Mit der Sonne auf meiner linken Schulter - Stephan Vierhok - E-Book

Mit der Sonne auf meiner linken Schulter E-Book

Stephan Vierhok

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Beschreibung

Es gibt Zeiten im Leben, da muss man einfach raus. Raus aus dem Alltag, raus aus dem Hamsterrad der Termine, raus aus dem Gefühl immer erreichbar zu sein. Einfach raus! Ich entschloss mich, meine allererste Fernwanderung, den wohl bekanntesten Jakobsweg, den Camino Francés, zu gehen. Ich musste einfach raus. Warum ich knapp 900 km in 31 Etappen, von Südfrankreich, über die Pyrenäen, durch große Städte und kleine Dörfer bis hin zum Meer, bei Finisterre, zu Fuß hinter mich brachte!? Begegnungen, Gespräche und unzählige Erlebnisse. Kein Tag glich dem anderen. Das Gefühl der Gemeinschaft und dieser ganz besondere Spirit, welchen ich kennenlernen durfte. Genau das möchte ich mit dir teilen. Zudem kann ich dir in diesem Tagebuch viele nützliche Tipps und Erkenntnisse, auch zum benötigten Equipment weitergeben, die ich durch meine Erfahrungen sammeln konnte. Du sehnst dich auch danach raus zu kommen? Lies mein Tagebuch...

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Seitenzahl: 200

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Plötzlich Pilger

Tag 1: Saint-Jean-Pied-de-Port – Roncesvalles

Tag 2: Urriba – Zubiri

Tag 3: Zubiri – Pamplona

Tag 4: Pamplona – Puenta de la Reina

Tag 5: Puenta de la Reina – Estella-Lizarra

Tag 6: Estella-Lizarra – Torres del Rio

Tag 7: Torres del Rio – Logroño

Tag 8: Logroño – Nájera

Tag 9: Nájera – Santo Domingo de la Calzada

Tag 10: Santo Domingo de la Calzada – Belorado

Tag 11: Belorado – Agés

Tag 12: Agés – Burgos

Tag 13: Burgos – Hontanas

Tag 14: Hontanas – Fromista

Tag 15: Fromista – Calzadilla de la Cueza

Tag 16: Calzadilla de la Cueza – Sahagún

Tag 17: Sahagún – Reliegos

Tag 18: Reliegos – León

Tag 19: León - Hospital de Órbigo

Tag 20: Hospital de Órbigo – Santa Catalina de Somoza

Tag 21: Santa Catalina de Somoza – El Acebo

Tag 22: El Acebo – Cacabellos

Tag 23: Cacabellos – La Faba

Tag 24: La Faba - Triacastela

Tag 25: Triacastela – Barbadelo

Tag 26: Barbadelo – Airexe

Tag 27: Airexe – Boente

Tag 28: Boente - Santiago de Compostela

Santiago de Compostela

Tag 29: Santiago – Vilaserio

Tag 30: Vilaserio – Cee

Tag 31: Cee – Finisterre

Finisterre

Finisterre an Tag 3

Finisterre – Santiago de Compostela

Nach Hause

Vorwort

Hallo lieber Leser! Ich freue mich, dass dir dieses Buch entweder in die Hände gefallen ist, oder du es dir ganz bewusst ausgesucht hast!

Vorab kurz etwas zu meiner Person. Ich bin Stephan und komme aus dem Ruhrgebiet, genauer gesagt aus der schönen, durch den Bergbau geprägten Stadt Bochum. Hier wurde ich 1977 als dritter Sohn einer Arbeiterfamilie geboren. Nach der Schulzeit begann ich eine Ausbildung zum Bürokaufmann beim örtlichen Verkehrsunternehmen, bei dem ich viele Jahre tätig war, bevor ich mich dazu entschied eine neue Herausforderung anzugehen. Meine Freizeit verbringe ich gerne mit Sport, treffe Freunde, probiere neue Hobbies aus oder plane meine nächste (Wander)reise. Ich bin ein offener Typ und mag Menschen, die authentisch sind, so bin ich nämlich auch. Trotz vieler persönlicher Schicksalsschläge bin ich ein aufgeschlossener, positiv denkender Mensch geblieben, der das Leben genießt. Ich erwähne dies jetzt, da ihr im späteren Verlauf an der ein oder anderen Stelle des Buches auch in sehr persönliche Geschichten eingeweiht werdet.

