Momente, die dem Himmel gehören - Tina Willms - E-Book

Momente, die dem Himmel gehören E-Book

Tina Willms

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Beschreibung

Der Glaube ist ein Abenteuer: Er stärkt, ermutigt und gibt Halt - und fordert uns zugleich auch oft dazu heraus, unser Leben zu überdenken und gewohnte Handlungs- und Denkmuster zu hinterfragen. In diesem Jahresbegleiter ermutigt Tina Willms dazu, Tag für Tag die Vielfalt im Glauben zu entdecken, das eigene Leben mit ihm zu gestalten und durch ihn zu wachsen: in kleinen Momenten, die dem Himmel gehören. Mit 365 Gedanken, Gedichten und Gebeten inspiriert und begleitet dieses Buch Leserinnen und Leser an jedem Tag des Jahres - ob auf dem Nachttisch, zum Tagesbeginn, in der Gemeindearbeit oder einfach Zwischendurch. Die ausdrucksstarken Texte laden zum immer wieder Lesen ein. Wie bei den beliebten Jahreslosungsbüchern der Autorin machen die thematische Vielfalt, der Bezug zur eigenen Lebenswelt und die wunderschöne, poetische Sprache dieses Buch zu etwas ganz Besonderem. Ein Geschenk - für liebe Mitmenschen und sich selbst. Mit praktischem Bibelstellen- und Schlagwortregister!

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Seitenzahl: 392

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Tina Willms | Momente, die dem Himmel gehören

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die Rechte der Texte in diesem Buch liegen bei der Autorin. Bei Interesse an einer Lesung wenden Sie sich bitte direkt an Tina Willms: [email protected].

© 2021 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Agentur 3Kreativ, Essen, unter Verwendung von Bildern

© shutterstock/nereia, © shutterstock/Midstream

Lektorat: Lea Omers, Duisburg

DTP: Magdalene Krumbeck, Wuppertal

Verwendete Schrift: Scala

Gesamtherstellung: PPP Pre Print Partner GmbH & Co. KG, www.ppp.eu

ISBN 978-3-7615-6784-5 (Print)

ISBN 978-3-7615-6785-2 (E-Book)

www.neukirchener-verlage.de

Geleitwort von Annette Behnken

Ein Wort ist mehr als ein Wort. Jedes Wort: ein ganzes Universum. Ach, falsch! Jedes Wort ist viele Universen! Brot zum Beispiel. Oder Regen. Welche Kosmen an Sinneseindrücken, Erinnerungen, Gefühlen und Gedanken werden allein durchs Lesen oder Hören dieser Worte in jedem, jeder entfacht! Von: »Verflixt, hat der Bäcker noch offen?« über die Erinnerung an die riesigen Brotlaibe, die meine Oma früher buk – was allein das Wörtchen »buk« schon an Assoziationskaskaden auslöst! – bis zu den verschimmelten Schulbrotresten meiner Kinder. Und der durchsichtige Regenschirm mit Marienkäfern, der mein ganzer Stolz war als Fünfjährige. Welche Kosmen, helle und dunkle, werden in zwanzig Jahren ausgelöst von Worten wie Aerosol, Inzidenzwert und Mund-Nasen-Schutz?

Als Theolog*innen und Geistliche suchen wir nach Worten, um den Himmel auf die Erde zu holen. Hohe Gedanken, tiefe Einsichten werden in verbalen Vehikeln transportiert. Auf diese Weise entstehen großartige Texte, werden scharfsinnig Einsichten formuliert, narrativ Weisheiten aufgespürt – findet ein Ringen um die dem Inhalt angemessene Sprache statt. Das ist die Kunst und mal gelingt sie beglückend gut, mal bleiben die Worte zwischen Himmel und Erde hängen.

Auch den Gedichten, Geschichten und Gebeten von Tina Willms wird möglicherweise gelegentlich dieses Ringen vorangegangen sein. Das Besondere dieser poetischen Kleinode liegt darin, dass hier der Himmel bereits auf der Erde ist. Er ist schon da und kann aufgespürt werden. Worte, Instrumente des Ausdrucks, werden zugleich zu Instrumenten des Aufspürens: Sonden, Lupen, Höhrrohre, Pinzetten, Tastorgane … auf der Suche nach Heiligem mitten in den Dingen des Lebens. Tina Willms begibt sich mit dem Instrumentarium ihrer Worte auf »religiöse Erkundungen der Wirklichkeit«1.

Mir persönlich ist dabei ihre Wertschätzung des Fragezeichens außerordentlich sympathisch und wichtig:

Auf schmalem Grat

Ich stehe

auf schmalem Grat,

gespannt

zwischen Himmel und Erde.

Aufrecht hält mich

ein Fragezeichen.2

Das, werte Leser*innen, ist das Universum, das Tina Willms‘ Worte mir eröffnen. Ihnen öffnen sie möglicherweise andere. Ich wünsche Ihnen beim Lesen belebende, tröstende, erhellende, himmeleröffnende Wirklichkeitserkundungen!

Annette Behnken, Wennigsen im Januar 2021

1. Januar

Und ich ... will dich segnen … und du sollst ein Segen sein. Genesis 12,3

Zum neuen Jahr

Lebensfreude suche dich täglich auf,

Glück schneie zuweilen herein

und Träume sollen sich

niederlassen bei dir.

Freund*innen seien in Reichweite,

Hoffnungslicht falle durchs Fenster

und der Alltag schenke dir unerwartet

manch duftenden Strauß.

Segen sei über dein Dasein geschrieben,

Sinn erfülle dir alle Sinne

und über dir wölbe sich

der Himmel als bergendes Dach.

2. Januar

Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus, und dankt Gott, dem Vater, durch ihn. Kolosser 3,17

Der Zauber des Neuanfangs

Ein leeres Heft, dieses neue Jahr. Schneeweiß die Seiten. Der Zauber des Neuanfangs liegt darüber, als ob alles anders werden könnte. So viele unverbrauchte Tage, die es zu gestalten gilt. So viele Möglichkeiten, die mich locken.

Doch dann denke ich daran, wie es früher war mit den neuen Heften: Meine Schrift war dieselbe geblieben. Und so sehr ich mich bemühte, alles richtig zu machen, es gelang mir nie. Immer wieder kleckste ich hässliche Flecken auf das schöne weiße Papier. Manches konnte ich immerhin mit dem Tintenkiller wieder einigermaßen gutmachen.

Auch im neuen Jahr werde ich dieselbe bleiben, ich nehme mich immer und überall hin mit. Das beunruhigt mich. Denn in das Heft meines Lebens schreibe ich ohne Radiergummi und ohne Tintenkiller. Alles, was ich notiere, wird so stehen bleiben müssen, wie es ist. Keinen einzigen Punkt kann ich im Nachhinein hinzufügen. Nichts vermag ich später wieder zu streichen.

Ich wünsche mir, dass mir das, was ich schreiben werde, gelingen wird. Dass ich erzählen kann von hellen Tagen und Wegen, von Freund*innen an meiner Seite, von Plänen, die gelingen, von fröhlichen Festen.

Aber ich weiß auch: Manches wird am Ende des Jahres in diesem Heft stehen, das mir nicht gefallen wird. Es werden Dinge geschehen, die ich mir nicht ausgesucht habe. Manches wird mir vor Augen stehen, das mir misslungen ist, und ich werde erzählen müssen von Abschieden, die mich schmerzen.

