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Aus dem Land der Mitternachtssonne ...
Die drei Liebesgeschichten in diesem Buch entführen Sie in den hohen Norden: in die traumhaft schöne Hauptstadt Stockholm, in die faszinierende Weite der schwedischen Natur und in die zauberhafte Schärenlandschaft mit all ihren kleinen und großen Inseln.
Dieses eBook enthält die folgenden gefühlvollen Liebesromane:
Inselsommer.
Unter dem Sommermond.
Mittsommerliebe.
Mit typisch schwedischen Rezepten im Anhang.
"Inga Lindströms Erzählungen stehen in der Tradition von Charlotte Link, Rosamunde Pilcher und Barbara Wood." Hamburger Abendblatt, Hamburg
eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.
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Seitenzahl: 572
Veröffentlichungsjahr: 2018
Aus dem Land der Mitternachtssonne …
Die drei Liebesgeschichten in diesem Buch entführen Sie in den hohen Norden: in die traumhaft schöne Hauptstadt Stockholm, in die faszinierende Weite der schwedischen Natur und in die zauberhafte Schärenlandschaft mit all ihren kleinen und großen Inseln.
Inga Lindström ist das Pseudonym einer erfolgreichen Drehbuchautorin. Sie ist verheiratet mit einem Bildhauer und Mutter einer Tochter. Sie pendelt zwischen Großstadt und Land. Nachdem sie Jura und Anglistik studiert und einige Jahre als Journalistin gearbeitet hatte, wandte sie sich dem Theater zu. Sie arbeitete bald auch als Dramaturgin für verschiedene Fernsehproduktionsgesellschaften. Und fing schließlich an, selbst Drehbücher zu schreiben.
INGA LINDSTRÖM
Mittsommerzauber
Liebesgeschichten aus Schweden
beHEARTBEAT
Digitale Neuausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Copyright © 2009/2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Covergestaltung: Massimo Peter-Bille unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Mongkol Rujitham | TTphoto
eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-4650-3
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Wenigstens frühstücken könntest du noch mit uns«, sagte Eva zu Henning, während sie gemeinsam aus dem Haus traten. Doch im selben Moment, als sie es aussprach, merkte sie, dass sie es gar nicht so meinte. In Wahrheit freute sie sich darauf, mit Britta allein zu sein.
Zusammensitzen, klönen, lachen, in alten Erinnerungen schwelgen – es war nicht dasselbe, wenn Henning dabei war. Britta behandelte Henning zwar mit ausgesuchter Freundlichkeit, aber Eva war ziemlich sicher, dass sie ihn nicht sonderlich mochte. In Anbetracht der Tatsache, dass er nicht nur Evas Chef, sondern auch ihr Freund war, stellte das ein nicht zu übersehendes Dilemma dar, und Eva fragte sich in diesem Moment wieder, wieso ihr Freund und ihre beste Freundin nicht unter einen Hut zu bringen waren. In umgekehrter Richtung existierte dieses Problem nicht. Eva hatte Peter, Brittas Mann, auf Anhieb gut leiden können.
Sie streckte die Hand aus, um ihre Freundin zu stützen. Britta ließ es sich mit übertriebenem Augenrollen gefallen, und Eva unterdrückte ein Grinsen. Wäre Henning nicht dabei gewesen, hätte Britta vermutlich eine ihrer gewohnt sarkastischen Bemerkungen vom Stapel gelassen, zum Beispiel Ich bin schwanger, aber nicht invalide oder Pass lieber auf deine eigenen Füße auf.
Stattdessen sagte sie: »Bleib ruhig noch zum Frühstück, Henning. Deine Firma kommt doch bestimmt noch einen Tag ohne dich aus, oder?«
»Ich fürchte, wir können es kaum verkraften, wenn Eva vier Wochen nicht in der Firma ist«, sagte Henning.
Britta lachte. »Jetzt macht er mir wirklich ein schlechtes Gewissen.«
»Unsinn«, meinte Henning.
»Keine Sorge, Henning kommt prima ohne mich zurecht«, ergänzte Eva. »Vier Wochen sind schnell vorbei, und ich denke gar nicht dran, dich beim Kinderkriegen allein zu lassen. Wozu sind beste Freundinnen da?«
Henning verzog das Gesicht, ein Ausdruck zwischen Amüsement und Spott. »Frauenpower, hm?« Achselzuckend setzte er hinzu: »Es ist schon in Ordnung. Ich werde es überleben, und die Firma auch.«
Er öffnete die Wagentür und warf seine Reisetasche auf den Rücksitz. Seine Bewegungen ließen Eile erkennen. Schon als sie gestern Abend hier angekommen waren, hatte Eva gemerkt, dass er sich nicht sonderlich wohl gefühlt hatte. Während der Fahrt hierher hatte er Witze über die ländliche Gegend gerissen und behauptet, dass es rund um Barkhult vermutlich mehr Elche und Wölfe gebe als vernünftige Menschen. »Wer freiwillig hier rauszieht, hat sie doch nicht mehr alle«, hatte er gemeint.
Dem hatte Eva mit einer Bestimmtheit widersprochen, die Henning wahrscheinlich nicht an ihr gewohnt war. »Ich finde es wundervoll«, hatte sie entschieden erwidert.
Die Menschen dieser Gegend lebten überwiegend von der Fischerei und der Landwirtschaft, und nur in den etwas größeren Orten blühte vereinzelt auch der Tourismus. Auch Barkhult mit seiner malerischen Seenlandschaft und den Birkenwäldern lockte eine Reihe Sommerfrischler an, doch es war und blieb auch bei objektiver Betrachtungsweise ein Kaff. Dennoch mochte Eva jeden Winkel dieser Gegend, jedenfalls, so weit sie bisher hier herumgekommen war.
Henning wandte sich zu ihr um. »Wiedersehen«, sagte er, während er Eva in seine Arme zog. »Viel Spaß in der Provinz. Und pass auf dich auf!«
Sie hob ihm das Gesicht entgegen und erwiderte seinen Kuss mit aller Wärme, die sie im Moment aufbringen konnte, doch sie merkte beklommen, dass es nicht allzu viel war. Als Henning sie losließ, trat sie hastig einen Schritt zurück und legte den Arm um Brittas Schultern. Henning setzte sich hinters Steuer, ließ das Seitenfenster herabgleiten und streckte den Kopf heraus. »Also, bis dann.«
»Kommst du am Wochenende her?«, fragte Eva aus einem Impuls heraus. Vielleicht wäre ja alles wieder in Ordnung, wenn er in ein paar Tagen wiederkam! Möglicherweise brauchte sie nur mal eine kurze Auszeit, ein bisschen Abstand von der Arbeit. Und von ihm.
»Komm doch einfach«, wiederholte sie zögernd. »Ohne Laptop, ohne Arbeit. Nur mal so, zum Ausspannen!« Vielleicht war das ja genau das, was sie beide brauchten! Doch noch bevor sie den abweisenden Ausdruck in seinen Augen sah, wusste Eva, dass sie sich in diesem Punkt etwas vormachte. Ob mit oder ohne Laptop, er hasste das Land, und daran würde sich auf die Schnelle sicher nichts ändern.
»Du lieber Himmel!« Henning schüttelte lächelnd den Kopf. »Kommt überhaupt nicht infrage. Einer von uns beiden muss ja arbeiten.«
»Keine Sorge«, warf Britta leichthin ein. »Hier hat sie Arbeit genug. Bis dann, Henning.«
»Gute Fahrt«, ergänzte Eva eilig.
Henning betrachtete dies offenbar als endgültiges Zeichen für seinen Aufbruch, denn er brauchte keine drei Sekunden, um das Fenster zu schließen und den Motor zu starten. Er winkte Eva über die Schulter zu, während er in einem aufspritzenden Schauer von Kieseln davonfuhr. Eva spürte, wie ihr zwei oder drei der Steinchen gegen die Schienbeine schlugen, doch sie wich nicht zurück. Immer noch den Arm um Brittas Schultern gelegt, schaute sie dem Wagen nach, bis er um die nächste Biegung verschwunden war.
*
»Und jetzt?«, fragte Britta.
»Jetzt ist er weg«, sagte Eva überflüssigerweise.
»Ja, er ist weg.« Es klang abwartend, so, als wollte Britta ihrer Freundin Gelegenheit geben, über ihre Gefühle zu sprechen. Doch danach stand Eva nicht der Sinn.
»Also dann«, sagte sie entschlossen. »Ich würde sagen, jetzt gibt es erst mal ein super Frühstück!«
»Gute Idee«, meinte Britta gelassen.
Gemeinsam gingen sie zurück zum Haus. Eva dachte darüber nach, wie lange es her war, dass sie Henning das letzte Mal vermisst hatte. Wann war das gewesen? Im letzten Dezember vielleicht? Damals hatte sie Britta und Peter in der Zeit zwischen Lucia-Fest und Heiligabend beim Einrichten und Dekorieren des Hauses geholfen. Sie hatten die Wände gestrichen, die Küche eingebaut und Gardinen aufgehängt. Später hatten sie gemeinsam die Räume mit Stechpalmen geschmückt und im Wald Kaminholz geschlagen. Henning hatte versprochen, an Heiligabend nachzukommen, doch daraus wurde nichts, weil er zu viel Arbeit hatte. Am zweiten Weihnachtstag hatte es dann an der Tür gepoltert, und in einer aufstiebenden Wolke aus Schnee war Henning doch noch aufgetaucht, mit einem Sack voller skurriler Geschenke. Es war ein verspätetes, aber ausgelassenes Julklapp geworden, mit Rumpunsch, gebackenen Äpfeln und viel guter Laune. Sie hatten zusammen gelacht und gefeiert und abends stundenlang vor dem Kamin gesessen.