Im Sommer 2018 entschied ich mich sehr spontan, den Jakobsweg von Saint-Jean-Pied-de-Port in Südfrankreich nach Santiago de Compostela in Galizien zu gehen. Zu diesem Zeitpunkt war ich 41 Jahre jung. Schon lange hatte ich vor mich auf dieses Abenteuer zu begeben, mir aber immer wieder Gründe gesucht, warum es nicht der richtige Zeitpunkt wäre. Mit diesem Buch möchte ich meine Erfahrungen und Erlebnisse vom Start bis zum Ende dieses Weges mit euch teilen. Diese Reise war in vielerlei Hinsicht eine ganz besondere Zeit für mich. Da ich zuvor nie wirklich gewandert war, habe ich diesen Weg auch als persönliche Herausforderung an mich gesehen.

Ich hoffe, dass es mir gelingt euch auf den folgenden Seiten gedanklich mitzunehmen und ich das ein oder andere Bild in eurem Kopf erzeugen kann! Sollten euch zwischendurch oder am Ende des Buches Gedanken oder Fragen durch den Kopf schießen, würde ich mich total freuen, mit euch darüber zu sprechen.

Ihr findet mich auf www.jakobs-blog.de oder erreicht mich per E-Mail unter [email protected]

Glück Auf

Stephan

Plötzlich Pilger

Bereits im Jahre 2014, kurz nach dem Tod meiner Mama schoss mir der Gedanke in den Kopf einmal den Jakobsweg gehen zu wollen. Woher dieser Gedanke genau kam und warum es gerade „dieser“ Jakobsweg sein musste, weiß ich heute nicht mehr genau. Inspiriert haben mich auf jeden Fall das Buch von Hape Kerkeling, sowie die Erzählungen eines guten Arbeitskollegen. Der Gedanke, einmal allem entfliehen zu können, um sich nur um sich selbst kümmern müssen, ohne die Pflichten und Sorgen des Alltags war ein Gedanke, der mich u.a. sehr gereizt hat. Anderen Menschen zu begegnen, die diesen Weg ebenfalls gehen, zu erfahren was sie dazu bewegt hat, aus welchen Gründen sie es tun oder was sie sich eventuell erhoffen. Aber es ging mir auch darum, mehr über mich zu erfahren und wie es mir dabei geht, wenn ich auf diesem Weg bin. Was ich denke, was ich fühle, was mich umhertreibt.

Am 03.09.2018 begann Sie nun, meine Reise auf dem Jakobsweg. Erst zwei Monate vorher traf ich die finale Entscheidung mich tatsächlich auf dieses Abenteuer zu begeben. Der ausschlaggebende Moment war ein Gespräch, welches ich Anfang Juli führte. Ohne dies hätte ich ein paar Tage später womöglich doch wieder Gründe gefunden es nicht zu tun. Mein Vater war Ende April ganz überraschend an einem Herzinfarkt verstorben und so fühlte ich mich nun noch mehr für meinen psychisch kranken Bruder verantwortlich als vorher, was er mich auch unmittelbar spüren ließ. Direkt am Tag nach dem besagten Gespräch teilte ich meine Entscheidung meinem Arbeitgeber mit. An dieser Stelle muss ich ihm ein großes Kompliment dafür machen, dass er mich relativ kurzfristig für sechs Wochen in den Urlaub entließ. Ich erzählte meinen Freunden von meinem Vorhaben. Bei fast allen spürte ich Begeisterung beim Erzählen, einige waren wirklich neidisch, aber alle sprachen mir positiv zu und bewunderten den Mut für so ein Vorhaben.

