Mit der Sonne steh' ich auf - Werner Schmitz - E-Book

Mit der Sonne steh' ich auf E-Book

Werner Schmitz

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Beschreibung

Sarar Dootz erzählt von ihrem beschwerlichen Bäuerinnenleben und umfasst damit 100 Jahre Geschichte in den fast vergessenen deutschsprachigen Kulturkreis der Siebenbürger Sachsen. Obwohl Sara Dootz im Laufe der Jahrzehnte viel verloren, viele Menschen hat ziehen sehen, ist dieses Buch durchdrungen von ihrer unerschütterlichen Zuversicht

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Werner Schmitz / Sara Dootz

Mit der Sonne steh´ ich auf

Eine Bäuerin aus Siebenbürgen erzählt aus ihrem Leben

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Impressum

Rumänien

Vorwort

Zum ersten Mal traf ich Sara Dootz an einem Sommertag in Siebenbürgen. Ein Freund, der seit Jahren in Rumänien lebt, hatte mich zu ihr nach Deutsch-Weißkirch geschickt. „Wenn du etwas über das Leben der Siebenbürger Sachsen erfahren willst, bist du bei Sara richtig“, meinte er. Er hatte recht.

Fünf Stunden plauderten Sara und ich bei unserer ersten Begegnung. Wir saßen im Schatten der Pflaumenbäume vor ihrer Sommerküche, aßen Krautwickel und vergaßen übers Reden und Zuhören die Zeit. Ich fühlte mich versunken in einer anderen Welt.

Ursprünglich war ich wegen eines neuen Kriminalromans nach Rumänien gereist. Dafür musste noch einiges recherchiert werden. Christoph Promberger, ein bayerischer Wildbiologe, der seit mehr als fünfzehn Jahren in Rumänien arbeitet, stand mir dabei mit Rat und Tat zur Seite. Er war es auch, der mich zu Sara Dootz schickte. Bevor ich sie kennen lernte, wollte ich ursprünglich aus Sara eine Figur in meinem neuen Krimi-Projekt machen. Als ich Deutsch-Weißkirch nach unserem ersten Treffen verließ, war ich überzeugt, dass Sara Dootz viel mehr ist als eine Vorlage für eine Nebenfigur in einem fiktiven Text.

Im folgenden Winter kehrte ich mit meinem Kassettenrecorder und vielen Fragen nach Weißkirch zurück. Eine Woche lang erzählte mir Sara aus ihrem Leben. So intensiv war ihr Erinnern, dass sie nach zwei Tagen – wir waren gerade beim Selbstmord ihres ersten Mannes angelangt– krank wurde. Aber Sara ist hart im Nehmen. Kurz darauf war sie wieder fit, und wir setzten unsere Reise in die fast versunkene Welt der Weißkircher Sachsen fort.

Nach Hause zurückgekehrt legte ich zunächst alle Tonbänder schriftlich nieder. Daraus entstand der vorliegende Text. Natürlich ist Sara Dootz Protagonistin und Erzählerin in diesem Buch. Es ist ihr Leben. Deshalb habe ich Saras Sprache so weit wie möglich erhalten.

Wenn Siebenbürger Sachsen Hochdeutsch reden, benutzen sie allerdings manchmal fremd klingende Wörter. Ein Sachse, der etwas (heraus)holt, „gewinnt“ es. Das führt gelegentlich zu Missverständnissen, wie im Falle des Siebenbürgers, der in Deutschland zur Bank ging.

„Ich möchte Geld gewinnen“, sagte er der Bankangestellten.

„Die Lottoannahme ist nebenan“, erwiderte diese.

Damit dem Leser solche Irrtümer erspart bleiben, findet sich am Ende des Buches ein Glossar mit in Siebenbürgen gebräuchlichen Ausdrücken und ihrer hochdeutschen Bedeutung sowie einigen rumänischen Begriffen und Ortsnamen.

Am Ende sind Sara und ich den ganzen Text noch einmal durchgegangen, um falsch Verstandenes zu berichtigen und Vergessenes einzufügen. Außerdem war in Weißkirch inzwischen wieder einiges passiert. Dank der unermüdlichen Arbeit Caroline Fernolends, Saras Tochter, entwickelt sich das verwunschene Dorf im Südosten Europas zu einem Ort, an den so unterschiedliche Menschen wie Prinz Charles und Peter Maffay ihr Herz verloren haben.

