Therapieziel Selbstsorge - Günter Gödde - E-Book

Therapieziel Selbstsorge E-Book

Günter Gödde

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Beschreibung

Selbstsorge ist keine egozentrische Praxis der Nabelschau. Sie hat mit Selbsterkenntnis und Selbstgestaltung sowie mit Selbstfürsorge und Selbstkontrolle zu tun. Selbstsorge berührt nicht nur den individuellen Umgang mit sich selbst, sondern auch die Beziehungen zu anderen Menschen und zur Welt. Sie gehört seit der Antike zu einem philosophischen Programm der Lebenskunst. Auch jede professionelle Therapie ist mit Fragen der Selbstsorge konfrontiert, wenn es etwa darum geht, wie die Patient:innen mit sich selbst umgehen und ob sich die Therapeut:innen zu intensiv oder zu wenig für ihre eigene Gesundheit interessieren. Die Autoren geben anhand von Modellen der Balance, des Rhythmus und der Resonanz ihre schlüssigen und hilfreichen Antworten.

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Herausgegeben von

Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Günter Gödde/Jörg Zirfas

Therapieziel Selbstsorge

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

© 2021, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,Theaterstraße 13, D-37073 GöttingenAlle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: Paul Klee, Choral und Landschaft, 1921/akg-images

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datametics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISSN 2566-6401ISBN 978-3-647-99465-9

Inhalt

Vorwort zur Reihe

Vorwort zum Band

Einführung: Selbstsorge zwischen Wissenschaft, Therapie und Alltag

1   Selbstsorge als Anliegen der antiken Philosophieschulen

1.1 Selbstsorge als Sorge um die Seele bei Sokrates und Platon

1.2 Die geistigen Übungen der Epikureer

1.3 Die Selbstbeherrschung der Stoiker

2   Wiederaufleben der Selbstsorge im aktuellen Diskurs der Lebenskunst

2.1 Michel Foucaults Anknüpfung an die antiken Selbstsorgemodelle

2.2 Die Frage nach der existenziellen Wahl bei Wilhelm Schmid

2.3 Gesichtspunkte therapeutischer Selbstsorge

3   Selbstsorge als »Selbstlosigkeit«

3.1 Friedrich Nietzsches Kritik an den »asketischen Idealen«

3.2 Kritik am selbstvergessenen Altruismus

4   Strategien der »Selbstoptimierung« und ihre Kehrseiten

4.1 Kreativität als Programm der Selbstoptimierung

4.2 Fragwürdigkeit der Enhancement-Techniken

5   Angst vor der Individuation – Entfremdung vom Selbst

5.1 Angst vor dem Selbstsein

5.2 Ronald Laings Phänomenologie des »geteilten Selbst«

5.3 Karen Horneys Konzept der »Selbstentfremdung«

5.4 Der therapeutische Weg vom »entfremdeten« zum »bezogenen« Selbst

6   Förderung der Selbstsorge in der Psychotherapie

6.1 Das antike Modell von Mitte und Maß

6.2 Das moderne Modell von Balance, Rhythmus und Resonanz

6.3 Behandlungsperspektiven und -ziele

6.4 Ein Fallbeispiel

7   Ein Stufenmodell therapeutischer Selbstsorge

7.1 Erschütterung des Selbst durch eine Krise

7.2 Exploration und Experiment in der Therapie

7.3 Erweiterung der Optionen und Vorbereitung einer Wahl

7.4 Umsetzung in die Lebenspraxis

7.5 Integration in eine neue Lebensführung

7.6 Ein Fallbeispiel

8   »Implizite Konzepte« der Selbstsorge in der psychodynamischen Psychotherapie

8.1 Sigmund Freud

8.2 Sándor Ferenczi

8.3 Michael Balint

8.4 Theodor Reik

8.5 Ralf Zwiebel

8.6 Stavros Mentzos

8.7 Irvin Yalom

9   Ernstnehmen der Selbstsorge beim Psychotherapeuten

9.1 Selbstsorge in der therapeutischen Praxis

9.2 Selbstsorge in der alltäglichen und sozialen Lebensgestaltung

Literatur

Vorwort zur Reihe

Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrundlagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich.

Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten und Patientinnen hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 70 bis 80 Seiten je Band kann sich die Leserin, der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen.

Themenschwerpunkte sind unter anderem:

–Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung.

–Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internetbasierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze.

–Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen.

–Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen.

–Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Soziale Arbeit, Arbeit mit Geflüchteten und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Familien, Gruppen, Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie.

–Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.

Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann.

Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Vorwort zum Band

Der Begriff der Selbstsorge umfasst ebenso Prozesse der Selbsterkenntnis und Selbstgestaltung, der Selbstfürsorge und Selbstaneignung wie der Selbstkontrolle und Selbstbeherrschung. Die individuellen Praktiken des Umgangs mit sich selbst werden in den Fokus genommen. Selbstsorge ist jedoch nicht eine egozentrische oder solipsistische Praxis der Nabelschau, sondern berücksichtigt auch »die Bedeutung des Anderen und der Welt für das eigene Leben«.

Selbstsorge spannt einen Bogen von der philosophischen Reflexion über Psychologie und Therapie bis zu alltäglichen Formen der Selbsterprobung. Als Anliegen der antiken Philosophieschulen war Selbstsorge ein sokratisch-platonisches Bildungsideal mit dem Ziel der Selbsterkenntnis und Selbstbeherrschung. Die Epikureer suchten darüber hinaus nach einer Haltung zum Leben, die unnötige Sorgen hinter sich lässt und sich dem Lusterleben öffnet, wobei nicht ein seichter Hedonismus gemeint war, sondern die Verfeinerung der Sinne durch Askese und geistige Übungen. Demgegenüber betonten die Stoiker die innere Wachsamkeit und Unabhängigkeit von unkontrollierbaren äußeren Geschehnissen, die die »stoische Ruhe« befördern. Das Glück des Menschen hänge davon ab, ein möglichst affektfreies Leben mit einer Fähigkeit zur Muße zu führen. Damit erscheint das zentrale Ziel der Selbstsorge als eine Praxis der Selbstbeherrschung, die eine Unabhängigkeit von emotionalen Widersprüchen und Leidenschaften erlaubt.

Auch in der Philosophie der Moderne spielt die Selbstsorge eine Rolle. Während Michel Foucault mehr auf die »Technologien des Selbst« verweist, die Richtlinien des Handelns in spielerisch-ethischer Selbstbeherrschung verwirklichen lassen, rückt Wilhelm Schmid die Frage nach der existenziellen Wahl in den Mittelpunkt. Selbstsorge wird damit als Selbstwirksamkeit zur Lebenskunst, die jeweils richtigen Lebensentscheidungen zu fällen.

Die therapeutische Selbstsorge zielt auf den richtigen Gebrauch von Wahrnehmungen, Vorstellungen und Phantasien, der damit eine aktive Selbstbestimmung ermöglicht. Als therapeutischer Prozess beginnt die Selbstsorge mit der Identifikation von Problemen, diesen wird reflexiv auf den Grund gegangen, um ein Gegen- und Lösungsmodell zu entwickeln, das schließlich in der Lebenspraxis umgesetzt wird.

Die Autoren setzen sich auch mit dem Problem der »Selbstlosigkeit« auseinander, das als christliches Askese-Ideal zu Verzicht, Pflicht und bedingungslosem Altruismus anleitet. Als besondere christliche Tugend wird dieses Ideal aber von modernen Philosophen zu Recht kritisiert. Handelt es sich doch um einen Kanon lebensfeindlicher Werte, der einer Wendung gegen sich selbst gleichkommt und mehr Selbstqual als Selbstertüchtigung bedeutet. Übersozialisiertes Verhalten macht nicht glücklich, sondern abhängig und erzeugt Untertanen, die eine Bereitschaft zur Unterwerfung aufweisen. Die Freiheit der Wahl bringt dann nur noch Angst und Ohnmachtsgefühle hervor und fördert die Bereitschaft, sich autoritären Strukturen und totalitären Bewegungen anzuschließen.