Noch kenne ich die Überschrift nicht, die ich später im Rückblick diesem Jahr meines Lebens geben werde. Aber es tut mir gut zu wissen, dass dieser Titel nicht über dem Ganzen stehen, sondern nur ein Untertitel sein wird.

Denn über das Buch meines Lebens hat ein anderer seinen Namen als Überschrift gesetzt. Jesus Christus. Fest und unverrückbar steht dieser Name da. In ihm lebe ich mein Leben. Die guten Tage und auch die schweren. Die hellen Momente und auch die dunklen. Immer ist er da, neben mir. An ihn will ich mich halten. Das neue Jahr: ein Heft, noch weiß und leer. Für einen Moment will ich die Verheißung genießen, die über dem Anfang liegt; nichts soll ihren Zauber stören. Dann nehme ich den Stift in die Hand und beginne zu schreiben.

3. Januar

Der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht. Psalm 1,3

An der Quelle

Wie das Wasser auf dem Weg

zwischen Quelle und Mündung

flüstert und wispert,

säuselt und raunt,

murmelt und summt,

so lass mich murmeln deine Weisungen

und summen deine Weisen,

bis sie summen

und murmeln in mir.

Die ihre Wurzeln strecken zu dir,

du Quelle des Lebens:

grünen werden sie,

singen und summen wird es

in ihren Zweigen.

Stämme werden sie,

stark und fest,

damit sich anlehnen können alle,

die suchen nach Halt und Trost.

Alle, die suchen nach dir.

4. Januar

Siehe, ich mache alles neu! Offenbarung 21,5

Neues ist möglich

Ob es ein Zufall ist, dass der Beginn eines neuen Jahres in den Winter fällt? Irgendeiner muss das doch irgendwann festgelegt haben. Ob es ein Mensch war, der auf der Nordhalbkugel lebte, weit entfernt vom Äquator? In einem Land, in dem der Winter das, was gestern vor dem Fenster war, über Nacht in eine andere Landschaft verwandelt?

Und diese verwandelte Landschaft bringt Bilder mit sich, die wie Metaphern sind für ein neues Jahr.

Schnee ist gefallen: Ein weißes, glänzendes Feld liegt vor mir, ohne jegliche Spur. Jeder Weg scheint noch möglich zu sein. Ich kann prägen und gestalten, was vor mir liegt.

Raureif kleidet die Welt in ein neues Gewand. Er hebt Details hervor, die vorher unscheinbar waren. Gerade das, was im Schatten liegt, kommt nun groß heraus.

Der See ist zugefroren, ein dunkler Spiegel, der mich doch lockt, auch dem zu vertrauen, was unwägbar ist und zerbrechen kann.

Über allem ein manchmal gleißendes, manchmal sanftes Licht. Es hebt an den kalten und frostigen Tagen die Schönheit hervor wie eine Verheißung.

»Siehe, ich mache alles neu!«, verspricht Gott im letzten Buch der Bibel. Die winterliche Welt unterstützt seine Zusage.

Als wolle sie Mut machen, ihm zu vertrauen am Anfang eines neuen Jahres.

5. Januar

Auf dem Weg der Träume

Einmal am Tag mich unterbrechen, um auf dem Weg der Bilder zu gehen, die Gott für diese Welt erträumt.

Wie denkt er mich?

Wie stellt er sich die Menschen vor, denen ich begegne?

Welche Vision hat er vor Augen von meiner Stadt?

Wie träumt er die Welt?

Einmal am Tag aus dem Alltag abbiegen. Den Umweg nehmen, um mit Gott durch die Träume zu gehen. Was kann ich heute und hier dazu beitragen, damit sie wahr werden?

Das könnte tätiges Beten sein.

6. Januar

Die Finsternis vergeht und das wahre Licht scheint schon. 1. Johannes 2,8b

Das wahre Licht

Peter Härtling erzählt in seinem Buch »Nachgetragene Liebe« folgende Szene, die er selbst erlebt hat: Sein Vater, ein Anwalt, ist besorgt über ihn, den Sohn, der in grobe, nationalsozialistische Gesellschaft geraten ist. Und so nimmt er ihn mit zu einem Besuch bei einem Mandanten, den er vertritt. Dieser ist ein Jude und heißt ausgerechnet »Glück« mit Nachnamen. Aber er hat kein Glück, im Gegenteil: Alles ist ihm genommen worden und seine Deportation in das Konzentrationslager Theresienstadt steht bevor. Und doch empfängt er Vater und Sohn freundlich. Der Sohn verfolgt das Gespräch der beiden erwachsenen Männer:

»Ich kann Ihnen nicht helfen. Vater spricht sehr leise.

Ich weiß. Herr Glück nickt zustimmend. Vaters Hilflosigkeit verletzt ihn nicht. Vater fügt noch einen schlimmen Satz hinzu:

Ich weiß gar nicht, warum ich noch gekommen bin.

Herr Glück richtet sich auf. Seine Augen werden groß und freundlich. Damit Sie mir nicht auch noch verloren gehen, sagt er.

Vater hat wohl mit einer solchen Antwort nicht gerechnet. Er legt überrascht die Hand auf die Brust und fordert mich auf, in den Garten zu gehen.«3

Später verabschieden sich die beiden Männer mit einer Umarmung. Befremdet und erstaunt steht der Sohn daneben. Er versteht erst viel später, was dort geschehen ist: Diesem Menschen, dem alles genommen wurde, soll es jetzt auch noch an sein Leben gehen. Er weiß es, und der Vater, sein Anwalt, weiß es auch. Er hat alles versucht, doch vergeblich. Nun kann er nichts mehr tun. Und trotzdem besucht er Herrn Glück. Der Anwalt mag machtlos sein. Der Mensch aber ist es nicht.

Herr Glück wird seine wenigen Habseligkeiten in einen Koffer packen. Er wird schon bald in einer Schlange stehen und auf den letzten Zug seines Lebens warten. Dieser Anwalt aber, der zu einem Menschen geworden ist, der seine Verzweiflung teilt und da ist bis zuletzt, er ist ihm nicht verloren gegangen.

Und darum nur geht es: dass wir bleiben, auch, wenn unsere Hände leer und wir selbst machtlos sind. Dass wir dem anderen, der alles verliert, am Rand des Lebens nicht auch noch verloren gehen. Dann scheint selbst in der tiefsten Finsternis ein Licht, von dem man sagen kann: Das wahre Licht scheint schon.

7. Januar

Lieben

Im Trotzdem wohnen,

dem zugigen Zelt.

Zerbrechlich die Wände.

Unverwundbar der Raum.

Sich wandelndes Zuhause

im Niemandsland.

8. Januar

Nach dem Abspann

Die Komplikationen beginnen nach dem Abspann. Filme sparen das oft aus. Aber im Leben geht das nicht.

Da fängt nach den schönsten Augenblicken irgendwann der Alltag wieder an.

Als sei nichts gewesen, drängt er sich in das Besondere und verdrängt es. Er stellt seine unabweisbaren Forderungen und zuweilen auch seine unbequemen Fragen und verlangt sein Recht.

Es ist Zeit, den nadelnden Tannenbaum abzuräumen, die Kugeln und Sterne zurückzupacken in Schachteln und Tüten.

Durchfegen und lüften. Nun ist der Platz im Wohnzimmer seltsam leer. Aber ich weiß: Schon nach einem Tag habe ich mich wieder daran gewöhnt.

