Moody Bitches - Julie Holland - E-Book

Moody Bitches E-Book

Julie Holland

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Beschreibung

Das ganzheitliche Standardwerk der New Yorker Kult-Psychologin

Liebe das Biest in dir mit allen seinen Launen! Das ist die zentrale Botschaft der Psychiaterin Julie Holland und ihres Handbuchs für Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs. Stimmungsschwankungen, Sexprobleme, Erschöpfung, Schlaflosigkeit: Frauen gelten als zickig und unberechenbar. Holland warnt Frauen davor, ihre vermeintlichen Defizite zu therapieren, um allzeit perfekt zu funktionieren - als Karrierefrau und Geliebte, als Mutter und Freundin. Im Gegenteil. Frauen können nur gesund und glücklich werden, wenn sie akzeptieren, dass diese in der weiblichen Körperchemie und im weiblichen Gehirn begründeten Schwankungen gut und sinnvoll sind. Die erfahrene Therapeutin rät dringend davon ab, durch Medikamente diese Aufs und Abs einzuebnen. Nur wenn Frauen ihre Emotionen - das heißt, die Moody Bitch in sich - pflegen und als Quelle ihrer besonderen Fähigkeiten erkennen, werden sie mit sich und ihrer Welt in Einklang leben können.

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Buch

Liebe das Biest in dir mit allen seinen Launen! Das ist die zentrale Botschaft der Psychiaterin Julie Holland und ihres Handbuchs für Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs. Stimmungsschwankungen, Sexprobleme, Erschöpfung, Schlaflosigkeit: Frauen gelten als zickig und unberechenbar. Holland warnt Frauen davor, ihre vermeintlichen Defizite wegzutherapieren, um allzeit perfekt zu funktionieren – als Karrierefrau und Geliebte, als Mutter und Freundin. Im Gegenteil. Frauen können nur gesund und glücklich werden, wenn sie akzeptieren, dass diese in der weiblichen Körperchemie und im weiblichen Gehirn begründeten Schwankungen gut und sinnvoll sind. Die erfahrene Therapeutin rät dringend davon ab, diese Aufs und Abs durch Medikamente einzuebnen. Nur wenn Frauen ihre Emotionen – das heißt die Moody Bitch in sich – pflegen und als Quelle ihrer besonderen Fähigkeiten erkennen, werden sie mit sich und ihrer Welt in Einklang leben können.

»Ein bahnbrechendes Buch.« Christiane Northrup, Autorin von Frauenkörper, Frauenweisheit

Autorin

Julie Holland arbeitet seit über 20 Jahren in ihrer psychiatrischen Praxis in Manhattan und hat sich intensiv mit der Wirkung von Medikamenten auf das Gehirn befasst. Ihr Buch Moody Bitches, das Ergebnis langjähriger klinischer und persönlicher Erfahrung, wurde hochgelobt als »radikal vernünftiger Ansatz über die Schwankungen von Weiblichkeit«.

Aus dem Amerikanischen von Andrea Stumpf und Gabriele Werbeck

C. Bertelsmann

Die Originalausgabe ist 2015 unter dem Titel Moody Bitches, The Truth about the Drugs You’re Taking, the Sleep You’re Missing, the Sex, You’re Not Having & What’s Really Making You Crazy, bei Penguin Press, New York erschienen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

1. Auflage

© 2015 by Julie Holland

© der deutschen Ausgabe 2017 beim C. Bertelsmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-16036-4V002

