Mittelland - Guy Krneta - E-Book

Mittelland E-Book

Guy Krneta

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Beschreibung

Der erste Band der „edition spoken script“ versammelt rund 80 Morgengeschichten, die Guy Krneta seit 2006 regelmässig für das Schweizer Radio DRS 1 schreibt. Die Geschichten geraten dank Krnetas erzählerischer Virtuosität zu einer leichtfüssigen Reflexion über das Schweizer Alltagsleben. Alle Texte sind sowohl in Mundart wie in hochdeutscher Übersetzung (Uwe Dethier) abgedruckt.

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Seitenzahl: 245

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GuyKrneta

Mittelland

edition spoken script 1

1. Auflage 2009

© Der gesunde Menschenversand,

Luzern. Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-905825-13-5ISBN 978-3-905825-13-8

ÜbersetzungUwe Dethier

Herausgeber EditionMatthias BurkiUrsina GreuelDaniel Rothenbühler

GestaltungAlder GrafikDesignSeraina Alder

ProjektTypografischer Gestalter Zürich

e-Bookmbassador GmbH, Luzern

Die Mundart-Texte wurden von Guy Krneta für die «Morgengeschichten» auf Radio DRS 1 geschrieben.

Manche der Geschichten sind Nacherzählungen, Um- und Weiterschreibungen. Der Autor bedankt sich für das Erzählen von Geschichten bei: Dagmar Brunner, Thomas Douglas, Urs Frieden, Judith Gerstenberg, Ruedi Häusermann, Rahel Hubacher, Jürg Kienberger, Pedro Lenz, Fredi Lerch, Quang Ly, François Loeb, Momoll Theater, Marco Morelli, Michael Pfeuti, Daniel de Roulet, Heinz Schafroth, Franco Supino, Hans-Peter Thür, Robert Walser, Michael Wolf, Markus Zürcher u.a. sowie bei Ursina, Kasimir, Paula und Lionel Krneta.

Herzlichen Dank für die Unterstützung an Fachausschuss Literatur BS/BL, FUKA-Fonds Stadt Luzern, Migros-Kulturprozent, Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung, SWISSLOS/Kultur Kanton Bern

www.menschenversand.ch

Die Audio-Dateien stammen aus der Rubrik „Morgengeschichten“ auf SRF 1, gelesen von Guy Krneta. (P) SRF Schweizer Radio und Fernsehen.

Jeger/Jäger

Churz uflüpfe/Kurz hochheben    

Malans/Malans    

Felix/Felix

Fabrizius/Fabrizius

Lammflügeli/Lammflügel

Schrybe/Schreiben

Ds Chiuchli vo Wasse/Die Kirche von Wassen

Vrzeue/Erzählen

Mats/Mats

Hygiene/Hygiene

Frömdi Schtadt/Fremde Stadt

Turnaround/Turnaround

Myni Muur/Meine Mauer

Was i für ne viutöönige Mönsch bi/Was ich für ein vieltöniger Mensch bin

Schwarzebach/Schwarzenbach

Vrschoont/Verschont

Musigwuche/Musikwoche

Sabine/Sabine

Vierteldrei/Vierteldrei    

Wien/Wien

Fernseh/Fernsehen    

Taxi/Taxi

Nümm ynelah!/Nicht mehr reinlassen!

Pateschaft/Patenschaft    

Bündnerin/Bündnerin    

Schtandardschprach/Standardsprache

Dütsch/Deutsch

Schtudäntevrbindig/Studentenverbindung

Abdankig/Abdankung

Teschtamänt/Testament

Nächär/Nachher

Schmärz/Schmerz

Le coq est mort/Der Hahn ist tot    

Gyyge/Geige

Darwin/Darwin

Schoggihaas/Schokohase

Glück/Glück

Kunschtsammler/Kunstsammler

Rächnig/Rechnung

Ohrfyge/Ohrfeige

Mandle/Mandeln

Ferie/Ferien

Timo/Timo

Wünsche/Wünschen

Müed/Müde

Bank/Bank

Diräkter/Direktor

Schtümpe/Zigarren

Chatz/Katze

D Valerie u dr Tömu/Die Valerie und der Tommy

Hürate/Heiraten

Telefonterror/Telefonterror

Biud/Bild

Bestseller/Bestseller

Wätter/Wetter

Aggression/Aggression

Chäschpu/Kaspar

Gwinne/Gewinnen

Roberto/Roberto

D Nathalie/Nathalie

Jeanette/Jeanette

Ehrgyz/Ehrgeiz

Nichte/Nichte

Mäzenin/Mäzenin

Tochter/Tochter

Pruefsberater/Berufsberater

Profession/Profession

Kamera/Kameras

Linda/Linda

Wahri Gschicht/Wahre Geschichte

Zuekumft/Zukunft

Meinig/Meinung

Kommunischt/Kommunist

Babyfon/Babyfon

Restaurant/Restaurant

Schutte/Fußball

Outobahn/Autobahn    

Max Müuer/Max Müller

Grossi Umarmig/Große Umarmung

U nächär?/Und dann?    

