Montag Nachmittag ging ich nach Vollersroda - Thomas Freitag - E-Book
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Montag Nachmittag ging ich nach Vollersroda E-Book

Thomas Freitag

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Beschreibung

Fünf Minuten von Weimar entfernt liegt Vollersroda, die erste Station auf Goethes Wanderweg und zugleich jener Ort, der dem Maler Lyonel Feininger zahlreiche Anregungen für Bilder, Zeichnungen und Graphiken bot. Als der junge Lehrer Matze Friedrich in den 70er Jahren der DDR hier seinen Musikunterricht erteilt, ist er voller Tatendrang und Enthusiasmus für sein Fach, so wie Feininger einst begeistert als Bauhausmeister startete. Doch es kommt anders. An der polytechnisch ausgerichteten Schule ist wenig Raum für ein musisches Klima. Matze Friedrich begreift, dass das vom Staat propagierte Ideal der allseits gebildeten sozialistischen Lehrerpersönlichkeit mehr und mehr verkommt, weil Schulbürokratie, organisatorischer Leerlauf und politische Restriktionen ehrliches Engagement verhindern. Matze Friedrich findet in Feiningers Briefen, in denen er von Schwierigkeiten seiner künstlerischen Entwicklung und den Akzeptanzproblemen des Bauhauses spricht, die verschiedensten Bezugspunkte zu seinem Leben und seiner Arbeit als Musiklehrer. Der Lehrer kann die Kämpfe, die Feininger und das Bauhaus zu durchleben hatten, nachvollziehen. Zugleich beeindruckt ihn Feiningers unbeirrbares Verhalten gegen die Widerstände der Zeit, das Festhalten an seinem künstlerischen Weg. So wie Feininger Abschied nimmt von einer grausam gewordenen Gegenwart im NS-Staat, nach Amerika zurückgeht und in einem seiner letzten in Deutschland gemalten Bilder Vollersroda (Spring, 1936) zeigt, entflieht Lehrer Matze Friedrich seinem Schulalltag. Aber da wird er, am Ende seines Schuldienstes in Thüringen einberufen zum Wehrdienst in einer Armee, die er verachtete. Er war dort ältester Soldat und an seiner Schule war inzwischen das Unterrichtsfach "Wehrerziehung" für Jungen und Mädchen der Klassen 9 und 10 eingerichtet.

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Thomas Freitag

Montag Nachmittag ging ich nach Vollersroda

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1 Feininger vor Ort

2 Briefe an Julia

3 Bauhaus Weimar, Lehrer Matze in Vollersroda

4 Feininger mit großen Plänen

5 Im Vollersrodaer Schulhaus

6 Atelierfenster 1919

7 Matzes Schulbeginn 1975

8 Zentralschule und alte Kirchtürme

9 Wie die Schule startete

10 Zwischen Anspruch und Realität

11 Neue Menschen?

12 Melancholy,Revolution und Atmosphäre

13 Mutmachende Lieder

14 Die umgeworfene Schulbank

15 1000 Jahre Weimar

16 Künstlerfamilie Hess

17 Von politischen Liedern

18 Kunst und Technik

19 Preussentum, Antikunst und totes Bildungsgut

20 Rückbesinnung: Amerika

21 Bach ganz nah

22 Entzauberte Wirklichkeit

23 Immer wieder steht das Militär vor der Tür

24 Biermann-Abend

25 Deutsch-deutsche Geschichte

26 Dessau ganz nah, New York so fern

27 Eine verschwundene Bibliothek

28 Halle-Bilder und "beleidigte" Werktätige

29 Innere Abkehr

30 Am Potsdamer Stadtrand

31 Amerika-Reise und andauernde Überwachung

32 Für immer New York und kein Entkommen vorm Militär

Impressum neobooks

1 Feininger vor Ort

Schule? Matze Friedrich traut bis heute nicht vorbehaltlos einer Einrichtung, die sich Schule nennt. Ganz gleich, ob niedere oder höhere oder sonst welche Schule. Dabei kann es ohne Schulen gar nicht gehen, das ist auch klar. Er hatte oft in große und helle Kinderaugen gesehen und gewusst, diese Kinder da wollen lernen, etwas erfahren. Die sollten nicht enttäuscht werden. Aber jeden Tag kann eine Schule die größten Missverständnisse produzieren. Oder die Dinge werden verkürzt, es gibt zu enge Lehrpläne, es wird gemaßregelt. Selten nur wird gelacht.