Eva kam es vor, als sei es hundert Jahre her. Wie konnte sich alles seitdem so sehr verändert haben?
Sie seufzte, während sie Britta zur Haustür folgte. Die Morgensonne tauchte die Fassade in ein strahlendes Licht und ließ das mattgelbe Mauerwerk wie altes Gold leuchten. Rechts und links vom Eingang setzten blühende Hibiskusbüsche in großen Terrakottatöpfen farbige Akzente. Zusammen mit den ebenfalls in Pflanzkübeln wachsenden Oleander- und Rosmarinsträuchern verliehen sie dem Vorgarten ein beinahe mediterranes Flair.
Britta besaß das, was Hobbygärtner und alle, die es gerne wären, als grünen Daumen bezeichnen. Sie umhegte die Topfpflanzen vor dem Haus mit demselben Eifer, den sie auch dem kleinen Gemüsegarten vor der Küche und der bunten Kakteensammlung in ihrem Wintergarten angedeihen ließ. Wo immer sie sich aufhielt, schien ihre Umgebung sich auf wundersame Weise in ein grünes Paradies zu verwandeln.
Hin und wieder wünschte Eva sich, nur einen kleinen Teil der Entschlossenheit zu besitzen, mit der Britta ihr Leben managte. Ihre Freundin schien immer mit traumwandlerischer Sicherheit im Voraus zu wissen, was sie als Nächstes tun würde. Im Frühling des vergangenen Jahres hatte sie Peter kaum kennen gelernt, als sie auch schon sicher war, dass er der Vater ihrer Kinder sein würde. Als Malin, seine Tante, Britta kurz nach der Hochzeit im letzten Sommer angeboten hatte, ihren Laden zu übernehmen, hatte Britta sofort zugestimmt. Aus dem Andenkenshop war inzwischen ein Geschäft mit Kunsthandwerk für gehobene Ansprüche geworden, das sich überregionaler Beliebtheit erfreute.
»Woran denkst du?«, fragte Britta, während sie sich in der Küche am Tisch niederließ, das Kreuz durchgedrückt und vorsichtig den dicken Bauch von der Tischkante wegschiebend.
»Vielleicht wünsche ich mir ja mehr Energie«, sagte Eva.
»Davon hast du mehr als genug«, widersprach Britta. »Wünsch dir lieber, sie sinnvoll einzusetzen.«
»Gute Idee.« Eva schaute sich in der Küche um. »Wie war das gleich mit dem Frühstück?«
»Oh, natürlich. Das Frühstück.« Britta machte Anstalten, wieder aufzustehen, doch Eva legte ihr die Hände auf die Schultern und drückte sie auf den Stuhl zurück.
»Stopp. Du bleibst schön sitzen. Das fällt ab sofort in meine Zuständigkeit.«
Britta hob zu einem Protest an und schob den Stuhl zurück, doch Eva fiel ihr mit gespielter Strenge ins Wort. »Wehe, du stehst auf! Was glaubst du, weshalb ich hier bin?«
Britta verzog das Gesicht. »Nicht, um mich rumzukommandieren. Ich wollte nur die Milch rausholen.«
»Das mache ich. Kaffee, Saft, Toast – was immer du willst, ich hole es.« Ohne mit dem Reden aufzuhören, öffnete Eva den Kühlschrank und inspizierte die gut sortierten Vorräte. »Möchtest du Käse? Fleischbällchen? Fischsalat?«
Britta grinste und verschränkte die Hände über dem Bauch. »Habe ich gerade Fischsalat gehört? Zum Frühstück?«
»Ich dachte, Schwangere haben die absonderlichsten Vorlieben«, gab Eva zurück.
Britta lachte. »Am Anfang war das wirklich so. Da hätte ich kiloweise Schafskäse verdrücken können.«
»Schafskäse? Was ist daran unnormal?«
»Ich habe ihn mit Nugatcreme gegessen«, sagte Britta trocken.
»Oh.«
»Ganz recht. Ein Sakrileg, vor allem bei Gustavs Käse.«
»Wer ist Gustav?«
»Ein Schafbauer. Hat seinen Hof hier ganz in der Nähe, fünf Minuten mit dem Rad. Ist ein komischer alter Kauz. Die Leute mögen ihn nicht, aber das stört ihn nicht weiter. Er lebt ganz allein mit seinem Hund da draußen, hält aber alles prächtig in Schuss. Seine Wolle ist die beste in der ganzen Gegend. Und wenn man seinen Käse probiert hat, will man keinen anderen mehr.«
»Wenn es derselbe Käse ist, den ich bei meinem letzten Besuch hier gegessen habe, hast du völlig Recht.« Eva holte das Käsebrett aus dem Kühlschrank, trug es zum Tisch und nahm den Deckel ab. Mit spitzen Fingern zupfte sie ein Stück von dem cremigen Weichkäse und schob es sich in den Mund. »Mhm!« Sie schloss die Augen und ließ das milde und dennoch würzige Aroma auf der Zunge zergehen. »Stimmt, davon kann man wirklich kiloweise essen. Sogar ohne schwanger zu sein.«
Britta streckte die Hand nach dem Käsemesser aus, doch mitten in der Bewegung erstarrte sie. Alarmiert beobachtete Eva, wie ihre Freundin die Hände gegen den Bauch presste und sich zusammenkrümmte.
»Was ist los?«
Britta atmete durch und richtete sich wieder auf. »Da übt nur jemand für die Boxweltmeisterschaften.« Sie lächelte schwach. »Jetzt guck nicht so erschrocken. Das ist ganz normal.«
Eva war anderer Ansicht. »Du legst dich sofort hin.« Der Schreck steckte ihr noch in den Gliedern, als sie Britta half aufzustehen und sie mehr oder weniger auf das Sofa im Wohnzimmer nötigte. Britta ließ es sich zuerst murrend, dann mit zunehmender Belustigung gefallen, dass Eva sie stützte und ihr ein Kissen unter die hochgelegten Füße packte.
»Soll ich einen Arzt rufen?«
»Wozu? Ich bin kerngesund.«
»Und wenn das Kind kommt?«
»Glaub mir, das würde ich merken.«
»Gut. Auf jeden Fall bleibst du jetzt erst mal liegen.«
»Zum Ausruhen habe ich eigentlich keine Zeit.«
»Wenn du deinen Laden meinst – der läuft auch ohne dich. Überlass das einfach mir.«
Britta wollte aufbegehren, doch dann verzog sie das Gesicht und legte abermals die Hände gegen ihren Bauch. »Meine Güte, da hat anscheinend noch jemand Hunger aufs Frühstück.« Sie seufzte, dann fügte sie achselzuckend hinzu: »Wahrscheinlich hast du Recht, ich sollte kürzer treten.«
»Deswegen bin ich schließlich hergekommen«, pflichtete Eva ihr bei.
Britta machte keinen Versuch mehr, zu widersprechen, im Gegenteil. Eine kleine Falte erschien zwischen ihren Brauen, während sie sich bequemer hinlegte und sich seitlich aufstützte. »Du hast Recht, es wird alles ziemlich beschwerlich. Es fängt schon damit an, dass man sich die Schuhe nicht mehr zubinden kann.« Sie lächelte schwach. »Im Prinzip muss ich Henning wohl dankbar sein, dass er dir gleich vier Wochen freigegeben hat. Ohne dich könnte ich den Laden wahrscheinlich zumachen.«
Das war, wie Eva wusste, maßlos übertrieben. Britta hätte mit ihrem untrüglichen Geschäftssinn und ihrem Gespür für praktische Dinge in null Komma nichts eine andere Lösung aus dem Hut gezaubert, wenn es nötig gewesen wäre. Sie hätte beispielsweise Malin einspannen können, die Britta ohnehin des Öfteren im Laden zur Hand ging. Dennoch tat es gut, sich nentbehrlich zu fühlen, und wenn es nur für eine kurze Zeit war. Es war ein schlichtes, aber verständliches menschliches Bedürfnis, wichtig für jemanden zu sein. Und das war nicht der einzige Grund, warum sie sich so sehr gewünscht hatte, die letzten Wochen vor Brittas Niederkunft hier zu verbringen. Sie hatte aus Linköping rausgemusst, weil sie es einfach nicht mehr ausgehalten hatte. Plötzlich hatte sie das Gefühl, Britta davon erzählen zu müssen.
»Du musst niemandem dankbar sein. Ich bin froh, endlich mal aus der Tretmühle rauszukommen!« Sie setzte sich vorsichtig auf die Sofakante und nahm Brittas Hand.
Als Britta fragend zu ihr hochschaute, fügte sie eilig hinzu: »Du weißt schon. Hirn durchlüften und so. Ich hatte in letzter Zeit das Gefühl, dass alles, was ich entwerfe, schon mal da war!«
Sie hörte selbst, dass in ihrer Stimme ein verzweifelter Unterton mitschwang, und im selben Moment verfluchte sie sich, dass sie überhaupt davon angefangen hatte. Ja, sie hatte eine Kreativitäsblockade, und ja, sie hatte seit Monaten keinen vernünftigen Entwurf mehr zu Papier gebracht! Sie litt wie ein Tier deswegen und war davon überzeugt, dass Henning sie längst rausgeworfen hätte, wenn sie nicht zufällig seine Freundin gewesen wäre. Aber wie konnte sie so dämlich sein, Britta damit zu belasten? Ihre Freundin war in ihrem derzeitigen Zustand weiß Gott nicht in der Verfassung, sich auch noch mit Problemen Dritter herumzuschlagen!