Aute Maa/Alter Mann    

Nachwort

Guy Krneta

edition spoken script

Jeger

Im Summer hei mr e Wonig gmietet. Ar Adria. Imne Huus, wo nöi isch renoviert worde. Nid bsungers schön, nid bsungers liebevou. E Wonig, wo isch yygrichtet gsi für schtändig wächselndi Badegescht. Müglechscht unpärsönlech. Bi de Nachbarshüser het me no d Yyschusslöcher gseh, aber süsch sy mr überrascht gsi, wi weni me no cha gseh vo däm, wo hie los gsi isch vor zäh oder füfzäh Jahr, wi aus wider ufbout isch. Di Wonig het drü Zimmer gha, zwöi chlyni Schlafzimmer un es Wohnzimmer. Im Wohnzimmer het’s e Pouschtergruppe gha un e grosse Fernseh un e Schtereoaalag. Es Büechergschteu us furniertem Houz, ohni Büecher. Öppe drü oder vier Biuder het’s gha i dere Wonig, aus Originau, Naturdarschtelige, e chly naiv. Uf eim Biud het men e Meeresbucht gseh, umgäh vo Hügle, im Vordergrund Schiuf u Binse. Im Schiuf het’s e Hund gha, wo eim aagluegt het, mit ere toten Änten im Muu. Im Hingergrund het men en angere Hund chönne gseh, wo dür ds Wasser gloffen isch. My Frou het mi bätte, das Biud abzhänke. Wenigschtens für di zwo Wuche, wo mr da sy. – «Was i nid mah a däm Biud», het my Frou gseit, «isch, dass eim dä Hung aaluegt, wi wen’r eim di Änte wett bringe. Dass eim dä Hung, dür das, dass me nen aaluegt, zum Jeger macht.»

Jäger

Im Sommer haben wir eine Wohnung gemietet. An der Adria. In einem Haus, das neu renoviert worden war. Nicht besonders schön, nicht besonders liebevoll. Eine Wohnung, die eingerichtet war für ständig wechselnde Badegäste. Möglichst unpersönlich. Bei den Nachbarhäusern hat man noch die Einschusslöcher gesehen, aber ansonsten sind wir überrascht gewesen, wie wenig man noch sehen kann von dem, was hier losgewesen ist vor zehn oder fünfzehn Jahren, wie alles wieder aufgebaut ist. Die Wohnung hat drei Zimmer gehabt, zwei kleine Schlafzimmer und das Wohnzimmer. Im Wohnzimmer gab es eine Polstergruppe und einen großen Fernseher und eine Stereoanlage. Das Bücherregal aus furniertem Holz, ohne Bücher. Etwa drei oder vier Bilder gab es in der Wohnung, alles Originale, Naturdarstellungen, ein bisschen naiv. Auf einem Bild hat man eine Meeresbucht gesehen, umgeben von Hügeln, im Vordergrund Schilf und Binsen. Im Schilf war ein Hund, der einen angeschaut hat, mit einer toten Ente im Maul. Im Hintergrund hat man einen anderen Hund sehen können, der durchs Wasser gelaufen ist. Meine Frau hat mich gebeten, das Bild abzuhängen. Wenigstens für die zwei Wochen, die wir dagewesen sind. – «Was ich nicht mag an dem Bild», hat meine Frau gesagt, «ist, dass einen der Hund anschaut, als ob er einem die Ente bringen wollte. Dass einen der Hund, dadurch dass man ihn anschaut, zum Jäger macht.»

