Nordlichtträume - Inga Lindström - E-Book

Nordlichtträume E-Book

Inga Lindström

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Beschreibung

Drei wunderschöne Liebesgeschichten aus dem Land der Sehnsucht

Die Nordlichter - faszinierendes Farbenspiel am Polarhimmel im hohen Norden. Sie laden ebenso zum Träumen ein wie die drei romantischen Geschichten dieses eBooks. Lassen Sie sich in das Sehnsuchtsland Schweden entführen und schwelgen Sie in tiefen Gefühlen und der Schönheit schwedischer Landschaften!

Dieses eBook enthält die folgenden gefühlvollen Liebesromane:

- In den Netzen der Liebe

- Auf den Spuren der Liebe

- Das Geheimnis von Svenaholm

Mit typisch schwedischen Rezepten zum Nachkochen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 422

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

In den Netzen der Liebe

Auf den Spuren der Liebe

Das Geheimnis von Svenaholm

Rezepte

Über das Buch

Die Nordlichter – faszinierendes Farbenspiel am Polarhimmel im hohen Norden. Sie laden ebenso zum Träumen ein wie die drei romantischen Geschichten dieses eBooks. Lassen Sie sich in das Sehnsuchtsland Schweden entführen und schwelgen Sie in tiefen Gefühlen und der Schönheit schwedischer Landschaften!

Dieses eBook enthält die folgenden gefühlvollen Liebesromane:

– In den Netzen der Liebe– Auf den Spuren der Liebe– Das Geheimnis von Svenaholm

Mit typisch schwedischen Rezepten zum Nachkochen.

Über die Autorin

Inga Lindström ist das Pseudonym einer erfolgreichen Drehbuchautorin. Sie ist verheiratet mit einem Bildhauer und Mutter einer Tochter. Sie pendelt zwischen Großstadt und Land. Nachdem sie Jura und Anglistik studiert und einige Jahre als Journalistin gearbeitet hatte, wandte sie sich dem Theater zu. Sie arbeitete bald auch als Dramaturgin für verschiedene Fernsehproduktionsgesellschaften. Und fing schließlich an, selbst Drehbücher zu schreiben.

Inga Lindström

NORDLICHT-TRÄUME

Liebesgeschichtenaus Schweden

beHEARTBEAT

Digitale Neuausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

© 2009/2017 by Bastei Lübbe AG, KölnTitelabbildung: getty-images Deutschland GmbHUmschlaggestaltung: Massimo Peter-Bille unter Verwendung eines Motives © shutterstock: Mongkol Rujitham

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN: 978-3-7325-4647-3

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

IN DEN NETZENDER LIEBE

Die Sonne zauberte goldene Reflexe auf den Bottenvikken. Seeschwalben zogen elegant über die Wasseroberfläche, auf der Suche nach ihrem Frühstück. Der Schrei einer Möwe zerriss die morgendliche Stille, gefolgt von einem lauten Fluch.

»Mist, zu spät!« Paula hastete die steinerne Treppe hinunter und steuerte direkt den gedeckten Frühstückstisch an. Zu einem ausgiebigen Frühstück blieb keine Zeit mehr, also griff sie nach dem gefüllten Milchkrug und setzte ihn an den Mund. Gierig trank sie die frische Milch.

»Paula!«

Paulas Augen weiteten sich kurz, als sie die empörte Stimme ihrer Nichte hinter sich vernahm.

»Aus dem Krug. Das tut man doch nicht«, schimpfte Gitta weiter.

Paula setzte den Krug ab und wischte sich über die Lippen, bevor sie sich ihrer Nichte zuwandte. »Ich weiß«, nickte sie schuldbewusst. »Ich habe es nur so schrecklich eilig. Du, ich muss los.« Sie wandte sich schon zum Gehen, überlegte es sich dann aber noch einmal. »Verrate bitte nichts deiner Mama«, bat sie Gitta mit einem Augenzwinkern und fühlte sich dabei keinen Tag älter als ihre zehnjährige Nichte.

In den Augen des Mädchens war der Triumph deutlich zu sehen. Sie stemmte beide Hände in die Hüften und verlangte: »Aber nur, wenn du mich mal wieder mitnimmst.«

Es war sinnlos, Gitta gegenüber die strenge Tante herauszukehren. Paula wusste das genau und versuchte es dennoch. Sie hob mahnend den Zeigefinger. »Erstens, mein liebes Kind, ist das Erpressung, und ich glaube, das mag deine Mama noch weniger als das Trinken aus dem Krug. Und zweitens habe ich dir doch schon gesagt, dass du in den Ferien mal wieder mitkommen kannst …«

»… und drittens will ich das sowieso nicht. Das wisst ihr beide sehr gut.« Agneta kam die Treppe herunter, eine hübsche Frau, ebenso blond wie Paula. Im Gegensatz zu ihrer Schwester, die eine Latzhose und ein kariertes Hemd trug, war Agneta elegant in Rock und Bluse gekleidet. In der rechten Hand hielt sie einen Korb mit Milchbrötchen, in der anderen die gefüllte Teekanne. Sie stellte beides auf den Tisch und setzte sich auf einen der weißen Bistrostühle.

Agneta wirkte weitaus reifer als Paula, und das lag nicht nur an den paar Jahren Altersunterschied zwischen ihnen. Agneta hatte früh Verantwortung übernehmen müssen, als die Eltern der Schwestern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. Während die damals fünfzehnjährige Paula nach der Zeit des Trauerns ihr normales Leben einfach weiterleben konnte, zur Schule ging und sich wieder mit Freunden traf, musste Agneta die Verantwortung für das Hotel, das die Eltern ihnen hinterlassen hatten, und eine Schwester im Teenageralter übernehmen. Das hatte sie beide geprägt und ihr Verhältnis zueinander bestimmt. Also fühlte Paula sich jetzt ebenso ertappt wie Gitta. Wie immer in solchen Situationen, hielten Paula und Gitta eisern zusammen.

Paula stellte sich hinter ihre Nichte und legte ihr die Hände auf die Schultern, als sie erwiderte: »Ach, Schwesterherz, wir haben doch nur mal so geredet. Rein theoretisch.«

Agneta nahm ein Milchbrötchen aus dem Korb und bestrich es mit frischer Konfitüre. Sie lächelte kurz, doch als sie antwortete, war ihre Miene wieder ernst. »Und praktisch habe ich nicht vergessen, dass Gitta letztes Jahr über Bord gegangen ist. So was soll nie wieder vorkommen.«

Sie waren damals gemeinsam mit der Lotta, Paulas Boot, hinaus aufs Meer gefahren. Paula hatte nur einen Moment nicht aufgepasst. Gitta hatte sich über die Reling gelehnt, weil sie glaubte, einen Fisch gesehen zu haben. Als die Welle das Boot aus dem Wasser gehoben hatte, hatte sie sofort das Gleichgewicht verloren.

Paula hatte sich dichter an Gitta geschmiegt, ihr Geplänkel von eben schien völlig vergessen. Wie so oft, wenn es darum ging, sich gegen Agneta durchzusetzen, waren sie sich völlig einig.

Paula verdrehte genervt die Augen, als sie daran zurückdachte, wie sehr sie beide gelacht hatten, als Gitta völlig durchnässt, aber ohne jede Angst wieder neben ihr gesessen hatte. »Sie hatte doch eine Schwimmweste an.« Beinahe gleichzeitig sagte Gitta: »Paula hat mich doch sofort wieder rausgezogen.«

In diesem ganz speziellen Punkt blieb Agneta jedoch unerbittlich. »Wenn du dir endlich eine Hilfe leisten könntest und nicht alles alleine machen müsstest, könnten wir vielleicht noch mal darüber reden. Aber so … Nein, ganz sicher nicht!«

Paula wusste, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt war, sich zu streiten. Nicht nur, weil sie es jetzt wirklich eilig hatte, sondern weil sie genau wusste, dass sie Agneta im Augenblick nicht umstimmen konnte. Noch einmal drückte sie Gitta ganz fest. »In drei oder vier Jahren vielleicht, Kleine, okay?«

Gitta nickte nur kurz und setzte sich schmollend zu ihrer Mutter an den Frühstückstisch.