Was tun, damit Weihnachten nicht auch eine Leerstelle in meinem Leben wird, an die ich mich schnell gewöhne? Wie kann ich etwas mitnehmen und in die Normalität retten vom Glanz dieser Zeit? Ich möchte so gerne das Herz offen und berührbar halten und nicht verhärten.

Ich nehme zwei Sterne wieder aus der Schachtel. Einen Stroh­stern lege ich mir auf den Schreibtisch.

Das Stroh: Es ist nach dem Dreschen auf der Tenne übrig geblieben, ein Rest. Hat auf der Erde gelegen. Ist aufgehoben worden. Ich stelle mir vor, dass es in der Krippe gelegen hat.

Dann hat jemand – vielleicht ein Hirtenkind – einen Stern daraus gemacht.

Der zweite ist aus Transparentpapier. Ich denke an den Stern, der über dem Stall stehen blieb.

In ihm leuchtete die Liebe Gottes, die uns leitet. Sie kann an jedem Tag als Licht in mein Leben fallen und hindurchschimmern durch mich.

Schließlich nehme ich den Engel, den jemand aus dünnem Papier eines Gesangbuchblattes gefaltet hat. Die Lieder der Advents- und Weihnachtszeit klingen nach.

Ein Engel kann mir begegnen und manchmal kann ich selbst einer sein.

Zwei Sterne und einen Engel rette ich in den Alltag. Der Staub des Alltäglichen wird sich über den Glanz des Besonderen legen.

Die Erinnerung wird ihn zuweilen beiseitewischen. Sie wird eine Brücke ins Heute schlagen:

Gott ist Mensch geworden und über die Erde gegangen. Er ist unterwegs mit uns. Auch nach dem Fest werde ich seine Spuren finden können in der Welt. Und ich werde selbst die ein oder andere legen können. Spuren des Friedens und der Liebe. Ein Jahr lang. Auch nach dem Abspann. Mitten im Alltag.

9. Januar

Deine neue Welt

Guter Gott,

öffne an jedem Morgen

mir die Augen neu,

nicht nur für das, was ist,

sondern auch für das,

was werden könnte.

Beflügele meine Fantasie

mit den Bildern

deiner neuen Welt,

und schenk mir Geduld und Geschick,

um sie einzuzeichnen

in die Straßen meiner Stadt.

10. Januar

Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan, die niemand zuschließen kann. Offenbarung 3,8a

»Herzlich willkommen!«

Meine Freundin steht in der offenen Tür. »Komm rein, ich habe schon Kaffee gekocht«. Drinnen ist es warm und gemütlich, Blumen und Kuchen stehen auf dem Tisch, und der Kaffee duftet. So ein Empfang tut gut. Ich fühle mich angenommen und geborgen.

Ich habe auch schon vor verschlossenen Türen gestanden. Wenn ich schnell noch etwas einkaufen wollte, der Laden aber schon zu war. Wenn jemand nicht zu Hause war.

Im Laufe des Lebens bemerke ich, dass einige Türen sich für immer schließen und manche Chancen nicht mehr wiederkommen. Das ist bitter. Oft übersehe ich dann die Wege, die sich an anderer Stelle für mich auftun.

Und dann gibt es auch die Türen, die einmal offen waren, aber später zugeschlagen und fest verriegelt wurden. Am Anfang waren zwar der Wunsch und der Wille da, einander ein zu Hause zu geben. Doch irgendwann ließ das Verbindende nach, Worte und Gesten kamen nicht mehr an, die Herzenstüren wurden verschlossen.

Es ist ein großes Glück, wenn es uns Menschen gelingt, einander die Tür ein Leben lang offen zu halten. Wir können uns darum bemühen. Aber garantieren können wir es nicht.

Gott allein kann so ein Versprechen geben. Und er bindet es nicht an ein künftiges Verhalten. Auch, wenn ich mich verändere, seine Zusage bleibt: »Meine Tür ist und bleibt offen für dich! Niemand kann sie zuschließen.«

Das ist eine gute Grundlage für mein Leben: Ich bin willkommen in Gottes Wohnung. Seine Herzenstür steht mir offen. Bei ihm finde ich ein Zuhause, das bleibt.

11. Januar

Wintertag

Schwarzweiß

fällt der Tag

auf die Netzhaut.

Die Farben

verkriechen sich

unterm Laub

vom letzten Jahr.

Immergrün aber

überwintert

dein Wort,

raunt es in Fichten

und flüstert in Kiefern:

Das Leben siegt.

12. Januar

Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. Galater 6,2

Christus hat keine Hände

Meine Hände sind komplizierte Gebilde. Was sie alles können, merke ich, wenn sie nicht so funktionieren, wie sie sollen. Wenn sie verletzt sind oder steif vor Kälte.

Ich schaue sie in Ruhe an, meine Hände. Vier Finger, unterschiedlich lang. Knochen, Muskeln, Sehnen und Gelenke machen die Finger beweglich. Blutgefäße versorgen und wärmen sie, Nerven sorgen für ein feines Gespür, besonders in den Innenflächen und in den Fingerspitzen. Dann ist da noch der Daumen, der den Fingern gegenüberliegt. Durch diese sogenannte Daumenopposition sind wir Menschen besonders geschickt. Ja, es gibt sogar einen geschichtlichen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Hand und der des Menschen.

Schaue ich meine Handflächen an, dann sehe ich feine Linien, die sie durchziehen. Auch die Spitzen von Fingern und Daumen sind von Linien gezeichnet. Mit ihnen kann man mich überall auf der Erde identifizieren. Kein Mensch unter acht Milliarden hat dieselben Fingerabdrücke wie ich.

Meine Hände ermöglichen mir, die Welt zu begreifen. Sie lassen mich handeln und helfen mir, mein Leben in die Hand zu nehmen. Kraftvoll zupacken, das kann ich mit meinen Händen. Ich kann tragen, ziehen und halten, ich kann aber auch schlagen, boxen, ja sogar prügeln. Meine Hände machen es mir ebenso möglich, fein und präzise zu arbeiten. Ich kann schreiben oder stricken, nähen oder Klavier spielen.

Mein Fingerspitzengefühl hilft mir, Dinge zu ertasten und zu erkunden: hartes Holz oder ein weiches Fell. Und mit meinen empfindsamen Handinnenflächen kann ich einem anderen Menschen über die Haut streichen und ihn sanft berühren.

Sicher, ich habe nicht alles in den Händen. Aber doch eine ganze Menge. So vieles machen meine Hände mir möglich. Wenn ich sie anschaue, freue ich mich über diese Wunderwerke und bin dankbar dafür. Mir fällt eine Gedichtzeile ein, die ich einmal gelesen habe und die ich mir zu Herzen nehmen will: Christus hat keine Hände, nur unsere Hände, um seine Arbeit heute zu tun.

13. Januar

Im Wir

Immer sind es andere,

unter deren Flügeln

der Aufwind der Liebe

noch trägt.

Sie heben dich

durch den Zweifel

und hegen die Hoffnung,

damit sie wächst.

Sie geleiten dich

durch Tränentage,

bis sich ein Weg

ins Leben öffnet.

Sie hüten dich

am Gefahrenrand,

damit dir Kräfte wachsen,

die ins Weite führen.

Und einmal gehörst du

zu den anderen,

unter deren Flügeln

die Liebe noch trägt.

14. Januar

Und dienet einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes. 1. Petrus 4,10

Die Welt zum Klingen bringen4

Zwei Männer in einem Winterwald weit oben auf einem Berg.

