Monaco Horizontale - Moses Wolff - E-Book

Monaco Horizontale E-Book

Moses Wolff

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  • Herausgeber: Piper ebooks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Es geht heiß her im Münchner Rotlichtmilieu: Freier geben vor, potenzsteigernde Mittel einzunehmen, schlucken in Wahrheit jedoch tödliches Zyankali und verüben während des Liebesaktes Suizid. Die junge, sehr attraktive Prostituierte Violetta wendet sich verzweifelt an Hans Josef Strauß und bittet ihn um Hilfe, denn ihr ist das unschöne Ereignis bereits zum zweiten Mal passiert. Die Opfer könnten unterschiedlicher nicht sein, es gibt keine Gemeinsamkeiten und kein Motiv. Strauß und sein Partner Quirin ermitteln in alle Richtungen und stoßen bald auf eine ominöse Geheimgesellschaft …

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Mehr über unsere Autoren und Bücher:www.piper.deFür VivianISBN 978-3-492-99139-1© Piper Verlag GmbH, München 2018Covergestaltung: www.buerosued.deCovermotiv: www.buerosued.deDatenkonvertierung: Fotosatz Amann, MemmingenSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Wir weisen darauf hin, dass sich der Piper Verlag nicht die Inhalte Dritter zu eigen macht.

Inhalt

Cover & Impressum

Prolog

1. Es war ein ...

2. Der Club Rotes ...

3. »Der Tag fing ...

4. Violetta haderte mit ...

5. Grace, Violetta, Mirabella ...

6. Zur gleichen Zeit ...

7. Ebenfalls an jenem ...

8. Kurz nach dem ...

9. Da die einschlägigen ...

10. Quirin war indes ...

11. Zwei Stunden nachdem ...

12. Quirin befand sich ...

13. »Bitte fesseln Sie ...

14. »Es ist verdammt ...

15. Herbert Dollek saß ...

16. Hans Josef und ...

17. »Jetzt hätt ich ...

18. »Da vorn war’s« ...

19. »Willst noch mehr ...

20. Pünktlich um 19 Uhr ...

21. »Schön haben Sie’s ...

22. Verständlicherweise wachte Hans ...

23. »Wir müssen unbedingt ...

24. Die beiden Polizeibeamten ..

25. Um keine Zeit ...

26. Zwei Tage später ...

Epilog

Dank

Prolog

»Handentspannung ist im Preis inbegriffen«, sagte Violetta, während sie den hageren Mann in das luxuriös eingerichtete Zimmer mit dem Whirlpool und dem XXL-Bett führte. Sie trug mandarinenfarbene Reizwäsche und hochhackige schwarze Lackpumps.

»Wie alt bist du?«, fragte der etwa vierzigjährige Mann.

»Fünfundzwanzig.«

»Das ist das perfekte Alter. Kommst du aus Deutschland?«

»Ja, aus dem Ruhrgebiet.«

»Sehr gut.«

»Wie lange möchtest du bleiben?«

Violetta sah ihn mit ihren strahlend blauen Augen an. Sie war schon fast ein Jahr lang im Münchner Pink Bunny Club tätig und wusste meist ziemlich rasch, was der jeweilige Herr erwartete. Manche wollten nur ein schnelles Bedürfnis unkompliziert und anonym befriedigen, andere wünschten sich die Illusion echter Liebe, viele standen auf die harte Nummer, manche kamen nur zum Kuscheln. Dieser Mann wirkte so, als ob er verheiratet wäre und sich ein wenig Ablenkung in den Armen einer jungen Frau zu verschaffen suchte. Außerdem ließen sein Kleidungsstil, sein gepflegter Vollbart und sein gesamtes Auftreten darauf schließen, dass er gut verdiente, was ja immer interessant war. Violetta war kein Fan von »Kleingedrucktem«, also versteckten Kosten für irgendwelche Extras, sie spielte lieber mit offenen Karten.

»Eine Stunde Full Service kostet hundertvierzig Euro, da ist alles dabei, was ich im Internet angegeben habe, und du kannst innerhalb dieser Zeit so oft entspannen, wie du möchtest. Wenn du den einfachen Service wählst, kostet es hundert Euro die Stunde mit Französisch ohne Aufnahme, normalem GV und zwei Mal entspannen.«

Der Mann blickte ernst drein.