»Ich muss jetzt los«, rief Paula. »Euch noch einen wunderschönen Tag. Bis später.« Im Gehen hob sie kurz die Hand zum Gruß, bevor sie in den schmalen Pfad einbog, der um das Haus herum zum Schuppen führte. Ein dumpfer Geruch schlug ihr entgegen, als sie die Tür zum Schuppen aufstieß. Nur durch die geöffnete Tür und die schmalen Ritzen zwischen den Holzlatten fiel etwas Licht auf dieses Sammelsurium an ausgedienten Möbeln, die von Staub und Spinnweben überzogen waren. Ein altes Fischernetz hing von der Decke herab. Neben den Gartengeräten hatten die Fahrräder der Rondahls ihren Platz.

Paula zog ihr Fahrrad heraus, schloss die Schuppentür und schwang sich auf den Sattel.

Obwohl es jetzt wirklich ziemlich spät war und die Zeit drängte, fühlte sich Paula auf der Fahrt zum Hafen völlig gelöst und entspannt. Sie liebte diese morgendlichen Fahrten. Den Anblick der roten Holzhäuser im Licht der Morgensonne, inmitten blühender Gärten. Dunkelblauer Rittersporn, Rosen in allen möglichen Rottönen, dazwischen die gelben Farbkleckse des Alpenmohns. Das Dunkelgrün der hohen Fichten am Horizont wurde aufgelockert vom hellgrünen Flirren der Birken.

Dann bog sie in die Straße ein, die zum Hafen führte. Fröhlich winkte sie einem Angler zu, der auf einer Bank vor einem der Bootsschuppen saß und seinen frühen Fang begutachtete. Als sie an den Steg kam, an dem ihr altes Fischerboot vertäut lag, fuhr sie langsamer. Ihre Miene nahm einen schuldbewussten Ausdruck an, als sie Hannes erblickte, der gerade Kisten in eine Barkasse trug. Es war ihr peinlich, dass ausgerechnet der alte Seemann mal wieder Zeuge ihrer Unpünktlichkeit wurde.

»Hej, Hannes«, rief sie ihm zu, als sie vom Fahrrad stieg, »alles gut?«

»Wie immer«, brummte Hannes, »und du bist spät dran wie immer.«

Paula sprang auf ihr Boot und setzte die Kappe auf, die an der Tür zum Führerhaus hing. Verlegen grinste sie zu Hannes hinüber. »Verschlafen«, gab sie unumwunden zu. »Ich weiß, das gehört sich nicht für einen Fischer. Aber ich kann mich einfach nicht ans frühe Aufstehen gewöhnen.« Während sie sprach, begann sie damit, ihr Boot klarzumachen.

»Du hättest ja weiter im Hotel arbeiten können«, neckte Hannes sie. »Da hättest du später aufstehen können.«

»Ja, klar!« Paula sah auf, grinste zu Hannes hinüber. »Das war aber auch der einzige Vorteil. Hätte ich weiter diese Büroarbeit machen müssen …« Sie unterbrach sich, dachte kurz an den Versuch, ihre Schwester bei der Leitung des Hotels zu unterstützen. Sie waren damals beide sehr schnell übereingekommen, dass die trockene Büroarbeit für Paula nicht das Richtige war. Agneta übernahm alleine die Verantwortung, während es Paula hinaus auf das Meer zog. Agneta hatte sie damals finanziell unterstützt, als sie sich ihr eigenes Fischerboot gekauft hatte.

Paula hatte sich anfangs dagegen gewehrt und behauptet, sie würde das ganz alleine schaffen. Doch darauf hatte Agneta sich nicht eingelassen. Immerhin stand Paula ein Teil aus den Einnahmen des Hotels zu.

Letztendlich war Paula froh über die Hartnäckigkeit ihrer Schwester gewesen. Mit dem finanziellen Zuschuss hatte sie sich ihre Lotta kaufen können. Das Boot, auf das sie so stolz war und mit dem sie jetzt als Fischerin ihren Lebensunterhalt verdiente.

Allerdings würde das mit dem Lebensunterhalt heute nicht mehr viel werden, wenn sie nicht endlich zusah, dass sie aus dem Hafen hinauskam.

»Bis später dann, Mädchen«, hörte sie Hannes rufen, »und guten Fang wünsch ich dir.«

Paula schüttelte die Gedanken an die Vergangenheit ab und öffnete die Tür zum Führerhaus. »Bis später, Hannes«, rief sie zurück, bevor sie den Motor einschaltete. Sicher steuerte sie die Lotta aus dem Hafen.

Agneta und Gitta saßen immer noch am Frühstückstisch. Eine ganze Weile hatte Agneta ihre Tochter beobachtet. Das Schweigen des Mädchens und der schmollende Gesichtsausdruck verrieten, dass sie immer noch beleidigt war.

»Du hast gesagt, du verstehst mich«, stimmte Agneta einen versöhnlichen Ton an.

»Tu ich ja auch«, brach es aus Gitta heraus. »Aber ich bin kein Baby mehr.«

Agneta stand auf und kam um den Tisch herum. Sie beugte sich zu ihrer Tochter hinab und nahm sie in die Arme. »Aber du bist meine Einzige, und ich will einfach nicht, dass dir was passiert.«

Agneta drückte ihre Tochter ganz fest und registrierte erleichtert das schwache Lächeln auf ihrem Gesicht. Schließlich wandte das Mädchen den Kopf und küsste sie auf die Wange.

Nach dem Frühstück machten auch Agneta und Gitta sich mit den Fahrrädern auf den Weg. Gittas Schule lag nicht weit vom Hotel entfernt, sodass sie einen großen Teil des Weges nebeneinander herfahren konnten.

Gitta hatte ihren Ärger inzwischen vollkommen vergessen und plapperte munter drauflos. Ihr Weg führte vorbei an hellgelben Rapsfeldern, an blühenden Wiesen, die nach Gras und Kräutern dufteten. Als der große Bauernhof und die Kuhweide in Sicht kamen, trat Gitta ein wenig heftiger in die Pedale und überholte ihre Mutter. An der Weide hielt sie an und sprang vom Rad. Sie streckte eine Hand voll Klee über den Stacheldraht, den sie vor der Abfahrt gepflückt hatte.

»Hej, Maja, hej, Billi!«, lockte sie die Kühe.

»Wir sind spät dran, komm weiter!«, drängte Agneta im Näherkommen, hielt aber neben Gitta an und stieg ebenfalls vom Rad.

»Gleich«, erwiderte Gitta. »Ich will ihnen nur den Klee geben. Den mögen sie.«

»Die haben auch Klee auf der Weide. Jetzt komm, sonst bist du wieder zu spät.« Ein wenig genervt beobachtete Agneta, dass Gitta erst einmal ausgiebig eine der Kühe streichelte, die neugierig näher gekommen war. »Hej, meine Hübsche«, sagte sie zärtlich. »Ich komme heute Mittag wieder vorbei.«

Agneta seufzte erleichtert auf, als Gitta sich nach ihrem Rad bückte und es aufheben wollte. Ausgerechnet in diesem Moment hielt ein Wagen neben ihnen, der ihr nur zu bekannt war. Gitta ließ ihr Rad prompt wieder fallen und rannte zur Fahrertür, die sich gerade öffnete. »Hej, Gunnar«, rief sie erfreut.

Agneta teilte die Freude ihrer Tochter keineswegs. Trotzdem bemühte sie sich um ein Lächeln, als der attraktive Mann aus dem Wagen stieg.

»Na, ihr zwei«, grüßte er, doch obwohl sein Gruß beide einschloss, lag sein Blick unverwandt auf Agneta.

»Grüß dich, Gunnar.« Ihr Tonfall war ebenso unverbindlich wie ihr Lächeln.

»Kommt, ich nehme euch mit«, schlug Gunnar vor. »Wir packen die Räder hinten in den Kofferraum.«

»Das ist nicht nötig, wir sind doch schon fast da.« Agneta schüttelte den Kopf. Auf keinen Fall wollte sie mit Gunnar fahren und dann alleine mit ihm im Wagen sitzen, wenn sie Gitta an der Schule abgesetzt hatten. Denn sicher würde er dann auch darauf bestehen, sie noch zum Hotel zu bringen.