Auch Strategien der Selbstoptimierung führen nicht nur zum Erfolg, sondern können zu Selbstverzerrungen Anlass geben. Der Zwang zur Kreativität um jeden Preis und die modernen Techniken des »Selbst-Enhancements« bergen Gefahren einer Selbstentfremdung und Selbstunterdrückung im Hamsterrad der Erfolgsstrategien. Ein therapeutischer Weg führt zu einer Emanzipation des Selbst und bahnt den Übergang vom entfremdeten zu einem bezogenen Selbst.

Wie kann die Selbstsorge in der Psychotherapie gefördert werden? Darauf geben die Autoren eine schlüssige Antwort und stellen ihr Modell von Balance, Rhythmus und Resonanz vor. Ein klinisches Fallbeispiel leitet über zu einem Stufenmodell therapeutischer Selbstsorge. Die psychodynamische Psychotherapie kennt implizite Konzepte der Selbstsorge, wie an vielen Beispielen bekannter Autoren von Freud bis Yalom überzeugend dargestellt wird.

Selbstsorge kann auch auf die Therapeutinnen und Therapeuten selbst angewendet werden und setzt voraus, dass in ausreichendem Maße Gegengewichte zum Arbeitsalltag, Ausgleichs- und Resonanzmöglichkeiten geschaffen werden, die es ihnen ermöglichen, »offen und lebendig« zu bleiben. Der Offenheit eines »polyfonen« Denkstils wird leidenschaftlich das Wort geredet.

Ein erfrischendes Buch, das strenge Schulengrenzen sprengt und als Streifzug durch die Ideengeschichte des Abendlandes eine Bereicherung für jeden therapeutisch Tätigen in seinem Menschsein bedeutet. Kurzweilig, fundiert und lesenswert.

Inge Seiffge-Krenke und Franz Resch

Einführung: Selbstsorge zwischen Wissenschaft, Therapie und Alltag

Wir möchten mit diesem Buch auf die Bedeutung der Selbstsorge für die Psychotherapie aufmerksam machen. Es geht um die Frage, warum und inwiefern es sinnvoll erscheint, sich im psychotherapeutischen Rahmen mit dieser Thematik auseinanderzusetzen.

Selbstsorge ist einerseits ein philosophisches Programm, das seit der Antike – vor allem im Kontext der philosophischen Lebenskunst – bis in die Moderne hinein immer wieder aufgegriffen und diskutiert worden ist. Dieses Programm hält auch für die Psychotherapie einige wichtige theoretische und praktische Einsichten bereit. Selbstsorge ist andererseits ein alltäglicher Begriff, denn alle Menschen kümmern sich irgendwie um sich selbst. Und schließlich lässt sich Selbstsorge auch als therapeutischer Begriff verstehen. Jede professionelle Therapie ist mit Fragen der Selbstsorge konfrontiert, wenn es etwa darum geht, wie die Patienten und Patientinnen mit sich selbst umgehen oder ob sich der Therapeut zu intensiv oder nicht genug für seine eigene Gesundheit interessiert.

In der Psychotherapie begegnen uns immer wieder Menschen, die sich nicht mehr richtig um sich selbst sorgen können, die unter Depressionen und Ängsten leiden, ihren Zwängen und Süchten ausgeliefert sind, kaum Wahlmöglichkeiten in ihrem Leben sehen, die Orientierung verloren haben oder sich schlicht nicht mehr ausreichend um sich selbst kümmern (können) und zu verwahrlosen drohen. Selbstsorge ist daher bewusst oder unbewusst eine wichtige Thematik in der Therapie. Selbstsorge lässt sich also zunächst als ein Modell verstehen, das zwischen philosophischen, aber auch und gerade psychologischen und therapeutischen Erkenntnissen und alltäglichen Praktiken des Umgangs mit sich angesiedelt ist (vgl. Zirfas, 2020).