His Royal Highness The Prince of Wales hat als Grußwort für dieses Buch einen seiner Briefe an Saras Tochter Caroline zur Verfügung gestellt. Sara Dootz und ich sind stolz und dankbar, ihn verwenden zu dürfen.

Neulich schrieb mir Sara in einem Brief über ihre Enkelin Ursula. „Das ist eine ganz Tüchtige“, meinte sie, „nur wird sie wahrscheinlich keinen Weißkircher Sachsen heiraten. So wie es einmal bei uns war, muss es eben aufgeschrieben werden, sonst verliert es sich ganz.“

Genau das habe ich getan.

Werner Schmitz

Ist das nicht schön und wahr?

Ich bin Sara Dootz, eine Sächsin aus Siebenbürgen. Unser Dorf heißt Deutsch-Weißkirch und liegt nah bei den rumänischen Karpaten. Wenn du von Weißkirch über den Berg nach Reps gehst, kannst du den Königstein sehen und das Fogarascher Gebirge. Der König von Ungarn hat uns vor achthundert Jahren aus Deutschland geholt. Wir sollten das Land urbar machen und die Grenze hüten gegen die Mongolen. Seitdem sind wir hier.Als die Rumänen im 89er den Ceausescu erschossen haben, sind viele Siebenbürger Sachsen nach Deutschland gezogen. Die Grenze war plötzlich auf, und fast alle sind weg. Meine Familie und ich, wir sind in Weißkirch geblieben. Ich hüte seitdem unsere Kirchenburg. Die Tante, bei der ich großgewachsen bin, sagte immer: „Frag nicht, wo in der weiten Welt es besser für dich wäre. Da, wo dein Gott dich hingestellt, da blüh zu seiner Ehre.“

Ich bleib deine Tante

Auf dem Schoß meiner Mutter mit den Geschwistern und meinem Vater

Ich bin im November 1936 geboren, und im 39er hab ich meinen Vater zum letzten Mal gesehen. Er kam auf Urlaub vom Militär. Ich erinnere mich wie durch einen Nebel an ihn. Er hatte eine blaue Schürze vor und prustete, wenn er sich wusch. Aus einem hölzernen Waschtröglein warf er sich Wasser ins Gesicht. Mein Vater diente bei der rumänischen Armee. Damals kämpften die Rumänen und die Deutschen noch zusammen. Als der Krieg gegen Russland anfing, war mein Vater zur Waffenübung. Mit seinem Gebirgsjägerbataillon musste er an die Front. Wir warteten täglich auf Nachricht von ihm. Einmal schrieb er: „Es ist leichter, Soldatenlieder auf der Dorfgasse zu singen, als an der Front zu sein.“

Den 12. Februar im 42er ist mein Vater gefallen. Er hat am Abend vorher eine Karte nach Hause geschrieben. „Jetzt stehen wir vor Sewastopol. Hier wird es entschieden, so oder so.“ In der Nacht war er tot.

Die Mutter blieb mit uns vier Kindern allein. Mein Bruder Georg war drei Jahre alt, ich fünf, die Katharina war neun und der Älteste, der Michael, dreizehn.

Ich war ein schwächliches Kind. Alle Kinderkrankheiten hab ich gehabt: Masern, Gelbsucht, Mumps, alles, was ein Kind kriegen kann. Die einzige Impfung war die gegen die Pocken. Gegen Mumps band man uns ungewaschene Schafswolle um den Hals. Mit Masern und Röteln musste man warm im Zimmer bleiben. Wenn ich in der Kehle was hatte, hat die Mutter mir Petroleum auf ein Stückchen Zucker getropft. Das half wirklich gegen Halsweh. Noch früher hat man getrockneten Hundsmist zerklopft, einen Trichter in den Mund gesteckt und das eingeblasen. Meine Mutter sagte immer, wenn ich Petroleum schlucken musste: „Sei froh, dass ich dir nicht Hundsdreck in den Hals blase.“

