resch

1 Überblick

Der Begriff des Bewusstseins in der Bedeutung klaren und deutlichen Erkennens wurde erstmals 1720 gebraucht und hatte für die Ära der Aufklärer identitätsstiftende Bedeutung. Der Gegenbegriff des Unbewussten fand erst 1800 Verwendung und erlangte seit der Romantik zunehmende Beachtung. Die bis heute anhaltende Kontroverse um die Frage, ob Psychisches und Bewusstes identisch seien oder ob es ein psychisch Unbewusstes gebe, begann in der Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts bei Descartes und Leibniz. Von Descartes stammt der Satz: »Anima semper cogitans.« Wenn die Seele immer im Zustand des Denkens ist, bedeutet dies eine Identifizierung des Psychischen mit dem Bewussten. Mit seinem betonten Eintreten für den Leib-Seele-Dualismus hat Descartes die Weichen für den Siegeszug der Bewusstseinsphilosophie und -psychologie (Kant, Wundt, Brentano, Husserl u. a.) gestellt.

Die Gleichsetzung des Psychischen mit dem Bewussten blieb aber schon in der Aufklärung nicht unwidersprochen. Nach Auffassung von Leibniz und seinen Nachfolgern gibt es im Seelenleben auch »dunkle« und unklare Vorstellungen, die »pétites perceptions«, die uns deshalb nicht bewusst werden, weil sie »entweder zu schwach und zu zahlreich oder zu gleichförmig sind […]. Aber mit anderen verbunden, verfehlen sie ihre Wirkung nicht und lassen sich in der Anhäufung wenigstens verworren empfinden« (Leibniz, 1704/1993, S. 24). Leibniz hat eine erste philosophische Traditionslinie des Unbewussten angebahnt, die man als die des kognitiv Unbewussten bezeichnen kann. Sie wurde von Herbart, Helmholtz, Fechner, Wundt und vielen anderen weitergeführt und reicht bis zur heutigen Kognitionspsychologie (vgl. Pongratz, 1984, S. 188 ff.; Gödde, 2009, S. 29 ff.). Drei Essentials dieser Denktradition kann man festhalten:

–Entscheidend ist die Basisannahme, dass mehr oder weniger unbewusste psychische Prozesse existieren und eine hochgradige Wirksamkeit entfalten können.

–Dem Bereich des kognitiv Unbewussten lassen sich Empfindungen, Wahrnehmungen, Vorstellungen, Gedächtnis, Denken, Lernen zuordnen, die nicht registriert, bemerkt, gewusst und infolgedessen auch nicht verbal mitgeteilt werden können.

–Leibniz nahm noch kein vom Bewusstsein gesondertes Unbewusstes an, sondern vertrat ein Gesetz der Kontinuität, wonach es Abstufungen der Klarheit und Intensität des Bewusstseins gebe.

In einer Gegenbewegung zur Aufklärung formierte sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Romantik. Sie gehört zu den seit zweihundert Jahren nicht abreißenden Suchbewegungen, die der entzauberten Welt der Säkularisierung etwas entgegensetzen wollen. Mit ihren Leitvorstellungen von Gefühl, Erleben, Phantasie und Sehnsucht wandte sie sich gegen die einseitige Betonung des Bewusstseins als des rational Zugänglichen.

Im Hinblick auf Aufklärung und Romantik kann man von einer Dialektik sprechen. Die Aufklärung visierte eine Erweiterung des Bewusstseins an, die Romantik hingegen eine Entfaltung des Unbewussten. In der Aufklärung ging es um eine Verwissenschaftlichung aller Lebensbereiche, in der Romantik hingegen um eine Verzauberung des Menschlichen, die hinter dem Gewöhnlichen das Ungewöhnliche, hinter dem Nahen das Ferne oder eben hinter dem Bewussten das Unbewusste aufspüren und gestalten wollte. Von Novalis stammt der häufig zitierte Satz: »Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, romantisiere ich es« (Novalis, 1799/1978, S. 334). Dementsprechend hat sich in der romantischen Philosophie und Medizin eine zweite Traditionslinie des Unbewussten herausgebildet, die man als romantisch-vital bezeichnen kann. Wiederum lassen sich drei Essentials namhaft machen:

–Die Romantik setzte sich für eine Aufhebung des Descartes’schen Leib-Seele-Dualismus ein und wandte sich dementsprechend gegen die Gleichsetzung des Psychischen mit dem Bewussten.

