Tod einer Jägerin - Werner Schmitz - E-Book

Tod einer Jägerin E-Book

Werner Schmitz

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Beschreibung

Reporter Hannes Schreiber reist nach Sambesia, um eine Story über Nora Wilkens, die einzige professionelle Großwildjägerin Afrikas, zu schreiben und mit ihr einen Büffel zu erlegen. Doch dann liegt Nora eines Morgens tot im Zelt. War es Mord? Mit Unterstützung der Jägerin Ilka ermittelt Schreiber im Dunstkreis von Wilderei und dubiosen Geschäftsinteressen ... Hannes Schreibers neuer Fall: Packendes Lesefutter für alle Jagd- und Krimifans.

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„Gefährlich ist’s, den Leu zu wecken,

Verderblich ist des Tigers Zahn;

Jedoch der schrecklichste der Schrecken,

Das ist der Mensch in seinem Wahn.“

Friedrich Schiller

Hinweis

Dieser Kriminalroman spielt in Sambesia, einem fiktiven Land im südlichen Afrika. Namen von Orten, Flüssen und Personen sind ebenso frei erfunden wie die Handlung.

Nur irgendwo weit hinter den Worten ist die Geschichte wahr.

Werner Schmitz (www.werner-schmitz.de)

1 Cocktail-Empfang

Das erste Tier, das Hannes Schreiber in Afrika sah, war ein köterbrauner Kater. Er saß auf dem Rollfeld im Schatten eines einsamen Hubschraubers und fraß eine Ratte. Gierig zerrte er an ihren Innereien, kaute genüsslich darauf herum.

Wenn Schreiber an afrikanische Katzen dachte, fielen ihm brüllende Löwen ein, schleichende Leoparden und sprintende Geparde, kein räudiger Rollfeld-Kater. Klar, er war nicht auf einer Piste im Busch gelandet. Aber ein bisschen Mühe hätte sich Ingwe, die Hauptstadt Sambesias, schon geben können. Ein streunender Kater zur Begrüßung! Hannes war Hundefreund, sein Terrier und er mochten keine Katzen.

Er sah sich um. Die Maschine, die ihn und zwei Dutzend andere Passagiere ausgespuckt hatte, war die einzige auf dem ganzen Flughafen. Steifbeinig stakste Schreiber auf das Gebäude zu, das er für das Terminal hielt. »John Misambe International Airport« verkündeten Riesenlettern auf seinem Dach. Der Präsident Sambesias hatte dieses Drehkreuz des Südens im letzten Wahlkampf nach sich selbst benannt. Die Wahlen hatte er trotzdem verloren. Behauptete sein Gegenkandidat. Misambe scherte das nicht. Er regierte einfach weiter.

Schreibers Knie knirschten. Er hatte zehn Stunden Nachtflug in den Knochen. Economy natürlich. Die Zeiten, in denen »Magazin«-Reporter auf Langstrecken Business fliegen durften, waren lange vorbei. Früher hatte Hannes solche Flüge locker weggesteckt. Seit er auf der falschen Seite der 60 angekommen war, zickten danach nicht nur seine Knie. Der Rucksack hing ihm wie ein Felsbrocken im Kreuz und stauchte seine Bandscheiben. Dabei hatte er nur das Wichtigste hineingestopft: Kulturbeutel, Wüstenstiefel, Fernglas.

Übernächtigt und zerpocht betrat er die Ankunftshalle. An deren Stirnwand prangte das riesige Foto eines alten Mannes: Landesvater Misambe lächelte auf Hannes herab. Für sein Alter – der Präsident war weit über 80 – hatte er erstaunlich wenig Falten. Eine große Hornbrille klemmte auf seiner breiten Nase. Sie vergrößerte die Augen ins Eulenhafte. Wie immer trug John Misambe einen englischen Maßanzug. Aus dessen Brusttasche lugte er selbst. Sein Porträt zierte ein knallgelbes Einstecktuch. Alles wie auf den Fotos im Archiv­material, das Schreiber im Flieger noch mal durchgesehen hatte. Aber etwas stimmte nicht auf Misambes Konterfrei im Terminal. Jemand hatte Comrade Johnny ein Hitler-Bärtchen unter die Nase gemalt. Und niemand hatte es entfernt.

Das Visum für Sambesia hatte Schreiber sich bei der Botschaft in Berlin besorgt. An der Traube der Passagiere, die ihren Antrag ausfüllten, konnte er vorbeilatschen. Sein Gewehr hatte er zu Hause gelassen. Das ersparte stundenlange Prozeduren beim Zoll.

Der Immigration Officer war eine Dame mittleren Alters, deren Leibesfülle ihre Uniform zu sprengen drohte. Sie saß hinter einem Schalter und zog Schreibers Pass in Zeitlupe zu sich heran. Ihre Stimme klang tief und voll.

»Was wollen Sie in Sambesia, Mr. Schreiber?«

»Holidays«, log Hannes. Dass er als Reporter für das deutsche »Magazin« unterwegs war, sollten die Behörden besser nicht wissen. John Misambe mochte keine europäischen Journalisten, die in seinem Land herumschnüffelten.

»Wo?«, fragte die Uniformierte, ohne Schreiber anzusehen.

»In einer Lodge im Lowveld.«

»Name?«

»Mbogo.«

Die Uniformierte sah auf. Irgendetwas an seinem Reiseziel schien sie zu stören. Gut möglich, dass es der Eigentümer der Lodge war. Comrade Johnny mochte keine ausländischen Landbesitzer.

Schreiber hielt ihrem Blick stand. Sekunden vergingen. Es war still im Terminal. Nur draußen vor der Halle hupten ein paar Autos wild durcheinander, wie zu Hause bei einer türkischen Hochzeit oder nach einem siegreichen WM-Spiel der Nationalelf. Die Beamtin horchte hin. Dann drückte sie einen Stempel in Schreibers Pass und schob ihn über den Tresen.

»Seien Sie vorsichtig, Mr. Schreiber.« Sie stand auf, verließ ihre Box und verschwand in einem Verschlag in den Tiefen des Terminals.

Irritiert sah Schreiber der dicken Dame nach. Er steckte seinen Pass ein, suchte und fand das einzige Gepäckband des Misambe-Airports und harrte der Koffer, die da kommen sollten. Draußen nahm die Huperei kein Ende. Zum Glück kam sein Trolley als einer der Ersten. Hannes erkannte das schwarze Teil an dem roten Band, das er um den Griff gewickelt hatte. Erleichtert zog er ihn zum Ausgang. Dort sollte Nora auf ihn warten, die Frau, deretwegen er gekommen war. Nora Wilkens, die einzige professionelle Großwild­jägerin Afrikas.

