Mobbing - nicht mit mir! - Holger Wyrwa - E-Book

Mobbing - nicht mit mir! E-Book

Holger Wyrwa

0,0
8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: Goldmann
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Über zwei Millionen Menschen sind in Deutschland von Mobbing betroffen – sei es am Arbeitsplatz, in der Schule oder in sozialen Medien. Psychotherapeut und Mobbing-Experte Dr. Holger Wyrwa erläutert, warum es jeden treffen kann, aus welchen Gründen jemand zum Mobber wird und was man dagegen tun kann. Denn wer die Hintergründe versteht, kann aktiv gegen Mobbing vorgehen. Darüber hinaus liefert Wyrwa ganz konkrete Strategien, die Betroffenen helfen, Blockaden im Kopf zu lösen und sich selbst zu verteidigen. Ein Thema, das uns alle angeht!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 319

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Buch

Über zwei Millionen Menschen werden in Deutschland Tag für Tag gemobbt. Kinder, Jugendliche und Erwachsene sind gleichermaßen betroffen. Niemand kann sich davor schützen. Und niemand wird davor beschützt. Was ist los mit unserer Gesellschaft, in der jeder jederzeit der Nächste sein kann? Und warum wehren wir uns nicht und lassen uns so viel gefallen?

Dr. Holger Wyrwa, seit 20 Jahren in der Mobbingtherapie und -beratung tätig, zeigt auf, dass wir nur in der Lage sind, uns angemessen gegen Ungerechtigkeiten aller Art zur Wehr zu setzen, wenn wir die zugrunde liegenden Mechanismen verstehen. Darüber hinaus erläutert er konkrete Strategien, die Betroffenen helfen, Blockaden im Kopf zu lösen und sich selbst zu verteidigen. Damit es endlich heißt: Mobbing – nicht mit uns!

Autor

Dr. Holger Wyrwa ist promovierter Erziehungswissenschaftler, Vertragspsychotherapeut, Supervisor, Coach sowie Leiter des Instituts für berufliche Fort- und Weiterbildung (IBF). Seine Tätigkeitsbereiche sind unter anderem Coaching, Persönlichkeitsentwicklung, Mitarbeiterführung und Mobbingberatung. Der Autor wurde selbst eineinhalb Jahre lang gemobbt und hat sich erfolgreich dagegen zur Wehr gesetzt.

Außerdem von Holger Wyrwa im Programm

Mobbt die Mobber!

Dr. Holger Wyrwa

Mobbing – nicht mit mir!

Warum es jeden treffen kannWie man sich wehrt

Mit Cybermobbing

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Alle Ratschläge in diesem Buch wurden vom Autor und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung des Autors beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.
Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH Copyright © 2017 der Originalausgabe Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Umschlaggestaltung: Uno Werbeagentur, München Satz: Uhl + Massopust, Aalen KW · Herstellung: CB ISBN 978-3-641-18243-4V002 www.goldmann-verlag.de
Besuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz.

Inhalt

Einleitung

Teil I: Die Anatomie des Mobbings

»Was niemand sieht!« – Ein Tagebuchauszug

Analyse eines Massenphänomens – Eine Erfolgsgeschichte

Vom Ende der Solidarität – Die Faktenlage

Ein postmoderner Krieg – Das Arsenal der Zerstörung

Das Internet lässt grüßen– Die zweite Welle des Psychoterrors

Ein ungeschehenes Geschehen – Das Phänomen der Invisibilität

Ein Albtraum, der nicht enden will – Die gesundheitlichen Folgen

Ein krimineller Akt – Die Grenzen der Gerechtigkeit

Menschliches Versagen inklusive – Ein Trauerspiel

Die Macht der invisiblen Strukturen – Das Romeo-Dilemma

Ohne Wegseher geht es nicht – Der Pilatus-Effekt

Teil II: Die Mobbingfalle

»Von jetzt auf gleich gehörte ich nicht mehr dazu!« – Eine Gemobbte erzählt

Die Verlierer der Zukunft

Warum es jeden treffen kann – Das Mobbing-Roulett

Viagra für das Volk – Die Droge Exklusion

Ein kleiner Tod des Lebens – Der Infarkt der Psyche

Teil III: Die Welt der Mobber

»Warum mir Mobben Spaß machte!« – Ein Mobber outet sich

Auf den Spuren des Bösen, erster Akt

Warum Ausgrenzung unvermeidbar ist –Die unheimliche Macht des Gehirns

Der Wille zur Macht – Das Bedürfnis nach Kontrolle

Das Quälen ist des Mobbers Lust – Der Lust-Mobber

Ene mene mu und raus bist du – Der Angst-Mobber

Was du nicht willst, das man dir tu, füg anderen zu – Der Co- und Auftragsmobber

Es ist noch kein Mobber vom Himmel gefallen – Der Stress-Mobber

Wer anderen eine Grube gräbt, beerdigt gern – Der Macht-Mobber

Die Sucht nach Sicherheit– Die Hinterzimmer der Psyche

Teil IV: Die Gesellschaft der Mobber

»Und plötzlich traten alle zu!« – Eine Gemobbte klagt an

Auf den Spuren des Bösen, zweiter Akt

Ein Ort, der nicht zu finden ist – Das geheime Netz der Hyperstrukturen

Das Individuum als Wegwerfware – Die Verdinglichung des Menschen

Ein Gespinst aus lauter Lügen – Das Zeitalter der Simulation und Dissimulation

Freibrief für den Psychoterror – Die Hinterzimmer der Gesellschaft

Teil V: Die hohe Kunst der Selbstverteidigung

»Warum ich mich wehrte und es mir gut damit ging!« – Ein Gegenmobber berichtet

Von der Angst, sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen

Warum wir uns so viel gefallen lassen – Das gezähmte Ich

Der Gutmensch lässt grüßen – Der Pax-vobiscum-Code

Die Kunst der subtilen Gegenwehr

Vom Siegen– Der Kampf ums Überleben

Wie man sich wehrt und dabei nicht zum Ungeheuer wird – Die Ethik der Gegenwehr

Vom Schachspiel des Mobbings – Die Anleitung zum Widerstand

Das Notwehr-Mobbing in der Praxis – Der Fall Mertensbacher

Ausblick: Wo bleibt die Hoffnung?

Quellennachweis

Quellennachweis der Mottozitate

Literaturverzeichnis

Sachregister

Personenregister

All denen gewidmet, die von Mobbing betroffen sind.