Churz uflüpfe

Letscht Wuchen isch mr öppis passiert. Z Züri. Isch mr einen entgäge cho. I ha scho vo Wytem gseh, dass dä öppis vo mir wott. U i ha tänkt: Ou, nei. Itz eifach nüüt drglyyche tue. Wäggluegen u a ihm vrby. I ha nid gwüsst, was dä vo mir wott. Aber dass’r öppis wott, isch düttlech gsi. Irgendwie merkt me das ja scho vo Wytem. Het ender normau usgseh, dä Typ. Gschäftsmaa vilech, um di vierzgi. Bruune Mantu het’r gha, wyysses Hemmli, Läbtoptäsche, Grawatte. U won’r uf mi zue isch, han i probiert, ihm uszwyyche. Aber är het mi imne sehr fründleche Ton aagschprochen u gseit: Tschuudigung, darf ig öich öppis fraage? Dörft ig öich ächt churz uflüpfe? – I bi nid drus cho. Tänkt, dä mach sech über mi luschtig. Nähm mi ufen Arm, auso nid imne wörtleche Sinn. Wüu ig ihm uswyyche. Wüu ig sy Blick nid erwideret ha. Aber är het gseit: I weiss, das tönt itz komisch. Dir müesst entschuudige. Däsch es Laschter vo mir. I ha eifach ab und zue ds Bedürfnis, öpper churz ufzlüpfe. – Was, han i gseit, eifach numen uflüpfe? – Ja, churz uflüpfe, het är gseit. När isch guet. – Aber dir passet uuf, han i gseit. I bi numen augemein vrsicheret. – Nenei, het’r gseit, mir passier scho nüüt. Är syg sech das gwöhnt. Är wüss, wi me d Lütt müess aapacke. – Auso, wen är mi nume churz wöu uflüpfe, han i gseit, da schpräch itz eigentlech nüüt drgäge. – Mersi, het’r gseit, i däm Fau. Syni Läbtoptäsche wägggschteut, d Ermu hingereglitzt. När het’r mi packt. Churz ufglüpft. Won’r mi abgschteut het, het’r gseit: Aha, so isch das. Nüüt für unguet. De wünsch i nech non e schöne Taag.

Kurz hochheben

Letzte Woche ist mir etwas passiert. In Zürich. Ist mir einer entgegengekommen. Ich hab schon von Weitem gesehen, dass der etwas von mir wollte. Und ich hab gedacht: Oh, nein. Jetzt einfach nicht auffallen. Wegschauen und an ihm vorbei. Ich hab nicht gewusst, was der von mir wollte. Aber dass er etwas wollte, das war deutlich. Irgendwie merkt man das ja schon von Weitem. Hat eher normal ausgesehen, der Typ. Geschäftsmann vielleicht, um die vierzig. Braunen Mantel hat er gehabt, weißes Hemd, Laptoptasche, Krawatte. Und als er auf mich zu ist, hab ich probiert, ihm auszuweichen. Aber er hat mich in einem sehr freundlichen Ton angesprochen und gesagt: Tschuldigung, darf ich Sie etwas fragen? Dürfte ich Sie kurz hochheben? – Ich war verunsichert. Dachte, der macht sich über mich lustig. Nimmt mich auf den Arm, also nicht im wörtlichen Sinn. Weil ich ihm ausweiche. Weil ich seinen Blick nicht erwidert habe. Aber er hat gesagt: Ich weiß, das hört sich jetzt komisch an. Sie müssen entschuldigen. Das ist ein Laster von mir. Ich hab einfach ab und zu das Bedürfnis, jemanden kurz hochzuheben. – Was, hab ich gesagt, einfach nur hochheben? – Ja, kurz hochheben, hat er gesagt. Dann ist gut. – Aber Sie passen auf, hab ich gesagt. Ich bin nur allgemein versichert. – Neinnein, hat er gesagt, mir passiere schon nichts. Er sei das gewohnt. Er wisse, wie man Leute anpacken müsse. – Also, wenn er mich nur kurz hochheben wolle, hab ich gesagt, da spräche jetzt eigentlich nichts dagegen. – Danke, hat er gesagt, also dann. Seine Laptoptasche weggestellt, die Ärmel hochgekrempelt. Dann hat er mich gepackt. Kurz hochgehoben. Als er mich abgestellt hat, hat er gesagt: Aha, so ist das. Nichts für ungut. Dann wünsch ich Ihnen noch einen schönen Tag.