Als das Land, in dem Matze Friedrich, der eigentlich Mathias Friedrich heißt, geboren wurde, etwa die Hälfte seiner Lebensdauer erreicht hatte, hieß es unter Leuten, die sich den frischen Blick auf die pädagogische Zunft erhalten hatten: Der Lehrer sei der Pfahl im Fleisch der Intelligenz an dem sich jedes Schwein rüffeln dürfe. Das war so in der Zeit, als Matze selbst Lehrer wurde.

Matze wurde Lehrer, ausgerechnet Lehrer. Er hatte Pläne. Es müsste gelingen, Jungen und Mädchen zu begeistern. Mit ganzem Herzen hatte er es versucht. Aber dann verflog diese Begeisterung allmählich. Dieser Lärm in den Schulen, dieser immer gleiche Geruch auf Korridoren und in Klassenzimmern, Lehrer Lämpel und die Schwarze Pädagogik. Leute, die einen von der Arbeit abhielten. Ein andauerndes Falschverstehen zwischen jenen, die vor Klassen stehen und oft viel zu viel Gutes wollen und jenen, die da sitzen müssen. Diese Normierungen und Hackordnungen. Nur beim Militär konnte es schlimmer sein. Aber es gab immer auch ein paar unvergessliche, wunderbare Lehrertypen. Die kennt auch jeder, aber die sind sehr selten.

Es war damals fast schon alles zu spät. Aber es sollte weitergehen, wie es immer weiter geht. Noch mal über lange zehn Jahre hin. Zu spät war es noch nicht und immer wieder gab es die Hoffnung, dass in diesem kleinen Land noch Besseres gelingen könnte. „Es gibt genügend ehrlich arbeitende Leute“, dachte sich Matze, und „viele Wahrheiten würden sich schon durchsetzen“. Davon war er fest überzeugt. Und dann gab es diesen Feininger, der ihm zur Seite stand.

Feininger war für ihn die große Entdeckung, eine wirkliche Entdeckung in der Zeit und gerade an diesem Ort. Man braucht jemanden, der einem gelegentlich über die Schulter sieht, einen manchmal anerkennend antippt und ermuntert. Der Maler Lyonel Feininger war so einer, Deutsch-Amerikaner. Seiner Julia in Berlin schrieb Feininger: Montag Nachmittag ging ich nach Vollersroda allein und habe gezeichnet. Es war herrliches, warmes Wetter, und ich war 3 ½ Stunden unterwegs ...

Es war der 28. Mai 1919, als Feininger dies schrieb. Gerade war er Bauhausmeister in Weimar geworden. Aber vielleicht mochte der Feininger Schulen auch nicht besonders. Schon deshalb nicht, weil ihn seine Künstlereltern so oft fortgeben mussten und er dann in die Obhut anderer Erziehungspersonen kam. Die Eltern waren als gefragte Musiker immer auf Tour und so wird der Knabe schon mit 16 Jahren von Amerika nach Deutschland geschickt. Aber er ist begabt, sehr begabt, er würde sehen, was ihm das Leben außerhalb von Internat und Schule und Ersatzeltern noch zu bieten hatte. Dieser Lyonel (Léonel) Charles Feininger wird Mitbegründer jener Schule in Weimar, die sich Bauhaus nannte. Er war von Anfang an dabei, er wurde Meister, Bauhaus-Meister.