Im Rahmen der Selbstsorgekonzeption werden die individuellen Praktiken des Umgangs mit sich selbst in den Mittelpunkt gerückt. Berücksichtigt werden aber auch die übergreifenden »Strukturen«, also die Diskurse und Machtkonstellationen, die den Einzelnen prägen und seine Freiheitsspielräume eröffnen und begrenzen. Dabei geht es um Fragen der Freundschaft, Partnerschaft und Liebe, Wirtschaft, Moral, Kultur, Politik und Religion (vgl. Gödde u. Zirfas, 2018). Selbstsorge muss die Bedeutung des Anderen und der Welt für das eigene Leben berücksichtigen. Sie ist kein solipsistisches, egoistisches oder narzisstisches Unterfangen. Die Beziehungen zu Anderen und zur Welt werden allerdings von einem individuellen Blickwinkel aus thematisiert, ohne sie auf Instrumente der eigenen Bedürfnisbefriedigung zu reduzieren.

Zu unterscheiden ist zwischen einer ängstlichen Form der Selbstsorge, der etwas Unruhiges, Umtriebiges und Unfreies bis hin zu einer depressiven Form der Erlebnisverarbeitung anhaftet, und einer klugen Form, die andrängende Lebensprobleme eher aus einem geistigen Abstand betrachtet, mit Affekten besonnen umgeht und zu mutigem Handeln fähig ist.

Wesentlich erscheint, dass es keine allgemeingültige Norm (mehr) für die Selbstsorge gibt. Über lange Zeit in der Ideengeschichte waren allgemeine – das heißt vor allem für Männer gedachte – Prinzipien, Inhalte, Formen und Ziele der Selbstsorge bestimmend. Doch seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert haben sich gravierende Veränderungen vollzogen. In der Moderne ist Selbstsorge vor dem Hintergrund eines individuellen Lebens mit seiner spezifischen Geschichte, seinen Brüchen und Erfolgen, seinen Erwartungen und Hoffnungen auszubuchstabieren. Zwar haben wir für dieses Ausbuchstabieren bestimmte theoretische wie praktische Orientierungspunkte, die sich bis in die Gegenwart erhalten haben – wie etwa die Perspektiven der Wahrnehmung und des Verstehens oder der Diätetik und Asketik –, doch ergeben diese kein universelles und allumfassendes Programm einer (therapeutischen) Selbstsorge.

Selbstsorge lässt sich auch und gerade in der Therapie im Sinne des Lateinischen »problema« als etwas »Vor-gelegtes«, Aufgegebenes verstehen, das nicht primär auf schöne und eindeutige Lösungen, sondern auf die Reflexion und die Diskussion von therapeutischen Sachverhalten zielt (vgl. Gödde u. Zirfas, 2014). Die therapeutische Selbstsorge geht von einer negativen Grundannahme aus, nämlich dass Menschen aus vielerlei Gründen mit ihrem Leben nicht »zurechtkommen«. Hierbei wird nicht unterstellt, dass Selbstsorge prinzipiell aus Erfahrungen des Krankseins herrührt oder dass nur (psychisch) Kranke motiviert werden, Überlegungen zur Selbstsorge anzustellen. Wir gehen aber von der Annahme aus, dass jede Form der Selbstsorge (auch) eine psychologische Grundlage hat, die im Gefühl, in der Ahnung, in der Erfahrung oder der Erkenntnis gründet, mit spezifischen Konstellationen des Lebens Schwierigkeiten zu haben und das eigene »Leben« neu austarieren zu müssen. Selbstsorge ist der Versuch, das Leben wieder »stimmig« zu machen (Zimmer, 2016).