Mit Deutschland leben! - Benedikt Wolf - E-Book

Mit Deutschland leben! E-Book

Benedikt Wolf

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Beschreibung

Felix Rexhausen (1932 – 1992) gehörte als Schriftsteller, Journalist und Satiriker zu den wenigen Störenfrieden, die schon zu Beginn der 1960er Jahre dem Mief der Adenauer-Ära den Kampf ansagten. Seine undogmatische Vernunft war der Ideologie der Zeit in vielem voraus. Besonders drastisch bewies er dies in seiner Radioglosse Mit Bayern leben (WDR 1963), in der er das Hinterwäldlerische des Franz-Josef-Strauß-Lands jener Jahre aufspießte. Die Glosse löste einen Medienskandal aus und verschaffte Rexhausen einen Job als Kolumnist beim Spiegel. Sein Roman Lavendelschwert. Dokumente einer seltsamen Revolution (1966) wurde für kurze Zeit zum Kultbuch der sich gerade erst formierenden Schwulenbewegung. 2001 wurde der jährlich verliehene Journalistenpreis des Bundes lesbischer und schwuler Journalisten nach Rexhausen benannt, 2015 ein Platz am Kölner Hauptbahnhof. Neben Hubert Fichte und Guido Bachmann gehörte Rexhausen in den 1960er Jahren zu den wenigen offen schwul auftretenden Autoren deutscher Sprache. Der Germanist Benedikt Wolf legt die erste Monografie zum Werk Rexhausens vor und entdeckt zahlreiche Aspekte in dessen zersetzenden Formspielen, die eine Rückbesinnung auf diesen heute fast vergessenen Autor überaus lohnend erscheinen lassen.

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Mit Deutschland leben!

Verlagstext

Felix Rexhausen (1932 – 1992) gehörte als Schriftsteller, Journalist und Satiriker zu den wenigen Störenfrieden, die schon zu Beginn der 1960er Jahre dem Mief der Adenauer-Ära den Kampf ansagten. Seine undogmatische Vernunft war der Ideologie der Zeit in vielem voraus. Besonders drastisch bewies er dies in seiner Radioglosse Mit Bayern leben (WDR 1963), in der er das Hinterwäldlerische des Franz-Josef-Strauß-Lands jener Jahre aufspießte. Die Glosse löste einen Medienskandal aus und verschaffte Rexhausen einen Job als Kolumnist beim Spiegel. Sein Roman Lavendelschwert. Dokumente einer seltsamen Revolution (1966) wurde für kurze Zeit zum Kultbuch der sich gerade erst formierenden Schwulenbewegung. 2001 wurde der jährlich verliehene Journalistenpreis des Bundes lesbischer und schwuler Journalisten nach Rexhausen benannt, 2015 ein Platz am Kölner Hauptbahnhof.

Neben Hubert Fichte und Guido Bachmann gehörte Rexhausen in den 1960er Jahren zu den wenigen offen schwul auftretenden Autoren deutscher Sprache. Der Germanist Benedikt Wolf legt die erste Monografie zum Werk Rexhausens vor und entdeckt zahlreiche Aspekte in dessen zersetzenden Formspielen, die eine Rückbesinnung auf diesen heute fast vergessenen Autor überaus lohnend erscheinen lassen.

Benedikt Wolf

Mit Deutschland leben!

Felix Rexhausens Literaturzwischen Zersetzung und Formspiel

Männerschwarm VerlagBerlin 2020

© Männerschwarm Verlag

Salzgeber Buchverlage GmbH, Berlin 2020

Umschlaggestaltung: Johann Werth unter Verwendung

einer Zeichnung von Rüdiger Trautsch

Druck: Sowa Sp. z.o.o., Polen

1. Auflage 2020

ISBN Printausgabe: 978-3-86300-295-4

ISBN E-Book: 978-3-86300-304-3

Salzgeber Buchverlage GmbH

Prinzessinnenstraße 29 – 10969 Berlin

www.salzgeber-buchverlage.de

Erklärung

Ich, Rexhausen, möchte klarstellen:

Ich, Rexhausen, habe nichts gegen die Bayern.

Ich, Rexhausen, habe nichts gegen die Lehrer.

Ich habe nichts gegen die Pfarrer.

Nichts gegen die Flecken und Kleinstädte.

Gegen die Professoren.

Ich, Rexhausen, habe nichts gegen die braven Eltern.

Wohl, ich biet’ hiermit sechs Vorträge an:

Die Zählebigkeit von Eltern – Ein Gift im Volkskörper.

Der Lehrstuhl als Denkmalssockel – Ein Plüschsitz zum Selbermachen.

Das Ewige im Brackwasser – Städtchen und Dorf: Die deutsche Heimat.

Die Blinde mit dem Ölzwerg – Kirche und Pastor als Konservierungsmittel.

Spalierobst aus Schwarzbrot und Goethe – Das Schülerideal des deutschen

Lehrers.

Je älter je wahrer, je ganger je gäber – Der urige Bayernstamm.

Aber ich habe nichts gegen die Erzieher und Flecken und Bayern und

Pfarrer und Eltern.

Nein.

Ich habe etwas gegen die würgende Schlichtheit,

nie zu fragen doch immer zu antworten, gegen

die sanfte Bequemheit der Krankheit am Gestern, gegen

den niemals zweifelsrauh’n Brustton der Nachbeter, gegen

die wohnlichen Qualgefüge des Stumpfsinns.

Und wär’ ich nicht trauermatt – ha, ich wäre:

ein Ungeheuer! ein Erzengel! derlei!