Nachdem ich die Hürde mit meinem Arbeitgeber nehmen konnte, stellten sich mir sofort eine Reihe von Fragen. Wie komme ich am besten nach Südfrankreich? Was brauche ich und muss ich wirklich mitnehmen angesichts des Gewichts für meinen Rucksack? Wie bereitete ich mich am besten auf die täglichen Wanderungen? Was muss ich sonst noch wissen? Nachdem die Art der Anreise schnell geklärt war, durchsuchte ich das Internet nach der sinnvollsten Packliste für meine Reise und musste dabei feststellen, dass es diese nicht gibt. Zu unterschiedlich waren die Anforderungen, die jeder Pilger an sich und so einen Trip hatte oder von dem er glaubte er müsse bestimmte Dinge unbedingt dabeihaben. So suchte ich mir das für mich passende aus allem raus, auch im Hinblick darauf, dass mein Rucksack ins Handgepäck des Fliegers passen sollte. Für die erste Nacht hatte ich mir direkt ein Bett in einem Hostel in Südfrankreich via Internet gesucht und gebucht. Ab jetzt konnte ich mich vollkommen auf das Einkaufen diverser Utensilien konzentrieren. Vieles von dem was ich mitnahm kaufte ich zum allerersten Mal. Sowas wie z. B. Bergwanderschuhe, Funktionskleidung, oder einen großen Wanderrucksack. Die Ausrüstung wählte ich so sorgfältig aus wie möglich, da sie mich im besten Fall vom Anfang bis zum Ende des Weges begleiten würde. Viele weitere praktische Helferlein kamen natürlich noch hinzu, die ich an dieser Stelle jedoch nicht alle einzeln erwähnen will. Wer hierzu mehr wissen mag, spricht mich am besten direkt an.

Nachdem ich nun glaubte alle benötigten Dinge organisiert zu haben und mich gut auf die bevorstehenden Strapazen, die mich täglich erwarten würden, vorbereitet zu sein, ging es dann am ersten Sonntag im September wirklich los. Ein guter Bekannter brachte mich am Morgen zum Flughafen, von wo es dann über London nach Biarritz ging. Beim ersten Boarding in Weeze konnte ich auf den ersten Blick keine weiteren Pilger entdecken, die womöglich das gleiche Reiseziel hatten. Ob sich dies in London ändern wird!? In England angekommen wirkten die zwei Stunden Umsteigezeit auf dem Papier recht üppig. Dies relativierte sich jedoch durch das Ein- und Ausreiseprozedere mehr als deutlich, sodass es am Ende sehr knapp wurde, dass ich meinen Anschlussflug erreichte. Beide Flüge verliefen sehr ruhig und ich landete planmäßig gegen späten Nachmittag in Biarritz. Hier liefen mir zum ersten Mal andere Pilger über den Weg, die man durch ihre vollgepackten Rucksäcke nicht übersehen konnte. Sie waren ebenfalls Richtung Saint-Jean-Pied-de-Port (nachfolgend SJPDP abgekürzt) unterwegs. So heißt einer der möglichen Startorte für den sogenannten „Camino Francés“. Der richtige Bus zum Bahnhof nach Bayonne wurde schnell gefunden. Dort angekommen erwartete uns Pilger die erste Überraschung. Der Zug nach SJPDP fiel an diesem Tag aus und so ging es erneut in einen Bus, der auch direkt in Sichtweite am Bahnhof abfahrbereit stand.

Ein handgeschriebener Zettel an der Windschutzscheibe verriet uns das Fahrtziel. So stieg ich ein und konnte gerade noch ein Sitzplatz ganz vorne ergattern. Nach mir schließen sich auch direkt die Türen und es ging los. Neben mir saß eine junge Französin. Wir kamen nach kurzer Zeit ins Gespräch und es stellte sich heraus, dass sie sehr gut deutsch sprach, da sie ein Jahr als Au-Pair in Karlsruhe verbracht hatte. Die Fahrtzeit bis SJPDP verging durch unser interessantes Gespräch wie im Fluge. Dem wilden Fahrstil des französischen Busfahrers ist es zu verdanken, dass der Bus gegenüber dem Zug unwesentlich länger benötigte, um den kleinen Ort zu erreichen. Ich fühlte mich etwas wie in der “Wilden Maus”... Nach der Ankunft in SJPDP machte ich mich direkt auf den Weg zu meinem Hostel. Das Zimmer teilte ich mir in dieser Nacht mit einer Brasilianerin und einer Ungarin, die ebenfalls zum Pilgern hier waren. Wir machten uns kurz bekannt und jeder richtete sich direkt für die bevorstehende Nacht an seinem Bett ein. Schon ein komisches Gefühl, wenn man sich zum ersten Mal den Raum mit fremden Leuten teilen muss und gestern noch im eigenen Bett geschlafen hatte. Kurz noch frisch machen und ab in den Ort. Nach dem langen Tag sehnte ich mich nach einem Essen und einem kalten Bier. Das Café de la Paix konnte mir geben was ich brauchte, auch wenn es das nicht gerade zum Pilgerpreis gab. Was das genau bedeutet, erfahrt ihr etwas später.