Die Kinderkrankheiten kamen und vergingen. Im Dorf gab es nur eine Hebamme. Ein Arzt war in Reps. Das ist unsere Kreisstadt, zwölf Kilometer über den Berg. Wer krank war, fuhr mit dem Pferdewagen hin. Ein Auto hatte niemand. Wenn man nicht in der Lage war, mit dem Wagen zu fahren, musste der Doktor geholt werden. Das konnte sich nicht jeder leisten. Es kostete ein Kalb oder eine halbe Kuh. Man musste Vieh verkaufen. Wir Bauern hatten nie bares Geld. Im schlechtesten Fall ging der Vater übern Berg nach Reps und hat dem Arzt erzählt, wie sich sein Kind verhielt. Dann gab der Doktor einen Rat. Bei Gelbsucht durfte man vier Wochen kein Fleisch essen und nichts Gesalzenes.

Ich muss es sagen, ich war wirklich das Kind, das Unfrieden schaffte. Ich war anders als meine Geschwister, frecher, unternehmungslustiger und wilder. Den Größeren, die dachten, sie sollten Herr über mich sein, denen wollte ich nicht parieren. Und auf meinen kleinen Bruder war ich eifersüchtig. Den Georg hätte die Mutter lieber, glaubte ich. Wenn mein Vater im Urlaub den Kleinen auf den Arm nahm, hab ich geweint.

Man gibt ein Kind schwer von zu Hause weg. Aber meine arme Mutter stand allein mit vier Kindern, als der Vater gefallen war. Sie bekam nur eine kleine Witwenrente. Da kam ihr die Bitte meiner Tante gelegen. „Weißt du was, Schwägerin, gib mir die Sara, dass ich eine Beschäftigung und etwas Hilfe hab.“

Die Tante war die ältere Schwester meines Vaters und hatte den einzigen Sohn im Krieg verloren. Sie war geschieden von ihrem Mann und stand ganz allein. Meine Mutter lächelte. „Na, nimm sie, die wird dir nicht bleiben.“

Aber mir gefiel es bei meiner Tante. Ich war da Kind allein. Sie tat mir schön. Ich wäre um nichts in der Welt wieder nach Hause gegangen.

Weil die Tante so lieb zu mir war, sagte ich: „Du bist jetzt meine Mutter.“ Das wollte die Tante aber nicht.

„Deine Mutter“, sagte sie, „ist und bleibt immer deine Mutter.“

„Wie soll ich dir dann sagen?“

„Na, Tante.“

„Aber ich hab dich doch so lieb. Ich sag dir Mutti.“

„Auch das nicht. Ich bleib deine Tante.“

Am ersten Sonntagmorgen wollten wir zusammen zur Kirche, die Tante und ich. „Schwägerin, gib mir ein Sonntagskleidchen für die Sara“, sagte die Tante, „die Kleine will nicht mehr nach Hause.“

Ich hatte freilich meine Geschwister lieb und meine Mutter. Es war ja nicht im Schlechten, dass ich gegangen war. Aber ich fühlte mich hierhergezogen, ins Haus der Tante. Ich war selten unten bei der Mutter und den Geschwistern.

Wenn ich mal unartig war, war meine größte Strafe, dass die Tante sagte: „Schau, Sara, ich bin alt, ich kann dich nicht richtig erziehen. Du wirst zu deiner Mutter zurückgehen.“

Dann war ich gleich brav.

Die Tante hat mich verhätschelt, immer dick angezogen. Ich wollte dies vielleicht nicht anziehen oder das nicht essen. Ich werd auch schon garstig gewesen sein. Ich konnte es mir erlauben, weil ich hier Kind allein war.

Meine beiden Tanten

Meine Tante lebte von der Landwirtschaft. Die Arme war auf eine Art auch Kriegswitwe. Ihr Sohn war ja ihr Unterhalt, ihr Alles. Und der war als Allererster aus dem Dorf gefallen. Im 41er am 17. August, bei Odessa. Die Tante bekam keine Unterstützung, keine Rente, nichts.

Scheidungen gab es damals sehr selten bei uns Sachsen. Meine Tante war eine Ausnahme. Ich weiß vom Erzählen, dass sie ihren Mann hatte nehmen müssen.

„Nicht nur, dass ich ihn nicht liebhatte. Keiner aus der ganzen Dorfjugend war mir so zuwider wie der, den ich heiraten musste.“ Damals suchten die Eltern den jungen Leuten noch den Mann oder die Frau aus.