»Ist Küssen denn im einfachen Service inbegriffen?«, fragte er und neigte seinen Kopf erwartungsvoll nach vorne.

»Nein. Küssen biete ich nur Männern ohne Bart an, tut mir leid.«

»Schade«, brummte er. »Ohne Küssen macht es mir keinen Spaß.«

Damit hatte sie gerechnet. »Du bist mir sehr sympathisch. Ich würde eine Ausnahme machen, du müsstest aber vorher mit Mundspülung gurgeln, dann wäre Küssen für mich okay. Allerdings nur, wenn du Full Service nimmst.«

»In Ordnung«, willigte der Mann erfreut ein und holte seinen Geldbeutel aus der Innentasche seines Sakkos. Er nahm drei Fünfzigeuroscheine heraus und gab sie der schönen blonden Frau. »Das stimmt so«, ergänzte er. Sie lächelte, verstaute das Geld in einem kleinen Kästchen auf der Kommode, drehte sich zum Waschbecken um und füllte einen Plastikbecher mit blauer Mundspülung. Der Freier nahm ihn gehorsam entgegen und gurgelte, während Violetta seinen Nacken kraulte.

»Wollen wir zusammen duschen?«, hauchte sie verführerisch, wobei sie die Zungenspitze ganz leicht zwischen die strahlend weißen Zähne schob. Sie wusste genau, dass diese Geste jeden Mann erregte.

»Ja«, antwortete er und musterte sie erneut mit ernstem Blick.

Seine Art gefiel ihr, er strahlte eine gewisse Dominanz aus. Und auch sein Geruch war ihr sofort aufgefallen, er duftete nach dem Aftershave Vétiver von Guerlain, das sie sehr mochte. Violetta hatte ein Faible für Parfüms, mit ihrem feinen Näschen erkannte sie sowohl Herren- als auch Damendüfte meist auf Anhieb.

Langsam und ohne den Blick von ihrem Kunden abzuwenden, zog sie jetzt BH und Slip aus und half ihm beim Aufknöpfen seines Hemdes. Auch nackt gefiel er ihr sehr gut. Letztlich gehörte es natürlich zur »Show« dazu, dass sie jedem Kunden das Gefühl gab, er sei sexy. Allerdings waren ihr attraktive Männer natürlich lieber als hässliche. Gemeinsam stiegen sie unter die Dusche.

Violetta liebte ihren Beruf. Sie mochte Sex, gab gern Geld aus und hatte ihre Entscheidung noch nicht ein einziges Mal bereut. Weil sie außergewöhnlich hübsch war, fraßen die Männer ihr aus der Hand. Sie hatte viele Stammkunden und verstand es, sie jedes Mal voll und ganz zufriedenzustellen.

Während sie ihn zärtlich zu küssen begann, seifte sie ihren Kunden vom Scheitel bis zur Sohle ein, nicht nur damit sie sichergehen konnte, dass er sauber war, sondern weil ihr dieses sinnliche Ritual Freude bereitete. Er genoss ihre Berührungen mit geschlossenen Augen und streichelte sachte ihre Schultern mit den Fingerspitzen. Anschließend verließen sie die Dusche, und sie rubbelte erst ihn und dann sich selbst mit einem großen Frotteehandtuch trocken. Höflich zeigte er auf seine zuvor säuberlich zusammengelegten Kleider.

»Ich habe meine blauen Pillen noch nicht genommen.«

Violetta reagierte gelassen. Das war nichts Ungewöhnliches, viele ihrer Gäste benutzten potenzsteigernde Mittel. Die heutige Zeit mit ihren Möglichkeiten war eigentlich ein Segen, fand sie. Lieber medikamentös nachhelfen, als halbe Sachen machen. In der Rotlichtszene sprach man bei Potenzstörungen von »Herumeiern« oder, in Österreich, von »Wurschteln«. Violetta wusste, dass die Pillen in der Regel erst nach einer Dreiviertelstunde wirkten, sodass der Zeitpunkt der Einnahme in diesem Fall etwas spät gewählt war. Doch das könnte ihr durchaus in die Karten spielen.