Felix Rexhausen: Spukspaßspitzen (1970)

Inhalt

Einleitung

Felix Rexhausen:Wie Hamburg nämlich. Einer hört sich später reden

Autobiografische Texte

Die schwulen Romane der 1960er

Lyrik

Schlussbemerkung

Anhang

Verzeichnins der Siglen

Rexhausen-Bibliografie

Verzeichnis der verwendeten Pseudonyme

Abbildungsverzeichnis

Einleitung

1981 erschien in der Zeitschrift Twen ein Artikel über eine aufregende Subkultur. Er beginnt mit der Beschreibung eines Vorfalls beim Hamburger Konzert des US-amerikanischen Showpianisten Liberace, eines homosexuellen Mannes, der, so unfassbar homosexuell seine künstlerische Selbstdarstellung wirkte, zeitlebens gerichtlich gegen Presseberichte vorging, die ihm Homosexualität attestierten:1

Als der amerikanische Prachtkitschgrossist «Mr. Showmanship» Liberace jüngst Europa verwöhnte, bot er seinen Riesenabend auch im Hamburger Congreß Centrum dar. Auf letztklassigen Plätzen ließen sich zwei Damen nieder, die außerordentlich erstklassig aufgemacht waren. Und dann bald: begeistert wie kaum sonstwer. Sie seufzten, tuschelten, verdrehten die Augen, schmachteten, juchzten, hechelten, schmatzten, gierten, gieksten; ihre anlaßgerecht üppigen Gewänder umhüllten zwei wahrhaft Hingerissene. In der Pause konnten die beiden reich geschmückten Liberace-Jüngerinnen denn auch nicht an sich halten. Entrüstet, erschüttert, empört eilten sie immer wieder auf irgendwelche Herrschaften zu und forderten grell zeternd Rechenschaft von ihnen: «Er ist so wundervoll! So einmalig! Und Sie – wie können Sie in einem solchen Karstadt-Kleidchen zu Liberace kommen?! Er ist so wundervoll, ach! Aber Sie – in Rock und Bluse hier! Im Blazer! Und wo sind ihre Juwelen! Wenn Sie keine haben, dann bleiben Sie doch von sowas weg! Gehen Sie zu Hagenbeck! So kann man sich doch für ihn nicht anziehen! Er ist so überirdisch wundervoll!» (BIB 238, S. 46)2

Man ahnt, was hier los ist: Liberaces Hamburger Publikum wurde Opfer von Tunten – Tunten, die zu ihrer eigenen Freude anderen den Spaß verderben und hierin auf die Jämmerlichkeit dieses Spaßes und die verschüttete Möglichkeit einer Lust verweisen, die diesen Namen verdiente.

Der Twen-Artikel stammt von dem Schriftsteller Felix Rexhausen, der seit 1966 in Hamburg lebte. Er zeichnet hier ein Porträt der Hamburger Tunten-Kultur. Die beiden Damen, die Liberace viel zu ernst nehmen und damit seinem Publikum dessen Schein der Ernsthaftigkeit entziehen, sind Gunter Schmidt und Corny Littmann, legendäre Tunten der Hamburger Szene. Littmann hatte 1980 von sich reden gemacht, als er in einer mediengestützten Aktion öffentlich einen Einwegspiegel auf einer Hamburger von Schwulen frequentierten Toilette zerschlagen und so auf die skandalöse Überwachung durch die Polizei aufmerksam gemacht hatte.3

Der Schriftsteller Rexhausen, der selbst vor allem als Satiriker Bekanntheit erlangte, versteht die Aktion der beiden Tunten beim Liberace-Konzert als eine Form der Satire: «Die solcherart zurechtgewiesenen Herrschaften waren angewidert. Mißvergnügt erlebten sie: Satire, Satire auf Liberace und sein Publikum, in Szene gesetzt von Corny und Gunter.» Die beiden zitierend deutet Rexhausen auf einen spezifischen Zug in dieser Satire, einen schwulen Zug: «Eine Satire wie diese, sagen die beiden, ist schon von der Idee her schwul, und der Form wie dem Inhalt nach können nur Schwule sie auf die Beine stellen.» Und er führt aus:

Als schrille, in Damenkleidern steckende Männlichkeiten, als «Tunten» also ein feines Geldpublikum zu verarschen, das sich blöde genug ist, bei der Aufwandsgalatante Liberace zu hocken, und im übrigen hanseatisch normale, gesittet brave Menschheit darstellt, von zwei schrillen Tunten in einfach degoutanter Weise gestört: auf welchem anderen Mist als auf dem schwulen könnte diese Idee wachsen? (BIB 238, S. 46)

Das spezifisch Schwule, so deutet Rexhausen an, liegt in der (Ver-) Kleidung der Tunten und hängt mit dem Geschlecht zusammen: «in Damenkleidern steckende Männlichkeiten». Der Effekt dieser schwulen Taktik, die hier in eine Beziehung zum Geschlecht gesetzt wird, sei es, so impliziert es Rexhausens Text, den Gegensatz von Verkleidung und Kleidung aufzuheben oder alle Kleidung als Verkleidung zu entlarven: Das Publikum ist nicht einfach «hanseatisch normale, gesittet brave Menschheit», es stellt sie dar.

Auch Rexhausen wollte in einfach degoutanter Weise stören, und zwar die deutschen Zustände seiner Zeit in umfassender Weise. Dass er dafür physisch sogenannte Damenkleider angelegt hätte, ist mir nicht bekannt (ich will es keineswegs ausschließen). Doch er hat immer und immer wieder Verkleidungen – auch weibliche – angelegt: Kleider aus Sprache, die die Verkleidungen entlarven, in denen seinen Zeitgenossen das ideologische Gerede ihrer Gesellschaft entgegentrat. Das hört man schon im Ton der Darstellung des Twen-Artikels. Sprachlich macht sich die Phrase «in einfach degoutanter Weise» auf vertrackte Weise sowohl mit dem hanseatischen Bürgerpublikum als auch mit dessen Karikatur durch die beiden Tunten gemein.