Einen mühevollen Weg haben sie hinter sich; nun gehen sie an den Bäumen entlang und beklopfen sie mit der stumpfen Seite einer Axt. Sie lauschen den Tönen, die entstehen. Dann markieren sie den einen oder anderen Baum.

Was tun die beiden dort? Einer von ihnen, Martin Schleske, ist Geigenbauer, er ist auf der Suche nach sogenannten »Sängern« unter den Bäumen. Diese bringen besondere Töne hervor, wenn man sie mit der Axt beklopft. Und sie werden gutes Klangholz sein für seine Instrumente.

Später findet sich dieses Holz in der Werkstatt von Martin Schleske wieder. Der Baum-Sänger wird zu einer Geige werden, die im Konzertsaal mit ihrem Klang die Zuhörenden verzaubert.

Der Geigenbauer versteht seine Arbeit als eine schöpferische. Er unterscheidet sie von der Konstruktion, wo sich das Material dem Willen des Erbauenden fügen und darum möglichst perfekt und makellos sein muss.

In seiner Werkstatt ist es anders. Schleske arbeitet mit dem, was er vorfindet. Er bezieht die Eigenarten des Holzes in seine Arbeit mit ein: die Maserung, die Dicke der Jahresringe, Unregelmäßigkeiten im Wuchs.

Gerade das Nicht-Perfekte, die Eigenart ist unverzichtbar für den besonderen und somit auch perfekten Klang jedes einzelnen Instruments.

Indem er sich als Schöpfer begreift, klinkt Martin Schleske sich ein in das Selbstverständnis dessen, der die Welt ins Leben ruft. Auch für den Schöpfer der Welt – so erzählen es die ersten Seiten der Bibel – ist das Ausgangsmaterial keineswegs perfekt. Ein Tohuwabohu findet Gott vor, ein chaotisches, wüstes Durcheinander. Das Material für sein Vorhaben scheint alles andere als optimal zu sein.

Und es muss offensichtlich nicht perfekt sein. Denn Gott konstruiert nicht, sondern er erschafft und belebt.

Dafür braucht er kein ideales Ausgangsmaterial. Er arbeitet mit dem, was er vorfindet. Er entdeckt das Potential, das darin steckt. Die Eigenarten, die andere vielleicht als Makel empfinden würden, deutet er um und lässt sie einfließen in das, was entsteht.

Wie wäre es, sich selbst als Werk dieses Schöpfers zu begreifen? Wir, Sie und ich, sind angesehen, so wie wir sind, wir sind entstanden aus Gottes Vision. Unsere Eigenarten, das, was wir selbst oder auch andere als Makel empfinden könnten, interpretiert er als Besonderheit. So werden wir zu seinen Resonanzräumen, in denen sich seine Stimme entfaltet. Gemacht, um die Welt zum Klingen zu bringen.

Ja, Gott macht uns sogar zu seinen Mitschöpfer*innen. Er vertraut uns an, was er erschaffen hat. Wir können uns einklinken in seine Arbeitsweise. Nicht nur als Geigenbauer*innen. Sondern an dem Platz, an dem wir sind.

Eine sorgsame Wahrnehmung ist dafür gefragt. Ohren, die den Klang schon hören, der entstehen könnte. Augen, die die Schönheit des Eigenartigen sehen und sich faszinieren lassen von der Vielfalt des Lebendigen.

Als schöpferische Menschen werden wir die Welt nicht zurechtbiegen, sondern gestalten. Wir werden andere Menschen nicht in unsere Erwartungen hineinzwingen und verlangen, dass sie sich unseren Wünschen anpassen. Wir werden vielmehr das Potential entdecken, das im Vorfindlichen steckt, um dann hervorzuheben, wie einzigartig es ist.

Neugierig bleiben wie die beiden Männer auf dem Berg. Lauschen, entdecken, keine Mühe scheuen, Visionen entwickeln.

Die Geige wird den Konzertsaal füllen mit ihrer Musik. Wir werden Resonanzräume sein, die die Welt zum Klingen bringen. Gott wird lauschen und sich daran erfreuen.

15. Januar

Prägende Kraft

Ich wünsche dir,

dass der Tag vor dir liegt

wie ein schneebedecktes Feld,

das dich reizt,

es zu betreten.

Gott hat dich

einzigartig gemacht,

damit du einen

Abdruck seiner Liebe

in der Welt hinterlässt.

Er wirkt in dir,

durch dich,

über dich hinaus.

Geh im Vertrauen

auf seine prägende Kraft.

16. Januar

Geschenkte Zeit

Ein Arztbesuch, Vorsorge, jährliche Routine. Bisher war immer alles in Ordnung.

Aber diesmal ist es anders. Ein Befund ist auffällig und erfordert weitere Untersuchungen. Ich mache einen Termin bei einer Spezialistin aus. Zwischendrin sind zwei Tage Zeit.

In meinem Kopf spult ein Film ab. Was, wenn es etwas Schlimmes ist? Ich versuche, den Gedanken beiseitezuschieben und mich abzulenken. Aber das gelingt nicht immer.

Also probiere ich es anders. Ich gehe ein Stück spazieren und lasse den Film ablaufen. Ich schaue die Bilder an und höre dem, was mir durch den Kopf geht, zu.

Wie wäre es, nur noch eine begrenzte Zeit zur Verfügung zu haben? Was müsste passieren, damit ich mich gut von meinem Leben verabschieden kann?

Mir fallen Wünsche ein, die unerfüllt sind. Fragen, die offen sind. Beziehungen, in denen noch etwas zu klären ist.

In Gedanken schreibe ich Briefe an die Menschen, die ich liebe. Ich erzähle ihnen, was sie mir bedeuten. Ich erinnere mich an die Momente, die mir am wertvollsten waren.

Am Ende geht alles gut aus. Ich schicke ein Dankgebet zum Himmel. Danke für die Zeit, die mir geschenkt ist. Danke für jeden Tag.

Nein, das Leben geht nicht endlos immer so weiter. Und manchmal ist es gut, den Gedanken an die eigene Vergänglichkeit zuzulassen. Mir hat der Film in meinem Inneren gezeigt, was mir wichtig ist.

Ich nehme mir vor, die Dinge, die ausstehen, endlich anzugehen. Den einen oder anderen Traum möchte ich mir erfüllen und was geklärt werden sollte, will ich klären.

Ich schreibe mal wieder einen Brief an einen Menschen, der mir wichtig ist, und sage ihm, was er mir bedeutet.

Noch ist Zeit. Mir geschenkt, um mein Leben zu gestalten.

17. Januar

Offene Sinne

Guter Gott,

manchmal bist du ganz in der Nähe,

doch ich spüre dich nicht.

Manchmal gäbe es Gründe zur Freude,

doch ich sehe sie nicht.

Manchmal spricht eine stärkende Worte,

doch ich höre sie nicht.

Manchmal reicht mir einer die Hand,

doch ich nehme sie nicht.

Schenke mir offene Sinne für die Momente,

in denen der Himmel zur Erde kommt.

18. Januar

Ein unabweisbarer Ruf

Es gibt sie noch, die Klöster. Manche befinden sich inmitten einer Stadt, als sei diese um sie herum gewachsen. Andere abgelegen, hinter Hügeln in einem Tal, das man auf einer schmalen, kurvenreichen Straße durchfährt.

Dort wohnen Menschen, die sich dreimal, viermal, fünfmal am Tag vom Klang einer Glocke unterbrechen lassen. Sie legen beiseite, was sie in der Hand halten, und gehen mit eiligen Schritten in Richtung Kirche oder Kapelle, als folgten sie einem unabweisbaren Ruf.