–Im Werk des Spätromantikers Carl Gustav Carus kann man eine Wesensgegensätzlichkeit von Bewusstem und Unbewusstem erkennen, die einen Gegenpart zu Leibniz’ Lehre von der Kontinuität des Bewusstseins bildet.

–Das Unbewusste wird hier als abgegrenzter, mit dem Leiblichen aufs Engste verbundener Bereich betrachtet.

Eine dritte philosophische Traditionslinie des Unbewussten repräsentieren in erster Linie Schopenhauer und Nietzsche, die im 19. Jahrhundert eine anthropologische Wende vom Geistigen und Vernunftorientierten zum Leiblichen und Triebhaften vollzogen haben. Ihre gemeinsame Problemstellung war die Dialektik des Macht-Ohnmacht-Verhältnisses zwischen dem Ich (im Sinne von Vernunft, Intellekt, Bewusstsein) und dem Unbewussten (im Sinne von Triebnatur, Wille, Es). Mit dem von ihnen postulierten Vorrang des »Willens zum Leben« bzw. »Willens zur Macht« vor dem »Intellekt« verhalfen sie der gefährlichen Triebnatur des Menschen zum Durchbruch. Daher kann man im Hinblick auf Schopenhauer und Nietzsche von einer Philosophie des triebhaft-irrational Unbewussten sprechen. Im Vergleich zu den ersten beiden Philosophien des Unbewussten kann man auch hier drei Essentials formulieren:

–Die Willensmetaphysik steht zwar der Aufklärung nahe, aber eher im Sinne einer »zweiten Aufklärung«, in der nicht nur Vorurteile, Ideologien, Aberglauben und Vernunftwidrigkeiten aller Art aufgedeckt, sondern auch die psychologischen und anthropologischen Grundlagen menschlicher Emotionen, Affekte und Leidenschaften kritisch hinterfragt und analysiert werden.

–Im Unterschied zur romantischen Idealisierung der menschlichen Realität und damit zur Verleugnung ihrer Schattenseiten tendierten Schopenhauer und Nietzsche generell zur Desillusionierung und im Besonderen zur Entlarvung unbewusster Motivationen, auch und gerade in moralischer Hinsicht.

–Man kann von einer »Entzauberung der Romantiknatur« (Marquard, 1987) sprechen. Egoismus, Aggression und Machtstreben – und damit auch das in der Romantik tabuisierte »Böse« – werden nunmehr der menschlichen Triebnatur zugerechnet.

Im 19. Jahrhundert begann sich eine neuartige Psychologie des Unbewussten zu artikulieren, und dies auf eine zunehmend kräftige und pointierte Weise. Dazu trugen neben Carus und dem zwischen Psychophysik und Mystik hin- und hergerissenen Gustav Theodor Fechner insbesondere Schopenhauer, Nietzsche und Freud bei. Dass in Schopenhauers und Nietzsches Willensmetaphysik der Keim zu einer Psychologie des Unbewussten enthalten ist, lag an ihrer Lehre vom Primat des Willens und der untergeordneten Stellung des Intellekts. Die darin liegende Pointe brachte Schopenhauer auf die Formel: »Was dem Herzen widerstrebt, lässt der Kopf nicht ein« (Schopenhauer, 1844/1977, S. 244). Auch Nietzsche fand für diese Verdrängungsdynamik eine prägnante Formulierung: »›Das habe ich getan‹, sagt mein Gedächtnis. ›Das kann ich nicht getan haben‹ – sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich – gibt das Gedächtnis nach« (Nietzsche, 1886/1980, S. 68).

An vielen Textstellen lässt sich zeigen, dass die Abwehr bzw. Unterdrückung von triebhaft und affektiv besetzten Vorstellungen und damit die Idee eines »dynamisch«