www.cbertelsmann.de

Einleitung

TEIL 1

KAPITEL 1

Die eigenen Launen akzeptieren

KAPITEL 2

Zickig im Monatstakt

TEIL 2

KAPITEL 3

Das Gehirn im Liebesmodus

KAPITEL 4

Die Ehe und ihre Tücken

KAPITEL 5

Das Muttertier

KAPITEL 6

Die Perimenopause: Der Sturm vor der Ruhe

TEIL 3

KAPITEL 7

Entzündungen: Die Wurzeln fast allen Übels

KAPITEL 8

Essen: Eine Droge, der man nicht widerstehen kann

KAPITEL 9

Müde bis zum Umfallen

KAPITEL 10

Ein Sexratgeber, der wirklich hilft

KAPITEL 11

Ihr Körper: Nehmen Sie ihn, wie er ist

KAPITEL 12

Sie. Brauchen. Auszeit

Fazit: Gesund in einer kranken Welt

ANHANG

Wirkungsweisen von Arznei- und Suchtstoffen

Glossar

Anmerkungen

Register

Einleitung

Heutzutage leiden viele Frauen unter Stress und Erschöpfung. Wir sind nervös und angespannt und gleichzeitig depressiv und ausgebrannt. Unsere Stimmung und unsere Libido sind auf dem Tiefpunkt, und wir verlieren immer mehr an Lebensenergie, während wir versuchen, Arbeit, Familie und Hunderte von Online-»Freunden« unter einen Hut zu bekommen. Wir geben uns selbst die Schuld daran, dass es uns so schlecht geht, und glauben, wir müssten alles bewältigen. Wir träumen davon, perfekt zu sein; wir tun so, als würde uns das mühelos gelingen, aber wir waren nie für so ein statisches Leben bestimmt. Von Natur aus sind wir dynamisch, zyklisch und launisch. Ja, wir sind launisch, und das ist keine Schwäche, sondern eine Stärke.

Es gibt gute Gründe dafür, dass wir uns so entwickelt haben; unsere Hormonschwankungen verhelfen uns zu einer Sensibilität, dank derer wir empathisch auf unsere Umgebung reagieren können. Unsere Dynamik ist mit Flexibilität und Anpassungsfähigkeit verbunden. Es hilft nicht beim Überleben, wenn man starr und unbeweglich ist. In der Natur passt man sich entweder an, oder man geht zugrunde. Wenn wir wissen, wie unser Gehirn und unser Körper eigentlich funktionieren sollten, können wir davon geistig und seelisch enorm profitieren. Launenhaftigkeit – sensibel zu sein, sich um andere zu kümmern und hin und wieder einen Anfall von Unzufriedenheit zu erleiden – ist unsere natürliche Quelle der Macht.

Man hat uns jedoch genau das Gegenteil eingeredet. Von klein auf bringt man uns bei, dass Launenhaftigkeit und alles, was damit einhergeht, etwas Schlechtes ist. Wir lernen, uns für unsere Tränen zu entschuldigen, unseren Ärger hinunterzuschlucken und Angst davor zu haben, dass uns jemand als hysterisch bezeichnet. Die Anforderungen und Erwartungen, die das moderne Leben an uns stellt, beeinträchtigen unsere Gesundheit und unseren Hormonhaushalt, manchmal mehr, manchmal weniger, und sie führen zu dem generellen Unbehagen, das viele Frauen empfinden. Das muss nicht so sein.

Moody Bitches zeigt Möglichkeiten auf, wie wir mehr Einfluss auf unsere Launen gewinnen können und damit auch auf unser Leben. Die Verbindung von tradiertem Wissen und moderner Wissenschaft versetzt uns in die Lage, mit unseren Launen zurechtzukommen. Wenn wir verstehen, wie unser Körper funktioniert, wie unsere Hormone auf natürliche Weise zirkulieren und wie die moderne Medizin dieses perfekt auskalibrierte Gleichgewicht durcheinanderbringt, können wir kluge Entscheidungen treffen, die uns zu einem besseren Leben verhelfen.

Die weiblichen Hormone sind ständig im Fluss. Ihr Spiegel steigt und sinkt in einem monatlichen Zyklus, und sie unterliegen in den Jahrzehnten der Fortpflanzungsfähigkeit immer wieder Schwankungen, die in der Pubertät und der Perimenopause, Frühling und Herbst unserer fruchtbaren Jahre, besonders heftig ausfallen. Im Vergleich dazu ist der Hormonspiegel eines Mannes im Lauf seines Lebens meistens ausgeglichen. Unsere Hormonschwankungen erlauben es uns, einfühlsam und intuitiv zu reagieren – gegenüber unserer Umwelt, den Bedürfnissen unserer Kinder und den Plänen unserer Partner. Weibliche Emotionalität ist etwas Normales. Sie ist ein Zeichen für Gesundheit, kein Krankheitssymptom, und sie ist unser größter Aktivposten. Dennoch entscheiden sich viele Frauen – in Amerika ist es heute schon jede vierte – dafür, mit Psychopharmaka gegen ihre Emotionalität anzugehen, und die Folgen sind wesentlich weitreichender, als es den meisten bewusst ist.1