Schreiber war gespannt. Er kannte Nora nur von einem Foto. Blond, schlank, schön posierte sie neben einem Elefanten, den dicken Stoßzahn des Bullen in der einen Hand, das Gewehr in der anderen. Sie trug eine tief aufgeknöpfte Bluse, deren Zipfel sie unter der Brust verknotet hatte. Man konnte den Nabel sehen und eine Menge Haut drum herum. Als Schreiber seinem Chefredakteur das Bild gezeigt hatte, war die Geschichte über sie so gut wie genommen.

»Und die kommt wirklich aus Hamburg?«, wollte Bartelmus wissen. Beim »Magazin« druckten sie mit Vorliebe Geschichten über Germanen. »Wenn du einen Ausländer ins Blatt heben willst, sollte der wenigstens einen deutschen Dackel haben«, lästerten altgediente Redakteure.

Schreiber strahlte Bartelmus an. »Die Frau ist in Hamburg geboren und in Kenia aufgewachsen, Stefan. Ihre Eltern sind Deutsche.«

Zum Schluss hielt er seinem Chef den Auslandsreiseantrag hin. Ohne Lamento über Auflagenschwund und Anzeigenmangel malte Bartelmus sein Bartelmus auf den blauen Wisch. So war Hannes auf die alten Tage doch noch nach Afrika gekommen. Dass er mit Nora Wilkens auch einen Büffel jagen wollte, brauchte der Chefredakteur nicht zu wissen.

Schreiber öffnete die Glastür des Airports. Das hätte er besser bleiben lassen. Ein Pflasterstein flog ziemlich nahe an seinem Kopf vorbei und krachte in die Tür. Glas splitterte. Scherben flogen. Menschen johlten. Schreiber zog den Kopf ein und rannte nach rechts. Hinter ihm klirrte das nächste Wurfgeschoss gegen die Wand. Eine Stichflamme schoss auf. Die warfen Mollis! Seit den Riots in Rostock vor 25 Jahren hatte Hannes keine Molotowcocktails mehr von Nahem erlebt. Gefehlt hatten sie ihm nicht.

Tief gebückt lief er weiter. Weg von der Hitze des Brandsatzes, auf den Parkplatz zu. Eine Polizeisirene heulte auf. Getrampel von schweren Stiefeln. Gebrüll aus vielen Kehlen. Dann ein Schuss. Klang wie scharfe Munition. Ein Feuerstoß folgte. Tack-tack-tack-tack-tack! Was für ein Wahnsinn, die schossen tatsächlich scharf! Hannes hechtete zwischen parkende Autos, drückte das Gesicht auf den Asphalt und zog den Trolley vor seinen Kopf. Er schnaufte, roch Benzin, Kippen, Pisse.

Am Terminal platzte die nächste Flasche. Wumm, explodierte das Feuer. Triumphgeschrei. Ein Lautsprecher knarzte, bellte Wörter in einer fremden Sprache. Als Antwort Hohngelächter und darauf der nächste Feuerstoß. Ein Querschläger jaulte über den Platz. Ein Mensch schrie auf wie ein schlecht geschossenes Schwein.

Stille.

Schreiber hob den Kopf, zog die Knie an und drückte die Arme durch. Er lugte über die Motorhaube des Pick-ups. Sah junge Männer in Uniform mit Kalaschnikows unterm Arm und gleichaltrige Burschen in T-Shirts mit Brandflaschen in der Hand. Sie standen sich auf 50 Meter gegenüber wie Westernhelden beim finalen Schusswechsel. Keine Bewegung. Kein Lärm. Die Sekunden geronnen. Jemand hätte dazwischengehen sollen, Schluss machen müssen mit dem Irrsinn, die Kerle zur Vernunft bringen. Was wollten die Straßen­jungen ausrichten gegen ihre tarnfarbenen Altersgenossen mit den Gewehren der Macht? Einer von ihnen lag schon wie tot zwischen den Fronten. Blut sickerte aus seiner Jeans. Wenn sie nicht aufhörten, würden es mehr. Wie verzweifelt musste man sein, um sich in diese verlorene Schlacht zu stürzen? Wie verrückt?

Ein langer Dünner aus der Mitte der Gruppe machte den ersten Schritt. Er trug ein hellblaues Trikot von Manchester City. Etihad Airways. Der Bursche trat zwei, drei Meter vor und klaubte einen Stein von der Straße. Er wog ihn in der Hand, holte weit aus und schleuderte den Brocken auf die Soldaten. Das Wurfgeschoss prallte gegen den Schild eines Uniformierten. Eine Kommandostimme brüllte nur ein Wort. Auf breiter Front stürmten die Soldaten vor. Ein Molli flog ihnen entgegen, explodierte auf dem Asphalt. Der vorderste Soldat fing Feuer. Er wälzte sich auf dem Boden, um die Flammen zu ersticken. Seine Kameraden rannten weiter. Die Zivilisten flohen. Einer stolperte. Sofort waren drei Soldaten über ihm, traten auf ihn ein, stießen ihn mit den Gewehrläufen, hetzten dann weiter hinter den Flüchtenden her. Zwei, drei Schüsse fielen. Langsam entfernte sich der Lärm.

Hannes setzte sich auf den Hintern, nestelte seine Zigaretten aus der Jackentasche und versuchte, sich eine anzustecken. Seine Finger hatten Mühe mit dem Streichholz. Dreimal brach der Schwefelkopf ab. Beim vierten klappte es. Er lehnte sich gegen den Kotflügel und nahm einen tiefen Zug.

»Scheiße!«, zischte er.

Er hatte Angst vor der Büffeljagd gehabt. Dass er schon am Flughafen in der Grütze stecken könnte, war nicht eingeplant. Nun hockte er mit verschrammten Händen und zerschundenen Knien auf einem Parkplatz im letzten Loch vor der Hölle und wusste nicht weiter. Zwei Häuserblocks entfernt tobte eine Straßenschlacht. Schüsse und Schreie. Über ihm flapperte ein Hubschrauber, ziemlich tief, ziemlich laut. Hannes’ Mund war pulvertrocken. Er hatte kein Wasser und die Sonne stieg schnell. Ein Spruch seiner Oma kam ihm in den Sinn: »Et gibt kein größer Leid as wat der Mensch sich selbst andeit.«

Er wollte es nicht wahrhaben, aber es stimmte: Hannes war zu alt für solche Jobs. Er hätte in der Redaktion sitzen, Kaffee trinken und sich auf Konferenzen wichtig tun sollen. Die jungen Kolleginnen mit alten Geschichten nerven. »Club der toten Dichter« nannten sie die alten Knaben beim »Magazin«. Schreiber wollte partout nicht dazugehören. Das hatte er nun davon.