Dann beten sie. Sie wenden sich an ein Wesen, das ungewiss ist, an eine Adresse, über die nicht wir verfügen.

In überkommene Worte und Gesänge klinken sie sich ein und verbinden so die Zeiten. Wenn die Hoffnung in die Vergangenheit reicht, warum sollte sie es nicht auch in die Zukunft können?

Sie beten auch mit ihren eigenen Worten: für einen Menschen, für die Stadt, für die Welt. Sie scheuen sich nicht, Bitte zu sagen. Sie scheuen sich nicht, Danke zu sagen.

Inmitten oder am Rande der Stadt richten sie beharrlich ihre Worte in Richtung Himmel.

Viele sind es nicht mehr. Manchmal frage ich mich, wie es sein wird, wenn einmal die Glocken schweigen und das Beten verstummt. Wird es Menschen geben, die es vermissen?

Ob es etwas verändert, das Bitten und Danken, lässt sich ja nicht sagen.

Immer noch sitzen Bettelnde in der Fußgängerzone. Wieder hat jemand in der Nacht ein Hakenkreuz ans Rathaus geschmiert. Und heute las ich, das Frauenhaus sei überfüllt.

Sie aber beten unbeirrt weiter. Als bräuchte es Menschen, die Gott nicht verlassen.

Gelegentlich möchte ich einfach hingehen und hineinsinken in ihre Gesänge und Worte. Möchte mich trösten lassen von ihrem Vertrauen.

Und später zweifelnd nach Hause zurückkehren.

Dieselbe und doch eine andere als vorher.

19. Januar

Metapher

Mag sein, dass

der Himmel

eine Metapher ist,

von mitfühlenden Menschen

erdacht.

Damit die Sehnsucht

erträglich wird,

der Boden

unter den Füßen

fester

und jeder Mensch

sein Spiegelbild

bejahen kann,

als sei er

gewollt, geliebt.

Damit Bomben

nicht ewig den

Himmel zerreißen

und Kinder,

vor allem die Kinder,

essen, spielen, lachen dürfen

und leben.

Damit Albträume

sich wandeln

in Sonnenlicht,

das Menschen

eine Hoffnung

ins Gesicht

und Rosen

in die steinernen Herzen

pflanzt.

Mag sein, dass

der Himmel

eine Metapher ist.

Und ich

zu Erde werde,

unwissend,

dass er

ein Traumbild war,

und meine Worte,

die gut gemeinten,

vergeblich.

Er aber singt noch

über den Gräbern

ein Lied

und schreibt

in die Trauerumrandeten

ein Gedicht.

20. Januar

Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst. Exodus 20,8

Die Satzzeichen des Lebens

Gott hat in den Menschen eingebaut, dass er Pausen machen muss. Jede und jeder von uns muss schlafen. Niemand kann ohne Punkt und Komma arbeiten, ohne schlecht gelaunt oder gar krank zu werden. Pausen sind die Satzzeichen des Lebens. Sie helfen, es zu gliedern, zu gestalten und seinen Sinn zu verstehen

Mich macht es nachdenklich, dass diese Pausenzeichen zunehmend abgeschafft werden.

Dass in Krankenhäusern rund um die Uhr jemand dienstbereit sein muss, leuchtet mir ein. Und ich kann den Bauern verstehen, der seine Ernte am Sonntag bei Sonnenschein einfährt, weil für die kommende Woche Regen angesagt ist.

Aber: auch sonntagmorgens frische Brötchen und anschließend in die Stadt zum Shopping? Das mag für den Handel gut sein. Für den Menschen nicht unbedingt. Für die auf der anderen Seite des Tresens bedeutet es zum Beispiel, weniger Zeit für sich und die Familie zu haben. Termine mit Freund*innen lange im Voraus zu planen. Zu wenig zu schlafen und sich schnell erschöpft zu fühlen.

Ich selbst kann mir weitaus schönere und erholsamere Dinge vorstellen, als auch am Sonntag noch einkaufen zu gehen.

Ich denke an einen Sonntagsausflug in den Harz. Während wir Erwachsenen unsere Gesichter in die Sonne hielten, spielten die Kinder selbstvergessen im Bach. Ein kleines Mädchen sprach mir aus dem Herzen, als es hinterher um uns herum sprang und sagte: »Ich bin so glücklich, dass es so etwas Schönes gibt.«

Ich bin sicher: Deshalb hat Gott Pausen in uns eingearbeitet und uns gesagt: »Du sollst den Feiertag heiligen«: Damit wir Sonnenschein auf der Haut spüren und die Füße in einen plätschernden Bach halten können. Damit wir mit anderen Menschen zusammen sein können und Gottes Liebe wahrnehmen.

Diese altmodisch klingende Gebot ist eine große Erlaubnis: Du darfst Kommas und Punkte in Dein Leben setzen. Gott gönnt Dir, dass Du Dich ausruhst und innehältst, dass Du Menschen triffst, die du liebst und Dein Leben genießt.

21. Januar

Anders gesagt: Gottesdienst

Gottesdienst: Gott dient den Menschen.

Sie werden schön, weil ihnen seine Liebe begegnet.

Das Segenslicht seines Antlitzes liegt auf ihren Gesichtern.

In ihnen summt langlebig ein Lied.

Sie gehen aufrechter als vorher.

Auf ihrer Zunge liegt ein freundliches Wort.

Himmlischer Frieden pocht als Herzschlag in ihnen.

Gottes Treue tragen sie durch die Kirchentüren hinaus in ihre Stadt.

22. Januar

Das Leben in fünf Sekunden5

Das Leben in fünf Sekunden: So heißt ein Büchlein, das mich neugierig macht. Tatsächlich, dort sind auf jeder Seite einige wenige Piktogramme zu sehen, kleine, vereinfachte Bildzeichen, anhand derer man etwas erraten muss. Einen Begriff, ein Ereignis, einen Gegenstand, eine Person.

Zwei Männer, die eine Sänfte tragen – Ein Mann, der eine Rikscha zieht – Ein Pferd, das vor eine Kutsche gespannt ist – Ein Auto mit einem kleinen Schild auf dem Dach. Gesucht wird das Taxi.

Oder: der Eiffelturm – ein Sonnenblumenstrauß – ein Ohr – eine Pistole. Gesucht wird Vincent van Gogh.

Das Raten macht Spaß und ist lustig. Tatsächlich sind eine lange Entwicklung oder ein ganzes Leben anhand weniger Bilder erkennbar. Natürlich ist das meiste weggelassen, ein Leben besteht aus viel mehr. Und doch gibt es diese Momente oder Eigenschaften, durch die eine Epoche oder ein Leben einzigartig werden.

Ich überlege: Welche Piktogramme würden wohl für mich selber stehen? Was macht mich und mein Leben aus, ja, wodurch wird es erkennbar und unverwechselbar?

Und: Welche Bilder wünsche ich mir? Was sollen die Wesenszüge meines Daseins sein?

Das lustige Ratespiel enthält doch ernste Fragen. Wie will ich mein Leben gestalten, um Bilder hervorzubringen, die ich schön finde?

Mein Herz auszurichten auf die Liebe, die Gott selbst ist. Das wünsche ich mir. Damit ihre Icons über meinem Leben stehen und es unverwechselbar machen.

23. Januar

Rollenspiel

Lebendiger Gott,

ich spiele so viele Rollen

und weiß doch manchmal nicht,

wer ich bin.