Wir alle greifen in schwierigen Zeiten auf irgendeine Art von Betäubungsmittel zurück, seien es Essen, Alkohol, Drogen, Handys oder Shopping. Egal, wofür wir uns entscheiden, es lockt das immer gleiche Versprechen: Nach dem Konsum wird alles anders und besser sein. Von etwas, das beinahe wirkt, kann man jedoch nie genug bekommen, und weil es keine natürliche, sondern eine von außen kommende Lösung ist, fahren wir damit nicht besonders gut. Obwohl uns nicht wohl ist in unserer Haut, unsere Wünsche uns unangenehm sind, wir uns unbehaglich fühlen – in unseren Wohnungen, unseren Büros, in unserer Rolle als Mutter oder fürsorgliche Tochter –, machen wir immer so weiter und bilden uns ein, wir könnten die Angst überlisten, indem wir dafür sorgen, dass wir ständig »wahnsinnig beschäftigt« sind.

Die Frauen, die in meine psychiatrische Praxis kommen, wollen vor allem Informationen über die Medikamente, die sie nehmen, und sie wollen wissen, was sie tun können, damit es ihnen besser geht. Moody Bitches nimmt sich dieser beiden Themen an. Ich nenne das Kind beim Namen (ich sage, welche Wirkstoffe ich gut finde und welche ich meide) und spreche über Nebenwirkungen, die ich beobachtet habe – Gewichtszunahme, Libidoverlust, Teilnahmslosigkeit –, und darüber, wie sich hier Abhilfe schaffen lässt. Ich versuche, Ihnen Tipps zu geben, wie Sie Ihr Liebesleben in Schwung bringen können, spreche über den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Essen und seelischem Befinden, die Bedeutung regelmäßiger Bewegung und fester Schlafenszeiten und, vielleicht am wichtigsten von allem, wie Sie in Einklang mit Ihrem Körper kommen, um zu Ihrem natürlichen, ursprünglichen Ich zu finden.

Als ich meine Praxis in Manhattan vor zwanzig Jahren eröffnete, suchten mich Frauen auf, die von ihren Symptomen verwirrt waren und nicht wussten, was sie tun sollten. Sie klagten über Schlafstörungen, Unruhe oder Niedergeschlagenheit, konnten aber nicht genau sagen, was nicht stimmte. Ich half ihnen, den Symptomen einen Namen zu geben, und erklärte ihnen, dass ihnen bestimmte Medikamente helfen könnten. Damals musste ich viel Aufklärungsarbeit zu medikamentösen Therapien leisten. Die letzten zehn oder fünfzehn Minuten des einstündigen Erstberatungsgesprächs verbrachte ich damit, die Ängste von Menschen zu zerstreuen, die Bedenken hatten, etwas zu schlucken, das ihre Hirnchemie verändern würde.

Die Patientinnen, die heute zu mir kommen, sind davon überzeugt, dass sie Tabletten für ihre Nerven oder gegen ihre Stimmungsschwankungen brauchen, so wie die meisten Frauen aus ihrem Bekanntenkreis. Ich soll ihnen lediglich bei der Auswahl helfen. Früher erklärten sie mir verwirrt: »Ich verstehe einfach nicht, warum ich jede Nacht um vier aufwache«, »Es fällt mir furchtbar schwer, aus dem Bett zu kommen, und mir ist alles egal«, »Ich bin ständig gereizt, und ich weiß nicht, warum«. Im Lauf der Jahre haben die Gespräche eine andere Richtung genommen, und für gewöhnlich beginnen sie jetzt mit einem Satz wie: »Können Sie mir den Unterschied zwischen Wellbutrin und Venlafaxin erklären?«, »Mir ist nicht ganz klar, ob ich eine Aufmerksamkeitsdefizit- oder eine Zwangsstörung habe«, »Ist diese neue Schlaftablette aus der Werbung besser als das, was ich jetzt nehme?«. Und der Satz, den ich von meinen langjährigen Patientinnen öfter höre, als Sie sich vorstellen können, lautet: »Gibt es irgendetwas Neues, das ich mal ausprobieren könnte?«