Eine Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

»Hannes?«

Eine Frauenstimme. Schreiber fuhr herum. Hinter dem nächsten Wagen tauchte ein blonder Schopf auf. Dann die Stirn und ziemlich blaue Augen.

»Nora?«

»Kommen Sie zu mir. Auf allen Vieren.«

Hannes kroch über den Asphalt. Rucksack auf dem Buckel, Trolley im Schlepp. Nora hockte zwischen den Autos. In Shorts und T-Shirt. Sie strahlte ihn an, als ob es in Sambesia völlig normal sei, sich kriechend auf dem Parkplatz zu treffen. »Meet and greet« auf Afrikanisch eben. Wo war das Problem? Die Jägerin strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und gab ihm die Hand.

»Schön, Sie kennenzulernen. Ich schlage vor, wir krabbeln zu meinem Truck und machen uns auf den Weg ins Camp.«

Ohne zu fragen, übernahm Nora Schreibers Trolley und watschelte los. Im Entengang. Hannes kroch hinterher. Seit er laufen gelernt hatte, war er nicht mehr so viel gekrabbelt. Musste ein tolles Bild sein: ein älterer Herr, der einer jungen Frau auf allen Vieren folgte. Augenzeugen gab es zum Glück keine. Wahrscheinlich krabbelten die auch gerade zu ihren Fahrzeugen.

Der braune Kater war auch wieder da. Er saß zwischen den Autos und leckte seine Eier. Das Fell hätte es nötiger gehabt. Struppig und stumpf hing es auf seinen Rippen, wie ein zwei Nummern zu großer Wintermantel aus der Kleiderkammer der Caritas.

Noras Wagen stand am Rand des Platzes, ein weißer Toyota Landcruiser. Auf der Ladefläche die unvermeidliche Sitzbank, die aus dem Pick-up eine Art fahrenden Hochsitz machte. Nora wuchtete Schreibers Trolley über die Bordwand. Den Rucksack nahm Hannes mit in die Fahrerkabine, als er sich vorsichtig hineinschlängelte.

Nora startete den Diesel. Schreiber streckte die Beine aus. Das tat gut nach dem langen Flug, eingeklemmt zwischen dem dicken Engländer auf dem Nachbarsitz und dem Typen vor ihm, der als erstes seine Rücklehne so weit wie möglich nach hinten geklappt hatte. Bein­freiheit für einen Einsneunzig-Meter-Mann wie Hannes Schreiber: null Komma null.

Die Freude währte nicht lang. »Am besten bleiben Sie noch ein paar Meilen am Boden sitzen«, sagte Nora leichthin. »Ingwe ist zurzeit ein wenig unruhig.«

»So kann man das auch sagen.« Hannes schob seinen Sitz nach hinten und quetschte sich in den Fußraum. Mit angezogenen Knien hockte er auf der Gummimatte. Lange würde er es so nicht aushalten, das stand fest.

Nora, die rechts über ihm thronte, fuhr einen heißen Reifen. Beschleunigte schnell, bremste abrupt, hupte häufig. Sie hatte einen schweinsledernen Hut aufgesetzt, trug eine verspiegelte Sonnenbrille und schwieg.

Schreiber nicht. »Was war das denn für eine Nummer am Flughafen?«

Die Jägerin grinste. »Nachwehen des Wahlkampfs. Misambes Gegenkandidat fühlt sich um den Sieg betrogen. Er hat sich gestern selbst zum Präsidenten ausgerufen. Seine Anhänger sind ungehalten, weil Comrade Johnny nicht weichen will.«

»Werfen die Leute hier immer Mollis, wenn sie ungehalten sind?«

Nora trat auf die Bremse. Per Knopfdruck verriegelte sie die Türen. Der Landcruiser stand still.

»Molotowcocktails gehören in Ingwe zur Folklore. Genauso wie Überfälle an roten Ampeln.« Sie fuhr wieder an. »Wir sind hier nicht in Hamburg, Hannes.«

»Wohl wahr. Ich kann mich nicht erinnern, jemals im Fußraum an der Elbe entlanggefahren zu sein.«

Nora lachte, aber nur kurz. »Dies ist auch nicht die Elbchaussee. Wenn Sie hochkommen, sehen Sie es selbst.«

Schreiber kraxelte auf den Beifahrersitz und warf einen Blick aus dem Fenster. Was er sah, war der Gegenentwurf zu Blankenese. Windschiefe Blechbuden, die der Rost zerfraß. Mit Pappe geflickte Holzhütten. Kloaken, deren schillernder Ölfilm Schlimmeres verbarg. Müllberge in allen Stadien des Verrottens. Dazwischen wimmelte es von Menschen. Ein Junge, dessen Hose in Fetzen hing. Männer, die vor Bierbuden vor sich hin stierten. Eine Schwangere, zwei Kinder an den Rockzipfeln, schleppte ein Baby auf dem Rücken. Ein Hundegerippe stolperte über die Straße und fiel vor Schwäche in den Staub.

»Das ist Gulana«, sagte Nora im Stile einer Fremdenführerin. »Ingwes größter Slum. Misambe will ihn abreißen lassen. Die Leute haben die falsche Partei gewählt. Ein paar von den Burschen vom Flughafen dürften hier hausen.«

Schreiber suchte seine Zigaretten. »Darf ich rauchen?«

»No way.«

»Dann brauch’ ich ’ne Pause.«

Nora sah ihn schräg an. »Hier besser nicht. Wenn wir aus der Stadt sind, machen wir Rast. In der Lunchbox gibt es Sandwiches und Drinks.«

Es dauerte, bis sie Ingwe hinter sich hatten. Geschätzte vier Millionen Menschen tummelten sich in der Kapitale Sambesias. Die Stadt franste an den Rändern aus wie ein zerschlissener Teppich. Häuser wie Schuhkartons mit Wellblechdeckel säumten die Straße. Erste Rundhütten mit Rieddach tauchten auf. Hübsch sahen sie aus. Afrika aus dem Bilderbuch. Wie es drinnen aussah, wusste Schreiber nicht. Fenster hatten sie keine. Es mussten dunkle Löcher sein, in denen man zusammenhockte und schlief. Der Rest des Lebens fand draußen statt.