In einer Gesellschaft, in welcher der Mensch wenig zählt, in der das Recht des Stärkeren immer weiter um sich greift, wird der Terror gegen die Psyche zwar moralisch verurteilt, aber dennoch stillschweigend geduldet. Diese Widersprüchlichkeit erzeugt ein Klima massiver Verunsicherung und bringt wieder einmal das Schlimmste im Menschen zum Vorschein: sich selbst aufzuwerten, indem andere erniedrigt, abgewertet und ausgegrenzt werden.

Einleitung

In einer Gesellschaft, in der über zwei Millionen Menschen – Kinder, Jugendliche, Erwachsene – massivstem Psychoterror ausgesetzt sind, läuft etwas grundlegend falsch.

Tagtäglich werden sie rücksichtslos und systematisch von ihren Mitmenschen ausgegrenzt. Ihre psychische und physische Gesundheit wird zerstört. Die Folgen sind katastrophal: Angststörungen, Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen, psychosomatische Erkrankungen. Manchmal bis hin zum Suizid. Geschätzte Zahl für Deutschland: 3000 Tote pro Jahr.

Jederzeit kann es jeden treffen. Niemand kann sich vor Mobbing schützen. Zu vielschichtig und miteinander verwoben sind die Faktoren, die das Mobbing – sei es nun am Arbeitsplatz oder in der Schule – auslösen können: Es reicht aus, attraktiv oder unattraktiv zu sein, intelligent oder weniger intelligent, kompetent oder inkompetent, beliebt oder unbeliebt, erfolgreich oder erfolglos, alt oder jung und, und, und …

Für eine Gesellschaft, die sich als zivilisiert und human bezeichnet, die großen Wert auf ihre sozialen Errungenschaften legt, ist Mobbing ein Phänomen, das diesem Anspruch zutiefst entgegensteht. Obwohl der Terror gegen die Psyche mittlerweile von der Öffentlichkeit nicht mehr vollständig ignoriert und bagatellisiert werden kann, wird er nur allzu oft noch an den Rand unseres Bewusstseins gedrängt.

Man stelle sich vor, dass in Deutschland Tag für Tag zwei Millionen Menschen auf offener Straße verprügelt werden würden. Ein nicht zu überhörender Aufschrei ginge durch die Republik. Doch beim Mobbing hört man diese Schreie nicht.

Das Problem beim Mobbing ist, dass die davon Betroffenen nicht öffentlich bedroht werden, sondern die Vorfälle hinter den geschlossenen Türen von Schulen und Unternehmen stattfinden.

Der Psychoterror ist kriminell. Er ist reinste Gewalt – und findet dennoch in einem rechtsfreien Raum statt, da Mobbing in Deutschland – im Gegensatz zu anderen Ländern – keinen Straftatbestand darstellt.

Zwei Millionen Betroffene stehen wenigstens zwei Millionen Tätern und Täterinnen gegenüber. Berücksichtigt man, dass fast jeder Mobber Verbündete hat – vor allem im schulischen Umfeld –, kann man wohl mindestens weitere zwei Millionen Menschen den Tätern zuordnen.

Mindestens sechs Millionen Menschen, Täter, Mittäter und Betroffene, sind somit am Mobbing beteiligt.

Hinzuzurechnen wären auch die indirekt Betroffenen – die Partner, die Eltern der Gemobbten –, die nicht vergessen werden sollten. Und aus sechs Millionen Menschen werden so acht Millionen oder mehr.

Würde man auch die indirekt Beteiligten noch hinzurechnen – die Wegseher, ohne die das Mobbing in keiner Gesellschaft existieren könnte –, kämen weitere Millionen hinzu.

Betrachtet man diese Zahlen, nährt sich der Verdacht, es hier mit einem kriegsähnlichen Zustand innerhalb einer Gesellschaft zu tun zu haben. Doch es ist kein Krieg, der mit konventionellen Waffen ausgetragen wird. Die Mobber nutzen nicht ihre Fäuste, auch keine Schuss- und Stichwaffen. Sie benutzen eine viel effektivere Waffe, um Menschen bewusst und nachhaltig zu schädigen, sie zu zerstören und sie damit letztlich ihrer Menschlichkeit zu berauben: die Lüge. Über Zehntausende von Jahren erfolgreich genutzt und immer weiter perfektioniert.

Die Lüge ist ein gängiges Mittel, um ohne Rücksicht auf Einzelne oder die Gemeinschaft eigene Interessen skrupellos durchsetzen zu können. Die Lüge ist die Waffe der Moderne. Sie verschleiert. Sie maskiert. Sie verdunkelt die Wahrheit. In einem verhängnisvollen Mix aus Halbwahrheiten, Gegenbehauptungen, Verkomplizierungen steht man ihr hilflos gegenüber. Denn die systematisch eingesetzte Lüge löst einen Prozess der Invisibilität – der Unsichtbarkeit – aus. Alles, was gesagt und getan wird, kann direkt wieder geleugnet werden.

Die Lüge in diesem Zusammenhang als ein Instrument des Krieges zu sehen fällt vielenzunächst schwer. Zu sehr sind wir noch in dem Gedanken gefangen, dass bei einem Krieg Schüsse fallen und jede Menge Blut fließt. Ein verhängnisvoller Trugschluss. Denn psychische Gewalt steht körperlicher Gewalt in nichts nach. Jede Zeit hat ihre spezielle Form von Gewalt. Häufig erkennt man ihre Unrechtmäßigkeit jedoch erst dann, wenn sie schon viele Opfer gekostet hat.

In diesem modernen Krieg, in dem die Lüge in all ihren Formen als Taktik und auch als Strategie eingesetzt wird, um Menschen bewusst und gezielt auszugrenzen, muss man noch nicht einmal selbst von Mobbing betroffen sein.

Denn wir stoßen beim Psychoterror zum einen auf die nur scheinbar verborgene Gewalt- und Zerstörungsbereitschaft von Menschen, zum anderen auf ein gesellschaftliches Phänomen: die unter einer dünnen Schicht Humanität verborgene Bereitschaft, Menschen auszugrenzen, um als Gesellschaft bestehen zu können.

Der Terror gegen die Psyche ist somit nur eine Facette von vielen im pathologischen Zwangsverhalten einer Gesellschaft, die Menschen unentwegt in Sieger und Verlierer einteilen muss. Arme, Kranke, Schwache, Arbeitslose, Alte, Migranten werden oft systematisch ausgegrenzt. Sie werden benachteiligt, geschädigt, entmenschlicht. Ihre Ausgrenzung ist keine offensichtliche, sondern durch eine vermeintliche Zugehörigkeit zur Gesellschaft getarnt.