Meine Tante hatte sich auf das verlassen, was die Alten sagten. „Die Liebe ist ziemlich nebensächlich in der Ehe. Man kriegt sich dann schon lieb, wenn man zusammenleben und -schlafen muss.“

Aber bei der Tante war das nicht der Fall. Sie lebte nur sechs Monate mit ihrem Mann. Sie hatte eine harte Natur. Sie konnte sich nicht so schmiegen. Da blieb sie lieber allein.

Ihrem Mann hätte das leidgetan, hat mir die Tante erzählt. Wo immer eine Gelegenheit war, bei einer Versammlung oder so, hätte er ihr wenigstens mal die Hand gedrückt. Er hatte sie sehr lieb, aber sie konnte ihn nicht dulden. Sie war eine Frau, die jedem frei und offen ins Auge sah. Bei ihr bin ich großgewachsen.

Ich war ein Störenfried

Ich war fünf Jahre alt, als ich zu meiner Tante kam. In der Schule hab ich gut gelernt. Aber mich hat bestimmt kein Lehrer lieb gehabt. Ich war nie ruhig. Ich hatte immer Briefchen zu schreiben oder jemandem, der nichts wusste, was Falsches zu flüstern. Das störte die Lehrer. Ich war ein Störenfried.

Die deutsche Schule von Weißkirch war im Südturm unserer Kirchenburg. Sie war der evangelischen Kirche unterstellt. Der Pfarrer gab uns samstags Religionsunterricht. Vielmals waren die Pfarrersfrauen auch die Lehrerinnen. Alle vier Klassen wurden in einem Raum unterrichtet. Von einer Lehrerin, und wir waren ein Haufen Kinder, bestimmt fünfzig bis sechzig.

Es gab drei Reihen Bänke. In jeder Reihe saß eine Klasse. Hinten saßen die Viertklässler. Eine Klasse machte Pause, die andere hatte stille Beschäftigung, die dritte hatte Unterricht. Das war eigentlich nicht schlecht. Wer ein wenig Köpfchen hatte, konnte mit den Größeren lernen. Ich denke, als ich ins zweite Jahr kam, wusste ich das alles schon, weil ich immer mit einem Ohr auf die gehört hatte.

Freilich haben wir nicht Physik und Chemie und Philosophie und Anatomie und was weiß ich gelernt. Wir haben gelernt, was den Menschen gediegen macht. Schöne Lesestücke und Gedichte. „Die Bürgschaft“. „Des Sängers Fluch“. „Das Riesenspielzeug“. Das Programm in der Schule war nicht so überfüllt. Mathematik haben wir so viel gelernt, dass wir eine Fläche berechnen konnten. Und ein wenig Naturkunde haben wir gehabt, auch Erdkunde und Geschichte.

In der Schule hatten wir nur eine Schiefertafel mit dem Stift, einen Schwamm und einen Fetzen. Da konnte man immer was löschen. Im ersten Jahr hatten wir nur die Fibel, im zweiten Jahr bekamen wir ein dünnes deutsches Lesebuch dazu. Der Unterricht war in unserer deutschen Muttersprache. Unsere Rumänen haben uns nicht diskriminiert. Sie waren wirklich großzügig.

In der Familie sprechen wir Sächsisch, das ist unsere Mundart. Von Dorf zu Dorf ist es verschieden. Ein Sachse hat einen Wirt aus dem Nachbardorf gefragt: „Wie viel Gaus hast du?“

„Zwanzig.“

„Kannst du die denn alle melken?“

„Die Gaus melkt man doch nicht.“

Der eine nennt die Gans Gaus und der andere die Ziege. So gibt es manchmal Missverständnisse. Aber man versteht sich schon. Jedes Dorf hat seinen Dialekt und seine Tracht und seine Möbel. Es ist in allem ein Unterschied.

In der Schule haben wir als Muttersprache alle Deutsch gelernt. Erst in der dritten Klasse bekamen wir ein rumänisches Buch. Rumänisch ist hier Landessprache, die mussten wir auch lernen.