Gitta blitzte ihre Mutter wütend an. »Ich will aber mit Gunnar fahren.«

»Gitta!«, versuchte Agneta ihre Autorität geltend zu machen, doch dieses Mal klang es eher hilflos und das bemerkte offensichtlich auch Gunnar. Zumindest hätte man seinen amüsierten Blick so deuten können. Er schaute sie immer noch an, mit diesem Lächeln, das so viele widersprüchliche Gefühle in ihr auslöste. Sie wollte das nicht und begann, sich über ihn zu ärgern. Auch wenn sie genau wusste, wie ungerechtfertigt ihr Ärger war.

Gitta hingegen ignorierte ihre Mutter nun vollständig. »Was macht Babs?«, wollte sie von Gunnar wissen. »Wie geht es dem Kälbchen.«

Langsam wandte Gunnar den Blick, konzentrierte sich nun auf Gitta. »Wenn du willst, kannst du nach der Schule vorbeikommen und es dir ansehen.« Er schaute wieder auf, blickte Agneta ins Gesicht. »Du könntest sie dann abholen«, schlug er vor. »Ich koche uns was Feines und danach spielen wir was. Oder wir machen uns einfach einen netten Abend.«

Gitta nickte begeistert, doch Agneta ließ ihre Tochter erst gar nicht zu Wort kommen. »Ach, Gunnar, ich habe einen Job. Vor elf bin ich nicht zu Hause. Wieso tust du immer so, als wüsstest du das nicht?«

Das Lächeln auf seinem Gesicht verschwand. Ganz dicht trat er an sie heran, sodass sie den Duft seines Aftershaves wahrnehmen konnte. »Vielleicht, weil es mir anders lieber wäre«, sagte er. »Gib endlich deinen Job auf und ihr beide zieht zu mir. Dann wäre alles viel einfacher.« Bei diesen Worten zog ein Lächeln über sein Gesicht.

Agneta wusste, dass er jedes dieser Worte auch so meinte. Trotzdem tat sie, als wäre es nicht mehr als ein Scherz. Allerdings kostete es sie einige Mühe, amüsiert zu wirken, als sie erwiderte: »Genug Unsinn geredet für heute.« Übergangslos wandte sie sich ihrer Tochter zu: »Gitta, wir müssen wirklich weiter.«

Gitta sagte kein Wort mehr, doch ihr Gesicht wirkte traurig, als sie sich nach ihrem Rad bückte und es endlich wieder aufhob.

»Tut mir leid«, entschuldigte Gunnar sich bei Agneta. »War wohl blöd von mir.«

»Schon okay«, winkte Agneta ab und drängte ihre Tochter gleich wieder zur Eile. Nicht nur, weil es nun wirklich höchste Zeit war, sondern weil sie sich dieser Situation endlich entziehen wollte. Sie schaute Gunnar noch einmal an, registrierte wieder dieses Lächeln, mit dem er sie beobachtete.

»Bis dann, Gunnar«, sagte sie hastig und stieg aufs Rad. Sie wandte sich nicht mehr um. Auch nicht, als sie ihre Tochter zu Gunnar sagen hörte: »Aber ich komme schon bei dir vorbei.«

Agneta fuhr weiter. Noch bis zur nächsten Wegbiegung spürte sie seine Blicke in ihrem Rücken.

Das kleine Fischerboot hüpfte auf den Wellen hin und her, trotzdem bewegte Paula sich auf ihm so sicher wie an Land. Sie war zufrieden mit dem bisherigen Fang und auch jetzt zappelten wieder eine Menge Fische in dem Netz, das sie gerade an Bord zog.

Die silbrigen Fische landeten in einer der bereitstehenden Kisten. Paula wollte das Netz wieder auswerfen, als eine wundervolle weiße Jacht ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Unter vollen Segeln kam sie schnell näher. Als sie auf der gleichen Höhe mit der Lotta war, konnte Paula die beiden Personen an Bord der Jacht sehen.

Zuerst erblickte sie nur die Frau, die sich auf dem Deck sonnte. Eine langbeinige, braungebrannte Schönheit im Bikini. Dann fiel ihr Blick auf den Mann am Ruder.

Wie gebannt starrte Paula zu ihm hinüber, ohne dass es ihr bewusst wurde. Er war so ganz anders als all die Männer, die sie aus Holmsund kannte – jung, groß und ebenso braungebrannt wie seine Begleiterin. Doch während sie lange, dunkle Haare hatte, bildete sein blondes Haar einen ganz besonderen Kontrast zu seiner gebräunten Haut. Lässig steuerte er die Jacht in Richtung des Holmsunder Hafens.

Plötzlich wandte er den Kopf, schaute ihr direkt in die Augen. Paula hätte es später nicht erklären können, was in diesem Moment in ihr vorging. Es war ihr unmöglich, den Blick von ihm zu wenden, und ihm schien es ebenso zu gehen.

Unverwandt schauten sie sich an, ernst, doch als sie lächelte, zog auch über sein Gesicht ein Lächeln. Dann war die Jacht vorbeigezogen, noch einmal drehte er sich um, schaute Paula unverwandt an, bis die Entfernung zu groß war.

Mattias Niklasson schaute immer noch hinter sich. Nur gut, dass in diesem Augenblick kein anderes Boot seinen Weg kreuzte. Er bemerkte nicht einmal, dass Silke sich aufsetzte, ihre Sonnenbrille abnahm und ihn belustigt beobachtete. Erst als sie ihn ansprach, drehte er sich wieder um.

»Wer war das?«, wollte Silke wissen.

»Keine Ahnung«, grinste Mattias verschmitzt, »ich kenne sie nicht.« Noch einmal drehte er sich um, doch er konnte jetzt nicht viel mehr erkennen als ein kleines Fischerboot, das auf den Wellen schaukelte.

Silke grinste immer noch, als sie sich wieder auf das Deck legte. »Wann sind wir denn in Holmsund?«

»Dauert nicht mehr lange«, erwiderte Mattias, in Gedanken war er immer noch bei der blonden Fischerin. Er hatte es noch nie zuvor erlebt, dass alleine der Anblick einer Frau ihn so fesselte.

Silke hatte die Augen geschlossen und ließ sich wieder von der Sonne bescheinen. »Ich verstehe ja nicht, wieso es ausgerechnet Holmsund sein muss. Du hättest die Segel sicher auch in Stockholm bekommen.«

»Kann sein«, erwiderte Mattias ungerührt und erklärte zum wiederholten Male, warum es ausgerechnet Holmsund sein musste. »Meine Familie hat seit jeher die Segel von Per Larsson in Holmsund machen lassen. Sie sind hervorragend.«

»Ist ja auch egal.« Silke wechselte das Thema. »Hast du dich eigentlich schon entschieden?«

Mattias wusste nicht, was sie mit dieser Frage meinte, bis sie sich wieder aufsetzte und ihn anschaute. »Was wir nächsten Winter anbieten«, klärte sie ihn auf. »Neuseeland oder Karibik?«

»Ich weiß es noch nicht.« Mattias lächelte. »Aber Neuseeland wäre schon mal wieder spannend.«

»Mir ist das eigentlich egal. Du musst dich nur endlich entscheiden.« Plötzlich hatte Silke genug vom Sonnenbaden und war in Gedanken wieder ganz bei den geschäftlichen Angelegenheiten. »Die Prospekte hätten vorgestern schon in Druck gehen sollen.«

Mattias lachte ungerührt. »Nur keine Panik, alles wird gut.«

Silke warf ihm einen genervten Blick zu. »Du hast Zeit, bis wir in Holmsund sind. Ich fahre dann sofort nach Stockholm und regle alles.«

Das Hotel Holmsund lag auf einer Anhöhe. Schon in der dritten Generation war es jetzt in Familienbesitz. Das schöne alte Gebäude hoch oben über dem Bottenvikken leuchtete in strahlendem Weiß. Es war nicht sonderlich groß, wirkte aber mit seinen Dachgauben urgemütlich. Die Hotelgäste, die hier einkehrten, fühlten sich immer sehr wohl, was vor allem an der familiären Atmosphäre lag.