Britta suchte ihre Blicke und nickte unmerklich, einen wissenden Ausdruck in den Augen. »Du hast es richtig gemacht. Für Hirndurchlüften ist diese Gegend berühmt. Du wirst schon sehen, in ein paar Tagen werden die neuen Entwürfe nur so aus dir heraussprudeln!« Sie verlieh ihrer Stimme einen scherzhaften Ton, doch Eva spürte den Ernst hinter ihren Worten. In einer Aufwallung von Dankbarkeit drückte sie Brittas Hand.
»Jetzt bin ich erst mal nur für dich da.« Sie sprang auf. »Du wolltest doch Milch trinken! Hätte ich fast vergessen! Einen Moment, kommt gleich!« Sie lief in die Küche und überhörte dabei geflissentlich Brittas entnervtes Seufzen. Sie fand, es sei höchste Zeit, sich auf die eine oder andere Weise nützlich zu machen! Bei diesem Gedanken spürte sie, wie der Druck langsam von ihr wich. Was auch immer ihr die nächsten Wochen an Verpflichtungen bringen würden – sie war entschlossen, ihre Sache gut zu machen.
*
Eine Woche später war sie davon überzeugt, dass sie auf dem besten Weg war. Nicht, dass ihr irgendetwas eingefallen wäre, das Henning zu Begeisterungsstürmen hingerissen hätte, im Gegenteil: Alle Versuche, neue Stoffmuster oder Tapetendekors zu zeichnen, waren bisher kläglich danebengegangen. Vor zwei Tagen hatte sie schließlich damit aufgehört, weil es einfach nichts brachte. Die Zeiten, in denen sie sich für eine wirklich gute Textildesignerin gehalten hatte, waren gar nicht mal so lange her, doch im Augenblick kam es ihr so vor, als hätte sich alles, was sie je an Talent für sich in Anspruch genommen hatte, sang- und klanglos in nichts aufgelöst.
Dafür machte sie sich als Geschäftsfrau gar nicht mal so übel, wie sie selbst fand. Sie hatte den Laden drei Stunden am Vormittag und vier am Nachmittag geöffnet, und bisher war kein Tag vergangen, an dem sie nicht einen akzeptablen Umsatz eingefahren hatte. Britta konnte mehr als zufrieden sein – ein Zustand, von dem sie jedoch weiter entfernt war denn je. Zu ihrem größten Verdruss hatte ihr der Arzt untersagt, länger als drei Stunden täglich auf den Beinen zu sein. Leichte Hausarbeiten waren gestattet, etwa Kochen oder Blumengießen. Verboten waren hingegen Putzen, Wäscheaufhängen, Unkrautjäten – und natürlich die Arbeit im Laden. Es waren noch drei Wochen bis zum errechneten Geburtstermin, aber die gehäuft auftretenden Wehen deuteten darauf hin, dass das Kind möglicherweise früher kommen würde. Britta war jedoch vernünftig genug, sich den Anweisungen des Arztes zu fügen. Sie hielt die Ruhezeiten, die er ihr verordnet hatte, jeden Tag strikt ein und achtete darauf, sich nicht zu viel zuzumuten. Evas Eifer, ihr bei jeder sich bietenden Gelegenheit Arbeit abzunehmen, tat ein Übriges.
Als Eva an diesem Morgen nach Barkhult radelte, fühlte sie sich wie immer in den letzten Tagen von einer beinahe rastlosen Energie durchdrungen, fast wie bei einer Vorahnung von etwas Neuem, Unerwartetem.
Nach außen hin sah alles genauso aus wie immer. Die rot gestrichenen Holzhäuser mit den in der Sonne funkelnden Fenstern, die verschwenderisch blühenden Sträucher in den Vorgärten, die Menschen, die ihre Besorgungen erledigten. Die meisten Geschäfte hatten bereits geöffnet. Auf dem großen Platz vor der Kirche waren schon am frühen Morgen die Marktstände aufgebaut worden, und überall waren Leute zum Einkaufen unterwegs. Barkhult war nicht gerade eine Stätte urbaner Betriebsamkeit, aber es war genug los, um etlichen Läden blühende Umsätze zu bescheren. Eva registrierte nicht ohne Befriedigung, dass es an diesem Morgen nicht anders war als sonst.
Malin stand schon vor dem Laden, als Eva eintraf. Sie hielt eine Tüte in der einen Hand und winkte mit der anderen. »Hej, Eva!«
Eva radelte die letzten Meter bis zum Laden und stellte das Fahrrad in der kleinen gepflasterten Zufahrt ab. »Hej, Malin. Bin ich zu spät?«
»Nein. Ich bin zu früh.« Malin lächelte, und wie immer fühlte Eva sich bei diesem Anblick an eine überdimensionale Sonnenblume erinnert. Malin war eine große, üppig gebaute Frau in den Vierzigern, mit strohblonden Haaren, strahlenden Augen und runden Wangen. Sie hatte Britta letztes Jahr den Laden überlassen, weil sie, wie sie Eva erzählt hatte, keine Lust mehr hatte, hinter der falschen Seite der Theke zu stehen. Sie atte sich beruflich neu orientiert und betrieb eine kleine Strickerei. Das wachsende Auftragsvolumen hatte sie letztes Jahr vor die Entscheidung gestellt, geschäftliche Prioritäten zu setzen, was wiederum dazu geführt hatte, dass Britta zur Ladeninhaberin avanciert war – eine Entscheidung, die keine von ihnen beiden bisher bereut hatte. Malins Strickwaren erfreuten sich weithin größter Beliebtheit, sodass sie alle Hände voll zu tun hatte. Sie hatte bereits angekündigt, demnächst nicht nur weitere Maschinen anzuschaffen, sondern wahrscheinlich auch eine Hilfe anzustellen, weil sie sonst nicht mehr nachkäme mit den ganzen Aufträgen. Dennoch hatte sie vorige Woche sofort angeboten, aushilfsweise einzuspringen, bis Britta wieder in der Lage wäre, sich um den Laden zu kümmern.
Eva schloss die Ladentür auf und wandte sich zu Malin um. »Was meinst du, soll ich vielleicht heute mal die Auslagen umdekorieren?«
Malin folgte ihr in den Ladenraum und warf einen prüfenden Blick ins Schaufenster. »Sieht doch alles ganz gut aus.«
Eva runzelte die Stirn. Geschnitzte Dalarna-Pferdchen, landestypische Töpferware, mehrfarbige Glasfiguren, ein paar kleine Antiquitäten, Pullover und andere Strickwaren, die aus Malins Produktion stammten – es war nicht nur eine signifikante Auswahl, die den Kunden zeigte, was ihn hier im Laden erwartete, sondern auch eine gefällige, in Stil und Farbgebung geschmackvolle Dekoration, an der es im Grunde nichts auszusetzen gab. Britta hatte ihre Sache sehr gut gemacht. Trotzdem hatte Eva das Gefühl, dass vielleicht etwas fehlte. Das Ganze wirkte in ihren Augen ein bisschen zu bieder und konnte möglicherweise etwas mehr Pep vertragen. Sie würde noch darüber nachdenken.
Malin holte Pullover aus der Tüte und legte sie nebeneinander auf die Ladentheke. »Hier, meine Wochenproduktion.«
»Drei Stück?«, fragte Eva erstaunt. »Britta hat was von zehn gesagt!«
»Was soll ich machen?« Malins Stimme klang leicht gereizt. »Die Wolle ist alle!«
Eva drehte sich verblüfft zu ihr um. »Was meinst du damit: Die Wolle ist alle? Wieso kaufst du nicht einfach neue? Wo ist das Problem?«
»Das Problem ist Gustav. Gustav Axelsson, der Schäfer.«
»Der mit dem Käse«, sagte Eva.
»Käse macht er auch«, bestätigte Malin. »Aber in dem Fall geht es um die Wolle. Er hat nicht geliefert.«
»Warum nimmst du nicht andere Wolle?«
»Ich verstricke jeweils die Wolle, die mir von den Kunden geliefert wird. Bisher bestand für mich kein Grund, selbst Wolle beim Erzeuger zu beziehen. Ich arbeite nach Auftrag, nicht auf Vorrat.«
»Ja, schon klar«, sagte Eva ungeduldig. »Aber warum liefert dieser Gustav nicht? Es muss doch einen Vertrag geben, oder?«
»Ich denke schon. Aber nicht mit mir, sondern mit Britta.«
»Da waren wir schon. Britta kann sich aber nicht darum kümmern, wie wir beide wissen. Hast du ihn schon gefragt, was los ist?«
Malin wich Evas Blicken aus. »Ähm … Weißt du, der Kontakt zu Gustav läuft über Britta.«
Eva zog die Stirn kraus und betrachtete die drei Pullover. Allein in den letzten drei Tagen hatte sie acht Stück verkauft, und es hätten noch mehr sein können, wenn entsprechender Vorrat vorhanden gewesen wäre. Britta würde vermutlich sauer werden, wenn sie das erfuhr. »Die Saison hat gerade erst begonnen«, sagte sie, mehr zu sich selbst als zu Malin. »Aber so kann das natürlich nicht weitergehen. Nicht ohne Pullover.«
»Keine Pullover ohne Wolle«, sagte Malin unbeeindruckt.
Entschlossen ging Eva hinter die Theke und griff zum Telefon, das neben der Registrierkasse stand. »Ich rufe diesen Gustav sofort an.«
»Das wird nichts. Er hat kein Telefon.«
Eva ließ den Hörer sinken und schaute perplex auf. »Das ist nicht dein Ernst. Ein Mensch ohne Telefon? Gibt’s so was heute wirklich noch? Ich fasse es nicht! Leben wir denn im Mittelalter?«
»Er ist eben gerne für sich«, sagte Malin.