Das betrifft zahlreiche Menschen: Kranke, die aus Kostengründen aus ihrer Krankenkasse vertrieben werden; Versicherte, die keine Unterstützung erhalten, wenn der Ernstfall eingetreten ist, obwohl es ihnen in Verträgen zugesichert wurde; Alte, die als überflüssig betrachtet werden und in Altenheimen unter teils menschenunwürdigen Verhältnissen vor sich hin vegetieren; Verarmte und Arbeitslose, die das Stigma des Schmarotzers tragen, obwohl sie nichts lieber tun würden, als zu arbeiten; von Mobbing Betroffene natürlich, die ihrer beruflichen, finanziellen und menschlichen Existenz beraubt werden; auf die Ehrlichkeit von Bankern Vertrauende, die um ihre Altersvorsorge betrogen werden; aber auch von Ausgrenzung Bedrohte, die von ihren Arbeitgebern ausgebeutet werden. Allen ist gemeinsam: Ein Mensch wird zum Objekt gemacht, das beliebig hin und her geschoben wird wie eine Schachfigur. Denn Ausgrenzung heißt auch immer: dem Menschen seine Menschlichkeit zu nehmen, ihn zu verdinglichen, ihn seiner Verwirklichungsmöglichkeiten zu berauben und ihn darüber an den Rand der Gesellschaft zu katapultieren.

Doch was sind die Gründe dafür, dass jederzeit jeder Mensch in unserer Gesellschaft den kleinen Tod des Lebens – den Tod der Ausgrenzung – sterben kann? Es ist nicht nur der einzelne »böse« Mensch oder eine Gruppe von »bösen« Menschen, die andere um ihrer Vorteile willen systematisch ausgrenzen. Es ist nicht nur die Gesellschaft, dieses abstrakte Gebilde, das von der Ausgrenzung von Menschen profitiert.

Es ist ebenso die grundlegende Funktion unseres Gehirns: Wir müssen Ordnungen herstellen, eine Tatsache, die unser Denken, Fühlen und Handeln massiv beeinflusst und den Nährboden für Mobbing mit bereitet.

All die Zusammenhänge werden in diesem Buch exemplarisch verdeutlicht am Beispiel des Mobbings. Denn dabei zeigt sich die Ausgrenzung sehr deutlich. Ein Phänomen, das nicht so neu ist: Ein Blick in die Geschichte der Menschheit zeigt, dass Ausgrenzung in ihren verschiedenen Formen immer ein Bestandteil des menschlichen Denkens und Handelns und somit einer jeden Gesellschaft war.

In der jüngeren Geschichte etwa zeigte sich der Hang des Menschen zur Ausgrenzung anderer am verheerenden Beispiel des Nationalsozialismus und des Stalinismus, wo Millionen Menschen aufgrund ihrer Andersartigkeit oder ihrer Inkompatibilität mit dem politischen System systematisch getötet wurden.

Aber nicht nur, dass das Mobbing als neue Form der Ausgrenzung in unserer Gesellschaft aus der Mitte der Gesellschaft heraus geboren wurde und sich wie eine Seuche ausbreitet, ist katastrophal. Ebenso brisant ist der Umstand, dass wir uns gegen sie kaum zur Wehr setzen, wenn wir von ihr betroffen sind. Dass wir anscheinend verlernt haben, unser Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, wenn die angeblichen Mechanismen des Staates zum Schutz seiner Bürger versagen. Wenn niemand mehr bereit und fähig ist zu helfen. Die Verursacher von Ausgrenzung halten sich in dieser Situation für unangreifbar. Solange sie sich im – häufig weitgesteckten – Rahmen gültiger Gesetze bewegen, können sie mittels Lüge ungestraft ihre Spiele mit Menschen spielen. Sie haben sich daran gewöhnt, dass nur sie die Sieger sein können, ganz gleich, was sie tun.

Erst wenn wir bereit sind, uns mit allen denkbaren und zur Verfügung stehenden Mitteln – auch unkonventionellen – zur Wehr zu setzen, haben wir überhaupt eine Chance, aus der Opferrolle herauszutreten.

Es ist ein verhängnisvoller Irrtum unserer Zeit zu glauben, dass jedes Problem mit etwas gutem Willen lösbar sei. Dennoch geht es in diesem Buch nicht um ein simples Auge-um-Auge-, Zahn-um-Zahn-Prinzip. Wer sich mit Ungeheuern einlässt – so einst der Philosoph Friedrich Nietzsche –, muss zusehen, dass er nicht selbst dabei zum Ungeheuer wird. Aus diesem Grund ist eine Ethik der Selbst-Verteidigung gegen Mobber unerlässlich, wenn es darum geht, sich wirkungsvoll zu verteidigen.

Doch weshalb fällt es uns so schwer zu begreifen, dass wir unser Recht auf Gerechtigkeit auch gegen massiven Druck durchsetzen müssen? Dass wir angesichts eines gesellschaftlichen Systems, das immer weniger Wert auf Menschlichkeit legt und in dem der Einzelne wenig zählt, dabei sind, unser Erbe der Humanität zu verspielen? Sind wir zu einer Gesellschaft von Schafen geworden, die sich von Wölfen – viele davon in Schafspelze gehüllt – fressen lassen?

Das ist die eigentliche Katastrophe des 21. Jahrhunderts: dass wir zu wehrlosen Marionetten geworden sind, die sich widerstandslos zur Schlachtbank führen lassen.

Auf diese Weise geht jede Demokratie zugrunde.

Dem »Wie soll ich mich wehren« sind in diesem Buch vor allem – wenn auch nicht nur – die Voraussetzungen für dieses »Wie« vorgeschaltet. Es ist ein Sachbuch, das durch einen Ratgeberanteil ergänzt wird. Denn ohne die Lösung der uns anerzogenen Blockaden in unseren Köpfen sind und bleiben wir hilflos. Erst durch das Überwinden dieser Blockaden kann es uns gelingen, uns angemessen, druckvoll und ohne falsches Mitleid gegen die Zerstörung unserer Psyche und gegen erlittenes Unrecht zur Wehr zu setzen.

In diesem Buch geht es deshalb darum herauszustellen, dass wir in einer Gesellschaft leben, die sich hinsichtlich der Ausgrenzung nicht grundlegend von den Gesellschaften der Vergangenheit unterscheidet. Nur die Art, wie es geschieht, hat sich verändert, und bedauerlicherweise ist unser Blick für ebendiesen Wandel noch nicht ausreichend geschärft.