Ein schmaler Weg führte vom Hotel hinunter bis zum Wasser, der in einem Landungssteg und einer Terrasse endete, die über das Wasser hinausragte.

Henning, der das Hotel mit Obst und Gemüse belieferte, solange Agneta zurückdenken konnte, hatte vor einer halben Stunde angelegt. Sie überließ es ihrem Koch Nils, die Waren auszusuchen, während sie selbst auf der Terrasse des Hotels die Tische abwischte. Als die beiden Männer mit den gefüllten Kisten nach oben kamen, schaute sie auf.

»Hej, Henning«, begrüßte sie den Gemüselieferanten, »die Sachen sehen ja wieder sehr gut aus.« Sie griff nach einer der Tomaten. Genießerisch schnupperte sie daran, bevor sie sich an ihren Koch wandte. »Du musst mal wieder deine Tomatensuppe machen, Nils.«

Nils stimmte ihr zu und ging weiter, gefolgt von Henning. »Wenn du mich brauchst, Agneta«, rief er seiner Chefin noch zu, »ich bin …«

»… in der Küche«, fiel Agneta ihm lachend ins Wort. »Ich weiß. Hej«, wandte sie sich gleich darauf der Postbotin zu, die in diesem Moment mit dem Rad vorfuhr.

»Hej, Agneta«, grüßte die junge Frau fröhlich zurück. »Ist nicht viel heute.«

»Macht nichts«, erwiderte Agneta und warf einen flüchtigen Blick auf die Briefumschläge, die ihr die Postbotin in die Hand drückte. »Weniger Briefe heißt weniger Rechnungen.« Aber auch weniger Vorbestellungen von Gästen, fügte sie in Gedanken hinzu. Aber das waren ihre eigenen Sorgen und die behielt sie für sich. Schließlich musste sie sich wegen der Hotelreservierungen in den nächsten Wochen auch gar keine Gedanken machen. Sie waren zwar nicht ausgebucht, aber es gab doch einige Reservierungen.

»Na dann, bis morgen«, die Postbotin machte sich bereits wieder auf den Weg.

Agneta betrachtete die Post genauer, blätterte durch die Briefe. Sah ganz so aus, als wären es auch heute Morgen fast nur Rechnungen, bis auf diesen Brief von einer Firma namens Niklasson Fiskprodukt.

Agneta hatte noch nie von dieser Firma gehört. Einen Augenblick betrachtete sie die Absenderadresse, bevor sie die Schultern zuckte und die Briefe erst einmal ungelesen beiseitelegte. Zuerst musste die Terrasse fertig werden. Danach musste sie sich zusammen mit Erika um die Zimmer der Gäste kümmern, Nils beim Eindecken der Tische helfen und irgendwann danach würde sich auch Zeit für die Post finden.

Silke hatte sich inzwischen umgezogen. In dem eleganten Kostüm war sie ganz die erfolgreiche Geschäftsfrau. Sie stand vorn am Bug, als Mattias einen Anlegesteg ansteuerte. Die Segel hatte er längst eingeholt und den Motor eingeschaltet.

Ein älterer Mann beobachtete, wie die Jacht in den Hafen einlief. Als es sich dem Steg näherte, fing er geschickt das Tau auf, das Silke ihm zuwarf.

Die hochhackigen Schuhe hatte sie ausgezogen und hielt sie in der Hand, als sie von der Jacht auf den Steg sprang. Sie warf ihr langes Haar zurück und ging zu dem Mann, der jetzt die Jacht vertäute. Sie bedankte sich für seine Hilfe und fügte hinzu: »Schön ist es hier bei ihnen.«

»Hmm«, nickte der Mann und wollte dann wissen: »Wo kommt ihr her?«

»Aus Kopenhagen«, berichtete Silke Malmund bereitwillig. »Unser letzter Cruise ging von der Ägäis über Sizilien nach Porto.«

»Aha«, nickte der Mann, »ihr fahrt also Touristen.«

Sie nickte. Stolz lag in ihrem Blick und auch in ihrer Stimme. »Luxus-Segeltörns. Sehr beliebt!«

Mattias hatte das kurze Gespräch verfolgt. Inzwischen war auch er auf den Steg gesprungen und langsam näher gekommen. Ihm fiel auf, dass der ältere Mann nicht sonderlich beeindruckt wirkte von dem, was Silke ihm erzählte.

Mattias betrachtete den Mann genauer. Etwas an ihm kam ihm bekannt vor. Plötzlich zog ein Grinsen über sein Gesicht. »Hannes? Kennst du mich noch?«

Hannes schaute ihm prüfend ins Gesicht, überlegte einen Augenblick und lächelte plötzlich. »Mattias, natürlich.«

Die beiden Männer, die sich mindestens zehn Jahre lang nicht mehr gesehen hatten, schüttelten einander die Hand. Beide waren sie älter geworden, doch sofort bestand wieder diese Vertrautheit zwischen ihnen, die es immer gegeben hatte.

»Na, arbeitest du immer noch bei deiner Mutter?«, wollte Hannes wissen.

»O Gott, nein«, schüttelte Mattias entschieden den Kopf. »Das ist nichts für mich. Ich habe was anderes aufgebaut.«

»Segeltörns.« Hannes nickte in Silkes Richtung. »Ich habe gerade davon gehört. Und das geht?«

»Sehr gut sogar«, beteuerte Mattias, »und vor allem macht es Spaß.«

»So, ich werde dann mal sehen, dass ich meinen Zug erwische«, mischte Silke sich in die Unterhaltung ein. »Ich rufe dich an«, sagte sie zu Mattias gewandt.

»Okay, bis dann«, nickte Mattias ihr zu.

Silke hatte sich bereits zwei Schritte entfernt, als sie sich noch einmal umwandte. »Und du bist sicher, dass du nicht nach Stockholm kommen möchtest? Du könntest mich abholen.« Ihr Lächeln hatte bei diesen Worten etwas Lockendes.

Mattias zwinkerte ihr grinsend zu. »Fahr doch lieber mit dem Zug, okay?«

Silke schnitt eine Grimasse in seine Richtung, bevor sie sich abwandte und nach einem Abschiedsgruß in Hannes Richtung endgültig ging. Beide Männer schauten ihr nach.

»Hübsch, deine Freundin«, meinte Hannes ein wenig anzüglich.

»Sie ist nicht meine Freundin«, schüttelte Mattias den Kopf.

»Natürlich nicht«, erwiderte Hannes ironisch. Er glaubte ihm offenbar kein Wort. »Ihr fahrt nur zusammen über die Weltmeere.« Hannes lachte und Mattias grinste zurück. Er verzichtete darauf, Hannes lang und breit zu erklären, dass Silke tatsächlich nicht mehr als seine Assistentin war. Ganz am Anfang, da hatte sich mal was entwickelt zwischen ihnen. Sie hatten aber beide sehr schnell festgestellt, dass sie nicht zusammenpassten und eine Beziehung ihr geschäftliches und freundschaftliches Einvernehmen gefährden könnte. Seither waren sie gute Freunde und Geschäftspartner, die sich blind aufeinander verlassen konnten. Beide hatten hin und wieder kurze, lockere Beziehungen mit anderen Partnern gehabt. Es war nie etwas Ernstes gewesen. Es hatte deshalb aber auch keine Eifersüchteleien zwischen ihnen gegeben. Für beide war das der zusätzliche Beweis, dass ihre Gefühle füreinander über Freundschaft nicht hinausgingen.

Das hinderte Silke dennoch nicht daran, hin und wieder mit ihm zu flirten, vor allem im Beisein anderer. Ihr machte es Spaß, anderen etwas vorzumachen, Mattias war es egal.

Hannes schien das Thema auch nicht weiter zu interessieren. »Wie geht es denn deiner Mutter?«, wollte er von Mattias wissen.