Dieses Buch ist Rexhausens Spiel mit den sprachlichen Kleidern gewidmet. Es widmet sich dem Funktionieren dieses Spieles und seinen gesellschaftskritischen Implikationen. Es fragt besonders danach, welchen Stellenwert das Schwule in diesen Spielen hat und inwiefern Rexhausens Texte dieses Spiel auch in die Richtung von etwas transformieren, das über die journalistische Satire hinausgeht: in Literatur (die nicht mehr unbedingt satirisch sein muss).

Wie Littmann und Schmidt gehörte auch Felix Rexhausen zu den «mißratene[n] Söhnen aus gutem Hause» (BIB 238, S. 46). 1932 in Köln in bürgerlichen Verhältnissen geboren, verbrachte er seine Kindheit in Leipzig und Hamburg. Die Bombardierung Hamburgs durch die West-Alliierten 1942 erlebte er zwar unbeschadet und als Beobachter, der in einem gutsituierten Vorort zu Hause war, aber doch als einschneidendes Ereignis.4 Nach seinem Studium der Volkswirtschaftslehre in Köln, das er 1956 mit dem Diplom abschloss, wurde er 1959 ebenfalls in Köln in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften promoviert. Nachdem er die Universität verlassen hatte, wurde er freier Mitarbeiter beim Westdeutschen Rundfunk (1961–1964). 1961 war er an der Gründung der westdeutschen Sektion von Amnesty International beteiligt und wurde ihr erster Schatzmeister.5 In diese Zeit beim WDR fällt auch das Ereignis, das ihn in der Bundesrepublik schlagartig bekannt machte, ein größerer Presseskandal (nachdem es im selben Jahr schon einen kleineren Skandal um Rexhausens Blasrohr-Sendung im WDR gegeben hatte6): Im September 1963 wurde seine satirische Radioglosse Mit Bayern leben! gesendet, ein polemischer Frontalangriff auf die reaktionären bayerischen Zustände – und man musste schon sehr verbohrt (oder eben Bayer) sein, um sich durch diesen Angriff gerade in seiner Bayernehre getroffen zu fühlen. An den bayerischen Zuständen zeigte Rexhausen auf, was an den deutschen Zuständen seiner Zeit verkehrt war. Die Bayerinnen aber, allen voran ihr Ministerpräsident Alfons Goppel, der öffentlich protestierte (Wildenthal, BIB 444, S. 85), verstanden das nicht und gingen gegen den Glossenschreiber vor: mit dem Ergebnis, dass Rexhausen beim WDR nicht mehr unter seinem eigenen Namen schreiben durfte – und dass er sich in der sich anschließenden Medienlawine7 einen Namen machte. Es folgte eine Station beim Kölner Stadt-Anzeiger (1964–1966) und dann der Umzug nach Hamburg wegen einer Stelle beim Spiegel, wo er in den heißen Jahren der Prä-68er-Ära arbeitete. Den Spiegel verließ er 1968, um von da an als freier Schriftsteller und Journalist in Hamburg zu leben.8

Auf die Veröffentlichung der kurzen Radioglosse Mit Bayern leben! als Buch 1963 gemeinsam mit Zuschriften an den Autor (deren Authentizität im Einzelnen zu prüfen wäre) folgten in relativ schneller Folge weitere Buchpublikationen: die satirischen ‹Ratgeber› Mit deutscher Tinte (1965) und Die Sache (1968), aber auch die beiden Bücher, für die Rexhausen heute noch bekannt ist, der satirische Roman Lavendelschwert (1966), der von einer bundesrepublikanischen Revolution der Homosexuellen erzählt, und der pornografische Roman Berührungen (1969), publiziert unter dem Pseudonym Stefan David.

Ungefähr zur gleichen Zeit und im Zusammenhang mit der Bekanntheit unter Schwulen, die er durch diese Bücher erreichte, begann Rexhausen in den neuen Schwulenzeitschriften zu publizieren. Die Bundesrepublik hatte 1949 den schwulenfeindlichen Paragrafen 175 des Strafgesetzbuchs in der von den Nationalsozialisten verschärften Form übernommen. 1957 hatte obendrein das Verfassungsgericht die Position vertreten, bei dem nationalsozialistisch modifizierten Paragrafen handele es sich nicht um spezifisch nationalsozialistisches Unrecht. Erst 1969 kam es zu einer ersten Reform dieses Paragrafen. Einvernehmlicher Sex zwischen Männern bzw. männlichen Jugendlichen unter 18 Jahren einerseits und über 21 Jahren andererseits wurde damit legal.9 Unmittelbar nach dem Inkrafttreten dieser Reform erschien im Herbst 1969 das erste Heft der Zeitschrift Du & Ich. Diese Zeitschrift für homosexuelle Männer unterschied sich deutlich von den in höchstem Maße auf Dezenz bedachten Homophilenblättern der 1950er Jahre. Im Frühjahr 1970 folgte als zweite Zeitschrift für homosexuelle Männer – mit einzelnen Beiträgen für homosexuelle Frauen – die him.10 Die Bedeutung dieser Zeitschriften für die Geschichte der Homosexualität in der Bundesrepublik ist enorm. Nicht nur ist ihr Erscheinen als Anzeichen eines gewandelten gesellschaftlichen Klimas zu werten, sie haben auch selbst einen erheblichen Beitrag zur Modernisierung des Selbstbildes der homosexuellen Männer geleistet.11