Ein paar Eselskarren waren unterwegs. Hier und da fuhr jemand auf einem alten Fahrrad. Die meisten Menschen gingen zu Fuß. Kinder in Schuluniformen, Frauen mit Feuerholz auf dem Kopf. Der Abstand zwischen den Straßendörfern wurde größer, je weiter sie Ingwe hinter sich ließen. Irgendwo im Niemandsland hielt Nora an. Ein Affenbrotbaum spendete Schatten.

»Lunchtime under the baobab«, verkündete Nora, stieg aus und kramte in der Kühlbox auf der Ladefläche des Pick-ups. Hannes steckte sich eine Zigarette an und starrte in die Krone des Baumes. Kahle Äste griffen in den blitzblauen Himmel. Wie auf den Kopf gestellt wirkte der Baum. Oben die Wurzeln, darunter der wulstige Stamm von vielleicht vier Metern Durchmesser. Das Laubdach konnte nur in der Erde stecken.

Nora sah Schreiber beim Staunen zu. »Die Einheimischen hören die Geister der Ahnen in den Baobab-Höhlen wispern. Dabei sind es Fledermäuse.«

Hannes hielt ein Ohr an ein großes Loch im Stamm und horchte. Er hörte weder Ahnen noch Fledermäuse. Sie setzten sich in den Schatten des Baobabs. An den Stamm gelehnt, aßen sie Eier-Sandwiches vom Vortag und stießen mit Lite-Bier an.

»Welcome to Africa, Hannes.«

Nora hatte ihre Sonnenbrille auf die Hutkrempe gesetzt und blitzte ihn mit ihren Aquamarin-Augen an. Sie trug ein grünes T-Shirt. Zwei fingerdicke Silberreifen umspannten ihren Oberarm. An einem Lederhalsband baumelte ein Projektil, genau zwischen ihren Brüsten.

Hannes zeigte mit dem Finger darauf. »Ziemliches Geschoss.«

».458 Winchester Magnum. Hab’ damit meinen ersten attackierenden Büffel gestoppt. It’s my talisman, you know.«

»Brauchen Sie einen?«

Nora rollte das Geschoss zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. »Buffalo is dangerous game. Gefährliches Wild.«

Schreiber lächelte schief. »Oder gefährliches Spiel. Stimmt beides.«

»Zum Glück haben wir Frauen wenig Testosteron. Das halbiert mein Risiko.«

»Keine Angst, dass Sie trotzdem einer erwischt?«

»Professional Hunter sind Romantiker, Hannes. Wir wollen so sterben, wie wir leben. Nicht im Bett, nicht auf der Straße. Den Motorradfahrer, der mich überfährt, hasse ich auf den Tod. Dem Büffel verzeihe ich. Er tötet mich, weil er nicht sterben will.«

Nora packte die Reste zurück in die Box und schwang sich hinters Steuer. Schreiber hätte nach dem Essen gern noch eine geraucht. Daraus wurde nichts. Er starrte eine Weile aus dem Seitenfenster in die Landschaft. Braune Felder, die die Mittagssonne buk. Hügel hinter Hügeln. Dann nickte er weg.

Wie so oft im Halbschlaf schrieb Schreiber Geschichten, formulierte wunderschöne Sätze, an die er sich im Wachen ums Verrecken nicht erinnerte. Dieses Mal war es anders. Schon im Traum wusste er das. Es war nicht sein Text, den er da dichtete. Es war Robert Ruarks. Er hatte die Stelle wohl öfter gelesen, als gut für ihn war. Hannes beherrschte sie im Schlaf. Oder besser: Sie beherrschte ihn.

»Der Büffel ist so groß und hässlich, so böse und schwer zu stoppen, so rachsüchtig und grausam, so unwirsch und gereizt. Er guckt, als hasste er dich persönlich. Er guckt, als schuldetest du ihm Geld. Er guckt, als jagte er dich.«

Eine Vollbremsung riss ihn aus dem Traum. Der Pick-up kam vor einer Art Ölfass zum Stehen. Es war einmal weiß gewesen. Das Fass war so verbeult, dass man die Aufschrift nur noch erahnen konnte: Police. Dahinter stand eine Gruppe Menschen in Uniform. Einige trugen blaue Hosen und blaue Mützen, andere dasselbe Zeug in Khaki. Alle hatten grellgrüne Hemden an. Einer der Khakifarbenen kam auf den Pick-up zu.

Schreiber wurde mulmig. »Was ist los?«

»Roadblock«, sagte Nora und ließ das Seitenfenster runter.

Der Polizist knurrte irgendwas. Nora reichte ihm ihre Papiere. Der Mann warf einen Blick darauf und hielt dann einen Vortrag auf Shanghum. Nora hörte ihm geduldig zu und antwortete im selben Idiom. So ging das ein paar Mal hin und her. Es wurde lauter. Der Polizist sah sich nach seinen Kollegen um.

»Okay, okay.« Nora zückte eine 50-Dollar-Note aus ihrem Brustbeutel und gab sie dem Polizisten. Der inspizierte den Schein, rieb ihn zwischen den Fingern und steckte ihn in die Hosentasche. Er tippte mit dem Zeigefinger an den Mützenschirm und wendete sich ab. Nora startete den Landcruiser, umkurvte das Ölfass und fuhr langsam an den Polizisten vorbei. Die würdigten den Wagen keines Blickes, warteten auf neue Opfer.

Schreiber war baff. »Was war das denn?«

»Wegelagerer«, sagte Nora, ohne ihn anzusehen. »Polizisten, die auf eigene Rechnung arbeiten. Vielleicht auch für ihren Boss. Oder für die Staatskasse. Wer weiß?«

»Was haben die Ihnen vorgeworfen?«

»Verbotenes Überholen.«

»Beweise?«

»Keine.«

»Warum zahlen Sie dann?«

Nora schnaubte. »Spart Zeit und Geld. Bürokratie ist ein Kleinkrieg hier. Einer, den du nicht gewinnen kannst. Da zahlst du besser gleich. Das wissen die Typen. Roadblocks sind schnell verdiente Dollars.«

»Che mondo strano«, sagte Schreiber, mehr zu sich selbst, und als Nora ihn fragend ansah: »Was für eine fremde Welt.«

2 Das Camp am Sandfluss

Das Camp lag tief im Busch versteckt. Schreiber merkte erst, dass sie am Ziel waren, als Nora den Pick-up unter einem wilden Feigenbaum parkte.