»Gut, hoffe ich.« Die beiden Männer gingen langsam nebeneinander über den Steg. Kurz legte Mattias eine Hand auf Hannes Schulter, als er erklärend hinzufügte: »Wir haben nicht sehr viel Kontakt.«

»Und es gefällt ihr, dass du lieber Kapitän spielst, als ihre Firma zu übernehmen?«, hakte Hannes weiter nach.

»Die Firma ist ihr Ding«, stellte Mattias klar, »und die Schiffe sind meins.«

Der behagliche Eindruck, den das Hotel Holmsund bereits von außen machte, setzte sich auch im Inneren fort. Die hellen, sanft abgetönten Farben der Wände bildeten einen heiteren Hintergrund zu den weißen Türen und dem ebenfalls weißen Tresen. Auf einem kleinen, halbrunden Tisch an der Wand stand eine Lampe, die in der Nacht brannte für die Spätheimkehrer unter den Gästen. Agneta hatte einen riesigen Strauß Gladiolen, ebenfalls in Gelb und Weiß, in einer großen Vase arrangiert. Es war ihr wichtig, dass es ständig frische Blumen im Hotel gab, und sie kümmerte sich stets persönlich darum. Auch die Schale mit dem frischen Obst, die auf dem Tresen bereitstand und aus der sich jeder bedienen konnte, war Agnetas Idee gewesen.

Eigentlich müsste mehr Personal eingestellt werden, um alle anfallenden Arbeiten zu erledigen. Zeit für Gitta blieb ihr da kaum noch. Oft genug hatte Agneta ihrer Tochter gegenüber ein schlechtes Gewissen. Aber sie konnte sich nun einmal zusätzliches Personal nicht leisten.

Es waren Gedanken, die sie inzwischen täglich quälten, die sich nicht einfach so verdrängen ließen.

Mit einem tiefen Seufzer griff Agneta nach der Post. Sie hatte diesen ominösen Brief von Niklasson Fiskprodukt im Laufe des Morgens völlig vergessen. Wahrscheinlich nur Werbung, vermutete sie, und riss den Umschlag auf.

Doch es war keine Reklame in dem Umschlag, sondern ein an sie persönlich gerichtetes Schreiben. Agneta las den Brief, konnte nicht fassen, was da stand, und las ihn gleich ein zweites Mal. Nur kurz sah sie auf, als ein Gast seinen Zimmerschlüssel auf den Hoteltresen legte, nickte ihm geistesabwesend zu, bevor sie den Brief noch ein drittes Mal las.

»Das gibt es doch nicht. Das ist ja …« Sie brach ihr Selbstgespräch ab, starrte immer noch fassungslos auf den Brief in ihrer Hand.

»Was gibt es nicht, Mama?« Gitta, die gerade hereinkam, hatte gehört, was ihre Mutter gesagt hatte. Sie ließ die Schultasche von der Schulter gleiten, stellte sich neben Agneta und schaute nun ebenfalls auf den Brief.

»Niklasson«, sie las, was im Briefkopf stand, »kennen wir die?«

»Ganz und gar nicht«, erwiderte Agneta kopfschüttelnd.

»Und was wollen die dann von uns?« Gitta nahm sich einen Apfel aus der Obstschale. Sie wollte gerade herzhaft hineinbeißen, hielt jedoch überrascht inne, als ihre Mutter grimmig antwortete: »Nichts! Nur unser Hotel kaufen.«

Der Motor tuckerte zwar noch, klang aber so, als würde er jeden Moment aussetzen. Qualm stieg aus dem Maschinenraum.

Paula war froh, dass ihre Lotta es noch bis zum Anlegesteg schaffte. Hannes hatte ihre Einfahrt in den Hafen beobachtet und sofort gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Sofort kam er angelaufen, als Paula die Lotta vertäute.

»Hej«, rief er schon von weitem. »Das klingt aber gar nicht gut.«

Paula richtete sich auf. Verzweifelt schaute sie Hannes an. »Es hat vor einer halben Stunde angefangen. Plötzlich hat er gestottert, dann kurz ausgesetzt. Ich habe ihn gerade noch einmal angekriegt, aber jetzt läuft er nur noch mit halber Kraft.«

Hannes kratzte sich nachdenklich den Kopf. Dabei fiel sein Blick auf die gefüllten Fischkisten an Bord. »Guter Fang«, meinte er.

»Wenigstens etwas«, erwiderte Paula niedergeschlagen. Die Sorge um ihr Boot wog im Moment schwerer als die Freude über den erfolgreichen Morgen.

»Soll ich mir den Motor mal ansehen?«, schlug Hannes vor.

»Ja«, Paula lachte erleichtert. »Das wäre toll.«

Hannes stand bereits auf der Lotta und öffnete die Luke zum Motor. »Hoffentlich ist es nichts schlimmes«, rief Paula. »Eine kostspielige Reparatur wäre das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann.« Sie hatte kein gutes Gefühl, auch wenn Hannes seelenruhig erwiderte: »Ach, Frauen! Dass ihr immer gleich an das Schlimmste denken müsst.«

Paula grinste schwach, verzichtete aber auf eine Antwort. Stattdessen lud sie einige der Fischkisten auf den großen vorderen Gepäckträger ihres Fahrrads. Es gehörte zu ihrem Beruf, den gefangenen Fisch auch zu verkaufen, und zwar so schnell wie möglich. Inzwischen hatte sie sich einen guten Kundenstamm aufgebaut, sodass sie sicher sein konnte, den Fang des heutigen Morgens loszuwerden. Eine der Fischkisten hatte sie für das Hotel reserviert.

Zuerst belieferte Paula das Restaurant am Hafen. Gutgelaunt bog sie danach vom Kai in Richtung Innenstadt ab. Ein wenig zu schwungvoll nahm sie die nächste Kurve, übersah dabei den Mann, der gerade aus der Werkstatt eines Segelmachers kam. Sie wäre mitsamt ihrem Rad umgekippt, wenn er nicht schnell zugegriffen und sie gehalten hätte.

»Mist«, fuhr Paula ihn an, »können Sie nicht gucken, wo Sie gehen?«

»Tut mir leid, ich habe Sie nicht kommen …« Er unterbrach sich, als sich ihre Blicke trafen, und auch Paula, die eben noch so wütend gewesen war, lächelte jetzt. »Hej, Sie sind doch …«, einen Moment lang zweifelte sie daran, dass es solch einen sonderbaren Zufall geben konnte, »… der mit der tollen Jacht. Tut mir leid, dass ich Sie angefaucht habe. Ich sah meinen Fisch schon einen Moment lang auf dem Boden liegen.«

»Die Fischerin«, jetzt erkannte auch er sie. »Was für ein Zufall.«

Eine kurzen Moment lang schauten sie sich intensiv in die Augen. Paula hatte das Gefühl, dass er ebenso verlegen war wie sie selbst. Verflixt, so sag doch was, dachte sie und suchte verzweifelt nach Worten. Es war noch nie vorgekommen, dass sie die Gegenwart eines Mannes sprachlos gemacht hatte.

»Und?« Er war es, der zuerst wieder reagieren konnte. »War es ein guter Fang? Was fangen Sie hauptsächlich?«

»Ach, eigentlich alles, was mir ins Netz geht.« Paula bemerkte selbst, dass sie zu schnell sprach. Viel zu schnell. Und sie gestikulierte nervös. »Forellen, Schollen …« Paula brach erneut mitten im Satz ab, atmete ganz tief durch, um ihr aufgewühltes Innenleben wieder unter Kontrolle zu bekommen. Sie brauchte ein paar Sekunden, bis es ihr gelang. Nur das schnelle Schlagen ihres Herzens ließ sich nicht so einfach beruhigen. Trotzdem klang ihre Stimme wieder ruhig, als sie fragte: »Was machen Sie denn hier in Holmsund?«

Mattias wies mit dem Daumen hinter sich auf die Tür, aus der er eben gekommen war. »Per Larsson ist mein Segelmacher. Diese Fische da …«, wechselte er das Thema, indem er auf die obere Kiste auf dem Träger ihres Fahrrades zeigte. »Verkaufen Sie die auch?«

»Nein«, erwiderte Paula seelenruhig, »ich fange sie nur zu meinem Vergnügen.« Gleich darauf lachte sie. Über ihre eigene Bemerkung ebenso wie über sein verdutztes Gesicht. »Natürlich verkaufe ich die. Davon lebe ich.«

»Würden Sie mir einen davon verkaufen?« Mattias grinste sie an.