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Malans

Ir Chrone z Malans het’s mau e Doppuhochzyt gäh. Zwo Hochzytsgseuschafte, wo nüüt mitenang z tüe gha hei, hei glyychzytig i zwöi vrschidnige Sääli gfyyret. Wahrschyynlech isch das ir Chrone z Malans gar nid so ussergwöhnlech u wahrschyynlech hei die o gnue Personau für settigi Fäu. I schteue mr vor, di beide Hochzytsgseuschafte syge liecht zytvrsetzt z Malans yytroffe. Vorhär sy si wahrschyynlech beidi ire Chile gsi oder ufemne Schtandesamt oder beides. Nächär het’s irgendwon es Aperitif gäh, bevor me byschpiuswyys mit em Car uf Malans wytergfahren isch. Vilech sy di Einte scho bim Salat gsi, wo di Angere sy cho. Vilech het’s für beidi Gseuschafte ds glyyche Mönü gäh. U vilech isch dr Ablouf bi beidne Gseuschaften en ähnleche gsi: het zersch d Brütigam-Mueter gredt, när dr Brutt-Vatter, het’s Produkzione gäh, es Rateschpiu, e Powerpoint-Präsentazion un es kollektivs Gschänk. Uf jede Fau het irgendwenn d Brutt vor einte Hochzytsgseuschaft, vilech nachem Houptgang, di het sicher o scho öppis trunke gha, uf ds WC müesse. Wo si usem WC usechunnt, begägnet si dert em Brütigam vor angere Hochzytsgseuschaft, wo synersyts usem Herre-WC usechunnt. Vilech hei si e blööde Witz gmacht. Emu sy si blybe schtah, hei mitenang aafah rede u hei sech, währentäm si so gredt hei mitenang, inenang vrliebt. – Dä, wo mir di Gschicht vrzeut het, behouptet, di zwöi, wo sich dert a ihrne Hochzyte vorem WC heige lehre kenne, syge hütt no zäme. Öb si ghürate hei, weiss i nid. U o nid, wo si auefaus gfyyret hei. Ir Chrone z Malans äuä ender nid. Aber vilech grad ersch rächt.

Malans

In der Krone zu Malans hats mal eine Doppelhochzeit gegeben. Zwei Hochzeitsgesellschaften, die nichts miteinander zu tun hatten, haben gleichzeitig in zwei verschiedenen Sälen gefeiert. Wahrscheinlich ist das in der Krone zu Malans gar nicht so außergewöhnlich und wahrscheinlich haben die auch genug Personal für solche Fälle. Ich stelle mir vor, die beiden Hochzeitsgesellschaften sind leicht zeitversetzt in Malans eingetroffen. Vorher sind sie wahrscheinlich beide in der Kirche gewesen oder auf einem Standesamt oder beides. Nachher hats irgendwo den Aperitif gegeben, bevor man beispielsweise mit dem Bus nach Malans weitergefahren ist. Vielleicht sind die Einen schon beim Salat gewesen, als die Anderen gekommen sind. Vielleicht hats für beide Gesellschaften das gleiche Menü gegeben. Und vielleicht ist der Ablauf bei beiden Gesellschaften ein ähnlicher gewesen: Hat zuerst die Bräutigam-Mutter geredet, dann der Braut-Vater, hats Produktionen gegeben, ein Ratespiel, eine Powerpoint-Präsentation und ein kollektives Geschenk. Auf jeden Fall hat die Braut von der einen Hochzeitsgesellschaft, vielleicht nach dem Hauptgang, die hat sicher schon etwas getrunken gehabt, auf die Toilette müssen. Wie sie aus der Toilette herauskommt, begegnet sie dort dem Bräutigam von der anderen Hochzeitsgesellschaft, der seinerseits aus der Herren-Toilette herauskommt. Vielleicht haben sie blöde Witze gemacht. Jedenfalls sind sie stehen geblieben, haben angefangen miteinander zu reden und haben sich, während sie so geredet haben miteinander, ineinander verliebt. – Der, der mir die Geschichte erzählt hat, behauptet, die zwei, die sich da an ihren Hochzeiten vor der Toilette kennen gelernt hätten, seien heute noch zusammen. Ob sie geheiratet haben, weiß ich nicht. Und auch nicht, wo sie allenfalls gefeiert haben. In der Krone zu Malans eher nicht. Aber vielleicht grad erst recht.

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Felix

Chürzlech bin i yyglade gsi. Bimne Schueukolleg, won i lang nümm ha gseh gha. Ir Schueu hei mr is aube no so möge. När hei mr is us den Ouge vrloore. Zuefäuigerwyys sy mr is wider begägnet. Im Tram. Itz mache mr de mau ab, hei mr beidi gseit. U när het är mi yyglade. Zu sym Vierzigschten a Bielersee. E schönen Ort gsi, diräkt am See. Am füfi het me sech dert troffe. Het viu Lütt gha. I ha praktisch niemer kennt. Viu, wo my Schueukolleg prueflech mit ne z tüe het. Paar, won’r kennt het usem Schtudium. I ha lang mit syre Mueter gredt, di han i kennt vo früecher. Dr Vatter syg vor paar Jahr gschtorbe. A dä ha mi nid chönne bsinne. Sy Schwöschter isch dert gsi, mit zwöi Ching und emne Maa, wo aber nid dr Vatter syg vo de Ching. Un e Cousin, won i o kennt ha vor Schueu. Zersch het’s Aperitif gäh, när es Znacht, am Schluss het me tanzet. Won i uf d Uhr gluegt ha, isch haubi zwöufi gsi. D Lütt hei aagfange, sech z vrabschide. I mues o, han i tänkt, i mues no hei. U de bin i dert gschtangen u ha mi vo däm Kolleg wöue vrabschide, wo sech vo aunen Angere het müesse vrabschide, wo glyychzytig hei hei wöue. U i ha tänkt: Schad, itz hei mr is so lang nid gseh u sy gar nid drzue cho z rede. U de isch plötzlech eine näbe mir gschtange, won i nid kennt ha, won i gar nid wahrgno ha, dr ganz Aabe, dä het mr d Hang gäh u gseit, är syg dr Felix. U i ha tänkt: So, itz bin i dutzis mit em Felix. O wen i ne nie meh gseh. U wen i ne würd gseh, würd i nen äuä nümm kenne. U är mi o nid. – Fröit mi, han i gseit, i bi dr Guy. – De mach’s guet, Guy, het’r gseit. – U i: Äbefaus, Felix. Chumm guet hei.