Eben als Matze sich in diesem kleinen thüringischen Dorf Vollersroda unterm Dach des alten Schulhauses einzurichten begann, lernte er Feininger kennen. „Der muss noch keine zwanzig gewesen sein“, überlegte er. Matze war also nur wenig älter als Feininger, fast gleichaltrig. Dieses Schulhaus war Matzes erste eigene Wohnung überhaupt, er war jung und wollte dort ankommen in diesem Dorf, diesem Strassendorf auf luftiger Höhe. Zu arbeiten begann er an der neu eröffneten Zentralschule Legefeld, Luftlinie zwei Kilometer. Der Feininger begegnete ihm zufällig, so nebenbei, allerdings war dieser Umstand entscheidend und ohne ihn hätten seine Tagesaufgaben weniger Sinn gehabt.

Das Vollersrodaer Schulhaus sah ganz passabel aus und im Dachgeschoss hatte er rund 130 Quadratmeter zur Verfügung. Gebaut wurde die Schule ums Jahr 1910. Sie war durch den umlaufenden Fachwerkaufsatz in der ersten Etage ein respektables Gebäude. Blickfang des Hauses war das halbrunde Eingangsportal, durch das Generationen von Schülern hindurchgegangen sein mussten. In Matzes Zeit gab es hier keinen Unterricht mehr, die kleine Dorfschule hatte ausgedient. Sie haben irgendwann das ehrwürdige Portal aus Sicherheitsgründen zugemauert, später wieder freigelegt. Keine dreihundert Menschen wohnten hier, aber die Schule neben der Kirche ist wie in vielen Orten das zweitwichtigste Gebäude im Ort. Kirche und Schule auf Augenhöhe, Lehrer und Pfarrer konnte sich auf kurzem Wege einigen, ob die ihnen anvertrauten Kinder wahlweise auf Vaterland, Gott, Kaiser, die Republik, Krieg oder Frieden auszurichten waren.

Den Feininger konnte er gut sehen von seinem großen Dachgeschoss aus, so schien es jedenfalls. Er fiel auf, obwohl er überhaupt nicht auffallen wollte. Aber, wer setzte sich sonst schon am hellen Tage da irgendwo hin im Dorf, um zu zeichnen, zu skizzieren. „Hier muss er gesessen haben“, überlegte Lehrer Matze. Dieser noble, hochgewachsene Mann mit breikrempigem Hut, einen Zigarrenstummel im Mund. Er hantierte zurückhaltend und versunken mit seinen Werkzeugen, mit Notizblock, Quartheft, Bleistift oder Kohle. Die Strasse, die war Mitte der siebziger Jahre, als Matze sie betrat selbstverständlich asphaltiert. Zu Feiningers Zeit war es anders. Jedenfalls war die Dorfstrasse von seinen Fenstern aus gut nach beiden Seiten hin einzusehen. Er konnte beinahe den gesamten Strassenverlauf überblicken, was sonst im Ort niemand konnte. Feininger saß mit seinem Klappstühlchen mal vor, mal hinter der Kirche oder der Schule gegenüber, Billebs Hof im Rücken. Ein winziger Dorfplatz in der Dreiecksausrichtung von Kirche, Schule und Hof. Manchmal ging der Maler zweihundert Meter Richtung Buchfahrt aus dem Ort heraus. Dann blickte er auf den Ort zurück, nordwärts, dann hatte er links die alte Kirche, rechts das Schulhaus und die Straße führte abwärts gen Weimar. So lernte er ihn kennen, auf oder hinter dem Dorfplatz im Oberdorf sitzend. Kirche und Schulhaus und Billeb, das waren die ältesten Fixpunkte im Dorf. Alles in eine lockere Dreiecksanordnung eingebunden, das geistige Zentrum des Ortes. Dagegen waren am Dorfeingang, von Weimar her, ein Fleischer, Getreidehändler, Bierausschenker, das Dorfbackhaus, die Post zu finden.