Er sah sich um. Ein kleines Dorf aus Safarizelten lag ausgestorben im Galeriewald. Der Fluss, auf dessen Steilufer das Messezelt thronte, bestand nur noch aus Sand. Ein paar Paviane hockten apathisch in der Nachmittagshitze. Andere Tiere ließen sich nicht blicken. Menschen auch nicht.

Nora drückte auf die Hupe. Nach ein paar Augenblicken ratschte ein Reißverschluss. Ein Graukopf tauchte in einem Zelteingang auf, knibbelte mit den Augen, rief »Sorry« und verschwand wieder.

Nora grinste. »Das war Liam McKenzie, der Camp-Manager. Ich habe vergessen, ihn anzufunken. Das macht sonst mein Tracker. Den habe ich hier gelassen. Konnte ja nicht wissen, dass ich am Airport fast einen Fährtenleser brauchte, um meinen versteckten Kunden zu finden.«

Ihre Art zu witzeln kam Schreiber bekannt vor. So bespöttelte Blankenese den Rest der Welt. Als Noras »Kunde« fühlte er sich auch nicht. Er wollte eine »Magazin«-Geschichte über diese Frau schreiben und dabei einen Büffel schießen. Die Jagd gehörte mehr oder weniger zur Recherche. Für ihn mehr, für seinen Chefredakteur wahrscheinlich weniger.

Inzwischen hatte sich der Camp-Manager angekleidet. Ganz in Khaki kam er aus dem Zelt. Seine Shorts gaben den Blick auf stämmige, behaarte Beine preis. Gamaschen glockten über Halbstiefeln. Mit grauem Vollbart und runder Brille erinnerte McKenzie mächtig an den alten Hemingway. Er begrüßte Hannes mit hartem Händedruck.

»Ich bin Liam. Darf ich Ihnen einen Drink anbieten, Hannes?«

Schreiber sah auf die Uhr. Viertel nach vier. »Bisschen früh für einen Drink. Außerdem hatte ich schon ein paar Cocktails am Flughafen. Molotowcocktails, um genau zu sein.«

Er erzählte McKenzie von seinem Empfang am Airport. Der Manager schnaubte. »Bloody bastard. Werden wir den alten Sack denn nie los, Nora?«

Die Jägerin strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht und schwieg.

Liam versuchte sich an einem Lächeln. »Am besten, wir vergessen die fetten Katzen in Ingwe. Wollen Sie wirklich keinen Gin and Tonic, Hannes?«

»Doch.«

McKenzie ging zu einer gemauerten Freiluftbar, ließ Eis in Gläser klirren, schnitt eine Zitrone dazu, goss einen Schuss Gin darüber und füllte mit Tonic auf.

»Das ist mein ›No Nonsense G&T‹. Keine Gurkenscheibe, kein Spritzer Angostura. Cheers.«

Sie stießen an und tranken einen tiefen Schluck. Schreiber fühlte die Kühle in seinem Bauch und wusste, dass er angekommen war. Er plumpste in einen der Klappsessel, die ein erloschenes Feuer umstanden, streckte die Beine aus und süffelte seinen G&T. Von irgendwoher tauchten zwei Schwarze auf. Sie waren gleich groß, etwa einsachtzig, gleich alt, vielleicht 30, und trugen die gleichen grünen Overalls. Auseinanderhalten konnte Hannes sie nur an dem Ziegenbärtchen des einen. Er stand auf und gab den Männern die Hand.

Nora stellte sie vor. »Das sind Onesmo und John, meine Tracker. Onesmo trägt seit Neuestem diesen Bart. Er ist einer der besten Fährtenleser weit und breit.« Sie sagte den Trackern ein paar Worte auf Shangum. Die beiden holten Hannes’ Gepäck vom Pick-up und trugen es zu einem der Safari-Zelte.

»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, fahren wir gleich los und geben ein paar Probeschüsse ab. Es wird schnell dunkel hier und morgen wollen wir früh raus.«

Auch das noch. Vor Publikum seine Schießkünste unter Beweis stellen zu müssen, machte Hannes nervös. Er jagte lieber allein. Dass Nora wissen wollte, wie er schoss, war verständlich. Also kippte er den Rest seines Drinks und stieg zu ihr in die Fahrerkabine. Die Tracker thronten schon oben auf ihrer Bank. Durch einen niedrigen Wald schlängelte sich die Piste. Zwischen den kahlen Bäumen stand eine zottelige Antilope und starrte sie an. Dünne, weiße Streifen in grauem Fell, wie wenn Milch den Rücken runterliefe.

Die Jägerin bremste ab. »Nyala. Hübscher Bock. Alt genug ist er auch. Wenn Sie den Büffel geschossen haben, könnten wir versuchen, ihn zu kriegen.«

Hannes brummte vage. Zu Hause hatte er die Liste mit den Abschussgebühren studiert. 4 000 Dollar für eine Nyala-Antilope wollte er nicht ausgeben. Der Büffel war teuer genug.

Auf einer großen Lichtung hielten sie an. Eine kleine Impala-Herde floh in Bocksprüngen. Die Tiere schwebten lange in der Luft. Zum Fliegen schien es nur ein Schritt.

Die Tracker sprangen vom Wagen. Onesmo stellte einen Pappkarton vielleicht 50 Schritte entfernt in eine Astgabel. Nora baute das Dreibein auf und reichte Hannes die Waffe. Es war eine solide, schwere Büchse mit einem amerikanischen Zielfernrohr.

»Kaliber?«

».416 Rigby«, sagte Nora. Mehr nicht.

Schreiber wandte sich ab, repetierte eine Patrone in die Kammer und sicherte. Er legte den Vorderschaft in die Gabel des Dreibeins und sah durchs Zielfernrohr. Der schwarze Kreis in der Mitte des Kartons war gestochen scharf. Schreiber schob die Sicherung nach vorn. Ohne lange herumzuhampeln, schoss er. Der Rückschlag der Großwildbüchse warf ihn fast um. Das Okular des Zielfernrohrs stanzte seine Augenbraue. Aber getroffen hatte er. Die Zielscheibe flog aus dem Baum. Onesmo lief hin und brachte sie Nora. Sie zeigte Hannes den Einschuss.

»Ein Inch tief und ein bisschen rechts. Nicht optimal, aber tödlich. Schießen Sie bitte noch mal.«

Schreiber tat, wie ihm geheißen. Diesmal ließ er sich etwas mehr Zeit, lehnte sich nach vorn, um den Stoß des Gewehrkolbens abzufangen, zielte sorgfältig und drückte ruhig ab. Die Pappe rührte sich nicht.