Felix

Kürzlich bin ich eingeladen gewesen. Bei einem Schulkollegen, den ich lange nicht mehr gesehen hatte. In der Schule haben wir uns eigentlich noch gemocht. Dann haben wir uns aus den Augen verloren. Zufälligerweise sind wir uns wieder begegnet. In der Straßenbahn. Jetzt machen wir aber mal was ab, haben wir beide gesagt. Und dann hat er mich eingeladen. Zu seinem Vierzigsten an den Bielersee. Ein schöner Ort gewesen, direkt am See. Um fünf hat man sich getroffen. Waren viele Leute da. Ich hab praktisch niemanden gekannt. Viele, mit denen mein Schulkollege beruflich zu tun hat. Paar, die er gekannt hat aus dem Studium. Ich hab lange mit seiner Mutter geredet, die hab ich gekannt von früher. Der Vater sei vor paar Jahren gestorben. An den hab ich mich nicht erinnern können. Seine Schwester ist da gewesen, mit zwei Kindern und einem Mann, der aber nicht der Vater sei von den Kindern. Und ein Cousin, den ich auch von der Schule gekannt habe. Zuerst hats Aperitif gegeben, dann das Abendessen, am Schluss hat man getanzt. Als ich auf die Uhr geschaut hab, ist es halb zwölf gewesen. Die Leute haben angefangen, sich zu verabschieden. Ich muss auch, hab ich gedacht, ich muss noch heim. Und hab da gestanden und hab mich von dem Kollegen verabschieden wollen, der sich von allen anderen hat verabschieden müssen, die gleichzeitig gehen wollten. Und ich hab gedacht: Schade, jetzt haben wir uns so lange nicht gesehen und sind gar nicht dazu gekommen zu reden. Und dann stand plötzlich einer neben mir, den ich nicht gekannt hab, den ich gar nicht wahrgenommen hab, den ganzen Abend, der hat mir die Hand gegeben und gesagt, er sei der Felix. Und ich hab gedacht: So, jetzt bin ich per Du mit dem Felix. Auch wenn ich ihn nie mehr sehe. Und wenn ich ihn sehen würde, würde ich ihn vermutlich nicht kennen. Und er mich auch nicht. – Freut mich, hab ich gesagt, ich bin der Guy. – Dann machs gut, Guy, hat er gesagt – Und ich: Ebenfalls, Felix. Komm gut heim.

Fabrizius

Si syg drü gsi, het d Francesca gseit, wo si e Brüetsch übercho heig. U wo ihre Vatter i ds Zimmer cho syg, für ihre z säge, si heig e Brüetsch übercho, e Fabrizius, heig si gseit, si wöu ke Fabrizius. Ihre Vatter heig gmeint, es handli sech um di üblechi Yyvrsucht vor Erschtgebornige, wo inschtinktiv merk, dass si itz entthront wärd. Drum heig’r aafah uf sen yyrede. Was das für Vorteile heig, son e chlynere Brüetsch z ha. U dass si itz de immer öpper wärd ha zum Schpile. U wen’r grösser syg, dr Fabrizius, chönn sin ihm aube dr Schoppe gäh. U si überchöm säuber es Bääbi, wo Fabrizius heissi, wo sin ihm chönn dr Schoppe gäh, scho itz. U d Windle wächsle, wi richtig. Aber si heig eifach gseit, si wöu ke Fabrizius. U es syg lang gange, bis ihre Vatter gmerkt heig, het d Francesca gseit, dass es ihre gar nid um dä chlyner Brüetsch gange syg, denn. Uf dä heig si sech eigentlech gfröit. Sondern um dä Name Fabrizius. Wo si denn so schrecklech gfunge heig. Das «Zius» am Schluss u das «Fabri» am Aafang. Dä schrecklech Name, wo me gar nid rächt heig chönne säge. U si heig eifach ke Brüetsch wöue, het d Francesca gseit, wo so heissi. Drum heig si trotzet, so lang bis ihre Vatter dr Mueter aaglütte heig i ds Schpitau. U wo si em näächschte Taag i ds Schpitau syge, ihre Vatter und si, für gah d Mueter z bsuechen u dr chlyner Brüetsch, heig dä chlyner Brüetsch bereits Roberto gheisse.