Der ganze Ort, so klein er auch ist, war um diese Zeit doch ziemlich belebt und trubelig. Nach dem Essen und der Erfrischung zog es mich dann aber auch recht schnell zurück ins Hostel. Ein sehr langer Tag neigte sich dem Ende entgegen und ich wollte am nächsten Morgen ausgeschlafen starten. Es würde mein erster richtiger Wandertag, die erste Etappe auf dem langen Jakobsweg. Ich war gespannt was mich erwartet… Gute Nacht!

Tag 1: Saint-Jean-Pied-de-Port – Roncesvalles

Die erste Nacht im Hostel, so als wäre es das Normalste von der Welt mit fremden Menschen in einem Raum zu schlafen und eben nicht in seinen eigenen vier Wänden und im eigenen Bett. So zumindest erging es mir. Ich hatte eine total ruhige Nacht. Es war Montagmorgen. Nach dem Zähneputzen, schnappte ich meinen Rucksack und ging in die Küche. Dort erwartete mich ein kleines typisches französisches Frühstück mit Croissant und Kaffee. Da ich außer Bon jour die Landessprache nicht beherrschte, entstand ein Smalltalk auf Englisch mit den Pilgern, die es verstanden. Jedoch waren nur wenige um diese Zeit noch hier, da es „schon“ kurz vor acht war. Ich wollte jedoch noch zum Postamt, welches erst um 9 Uhr öffnete. Da ich mit Handgepäck im Flugzeug angereist war, konnte ich das Taschenmesser, das mir durch die Packliste dringend empfohlen wurde, dort nicht unterbringen.

So hatte ich knapp drei Wochen vor meiner Reise ein kleines Paket zum Hostel geschickt, indem sich neben dem Taschenmesser noch Sonnen- und Insektenschutz, sowie ein Desinfektionsmittel für die ersten Tage befand. Ich wollte doch bestens vorbereitet sein auf dieses Abenteuer. Das besagte Paket kam jedoch nie im Hostel an und landete laut Sendungsverfolgung im Postamt von SJPDP. Vorher machte ich mich noch auf ins Pilgerbüro um meinen ersten Stempel für die „Credencial“, den sogenannten Pilgerausweis zu erhalten. Wie wichtig dieser Ausweis ist, stellt sich spätestens am Ende der Reise heraus, nämlich dann, wenn man Santiago erreicht. Sheryl, eine nette ältere Dame, die an diesem Morgen im Pilgerbüro arbeitete, wies mich ausführlich und in feinstem britischem Englisch sorgfältig auf die Gefahren der ersten Etappe über die Pyrenäen hin. Ich versuchte ihr aufmerksam zu zuhören, musste aber die ganze Zeit daran denken, dass ich doch endlich loswollte. Sie drückte mir noch ein paar Zettel mit diversen Informationen zum Weg und zu den Herbergen in die Hand. Bevor es jetzt jedoch wirklich die Berge hinauf ging, wartete ja noch mein Paket im Postamt auf mich.

Noch ein schneller Kaffee in einem Café, bevor die Uhr dann endlich neun schlug. Das Postamt öffnete. Auf Englisch versuchte ich der guten Dame am Schalter zu erklären, dass hier eine Sendung für mich hinterlegt war. Sie guckte mich nur fragend an oder wollte mich nicht verstehen. Kurz überlegt und dann rief ich einen Arbeitskollegen in Deutschland an, der des Französischen mächtig war. Als er das Gespräch annahm, übergab ich der Frau mein Telefon. Ich verfolgte die angeregte Unterhaltung und erwartete bald ein Lächeln und ein Nicken bei der guten Dame. Meine Erwartung wurde leider enttäuscht, da am Ende herauskam, dass mein Paket nicht im Postamt war und diese Sendungsnummer auch von einer ganz anderen Gesellschaft stammte, die die Postfiliale überhaupt nicht beliefert. In meinem Blick erkannte man jetzt Ratlosigkeit.

Okay dachte ich, es nützt nichts sich jetzt darüber aufzuregen, dass ich eine gute Stunde mit Warten verplempert hatte. Jetzt sollte es doch endlich losgehen. Gesagt getan. Ich folgte dem auf einem meiner Zettel beschriebenen Weg raus aus der Stadt.