»Na schön. Dann erklär mir, wo er wohnt.«
*
Die Rapsfelder links und rechts der Straße waren noch nicht voll erblüht, doch die jungen Triebe bildeten bereits einen zarten, aber weithin sichtbaren gelben Schleier. Der Sommer war noch nicht da, aber der Wind brachte bereits einen Hauch davon mit sich. Es war warm genug, um ohne Jacke zu fahren.
Eva atmete tief ein und aus und genoss den leichten Wind, der ihr das Haar zerzauste und ihre Bluse zum Flattern brachte. Ihre helle Steghose hatte eine Ölspur vorn am Knie, und ihre Frisur hatte sich vermutlich längst in Wohlgefallen aufgelöst. Für diese Exkursion war sie nicht unbedingt passend angezogen, aber das war ihr egal. Vielleicht war dieser Gustav jemand, der keinen Wert auf Äußerlichkeiten legte und der sich nicht darum scherte, ob seine Geschäftspartner mit dem Rad oder einer Limousine vorgefahren kamen. Jedenfalls hoffte sie das. Sie war wild entschlossen, das Wollproblem heute noch zu lösen.
Als sie um die nächste Biegung fuhr, lag der Hof vor ihr. Es musste der von Gustav sein, denn weit und breit war kein anderes Anwesen zu sehen. Eva reckte den Hals. Ja, dort drüben war der Pferch mit den Schafen, den Malin ihr beschrieben hatte, und in der Einfahrt stand der Pick-up, von dem sie ebenfalls gesprochen hatte.
Eva stieg neben dem Wagen vom Rad und schaute sich um. Es war ziemlich einsam hier draußen, das ja. Aber wie das Heim eines Sonderlings sah es auch nicht unbedingt aus.
Das Haupthaus war nicht allzu groß, aber es machte einen gepflegten Eindruck mit seinem frischen roten Anstrich und den blanken Fensterscheiben. Zwei Nebengebäude rahmten das Wohnhaus ein, vermutlich Ställe oder Geräteschuppen, und beide ließen keinerlei Anzeichen von Verwahrlosung erkennen. Die Kieswege, die vom Wohnhaus zu den Nebengebäuden führten, waren sauber geharkt. Auch die kleinen Gemüsebeete unweit des Hauses sahen aus, als würde sich regelmäßig jemand darum kümmern. Der Wagen war zwar alt, aber die rostigen Stellen waren sorgfältig mit Mennige übermalt.
Der Hof schien, jedenfalls auf den ersten Blick, ein richtiges Kleinod zu sein, ein Juwel, bei dem vor allem die Fassung perfekt war. Die Landschaft ringsum schien einen besonderen, fast widersprüchlichen Zauber zu verströmen, eine Mischung aus sanfter Idylle und wildwüchsiger Natur.
Hinter dem großen Pferch befand sich Weidefläche, die auf der einen Seite an ein lichtes Birkenwäldchen und auf der anderen an den See grenzte. Zwischen den Bäumen war das rote Dach eines winzigen Bootshauses zu erkennen. Das ganze Anwesen wirkte friedlich und anheimelnd, eine bäuerliche Idylle wie aus einem Touristenprospekt.
Dennoch machte der Hof auf Eva einen merkwürdig verlassenen Eindruck. Trotz der blökenden Schafe schien eine ungewöhnliche Stille zu herrschen. Evas Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte, verstärkte sich, als sie sah, dass die Tür zum Haupthaus offen stand.
»Hallo, ist hier jemand?«, rief sie. Da der Pick-up hier war, konnte der Besitzer nicht allzu weit weg sein. Doch auf ihren Ruf reagierte niemand.
»Hallo«, rief sie erneut, diesmal lauter.
Sie glaubte, etwas zu hören. Angestrengt lauschte sie, doch da war nur das Blöken der Schafe.
»Ist jemand hier?«, schrie sie, diesmal so laut, wie sie konnte.
»Hier«, kam es zurück, wie ein schwaches Echo ihrer eigenen Stimme. Eva ging in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war – eines der Nebengebäude.
»Hallo?«, rief sie. »Gustav Axelsson? Sind Sie da drin?«
Die Tür war nur angelehnt und öffnete sich mit kaum hörbarem Knarren, als Eva dagegen drückte. Der leicht beißende Geruch von feuchter Wolle schlug ihr entgegen, überlagert von Viehausdünstungen und dem säuerlichen Gestank von Futtermitteln. Der Boden des Stalles bestand aus festgestampftem Lehm und war mit Stroh bedeckt, das unter Evas Sohlen knirschte, als sie langsam einen Schritt vorwärts tat. Sie kniff die Augen zusammen, weil sie nach der blendenden Helle draußen im Hof hier im Dämmerlicht des Stalles kaum etwas sehen konnte. Nach zwei oder drei Sekunden gelang es ihr schließlich, ihre Umgebung besser zu erkennen.
Der Stall war durch grobe Holzbalken in mehrere Boxen unterteilt, und an den Wänden waren zahlreiche Gerätschaften und Jutesäcke befestigt. Von irgendwoher war ein Geräusch zu hören, das wie ein unterdrücktes Stöhnen klang. Eva wandte sich nach links, in die Richtung, aus der es gekommen war. »Herr Axelsson?«, rief sie alarmiert. »Sind Sie das?«
Das Stöhnen war erneut zu hören, diesmal lauter. »Ja!«, kam es dann. »Ich bin hier drüben!«
Eva ging ein paar Schritte nach links, und jetzt endlich sah sie ihn. Ein alter Mann stand in einer der Boxen, mit dem Rücken an die Wand gelehnt und beide Handflächen fest an die rissigen Balken hinter sich gepresst. Ein Hund drängte sich an die Beine des Mannes. Er hechelte mit weit heraushängender Zunge und wirkte unruhig, doch er bewegte sich nicht von der Stelle. Beim Näherkommen sah Eva, dass es ein Hirtenhund war, mit schwarz-weiß gemustertem Fell und spitzen Ohren.
Der Mann hatte sie erblickt und stöhnte jetzt lauter. »Hier bin ich!«
Eva eilte auf ihn zu. »Meine Güte, Herr Axelsson! Haben Sie sich verletzt?«
»Mein Rücken.«
»Sind Sie gestürzt?«
»Nein«, stieß er hervor. »Ist ganz plötzlich passiert. Beim Bücken. Kann mich nicht bewegen. Stehe seit einer Stunde hier, und es geht nicht vor und nicht zurück. Kann mich nicht mal setzen.«
Gustav Axelsson mochte Ende sechzig sein. Er war recht groß und von stämmiger Statur, doch durch die Schmerzen wirkte er weit älter. Mit seiner verkrümmten Gestalt und dem gesenkten Kopf bot er ein Bild der Hilflosigkeit. Sein dunkelblauer Arbeitsanzug wies nicht nur die üblichen Spuren landwirtschaftlicher Arbeit auf, sondern war nass geschwitzt. Auch das von der Sonne gefurchte Gesicht des Mannes war mit einer dicken Schweißschicht bedeckt. Wenn er Luft holte, bebte sein Brustkorb vor Anstrengung, und jedes Ausatmen war von einem Röcheln begleitet. Es gab keinen Zweifel, dass er unter unerträglichen Schmerzen litt.
»Vielleicht legen Sie sich besser hin«, schlug Eva vor.
»Geht nicht«, sagte Gustav kaum hörbar.
Eva zog ihr Handy hervor und tippte die Nummer der Ambulanz ein. »Gleich kommt Hilfe«, sagte sie zu Gustav. Als sich am anderen Ende der Leitung eine Frauenstimme meldete, nannte Eva hastig ihren Namen und schilderte die Sachlage.
»Nein, er kann sich nicht rühren«, antwortete sie auf die Frage der Frau. »Er braucht sofort einen Arzt.«
Spontan griff sie nach Gustavs Hand und drückte sie. »Ja, selbstverständlich bleibe ich bei ihm, bis jemand herkommt!«
Sie trennte die Verbindung. »In zehn Minuten ist der Krankenwagen da«, sagte sie zu Gustav. »Kann ich in der Zwischenzeit irgendetwas für Sie tun? Soll ich Ihnen etwas holen?«
Er schüttelte den Kopf, dabei hielt er die Augen geschlossen, und der Mund war zu einer Linie zusammengepresst. Trotz des im Stall herrschenden Dämmerlichts konnte Eva erkennen, dass sein Gesicht grau wie Asche war. »Ich kann nicht ins Krankenhaus.« Wegen der Schmerzen klang seine Stimme so undeutlich, dass Eva ihn kaum verstehen konnte. »Kann hier nicht weg. Die Schafe … Mein Hund … «
»Nur nicht aufregen.« Eva zwang sich dazu, ihrer Stimme einen aufmunternden Ton zu geben. »Es wird sich alles finden.« Eilig überlegte sie, womit sie ihn ablenken konnte. Ihr fiel auf Anhieb etwas ein, das möglicherweise zugleich die Lösung seines Problems bedeutete.