Erst wenn wir diesen Blick verändern, können wir dem Verfall von Menschlichkeit effektiven Widerstand entgegensetzen: mit ausgefallenen Ideen, Einfallsreichtum, der nötigen Entschlossenheit und im Zusammenschluss von Menschen, die sich gegenseitig unterstützen. Denn die Gesellschaft als abstraktes System wird es nicht tun. Zu sehr hat sie sich bereits von ihrer Basis – den Menschen – entfernt, als dass sie dazu noch in der Lage und Verfassung wäre. So braucht sie dringend Impulse von ebendieser Basis, um ihren einmal eingeschlagenen Weg korrigieren zu können.

Während im ersten Teil des Buches das Massenphänomen Mobbing vorgestellt wird, geht es im zweiten Teil darum zu verdeutlichen, dass jedes Kind, jeder Jugendliche, jeder Erwachsene ein Opfer von Mobbing werden kann.

Im dritten Teil wird herausgestellt, was die Motive der Mobber sind und dass diese letztlich alle darin gipfeln, Menschen zu erniedrigen, auszugrenzen und psychisch zu zerstören. Hier ergibt sich – zwar nicht inhaltlich, aber strukturell –, wie noch zu zeigen sein wird, eine Parallele zum Ausgrenzungswahn des Dritten Reiches.

Im vierten Teil des Buches werden die gesellschaftlichen Grundlagen des Mobbings durchleuchtet und als Nährboden für jede Form von Ausgrenzung betrachtet.

Der letzte Teil des Buches ist der Kunst der subtilen Gegenwehr vorbehalten. Ziel ist aufzuzeigen, wie sich Betroffene mittels eines Notwehr-Mobbings auch zur Wehr setzen können, wenn alle bisherigen konventionellen Möglichkeiten gescheitert sind.

Teil I: Die Anatomie des Mobbings

»Was niemand sieht!« –Ein Tagebuchauszug

Montag, 6.30 Uhr

Die ganze Nacht schlecht geschlafen. Immer wieder hochgeschreckt. Wieder mehrere Albträume, wie jede Nacht. Kann mich nicht an alle erinnern. Meine Frau schläft im Kinderzimmer. Seit drei Wochen. War meine Idee. Sie denkt, bald dreht er durch. Hat nicht ganz unrecht. Nicht mehr lange. Alles nur noch eine Frage der Zeit.

Sie hat Angst. Um mich. Wenigstens eine. Immerhin. Sie darf mich nicht verlassen.

Heute ist Personalgespräch. Die werden mich fertigmachen. Der Betriebsrat ist feige. Keine Hilfe von dieser Seite zu erwarten. Der Chef und Uli duzen sich.

Ich will aufstehen.

Die Decke ist schwer wie Blei.

Liegen bleiben. Weiterschlafen. Für immer. Das wäre schön. Ich muss aufstehen.

Ich muss.

Natürlich stehe ich auf. Ich tue es immer.

Bleibe ich liegen, ist es aus.

Montag, 7.55 Uhr

Sitze im Wagen. Es ist kalt. Keine Standheizung. Bloß keine Minute zu früh zur Arbeit. Der Zeiger der Uhr. Er macht mich nervös. Er bewegt sich zu schnell. Ich sehe Jan. Er geht auf die Stechuhr zu. Langsam. Ein bisschen Morgenmüdigkeit vielleicht. Aber ausgeschlafen. Ich beneide ihn. Er versteht mich. Sagt er. Glaube ich aber nicht mehr. Helfen wird er nicht. Hat Angst um seinen Job. Kann es verstehen. Hätte ich wohl auch. Vielleicht ist er der Nächste.

Die Uhr zeigt 8.01 Uhr. Eine Minute zu spät zur Arbeit. Bis zur Stechuhr weitere zwei Minuten. Insgesamt drei Minuten. Drehen mir bestimmt einen Strick daraus. Unpünktlichkeit. Jede Kleinigkeit wird vermerkt. Ist mir egal. Ich will da nicht rein. Ich will da nicht rein.

Aber ich muss da rein.

Ich öffne die Wagentür.

Montag, 8.10 Uhr

Der Flur ist leer. Seit dem neuen Chef. Keine Tür-und-Angel-Gespräche mehr. Jeder macht nur noch seine Arbeit. Ich sehe mich um. Kein Chef in Sicht. Manchmal steht er vor meiner Bürotür. Wartet auf mich. Oder seine Sekretärin.

Ich halte die Anspannung kaum aus. Wie ein unendlicher Fluss von Strom rast sie durch meinen Körper.

Die Angst frisst mich an.

Ich beeile mich. Schnell in mein Büro. Tür zu. Aufatmen. Nur kurz.

Ich stehe unter Quarantäne. Niemand redet mit mir. Alle wissen: Ich stehe auf der Abschussliste. Zu alt. Zu ineffektiv. Leistungshöhepunkt überschritten. Ich bin 45. Was für ein Witz.

Meine Hände zittern. Ich lache. Leise.

Keiner sieht die Verzweiflung. Sie tobt in mir. Keiner will sie sehen.

Montag, 10.00 Uhr

Kein Personalgespräch. Abgesagt. In letzter Minute. Frau Beier teilt es mir mit. Süffisant. Die Götterbotin des Chefs. Teilhaberin der Macht.

Das dritte Mal in diesem Monat. Fühle mich wie vor einem Exekutionskommando. Alle legen auf mich an. Drücken ab. Platzpatronen. Ab zurück in die Zelle. Auf ein nächstes Mal.

Will meine Frau anrufen. Ihr alles erzählen. Ich weiß, sie kann es nicht mehr hören. Ich tue es nicht. Ich verstehe sie.

Versuche, zu arbeiten. Werde mit Arbeit überhäuft. Schaffe das nicht. Die wissen das ganz genau. Wieder ein Grund mehr, mich auszumustern.

Ich schreie. Ganz laut: in mir. Ununterbrochen. Ich kann mich hören.

Schritte auf dem Gang. Ich lausche. Ich kenne diesen Schritt. Er ist es.

Er bleibt stehen.

Hoffnung, dass er abbiegt. Rechts in sein Büro. Tut er nicht. Schritte in meine Richtung. Es ist klar. Er will zu mir. Er will immer zu mir. In wenigen Sekunden klopft er an meine Tür.

Mein Herz schlägt wie verrückt.

Ich setze eine gelassene Miene auf. Ich schreie immer noch.

Er steht vor meiner Tür.