Nachdem him im Dezember-Heft 1970 die pseudonym veröffentlichten Berührungen äußerst positiv rezensiert hatte – «das bedeutsamste Buch, das in den ganzen letzten Jahren über unser Problem erschienen ist» (Graf, BIB 418, S. 53) –, steuerte Rexhausen 1971 die ersten Beiträge zu dieser Zeitschrift bei – und zwar nicht nur unter Pseudonymen, sondern auch unter seinem bürgerlichen Namen. Den Auftakt machte der Text Losung 71. Seid stolze Schwule, ein Plädoyer für die selbstverständliche Verwendung des Wortes ‹schwul› nicht nur unter Schwulen (das, schreibt Rexhausen, geschehe so oder so seit langem), sondern auch gegenüber Heterosexuellen:

[E]rst wenn der Schwule selbstbewußt und aufrecht und stolz genug ist, vor Nicht-Schwulen sich oder irgendwelche Neigungsgenossen schwul zu nennen, das ganz selbstverständlich und ohne Anführungsstriche schwul zu nennen[,] was schwul ist – erst dann kann das Wort zu einem nützlichen neutralen Wort der Umgangssprache werden (BIB 100, S. 17).

Das äußerte Rexhausen wohlgemerkt im Januar-Heft 1971 der him: nicht nur lange vor der Übernahme der gay pride-Rhetorik aus den USA,12 sondern auch Monate bevor Rosa von Praunheims Film Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt, angefangen mit der Aufführung im Kino Arsenal in Westberlin am 15. August 1971, die Gründung schwuler Aktionsgruppen wie der Homosexuellen Aktion Westberlin (HAW) und vieler anderer auslöste.13 Rexhausen sprach sich also für das explizit Schwule aus, bevor es in der Bundesrepublik eine Schwulenbewegung im eigentlichen Sinne gab. Man muss dazunehmen, dass Rexhausen 1966 in Lavendelschwert vorgemacht hatte, wie man das Wort ‹schwul› ohne Abwertung verwendet,14 Jahre, bevor der Praunheim-Film das Wort in provokanter Weise ungefähr 100 Mal aussprach.15 Freilich zeigt Losung 71, dass Rexhausen dies mit etwas anderer Stoßrichtung als die Schwulenbewegung tat. Während es ihm um ein «nützliche[s] neutrale[s] Wort» geht, das von negativen Konnotationen zu befreien sei, ging es der Schwulenbewegung, zumindest deren radikaleren Vertretern darum, die gesellschaftssprengende Energie eines gerade nicht nützlichen und neutralen Schwulseins freizusetzen.

Neben Artikeln in den Schwulenzeitschriften – seit dem Ende von him (1976 in him applaus unbenannt) in Du & Ich – schrieb Rexhausen in seinen Jahren als freier Journalist und Schriftsteller eine Fülle von Beiträgen für Zeitungen und Zeitschriften des heterosexuellen Mainstreams. Dazu kommen Radiosendungen: sowohl ausgedehnte Albernheiten in vielfolgigen Sendereihen als auch eingehende Porträts historischer Persönlichkeiten vom Barock bis ins 20. Jahrhundert.16

Doch auch die literarische Produktion riss nicht ab. Rexhausen veröffentlichte drei Lyrikbände, Gedichte an Bülbül (1968/1972), Spukspaßspitzen (1970) und Die Lavendeltreppe (1979), zwei Theaterstücke, Dem Neuen ist Seife egal (1970)17 und Dreiecke (1971),18 und steuert 1979 den Text zu einer Revue mit dem Titel … dann mal wieder rechts bei.19 Es folgten weitere satirische Bücher, Von großen Deutschen (1969) und Germania unter der Gürtellinie (1972). Dazu kommt, als Ergebnis einer Beschäftigung als «Stadtteilschreiber» des Hamburger Stadtteils Harvestehude, ein historisch-spielerisches Buch In Harvestehude (1979). Um die Mitte der 1970er Jahre macht sich eine Tendenz zu Spielereien bemerkbar, zu «Gutenacht-» (BIB 19) und anderen «Geschichten» (BIB 20), Texten rund ums Fahrrad (BIB 24) und ähnlichem.

Ab der Mitte der 1980er Jahre arbeitete Rexhausen an einem umfangreichen Buchmanuskript mit dem Titel Die Ich-Illusion, in dem er sich mit dem unbeständigen und phantasmatischen Charakter des Ichs auseinandersetzte. In einer Mischform aus Abhandlung, essayistischen und aphoristischen Passagen und Anekdoten entfaltet Rexhausen hier seine Antwort auf die Frage nach dem Ich.20 Hans Rillow fasst das treffend zusammen:

Was ist das, was einen Menschen «Ich» sagen läßt? […] Ein zufällig zustandegekommenes Individuum, Resultat einer Vielzahl von Determinanten, veränderlich von einer Sekunde zur andern, kurzum: ein höchst instabiles Zufallsprodukt, das selbstbewußt die Bühne der Welt betritt und sonor ins Parkett schmettert: «ICH! ICH BIN ICH!» (Rillow, BIB 441, S. 69)

Man fühlt sich an die großen Ich-Krisen in der Literatur des Fin de Siècle erinnert; an die Verunsicherung durch Ernst Machs Verständnis vom Ich als einer Denknotwendigkeit, die eine letztlich illusionäre Position an der Schnittstelle verschiedener Sinneseindrücke fasst; oder an die Verunsicherung durch Sigmund Freuds Erkenntnis vom Ich, das nicht Herr im eigenen Haus ist. Das wirkt aus der Zeit gefallen – gerade auch, weil Rexhausen die Subjektkritik, die in der französischen Philosophie und Psychoanalyse der Nachkriegszeit geführt wurde, nicht zur Kenntnis genommen zu haben scheint. Rexhausens Versuche, dieses Manuskript bei einem Verlag unterzubekommen, scheiterten. Die große Zahl an Verlagsabsagen dokumentieren diesen Misserfolg,21 der den vormals erfolgreichen Autor, der sich mit der Ich-Illusion nach längerer Zeit wieder ins ernsthafte Fach wagt, hart getroffen haben muss.