Konfirmanden in Deutsch-Weißkirch

In allen vier Schuljahren haben wir auf der Tafel geschrieben. Eine Seite hatte Linien, die andere Quadratchen. Dann bekamen wir Hausaufgaben. Zum Beispiel: „Schreib deine Tafel voll Gs oder Is!“ Weil ich nach der Schule immer anderes zu tun hatte, spielen oder der Tante helfen, hatte ich die Aufgaben manchmal nicht.

Dann gingen wir zur Schule und zuerst kam: „Gewinnt die Hausaufgabe!“ Dann nahm ich gleich den Schwamm und löschte ab bis an die Ecke.

„Frau Lehrerin, ich hab schon ausgelöscht.“

„Warum? Ihr solltet doch vorzeigen.“

„Ich dachte, wir sollen die Tafel reinmachen.“ Das hab ich von den Älteren mitbekommen.

Nach vier Jahren in der Dorfschule sollten wir auf die Schule nach Reps. Es ging damals kein Bus dahin, und ein Internat muss auch noch nicht gewesen sein. Da bin ich zwei ganze Jahre zu Hause geblieben, bis mein jüngerer Bruder auch in die Repser Schule musste. Dann gingen wir zusammen hin. Der Georg und ich wohnten in einem Privatquartier bei einem Schuster. Wie arm wir gelebt haben! Die Schusterei hat er uns frei gemacht. Die Buben schliefen in der Werkstatt. Es waren acht Buben da. Und oben in einem kleinen Stübchen, waren wir drei Mädchen.

Jede Woche kam eine Frau von zu Hause. Meine Tante konnte nicht kommen, die hatte doch das Vieh. Dann kam eine Schwester, oder wir mussten jemanden bezahlen, die uns bekochte. Man sammelte von jedem Lebensmittel, und eine Frau kam zum Kochen.

Wenn wir im Monat einmal nach Hause kamen, gingen wir zu Fuß übern Berg nach Weißkirch. Wer hätte uns geholt am Samstag? Übern Berg sind es zwölf Kilometer. Für ein Schulkind genug. Sonntagnachmittag mussten wir zurück. Es hatte zwei Väter, die haben uns manchmal mit dem Pferdewagen gefahren.

Ab dem zweiten Jahr kamen mein Bruder und ich gratis ins Internat. Gratis, weil wir Kriegswaisen waren. Zusätzlich bekamen wir Zahnpasta und Schuhcreme und Pausenbrot. Es gab eine Schulkantine. Am Morgen bekamen wir ein Stückchen schwarzes Brot und die billigste Konfitüre, Kürbismarmelade. Dazu einen Tee aus gebranntem Zucker. Was steckt man heute alles in die Kinder! Aber wir haben vielleicht besser gelernt wie diese jetzt.

Das war eine gute deutsche Schule in Reps. Mein erstes Jahr war 1949. Da war ein Lehrer, der hieß Heinrich Lange. Der war in Russland in Gefangenschaft gewesen. Bei dem hatten wir Russisch. Gut hat der uns Russisch gelehrt. Clemens hieß der Direktor. Im zweiten Jahr hat er meiner Mutter gesagt: „Frau Wagner, eines von Ihren Kindern bekommt nur das Internat gratis. Das soll die Sara sein.“

Denn es war so: Wer gut lernte, bekam das Internat gratis. Bursa de merit, sagt man in Rumänien. Das sollte ich bekommen, denn ich war viel besser im Lernen als der Georg.

Meine Mutter war dagegen. „Nein, das kann ich nicht zulassen. Der Sohn muss was lernen. Sonst muss ich sie beide zu Hause behalten. Die Sara hilft meiner Schwägerin im Hause. Die braucht die Schule nicht unbedingt.“

Also musste ich zurückkommen. Ich bin mit sechs Klassen geblieben und hab kein Abschlussdiplom. Nichts durfte ich lernen, nicht mal einen Schneiderinnenkurs. Ich bin der Niemand.