»Haben Sie Kinder? Soll ich jemanden anrufen? Jemand, der herkommt und sich um alles kümmert, wenn Sie im Krankenhaus sind?«
»Meine Tochter«, sagte Gustav ebenso mühsam wie widerstrebend. »Aber sie kann nicht kommen. Sie ist in Stockholm. Ich will sie nicht beunruhigen.« Seine letzten Worte gingen in einem erneuten Stöhnen unter, und sein Körper zitterte heftiger. Eva versuchte, die aufsteigende Panik zu bekämpfen, doch sie merkte, dass sie allmählich die Beherrschung verlor. Tränen des Mitleids sammelten sich in ihren Augen, und sie schluckte heftig, um nicht weinen zu müssen. Bisher hatte sie sich immer für ziemlich stark gehalten, doch im Augenblick war sie weit davon entfernt, Herrin der Lage zu sein. »Gleich!« Ihre Stimme klang beschwörend, doch der Unterton von Verzweiflung war nicht zu überhören. »Gleich kommt der Arzt! Halten Sie durch! Alles wird gut!« Sie holte tief Luft, dann fuhr sie mit größerer Entschiedenheit fort: »Und sagen Sie mir bitte die Telefonnummer Ihrer Tochter!«
*
David Lilienberg war sich Monicas Gegenwart überdeutlich bewusst, obwohl er sie nicht anschaute. Er stand mit dem Rücken zu ihr, die Hände in den Taschen seines Laborkittels vergraben, und schaute aus dem Fenster seines Büros über die Stadt. Flüchtig ging ihm die Frage durch den Sinn, ob das, was er vorhatte, wirklich dem entsprach, was er wollte. Er schätzte sein Labor mit all den technischen Möglichkeiten, und er mochte die meisten seiner Kollegen. Die diffuse Unzufriedenheit, die ihn hin und wieder überkam, hatte er bisher leicht verdrängen können, indem er sich voll konzentriert in neue Entwicklungsprojekte stürzte. Die Lebensmittelforschung und -entwicklung war ein weites Feld, und als Chemiker hatte er mehr als eine Möglichkeit, sich neue Gebiete zu erschließen. Er war einem Jobwechsel keineswegs abgeneigt.
Doch im Vergleich zu seinen Ambitionen waren die von Monica weit stärker darauf ausgerichtet, auf der Karriereleiter nach oben zu steigen, und zwar möglichst rasch und möglichst weit.
Vielleicht lag es daran, dass sie in anderen Verhältnissen aufgewachsen war als er. Sie hatte nie einen Hehl daraus gemacht, wie verhasst ihr das primitive Leben ihrer Jugend war. Seit ihrer Kindheit schien sie von diesem nie enden wollenden Hunger besessen, mehr aus sich zu machen.
Schweigend schaute er aus dem Fenster. Das Hauptgebäude von Svenskfood befand sich auf Södermalm, direkt am Söder Mälarstrand. Der Ausblick aus dem fünften Stock war atemberaubend. Rechts lag die Altstadt-Insel Gamla Stan, davor Riddarholm mit seinen unverwechselbaren Kirchtürmen, und direkt gegenüber befand sich das Wahrzeichen Stockholms, das Stadthaus, dessen Turm mit den drei Kronen weithin sichtbar war.
Wäre es bei seiner Arbeit allein um die Aussicht gegangen, so überlegte David mit schwacher Selbstironie, hätte er nicht einmal im Traum daran gedacht, nach Amerika zu gehen, auch wenn Monica geschworen hatte, dass die Aussicht über den Michigansee diese hier noch um ein Vielfaches übertraf.
»Wieso sagst du nichts?«, fragte sie hinter ihm. »Hast du keine Meinung dazu? Wir beide in Chicago! Bei einem der größten Lebensmittelkonzerne der Welt!«
»Ich weiß, dass es eine Wahnsinnsfirma ist«, sagte David. Er merkte, wie leises Unbehagen in ihm aufstieg. Langsam drehte er sich zu Monica um. »Trotzdem bin ich nicht wirklich sicher. Ich kann nicht mal sagen, wieso. Tut mir Leid.«
»David, die Forschungsabteilung bei Unicom ist Weltspitze!«, rief Monica. »Was willst du denn noch? Ich habe den Job, den ich immer wollte, und ich habe sie dazu gekriegt, dir dasselbe Angebot zu machen!« Monica strahlte ihn an. »Hey, wir sind ein Gewinnerteam, klar?«
»Klar«, sagte David ohne großen Enthusiasmus.
Er beobachtete, wie sie ihr langes dunkles Haar hinter die Ohren strich, eine Geste, die immer auf besondere Weise ihre Entschlossenheit zu untermauern schien. Wenn sie das tat, brachte sie damit in der Regel zum Ausdruck, dass Widerspruch zwecklos war.
Sie war anscheinend wild entschlossen, ihrer beider Jobwechsel als vollendete Tatsache zu betrachten. Und sie legte offenbar Wert darauf, das Ganze gebührend zu feiern. Sie nahm eine Flasche Champagner aus dem Kühlschrank, in dem David normalerweise einige Probekulturen aufbewahrte. »Schau mal, was ich hier habe!«, meinte sie lächelnd.
»Ich muss noch arbeiten«, sagte David amüsiert, während sie Anstalten machte, die Flasche zu öffnen. Er fragte sich, wann sie die hier reingeschmuggelt hatte. Er war heute den ganzen Tag hier gewesen, also musste sie es gestern getan haben. Anscheinend hatte sie nicht den geringsten Zweifel daran, dass er ebenso versessen auf den Job in Chicago war wie sie selbst.
»Was soll dir passieren, wenn du einen Schluck Champagner trinkst?«, fragte Monica. »Kündigung? Na und? Wir haben bald was Besseres.«
Das Telefon klingelte, und David hob ab.
»Svenskfood Stockholm, David Lilienberg hier.«
Eine aufgeregte Frauenstimme tönte an sein Ohr. »Bitte, ist Monica Axelsson da? Die Sekretärin sagte mir, sie sei bei Ihnen im Büro!«
»Ja, sie ist hier. Moment, bitte.« Er hielt den Hörer mit einer Hand zu und drehte sich zu Monica um. »Für dich.«
»Ich rufe später zurück. Frag bitte, wer dran ist.« Monica schenkte Champagner in zwei Gläser und lächelte ihn verheißungsvoll an. Sie wirkte gelöst, beinahe glücklich. David konnte nicht umhin, sich klar zu machen, wie ungewohnt dieser Anblick für ihn war. Sie lebten seit fast sieben Jahren zusammen, aber nicht einmal am Anfang ihrer Beziehung hatte sie so ausgesehen wie jetzt, im Angesicht des bevorstehenden Karrieresprungs.
David wandte sich unwillkürlich ab und konzentrierte sich auf den Anruf. »Wie war gleich Ihr Name?«, fragte er höflich. Die Frau hatte zwar vorhin ihren Namen genannt, aber er hatte nur ihren Vornamen verstanden. Eva. Anscheinend hatte diese Eva etwas Wichtiges auf dem Herzen. Sie klang ziemlich nervös.
»Winklund, Eva Winklund. Ich rufe aus Barkhult an. Bitte, ich muss Monica Axelsson unbedingt sprechen! Es geht um ihren Vater, Gustav Axelsson. Er ist doch ihr Vater, oder?«
»Ja, natürlich«, sagte David mit aufkeimender Besorgnis. »Was ist mit ihm?«
»Es geht ihm nicht gut. Kann ich jetzt bitte seine Tochter sprechen?«
David holte scharf Luft. »Sekunde bitte.« Er hielt Monica den Hörer hin. »Deinem Vater scheint was passiert zu sein.«
*
Eva folgte den beiden Sanitätern, als sie die Liege aus dem Stall zum Krankenwagen trugen. Der junge Notarzt ging neben ihr, die orangefarbene Jacke geöffnet und das Gesicht vor Anstrengung verschwitzt. Die Untersuchung in der Stallbox war eine unbequeme Angelegenheit gewesen, nicht nur wegen der dumpfen Wärme, die dort drinnen herrschte, sondern auch, weil der Patient sich beharrlich geweigert hatte, zu kooperieren. Er war vor Schmerzen beinahe bewusstlos, aber er hätte beinahe einen Tobsuchtsanfall bekommen, als der Arzt erklärt hatte, dass er auf keinen Fall hier bleiben konnte. Sogar von der Trage aus argumentierte er weiter.
»Ich will nicht ins Krankenhaus!« Sein Gesicht, vorhin noch kreidebleich, war mittlerweile hochrot vor Anstrengung, den Arzt davon zu überzeugen, dass er hier auf keinen Fall wegkonnte. »Die Schmerzen haben schon fast aufgehört! Es geht mir wieder gut!«
Der Arzt warf Eva einen indignierten Blick zu, dann wandte er sich geduldig zu Gustav um. »Die Schmerzen sind nur deshalb besser geworden, weil ich Ihnen ein starkes Schmerzmittel gespritzt habe. Herr Axelsson, Sie müssen ins Krankenhaus, weil Sie nur dort richtig behandelt werden können. Es sind wichtige Untersuchungen durchzuführen, zum Beispiel eine Computertomografie. Nur so kann festgestellt werden, inwieweit Nerven in Mitleidenschaft gezogen worden sind oder wie bald die Operation durchgeführt werden muss.«
In einer Mischung aus Besorgnis und Mitleid sah Eva, wie sich das Gesicht des Alten vor Angst und Widerwillen verzerrte.
»Operation? Was für eine Operation? Ich will auf keinen Fall operiert werden!«
»Das kann ich hier nicht entscheiden«, sagte der Arzt.
»Aber die Schafe!«, rief Gustav. »Sie müssen doch versorgt werden!« Der Hund, offenbar beunruhigt durch die laute Stimme seines Herrn, gab ein kurzes Kläffen von sich. Er war dem Alten die ganze Zeit über nicht von der Seite gewichen und trottete neben der Liege her.
»Jemand wird sich schon um Ihre Tiere kümmern«, sagte einer der Sanitäter.