Fabrizius

Sie sei drei gewesen, hat die Francesca gesagt, als sie einen Bruder bekommen habe. Und als ihr Vater ins Zimmer gekommen sei, um ihr zu sagen, sie habe einen Bruder bekommen, einen Fabrizius, habe sie gesagt, sie wolle keinen Fabrizius. Ihr Vater habe gemeint, es handle sich um die übliche Eifersucht der Erstgeborenen, die instinktiv merke, dass sie jetzt entthront werde. Drum habe er angefangen auf sie einzureden. Was das für Vorteile habe, so einen kleinen Bruder zu haben. Und dass sie jetzt dann immer jemanden haben werde zum Spielen. Und wenn er größer sei, der Fabrizius, könne sie ihm die Flasche geben. Und sie bekomme selber eine Puppe, die Fabrizius heiße, der sie dann die Flasche geben könne, jetzt schon. Und die Windeln wechseln, wie in echt. Aber sie habe einfach gesagt, sie wolle keinen Fabrizius. Und es habe lange gedauert, bis ihr Vater gemerkt habe, hat die Francesca gesagt, dass es ihr gar nicht um den kleinen Bruder gegangen sei, damals. Auf den habe sie sich eigentlich gefreut. Sondern um den Namen Fabrizius. Den sie damals so schrecklich gefunden habe. Das «Zius» am Schluss und das «Fabri» am Anfang. Den schrecklichen Namen, den man gar nicht richtig habe sagen können. Und sie habe einfach keinen Bruder gewollt, hat die Francesca gesagt, der so heiße. Drum habe sie getrotzt, so lange bis ihr Vater die Mutter angerufen habe im Krankenhaus. Und als sie am nächsten Tag ins Krankenhaus seien, ihr Vater und sie, um die Mutter zu besuchen und den kleinen Bruder, habe der kleine Bruder bereits Roberto geheißen.

Lammflügeli

Dass i geng aus mues läse. I cha nid amne Wort oder Satz vrbyloufe, ohni z läse. Sit i ha glehrt läse, han i vrlehrt nid z läse. O wen i e Satz hundert Mau lise, wüu i hundert Mau a ihm vrbyloufe. I lise ne jede Taag. So lis i sit paar Taag, wen i a üsem Metzger vrbyloufe: «Heute frische Lammflügeli.» Chürzlech bin i churz drvor gsi, ynezgah un es Pfung mitznäh. Da isch mr i Sinn cho, dass i am Aaben yyglade bi u über ds Wuchenändi wägg. U de mues i das Fleisch wider yygfrüüre, han i tänkt. Wo doch scho ds ganze Chüeufach vou isch un i’s gschyder mau würd abtoue. Aber won i so gloffe bi, han i plötzlech tänkt: Was sy Lammflügeli überhoupt? Git’s das überhoupt? Immerhin, isch mr düre Chopf, hei Lämmli ja keni Flügu. Vilech isch öppis gmeint, wo nume so usgseht wi Flügu, han i tänkt. Es Schlüssubei vom Schaf. So wi Fleischvögu o keni richtige Vögu sy. I bi druff u drann gsi umzchehren u zrügg. I d Metzgerei gah fraage, was Lammflügeli sy. Bi aber sicher gsi, dass i när, we’s mr d Metzgersfrou erkläärt hätt u mi würd fraage, öb i gärn es Pfung wett, de nid dr Muet hätt, nei z säge. Un es Pfung würd näh, won i när wider müesst yygfrüüre deheime. Dr ganz Taag het mi das beschäftiget, di Lammflügeli. U am Aabe, won i am Metzger vrbygloffe bi, het dä scho zue gha. Über ds Wuchenändi bin i, wi gseit, wägg gsi. Aber am Mänti, won i wider bim Metzger vrbygloffe bi, het’s dert gheisse: «Achtung, heute frische Bluthunde.» So macht dä das, han i tänkt. Dä weiss, dass i nid a sym Lade cha vrbyloufe, ohni z läse. Aber das Mau, han i tänkt, vrwütscht dä mi nid, mit Bluethüng vrwütscht dä mi nid.