Die ersten richtigen Schritte hinter mir gelassen wurde die Straße immer etwas steiler und so langsam ahnte ich, was da schon am ersten Tag auf mich zukommen sollte. Voller Energie und Tatendrang bewältigte ich die ersten wenigen Kilometer mit großer Neugierde. Ich überholte die ersten Pilger an diesem Morgen. Eine Reisegruppe bestehend aus vier Frauen zwischen 50 und Mitte 60 aus Heidelberg. Es entstand ein kurzer Smalltalk und so erfuhr ich, dass die Etappe für die Damen heute in Orisson enden wird. Dort gab es eine kleine Herberge am Wegesrand, welche ca. 8 km von SJPDP entfernt war. Ich ging weiter. Mein Ziel sollte heute nach knapp 25 km der Ort Roncesvalles sein, so wie im Wanderführer für die erste Etappe beschrieben. Aus der geteerten Straße wurde nun teilweise eine platt getretene Wiese bzw. eine Geröllstrecke mit unbefestigtem Untergrund. Der Weg wurde jetzt immer steiler. Mir wurde verdammt heiß und ich kam mächtig ins Schwitzen. Meine Smartwatch vibrierte nun fast dauerhaft, da mein Puls einfach viel zu hoch war.

Nach knapp 2 ½ Stunden erreichte ich Orisson, den Ort, in dem die Damen aus Heidelberg heute stoppen würden. Ich befand mich nun bereits auf 800 m Höhe, bei bestem Wanderwetter mit 20 Grad Außentemperatur und strahlend blauem Himmel. Richtig genießen konnte ich das jedoch gerade nicht, da ich völlig außer Atem war und ein paar Minuten brauchte, bis mein Puls wieder einigermaßen Normalform hatte. Die ersten km waren so anstrengend, dass mein Shirt jetzt völlig durchgeschwitzt war und ich in Orisson die Gelegenheit nutzte, es bei einer Pause zu wechseln. Den ersten Anstieg hatte ich schlichtweg unterschätzt und war vom Geh Tempo viel zu schnell unterwegs. Ein Lerneffekt es in den nächsten Tagen besser zu machen und mehr auf mich zu achten.

Mit neuer Energie ging es weiter den Berg hinauf. Als ich ein paar Meter von der Herberge entfernt war, wurde mein „Hallo“ beim nächsten Überholvorgang nicht wie gewohnt mit einem „Good Morning“ oder „Bon jour“ erwidert. Nein, diesmal erhielt ich ein „Wie hallo??“ zurück. Etwas verdutzt von der Antwort stellten wir uns gegenseitig vor. Louise, so hieß eine der jungen Damen, die einen lustigen weißen Hut und eine bunte Brille trug. Sie stellte mir Janaja, eine Kanadierin, die genauer gesagt aus Calgary kam, vor. Beide hatten sich erst vor zwei Tagen auf dem Weg vom Bahnhof Bayonne nach SJPDP kennengelernt und spontan entschieden, gemeinsam auf den Camino zu starten. Für die beiden war es auch der erste Pilgerweg in ihrem Leben. Zwischen uns entwickelte sich ein lockeres Gespräch, wobei wir ab jetzt ständig englisch sprachen, damit Janaja uns folgen konnte. Wir gingen die nächsten km gemeinsam und trafen dann auf einen Italiener, der mit einer kleinen Transportkarre reiste, um seinen schweren Rucksack nicht tragen zu müssen. Wir stoppten und er stimmte ein spontanes „O Sole Mio“ an. Louise begleitete ihn mit besten Absichten, auch wenn sie kein Wort auf Italienisch mitsingen konnte.

Nach dem kurzen Duett gingen wir drei weiter. Der Weg verlangte uns nun wirklich alles ab. Die Steigung nahm sichtbar kein Ende. Dafür variierte der Härtegrad ständig. So hatte ich mir das nicht vorgestellt an Tag 1, auch wenn ich mir den Wanderführer aufmerksam durchgelesen hatte. Ohne es direkt zu merken, überschritten wir bei diesem Anstieg die Grenze und verließen bereits am ersten Tag Frankreich wieder. Ziemlich geschafft von der Tortur, erreichten wir bei immer noch bei bestem Wetter, den höchsten Punkt auf dieser Etappe, Col de Lepoeder auf 1.437m.