Paula hob einen Finger in die Höhe: »Sie wollen einen Fisch kaufen?«

Das Grinsen auf Mattias’ Gesicht wurde noch breiter, als er zustimmend nickte.

Paulas Augen funkelten übermütig. »Und was wollen Sie damit machen? Ihn zur Erinnerung an mich ausstopfen lassen?«

Beide mussten lachten, keiner konnte den Blick vom anderen abwenden. Es dauerte einen Augenblick, bevor Mattias sich wieder gefangen hatte.

»Kochen«, schlug Mattias vor, »oder braten.«

»Sagen Sie bloß, Ihre Bikinifreundin ist ein Küchenwunder.« Ziemlich gespannt wartete Paula auf seine Antwort. Vielleicht war die braungebrannte Schönheit auf der Jacht nicht nur seine Freundin, sondern sogar seine Frau.

Mattias verstand nicht gleich. »Meine Bikini …« Gleich darauf schien ihm aufzugehen, wen sie damit gemeint hatte. Er schüttelte den Kopf. »Nein, das Küchenwunder bin ich. Wollen Sie es nicht mal miterleben?«

Paula hatte immer noch nicht in Erfahrung gebracht, was ihn mit der Bikinischönheit verband. Sie hoffte, dass es nichts Ernstes war, aber natürlich hatte sie genau gesehen, wie er mit ihr geflirtet hatte. Sie nahm einen der Fische aus der oberen Kiste und packte ihn sorgfältig ein. Zeit genug, um über ihre Antwort nachzudenken. Sie wollte ihn wiedersehen – sehr gern sogar.

»Wieso nicht«, stimmte sie zu, als sie ihm den eingepackten Fisch überreichte. »Sie können mich ja mal einladen.«

»Dazu müsste ich Ihren Namen wissen«, reagierte er sofort. »Und Ihre Telefonnummer.«

Sie schaute ihm direkt ins Gesicht. »Ich bin Paula«, sagte sie einfach, »und Sie finden mich am Hafen.« Ein wenig Mühe sollte er sich schon geben, einen kleinen Beweis liefern, dass er sie wirklich wiedersehen wollte.

Als er ihr seinen Vornamen nannte, schauten sie sich lange an, ihre Blicke verloren sich ineinander …

»Jetzt muss ich aber wieder los, bevor mein Fisch schlecht wird.« Paula umfasste den Lenker ihres Fahrrades ganz fest und schob es langsam an ihm vorbei. »Bis dann.«

»Bis dann«, erwiderte Mattias und trat langsam einen Schritt zur Seite, um sie vorbeizulassen.

Ein wenig bedauerte Paula es schon, dass er sie einfach so gehen ließ. Nur ein Dankeschön für den Fisch rief er ihr noch nach.

Bis zur nächsten Straßenecke widerstand Paula der Versuchung, doch dann drehte sie sich schnell noch einmal um. Ein wenig hatte sie befürchtet, dass er einfach weitergegangen war, dass er die beiden kurzen Begegnungen mit ihr bereits aus seinem Gedächtnis gestrichen hatte. Doch er stand noch da, schaute ihr lächelnd nach. Noch ein kurzer Blickkontakt, ein letztes Winken und Paula bog in die nächste Straße ein.

Sie war in Hochstimmung, als sie die nächsten Stammkunden aufsuchte. Mit der letzten Kiste auf dem Träger machte sie sich auf den Weg zum Hotel. Diese Kiste wollte sie bei Agneta abgeben, bevor sie zurück zur Lotta fuhr, um den restlichen Fisch abzuholen.

Der Weg führte am Wasser vorbei bis zum Landungssteg des Hotels. Auch hier unten am Wasser standen Tische, an denen man essen konnte. Agneta hatte soeben damit begonnen, die Tische für die Gäste vorzubereiten.

»Hej, Agneta!« Paula sprang vom Rad und stellte es ab. Beschwingt lief sie auf ihre Schwester zu. »Das war ein super Fang heute. Unsere Gäste werden begeistert sein.«

Nur kurz schaute Agneta auf, schien überhaupt nicht gehört zu haben, was Paula gesagt hatte. Stattdessen befestigte sie die Tischdecke auf dem Tisch vor ihr mit Klammern. Ganz so, als könnte an diesem strahlenden Sommertag noch ein heftiger Sturm aufkommen.

Paula betrachtete ihre Schwester besorgt. »Was ist denn los? Du bist ja ganz blass.«

Agneta richtete sich auf und zog einen Brief aus ihrer Jackentasche. Sorgfältig faltete sie ihn auseinander, bevor sie ihn Paula reichte.

»Was ist das? Ein Liebesbrief?«, schmunzelte Paula.

»Lies«, forderte Agneta sie kurz und mit unbewegter Miene auf.

Also las Paula. Ihr Gesicht verzog sich zu einem spöttischen Lächeln, als sie das Angebot des Kaufinteressenten für das Hotel las. Sie gab Agneta den Brief zurück. »Die spinnen ja«, war alles, was sie dazu zu sagen hatte. Für Paula war das Thema damit erledigt. »Du, ich habe ein paar Forellen gefangen …«

»Hast du die Summe gesehen?«, fiel Agneta ihr ins Wort. Sie hielt Paula den Brief noch einmal hin, tippte mit dem Zeigefinger auf die Stelle.

Paula zuckte mit den Schultern: »Ja, klar!«, aber es interessierte sie nicht im Geringsten. Doch dann hörte sie ihre Schwester sagen: »Das ist eine Menge Geld. Davon könnte man sich eine sichere Existenz aufbauen.« In diesem Moment wurde Paula bewusst, wie sehr ihre Schwester von dem Gedanken eingenommen war, das Hotel zu verkaufen.

»Du hast eine sichere Existenz«, sagte sie empört. »Das Hotel ist deine sichere Existenz. Und meine auch, falls du das vergessen haben solltest.«

Agneta wandte Paula den Rücken zu und begann damit, Servietten zu falten, die sie in die bereitstehenden Gläser drapierte. Es klang, als würde sie zu einem kleinen Kind sprechen, dem man eine Sache schon Hunderte Male erklärt hatte, als sie sagte: »Ich könnte mir einen normalen Job suchen, mit normalen Arbeitszeiten. Ich müsste nicht jeden Monat damit rechnen, dass wir pleitegehen.«

»Du übertreibst, das müssen wir doch nur jeden zweiten Monat.« Paula war nicht bereit, auch nur einen Augenblick lang ernsthaft über das Kaufangebot nachzudenken. »Aggi, was ist denn los? Da winkt einer mit einem bisschen Kohle und schon stellst du alles in Frage?«

»Das ist nicht ein bisschen Kohle.« Agneta schüttelte den Kopf. »Das ist …«

»… absoluter Quatsch«, fiel Paula ihrer Schwester aufgebracht ins Wort. Sie folgte Agneta, die von Tisch zu Tisch ging, um noch einmal die Servietten zu überprüfen.

»Das Hotel gehört zu unserem Leben.« Eindringlich sprach Paula auf Agneta ein. »Wir haben doch abgemacht, dass wir es nicht verkaufen werden. Niemals! Ich meine, dann wäre doch Papas ganze Arbeit umsonst gewesen und die von Großvater Stefan auch.«

»Du hast gut reden, du bist auf dein Schiff abgehauen.« Agneta sagte das ganz ruhig und beherrscht, was Paula nur noch mehr aufbrachte. »Mit deiner Unterstützung, wenn ich dich erinnern darf. Du hast mich sogar darin bestärkt, die Lotta zu kaufen.«

»Ich weiß ja, ist ja auch okay.« Agneta hielt einen Augenblick inne, sie seufzte schwer. »Nur irgendwie ist es zurzeit ein bisschen mühsam.«

»Ach, komm, hör doch auf.« Paula schüttelte verständnislos den Kopf. »Es ist Arbeit, ja, aber es macht doch auch Spaß.« Ganz dicht stellte sie sich jetzt neben ihre Schwester. »Agneta, hör zu, an einen Verkauf wird überhaupt nicht gedacht. Eher expandieren wir.« Sie hatte das nur so dahingesagt, um ihre Schwester zu beruhigen. Aber warum eigentlich nicht, warum nicht expandieren? Die Idee begann sie zu begeistern. »Ja, das ist es überhaupt. Wir werden …«

Das Klingeln ihres Handys brachte sie aus dem Konzept. »Moment mal.« Sie schaltete das Handy ein, hielt es ans Ohr und meldete sich.