Lammflügel

Dass ich immer alles lesen muss. Ich kann nicht an einem Wort oder Satz vorbeigehen, ohne zu lesen. Seit ich gelernt hab zu lesen, habe ich verlernt nicht zu lesen. Auch wenn ich einen Satz hundert Mal lese, weil ich hundert Mal an ihm vorbeigehe. Ich lese ihn jeden Tag. So les ich seit paar Tagen, wenn ich bei unserem Metzger vorbeilaufe: «Heute frische Lammflügel.» Kürzlich war ich kurz davor, hineinzugehen und ein Pfund mitzunehmen. Da ist mir in den Sinn gekommen, dass ich am Abend eingeladen bin und über das Wochenende weg. Und dann muss ich das Fleisch wieder einfrieren, hab ich gedacht. Wo doch schon das ganze Kühlfach voll ist und ichs gescheiter mal abtauen würde. Aber wie ich so weiterging, hab ich plötzlich gedacht: Was sind Lammflügel überhaupt? Gibts das überhaupt? Immerhin, ging mir durch den Kopf, haben Lämmer ja keine Flügel. Vielleicht ist etwas gemeint, was nur so aussieht wie Flügel, hab ich gedacht. Das Schlüsselbein vom Schaf. So wie Fleischvögel auch keine richtigen Vögel sind. Ich bin drauf und dran gewesen umzukehren und zurück. In die Metzgerei fragen, was Lammflügel sind. Ich war mir aber sicher, dass ich später, wenn mirs die Metzgersfrau erklärt hätte und mich fragen würde, ob ich gern ein Pfund wolle, dann nicht den Mut hätte, nein zu sagen. Und das Pfund nehmen würde, das ich später wieder einfrieren müsste daheim. Den ganzen Tag hat mich das beschäftigt, die Lammflügel. Und am Abend, als ich beim Metzger vorbeigelaufen bin, hat der schon zugehabt. Übers Wochenende bin ich, wie schon gesagt, weggewesen. Aber am Montag, als ich wieder beim Metzger vorbeiging, stand dort: «Achtung, heute frische Bluthunde.» So macht der das, hab ich gedacht. Der weiß, dass ich nicht an seinem Laden vorbeigehen kann, ohne zu lesen. Aber dieses Mal, hab ich gedacht, erwischt der mich nicht, mit Bluthunden erwischt der mich nicht.

Schrybe

E Schtress bis churz vorhär. Es Ghetz, bis’r’s äntlech gschafft heig sech loszryysse. Är heig sech vorgno, het dr Fräne gseit, das Jahr zäh Taag elei i d Ferie. U zäh Taag zäme mit dr Fründin, wo de nachechunnt. Är heig es Huus gmietet im Tessin. Ganz abgläge. Fliessends Wasser vorem Huus. U won’r äntlech syg aacho, syg’r i ds Bett u heig euf Schtung gschlafe. Em näächschte Taag syg’r vor ds Huus gsässe u heig dr Fründin wöuen e Brief schrybe. Nid wüu’r ihren irgendöppis Beschtimmts heig wöue mitteile, meh für sich, für syni Gedanke z ordne. U won’r so gschribe heig, heig’r uf ds Mau sy Brief aagluegt, das Gschluder, syni eigeti Schrift, won’r säuber chuum heig chönnen entziffere, di nid fertig gschribnige Wörter, wo aui am Schluss usfranse. Är syg vrchlüpft. Es syg ihm vorcho, wi wen’r da würd ine Schpiegu luegen u eine gseh, wo drann syg sech ufzlööse. Är heig sech nüüt Beschtimmts vorgno für di Zyt. Är heig Büecher drbygha u Ungerlaage. Aber uf ds Mau heig’s ihn tünkt, bevor är überhoupt wider irgendöppis Angers chönn mache, müess är Ornig mache, ufruume, syni Handschrift ine Form bringe, dass me vore Schrift überhoupt wider chönn rede. Är heig dr Brief wägggleit u no mau vor aagfange. Bir Aareed. Är heig lehre schrybe wi vor füfedryyssg Jahr ir Primarschueu. Buechschtaben um Buechschtabe. Wort für Wort. Sytene heig’r gfüut mit em immer glyyche Wort, dr Aared, em Name vor Fründin. U wen’r ds Gfüeu heig gha, mou, so wöu är das Wort vo itz aa schrybe, syg’r wyter. Zäh Taag lang, het dr Fräne gseit, heig’r Taag für Taag für sich elei im Tessin lehre schrybe. Em letschte Taag heig’r syre Fründin dä Brief gschribe. Wo nüüt drinn gschtande syg, nüüt Wichtigs. Aber so gschribe, dass är, dr Fräne, syren eigete Schrift wider heig chönnen i d Ouge luege.