Ich trage so oft eine Maske

und verberge dahinter

voller Angst mein Gesicht.

Sieh mich an,

im Licht deiner Liebe

werde ich schön.

So, wie ich bin.

24. Januar

Einander verstehen

Eigentlich ist es unmöglich, dass Menschen einander verstehen können. Nicht nur, wenn sie unterschiedliche Sprachen sprechen. Die babylonische Sprachverwirrung macht nicht an Landesgrenzen halt.

Im Grunde spricht jeder Mensch seine eigene Sprache. Schon beim Wort »Tisch« stellt sich der eine etwas anderes vor als die andere.

Entsteht ein Missverständnis zwischen zwei Menschen, so benötigen sie wiederum Worte, um es zu klären. Auch diese können missverständlich sein, weil beide Unterschiedliches damit verbinden.

Beim Wort »Tisch« mag es einfach sein, zu klären, was ich damit genau meine. Komplizierter wird es bei abstrakteren, komplexen Begriffen.

Einander verstehen: Ein schwieriges Unterfangen. Jeder Mensch – so könnte man meinen – ist allein in seinem Univer­sum. Schnittmengen: kaum vorhanden. Berührungspunkte: allenfalls tangential.

Und doch geschieht es: Menschen verstehen einander. Mitten in einem Gespräch führt ein Wort eine Wende herbei. Oder es öffnet sich jenseits aller Worte ein Raum, in dem zwei Menschen einander in einem neuen Licht sehen und sich anders als vorher begegnen.

Gelegentlich geschieht das Verstehen auch mittelbar. Ich lese ein Gedicht und nicke: Genauso habe ich es auch erlebt. Als habe jemand für mich die richtigen Worte gefunden und sie aufgeschrieben.

Ich höre ein Musikstück: Es tröstet oder belebt mich, es trifft meine Stimmung oder mein Lebensgefühl. Als habe es in mir etwas zum Klingen gebracht und Resonanzen erzeugt. Nun höre ich mich selbst anders, ganz neu.

Tiefgehend und beglückend sind solche Momente. Oft erinnere ich mich noch Jahre später daran.

25. Januar

Engelszungen

Gott, lehre mich die Kunst des sorgsamen Sprechens.

Wo zu viele Worte gemacht werden, gib mir den Mut zu schweigen.

Wo aber das Schweigen lähmend wird, schenk mir das eine, lösende Wort.

Wenn meine Rede hart werden will, dann verwandle sie. Lass Silben und Sätze auf dem Weg zu den Lippen etwas sanftmütiger werden als ich es bin.

Du weißt, dass ich manchmal zum Zynismus neige. Nimm meinem Unterton seine Schärfe und ersetze sie durch Freundlichkeit. Schenk meiner Stimme eine Wärme, die mich selbst überrascht.

Wenn meine Worte verletzend sind, so verlangsame sie, bis sie stillstehen.

Doch lass sie hurtig über die Lippen gehen, wenn es gilt, andere zu loben.

Gott, wo du bist, sind auch die Engelszungen nicht weit.

Misch dich ein, in und unter das, was ich sage.

26. Januar

Hindurchhoffen

Ich wünsche dir Menschen,

die bleiben, wenn du

durch schwere Zeiten musst.

Freundinnen,

die Zweifel erlauben,

Anklagen aushalten,

Schreie ertragen.

Gefährten,

die dich begleiten,

halten und

hindurchhoffen

durchs dunkle Tal.

Ich wünsche dir,

dass du selbst

zu einem Menschen wirst,

der bleibt, erträgt, hält

und hindurchhofft.

27. Januar (Befreiung Auschwitz)

Ohne Flügel

Mitten im Zweiten Weltkrieg versteckt die Familie Hubermann einen Juden in ihrem Keller: Max.

Das ist gefährlich. Alle aus der Familie müssen nun sorgsam auf das achten, was sie sagen, sobald sie mit anderen Menschen sprechen. So auch Liesel, ein Mädchen von dreizehn Jahren, das selbst erst einige Jahre zuvor zu Rosa und Hans Hubermann gekommen ist.

Sie und Max freunden sich an und helfen einander durch ihre Albträume und ihre Ängste.

Am Weihnachtsabend beschenkt Liesel den im Keller Versteckten, der nie nach draußen darf, mit Schnee. Übermütig veranstalten sie eine kleine Schneeballschlacht und bauen gemeinsam einen Schneemann.

Wenig später wird Max krank. Eines Abends fällt er in der abgedunkelten Wohnung der Familie beinahe in Ohnmacht. Rosa Hubermann steckt ihn in Liesels Bett. Dort bleibt er liegen, tagelang, wochenlang. Er schläft und schläft und wacht kaum einmal auf.

Liesel hört die heimlichen Gespräche der Eltern: wie sie sich fragen, was man denn nur tun solle, wenn Max stürbe. Und sie wird todtraurig darüber.

Wieder und wieder besucht sie Max. »Wach auf!«, beschwört sie ihn.

Sie liest ihm vor. An ihrem Geburtstag verspricht sie ihm einen riesengroßen Kuchen statt der üblichen dünnen Suppe.

Doch es tut sich nichts. Max schläft weiter, schläft seinen langen Schlaf im Niemandsland zwischen Leben und Tod.

Eines Tages bringt Liesel ihm ein Geschenk ans Bett: einen plattgewalzten Ball. Sie werde ihm die Geschichte dazu erzählen, sagt sie, wenn er nur endlich aufwache.

Jeden Tag hält sie nun Ausschau nach etwas, das sie ihm geben kann, kleine Geschenke, die ihn dazu bewegen könnten, ins Leben zurückzukehren. Eine Feder bringt sie ihm, zwei Zeitungen legt sie an sein Bett.

Wie aber schenkt man jemandem ein Stück Himmel? Sorgsam wählt Liesel die Worte aus für eine Wolke, die sie ihm überreichen will. Als es endlich die richtigen sind, schreibt sie sie auf.

Aber Max wacht nicht auf. 13 lange Tage und Nächte lang wacht er nicht auf.

Und dann geschieht es doch.

Hören wir dem Tod zu, den Markus Zusak in seinem Buch »Die Bücherdiebin« zum Erzähler macht, wie er berichtet über den Augenblick, in dem er Max abholen will:

»Es muss in einem der wenigen Momente gewesen sein, als das Mädchen nicht bei ihm war, denn alles, was ich sah, war ein Mann in einem Bett. Ich kniete nieder. Ich machte mich bereit, meine Hände in die Decken einzutauchen. Dann spürte ich ein starkes Wiederaufleben – einen kraftvollen Kampf gegen mein Gewicht. Ich zog mich zurück.«6

Was hat dieses Wiederaufleben, diese starke Kraft ausgelöst? Wir erfahren es nicht direkt. Aber uns wird erzählt von dem Mädchen Liesel.

Dieses Mädchen hat keine Flügel und ist doch ein Engel. Sie ängstigt und sorgt sich um einen Menschen, dem andere nach dem Leben trachten. Als sie nichts für ihn tun kann, tut sie doch etwas für ihn. Sie besucht ihn und wählt sorgsam ihre kleinen Geschenke aus.

Ob das alles etwas bewirkt? Man weiß es nicht. Aber es könnte doch möglich sein, dass die Angst und die Liebe dieses Mädchens den Mann am äußersten Rande des Daseins zurücklocken ins Leben.