Feininger hatte allen Grund beschwingt von Weimar aus loszulaufen. Er hatte das Elend des Krieges überstanden, zeitweise war er als Amerikaner staatenlos, jetzt hatte ihn Gropius zum Bauhaus-Meister gemacht. Es war tatsächlich so: Montag Nachmittag ging ich nach Vollersroda allein und habe gezeichnet. Es war herrliches, warmes Wetter, und ich war 3 ½ Stunden unterwegs ... So etwas ist mir ganz ungewöhnt, seit 5 Jahren, und ich bin erstaunt, wie schnell ich mich wieder gewöhne, gut zu laufen…

Etwa einen Monat später schon erfuhr seine Frau Julia, die ja noch mit den Kindern in Berlin lebte: Überhaupt ich erlebe, ich lebe; ich bin jeden Augenblick am Tage wacher, gieriger, Mensch ach, wie bin ich am gesundwerden hier…

2 Briefe an Julia

Feininger meinte, er würde mehr das Geistige der Kunst, Gropius dagegen mehr das Handwerkliche im Blick haben. Irgendwie fanden sie zu gemeinsamer Sprache. Jedenfalls erfuhr Julia, die doch selbst ausgebildete Malerin und Künstlerin aus gutem Hause war, dass Walter Gropius und dessen extravagante Frau Alma den Maler Feininger vollkommen respektierten und ihm die eigene Welt belassen würde. Mit Gropius käme das Staatliche Bauhaus in Fahrt und Lyonel würde der Künstler sein, dessen Stilistik und Komposition den Vorstellungen des umtriebigen, viel jüngeren Gropius` sehr genau entsprachen. Die beiden kannten sich vom Arbeitsrat für Kunst in Berlin, das Programm hatte auch Feininger mit unterschrieben: Kunst und Volk müssen eine Einheit bilden. Die Kunst soll nicht mehr Genuss Weniger, sondern Glück und Leben der Massen sein…

Auf solche Positionen konnten sie sich damals einigen, die Architekten, Maler, Bildhauer, Musiker, Filmleute.

„Wieviel Einigkeit da bestanden hatte“, überlegte Matze, „es fängt ja immer mit einer gemeinsamen Idee an. Hauptsache ist wohl, das alles auch durchzuhalten“. Gropius und Feininger lernten sich auf diese Weise kennen und Feininger hatte dem Programm seinen Holzschnitt „Rathaus von Swinemünde“ beigesteuert. Und dann flog doch wieder alles auseinander.

Gropius ließ nicht locker. Der Organisator Gropius, der die Fäden spann, der Leute nach Weimar holte und der Öffentlichkeit klarzumachen suchte, welches Gesamtkonzept von Leben und Kunstgestalten sie sich da auf ihre Fahnen geschrieben hatten, dieser Gropius… Aber Feininger war hochgestimmt in diesem Frühling. Der Krieg war vorüber, endlich. Vielleicht würden die Freikorps-Rebellen ihre Gewaltakte auf den Strassen einstellen, die Lage sich beruhigen.

Wieder war Walter Gropius mit einem Programm, mit einem Manifest sogar, zur Stelle. Er wollte junge, kreative Menschen ausbilden, als gute Antwort nach dem Krieg. Und dem Gropius steckten Militär und Verwundung noch besonders schwer in den Knochen. Jetzt schreibt er in seinem Bauhaus-Manifest: Wollen, erdenken, erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft…

Feiningers eigentliches Manifest, das waren seine Briefe. Die Briefe, die er immerzu an Julia nach Berlin schickte. Julia kannte die Intentionen ihres Mannes, sie konnte ihn verstehen. Julia hatte ihren Mann doch überhaupt erst zur ernsthaften Malerei gebracht. Sie wußte, seine ewigen Karikaturen, seine spitzfindigen Satirezeichnungen, dabei sollte es nicht bleiben. Julia hatte vielleicht auch mit ihrem vermögenden Vater einen heimlichen Deal abgesprochen. Sie würde ihren Mann ernsthaft zur Malerei bringen und Vater Berg, Julias Vater, unterstützte das junge Paar mit seinem Geld. In den Briefen legte er präzise dar, wie seine künstlerischen Aktivitäten gelingen konnten, wie sein Tagesablauf aussah, was ihn bedrückte. Und in seinen Natur-Skizzen hielt er wesentliche architektonische und räumliche Eigenheiten seiner Beobachtungen fest. Und er war ordentlich kritisch gegen sich selbst. Er arbeitete unablässig an seiner künstlerischen Vervollkommnung.