Nora nahm ihr kleines Glas vor die Augen und schüttelte den Kopf. »War leider nur ein Warnschuss, Hannes. Passiert vielen am Anfang. Versuchen Sie’s gleich noch mal.«

Hannes repetierte. Der Schlossgang hakte etwas, kein Vergleich mit seiner heimischen Sauer 90. Die repetierte butterweich. Eine Ausrede war das nicht. Schreiber konzentrierte sich und schoss, ohne zu zögern, ins Schwarze. Der Karton fiel aus dem Baum.

Nora schickte Onesmo die Scheibe holen. Er kam strahlend zurück. Das Einschussloch war genau da, wo es sein sollte. Mitten im Schwarzen.

»Sehr gut, Hannes. Besser geht’s nicht. Ihr Büffel kann kommen. Wenn Sie sich das Blut abgewischt haben, fahren wir zurück.«

Schreiber betastete seine Augenbraue. Seine Fingerspitzen wurden blutig. Er kramte ein Tempo aus seiner Hosentasche und drückte es auf die Wunde. Das Taschentuch färbte sich rot.

Sein Zelt gefiel Hannes. Hinter weißen Moskitonetzen lockte ein großes Bett. Er widerstand der Versuchung, verstaute lieber seine Klamotten in den eingebauten Regalen, zog sich aus und stellte sich unter die Außendusche hinterm Zelt. Segeltuchwände verbargen ihn vor wessen Blicken auch immer. Es dauerte, bis das Wasser warm wurde. Schreiber ließ es auf seine Glatze prasseln, schäumte sich ein, spülte die Brühe gründlich ab und rubbelte sich trocken. Wie neugeboren fühlte er sich danach nicht, aber zehn Jahre jünger. Er zog frische Sachen an und setzte sich auf die kleine Veranda vor seinem Zelt. Die Sonne versank hinter den Bäumen am anderen Ufer des Sandflusses. Tauben sangen ihr dreitöniges Lied. Wie auf Bestellung tauchte ein Elefant auf und stocherte mit den Stoßzähnen im Flussbett, bis er auf Wasser stieß, und nahm einen Rüssel voll. Schreiber hätte ihm gern noch länger zugesehen, aber die Dämmerung hatte es eilig. Schnell schluckte sie das letzte Licht.

Er blieb noch eine Weile im Dunklen sitzen und horchte in seine erste afrikanische Nacht. Weit weg lachte eine Hyäne wie irre. In den Bäumen bellte ein Pavian seine Angst vor Leoparden heraus. Hinter dem Zelt knackte es. Schreiber setzte seine Stirnlampe auf und leuchtete. Nichts zu sehen. Er machte sich auf den Weg zum Lagerfeuer.

Knapp außerhalb des Feuerscheins blieb er stehen, um die Lage zu peilen. Die Flammen beschienen vier neue Gesichter. Eines gehörte einem Mann um die 50. Spitze Nase, schmale Lippen, aschblondes Haar. Irgendwie kam der Typ ihm bekannt vor. Einsortieren konnte er ihn nicht. Dass er Deutscher war, hörte man. Sein Englisch knackte verräterisch.

»Meinen ersten Büffel habe ich bei Robin Hurt im Selous geschossen. 44 Inches.«

Ein »Nicht schlecht« war der einzige Kommentar, zu dem sich jemand aus der Runde hinreißen ließ.

Neben dem Großbüffeljäger saß eine jüngere Frau. Sie trug ihr schwarzes Haar streng zurückgekämmt. Ein Pferdeschwanz lag lang auf ihrem Rücken. Im Feuerschein leuchtete ihr Gesicht wie eine Laterne an Sankt Martin, mit einer langen, geraden Nase und schwungvollen, schmalen Augenbrauen. Sie zog an ihrer filterlosen Zigarette und schnippte die Kippe gekonnt ins brennende Holz. Hannes fragte sich, ob die Frau wohl auch jagte. Eher nicht, glaubte er.

Ein junger Typ saß eher am Rand, falls man in einem Kreis am Rand sitzen konnte. Vielleicht lag es daran, dass er keinen Blick an die anderen verschwendete. Er starrte auf sein Handy. Es gab nur ein wackliges Netz in diesem Camp mitten im Busch. Aber der Junge konnte sein Spielzeug trotzdem nicht aus der Hand legen. Hannes fielen die Mädel vom Reiterhof ein, die ihm beim Hundespaziergang oft begegneten. Die tasteten selbst hoch zu Ross auf dem Handy herum.

Der vierte Unbekannte war ein Kerl in Schreibers Alter. Dunkelgraue Bartstoppeln bevölkerten sein verwittertes Gesicht. Ein breitkrempiger Hut verschattete die Augen. Sein grünes Hemd hatte Schweißränder unter den Armen und seine Shorts waren viel zu kurz. So wie er hatten Professional Hunter ausgesehen, als sie noch Weiße Jäger hießen. Männer, wie sie längst nicht mehr hergestellt wurden. Es wunderte Hannes kein bisschen, dass der Mann Pfeife rauchte.

Schreiber zögerte noch einen Augenblick, dann trat er in den Feuerkreis.

Liam stand auf. »Das ist Hannes. Er ist heute angekommen und will bei uns einen Büffel schießen.«

Der Süchtige sah nicht von seinem Handy auf.

Der alte Crack mit der Pfeife nickte Schreiber zu. »I’m Butch.«

Hannes tippte an einen imaginären Mützenschirm. »Hi, Butch.«

Dann gab er dem Deutschen und der Frau die Hand.

»Henning und Ilka«, sagte Henning.

Schreiber setzte sich neben Nora. »Haben Sie den Elefanten im Flussbett für mich bestellt?«

Sie lächelte ihn tatsächlich an. »Das ist Dick the digger. Der kommt jeden Abend auf einen Drink vorbei.«

Hannes hätte auch gern ein Getränk zu sich genommen. Aber niemand bot ihm eins an. Sich selbst an der Bar zu bedienen, sah versoffen aus, fand er. Er war schließlich kein Elefant. Im Messezelt bimmelte eine Glocke.

»Dinner is ready.« Liam führte die Truppe an den großen Tisch unter dem Zeltdach und platzierte sie nach seinem Gutdünken. Schreiber kam zwischen Henning und Ilka zu sitzen. Es gab Gnu vom Grill. Hannes konnte sich nicht erinnern, je besseres Fleisch gegessen zu haben.