Ein paar Meter weiter gesellte sich Chris aus Koblenz zu uns. Da ihm nicht entgangen war, dass sich unsere kleine Gruppe auf Deutsch und Englisch unterhielt, kamen wir schnell ins Gespräch. Er begleitete uns bis zu unserem Tagesziel. In Roncesvalles folgte der Erleichterung angekommen zu sein, prompt der Ernüchterung, dass wirklich jedes der 218 Betten in der einzigen Herberge, dem Kloster für diesen Tag bereits vergeben waren. Wir waren einfach zu spät dran, es war nun bereits 17 Uhr. Unseren Stempel erhielten wir trotzdem, auch wenn wir hier nicht übernachten konnten.

Nach kurzer Diskussion mit den Herbergsvätern, wurden für uns Taxen organisiert, die uns zur nächstmöglichen Unterkunft brachten. Ein paar km weiter lag der Campingplatz von Urrobi. Dieser nahm immer mal die Pilger auf, die aus Platzgründen nicht in Roncevalles bleiben konnten. Wir erhielten unsere Zimmer mit mehreren Doppelstockbetten. Daran musste man sich ab jetzt gewöhnen. Erstmal raus aus den durchgeschwitzten Klamotten und ab unter die Dusche, dachte ich. Unsere Anziehsachen mussten wir per Hand waschen. Diese landeten zum Trocknen auf einer Wäscheleine im Gebäude. Zum Abendessen, in dem kleinen Restaurant auf dem Campingplatz gab es Makkaroni mit Lachs. Wobei das fast Nebensache war, wir hatten einfach nur tierischen Hunger! Keiner der Pilger hatte nach dem ersten Tag und diesem langen Marsch noch Lust sich selbst zu versorgen, zumal wir hier in der Nähe auch keinen Supermarkt entdecken konnten. So gab es erstmals ein sogenanntes „Pilgermenü“. Eine Vorspeise, ein Hauptgericht und Nachtisch, sowie Wein oder Wasser dazu. Wir ließen uns den Rotwein schmecken und mussten alles andere als auf dem Trockenen sitzen, da hiervon reichlich vorhanden war. Der Abend endete in geselliger Runde, bevor jeder hundemüde ins Bett fiel.

Tag 2: Urriba – Zubiri

Durch die nötige Bettschwere schliefen wir alle wie Steine. Die erste Etappe hatte es wahrlich in sich. In der Nacht hatte es ergiebig geregnet und in den Morgenstunden war der Himmel noch ziemlich wolkenverhangen. Zwischen den Tannen hinter dem Campingplatz hang der Nebel und es nieselte leicht vor sich hin. Um 07:30 Uhr verließen Louise, Janaja, Chris und ich gemeinsam die Herberge. Ich fand das Wetter zum Wandern durch die hohe Luftfeuchtigkeit ideal. Lediglich unsere Rucksäcke statteten wir mit dem entsprechenden Regenschutz aus. Nach den ersten km durch Wälder und Felder beschlossen wir uns einen Café con leche zu gönnen und eine Kleinigkeit zu essen. Ich bestellte mir an diesem Morgen ein Baguette. Bei unserem kurzen Stopp trudelten auch Julius aus Berlin und Ivan aus Kroatien ein, die wir bereits am ersten Tag kennengelernt hatten, ich zu diesem Zeitpunkt nur vergessen hatte zu erwähnen. Unsere Gruppe wurde also größer.

Es ging weiter, oft auch an einigen Straßenabschnitten entlang. Dem Auge wurde an diesem Tag nicht sehr viel Abwechslung geboten und so erreichten wir, nach einem weiteren kleinen Stopp Zubiri. Unsere zurückgelegte Strecke betrug an dem Tag „nur“ 18,5 km. Es war erst kurz nach 13 Uhr. Aber nach der gestrigen Bergetappe und der latenten Angst für heute wieder kein Bett im Zielort zu bekommen, sollte es für Tag 2 einfach gut sein. Uns fehlte hier einfach noch Erfahrung und Routine, um einschätzen zu können, wann wir am besten unser Tagesziel erreichen. Hinzu kam, dass ich mich in unserer kleinen Gruppe sehr wohl fühlte und diese nicht schon wieder verlassen wollte. Da alle anderen, bis auf Janaja, beschlossen in Zubiri zu bleiben. Uns zog es gemeinsam in die Albergue Municipal, der allgemeinen Herberge im Ort. Nach dem "Einchecken" war es Zeit, das Bett zu beziehen. In jeder Unterkunft erhielten die Pilger einen Einmalbezug für Bett und Kissen für ihre Übernachtung. Nach der erfrischenden Dusche freuten sich vor allem meine geschundenen Füße über eine ordentliche Portion Hirschtalgcreme :-). Meiner Meinung nach unabdingbar auf dem Camino.