Mitte der 1980er-Jahre haben die Pharmaunternehmen begonnen, sich mit der Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente direkt an den Endverbraucher zu richten. Kurz nach Eröffnung meiner Praxis Mitte der 1990er-Jahre wurden die bis dahin geltenden strengen Vorschriften gelockert. Im Fernsehen und in Zeitschriften tauchten immer mehr Werbespots und Anzeigen auf, in denen die neuesten Antidepressiva und Schlaftabletten angepriesen wurden. Infolge dieser massiven Werbekampagnen verdreifachte sich die Einnahme aller verschreibungspflichtigen Psychopharmaka in den Neunzigerjahren. In der Zeit bis 2006 spülte das Antidepressivum Zoloft mehr Geld in die Kassen als das meistverkaufte Waschmittel der USA, und mir wurde klar, dass da etwas bisher nicht Dagewesenes passierte.2 Pharmaunternehmen investieren Milliarden, um normale menschliche Erfahrungen wie Angst oder Traurigkeit in Krankheiten zu verwandeln. Sie entwickeln keine Heilmittel, sie produzieren Kunden. Das Problem ist nicht unsere Emotionalität, das Problem ist, dass man uns dazu bringt, sie medikamentös wegzutherapieren. Die jüngsten Meldungen sind besonders erschreckend.3 Abilify, ein Medikament, das ursprünglich zur Behandlung von Patienten mit Schizophrenie entwickelt wurde, hat den Markt für Antidepressiva erobert und ist inzwischen das meistverkaufte Medikament in den USA, und das nicht nur im Bereich Psychopharmaka. Das gewinnbringendste Arzneimittel Amerikas ist ein Antipsychotikum.4 Als Psychiaterin kann ich nur sagen, dass das verrückt ist. Der griechische Begriff pharmakon hatte verschiedene Bedeutungen – Zaubermittel, Heilmittel und Gift. In der Medizin kursiert der Spruch, dass die Behandlung manchmal mehr Schaden anrichtet als die Krankheit. Es gibt viele Behandlungsmethoden (die Chemotherapie ist ein gutes Beispiel), die in niedrigeren Dosen helfen und heilen können, in höheren Dosen aber überaus toxisch sind. Ebenso trifft es zu, dass es hochwirksame Medikamente gibt, deren Anwendung bei der einen Diagnose angemessen und sinnvoll ist, bei einer anderen jedoch das genaue Gegenteil. Mit der Verschreibung von Antipsychotika zur Behandlung von Depressionen scheint man besonders weit über das Ziel hinauszuschießen, vor allem in Anbetracht möglicher irreversibler Nebenwirkungen wie Diabetes oder Bewegungsstörungen.5

Die Einwohner der USA machen 5 Prozent der Weltbevölkerung aus, aber sie schlucken 50 Prozent aller Tabletten auf der Welt (und achtzig Prozent aller Schmerzmittel).6 Auch in Deutschland steigt der Medikamentenkonsum beständig*. Unterdessen nimmt die Zahl der Menschen, bei denen psychische Störungen diagnostiziert werden, immer mehr zu. Ist es möglich, dass wir derzeit tatsächlich eine Epidemie an psychischen Erkrankungen und Störungen erleben, oder greifen Ärzte zu schnell nach dem Rezeptblock, anstatt ihren Patienten unbequemere Methoden zur Behandlung ihrer Beschwerden vorzuschlagen? Medizinische Fachzeitschriften sind voll von den immer gleichen Werbeanzeigen: seitenweise Informationen über die neuesten Arzneimittel und die Form der Verschreibung. Vier von fünf Rezepten für Antidepressiva werden in den USA nicht von Psychiatern ausgestellt, sondern von Allgemeinärzten, und häufig werden sie Patienten verordnet, bei denen noch nicht einmal eine akute Depression diagnostiziert wurde.7 Ein ähnliches Bild zeigt sich in Deutschland, wo 70 Prozent der Verordnungen von Allgemeinärzten und Internisten ausgestellt werden*.8 Was besonders besorgniserregend ist: Umfragen unter Hausärzten zeigen, dass diese den Nutzen von Antidepressiva regelmäßig überschätzen.9 Auch sie sind der Werbung auf den Leim gegangen.

* Mit * sind Textstellen gekennzeichnet, an denen für den deutschen Sprachraum relevante Informationen ergänzt wurden.