Geld war immer knapp

Fünf Hektare Grund gehörten der Tante. Vom Grund mussten wir leben. Im ersten Frühling sollte ich Kälber führen. Jeder Bauer hatte einen Zug. Das waren gewöhnlich ein Paar Ochsen, mit denen er das Land bestellte. Die besseren Wirte hatten ein Paar Pferde, dazu noch zwei Kühe oder eine Büffelkuh. Das war eine Wirtschaft. Die ganz Armen hatten nur zwei Büffelkühe. Die haben sie ins Joch gespannt und gemolken. Ganz Reiche waren hier auch. Einen hieß man den Baron. Der hatte etwa zehn Hektare Boden. Wir andern waren ziemlich gleich. Vier, fünf, sechs Hektare hatten wir vielleicht. Wer viele Söhne hatte, schickte einen oder zwei zur Lehre nach Reps. Schreiner, Wagner, Schuster wurden die. Schneider nicht so sehr. Die Reichen konnten einen Sohn zum Studieren schicken. Drei, die ich kenne, sind Pfarrer geworden. Für die letzten zwei Jahre vom Studium gingen die sogar ins Ausland, nach Deutschland oder Österreich. Die es sich leisten konnten.

Im Frühjahr wurden die dicken Ochsen dem Fleischer in Reps ver­kauft. Dann hat man Geld abgebrochen, fast um die Hälfte hat man neue Kälber gekauft. Die Kälber hatten um die Hörner einen Strang. Beim Pflügen musste ich sie daran führen, die wussten die Furche noch nicht. Ich bin mit den Tieren vorneweg, die Tante mit dem Pflug und der Peitsche dahinter. So bestellten wir das Feld.

Eins von den Kälbern hieß Bondi. Der stieß immer mit den Hörnern nach mir, und ich hatte so eine Angst vor dem. Wir waren auf einem Hügel, und wie die Tante was holte von der Pflugkarre, bin ich weggelaufen. Die Tante hat gerufen: „Sara, Zaurchen, kehr doch um! Ich kann nicht pflügen ohne dich. Kehr doch um.“

Ich bin weinend nach Hause gelaufen. So war ich. Die arme Tante kam um die Mittagszeit hinterher. Sie hat dann ein größeres Kind mitgenommen.

Die Tante hat keine Hand an mich gelegt zur Strafe. Sie hat zwei oder drei Tage nur das Nötigste mit mir gesprochen. Wie weh mir das tat! Schlimmer als Schläge. Ich hab sie wie ein Heiligtum angesehen und gewartet, dass sie wieder redet. „Nie mehr wirst du sie kränken“, hab ich mir vorgenommen.

Im 46er war hier eine große Dürre. Alle Brunnen waren ausgetrocknet. Ich bin mit meiner Tante in den Wald gegangen. Da standen große Eichen, die Äste hingen tief runter. Wir haben dann Garben geschnitten aus Eichentrieben. Die armen Ochsen haben es mit dem Holz gefressen.

Im Sommer mussten wir Kinder aufs Feld. „Schau, ich hab dich auch deshalb genommen“, hat die Tante gesagt, „du sollst mir was helfen.“

Das Erste, was wir Kinder machen konnten außer dem Kälberführen, war, beim Heumachen zu helfen. Mit einer kleinen Holzgabel die Mahden zerstreuen, damit das Heu trocknete. Immer rücklings ging man und hat das Heu zerstreut. Die Tante war richtig stolz, dass sie mich hatte. Sie selbst hat mit der Sense gemäht, die Arme. Das war Männerarbeit. Die Tante hat sich hier und da Zigeuner genommen als Tagelöhner, wenn sie Fuder laden musste oder so. Ich hab ihr schon ganz früh geholfen. Sie war der Mann, sie hat das Heu mit der Gabel hochgelangt, ich hab es geladen. Für Tagelöhner hatte die Tante selten Geld. Geld war immer knapp.

Ich war nicht so stark, aber sie sagte immer: „Zaurchen, du bist nicht dumm.“

Ich hab mir es gut einteilen können und schnell gelernt.