»Etwa jemand aus dem Dorf?«, stieß Gustav hervor. »Eher schneit es in der Hölle!«
»Sie machen sich zu viele Sorgen«, sagte der Arzt. »Es wird sich schon alles irgendwie regeln lassen.« Seine Stimme klang nach wie vor geduldig, aber Eva merkte ihm an, dass er es langsam leid war, über das Thema zu diskutieren. Er hatte einen schweren Bandscheibenvorfall diagnostiziert, zum Glück also nicht den Herzinfarkt, den sie insgeheim befürchtet hatte. Doch natürlich war auch diese Erkrankung viel zu ernst, um sie auf die leichte Schulter zu nehmen. Der Alte würde sich damit abfinden müssen, dass er nicht einfach hier bleiben konnte.
»Bitte«, sagte Gustav. Nur dieses eine Wort. Seine Stimme war brüchig, und Eva sah, dass er mit den Tränen rang.
Spontan trat sie an die Liege, kurz bevor die beiden Sanitäter sie in den Wagen schoben. »Seien Sie ganz ruhig. Ich kümmere mich um alles. Ich sorge dafür, dass es den Schafen an nichts fehlt. Ich verspreche es.«
Gustav sackte ein wenig zusammen und schloss die Augen. Die Liege glitt auf Schienen in den Wagen und wurde arretiert. Das Gesicht des Alten lag jetzt im Schatten, sodass Eva es nicht mehr richtig sehen konnte, doch sie meinte, in seiner Miene kurz den Ausdruck von Erleichterung wahrgenommen zu haben, bevor die Sanitäter die Tür schlossen.
Als der Krankenwagen anfuhr, warf ihr der junge Arzt aus dem offenen Fenster auf der Beifahrerseite heraus einen spekulativen Blick zu, fast so, als könne er es sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie ihr Versprechen dem Alten gegenüber würde halten können.
Womit er vermutlich völlig richtig lag, wie Eva sich ohne zu zögern sofort eingestand. Sie war ein Stadtmensch und hatte Schafe bisher nur von weitem gesehen, folglich hatte sie keine Ahnung, was sie nun machen sollte. Wie es aussah, hatte sie jetzt nicht nur das Problem wegen der Wolllieferung, sondern obendrein jede Menge anderer Sorgen.
»Na, Akka, wollen wir an die Arbeit gehen?«, fragte sie den Hund. Außer einem kurzen Zucken der Schwanzspitze kam von dem Hund keine Reaktion. Eva schien es beinahe, als sei er ähnlich skeptisch wie vorhin der Arzt.
»Du traust es mir wohl auch nicht zu, wie?« Zögernd ging sie auf den Pferch zu. Hatten die Schafe vorhin, als sie hergekommen war, auch schon so laut geblökt? Ob sie Hunger hatten? Eva kam sich über alle Maßen dämlich vor, weil sie fast eine geschlagene Minute überlegen musste, was zum Teufel Schafe überhaupt fraßen – so lange, bis sie merkte, was einige der Tiere gerade taten.
»Wiederkäuen«, sagte sie laut, ergrimmt über ihre eigene Dummheit. Natürlich waren Schafe Wiederkäuer und fraßen folglich dasselbe wie Kühe, nämlich Gras.
Im Pferch gab es nicht allzu viel davon. Der Boden war ziemlich kahl und bestand überwiegend aus festem Lehm, genau wie im Stall, nur dass es hier draußen hier und da ein paar Senken gab, in denen sich das Regenwasser der vergangenen Woche zu Pfützen gesammelt hatte.
Die Schafe drängten sich zusammen, und diesmal war nicht zu übersehen, dass sie wirklich unruhiger waren als vorher. Ohne groß nachzudenken, tat Eva das Erstbeste, das ihr in den Sinn kam: Sie öffnete das Tor des Pferchs. Der Bolzen saß ziemlich fest und ließ sich nur mit einiger Kraftanstrengung herausziehen, doch nachdem er einmal draußen war, schwang das Tor problemlos auf. Es war noch nicht ganz offen, als die Tiere sich auch schon wie auf Kommando in Bewegung setzten und auf die Weide hinausdrängten. Ein Leithammel trabte blökend voran und rannte Eva beinahe um in seinem Eifer, an die mit dichten Grasbüscheln bewachsene Fläche außerhalb der Umfriedung zu gelangen.
»Hej«, rief Eva, halb verunsichert, halb belustigt. »Nicht so stürmisch! Ist doch genug für alle da!« Ihre Erheiterung wich indessen wachsender Beklommenheit, und sie überlegte, ob das, was sie da getan hatte, wirklich so praktisch war, wie es ihr eben noch vorgekommen war. Die Schafe waren jetzt zwar draußen, aber mussten sie nach dem Grasen nicht wieder in den Pferch? Was sollte sie tun, wenn sie einfach davonspazierten?
Für den Moment sah es allerdings nicht danach aus, als hätten sie größere Ausflüge im Sinn. Ruhig fressend standen sie da und machten keine Anstalten, sich zu entfernen. Vielleicht lag es auch an Akka. Der Hütehund umrundete die Herde wachsam in einiger Entfernung und tat damit vermutlich das, wozu er ausgebildet worden war: aufpassen. Er musste weder bellen noch beißen, sondern sorgte offenbar allein durch seine Anwesenheit dafür, dass die Schafe in mehreren losen Pulks beisammenblieben.
Fürs Erste beruhigt, glaubte Eva es verantworten zu können, den Schauplatz des Geschehens vorübergehend zu verlassen. Sie musste sich umziehen, aber noch viel dringender musste sie etwas essen. Jemand würde sich schon bereit finden, hier das Nötigste zu tun. Allzu lange konnte es sowieso nicht mehr dauern, bis die Angelegenheit geregelt war, längstens bis heute Abend. Diese Monica hatte zwar vorhin am Telefon nicht sonderlich begeistert geklungen, als sie von dem Zusammenbruch ihres Vaters erfahren hatte, aber sie hatte immerhin versprochen, auf jeden Fall im Laufe des Tages herzukommen.
»Wiedersehen, Akka!«, rief Eva dem Hund zu. Sie kam sich ein wenig albern dabei vor, aber sie fand, er hätte ein kleines Lob verdient. »Du machst das ganz toll!«
*
Wenig später war sie nicht mehr so sicher, ob Akka tatsächlich weiterhin so zuverlässig ihren Job machen würde. Britta tat ein Übriges, um Eva zusätzlich zu verunsichern.
»Du hast die Schafe rausgelassen?«, fragte sie stirnrunzelnd. »Und hast du dir auch überlegt, wie du sie wieder in den Pferch kriegst?« Sie lag in einem Liegestuhl im Garten, ein Glas Saft in der einen und ein Magazin über sanfte Geburt in der anderen Hand. Die Schwangerschaft verlieh ihr eine beinahe archaische Schönheit. Ihr herzförmiges Gesicht schien von innen heraus zu leuchten, und ihr Haar ringelte sich wie ein zerzauster Heiligenschein um ihre Stirn. Sie sah aus wie eine liebliche, rundliche Madonna. Eine Madonna mit praktischen Einwänden. »Wer die Schafe rauslässt, muss sie auch wieder reinbringen. Du musst doch darüber nachgedacht haben!«
»Na ja, das habe ich schon«, sagte Eva kleinlaut. »Aber erst, als sie draußen waren. Bis jetzt ist mir noch nichts eingefallen, aber bestimmt weiß seine Tochter, wie man das macht. Oder der Hund. Irgendjemand wird sich schon drum kümmern, solange er im Krankenhaus ist, oder nicht?«
»Da bin ich mir gar nicht so sicher.« Britta legte das Heft zur Seite und richtete sich schwerfällig auf. Durch das viele Liegen wurde sie zunehmend unbeweglicher. Der Arzt hatte zwar gesagt, das Kind müsse noch um einiges wachsen, doch insgeheim bezweifelte Eva diese Einschätzung. Es war unmöglich, dass Brittas Leibesumfang sich noch mehr vergrößerte. Oder? Der Bauch wölbte sich jetzt schon so weit vor, dass man bequem einen Teller darauf hätte abstellen können, wenn man es hätte versuchen wollen. Zumindest einen kleinen.
Eva merkte, dass sie schon wieder anfing, ans Essen zu denken. Ihr Magen knurrte heftig, denn sie hatte seit einem hastigen spärlichen Frühstück im Stehen nichts zu sich genommen. Mittlerweile war sie so hungrig, dass sie ein ganzes Schaf hätte vertilgen können.
Endlich kam Malin aus dem Haus, das Tablett mit dem Mittagessen vor sich hertragend. Sie hatte bis zur Mittagspause den Laden beaufsichtigt und sich anschließend ums Kochen gekümmert, während Eva bei Gustav gewartet hatte.
Eva schnupperte genießerisch, als ihr der verführerische Duft in die Nase stieg. Es gab Sillgratin (Sillgratin (schwedischer Heringsauflauf) – Rezept, siehe Anhang) und Tomatensalat, und zum Nachtisch hatte Malin Zimtcreme mit Multbeeren (Kanelkräm med hjotron (Zimtcreme mit Moltebeeren) – Rezept siehe Anhang) vorbereitet. Eva war vorhin rechtzeitig eingetroffen, um Malin noch bei den letzten Handgriffen zu helfen, und dabei hatte sie sich gefragt, wie sie es das ganze Jahr über mit Fertignahrung aus der Mikrowelle oder lieblos zusammengeschustertem Kantinenessen aushielt. Weder sie noch Henning waren große Köche, und meist musste es was Schnelles tun, wenn es Zeit zum Essen war.