Den Schwulen hielt Rexhausen 1987 noch einmal den Spiegel vor, indem er die Fragebögen, die Martin Dannecker im Vorfeld seiner 1990 veröffentlichten Studie Homosexuelle Männer und AIDS unters schwule Volk brachte, in seinem «Umfragebogen» Der heutige Homosexuelle und Weihnachten (1987) aufs amüsanteste persifliert.

Er starb 1992 an einer Lungenkrankheit (Pfaff, BIB 407). Seit 2001 ist der Preis des Bundes Lesbischer und Schwuler JournalistInnen nach Felix Rexhausen benannt, einem «ideale[n] Namenspatron», wie Axel Bach schreibt (Bach, BIB 436, S. 11).

Man muss Felix Rexhausen als ein Kind der 1960er Jahre verstehen.22 Dieses Jahrzehnt war für die Bundesrepublik eine Zeit des Aufbruchs. Viele vor allem jüngere und liberal bis links orientierte Bundesbürgerinnen hatten die Adenauer-Ära als eine bleierne Zeit des Stillstands erlebt. Sie begannen in den 1960er Jahren die bundesrepublikanischen Realitäten in Frage zu stellen. Der Aufbruch der 1960er Jahre war ein gesellschaftlicher und politischer, doch er war zugleich ein sexueller. Schülerinnen- und Studentenbewegung stellten den repressiven sexualmoralischen common sense in Frage, sprachen von sexueller Emanzipation und sexueller Revolution und versuchten gar, eine befreite Sexualität als utopische Antizipation in die Tat umzusetzen.23 Begleitet wurde die politische Sexrevolte von einer kommerziellen Sexwelle, die Ulrike Heider in ihrer lesenswerten Darstellung so beschreibt:

Zu Beginn der 1960er Jahre erkämpften sich die Massenmedien in zähem Ringen mit Saubermännern und Zensoren Zentimeter um Zentimeter nackter Haut, Verkaufszahlen und Einschaltquoten stiegen stetig. Die Werbebranche entdeckte den Sex als idealen Verkaufssteigerer, und auch die Pornografie gedieh prächtig in diesem Klima.24

Rexhausen ritt mit einigen seiner Publikationen auf dieser Sexwelle. Das gilt besonders für den satirischen ‹Ratgeber› zum Schreiben von «Sexbücher[n]» (BIB 9, S. 13) Die Sache, was auch schon zeitgenössisch bemerkt wurde: Der Literaturwissenschaftler Jost Hermand nennt Die Sache 1970 ein «verpoptes Sexbuch», attestiert ihr «hahnebüchene[] Trivialität» und bezeichnet ihren Autor als «echte[n] Konsumautor».25 Mit der Sexwelle in Zusammenhang stehen aber auch die satirische «Dokumentation» (BIB 16, S. 15) Germania unter der Gürtellinie und die pornografischen Berührungen (vgl. außerdem BIB 57 und 83). Das zu konstatieren erübrigt die Analyse des literarischen und kritischen Potenzials dieser Beiträge freilich keineswegs. Hermand geht allzu hastig vom Konstatieren einer Anlehnung an den Zeitgeist zum dünkelhaften ästhetischen Urteil über. Parallel zu seiner partiellen Beteiligung an der Sexwelle tat sich Rexhausen auch als journalistischer Chronist von Sexwelle und sexueller Liberalisierung hervor (BIB 78, 87, 93 und 99).

Doch in einer Gruppe von Beiträgen, die er in den Jahren 1965 und 1966 in den Blättern für deutsche und internationale Politik veröffentlichte, zeigt er sich auch als ein Protagonist des linksliberalen Aufbruchs. Er äußert sich gegen die post-nationalsozialistischen Kontinuitäten, gegen den dumpfen Antikommunismus der Bundesrepublik und gegen das uniforme Parteienspektrum – Unionsparteien, Sozialdemokraten und Liberale –, das keine Alternative auf der Linken bot, die diesen Namen verdient hätte (BIB 43, 44, 53, 55 und 56). Rexhausen war kein Anhänger des Sozialismus, vor allem nicht des real existierenden in der DDR, wie einige Radiobeiträge verdeutlichen, die sich im Nachlass finden;26 auch kein Anhänger des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS) und der von ihm maßgeblich bestimmten linksradikalen Studentinnenbewegung. Lora Wildenthal bezeichnet ihn zurecht als einen von den politischen Parteien der Bundesrepublik unabhängigen Liberalen (Wildenthal, BIB 444, S. 84). Freilich reflektieren seine Publikationen in den Blättern für deutsche und internationale Politik zentrale Debatten des linksliberalen Spektrums der Zeit. Rexhausen trat sogar als Redner in einer Veranstaltung des Republikanischen Clubs, eines zentralen Akteurs der Außerparlamentarischen Opposition neben dem SDS, auf. Dort sprach er im November 1968 zum Thema «Die weitaus überwiegende Auffassung» – Soziologische Aspekte der Homosexualität. Das Manuskript der Rede ist leider nicht überliefert.27