Als Lehrer Matze diese Briefe Feiningers das allererste Mal in die Hand bekam, war er erstaunt über diese Gedankenfülle des Briefeschreibers und den exakten Schreibstil, den der Maler da anschlägt. Von 1905 an bis zum Jahr 1935 gibt es Feininger Briefe. Dieser Feininger, dieser blitzgescheite Mann war da in diesem Nest Vollersroda auf und ab gegangen. Er hatte hier gesessen und alles Wesentliche dieses Ortes auf Papier, Leinwand oder als Holzschnitt festgehalten. Die Kopien der Briefe hatte Matze vom Freund und Lehrerkollegen Wolfgang Siebert aus der Bundesrepublik nach Weimar, also Vollersroda mitgebracht bekommen. „Was für ein Schatz, diese Briefe“, Matze konnte es gar nicht oft genug ausrufen, welche Kostbarkeit er da geschenkt bekam.

Für Wolfgangs Arbeit, der damals Musiklehrer an einem Gymnasium in Esslingen war, hatte sich Matze schon als Student interessiert. Es kam so: Zweimal im Jahr kam eine Musikzeitschrift an Matzes Vater, eine Musikzeitschrift aus dem Westen. Irgendwie hatte es sich ein westdeutscher Verlag zur Aufgabe gemacht, an den ostdeutschen Musikpädagogen Dr. Friedrich, Matzes Vater, eine kostenfreie Sendung an Publikationen zu schicken. Sie lasen also offenbar im Westen auch die Aufsätze, die sein Vater in Deutschland Ost publizierte und waren ermuntert, weil sie deutsch-deutsch dachten, Bücher und Zeitschriften über die Grenze zu schicken. Was für eine interessante Lektüre, diese musikpädagogischen Hefte aus einem westlichen Verlag. Was die da alles in den höheren Klassenstufen ihren Schülern vermitteln konnten.

Es war dann dieser eine von Siebert publizierte Aufsatz, von dem sich Matze als junger Lehrerstudent so angesprochen fühlte, dass er kurzerhand dem Lehrer im fernen Westdeutschland schrieb. Was für ein Aufsatz! Lehrer Wolfgang Siebert hatte mit seinen Schülern ein BeatOrium auf den Tod des genialen Rockgitarristen Jimi Hendrix geschrieben. Unter der Überschrift „Born To Be Wild. In Memoriam Jimi Hendrix“ wurde berichtet, wie die Schüler sich in die Thematik eingearbeitet hatten. Sie hatten kleine Zeitungsnotizen auf Hendrix gesammelt, Teile aus Hendrix-Titeln dazu gesetzt und so eine Collage aus Text und Musik komponiert, die sie BeatOrium nannten. Matze fand das faszinierend. Beatmusik in der Verbindung mit Mitteln des Oratoriums, des geistigen Gedenkens und Erinnerns nicht an Christus, sondern an die Leiden dieses Rock-Musikers. Mein Gott, was man alles in einem engagierten Musikunterricht machen konnte. So wollte es Matze auch einmal anstellen. Weil es in die Zeit passte, weil damit Schüler gepackt werden konnten. Tatsächlich antwortete der Lehrer Wolfgang Siebert aus Esslingen und auf diese Weise entwickelte sich der Kontakt - eine freundschaftliche Verbindung zwischen Deutschland Ost und Deutschland West. Zeit ging ins Land.