Nachdem alle mit ihren persönlichen Erledigungen fertig waren, konnten wir zusammen los um uns für das Abendessen einzudecken. Im Ort fanden wir einen kleinen, beschaulichen Supermarkt, in dem wir uns mit Nudeln, Sauce Bolognese und Salami versorgten. Da es noch früher Nachmittag war, ging es nach dem Einkauf nicht direkt zurück zur Herberge, sondern an den schönen Fluss, den wir bei der Ankunft in Zubiri entdeckt hatten.

Jeder deckte sich beim Einkauf noch mit der ein oder anderen Dose Bier ein, sodass wir den Nachmittag, als wir am Fluss ankamen, gemütlich ausklingen lassen konnten. Vor Ort trafen wir einen weiteren Pilger, Michel aus Polen. Er war ebenfalls von SJPDP gestartet und so unterhielten wir uns über unsere jungfräulichen Pilgererfahrungen. Wir waren uns einig darüber, dass uns die Pyrenäen mehr abverlangt hatten als wir beide es dachten. Nicht nur der Aufstieg, auch der steile Abstieg hatte es in sich. Michel war bis jetzt allein unterwegs und plante den Camino auch allein weiterzugehen. Da es in der Sonne noch ordentlich warm war, kühlten wir unsere Füße im kalten Wasser des Flusses ab.

Da so eine Truppe nicht lange unbemerkt blieb, gesellten sich etwas später noch zwei Frauen aus Schweden dazu, die am Fluss entlang gingen. Gemeinsam wurde es ein sehr unterhaltsamer Nachmittag. Als die Dämmerung einsetzte, wurde es dann doch mal Zeit zur Herberge zurückzukehren. Wir hatten allen Hunger. Julius, der privat gerne kocht, schnappte sich beim Eintreffen an der Herberge direkt die Zutaten für unser Abendessen. Der Rest der Gruppe verbrachte zusammen mit den anderen Pilgern, die hier eingekehrt waren, die Zeit im Innenhof und verzehrten so noch das ein oder andere Getränk. Was jedoch nur möglich war, da Ivan unseren Vorrat zwischenzeitlich wieder aufgefüllt hatte, nachdem er fast unbemerkt beim Supermarkt war.

Der Koch hatte währenddessen ganze Arbeit geleistet. Gemeinsam saßen wir draußen an einem langen Holztisch und gönnten uns die Nudeln. Wir hatten alle einfach tierischen Hunger. Plötzlich und wie aus dem Nichts brach ein Gewitterschauer über uns herein. Zack und vorbei war es mit der Gemütlichkeit. Jeder sah zu, dass er sein Essen und seine Sachen unter das Vordach der Herberge rettete. Eine gute Stunde prasselte der Regen herab ehe sich das Wetter wieder beruhigte und die Sonne sich wieder blicken ließ. Nun blieb noch genug Zeit, um die eigenen Sachen wieder trocken zu bekommen, um am nächsten Morgen bestens vorbereitet starten zu können. Niemand will mit nassen Klamotten loslaufen müssen, wenn es sich irgendwie vermeiden ließe. Die Socken würden in den Schuhen nur zwangsläufig zu Blasen führen. Derartige Schmerzen sind auf Dauer unerträglich. Der Wandertag würde zur Tortur. Da hilft nur noch ein Blasenpflaster oder gleich mehrere. Nicht ohne Grund stehen auf dem Camino in regelmäßigen Abständen Versorgungsautomaten, die nicht nur Getränke und Snacks bereithielten, sondern eben auch Pflaster oder ähnliches.

In unserer Herberge gab es zum Glück Waschmaschine und Trockner, was nicht in jeder Unterkunft der Fall war. Oftmals musste man sich auch mit einer einfachen Handwäsche zufriedengeben. Ehrlich gesagt, reichte das an den meisten Tagen auch völlig aus. Wir legten unsere Klamotten zusammen und warfen die erste Maschine an. Neben Waschen und Trocknen klang der Abend so bei dem ein oder anderen Getränk und guten Gesprächen im Innenhof der Herberge aus, bevor sich jeder nach und nach in sein Bett verzog.

Tag 3: Zubiri – Pamplona