Hier in Barkhult hatte Eva bis jetzt nur Köstlichkeiten aus frischen Zutaten zu sich genommen. Hungrig schielte sie auf die dampfenden Schüsseln.
»Du kennst Gustav Axelsson nicht«, sagte Malin abfällig, während sie das Tablett auf dem Gartentisch abstellte. »Dem wird niemand helfen. Mal abgesehen davon, dass er gar keine Hilfe will. Von niemandem. Der ist viel zu stolz.«
Sie rückte den Sonnenschirm zurecht und fing an, den Tisch zu decken. Eva sprang auf, um ihr zu helfen. Sie naschte von der Zimtcreme, was ihr einen strafenden Blick der Köchin eintrug.
»Diese Monica wird das alles auf die Reihe bringen«, sagte Eva eilig, während sie Besteck neben die Teller legte. »Sie hat gesagt, dass sie heute noch kommt.« Nachdenklich hielt sie inne. »Obwohl ich den Eindruck hatte, dass es Gustav gar nicht so recht war, als ich sie angerufen habe. «
»Jemand anderen als seine Tochter hat er nicht«, sagte Malin kurz angebunden. An Britta gewandt, fügte sie hinzu: »An deiner Stelle würde ich mich jetzt schon mal nach einem anderen Wolllieferanten umsehen. Nur für den Fall, dass Gustav nicht zurückkommt.«
Britta quittierte diesen Vorschlag mit einem Achselzucken.
»Gibt’s denn hier in der Gegend noch andere Schäfer, die so gute Wolle liefern?«, wollte Eva wissen. Sie naschte erneut, diesmal von dem Salat, was Malin ein verärgertes Schnauben entlockte. Eva riss sich zusammen und beeilte sich, Britta beim Aufstehen zu helfen.
»Nein, diese Qualität liefert nur Gustav«, räumte Malin ein. »Aber wenn es nicht geht, geht es eben nicht mehr.«
Irgendetwas schien Malin gewaltig quer zu stecken. Immer wenn die Sprache auf Gustav kam, wurde sie reichlich widerborstig. Es sah beinahe so aus, als könne sie ihn nicht ausstehen. Eva beschloss, Britta danach zu fragen – später. Im Moment interessierte sie nur das Mittagessen.
*
David hatte vor der Fahrt das Verdeck herabgelassen. Monica hatte sich beschwert, dass der Wind ihre Frisur ruinieren würde, doch David hatte nicht nachgegeben. Wozu war ein Cabrio gut, wenn es nicht bei schönem Wetter offen gefahren wurde ? Monica hatte sich schließlich gefügt und war seinem Vorschlag gefolgt, ein Kopftuch umzubinden.
David war sich darüber im Klaren, dass sie wegen ihres Vaters nervös war und deshalb keine Gelegenheit ausließ, Streit zu suchen. Sein plötzlicher Krankenhausaufenthalt brachte ihre bis ins Kleinste durchkalkulierten Pläne durcheinander. Sie fuhr viel zu schnell und redete dabei fast ununterbrochen.
»Ich hatte es schon längst befürchtet. Papa ist einfach zu alt für den Hof.« Sie unterbrach sich, aber nur für die Dauer eines kurzen Kopfschüttelns. »Meine Güte, er hat sein Leben lang geschuftet! Er könnte sich jetzt endlich ausruhen!« Sie wandte sich David zu. »Ich kenne genug Leute in Stockholm, die den Hof sofort kaufen würden. Zu einem anständigen Preis.«
David wünschte sich, sie möge auf die Straße sehen und etwas langsamer fahren, damit er mehr von der Umgebung sehen konnte. Er mochte das Land, und immer, wenn sie hier rausfuhren, hatte er das Gefühl, wirklich nach Hause zu kommen. Nicht nur, weil er hier aufgewachsen war, sondern weil es sich einfach richtig anfühlte, hier zu sein. Nirgends war das Gras von so üppigem Grün und waren die Seen so leuchtend blau wie hier rund um Barkhult. Im Laufe der letzten Jahre waren sie viel herumgekommen bei ihren Urlauben und Abstechern, nicht nur in Schweden, sondern in ganz Europa und einige Male auch in Übersee. Aber zu Hause – das war nur hier.
»Woran denkst du?«, fuhr Monica ihn an. »Hörst du überhaupt zu, was ich dir sage?«
»Ja, du hast erwähnt, dass du Leute kennst, die den Hof kaufen würden«, entgegnete David in leicht bissigem Tonfall. Im selben Moment ärgerte er sich, dass er sich auf diese Weise aus der Reserve locken ließ. Er sollte mehr Gelassenheit zeigen. Ihr Vater war krank, sie konnte nichts dafür, dass ihre Nerven blank lagen.
Trotzdem nervte es ihn, wie sie mit der Sache umging. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte ihr Vater den Hof längst an den Meistbietenden verscherbelt.
»Man könnte ein Sommerhaus daraus machen«, fuhr sie fort, im Ton noch eine Spur aggressiver. »Es ist geradezu ideal dafür, oder nicht?«
»Wie du meinst«, sagte David knapp.
»Es muss doch nicht jeder ein Schafbauer sein, oder?«
»Der Käse deines Vaters ist berühmt.«
»Weltberühmt«, meinte Monica mit einem giftigen Seitenblick. Ein wenig gemäßigter fuhr sie fort: »Komm, David. Du musst doch selbst zugeben, dass Papa langsam zu alt wird, um den Hof zu bewirtschaften.«
»Für ihn allein wird es etwas viel«, stimmte David widerwillig zu. »Aber das ist noch lange kein Grund … «
Monica ließ ihn nicht zu Ende reden. »Es gibt wunderbare Seniorenresidenzen in Stockholm. Da würde es ihm gut gehen.«
»Und du müsstest dir keine Sorgen machen«, fügte David mit kaum unterdrücktem Sarkasmus hinzu.
Das brachte ihm einen weiteren wütenden Blick ein. »Ja, ganz genau«, sagte Monica. »Ich müsste mir keine Sorgen machen! Das Letzte, was ich in Chicago brauchen kann, sind Sorgen um meinen gebrechlichen Vater!«
»Bis jetzt wissen wir nur, dass er einen Bandscheibenvorfall hat.«
»Damit fängt es an! Und was ist morgen? Wenn ich in Chicago leben werde?«
David registrierte, dass sie zum ersten Mal nicht in der Mehrzahl gesprochen hatte. Vermutlich war das seine Schuld. Er hatte sich trotz ihres ständigen Drängens nicht darauf festlegen wollen, den ihm angebotenen Job sofort anzunehmen, und er weigerte sich, noch diese Woche einen Flug zu buchen.
»Nicht vor meinem Urlaub«, hatte er gesagt, und sie hatte es mit einem verständnislosen Kopfschütteln quittiert.
Wäre es nach ihr gegangen, hätten sie an Ort und Stelle die Wohnung aufgelöst und alle Brücken hinter sich abgebrochen. Seit sie den positiven Bescheid von Unicom in der Tasche hatte, kam sie ihm vor wie eine Getriebene. Alle Pläne mussten sofort in die Tat umgesetzt werden, es konnte ihr gar nicht schnell genug gehen.
Sie waren vor dem Kreiskrankenhaus angekommen. Monica brachte den Wagen mit quietschenden Reifen zum Stehen und sprang hinaus.
David stieg ebenfalls aus, blieb aber beim Wagen stehen. »Jemand muss nach den Tieren schauen«, sagte er. »Es ist schon Abend, und auf dem Hof ist niemand. Ich fahre rüber und sehe erst mal nach dem Rechten.«
»Ja ja, die Schafe«, sagte Monica ungeduldig. »Tu, was du nicht lassen kannst.«
Sie drehte sich nicht mehr zu ihm um. David wartete dennoch die wenigen Augenblicke, bis sie hinter der Schwingtür des Krankenhauses verschwunden war. Erst dann setzte er sich ans Steuer, um weiterzufahren.
*
Der Himmel hatte sich mit einem Hauch von Kupfer überzogen. Die Sonne stand tief über dem Horizont, und der See war wie in Flammen getaucht. Zwischen den Bäumen herrschte bereits sanftes Zwielicht, und die Flächen hinter den Gebäuden füllten sich zunehmend mit Schatten.
Eva saß auf einer grob gezimmerten Bank unweit des Pferchs, hatte ein Knie hochgezogen und das andere untergeschlagen. Sie betrachtete abwechselnd die friedlich grasenden Schafe und die von der Abendsonne überstrahlte Umgebung. Ihr war klar, dass sie sich allmählich Gedanken darüber machen sollte, wie sie die Herde in den Pferch zurückschaffen sollte, doch im Moment wollte sie einfach nur hier sitzen bleiben. Sie hatte sich seit langem nicht so gut gefühlt wie in diesem Augenblick, so völlig im Einklang mit sich selbst und der Welt um sie herum. Es war der pure Genuss, die letzten warmen Sonnenstrahlen zu genießen und dabei die ländliche Stille förmlich in sich einzusaugen.
Dann blökte irgendwo ein Schaf, und plötzlich fing Akka an zu bellen und hin und her zu rennen. Eva sprang von der Bank und eilte zu der Herde. Auf den ersten Blick schien alles in Ordnung zu sein, aber Eva zweifelte nicht daran, dass sich das bald ändern würde. Spätestens, wenn es dunkel würde, was nicht mehr allzu lange dauern konnte. Sie wusste, dass sie die Schafe nicht über Nacht auf der Weide lassen konnte. Der Pferch erfüllte schließlich einen Zweck, zur Dekoration war er ganz sicher nicht da.