»Wollen wir nicht lieber auf zwei Stunden verdoppeln?«, schlug sie vor, wobei sie ein sanftes Lächeln um ihre zartrosa glänzenden Lippen spielen ließ.

»Das braucht’s nicht«, erwiderte der Mann mit dem Vollbart. »Das Zeug wirkt bei mir ziemlich schnell.«

Er nahm eine blaue Tablette aus einer kleinen silbernen Dose, warf sie in den Mund, ging zum Waschbecken, beugte sich unter den Wasserhahn und spülte das Medikament die Kehle hinunter. Dann setzte er sich aufs Bett, zog die junge Frau zu sich und dirigierte sie dorthin, wo er ihre Liebkosungen wünschte. Erfreut tat sie wie ihr geheißen. Es gefiel ihr, wenn Männer wussten, was sie wollten, und wenn sie sich einfach den Fantasien ihrer Liebespartner hingeben konnte. Violetta brauchte gar nicht zu schauspielern, der Sex war einfühlsam und intensiv. Und der Mann hatte recht gehabt: Offenbar entfaltete die blaue Pille bei ihm von der ersten Sekunde an ihre Wirkung.

Nach etwa einer halben Stunde – Violetta saß gerade auf ihm und genoss die gemeinsamen rhythmischen Bewegungen – griff er erneut zu seiner Pillendose, öffnete sie und nahm eine weitere Tablette heraus, diesmal eine weiße. Violetta vermutete, es sei möglicherweise ein Blutdruckmedikament oder ein Schmerzmittel. Doch auf einmal verdrehte der Mann die Augen seltsam nach oben. Irritiert verlangsamte Violetta das Tempo. Dann begann er zu röcheln und zu zucken, und die junge Frau geriet in Panik. Sie befürchtete, dass er womöglich eine Überdosis erwischt hatte, und umschloss sein Gesicht mit beiden Händen. Es war totenblass. Aus seinem Mund quoll Schaum. Violetta stieg von ihm ab und versuchte verzweifelt, ihn durch eine Herzmassage zu reanimieren. Doch jede Hilfe kam zu spät. Der Mann hatte aufgehört zu atmen. Er war quasi in ihren Armen gestorben. Immerhin hatte er vorher zweimal »entspannt« …

1. Kapitel

Es war ein lauer Dienstagvormittag. Genauer gesagt der 18. April. Hans Josef Strauß war gerade auf dem Nachhauseweg von einem neuen Auftraggeber, Herrn Kovacs. Sein guter Freund und Geschäftspartner Quirin behauptete zwar, dass man als Privatermittler seine Auftraggeber nicht »Auftraggeber« nennt, sondern »Mandanten« oder »Klienten«, aber Hans Josef war das wurscht. Oder, wie er es in seiner schlechten bayrischen Aussprache sagen würde: »wuarcht«. Er sprach »sch«-Laute manchmal wie »ch« aus, es hörte sich so an, wie wenn manche Leute aus dem Saarland oder der Pfalz »Fich« statt »Fisch« sagen. Allerdings war Hans Josef Strauß ja Westfale, da sprach man »sch« wie »sch« aus. Es gab keine Erklärung für diesen kleinen Sprachfehler, der auch nur manchmal vorkam. Jedenfalls beauftragten die Kunden oder Mandanten oder wie auch immer die beiden Detektive mit der Aufklärung mehr oder weniger komplizierter Fälle und bezahlten im Erfolgsfall gutes Geld. Hans Josef überlegte, ob er, um Quirin zu ärgern, künftig von »Kameraden« sprechen sollte. Oder von »Kandidaten«. »Probanden« war auch nicht schlecht. Oder »Drahtzieher«. Nun ja, jedenfalls hatte Herr Kovacs die Detektei Strauß darauf angesetzt, die Machenschaften der mutmaßlich betrügerischen Zahnärztin Dr. Kimberly Grimm aufzudecken, die nachträglich zunächst günstig erscheinende Kostenvoranschläge gefälscht haben sollte. So hatte es wohl für einige ihrer Patienten nach gelungener Behandlung ein böses Erwachen gegeben. Als sie die Rechnung im Briefkasten vorfanden, war der Betrag plötzlich mehrere Tausend Euro höher als angekündigt, und die Versicherungen weigerten sich, diese horrenden Kosten zu übernehmen. Die Patienten hatten nichts in der Hand, da keine Kopien der von ihnen unterschriebenen Kostenvoranschläge existierten – angeblich war immer der Drucker in der Praxis von Frau Dr. Grimm defekt gewesen. Die Polizei hatte Kovacs bei dessen Besuch weggeschickt und die Einschaltung eines Rechtsanwalts empfohlen, da eine Anzeige in den Augen des angesprochenen Polizeibeamten nichts bringen würde. Daraufhin hatte Kovacs herumgefragt und mit den anderen betroffenen und klagebereiten Patienten vereinbart, ebenjene Detektive zu beauftragen und sich deren Honorar zu teilen. Herr Kovacs hatte fabelhaft recherchiert und mehrere Mitstreiter auftreiben können, denen ein ähnliches Schicksal widerfahren war, sodass Hans Josef vermutlich leichtes Spiel haben würde. Er musste lediglich verbindliche Aussagen der Betrogenen herbeischaffen, damit der Fall vor Gericht gehen konnte.