»Was machst du beruflich?«, fragte ihn Henning auf Deutsch.

Schreiber nahm einen Schluck südafrikanischen Rotwein. »Ich bin Journalist. Und du?«

»Kaufmann.«

»Welche Branche? Obst, Gemüse, Südfrüchte?«

Ilka lachte. Henning nicht. Er sah seinen Tischnachbarn schräg an. »Ihr Journalisten seid ganz schön schnodderig.«

»Wieso? Gemüsehändler ist doch ein anständiger Beruf. Ohne Bülents Laden bei uns im Viertel wär’ mein Leben deutlich ärmer.«

Der Koofmich schwieg, Ilka nicht. »In welcher Branche arbeitest du denn, Hannes? TV, Radio, Online, Print?« Sie hatte diese bei Frauen seltene dunkle, volle Stimme. Hannes mochte sie.

»Rate mal«, sagte er.

Ilka musterte Schreiber und rieb sich übertrieben heftig am Kinn. »So wie du aussiehst, kommt nur Print in Frage.«

»Treffer. War aber auch nicht schwer. Für Online bin ich zu alt. Im Radio kling’ ich zu sehr nach Ruhrpott und fürs Fernsehen bin ich nicht schön genug.«

»Kein Widerspruch von meiner Seite«, sagte Ilka und legte ihr Besteck weg. »Apropos Ruhrpott. Ich stamm’ aus Dortmund.«

Hannes ächzte. »Die verbotene Stadt.« Seit Kindertagen war er Schalke-Fan. Sie frotzelten noch ein bisschen über Lüdenscheid-Nord und Herne-West, mehr aus Spaß an den Sprüchen als aus wirklicher Feindschaft. Die Rivalität zwischen Schalke 04 und Borussia Dortmund gehörte zur Revierfolklore wie Currywurst mit Pommes rot-weiß.

Ilka schien den Schnack zu genießen. »Jetzt bist du dran mit dem heiteren Beruferaten, Schalker. Was bin ich?«

Hannes nahm einen Bissen Gnu, um Zeit zu gewinnen. »Irgendwas Künstlerisches«, tippte er. »Aber mit Bodenhaftung. Goldschmiedin vielleicht. Oder Schneiderin.«

»Gar nicht mal so schlecht geraten. Ich bin Präparatorin.«

»Spannender Job. Tote Tiere zum Leben erwecken. Wenn es bei euch nur nicht so stinken würde. Vor Jahren hab’ ich mal ’ne Geschichte über die Präparatoren-Schule in Bochum geschrieben. Der Kadavergeruch hing mir noch tagelang in den Klamotten.«

Ilka hielt ihm den Arm hin. »Riech mal.«

Schreiber schnüffelte an ihrer Bluse. »Hm, gut. Kein bisschen Kadaver. Ich hätte damals vielleicht schneller die Wäsche wechseln sollen.« Er hob sein Glas und prostete ihr zu. »Falls ich einen Büffel erwische, könntest du ihn mir präparieren.«

»Gerne. Schulter-Hals-Montage oder Vollpräparat?«

Hannes sah sie entgeistert an. »Wer stellt sich denn einen ganzen Büffel in die Bude?«

»Henning zum Beispiel.«

»Echt jetzt?«

Der Kaufmann, der kein Gemüsehändler sein wollte, hatte dem Gespräch gelauscht. »Ich habe mir eine unterirdische Trophäenhalle bauen lassen. Die Höhle der Löwen sozusagen. Darin macht sich Ilkas Büffel großartig.«

»Fehlen nur noch die Löwen.«

Täuschte sich Schreiber oder wehte ein wenig Ironie in Ilkas Stimme?

Henning schien dieser Hauch nicht gestreift zu haben. »Den Löwen schieße ich hier. Einen schönen, alten Mähnenlöwen.«

»Wie lange bist du schon hinter dem her?«

»Eine Woche. Heute ist die erste Nacht, wo wir nicht im Schirm sitzen. Ich brauche eine Pause. Butch nicht. Der schläft ein, sobald wir im Blind sind. Wenn du mich fragst, ist der zu alt für den Job.«

Ilka schüttelte den Kopf. »Ich finde Butch großartig. Den bringt nichts aus der Ruhe.«

»Dann kannst du ja morgen mit dem Schnarchsack rausgehen. Und ich versuche es mal mit Liam.«

Schreiber sah die Präparatorin mit neuem Interesse an. Dass sie zur Jagd ging, überraschte ihn. Warum auch immer. Wahrscheinlich steckte ihm das alte Rollenbild im Hinterkopf. Jagen war Männersache gewesen. Weibliche Wesen konnte man in Jägerkreisen lange suchen. Er war froh, dass sich das allmählich änderte.

»Jagst du oft, Ilka?«

»Nicht so oft wie Henning. Er hat mir als Dank für den Büffel einen Leoparden geschenkt. Den soll ich hier schießen.«

Hannes hatte die Abschussgebühren für Großkatzen nicht im Kopf. Sie lagen weit jenseits seiner Möglichkeiten. Außerdem jagte er aus Prinzip nur Tiere, die man essen konnte. Aber ihn interessierte natürlich, womit der Kaufmann an seiner Seite so viel Geld verdiente, dass er seiner Frau, Freundin, Lebensgefährtin, Geliebten oder was auch immer mal eben einen Leoparden schenken konnte.

»Seid ihr eigentlich verheiratet?«, fragte er forsch.

»Ich nicht«, sagte Ilka.

Peinliche Pause. Schreiber wechselte das Thema. »Wer ist eigentlich der Typ mit dem angewachsenen Handy?«

»David ist Kameramann. Henning hat ihn angeheuert. Er will seine Löwenjagd filmen lassen.«

»Aha«, sagte Hannes. Über diesen Henning musste er mehr wissen.

»Come on, Kaufmann«, kumpelte er ihn an, »vergiss meinen Gemüsehändler und sag mir, womit du dein Geld verdienst. Ich zum Beispiel arbeite als Reporter beim »Magazin« in Hamburg.«

»Und ich handele mit Immobilien.«

Schreiber schluckte. »Die Szene hat keinen besonders guten Ruf, gelinde gesagt.«

Henning nickte. »Wenn man der Presse glaubt, kommen wir sozusagen gleich nach dem Drogenhandel. Aber der Ruf der Presse war auch schon mal besser, oder?«

Hannes dachte an den preisgekrönten jungen Kollegen, der seine Reportagen mit viel Erfundenem aufgehübscht hatte, und gab Henning recht.