»He, Akka!«, rief sie. »Hast du nicht Lust, die Herde in den Pferch zu treiben?«
Der Hund kam angesprungen und blieb vor ihr stehen.
»Ja, braves Hundchen«, lobte sie ihn. »Mach deinen Job! Treib sie da rüber!«
Akka sah sie mit schräg gelegtem Kopf an, ohne irgendwelche Anstalten zu machen, ihrem Vorschlag Folge zu leisten.
Eva wartete ein paar Sekunden, doch es passierte nichts. Sie seufzte, dann ging sie auf die Schafe zu und versuchte, sie mit scheuchenden Armbewegungen vorwärts zu treiben. »Los, los! Husch, ins Körbchen!« Zwei oder drei Schafe sprangen zur Seite, doch nach ein paar Metern kamen sie wieder zum Stillstand und grasten stoisch weiter.
»Verflixt, was soll das? Ihr müsst in den Pferch! So viel weiß ich! Oder wollt ihr euch von wilden Hunden fressen lassen?« Sie schob eines der Schafe vorwärts, doch das machte nur einen kurzen Satz und trabte dann in der verkehrten Richtung davon.
Eva schluckte die aufkommende Nervosität herunter und zwang sich zum Nachdenken. Ihr musste etwas einfallen, aber schnell!
Eines der Lämmer, das blökend dem Schaf gefolgt war, das sie vorhin angeschoben hatte, brachte sie auf die rettende Idee. Eva ergriff es und hob es kurz entschlossen hoch.
»Schau mal«, rief sie dem Schaf zu, das am Rand der Herde stehen geblieben war. »Was sagst du jetzt? Dein Baby wird gekidnappt. Willst du das zulassen? Wenn nicht, dann komm hier rüber und folge mir!«
Sie tat ein paar Schritte in Richtung Gatter, und tatsächlich, das Schaf setzte sich in Bewegung und kam herübergetrottet. Nach ein paar Schritten wurde es schneller und löste damit eine Art Kettenreaktion aus: Die anderen Tiere der Herde gerieten ebenfalls in Bewegung und strömten zusammen, um schließlich einträchtig in den Pferch zurückzukehren. Später machte Eva sich klar, dass es vermutlich hauptsächlich Akkas Verdienst gewesen war, die mit vereinzeltem Kläffen und gezieltem Hin- und Herlaufen die Rückkehr der Herde in geordnete Bahnen lenkte, aber in diesem Moment war ihr Triumph über den gelungenen Schachzug grenzenlos. Lachend schob sie den Bolzen ins Schloss und kam sich ziemlich kindisch vor, weil sie so stolz auf ihre Leistung war. Dennoch war es ein gutes Gefühl, das sogar dann noch vorhielt, als sie feststellte, dass sie sich über und über mit Dreck beschmiert hatte, als sie das Lamm weggetragen hatte.
Doch das war nichts, was man nicht mit etwas Wasser wieder in Ordnung bringen konnte. Pfeifend ging sie hinüber zum Haus.
*
David stieg aus dem Wagen und schaute sich um. Sein erster Blick galt den Schafen, doch mit der Herde schien alles in Ordnung zu sein. Die Tiere standen ruhig im Pferch, käuten wieder oder dösten vor sich hin.
Der Hund kam angelaufen und sprang an ihm hoch.
David lachte und tätschelte ihm den Kopf. »Gutes Mädchen! Na, alles in Ordnung, Akka? Wer hat sich heute um die Herde gekümmert, hm?«
Im nächsten Moment hörte er ein Geräusch. Es war ein schwaches und ziemlich falsch klingendes Pfeifen und kam vom Haus her. Zögernd ging David in die Richtung der Geräuschquelle, und als er näher kam, war außer dem Pfeifen auch das leise Plätschern von Wasser zu hören. David erkannte, dass das Geräusch von der Rückseite des Hauses kam. Langsam schritt er die Längswand des Gebäudes ab, und als er um die Ecke schaute, bot sich ihm ein Anblick, der ihm den Atem verschlug. Er verharrte mitten im Schritt und hielt die Luft an, als könne er auf diese Weise verhindern, dass sich das unglaubliche Bild wie ein Spuk verflüchtigte.
Unter einem blühenden Holunderbusch stand das zauberhafteste Wesen, das er je gesehen hatte. Es war eine junge Frau von vielleicht sechs- oder siebenundzwanzig Jahren. Sie stand an der Regentonne und wusch sich. Mit hohlen Händen schöpfte sie Wasser aus der To nne und spritzte es sich über Gesicht und Arme. Auf den ersten Blick sah es so aus, als wäre sie nackt, doch dann sah David, dass sie ein durchsichtiges Spitzenhemdchen trug. Ein hellblaues Kleidungsstück – vermutlich eine Bluse – hing über einem der Äste des Holunderbusches hinter ihr.
Die junge Frau pfiff leise vor sich hin und rieb sich die Arme ab, bevor sie mit beiden Händen in ihr schulterlanges Haar fuhr und es nach hinten strich. Es hatte in der Abendsonne die Farbe von wildem Honig, einen Ton heller als ihre sanft gebräunte Haut. Ihre runden Brüste waren unter dem dünnen, durchnässten Hemdchen deutlich zu sehen, und David begriff, dass er dabei war, sich lächerlich zu machen. Er stand hier herum wie der letzte Spanner, anstatt sich höflich bemerkbar zu machen und ihr damit Gelegenheit zu geben, sich zu bedecken.
Er räusperte sich vorsichtig, und die Frau fuhr zusammen.
»Ich … ähm, es tut mir Leid«, sagte David hastig. »Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
Sie warf ihm einen prüfenden Blick zu, und David hatte Mühe, nicht schuldbewusst zurückzuweichen. Doch sie machte keine wütende Bemerkung, sondern griff ohne Anzeichen von Hast nach ihrer Bluse und streifte sie nachlässig über. »Hej«, sagte sie. »Gut, dass Sie kommen. Im Pferch habe ich sie ja jetzt. Aber ich habe keine Ahnung, was als Nächstes passieren muss.« Sie lächelte ein wenig schief, dann streckte sie die rechte Hand aus. »Entschuldigung. Ich habe vergessen, mich vorzustellen. Mein Name ist Eva Winklund.«
Erst in diesem Moment erkannte David ihre Stimme und kam sich grenzenlos unbeholfen vor, als er ihren Händedruck erwiderte.
Ihre Hand war zierlich und klein wie die ganze Person, aber der Druck ihrer Finger war überraschend fest. David hatte plötzlich den unbezähmbaren Drang, zu lächeln. Er tat es und fragte sich, ob es so dämlich aussah, wie er sich fühlte. Mit einem Mal war er von einer Leichtigkeit erfüllt, die ihn verblüffte. Die Sonne würde bald untergehen, doch es kam ihm vor, als sei die Welt um einige Nuancen heller als vorher.
»Ich glaube, wir haben telefoniert«, sagte er eine Spur zu hastig. »David Lilienberg.«
Eva erwiderte unverwandt seinen Blick. »Ach, Sie waren das. Natürlich. Ich habe Ihre Stimme nicht gleich erkannt.« Sie lächelte, und David stockte der Atem, weil sich ihr ohnehin schon reizendes Gesicht durch dieses kleine, offene Lachen völlig zu verwandeln schien. Sie war immer noch hübsch, aber das Lächeln verlieh ihr zusätzlich eine eigentümliche, beinahe wilde Schönheit. Vielleicht war es das Blitzen ihrer Zähne, vielleicht auch das besondere Funkeln in ihren Augen – deren Farbe David wegen des schwindenden Tageslichts zu seinem Verdruss nicht richtig erkennen konnte.
Sie knöpfte die Bluse zu und schob sich den Saum in die Hose. »Ist Gustavs Tochter auch mitgekommen?«
»Ja, sie ist bei ihm im Krankenhaus«, antwortete David, ohne den Blick von ihr zu wenden. »Ich schaue später auch noch nach ihm. Aber zuerst wollte ich hier nach dem Rechten sehen.« Er spürte sein Herz plötzlich schmerzhaft schnell schlagen und fragte sich, was um alles in der Welt mit ihm los war.
Sie lächelte abermals, kurz und voll unbewusster Süße.
»Danke«, sagte David unsicher. »Ich meine … danke für alles. Für alles, was Sie getan haben, meine ich.« Er unterbrach sein Gestammel und verstummte, bevor er weiteren Blödsinn absondern konnte. Stattdessen holte er tief Luft, als sie ihm zunickte und auf das Rad zuging, das sie drüben neben Gustavs Pick-up abgestellt hatte. »Na, dann geh ich mal«, sagte sie. »Die Schafe sind im Pferch, und ich nehme an, um den Rest werden Sie sich kümmern. Wiedersehen, Herr Lilienberg.« Kichernd wandte sie sich zum Pferch und hob die Hand zu einem kurzen Winken. »Wiedersehen, Schafe!«
Es war ihr leises Lachen, das David aus seiner Erstarrung riss und ihn daran hinderte, sie einfach so davonfahren zu lassen. »Warten Sie!«, rief er. Wie von einem Magneten gezogen, ging er auf sie zu und blieb vor ihr stehen. »Wollen Sie nicht noch etwas trinken? Ich meine … Vielleicht … «
»Ja«, sagte sie sofort. »Kaffee wäre nett.«
»Ja, Kaffee!«, antwortete David. Er wurde gewahr, dass sein Lächeln sich verselbstständigt haben musste. Seine Mundwinkel schienen ihm an den Ohren festzukleben, so unwiderstehlich war sein Drang, diese Frau anzustrahlen. »Mal sehen, was Gustavs Küche zu bieten hat!«
*