Herr Kovacs wohnte in der Baaderstraße, in der sich viele Lokale befanden. So hatte Hans Josef Strauß sich nach dem Besuch noch einen Espresso im Baader Café und ein frisches Bierchen in der Gaststätte Burg Pappenheim gestattet, was ihm beides vorzüglich bekommen war. Die schwedisch aussehende Dame hinter der Theke im Baader Café kannte großartige Witze, die sie, wenn sie gut gelaunt war, auch gerne und sehr gekonnt erzählte. Diesmal war ihre Stimmung ausgezeichnet gewesen, und sie hatte Folgendes zum Besten gegeben: »Der Bauer und die Bäuerin sitzenbeim Abendessen und verzehren Wurst, Käse und Holzofenbrot samt Bier. Da sagt der Mann: ›Morgen früh soll es klares und gutes Angelwetter geben. Ich werde mich schon in aller Früh zu Fuß auf den Weg zum See machen, um zu angeln.‹Die Bäuerin sagt: ›Von mir aus. Wann wirst du zurück sein?‹ ›Am späten Nachmittag.‹ Gesagt, getan. Um fünf Uhr morgens packt er seine Angelsachen und zieht los. Nach einer halben Stunde beginnt es zu tröpfeln, gefolgt von starkem Regen, Graupelschauern, einem heftigen Gewitter und schließlich einer Art Schneesturm. Der Mann dreht auf dem Absatz um, geht zurück, kommt gegen sieben Uhr wieder daheim an, zieht seine nassen Sachen aus und legt sich zu seiner Frau ins Bett. Die Frau sagt schlaftrunken: ›Uuuuuh, du bist ja total kalt.‹ Der Mann sagt: ›Kein Wunder, draußen tobt ein heftiger Schneesturm.‹Dann die Frau: ›Hahaha, und mein Mann, dieser Idiot, ist zum Angeln gegangen!‹«

Hans Josef hatte kurz darauf versucht, diesen Witz dem Wirt vom Burg Pappenheim wiederzugeben, war aber gescheitert, weil er sich im Mittelteil verheddert hatte.