»Hannes«, rief sie erfreut, als sie seine Stimme am anderen Ende der Leitung hörte. Unmittelbar darauf verdüsterte sich jedoch ihre Miene. Es war keine gute Nachricht, die sie da gerade von Hannes erhielt. »Was?«, rief sie wie unter Schock. »Ach nein, bitte nicht«, sagte sie schließlich nur noch leise und es klang sehr verzweifelt.

Paula hatte ihrer Schwester nur eine kurze Erklärung abgegeben. Jetzt drängte es sie danach, so schnell wie möglich zum Hafen zu kommen. Sie hatte Hannes versprochen, sich sofort auf den Weg zu machen.

Hannes sah auf, als sie mit ihrem Rad über die Planken des Steges fuhr. Sie hatte ihre Fahrt kaum gebremst, als sie auch schon absprang. »Das kann nicht sein, Hannes«, ihre Stimme war ein einziges Flehen. »Sag, dass es nur ein Scherz war.« Paula stellte das Fahrrad ab.

Hannes hatte beide Hände in die Hüften gestützt. »Mit so was mache ich keine Scherze, tut mir leid.« Hilflos sah er hinunter auf den Motorblock. »Der Motor ist hinüber.«

Paula kam näher und sah vom Steg aus auf ihn hinab. Sie war nicht bereit, Hannes’ Diagnose einfach so hinzunehmen. »Aber der Motor läuft doch noch.«

»Nicht mehr lange«, schüttelte Hannes den Kopf. »Ich denke mal, alle Lager sind durch.«

Paula wollte immer noch nicht aufgeben, sich nicht mit dem Gedanken befassen, was das für sie bedeutete. »Die kann man doch ersetzen.«

Hannes, der sich wieder über den Motorblock gebeugt hatte, sah auf. »Lohnt sich nicht«, sagte er und sprach damit aus, was sie bereits gefürchtet hatte. »Das kostet mehr als ein neuer Motor.«

Wütend trat sie gegen eine Taurolle. »Mist, verdammter, was mache ich denn jetzt?«

Offenbar hatte Hannes sich darüber bereits Gedanken gemacht. »Ich habe einen Freund in Stockholm«, überlegte er laut. »Sein Sohn hat eine kleine Werkstatt, und der hat vielleicht einen guten gebrauchten Motor.«

Paula starrte mutlos vor sich hin. »Am besten verkaufe ich den Kahn«, sagte sie leise.

»Blödsinn«, schüttelte Hannes den Kopf. »Was willst du denn machen ohne deine Lotta?«

Paula zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht zurück ins Büro.« Sie tat sich selbst sehr leid in diesem Moment.

Hannes lachte laut, ja, er schien sie regelrecht auszulachen. Sie packte die Fischkisten auf den Fahrradträger, die Hannes bereits auf den Steg gestellt hatte, um besser an den Motorblock zu kommen. Als sie ging, sagte sie nur: »Ich muss den restlichen Fisch ausliefern.

Hannes lachte immer noch. »Tu das«, sagte er. »Ich rufe inzwischen meinen Freund an.«

Am Ende des Kais, direkt am Wasser, war das Fischgeschäft von Björn Olsson. Gedankenverloren fuhr Paula an den schmucken Holzhäusern vorbei, achtete nicht auf die Geschäfte, die ihre Türen einladend weit geöffnet hatten. Obst und Gemüse wurde neben Ansichtskarten und Zeitungen angeboten. Das Rauschen der Wellen und das Kreischen der Möwen bildeten den Hintergrund zu der idyllischen Stimmung, die das Dorf wie immer ausstrahlte. Paula aber nahm heute nichts von alledem wahr.

Das Gespräch mit Agneta, deren Überlegungen, das Hotel zu verkaufen, nagte ebenso an Paula wie die Probleme mit ihrem Boot. Sie hatte sich Agneta gegenüber so zuversichtlich gezeigt, sogar von Expansion gesprochen. Dabei fühlte sie sich inzwischen selbst ziemlich mutlos und wusste nicht, wie es weitergehen sollte.

Am Fischgeschäft hielt sie an, stieg vom Rad und hob mit beiden Händen die gefüllte Fischkiste an. Als sie sich umdrehte, stand ein Fußgänger direkt neben ihr. Unsanft stießen sie zusammen und diesmal ließ sie die Kiste fallen. Die Fische und das Eis, das Paula zum Frischhalten ihrer Ware benutzte, verteilten sich auf dem Boden.

»Mist, verdammter …«, fluchte Paula zum zweiten Mal an diesem Tag, während der Passant gleichzeitig eine Entschuldigung hervorstieß. Die beiden schauten sich an, und auf Paulas Gesicht erschien augenblicklich ein Lächeln. Mit einem Mal war der ganze Ärger der vergangenen Stunden vergessen. »Sie schon wieder«, sagte sie vergnügt.

Auch Mattias strahlte vor Freude über dieses Wiedersehen. »Ich scheine heute wirklich blind zu sein.«

Er schaute ihr tief in die Augen. Paula spürte den schnellen Schlag ihres Herzens. Es gefiel ihr, wie er sie ansah, machte sie aber gleichzeitig auch schrecklich verlegen. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, und so bückte sie sich, um den Fisch aufzuheben. Dummerweise schien er in genau diesem Moment auf die gleiche Idee gekommen zu sein. Er beugte sich ebenfalls hinab. Hart und schmerzhaft stießen ihre Köpfe zusammen.

»Au«, stieß Paula hervor und presste eine Hand gegen ihren Kopf.

»Schon wieder Entschuldigung«, brach es aus ihm heraus. Er schaute sie prüfend an. »Tut es weh?«

»Überhaupt nicht«, behauptete Paula, obschon sie die Stelle immer noch deutlich spürte, an der sein Kopf auf den ihren geprallt war. Sie bückte sich erneut, achtete diesmal jedoch sorgsam darauf, nicht wieder mit ihm zusammenzustoßen.

»Schade!« Mattias ging ebenfalls in die Hocke und wollte ihr beim Einsammeln der Fische helfen. Paula hielt sofort inne und lachte ungläubig auf. »Was?«

»Na ja«, setzte er zu einer Erklärung an, während er gleichzeitig Fische vom Boden aufklaubte und in die Kiste warf. »Wenn es weh getan hätte, müsste ich was gutmachen. Vielleicht würden Sie sich ja dann zum Essen einladen lassen.« Er kniete immer noch auf dem Boden, während er sie erwartungsvoll anlächelte.

Paula antwortete nicht sofort. Sie legte die letzten Fische zurück in die Kiste, bevor sie ihm ernst in die Augen schaute. Er gefiel ihr. Sehr sogar, trotzdem lehnte sie ab. »Heute nicht.« Sie erhob sich und hielt die Fischkiste in den Händen.

Auch Mattias stand wieder auf. »Wann dann?«, wollte er wissen.

Paula dachte einen Augenblick nach, sprach schließlich ganz offen das aus, was sie gerade empfand. »Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Ich weiß nicht, ob ich für so was gerade den Kopf frei habe.«

Paula fühlte Traurigkeit in sich aufsteigen, nachdem sie die Worte ausgesprochen hatte. Das war es dann wohl. Wahrscheinlich würde sie ihn jetzt nie wiedersehen. Aber es war richtig so. Glaubte sie zumindest …

Bevor sie es sich doch noch anders überlegen konnte, ging sie ganz schnell an ihm vorbei. Diesmal wandte sie sich nicht mehr um. Sie spürte auch so, dass er ihr nachschaute.