Siebert ging wohl als Lehrer an die deutsche Schule nach Spanien oder sonst wohin, aber eines Tages war er mit seiner Familie, mit Frau und Baby zu Besuch in Weimar. Genauer gesagt, Matze quartierte ihn ein in Vollersroda. Ein paar Besuchstage beim Lehrer im Osten und ihm wurde der Wunsch erfüllt, die Briefe Feiningers in die Hand zu bekommen. Es war für Lehrer Matze eine Offenbarung. Eine solche Künstlerbiografie – und er konnte ganz unmittelbar nachvollziehen, dass das alles sozusagen vor seiner Haustür und ganz in der Nähe stattgefunden hatte. Ein Weltgeist wehte durch Vollersroda, Feininger war da und Matzes Seelenleben schwang sich auf zu neuen Höhen. Arglos ging er mit seinem Besuch um, die hatten ihr großes fremdes Auto am Dorfplatz geparkt. Lehrer Matze machte sich wenig Gedanken, dass da etwas Aufsehen entstanden war.

In Feininger erkannte Matze so etwas wie eine geistige Orientierung. Diese Korrespondenzen zeigen helle Fixpunkte, er konnte die Arbeit des Bauhaus-Meisters verstehen, auch die Beklemmungen und Beschränkungen nachvollziehen, denen die Feiningers aufgrund der politischen Zustände in Deutschland ausgesetzt waren. So nahm er Feininger-Briefe immer und immer wieder zur Hand und las darin. Er meinte auch, dass sich Geschichtsverläufe so oder so wiederholen oder ähneln konnten. „Man müsse das alles nur hin und wieder einmal erinnern“, dachte Matze, „und es würden sich viele Irrwege gesellschaftlicher Entwicklung verhindern lassen“. Lehrer Matze meinte, „alles war schon einmal da.“ Vielleicht müsste alles nicht immer erneut in Irrtümer, Wirrnisse und Kriege münden.

3 Bauhaus Weimar, Lehrer Matze in Vollersroda

Gropius wollte zum Handwerk zurück. Der mittelalterliche Dombau, die Dombauhütte, so als gedachtes Ideal. Im April 1919 teilte Gropius alles dem Weimarer Hofmarschallamt mit und man wünschte die sofortige Berufung der Künstler Feininger, Johannes Itten, Cesar Klein und Gerhard Marcks an das neu gegründete Bauhaus.

Feininger sah die Sache praktisch. Er sah, welche neue Chancen sich eröffneten. Er hatte schon während der Kriegszeit mit seinen Holzschnitten experimentiert. Also würde er zum hochfliegenden Bauhaus-Programm auch wieder einen Titelholzschnitt beisteuern. Seine Kathedrale der Zukunft, was für ein Bekenntnis. Kathedrale und Zukunft und Sozialismus – mit diesem weitgreifenden Denkansatz konnte Feininger zugleich seine schöne Eigenwilligkeit demonstrieren. Er war Erster Lehrer am Staatlichen Bauhaus in der Klassikerstadt Weimar! Julia in Berlin las … Aber, weisst Du das Allerherrlichste? das ist das neue Atelier! … Der gute Gropius! er hats mir gleich gegeben. Überhaupt, war er überall mit mir in der Schule und ich habe auch den Kupferdruck-Raum gesehen! Oh herrlich! Weisst Du, wir werden hier wie im Malerhimmel sein! … Verschiedene Schüler … haben uns gesehen und wissen nun wohl auch Bescheid…

Ein Malerhimmel über Weimar? Als Matze eingezogen war, fühlte er sich dem Himmel von Vollersroda ein Stückchen näher und war nur ein paar Kilometer vom hellen Weimarer Kunsthimmel entfernt. „Ist das mein Atelier hier?“, überlegte er.

Feininger bekam jetzt viele neue Kontakte. Andere Maler waren da, ebenso interessierten ihn Musiker des Weimarer Hoforchesters. Aber dann dieses Gelmeroda… Schon bei seinem allerersten Besuch in der Stadt, als Julia noch auf der Großherzoglichen Kunsthochschule war, fuhr er raus nach Gelmeroda. Er besuchte Julia, das war jetzt über zehn Jahre her, damals schon fuhr er raus und sah diesen spindeldürren Kirchturm von Gelmeroda. Diese ausgefallene Proportionalität und Architektur. Er würde Gelmeroda nie wieder vergessen. Aber er war damals auch in Tiefurt, Oberweimar und Vollersroda.