Zeit zum Spielen blieb genug. Im Frühjahr hatten wir bunte Bohnen. Wir machten ein Loch an die Hofmauer und schmissen die Bohnen hinein. Doppelt so viele, wie man ins Loch traf, bekam man zurück. Einmal machte die Tante mir eine Freude. „Zaurchen, du hast so viele Bohnen gebracht, jetzt machen wir uns eine Bohnensuppe.“

An der Wand spielten wir mit dem Ball. Wir hatten keinen Gummiball. Wenn die Väter die Ochsen striegelten, kamen doch Haare raus. Besonders gegen Frühjahr. Man machte die Haare ein wenig nass, wie gefilzt, und rollte einen Ball daraus. Mit der Zeit wurde der immer dicker, dann hatten wir einen Ochsenhaarball. Die Jungen gingen damit zum Schuster. Schuster waren immer zwei, drei im Dorf. Dann machte einer von denen ein schwaches Leder aus Flicken über den Haarball. Völkerball haben wir mit den Jungen gespielt. Wehe, wenn sie einem den Lederball in den Rücken warfen! Der hatte Schwung, das tat weh.

Wir Mädchen machten Spiele an der Hofwand. Schmeißen und dann zweimal klatschen oder unterm Bein durch. Wenn der Ball runterfiel, dann kam die Nächste dran. Damals waren die Wände voller Kinder. Ich frag mich, ob jetzt noch ein Kind so selig spielen kann. Einer Maisähre haben wir ein Tüchlein aufgetan und ein Zweites als Schürze umgebunden. Fertig war die Puppe.

Die größeren Jungen hatten Reifeisen von einem alten Wagenrad. Die trieben sie mit einem Stock die Gasse runter. Ganz einfache Spiele, aber ich denk, die waren gesünder für uns, auch im Kopf. Am Abend, wenn es dunkelte, haben die Jungen mit einer alten Sichel oder einer Sense, die nicht mehr zu gebrauchen war, Feuer geschlagen. Sie haben das Eisen auf Kieselsteine geschlagen, das gab Funken. Wir Kinder standen alle um die herum. Das war ein Wunder.

Jeden Abend in der Dämmerung wurde die Glocke geläutet. Dann hörte man hier und da rufen: „Mischi, Zauri und Treni, wasch dir die Füße, und komm heim!“

In den Monaten ohne „r“ durften wir barfuß laufen. Da musste man sich nicht um die Schuhe sorgen und konnte überallhin patschen. Aber ich war als Kind empfindlich, mir war das Wasser im Dorfgraben kalt am Abend. Die Tante wird mich wohl ein wenig verzogen haben. Vor der Tür hatten wir einen alten Fetzen hängen. Daran hab ich mich abgetrocknet. Ein Handtuch hatten wir nicht.

Der Palukes sättigt

Danach kam man rein zum Abendessen. Was wir von den Rumänen angenommen haben, ist der Maisbrei, der Palukes. Jeden Morgen und jeden Abend gab es Maisbrei. Im Sommer isst man dazu, was im Sommer ist. Käse und Eier und Gemüse. Im Winter isst man, was im Winter ist. Schwein und Äpfel und so.

Am Morgen, wenn alle zusammen aßen, war der Palukes warm. Dazu gab es ungekochte, kalte Milch. Bei meiner Mutter war es so: Mitten auf dem Tisch stand eine große irdene Schüssel, da kamen ein Liter Milch und ein halber Palukes rein. Ein jeder kriegte einen Löffel, keinen Teller. Es wurde aus der Schüssel gegessen. Wenn der Palukes in der Milch krümelig wurde, dann hab ich den Löffel auf den Tisch gelegt, dann wollte ich nicht mehr.

Palukes war das Essen für die Arbeitstage. Wenn man den ganzen Tag auf dem Feld ist, hält der vor. Der Palukes sättigt. Und am Abend ist man erst recht wieder hungrig und isst sich gut voll mit Maisbrei.

Im Frühjahr und im Herbst, wenn die Großen auf dem Felde waren und die Kinder aus der Schule kamen, dann wusste man: Auf der Bratröhre war ein Stückchen Palukes, im Frühjahr mit Käse, im Herbst mit Wurst oder Rippchen. Das wurde gegessen.

Auf dem Tisch fanden wir einen Zettel. Den schrieben die Eltern: Kommt hierhin oder dahin! Dann musste man nach der Schule aufs Feld, den Erwachsenen helfen.

Wir Kleinen hatten unsere Aufgaben. Jeden Tag übern Sommer mussten wir einen Sack Rübenblätter für unsere Schweine bringen. Das Land mit den Rüben hieß man die Auen. In den Auen wuchsen die Rüben gut. Da gingen wir hin und sammelten einen Sack voll Rübenblätter.