Nun stand er an der Haltestelle Baaderstraße vor dem heutigen Patentamt, wo früher das Gefängnis stand, in dem kurze Zeit Oskar Maria Graf inhaftiert war, und wartete auf den Bus, der ihn zurück in die Innenstadt bringen sollte. Von hier fuhren zwei Buslinien ab, eine zum Rotkreuzplatz, die andere angeblich zum Marienplatz, was aber gar nicht stimmte – in Wirklichkeit fuhr der Bus nur zum Viktualienmarkt beziehungsweise zum Rindermarkt. Während er wartete, gelangte Hans Josef mit seinen Gedanken rund um die Verlegung der ursprünglichen Haltestelle und deren verwirrende Umbenennungen wieder mal an einen neuralgischen Punkt. Seit einiger Zeit hatte man sich immerhin auf einen Namen geeinigt, die Haltestelle hieß nun »Marienplatz (Rindermarkt)«. Er musste an ein ähnliches Beispiel denken: den vor ein paar Jahren in Betrieb genommenen Flughafen Memmingen. Irgendein Hanswurst hatte den Betreibern gestattet, ihren Airport »München West« zu nennen, obwohl er weit über hundert Kilometer von München entfernt lag. Als Hans Josef Strauß im vergangenen Frühjahr Freunde aus Mailand erwartete, staunte er nicht schlecht, als diese ihn nach der Landung entnervt anriefen und ihm mitteilten, dass sie fast zwei Stunden mit dem Bus vom Flughafen zum Hauptbahnhof benötigen würden. Weder Hans Josef noch den Besuchern selbst war klar gewesen, dass sie im italienischen Reisebüro zwar »Milano-Monaco/Bavaria« gebucht, aber in Wirklichkeit »Milano-Monaco/Allgäu« erworben hatten. Hans Josef schüttelte den Kopf, als er sich an dieses Erlebnis erinnerte. Er hatte einen stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und verabscheute Gaunerei und betrügerische Täuschung. Der anrollende Bus riss ihn aus seinen Gedanken, vor allem weil der Fahrer das Fahrzeug steil auf die Bordsteinkante zusteuerte, sodass der Bus nur wenige Zentimeter vom Gehsteig entfernt zum Halten kam. Dabei streifte er den wartenden Detektiv beinahe mit dem rechten Außenspiegel an der Stirn. Die Spiegel waren nämlich genau in Kopfhöhe angebracht – Hans Josef war davon überzeugt, dass viele Fahrer eine kleine interne Wette laufen hatten, wer als Erstes einen Fahrgast mit dem Spiegel ausknockte. Hans Josef stieg ein und versuchte, dem Fahrer mit einem strafenden Blick zu signalisieren, wie verwerflich er dessen Fahrweise fand, doch der Chauffeur blickte gelassen in die andere Richtung aus dem Fenster, als gäbe es dort draußen etwas Interessantes zu beobachten. Hans Josef setzte sich erzürnt in den hinteren Bereich, nachdem er sich an einem halben Dutzend aufgeregt kreischender Schulkinder vorbeigedrückt hatte, von denen jedes etwas sagen wollte und die anderen lieber übertönte, als sie ausreden zu lassen.

Auf dem freien Platz neben Hans Josef lag eine aktuelle Bild-Zeitung. Sie sah nagelneu und virenfrei aus, also nahm er sie und las, um seinen Groll zu verdrängen. Wie immer fand er alles, was in dem Blättchen stand, reißerisch, ja sogar abstoßend. Die Schlagzeile auf der Titelseite lautete: »Irrer tötet sich beim Nutten-Sex.« Das interessierte ihn dann doch ein wenig. Aber vermutlich war es nur wieder eine typische, von sensationsgeilen Redakteuren »frisierte« und halb erfundene Story.

Doch bevor Hans Josef dazu kam, auch nur eine Zeile des Artikels zu lesen, klingelte sein Handy, und zwar in der Melodie von »Lalalalala«, gesungen von Bud Spencer und Terence Hill in der Komödie Zwei wie Pech und Schwefel. Diesen Klingelton hatte Hans Josef vor Kurzem Quirins Telefonnummer zugeordnet, damit er immer wusste, wenn sein lieber Freund und Kollege anrief. Er steckte die Zeitung in die Tasche seines Angermaier-Jankers und ging ran.

»Ja?«

»Servus«, sagte Quirin. »Wo steckstn grad? Is saumäßiger Lärm im Hintergrund.«

»Im Bus. Da sind irgendwelche Kinder und …«

»Rinder?«, rief Quirin. »Bist du auf dem Land?«

»Nein«, sagte Hans Josef, nun etwas lauter. »Kinder!«

»Inder? Äh, bist du beim Mittagessen? Die sind doch aber meistens eher leise beim Essen, die Inder.«

»Kinder«, schrie Hans Josef jetzt. »Hier sind lärmende Kinder!«

»Kinder?«

»Ja, Kinder«, sagte Hans Josef Strauß und warf der lärmenden Gruppe einen genervten Blick zu. »Es sind, glaube ich, ziemlich kindische Kinder.«

»Kindische Inder?«, witzelte Quirin.