3 Unter Feuer

»Good morning, Sir. Tea is ready.«

Die Stimme vor dem Zelt holte Schreiber aus einem flachen, traumlosen Schlaf. Er tastete nach seinem Handy. Viertel vor fünf. Er machte Licht, schusselte ins Bad, warf sich ein paar Hände voll Wasser ins Gesicht und bürstete seine Zähne. Dann stieg er in die Jagdklamotten, die er abends bereitgelegt hatte, setzte die Kopflampe auf und ging zum Messezelt.

Nora lümmelte in einem Sofa und mümmelte Müsli. Schreiber goss sich einen Kaffee ein, setzte sich zu ihr und knabberte Keks.

»Gut geschlafen, Hannes?«

»Ging so. Da war so ein Sägen um drei. Konnte ich nicht einordnen.«

»Leopard. Ich habe ihn auch gehört.«

»Weit weg war der nicht, oder?«

»Doch.«

»Gut zu wissen.«

Nora leckte ihren Löffel ab. »Es wird hell. Auf geht’s.«

Sie stiegen in den Pick-up. Die Tracker tauchten auf und hüpften auf ihre Bank. Der Wagen glitt langsam durch die Dämmerung. Ein Volk Perlhühner rannte vor ihnen her und zeterte rostig, ehe sich eins nach dem anderen seitlich in die Büsche schlug. Hinter einem Felshügel ging die Sonne auf, samtiges Licht lag auf dem Land.

»Was ist der Plan, Nora?«

»Wir suchen Büffelfährten. Wenn wir eine passende gefunden haben, gehen wir sie aus.«

Sie holperten durch den jungen Morgen, bis Nora abrupt bremste. Die Tracker sprangen vom Pick-up und studierten Hufabdrücke in der sandigen Piste. Onesmo trat ans Wagenfenster.

»Two Dagga-Boys.«

Nora nickte. Sie parkte den Wagen am Wegrand und warf einen Blick auf die Fährte.

»Zwei alte Bullen, die die Herde verlassen haben. Sie sind vor ein paar Stunden hier durch. Wir sollten sie uns ansehen, Hannes.«

Schreiber stieg aus. John gab ihm die Büchse. Er drehte sich ab, repetierte eine Patrone in die Kammer, sicherte und hängte sich den Püster über die Schulter. Die Tracker gingen voraus, dahinter Nora mit ihrer Doppelbüchse und dem Dreibein, Hannes folgte ihr auf dem Fuß. Im Gänsemarsch pirschten sie durch einen kahlen Wald. Das Laub bedeckte den Boden und knisterte wie Cornflakes, wenn man darauf trat. Hannes versuchte verzweifelt, so wenig Lärm wie möglich zu machen. Dennoch war er der Lauteste. Wie die anderen drei es schafften, so leise zu sein, war ihm unbegreiflich.

Sie kamen langsam voran. Onesmo hielt immer wieder an, ging manchmal quer oder ein Stück zurück. Wenn er wieder auf der Fährte war, zeigte er Nora mit flach ausgestreckter Hand an, wo es langging.

Hier und da stießen sie auf einen Klumpen Losung. Schreiber tippte mit dem Fuß darauf. Weich wie warme Butter. Er hatte keine Ahnung, wie schnell ein Büffelschiss in dieser Hitze trocknete.

In den nächsten Haufen war schon jemand anderes getreten. Nora zeigte mit dem Finger auf den Abdruck. Ein Ballen, vier Zehen.

»Löwe«, flüsterte sie. »Wir sind nicht die einzigen Jäger hier.«

Hannes grinste. »Löwen treten also auch mal in die Scheiße.«

Wirklich witzig fand er die Nähe der Katzen nicht. Wie immer, wenn er aufgeregt war, rumorte sein Darm. Er atmete tief durch und folgte den Profis.

Nach einer Stunde stießen sie auf eine Elefantenherde. Sie hatte sich in einem Stück Dickbusch verteilt und fraß fröhlich vor sich hin. Man hörte sie Äste abbrechen, schmatzen und grummeln. Hin und wieder tauchte ein Kopf oder ein anderes graues Körperteil zwischen den Zweigen auf. Nora prüfte den Wind mit einem Pulverfläschchen. Er wehte von den Elefanten zu ihr.

»Hier gehen wir besser nicht durch. Wir werden die Herde umschlagen. Vielleicht finden wir die Fährte auf der anderen Seite wieder.«

Vorsichtig zogen sie sich zurück und wichen den Dickhäutern weiträumig aus. Als sie die Herde hinter sich gelassen hatten, machten sich Onesmo und John auf die Suche. Nora und Hannes gingen parallel zu ihnen durch verdorrtes, kniehohes Gras. Schreiber war froh, dass er eine lange Hose anhatte. Seit er jagte, hatte er sich schon zu viele Zecken abgedreht, und gegen Borreliose gab es immer noch keine Impfung für Menschen. Er sah Noras nackte Beine durch die Halme gleiten und fragte sich, warum die Frau sich das antat. Dass sie schöne Beine hatte, stand außer Frage. Ihre kräftigen, glatten Schenkel erinnerten Hannes an eine Frau, die er vor vielen Jahren gekannt hatte. Marens Beine waren ähnlich toll gewesen. Er glaubte nicht, dass Nora diese kurzen Shorts trug, um ältere Herren wie ihn sentimental zu stimmen. Wenn er sie richtig einschätzte, wollte Nora ihren Kollegen beweisen, dass sie genauso tough war wie sie. Lange Hosen im Busch gingen gar nicht. Die trugen nur Schwarze und Kunden mit Krampfadern. Professional Hunter jagten in Shorts, trotz Zecken und Dornen.

Die Spur der Büffel fanden sie nicht wieder. Wahrscheinlich lagen die Bullen irgendwo im Dickbusch bei den Elefanten und kauten ihr Frühstück nochmal in Ruhe durch. Hannes hätte auch gern einen Happen gegessen. Kaffee und Kekse sättigten nicht sonderlich. Er hatte gesehen, dass John eine Dose mit Sandwiches in seinen Rucksack gesteckt hatte. Aber Nora kannte keine Gnade. Sie streifte mit den Trackern und Schreiber im Schlepp auf gut Glück durch den Wald.

»Büffel kann immer kommen. Außerdem bin ich hier noch nie gewesen. Lassen wir uns überraschen.«