An der Wurzel von Rexhausens öffentlichem Schreiben steht eine fundamentale Unzufriedenheit mit den deutschen Verhältnissen. In einem 1965 «vor Bonner Studenten» (BIB 44, S. 571, Anm.) gehaltenen Vortrag, der im selben Jahr in den Blättern für deutsche und internationale Politik veröffentlicht wurde, denkt Rexhausen über dieses Ungenügen und seine Reaktion darauf nach.28 Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist das Parteienspektrum der Bundesrepublik ein Jahr vor dem Antritt der Großen Koalition unter dem ehemaligen NSDAP-Mitglied Kurt Georg Kiesinger. Aus der postnazistischen Kontinuität der Bundesrepublik, die an Kiesinger nur augenfällig wird, erklärt Rexhausen eine relative Uniformität der Positionen. Die SPD steht in diesem uniformen Spektrum als pseudolinker Dekor da – «oder sitzt oder liegt», wie Rexhausen bissig bemerkt: «Ein Staat auf dem Weg nach rechts» (BIB 44, S. 571–575; Zitate S. 573).

Dieser Diagnose setzt Rexhausen eine Position der Dissidenz entgegen. Dazu nimmt er den Vorwurf der «Zersetzung» auf, den konservative Moralistinnen jedem linken oder liberalen Neuerungsversuch machen, und wertet ihn um:

Vor Zersetzung also soll bei uns geschützt werden das «Rechte», und die es angeblich zersetzen, sind links, «Linksintellektuelle» und, bewußt oder unbewußt, Handlanger des Kommunismus. […] Im Vorfeld des Kommunismus also befinden sich einige Journalisten, befinden sich Kabaretts und Schriftsteller ebenso wie der LSD,29 der SDS, der SHB30 oder die Humanistische Union. Sie alle zersetzen, zersetzen das, was als das einzig Wahre, Gute Schöne proklamiert wird. Sie zersetzen.

Sie zersetzen? Meine Damen und Herren! Ich könnte den Rest meines Vortrages in acht Worten abmachen, nämlich: «Sie zersetzen? Ach wenn es doch so wäre!» (BIB 44, S. 576)

Wenn man doch Erfolg hätte beim Zersetzen – das ist der Wunsch, der der Ausgangspunkt von Rexhausens öffentlichem Schreiben ist. Denn zu zersetzen in dem Sinn, das «Bestehende hinfällig [zu] machen», sei angesichts der deutschen Zustände das Gebot der Stunde. «Paß auf, die Dinge müssen nicht so sein, wie sie sind, sie könnten auch anders sein, besser» (BIB 44, S. 576f.): das ist die Botschaft, die zu vermitteln sei.

Rexhausen nennt die dissidente Position, die er entwirft, wortspielerisch die Position nicht des Linken, sondern des «Linkisch[en]» (BIB 44, S. 578). Und er meint mit dem Linkischen den Satiriker. Denn die Satire als eine «Weise der Kritik» (BIB 44, S. 576) ist das Instrument der Zersetzung, das ihm zur Verfügung steht. Nur stehe es mit den Erfolgsaussichten solcher satirischer Zersetzung nicht gut: «Die Möglichkeit, daß Satire Zersetzung bewirkt, kann nicht ausgeschlossen werden», das konzediert Rexhausen, doch die «Wahrscheinlichkeit [ist] gering […], daß sie ihr Ziel erreicht» (BIB 44, S. 577).

Was verhindert den Erfolg satirischer Zersetzung? Einerseits die Übermacht der Verhältnisse, die «Voraussetzungen» (BIB 44, S. 577): Es sei unwahrscheinlich, dass die satirische Gegenposition im Rahmen der verkrusteten politischen Kultur tatsächlich Verhältnisse ändert. Der politische Schriftsteller Rexhausen ist insofern Realpolitiker, als er weit entfernt von der Hoffnung auf ein einfaches ‹Wachrütteln› und ‹Augen-Öffnen› ist. Ein weiterer gewichtiger Grund für die geringen Erfolgsaussichten satirischer Zersetzung liege aber in der satirischen Schreibweise selbst, in der «speziellen Form der Satire»: «ihre Qualität ist vor allem eine formale Qualität, und der Beifall gilt oftmals mehr der gelungenen Form einer Satire als ihrem kritischen Inhalt» (BIB 44, S. 577). Der Satire werde oft als artistischem Kunststück Beifall gespendet, ohne die Kritik, die sie führt, nachzuvollziehen. Der Angriff, die Aggression, die konstitutiv fürs satirische Schreiben sind – man kann für satirische Literatur geradezu von «Angriffsliteratur» sprechen31 –, werden so vom Gegenstand abgeschirmt. Satire eignet in diesem Sinne «eine gewisse Unverbindlichkeit» (BIB 44, S. 577).

Diese Unverbindlichkeit schlage, so Rexhausen, auch dann noch durch, wenn Satire nicht als bloße Artistik gelesen werde. Denn ein psychischer Abwehrmechanismus, dessen Begründung in der besonderen Nähe liegt, die man gewöhnlich zu sich selbst empfindet, führt einerseits dazu, dass wir uns freuen, wenn andere angegriffen werden; die kognitive Dissonanz aber zwischen dem Angriff, der auch uns trifft, und unserer im Prinzip recht positiven Meinung von uns selbst, beseitigen wir durch die feste Überzeugung, dass wir selbst nicht gemeint sein können. «Der Leser oder Hörer von Satire lacht sehr oft über andere; er genießt Schadenfreude, steigert sich selbst in negativem Muckertum; er fühlt sich selbst aber weder gemeint noch zur Aktivität ermuntert» (BIB 44, S. 577). Die Rezipientinnen machen sich den aggressiven Impuls zu eigen, der auch sie treffen soll.