Schreiben

Ein Stress bis kurz vorher. Das Gehetze, bis ers endlich geschafft habe sich loszureißen. Er habe sich vorgenommen, hat der Franz gesagt, dieses Jahr zehn Tage allein in die Ferien. Und zehn Tage zusammen mit der Freundin, die dann nachkommt. Er habe das Haus gemietet im Tessin. Ganz abgelegen. Fließend Wasser vor dem Haus. Und als er endlich angekommen sei, sei er ins Bett und habe elf Stunden geschlafen. Am nächsten Tag habe er sich vors Haus gesetzt und der Freundin einen Brief schreiben wollen. Nicht weil er ihr etwas Bestimmtes mitteilen wollte, mehr für sich, um seine Gedanken zu ordnen. Und als er so geschrieben habe, habe er auf einmal seinen Brief angeschaut, das Geschluder, seine eigene Schrift, die er selber kaum habe entziffern können, die nicht fertig geschriebenen Wörter, die alle am Schluss ausfransen. Er sei erschrocken. Es sei ihm vorgekommen, als ob er in den Spiegel schauen würde und einen sähe, der dabei sei, sich aufzulösen. Er habe sich nichts Bestimmtes vorgenommen für die Tage. Er habe Bücher dabeigehabt und Unterlagen. Aber auf einmal habe er gedacht, bevor er überhaupt wieder irgendetwas Anderes machen könne, müsse er Ordnung schaffen, aufräumen, seine Handschrift in eine Form bringen, dass man von einer Schrift überhaupt wieder reden könne. Er habe den Brief weggelegt und noch mal angefangen. Bei der Anrede. Er habe schreiben gelernt wie vor fünfunddreißig Jahren in der Grundschule. Buchstabe für Buchstabe. Wort für Wort. Seiten habe er gefüllt mit dem immer gleichen Wort, der Anrede, dem Namen seiner Freundin. Und wenn er das Gefühl hatte, doch, so wolle er das Wort ab jetzt schreiben, sei er weiter. Zehn Tage lang, hat der Franz gesagt, habe er Tag für Tag für sich alleine im Tessin schreiben gelernt. Am letzten Tag habe er seiner Freundin den Brief geschrieben. In dem nichts stand, nichts Wichtiges. Aber so geschrieben, dass er, der Franz, seiner eigenen Schrift wieder habe in die Augen schauen können.

Ds Chiuchli vo Wasse

Är fahr viu i ds Tessin, het mr dr Fräne gseit, är kenn di Schtrecki wi sy eiget Hosesack. So mängisch syg är die gfahre. U itz heige die ihm chürzlech im Zug erkläärt, wi dr Zug de i Zuekumft düre Gotthard wärd fahre. Dass es keni Chehrtunnle meh bruuch wägem Gotthardbasistunnu. Är heig nüüt gäge Gotthardbasistunnu, het dr Fräne gseit. Im Gägeteil, är fröi sech, we me schnäuer i ds Tessin abe chöm. Aber är überleg sich haut, was de passier mit em Chiuchli vo Wasse. Wüu ds Chiuchli vo Wasse, oder, syg es absolut unschpektakulärs Chiuchli, wi’s mehreri heig a dere Schtrecki aben i ds Tessin, wo me ane vrbyraas, ohni sech z achte. Das Chiuchli heig doch numen e Bedüttig, wüu me’s drü Mau gsääch, vom Zug uus, jedes Mau us eren angere Perschpektive. U we me’s itz de nume no einisch gsääch, us eire Perschpektive, a ihm vrbyraas, blyb doch nümmeh vo däm Chiuchli übrig. Guet, es Zytli wärd me no wüsse: Däsch ds Chiuchli vo Wasse, wo me früecher vom Zug uus drü Mau gseh het. Aber d Erinnerig wärd vrblasse. Mit eire Generazion. U de syg d Schwyzz wider umnes nazionaus Symbou ermer. Umne turistische Höhepunkt, wo me bis wyt i ds Ussland use kenn. U är wunderi sich nume, dass sech nid lengschtens es Iniziativkomitee formiert heig zur Rettig vor symbolische Bedüttig vom Chiuchli vo Wasse. – Wi gseit, är heig nüüt gäge Gotthardbasistunnu, het dr Fräne gseit, aber me chönnt ja dä Basistunnu bouen u d SBB zwinge, di Chehrtunnle trotzdäm z benütze. Oder no drei zuesätzlechi Chehrtunnlen yyzboue. – Das syg nid sy Ärnscht, han i em Fräne gseit. – Aber dr Fräne het mi so aagluegt u gseit: Mou. Grad du söttsch das wüsse. Du schrybsch Gschichte. Du schaffsch o mit settigne Tricks.

Die Kirche von Wassen