Seine Füße scharren wie ein brünstiges Pferd.

Ich sehe sein Gesicht: grinsende Fettvisage.

Er weiß, dass ich ihn höre.

Er kostet es aus.

Seine Hand hebt sich, ballt sich zur Faust, nähert sich der Tür.

Wenn es dich gibt, Gott: Lass es ihn sich anders überlegen.

Analyse eines Massenphänomens – Eine Erfolgsgeschichte

Vom Ende der Solidarität – Die Faktenlage

Seelische Gewalt ist, ganz gleich für welche Definition man sich entscheidet, eine Gewalt der kleinen Treffer. Man sieht sie nicht, und dennoch wirken sie ungemein zerstörerisch. Jeder Angriff, für sich betrachtet, ist eigentlich nicht schlimm – was die Gewalt ausmacht, ist die Häufung der winzigen Traumata.

Marie-France Hirigoyen, Mobbing

Schon immer in der ereignisreichen, von Gewalt durchzogenen Geschichte der Menschheit gab es eine Form der Gewalt, die eher ein Schattendasein führte. Die zwar nicht sichtbar, aber äußerst zerstörerisch ist. Eine, die einem »elitären« Kreis von Menschen vorbehalten war: Heerführern, Monarchen, Adeligen, Kirchenfürsten, reichen Kaufleuten und Politikern unterschiedlichster Couleur. Diese Form von Gewalt war einer breiten Masse nicht bekannt, weil sie sich auf einer äußerst subtilen Ebene abspielte. Ihre Wirkungsweise hingegen stand der weitverbreiteten physischen Gewalt in nichts nach. Es wurde nur nicht mittels Waffen getötet, sondern mittels mehr oder weniger ausgeklügelter Pläne, die alle nur ein einziges Ziel hatten: Menschen so zu täuschen, zu verwirren und unter Druck zu setzen, dass sie früher oder später nicht mehr dazu in der Lage waren, ihren eigenen Interessen zu folgen oder sie überhaupt noch zu erkennen. Sie systematisch zu demoralisieren, sie in Fallen zu locken, aus denen es kein Entkommen mehr gab.

Ein Beispiel dafür waren die »médisance« (üble Nachrede, Verleumdung), die höfischen Kleinkriege, die Adelige, insbesondere am Hof des französischen Königs Ludwig XV., anwandten, um mit heimtückischen Bosheiten ihre Gegner zu zerstören.1 Ein anderes Beispiel ist die psychologische Kriegsführung, die von den Zeiten Trojas bis heute eingesetzt wird, um Menschen Dinge vorzugaukeln, die nicht der Wahrheit entsprechen.2

Diese invisiblen – unsichtbaren – Methoden psychischer Gewalt, deren Urform die Intrige ist, haben nichts an Aktualität eingebüßt. Was sich hingegen verändert hat, ist die enorme Ausweitung ihres Aktionsradius. Denn heute sind es nicht ausschließlich die sogenannten Eliten, die einige ihrer Mit-Menschen psychisch zerstören wollen, sondern immer mehr sind es die »ganz normalen Menschen von nebenan«, die ihre Kollegen oder Mitschüler mit Psychoterror überziehen und auf deren Untergang hinarbeiten.

Es ist dem Pionier der Mobbingforschung Hans Leymann zu verdanken, dass er dieses bisher nicht ausreichend beachtete Phänomen in den 1980er-Jahren publik machte.3 So führte er in das wissenschaftliche Denken den Begriff Mobbing ein, der aus dem Englischen (to mob) heraus übersetzt so viel bedeutet wie jemanden bedrängen, ihn anpöbeln, ihn attackieren.4 Letztlich beschrieb Leymann nichts grundlegend Neues. Denn zu allen Zeiten wurden Menschen in Fallen gelockt, systematisch ausgegrenzt und isoliert. Doch neu war, dass das Phänomen namens Mobbing wohl mehr in unseren Gesellschaftssystemen verankert war und ist, als man es sich bis dahin vorstellen konnte.

Nach der dritten europäischen Erhebung der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz 2000 sind europaweit circa 12 Millionen Menschen von Mobbing betroffen.5 In Deutschland sind es etwa 1 bis 1,5 Millionen Menschen, Erwachsene wohlgemerkt, die von Mobbing betroffen sind.6 Und nimmt man Kinder und Jugendliche hinzu – an Deutschlands Schulen werden zwischen 500 000 und 750 000 von ihnen gemobbt –, dann sind wir bei mindestens 2 Millionen Gemobbten.7

Das ist eine sehr hohe Zahl. Doch sie täuscht insofern, als sie nur die Betroffenen auflistet. Denn Gemobbte müssen nun einmal von ganz realen Menschen gemobbt werden. Das heißt, dass etwa zwei Millionen Betroffenen mindestens genauso viele Mobber gegenüberstehen. Rechnen wir hinzu, dass es gerade in Schulen nicht nur Einzelmobber sind, sondern Mitmobber beteiligt sind, und auch im Arbeitsbereich nicht immer nur Einzelpersonen sind, die mobben, dann erhöht sich die Zahl auf geschätzte vier Millionen aktiv Mobbende. Darüber hinaus müssen auch die indirekt Betroffenen berücksichtigt werden: Die Partner der Gemobbten, die Familie, die Eltern, die nicht viel weniger leiden als die direkt Betroffenen. Ziehen wir alle diese Zahlen zusammen, kommen wir auf über acht Millionen Menschen, die direkt wie indirekt von Mobbing in unserer Gesellschaft betroffen sind. Und rechnen wir hinzu, dass es neben den aktiv Mobbenden die noch viel größere Anzahl der passiven Zuseher oder Wegseher gibt, dann würde sich die Zahl vervier- oder gar verfünffachen.

Die Zahlen sind erschreckend. Aber wesentlich erschreckender ist, dass es im öffentlichen Bewusstsein keine entsprechende Resonanz darauf gibt. Abgesehen von wenigen »Skandalberichten« wird Mobbing in unserer Gesellschaft nicht allzu sehr beachtet, weder von der Politik, dem Gesundheitswesen noch vom Justizsystem. Denn sie stehen diesem Massenphänomen weitgehend hilflos gegenüber. Hinzu kommt, dass die Gefahr, die vom Mobbing für unsere Gesellschaft ausgeht, bei Weitem unterschätzt wird. Denn setzt sich das Mobbing ungebremst fort, frisst sich unsere Gesellschaft von innen heraus auf.

Doch wie wird das Phänomen Mobbing definiert? Wie unterscheidet es sich von mehr oder weniger alltäglichen Konflikten am Arbeitsplatz oder in der Schule?