28. Januar

Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig! Verstumme! Und der Wind legte sich und es ward eine große Stille. Markus 4,39

Sturmstillung

Noch eine Stunde, bevor sein Zug abfährt. Er war nur für zwei Tage in der Stadt, auf Dienstreise. Nun schlendert er durch die Fußgängerzone. Was tun mit diesem Stückchen geschenkter Zeit? Sich in ein Café setzen? Er hat weder Hunger noch Durst.

Stattdessen sieht er sich lieber die Kirche an, die am Marktplatz steht. Er öffnet die schwere Tür. Still und kühl ist es hier. An einem Tisch sitzt eine Frau und nickt ihm zu.

Er nickt zurück und geht langsam den langen Gang entlang nach vorne. Dann setzt er sich in eine der Bänke und schaut sich um. Der Altar ist mit einem Strauß Blumen geschmückt. Licht fällt bunt durch die Kirchenfenster auf den Steinboden. Auf einem von ihnen erkennt er die Geschichte von Jesus, der den Sturm auf dem See Genezareth stillt.

Seine Großmutter hat ihn früher oft mit in die Kirche genommen. Sie war ein erstaunliches Persönchen. Klein und zierlich, aber auch zäh. Sie hat es im Leben nicht leicht gehabt. Ihr Mann war gefallen. So musste sie allein mit ihren drei kleinen Kindern aus Ostpreußen fliehen. Und hier allein noch einmal von vorne anfangen. Ihr Leben war auch ziemlich stürmisch, denkt er.

Er sieht sie vor sich, wie sie sonntags ihren Hut aufsetzte, um in den Gottesdienst zu gehen. »Ich brauche das«, sagte sie. »Da komme ich zur Ruhe, all die Gedanken und Sorgen kann ich da abladen.« Es war, als wären dort die Stürme in ihr gestillt worden, denkt er.

Sein eigenes Leben geht ihm durch den Kopf. Viel Hektik, sein Beruf strengt ihn an, er muss oft reisen, ist mal hier, mal dort. Manchmal weiß er kaum, wo ihm der Kopf steht. Seine Familie kommt viel zu kurz.

Wie gut ist es, einfach eine Weile hier in der Bank zu sitzen. Es ist tatsächlich so, als würden sich auch in ihm einige Wogen glätten. Ob Gott seine Gedanken gehört hat? Vielleicht ist es ja so.

Er steht auf und geht nach vorne. Dort zündet er eine Kerze an.

Bevor er sich auf den Weg zum Bahnhof macht, kauft er bei der Frau am Eingang noch eine Postkarte von dem Fenster mit der Sturmstillung. Die wird er sich zu Hause über den Schreibtisch hängen.

29. Januar

Mitten im Sturm

Mitten im Sturm

trau ich den Worten

nicht mehr,

schüttelt in Wellen

die Angst mich durch

und ich gehe

in Zweifeln fast unter.

Mitten im Sturm

halt ich mich fest

am Hoffnungslicht,

such in der Ferne

ein Ufer

und sehne mich

nach einer Stimme,

die spricht:

Ich bin bei dir,

mitten im Sturm.

30. Januar

Freundliche Reden sind Honigseim, süß für die Seele und heilsam für die Glieder. Sprüche 16,24

Die Ananas und die Zeit

Samstagmorgen im Supermarkt. Ich brauche nur eine frische Ananas für den Obstsalat. Das müsste doch zügig gehen. Ananas ausgesucht und zur Schnellkasse, wo pro Person nur zehn Teile auf das Band dürfen. Aber ach: Dort stehen schon sieben Menschen. Na gut, ich schaue, was an den anderen Kassen los ist. Ich stelle mich dort an, wo die Schlange am kürzesten ist. Nur zwei Leute außer mir. Doch dann sehe ich, dass der Mann direkt vor mir seinen Einkaufswagen bis an den Rand vollgepackt hat. Trotzdem: Noch einmal an eine andere Kasse zu wechseln, hat wenig Sinn, überall stehen Schlangen.

Der Mann legt ein Teil nach dem anderen aufs Laufband, den Blick nach vorn gerichtet. Ich seufze innerlich. »Wenn jemand mit nur einem Artikel hinter mir steht, lasse ich ihn meistens vor«, denke ich. Aber er sieht mich ja gar nicht. Also heißt es wohl: geduldig sein.

Die Kassiererin gibt eben dem Kunden vor dem Mann das Wechselgeld, da wendet er sich an mich und fragt: »Möchten Sie vorgehen mit Ihrer Ananas?« Verblüfft antworte ich: »Ja, gerne!«, drängele mich an ihm vorbei und halte der Kassiererin die Ananas hin. »Danke«, sage ich an den Mann gewandt, »und Ihnen ein schönes Wochenende.« Auf dem Weg nach Hause freue ich mich. »Das war knapp«, denke ich. »Aber er hat mich doch noch gesehen. Und nicht nur mich, auch meine Ananas.«

Wie schön, solch ein Moment am Morgen. Den Mann hat es nur einige Augenblicke seiner Zeit gekostet. Das Lächeln in mir aber geht lange mit.

31. Januar

Himmelsspuren

Immer wieder

sich aufmachen,

auch an kühlen Tagen

Himmelsspuren suchen.

Gefrorene Hoffnung aufwärmen,

schneebedeckte Sehnsucht freilegen

und sich offenhalten

für den Engel am Weg.

1. Februar

Narr sein

Ich wünsche dir den Mut,

dich hin und wieder

zum Narren zu machen

und laut zu lachen über dich selbst.

Ich wünsche dir Freude daran,

das aufzusuchen,

was in dir versteckt ist,

ihm Kleider anzulegen

und es nach außen zu kehren.

Vielleicht entdeckst du

verborgene Seiten,

die gelebt werden wollen

und dürfen:

Zu denen Gott selbst

längst »Ja« gesagt hat

und die auch du dir

nicht zu verweigern brauchst.

2. Februar (Mariä Lichtmess)

Über allem: die Liebe

Ob auch die im Nicht-Glauben so Sicheren gelegentlich ins Zweifeln geraten? Jene, die so felsenfest überzeugt sind davon, dass es weder einen Gott noch einen Himmel geben kann?

Ob sie ins Zweifeln geraten, etwa, wenn ein Kind geboren wird und sie vor dem stehen, was man ein Wunder nennen könnte?

Oder wenn sie in einem Unglück bewahrt werden und das erleben, was man den Anflug eines Schutzengels nennen könnte?

Nicht, dass ich jemanden bekehren oder ihm ein triumphierendes »Siehst du!« entgegenhalten möchte.

Mir scheint nur, dass Zweifel an der eigenen Ansicht einen Menschen warmherziger und einfühlsamer machen gegenüber denen, die anders denken als er selbst.

Jeder Absolutheitsanspruch hingegen wirkt sich schädlich aus; sowohl der der allzu überzeugten Gläubigen als auch jener der allzu sicheren Nicht-Gläubigen. Er verhärtet diejenigen, die ihn vertreten. Er macht intolerant, verbissen und oft genug auch militant. Er richtet Grenzen auf, statt sie abzubauen und bringt manchmal sogar Hass und Gewalt in die Welt.

Und darum fände ich es zu begrüßen, wenn Glaubende gelegentlich ins Zweifeln und Zweifelnde gelegentlich ins Glauben kommen.

Dass die Deutung der Wirklichkeit auf vielfältige Weise möglich ist, darüber wünsche ich mir eine Übereinstimmung. Dass Skepsis zu würdigen ist und Entwicklung zu begrüßen.