Ein wenig außerhalb von Holmsund, inmitten blühender Sommerwiesen lag Gunnars Hof. Ein gepflegtes Anwesen. Die Nebengebäude und Ställe hatten den gleichen roten Anstrich wie das Haupthaus. Strohballen waren an der Scheunenwand hochgestapelt, daneben stand der Traktor. Kühe grasten auf den mit groben Holzbalken eingezäunten Weiden oder lagen im Schatten unter den Obstbäumen. Oskar, der Hahn auf dem Hof, wachte sorgsam über seine Hennen, die auf den Wiesen nach Würmern suchten. Der Duft des Sommers lag in der Luft. Die dunkelgrüne Baumgrenze erstreckte sich in der Ferne, begrenzte die riesige Landfläche, die Gunnar gehörte.

Gitta war gleich nach der Schule zum Hof gefahren. Sie war gerne hier, denn Gunnar zeigte ihr immer wieder, dass sie willkommen war. Jetzt saß sie im Gras neben dem erst wenige Tage alten Kälbchen und streichelte es.

»Es ist so süß. Hast du ihm schon einen Namen gegeben?«

Gunnar, der auf der anderen Seite neben dem Kalb kniete, schüttelte den Kopf. »Ich habe schon Hunderten von Kühen einen Namen gegeben. Mir fällt langsam nichts mehr ein. Hast du vielleicht eine Idee?«

Nachdenklich schaute Gitta das Kalb an. »Es hat Augen wie meine erste Puppe. Sie hieß Clara.« Fragend schaute sie zu Gunnar auf. »Können wir es Clara nennen?«

»Von mir aus«, Gunnar stimmte sofort zu. Er stupste das Kälbchen an. »Na, wie gefällt dir dein Name, Clara?«

»Ich wünschte, ich könnte es mit nach Hause nehmen«, seufzte Gitta.

»Agneta würde sich freuen«, Gunnar schmunzelte. »Zu ihrem ganzen Stress auch noch eine Kuh im Haus.«

»Dann müssen wir eben zu dir ziehen«, stellte Gitta entschieden fest. Eigentlich war doch alles ganz einfach, nur die Erwachsenen machten es immer so schrecklich kompliziert. Nun ja, nicht alle Erwachsenen. Gunnar schien das ähnlich zu sehen, wie sie selbst. Er nickte zustimmend. »Von mir aus. Du weißt, wie sehr mich das freuen würde.«

Auch Gitta nickte. Es war nicht Gunnar, der alles so kompliziert machte, es war in erster Linie ihre Mutter. Sie wollte etwas erwidern, doch in diesem Augenblick klingelte Gunnars Handy.

»Gunnar Omberg«, meldete er sich und sagte gleich darauf laut für Gitta: »Agneta!«

Gitta schüttelte hastig den Kopf, woraufhin Gunnar schnell sagte: »Ja, sie war kurz hier. Aber sie ist schon wieder auf dem Weg nach Hause. Wegen der Hausaufgaben, hat sie gesagt.« Er zwinkerte Gitta zu und wechselte das Thema. »Aber sag mal, was ich fragen wollte. Wie sieht es am Wochenende aus? Wir könnten baden gehen und grillen, danach ins Kino …«

Offensichtlich wurde er am anderen Ende von Agneta unterbrochen. Gitta beobachtete, wie Gunnar, der eben noch gelächelt hatte, wieder ernst wurde. »Natürlich, wenn du keine Zeit hast«, sagte er schließlich. »Schade! Du weißt, ich will dich nicht drängen, aber …«

Gunnar unterbrach sich mitten im Satz, Agneta hatte ihn offensichtlich wieder nicht zu Ende sprechen Lassen. Gitta könnte sich gut vorstellen, wie enttäuscht er war, sie war es schließlich selber. »Ja, bis bald, Agneta«, beendete er das Gespräch.

Paula liebte diese stille Stunde am Abend, wenn alle Arbeit erledigt war und sie in Ruhe ein wenig in der Zeitung blättern konnte. Wie immer saß sie am Esszimmertisch, in diesem freundlichen Raum mit seinen hellen Möbeln, den sie so besonders mochte. Durch die geöffnete Tür konnte sie in die Küche schauen.

Paula rührte sich nicht, als sie hörte, wie die Haustür geöffnet wurde. Sie wusste, dass es Agneta war, die sich nach einem langen Arbeitstag ebenfalls hier einfand, um ein wenig zu reden.

»Hej, Schwester. Ist Gitta schon im Bett?«

Paula sah nur kurz von der Zeitung auf. »Sie schläft wie ein Murmeltier.«

Agneta zog sich einen Stuhl heran und ließ sich erschöpft darauf nieder.

»Und wie war dein Tag noch?«, fragte Paula.

»Stressig«, stöhnte Agneta. »So ist es doch«, fuhr sie fort, als Paula die Zeitung zusammenfaltete und sie anschaute. »Eigentlich läuft es gut, aber ich bin am Abend immer dermaßen fertig, dass ich mich manchmal frage, ob das wirklich für den Rest meines Lebens so weitergehen soll.« Agneta lehnte sich zurück, starrte ins Leere. »Ich weiß nicht, vielleicht sollten wir das Hotel doch verkaufen.«

»Blödsinn«, fuhr Paula sie an. »Es ist im Hotel wie auf dem Schiff. Wir müssen dahin kommen, dass wir uns ein paar Leute mehr leisten können. Du bist doch nur deswegen so erschöpft, weil du alles alleine machst.«

Agneta schien ihr überhaupt nicht zuzuhören. Noch während Paula sprach, war sie in die Küche gegangen, um die angebrochene Flasche Wein aus dem Kühlschrank zu holen. Jetzt kam sie zurück und setzte sich wieder zu Paula an den Tisch.

»Wir können ja Nils und Erika kaum bezahlen. Vielleicht haben wir uns einfach übernommen. Das Hotel und das Schiff.« Sie wollte wieder aufstehen, um die Gläser zu holen, doch Paula war schneller.

Sie ging zur Anrichte und nahm zwei Weingläser herunter. »Meine Güte, Aggi«, sagte sie nachdrücklich, als sie zum Tisch zurückkehrte. »Bloß weil da einer mit so einem Angebot daherkommt, kannst du doch nicht dein ganzes Leben in Frage stellen. Du liebst das Hotel doch. Es war immer dein Traum, es eines Tages zu übernehmen. Es ist so ein tolles, kleines und hübsches Hotel. Wir müssen nur ein bisschen durchhalten. Dann wird es eines Tages ein Geheimtipp und eine Goldgrube.«

Agneta hörte ruhig zu, während sie gleichzeitig den Wein einschenkte. »Du hast ja recht«, seufzte sie, doch es klang wenig überzeugend. Sie trank einen Schluck und starrte vor sich hin.

»Manchmal frage ich mich wirklich, warum ich es mir so schwermache«, sagte sie nach ein paar Sekunden nachdenklichen Schweigens. »Ich müsste einfach nur Gunnar heiraten und ich hätte das schönste Leben.«

Paula nickte noch, während die Schwester sprach. »Und warum tust du es nicht endlich? Er liebt dich. Und Gitta. Außerdem ist er nett und so aufmerksam.«

»Ja«, erwiderte Agneta schon wieder gereizt, obwohl sie doch selbst mit diesem Thema angefangen hatte. »Er würde mir die Luft zum Atmen nehmen. Ich müsste zu ihm ziehen, das Hotel aufgeben. Immer nur für ihn da sein.«

»Hat er das gesagt?« Paula konnte sich das beim besten Willen nicht von Gunnar vorstellen. »Das ist doch klar«, sagte Agneta im Brustton der Überzeugung. »Er braucht eine Frau an seiner Seite, und da komme ich ihm gerade recht.«

Na also, Gunnar hatte nichts in dieser Richtung je zu ihrer Schwester gesagt. Agneta sprach von den Erfahrungen, die sie früher gemacht hatte, nicht mehr und nicht weniger.

»Wann hörst du endlich auf, den Männern zu misstrauen«, sagte Paula. »Es sind nicht alle so wie Erik.«