Es ist nicht einfach, Mobbing von alltäglichen Konflikten zu unterscheiden,8 denn letztlich basiert Mobbing auch immer auf Konflikten. 9 Es geht nur weit darüber hinaus.10 Mobbing ist mehr als nur eine Auseinandersetzung zwischen Menschen, eine Streiterei zwischen Schülern.11 Es geht nicht darum, dass man eine unterschiedliche Sicht auf die Dinge hat, unterschiedlich arbeitet, mal aufeinander neidisch ist oder feststellt, dass man unterschiedliche Werte im Leben hat. Das alles kann zu Mobbing führen – muss es aber nicht.

Mobbing unterscheidet sich von alltäglichen Konflikten durch fünf zentrale Wesensmerkmale.

1. Gerüchte und Verleumdungen

Der Psychoterror des Mobbings besteht erstens aus systematischen, destruktiven – also zerstörerischen – Handlungen. Das können am Arbeitsplatz etwa das Verbreiten von Gerüchten, Falschbewertungen von Arbeitsleistungen oder Beleidigungen sein.12

Im Kontext Schule spielen unter anderem ebenfalls Gerüchte und Beleidigungen eine Rolle, aber oft auch körperliche Handlungen wie Spucken, Treten oder Schlagen,13 ebenso Cybermobbing. Im später folgenden Kapitel über das Arsenal der Zerstörung wird das ganze Spektrum der Mobbing-Techniken deutlicher werden.

2. Bestimmte Personen werden gezielt gemobbt

Sowohl für den Kontext Arbeit wie auch für den Kontext Schule ist entscheidend, dass zum Zweiten diese Mobbinghandlungen zielgerichtet erfolgen. Sie betreffen also nicht etwa das ganze Personal einer Firma oder eine ganze Schulklasse, sondern jeweils Einzelpersonen in ihnen, wobei diese durchaus wechseln können.

3. Mobbing dauert an

Zum Dritten erfolgt das Mobbing über einen längeren Zeitraum. Was das genau bedeutet, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten: So verweist etwa Leymann darauf, dass der Psychoterror mindestens ein halbes Jahr andauern muss, um Mobbing genannt zu werden.14 Andere Autoren betonen, dass Mobbing beispielsweise auch schon während der Probezeit erfolgen kann.15 Es ist durchaus denkbar, dass Mobbing bereits am ersten Arbeits- oder Schultag beginnt. Das Thüringer Landgericht verweist darauf, dass zur Feststellung des Psychoterrors das Mobbing nicht an eine Mindestlaufzeit oder wöchentliche Frequenz gebunden ist, sondern vom Einzelfall abhängt.16

4. Es geht um Macht

Viertens ist, um von Mobbing zu sprechen, wichtig, dass das Machtverhältnis klar ist. Das heißt: Der oder die Mobber verfügen über Durchsetzungsmacht, über die der Gemobbte nicht verfügt. Durchsetzungsmacht bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der oder die Mobber sich in einer stärkeren offiziellen oder inoffiziellen Position befinden.17 Aufgrund dessen ist der von Mobbing Betroffene von vorneherein schon immer der Schwächere.

Betrachten wir diesen Umstand etwas genauer.

So gibt es einmal das sogenannte Bossing. Hier sind es die Vorgesetzten, die ihre Mitarbeiter systematisch und zielgerichtet und über einen längeren Zeitraum psychisch unter Druck setzen. Es ist die häufigste Form von Mobbing. Die bisher einzige Repräsentativstudie von 2002 für Deutschland zum Thema Mobbing stellt fest, dass in der Hälfte aller Mobbingfälle Mitarbeiter von Vorgesetzten gemobbt wurden.18

Daneben gibt es allerdings auch das horizontale Mobbing. Hier mobben Kollegen einen anderen Kollegen. Die Macht der Kollegen über den Gemobbten zeigt sich zum einen darin, dass sie zahlenmäßig in der Überzahl sind. Zum anderen kann es ein einzelner Kollege sein, der mobbt, der aber durch seine inoffizielle Position im Team eine Machtposition hat, der sich alle anderen Kollegen mehr oder weniger freiwillig unterwerfen. Schließlich gibt es noch das Staffing: Hier mobbt ein Mitarbeiter oder mehrere Kollegen zusammen einen Vorgesetzten. Diese Variante des Psychoterrors kommt eher selten vor, ist aber nicht auszuschließen. Die Durchsetzungsmacht beim Staffing entsteht, indem die mobbenden Mitarbeiter tatsächliches oder vorgebliches Fehlverhalten eines Vorgesetzten gemeinsam öffentlich machen oder gezielt Gerüchte streuen. Zudem gibt es noch das strategische Mobbing, etwa, wenn Mitarbeiter aus Altersgründen zur Kündigung getrieben werden sollen, ohne dass man ihnen eine entsprechende Abfindung zahlen will. Hierbei gibt es in der Regel keine persönlichen Motive der Mobber, sondern es wird gemobbt, um Kosten zu sparen.

5. Mobbing ist zielgerichtet

Der fünfte Aspekt, der Mobbing von alltäglichen Konflikten abgrenzt, ist, dass die Ziele des Mobbings offensichtlich sind: Es geht am Arbeitsplatz beispielsweise darum, einen Mitarbeiter von anderen Kollegen zu isolieren und damit auszugrenzen. Allerdings ist dies nur eine Art Zwischenziel. Denn das eigentliche Ziel ist im Allgemeinen, dass der Mitarbeiter so lange gemobbt wird, bis er seinen Arbeitsplatz »freiwillig« aufgibt oder gekündigt werden kann.

Das Ziel bei Mobbing und Cybermobbing in der Schule hingegen sieht anders aus. Auch hier geht es um Isolation und um Ausgrenzung. Aber der gemobbte Schüler soll nicht die Schule verlassen. Vielmehr soll er bleiben, damit er weiterhin gemobbt werden kann.

Mobbing in der Schule – was ist hier anders?

In der Schule tritt das horizontale Mobbing besonders häufig auf. Ein strategisches Mobbing kommt unter Schülern praktisch nicht vor. Eine Art von Bossing ist das Mobben von Schülern durch Lehrkräfte. Hier kann sich auf verhängnisvolle Art – wie auch beim Erwachsenenmobbing – das Bossing mit dem horizontalen Mobbing verbinden, sodass die von Mobbing betroffenen Schüler einen Zweifrontenkrieg erleben.