Und eine Ökumene all jener Menschen, denen die Liebe das größte Gebot ist und Solidarität die daraus folgende unablässige Konsequenz.

3. Februar

Geheiligt werde

Sie nennen nie

seinen Namen.

Sie legen ihr Augenmerk

auf unscheinbare Wesen

am Rande.

Sie versperren engen Stirnen

beharrlich den Weg

und weisen mit Worten

ins Weite.

Sie gewähren

abgewiesener Hoffnung

ein Bleiberecht

und schreiben Briefe

gegen den Tod.

Nie nennen sie

seinen Namen.

Sie sagen: Zukunft.

Oder: Kinder.

Sagen: Evolution.

Oder: eine Welt.

4. Februar

Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. Genesis 1,27

Ebenbild sein

Manchmal, wenn ich durch die Stadt gehe, dann wundere ich mich darüber, wie viele Menschen ich nicht kenne. Was mag sie beschäftigen? Wie leben sie? Es sind vielleicht ein paar Hundert, die an mir vorbeigehen. Dicke, Dünne, Große, Kleine. Ein winziger Bruchteil gemessen an den 7,7 Milliarden Menschen, die auf der Erde leben. Und keiner ist genau wie der oder die andere.

Ob Gott die Welt und uns Menschen erschaffen hat, ist heutzutage umstritten. Es ist ja auch nicht zu beweisen, eine Glaubenssache. Für mich widerspricht dieser Glaube wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht. Ich merke aber, wie es meinen Blick weitet und bereichert, wenn ich davon ausgehe, dass jeder Mensch zum Bilde Gottes geschaffen ist, als sein Ebenbild:

Ich gerate ins Staunen über Gottes schöpferische Kraft und seine Freude an der Vielfalt, über seine Fantasie und seine Liebe zum Leben.

Ich sehe die andere Person mit Gottes Augen. Auch wenn sie mir fremd ist, Gott hat sie zu seinem Ebenbild geschaffen. Ich will sie respektieren und achten.

Und auch auf mich selbst schaue ich neu: Gottes Ebenbild zu sein, das bedeutet:

Gott lässt mich teilhaben an seiner schöpferischen Kraft und seiner Fantasie. Ich kann aussäen und pflanzen, kann etwas aufbauen und die Welt um mich herum gestalten.

Ich bin geschaffen zu Gottes Bild. Welch eine Auszeichnung! Welch eine Verantwortung! Ich freue mich darüber. Und ich frage mich: Was kann ich dazu beitragen, um die Schöpfung zu schützen, andere Menschen zu stärken und das Leben zu bewahren?

5. Februar

Überraschung

Lass dich gelegentlich

von dir selbst überraschen.

Da ist manches,

was in dir ruht,

unscheinbar und verborgen

wie ein Schmetterling

in seiner Puppe.

Wenn die Zeit reif ist,

lass es frei, halt es

zum Trocknen in Gottes Liebe,

bis es schillernd und leicht

in die Welt fliegt.

Und dich selbst

ins Staunen bringt.

6. Februar

Siehe, ich sende einen Engel vor dir her, der dich behüte auf dem Wege. Exodus 23,20a

Unter die Fittiche

Abends sprachen wir über Engel.

Wie sie den Menschen im Alltag begegneten. Bot*innen Gottes im Menschengewand. Mit einem Gesicht wie wir es haben: du und ich.

Flügel hatten sie keine. Nur ein Wort Gottes, das eine Wendung brachte. Oft wurden sie erst im Weggehen erkannt.

Einen Tag später ein Kaffeetrinken. Viele Menschen in einem Raum, Kinder wuseln um uns herum. Kuchen mit grünem Tortenguss liegt auf meinem Teller. Zwischen zwei Bissen sagt eine: Kais Vater ist tot.

Sechs Jahre alt ist Kai. Hat zwei große Brüder. Und eine Familie mit rauem Umgangston.

Wieder zwei Tage später bin ich in einer Kirche. Hölzerne Engel sind ausgestellt. Dazu Bilder, von Kindern gemalt. Ich gehe durch den Raum. Wundere mich, warum all diese Engel Flügel haben. Ich dachte, Bot*innen Gottes bräuchten die nicht.

Bis ich den einen sehe. Den hat ein Mädchen gemalt. Klein von Gestalt ist er, doch mit riesigen Flügeln, die einen Raum voller Geborgenheit öffnen.

Ja, denke ich, recht hat das Mädchen, manche Engel brauchen die Flügel wohl doch.

Gott, schick einen für Kai, einen oder zwei oder alle, die übrig sind. Damit ihn einer unter die Fittiche nimmt und ihn behütet auf seinem Weg.

7. Februar

Hoffnungslied

Horch doch,

wie auch die dunklen Tage

in sanften Tönen

von Hoffnung singen.

Filigran wie die Bäume

vor dem Winterhimmel

und licht wie die Tropfen

an ihren Ästen

klingt für den,

der es hören kann,

ihr Lied.

8. Februar

Raus aus den Schulden

»Raus aus den Schulden« so heißt eine Sendung, die ich mir vor vielen Jahren einmal angeschaut habe.

Ein Berater half einer Familie, die bis zum Hals verschuldet war. Er sortierte Berge von Mahnungen und erstellte eine Liste der Gläubiger*innen. Er führte komplizierte Verhandlungen, damit ein Teil des Geldes erlassen wurde. Als das gelungen war, sah man den Betroffenen an, wie erleichtert sie waren. Nun konnten sie wieder aufrecht in ihre Zukunft gehen.

Nicht nur Geldschuld wiegt schwer. Auch andere Schuld, die ich auf mich lade, drückt mich nieder: Ich habe einen Menschen mit Worten oder Taten verletzt. Ich habe Vertrauen verspielt. Ich habe mein Kind lieblos behandelt oder meinen Partner links liegen lassen.

Dann mag ich mich selbst nicht mehr anschauen. Ich werde innerlich ganz klein. Ja, manchmal kann man sogar krank daran werden.

In solchen Momenten merke ich: Ich habe nicht nur dem oder der anderen weh getan, sondern auch mir. Und ich habe Gott verletzt, dessen Wesen die Liebe ist. Wie lang mag die Liste sein, in der er mir meine Schuld vor Augen führen könnte?

Am liebsten würde ich das, was ich getan habe, ausradieren aus meinem Leben. Aber das kann ich nicht.

Gott selber sagt: »Raus aus den Schulden« und kommt mir entgegen. Er streicht den Schuldschein durch und hebt die Forderungen auf. Alle. Ohne Mahnungen. Ohne Verhandlungen. Ohne Restschuld. Gott baut mir eine Brücke aus Liebe, die ich frei und aufrecht betreten kann. Sie öffnet neue Wege: Zu ihm, zu anderen und zu mir selbst.

9. Februar

Das ganze Bild

Dass auch die dunklen Wege

nicht in den Abgrund führen

und einer an meiner Seite geht,

auch wenn ich ihn kaum noch spüre.

Dass alle Tränen gesammelt werden

und ins Wasser des Lebens fließen,

dass Trauerzeiten zu Ende gehen

und sich mein Mund neu mit Lachen füllt.

Dass selbst ein steinernes Herz

sich erweichen lässt

und eine Tür ins Freie führt,

wo der Himmel sich weitet.

Dass manches, was vergeblich erscheint,

mich doch wachsen lässt

und mich zu dem Menschen macht,

als der ich gedacht bin.

Dass ich am Ende,