Der Satire ist mit dieser Konstellation ihr Scheitern, was tatsächliche politische Effektivität angeht, geradezu eingeschrieben, und zwar in ihrer Struktur selbst. Der ‹linkische› Satiriker ist also zu fassen als «einer, der mit dem Gartenschäufelchen die Pyramiden auseinandernehmen will», wie Rexhausen formuliert (BIB 44, S. 578). Eine traurige, eine rührende Gestalt, in der ein Rest des Heroismus des Sisyphos zu spüren ist, der den Stein immer wieder den Anhang heraufrollt und sich der Vergeblichkeit seines Tuns, des unfehlbar eintreffenden Herabrollens des Steins kurz vor dem Ziel, bewusst ist, – freilich ganz ohne die Überhöhung, die diese Gestalt durch das Pathos des Existentialismus erfahren hat.

Aber warum tut es der Linkische weiterhin? Warum legt er angesichts der Pyramiden sein Gartenschäufelchen nicht beiseite und widmet sich anderen Dingen? Rexhausen gibt zwei Antworten, eine moralische und eine politische. Einerseits – und hier wechselt der Ton ins Predigthafte – kann der Linkische nicht aufhören mit seinem Tun, «weil er sich soll sagen können: An mir hat es nicht gelegen, ich habe getan, was ich konnte». Und andererseits betont Rexhausen, «daß auch geringe Wahrscheinlichkeiten des Erfolges immer noch Wahrscheinlichkeiten sind» (BIB 44, S. 578) – die Hoffnung stirbt zuletzt, um es mit anderen Worten zu sagen. Nicht nur der Ton, auch die Struktur dieser Begründung entspricht einer christlichen Argumentation, freilich in säkularisierter Version: gute Werke und Hoffnung gegen alle Wahrscheinlichkeit. Ganz überzeugend ist diese Argumentation nicht. Das «Ach» in Verbindung mit dem irrealen Konjunktiv, das den aggressiven Wunsch einleitete – «Ach wenn es doch so wäre!» – deutet in eine andere Richtung. Die Aggression ist offenbar immer schon gehemmt. Ihre Formulierung selbst ist schon überschattet von der Klage.

Hier geht es in keiner Weise um eine Analyse der psychischen Struktur des empirischen Autors Felix Rexhausen, an der ich kein Interesse und für die ich keine Grundlage habe. Hier geht es um die Analyse derjenigen Konstellation, die der Text selbst entwirft – einschließlich der Autorposition, die sich in ihm formuliert. Aus der Sicht des «Ach wenn doch» scheint die in ihrer Struktur religiöse Argumentation zu überdecken, dass der Linkische mit seinem Gartenschäufelchen aus dem Grund bei seinem aussichtslosen Werk bleibt, weil er ganz einfach nicht anders kann. Es gibt einen unaufgelösten Konflikt zwischen der Aggression und der Übermacht der schlechten Verhältnisse, der den Linkischen für immer auf seiner Position an den Pyramiden festhalten wird.

Als Satiriker, als ein Linkischer mit Gartenschäufelchen, geht Rexhausen einen spezifischen Weg: Er verwandelt sich in die, die er der satirischen Aggression aussetzt, und er tut das, indem er ihre Sprache verwendet. Als Satiriker ist Rexhausen ein Stimmenimitator – freilich einer, der die Imitation planvoll übertreibt. Er erfindet nicht, er findet vor. Rexhausen hat systematisch die unterschiedlichen Bereiche der Gesellschaft, in der er lebte, abgehorcht und in der Imitation auf den falschen Zustand der Gesellschaft hingewiesen. Der Spiegel seiner literarischen Imitation ist ein Zerrspiegel, in dem kenntlich wird, was vordem deshalb nicht gesehen wurde, weil es als «Bestehende[s] […] schon seines Bestehens wegen im Recht» (BIB 44, S. 577) schien. Dirck Linck hat dieses Vorgehen am Beispiel Lavendelschwert prägnant zusammengefasst:

Felix Rexhausen löst […] aus der Ununterscheidbarkeit, dem Strom gesellschaftlicher Redeweisen der Bundesrepublik, einzelne Redeweisen heraus. Aber nicht wahllos. Er macht jene Redeweisen hörbar, bringt jene Tonfälle ins Bewußtsein, die parteien-, gruppen-, ideologienübergreifend in Gebrauch sind. […] Rexhausen zeigt, daß der Satiriker, der auf Geräusche reagiert, es immer mit Großen Koalitionen zu tun hat. Von den vermeintlichen Differenzen der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen weiß die Satire nichts, die keine Parteien mehr kennt, sondern nur noch Deutsche (Linck, BIB 450, S. 303).

Diese Charakteristik trifft nicht nur Lavendelschwert, sondern auch andere Texte Rexhausens. Rexhausen hat in einer Reihe von Büchern ein bestimmtes Muster variiert, in dem der systematische Charakter dieses Vorgehens augenfällig wird. In diesen Büchern behauptet jeweils ein Autor, dem Publikum einen Leitfaden oder einen Ratgeber anzubieten, in dem man lernen könne, ein bestimmtes Genre von Texten zu schreiben. So leitet Mit deutscher Tinte in der alten Tradition des Briefstellers zum Schreiben von Briefen und Reden an – zumindest vorgeblich. Die Sache nimmt dieses Muster auf, um in das Schreiben von Pornografie einzuführen, und zwar, ähnlich wie in Mit deutscher Tinte, zugeschnitten auf die verschiedensten gesellschaftlichen Typen: Sexbücher «Für Nationalchristliche Soziale Demokraten und bürgerliche Studenten», «Für Frauen im Urlaub und Grüne Witwen», «Für Schülerinnen ab Fünfzehn», nicht zuletzt auch «Für homosexuelle Leser» (BIB 9, S. 64, 86, 113 und 107), um nur einige Beispiele zu nennen. Selbstverständlich geht es in diesen Schreibratgebern nie um das vorgebliche Unterweisungsund Lernziel, vielmehr werden die formalen Forderungen des jeweiligen Genres zu einem Erkenntnisinstrument, in dem, satirisch bis zur Kenntlichkeit verzerrt, die bundesdeutsche Gesellschaft erkannt und kritisiert wird.