Eine weitere Variante des Mobbings in Schulen ist, dass Schüler Lehrer mobben.

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass beim Mobbing unter Schülern die körperliche Variante des Psychoterrors oft eine wichtige Rolle spielt, ebenso das Cybermobbing. Körperliche Auseinandersetzungen spielen im Gegensatz zum Mobbing unter Erwachsenen eine herausragende Rolle.19 Während sie im Erwachsenenbereich eher selten sind, sind sie beim Mobbing unter Schülern nicht wegzudenken. Erst an weiterführenden Schulen ähnelt das Mobbing unter Schülern mehr und mehr dem unter Erwachsenen.

Ein 6. Aspekt: Mobbing ist Gewalt

In diesem Buch wird nun noch ein weiteres – ein sechstes – Wesensmerkmal des Mobbings hinzugefügt. Es wird im Folgenden noch häufiger erwähnt werden. Mobbing wird hier auch als ein Akt der Gewalt definiert.20

Denn eines darf nicht vergessen werden: Dem Psychoterror liegt eine bewusste Schädigungsabsicht zugrunde.

Die Täter und Täterinnen wollen die Psyche ihrer Opfer zerstören. Sie wollen um jeden Preis sich selbst erhöhen, indem sie andere erniedrigen. Mobbing ist aus diesem Grund – ganz gleich, ob in der Schule oder unter Erwachsenen – psychische Gewalt,21 die körperlichen Formen von Gewalt in nichts nachsteht. Doch dazu im späteren Verlauf mehr.

Schauen wir noch auf einige grundlegende Fakten des Mobbings: Die bereits erwähnte Repräsentativstudie stellt fest, dass das Geschlecht und das Alter eine entscheidende Rolle beim Mobbing spielen. So liegt das Mobbingrisiko für Frauen etwa 75% höher als für Männer. Eine mögliche Begründung: Männer werden laut der Studie eher von Männern gemobbt, Frauen hingegen von Männern und Frauen.22

Welche Altersgruppen in besonderer Weise von Mobbing betroffen sind, führt die Studie ebenfalls aus: Es sind die unter 25-Jährigen und die über 55-Jährigen.23 Natürlich stellt sich auch die Frage, in welchen Berufsgruppen am häufigsten gemobbt wird. Auch hier hat die Studie eine Antwort: vor allem im sozialen Bereich. Unter anderem in den Berufsfeldern wie Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Erziehung und Altenpflege. Fast ebenso häufig sind Verkaufspersonal, Mitarbeiter in Banken und Bausparkassen, Versicherungsfachleute, Techniker/innen und übrige Gesundheitsberufe (etwa in der Krankenpflege), Rechnungskaufleute, Informatiker/innen und Büroangestellte betroffen. Waldarbeiter finden sich auf der letzten Position im Ranking.24

Die Fakten werfen Fragen auf. Unangenehme Fragen.

Denn was spielt sich in unserer, aber auch in anderen westlich geprägten Gesellschaften ab, dass sich Mobbing so massiv ausbreiten konnte und sich weiter ausbreiten wird? Was sind die Motive der Täter? Was die der Mitläufer? Was sind die Gründe der Wegseher? Und was die der Gesellschaft als abstraktes System?

Bevor wir uns an die Beantwortung dieser Fragen machen, ist es wichtig, sich noch etwas genauer anzuschauen, was unter dem Begriff Mobbing firmiert. Denn erst, wenn der zutiefst inhumane Charakter dieser Form von Gewalt begriffen wird, kann man darüber nachdenken, was dagegen zu tun ist.

Ein postmoderner Krieg – Das Arsenal der Zerstörung

Der Krieg ist der Vater aller Dinge.

Heraklit

Mobbing ist Krieg. Dabei gibt es kein definiertes Schlachtfeld, auf dem dieser Kampf ausgetragen wird. Sondern Millionen von Orten. Und ein gesammeltes Heer von Mobbern gibt es auch nicht. Ein merkwürdiger Krieg, zugegeben.

General von Clausewitz definierte den Krieg einmal als einen erweiterten Zweikampf.25 So gesehen gehören auch Ehekriege und Familienkriege dazu. Und der Psychiater und Autor Fritz Simon verortet den Krieg nicht nur auf den Schlachtfeldern dieser Welt, sondern auch in jenen Begegnungen, bei denen nicht zwingend Blut fließen muss.26

Mobbing ist ein Krieg im Kleinen. Die Dimensionen, in denen er sich abspielt hingegen, sind groß: Eine ganze Gesellschaft ist betroffen.

War in früheren Zeiten der mehr oder weniger konkrete Kontakt zwischen Kämpfenden noch nötig, ist er heute nicht mehr zwingend vorgegeben. Nicht annähernd.

Heute können Soldaten hunderte Kilometer vom Austragungsort des Krieges entfernt sein und dennoch effektiv ihre Gegner angreifen. In Containern und vor Bildschirmen sitzend drücken sie Knöpfe und bedienen Schalter, um ihre Feinde per Mausklick durch bewaffnete Drohnen ausschalten zu lassen. Und danach kann man nach Hause oder in die Kantine gehen, sich das Mittagessen servieren lassen und entspannen.

Die große Bühne des Krieges ist jedoch weiterhin Staaten vorbehalten. Die kleine Bühne des Krieges hingegen steht jedem offen, der sich dazu berufen fühlt, Kollegen oder Mitschüler zu bekämpfen.

Beim Mobbing unter Schülern ist der Face-to-Face-Kontakt noch weitgehend unvermeidbar– es sei denn, man widmet sich der immer beliebter werdenden und oft besonders infamen »Spielart« des Cybermobbings.

Am Arbeitsplatz kann der Krieg im Kleinen jedoch auch genauso gut aus dem Sessel geführt werden, ohne dass die Täter ihre Opfer sehen müssen. Der Mobber sieht aus der sicheren Entfernung zu, wie sein Opfer mit der Zeit psychisch zerstört wird und nicht selten körperlich zusammenbricht. Er setzt »nur« mittels Worten Handlungen in Gang, deren unmittelbarer Zerstörungskraft er nicht beiwohnen muss – wenn er es nicht will. So bekommt er das von ihm angerichtete Leid nur aus zweiter Hand mit: durch den langsamen, für ihn sichtbaren Verfall seines von ihm ausgewählten Opfers. Das direkte Leid des Gemobbten, dessen schlaflose Nächte, dessen bohrende Zweifel, seine Ängste, die kaum im Zaum zu halten sind, Tag für Tag … all das bleibt fern, muss dem Mobber nicht nahegehen. Letztlich ist es ihm allerdings auch gleichgültig, wie es seinem Opfer geht. Aber durch das Handeln aus der sicheren Entfernung heraus läuft er nie Gefahr, die unmittelbaren Auswirkungen zu erleben.