»Nein, kindische Kinder!«

»Indische Kinder? Ach so, ist das ein Kindergarten und gar kein Restaurant?«

»Nein, ich bin nicht im Restaurant, sondern im Bus!«

»Imbus? Wo gibt’s denn einen Imbus? Bist du im Baumarkt in der Werkzeugabteilung?«

»Nein, im Omnibus.«

»Im Kombi-Bus?«

»Hokuspokus Fidibus«, brummte Hans Josef Strauß, um den Schmarrn zu beenden.

Hoppla, beinahe hätte er die Haltestelle Viktualienmarkt verpasst. Er schlängelte sich ungeschickt an einsteigenden Fahrgästen vorbei, ohne sein Smartphone vom Ohr zu nehmen.

»Wieso ich anruf«, sagte Quirin. »Mein Friseur ist grad im Urlaub. Zu welchem gehst du denn eigentlich?«

»Wozu brauchst du denn einen Friseur mit deinem Irrenhaus-Haarschnitt? Ich dachte, du schneidest dir selbst die Haare«, stichelte Hans Josef.

»So a Blödsinn. I brauch an guadn Friseur, der ned zu teuer is.«

»Meiner kostet fünfundzwanzig Euro.«

Hans Josef Strauß verglich gerne Preise und führte dabei meist zweispaltige Pro-und-Kontra-Tabellen, wobei er links die positiven und rechts die negativen Aspekte eintrug. Bei dem Friseur seiner Wahl stand links »freundlich, kompetent, Waschen inbegriffen, hübsche Friseurinnen, noch hübschere Chefin, kurze Wartezeiten, fünfunfzwanzig Euro« und rechts »Montag Ruhetag, zu kleine Garderobe«. Diese Gegenüberstellung hatte ihn überzeugt.

»Inklusiv Haarwäsche?«, hakte Quirin nach.

»Logisch.«

»Des is aber trotzdem scho recht teuer.«

»Ich find, es geht.«

»Und den kannst du empfehlen?«

»Kann i schohn.«

»Bitte sag halt wenigstens ›scho‹ und ned ›schoooohn‹.«

»Warum, es hoaßt doch ›schohn‹.«

»Naa, hoaßts ned.«

Wie immer, wenn ihn jemand auf sein schlechtes Bairisch ansprach, versetzte es Hans Josef Strauß einen bösen Stich. Er hätte so gerne diesen Dialekt gekonnt, denn er liebte den Freistaat mit all seinen Bräuchen und Menschen, trug entsprechend Tracht und Haferlschuhe und wusste einige historische Tatsachen, die andere nicht kannten. Er war quasi bayrischer als viele Bayern. Deshalb schmerzte ihn Quirins Bemerkung umso mehr. Doch der wollte ja etwas ganz anderes wissen.

»Jetz kumm, sag mir den Barbier.«

»Papier?«

»Barbier. Figaro. Coiffeur. Haarschneider. Woaßt scho.«

»Also, meiner heißt ›Cut Hair Ina‹.«

»Katharina?«

»Ja, eigentlich heißt sie Katharina, aber alle rufen sie bloß Ina«, sagte Hans Josef Strauß und lächelte verträumt vor sich hin, weil er Ina ja wie in seiner Tabelle bereits niedergeschrieben in der Tat ziemlich süß fand. »Der Salon heißt ›Cut‹ wie schneiden, dann ›Hair‹ wie Haare und eben ›Ina‹wegen der Besitzerin.«

»So a saublöder Name. Können die sich nicht ›Salon Heidi‹ oder sonennen wie früher?«

»Man muss ja auch ein bissel mit der Zeit gehen.«

»Guad. Dann gib mir bitte die Adresse.«

»Kohlstraße neun.«

»Können Sie mir sagen, wo die nächste Stadtsparkasse ist?«, fragte plötzlich eine ältere Dame, an Hans Josef gewandt.

»Sie sehen doch, dass ich telefoniere«, antwortete der leicht gereizt.

»Das kann ich doch nicht riechen«, schnaubte die Frau und huschte empört von dannen. Hans Josef starrte ihr perplex hinterher.

»Hallo?«, rief Quirin. »Hansä?«

»Äh, ja, bin wieder da.«

»Guad. Also, danke für die Information. Ich werd gleich einen Termin bei ›Cut Hair Ina‹ vereinbaren.«

»Sag ’nen schönen Gruß von mir.«

»Na, wirkli ned.«

»Was?«