Eine Variante des Modells von Mit deutscher Tinte und Die Sache ist ein fiktiver Anlass, der einen Herausgeber zum Sammeln von angeblichen Dokumenten zu einem bestimmten Thema bewegt. Auch dies gibt Gelegenheit, in die verschiedenen Sprechweisen zu schlüpfen, die mit verschiedenen gesellschaftlichen Positionen verbunden sind. So stellt ein gelehrter Herausgeber in Germania unter der Gürtellinie ‹Dokumente› zusammen, die das Verhältnis der Deutschen zur Sexualität darstellen. Und auch Rexhausens bekanntester Roman, Lavendelschwert, gibt sich als eine Sammlung von ‹Dokumenten› aus, anhand derer ein fiktiver Herausgeber eine homosexuelle Revolution in der Bundesrepublik darstellt.

Schon die satirische Ratgeberliteratur zeichnet eine tendenzielle Fragmentierung der Erzählinstanz aus. Der Ratgeberautor stellt zwar den Rahmen für die Sexgeschichten in Die Sache her, gibt seine Autorposition für das Buch aber zugunsten von Erzählerpositionen der jeweiligen Geschichte auf. Seine Kommentierung, die den Geschichten vorausgeht und die ausschließlich auf die spezifischen Interessen der jeweiligen Zielgruppe eingeht, lenkt die Lektüre der Sexgeschichten, legt aber selbst den kritischen Inhalt, auf den die Satire zielt, nicht frei. In Germania unter der Gürtellinie und Lavendelschwert gibt es gar keine übergeordnete Autorposition und keine einheitliche Erzählinstanz mehr, wie sie den traditionellen Roman auszeichnet. Es gibt nur noch einen Herausgeber und eine Vielzahl von Autoren der jeweiligen ‹Dokumente›. Dadurch bleibe, so Linck, die Kritik implizit – ein strategischer Vorteil für den Satiriker. Die Aufgabe, die Kritik explizit werden zu lassen, werde den Leserinnen übertragen: Der Satiriker «überläßt die satirische Arbeit dem Leser, den er als Cutter lenkt. Er übt dem Leser die satirische Funktion ein, indem er ihn aufstachelt, die dargebotene Sprache nach ihren Defekten abzusuchen» (Linck, BIB 450, S. 302). Ein strategischer Vorteil, der freilich weit davon entfernt ist, den Erfolg der satirischen Zersetzung zu garantieren. Auch hier bleibt das Problem, dass die Leserinnen sich ganz einfach nicht gemeint fühlen können.

Das Gegebene nicht, da es gegeben ist, auch gleich als richtig nehmen – darauf zielt Rexhausens satirische Zersetzung ab. Diese Maxime steht, um noch einmal auf die Hamburger Tunten zurückzukommen, mit einer schwulen Urerfahrung in Verbindung, die in Rexhausens Tunten-Reportage Gunter Schmidt folgendermaßen fasst:

Gunter sagt: «Die Welt ist sowieso ganz anders, als man uns erzählt und als wir sie zu sehen gewöhnt sind. Nichts muß so sein, wie es scheint. Als Schwuler weiß man das ganz zentral sozusagen: Was nach Mann aussieht und darum frauenliebend scheint, muß überhaupt nicht frauenliebend sein, und so weiter. Irgendwer hat darum mal gesagt, Schwule hätten ein gebrochenes Verhältnis zur Wirklichkeit, und das ist wahr. Darum kommt mir alles Edelfeierliche, statisch Ernste so absurd vor – ich will Spiel und Lachen» (BIB 238, S. 47).

Wer erlebt hat, dass er von früher Kindheit an als einer eingeschätzt wurde, der er nicht ist, nämlich als heterosexuell und in heterosexueller Art männlich, hat zumindest einmal die Erfahrung gemacht, dass die unumstößlich erscheinende Wahrheit, die noch ihm selbst unumstößlich erschienen war, nicht zutraf, hat darüber hinaus die Gewalt erfahren, die das Gegebene entfaltet. Das ist die schwule Komponente, die der Satire in Rexhausens Ausprägung zugrunde liegt. In Gunters Aussage steht die berechtigte Skepsis gegenüber der Wirklichkeit, die bei Rexhausen so deutlich in den Angriff, in Aggression führt, im Zusammenhang mit einer anderen Qualität: mit «Spiel und Lachen», mithin mit Lust. Und diese Lust ist auch bei Rexhausen spürbar ein Moment, das das Schreiben – gemeinsam mit der Aggression – antreibt. Zur Zersetzung kommt das lustvolle Spiel mit der Form. In der Lyrik, die Rexhausen in den späten 1960er und in den 1970er Jahren geschrieben hat, führt diese lustvolle und formspielerische Komponente in eine spezifische Form, die sich zwar von der Satire entfernt, in ihrer Formsprache aber auf gesellschaftliche Realität immer bezogen bleibt. In ihr scheint der Linkische mit dem Gartenschäufelchen eine andere Art des Umgangs mit dem Nachteilen der Artistik für die Satirerezeption gefunden zu haben: Er folgt der Eigenlogik der artistischen Form und nutzt sie zur Überschreitung des gesellschaftlichen Redens, das die Satire der Zersetzung aussetzt.