Die Bandbreite an Mobbing-Handlungen ist auf negative Weise beeindruckend. Das Arsenal der Zerstörung reicht von primitiven und plumpen Handlungen bis hin zu fein gesponnenen Aktionen.

An erster Stelle steht hier das Verbreiten von Gerüchten, gefolgt von Falschbewertungen der Arbeitsleistungen, von Sticheleien, die Verweigerung wichtiger Informationen, massiver ungerechtfertigte Kritik an der Arbeit, der Isolierung/Ausgrenzung am Arbeitsplatz, der Unterstellung von Unfähigkeit, Beleidigungen, Arbeitsbehinderungen und Arbeitsentzug.27

Sie alle im Einzelnen auszuführen bringt nicht viel weiter. Allerdings sind sie einzelnen Klassen von Mobbinghandlungen zuzuordnen. Dieter Zapf, Arbeitspsychologe an der Universität Frankfurt a.M., unterscheidet so zwischen organisationellen Mobbinghandlungen, sozialer Isolation, Angriffen auf die Person und auf ihre Privatsphäre, verbalen Aggressionen, Androhung oder Ausübung von körperlicher Gewalt und dem Einsatz von Gerüchten. 28

Organisationelle Mobbinghandlungen sind etwa der Entzug von Kompetenzen oder von Arbeitsaufgaben. Soziale Isolation bezeichnet unter anderem die Einschränkung, mit Kollegen zu kommunizieren. Angriffe auf die Person und ihre Privatsphäre bedeutet, etwa eine Person lächerlich zu machen. In seiner primitivsten Form zeigt sich das Mobbing im schulischen Kontext. Hier werden die von Mobbing Betroffenen Opfer – wie schon erwähnt – sowohl von verbalen als auch körperlichen Angriffen wie Spucken, Treten, Beleidigungen, Hänseleien, Schubsen, Schlagen, körperlichen Demütigungen, Beschädigungen von Eigentum.29 Das sind die gängigsten Methoden. Mit höherem Alter und steigendem Bildungsniveau wird es durch indirekte Methoden ersetzt oder auch ergänzt: im Verbreiten von Gerüchten und dem damit verwandten Mobbing mittels elektronischer und digitaler Medien.

Das Internet lässt grüßen– Die zweite Welle des Psychoterrors

Nichts ist schneller als das Gerücht.

Titus Livius

Der Fortschritt macht auch vor dem Massenphänomen Mobbing nicht Halt. Das kann man bedauern. Doch es ändert nichts an der Tatsache, dass letztlich alles, was der Mensch erfindet, verfeinert, verbessert oder subtiler gemacht werden kann. Die zweite Welle des Psychoterrors erscheint daher in Form von Cybermobbing.30

Im Methodenrepertoire des Mobbings nimmt es insofern einen herausragenden Platz ein, weil die Verbreitung von Gerüchten, Lügen, Beleidigungen, Beschimpfungen mittels elektronischer bzw. digitaler Medien erfolgt. Sei es per E-Mail, Instant Messenger oder über die sozialen Medien wie Facebook, Snapchat, Twitter und WhatsApp.

Hinzu kommt, dass das Medium erlaubt, den Psychoterror nicht nur in Textform, sondern auch in Bildform zu verbreiten, indem zum Beispiel Persönlichkeitsrechte verletzende Fotos und Videos online gestellt werden können.

Dabei stellt diese zweite Welle des Psychoterrors keine völlig neue Form von Mobbing dar oder beinhaltet gar neue Mobbing-Handlungen.31

Was fraglos neu ist, sind die Transportwege, über welche die altbekannten Mobbing-Handlungen stattfinden. Handlungen, die bisher – je nach Kontext – mehr oder weniger von Angesicht zu Angesicht begangen wurden, werden nun auch oder nur per elektronischer bzw. digitaler Medien verbreitet. Ansonsten aber treffen für das Cybermobbing die gleichen Kriterien zu, die auch für das klassische Mobbing gelten.

So erfolgt das Cybermobbing als elektronische und digitale Handlung ebenfalls zielgerichtet, das heißt, nicht die Welt oder eine Gruppe von Personen wird zum öffentlichen Opfer gemacht, sondern immer eine einzige vom Mobber ausgewählte Person.

Es stellt des Weiteren ein Oben-unten-Verhältnis her, wobei der Cybermobber sogar an Macht gewinnt, solange es ihm gelingt, dauerhaft unsichtbar zu bleiben. Denn ein Gegner, der aus dem Verborgenen heraus handelt und so dem Betroffenen auch immer einen Schritt voraus ist, wirkt weitaus bedrohlicher und stärker als einer, der dem Betroffenen bekannt ist.

Die Problematik des »längeren« Zeitraums ist beim Cybermobbing genauso vorhanden wie beim klassischen Mobbing, insofern man die Definition von Leymann verwendet. Denn ein einmaliges Gerücht, das verbreitet wird – wobei der Transportweg völlig unbedeutend ist –, kann augenblicklich seine mobbende Wirkung entfalten. Einmal verbreitet, ist es aus den Köpfen der Adressaten nicht mehr zu löschen.

Dieser Umstand wiegt beim Cybermobbing allerdings besonders schwer. Denn im Gegensatz zum traditionellen Verbreiten von Gerüchten ist hier das Gerücht in seiner verschriftlichten oder verbildlichten Form im Internet permanent sichtbar. Durch ein simples Anklicken kann es jederzeit abgerufen werden und verankert sich auf diese Weise noch tiefer in das Bewusstsein der jeweiligen Adressaten und Interessenten.

Das Gerücht nimmt in diesem Zusammenhang eher eine Sonderrolle ein und kann – trotz der einmaligen Aktion – bereits als Mobbing bezeichnet werden, während das für Beleidigungen und Beschimpfungen nicht gilt, außer sie werden mehr oder weniger regelmäßig wiederholt.

Auch das Ziel des Cybermobbings stimmt mit den Zielen des klassischen Mobbings überein. Es geht darum, den Verleumdeten, Beleidigten, Beschimpften, der Lächerlichkeit Preisgegebenen öffentlich zu diffamieren, um ihn vor einer Gruppe – seien es nun Mitschüler oder Kollegen – zu isolieren oder auszugrenzen.