Wenn man einem Kleinkind die Wahl zwischen der roten und der blauen Hose überlässt, geht es nicht um die Frage, ob es überhaupt eine Hose anziehen muss, und auf ähnliche Weise wird durch die Dauerwerbung für Antidepressiva die Frage von Sollte ich ein Antidepressivum nehmen? auf Was für eins sollte ich nehmen? verlagert. Lassen Sie sich von der Pharmaindustrie nicht vorschreiben, wie Sie mit Ihren Stimmungsschwankungen umgehen sollen. Ich werde Ihnen zeigen, dass es gesündere Methoden gibt, um Depressionen, Ängste und Reizbarkeit zu behandeln, ohne dass Sie dafür Tabletten schlucken müssen.

Unser seelisches Befinden hängt nicht nur vom richtigen Cocktail aus Neurotransmittern ab, entscheidend ist vielmehr, wie wir unser Leben leben. Wir können unser Wohlbefinden verbessern, indem wir unser Verhalten in Bezug auf Essen, Sex, Sport und Süchten ändern und für ein Gleichgewicht zwischen Arbeit und Familie sorgen. Wenn man einfach nur eine Glückspille schluckt und dann so weitermacht wie gehabt, tut man nichts anderes, als den Dreck unter den Teppich zu kehren. Ich möchte Ihnen empfehlen, den Teppich über die Stange zu hängen und ihn gründlich auszuklopfen.

Aber das soll keine Schinderei sein. Es geht zunächst einmal um Aufmerksamkeit, um den natürlichen Prozess, wieder eine Verbindung zum eigenen Körper herzustellen. Es macht uns stark, wenn wir unsere Stimmungen deuten können und verstehen, wozu sie gut sind. Es ist befreiend, unser authentisches, natürliches Ich zu erleben. Es ist gesund und heilsam. Nicht nur für uns, sondern auch für unseren Partner, unsere Familie und unser Umfeld.

Im ersten Teil dieses Buchs behandle ich die komplexen Vorgänge in unserem Körper und zeige auf, was dahintersteckt, dass sich Frauen, die sich seit jeher um das körperliche und seelische Wohl anderer gekümmert haben, im Lauf der Evolution in ihrem Denken und Fühlen anders entwickelt haben als Männer. Ich erkläre, weshalb es klug ist, intensiv zu fühlen, und gefährlich, wenn wir uns diese Intensität versagen. Ich gehe der Frage auf den Grund, warum der 28-Tage-Zyklus mit Tränen und Heißhungerattacken verbunden ist (und was sich dagegen tun lässt) und wie sich orale Verhütungsmittel und Antidepressiva störend auf natürliche Phasen des Sexualtriebs und der Partnersuche auswirken können und unter Umständen dazu führen, dass eine Frau »den Falschen« wählt oder sich sogar ganz gegen eine Partnerschaft entscheidet.

Im zweiten Teil geht es um Beziehungen und Familie, mit einem Schwerpunkt darauf, wie sich in unseren Launen und Stimmungen entscheidende Übergangsphasen in unserem Leben widerspiegeln. Von der Menarche (der ersten Regelblutung) bis zur Partnerwahl, von der Mutterschaft bis zur Menopause bestimmen unsere schwankenden Hormone unser Verhalten nicht nur, sondern sie reagieren auch darauf. Testosteron macht eine Frau vielleicht scharf und bringt sie dazu, auszugehen, um einen Mann aufzugabeln, aber noch wahrscheinlicher ist es, dass der Anblick eines heißen Typen ihren Testosteronspiegel ansteigen lässt. Wir neigen dazu, Liebe und Sex voneinander zu trennen, sich Hals über Kopf in jemanden zu verlieben ist jedoch eine ebenso intensive körperliche Erfahrung wie jede bewusstseinsverändernde Droge, und orgiastischer Sex kann zur Ausschüttung von Hormonen führen, die Einfluss auf die Bindung an den Partner haben und flüchtige Affären komplizierter machen. Es ist schwierig genug, die frühen Phasen einer Beziehung zu meistern, aber langfristige Beziehungen bringen ganz eigene Probleme mit sich. Moody Bitches sagt Ihnen die Wahrheit über Monogamie und Begehren und warum Ihnen Ihr Selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (Antidepressiva wie Paroxat oder Zoloft) im Schlafzimmer wahrscheinlich keine guten Dienste leistet. Außerdem gehe ich auf die körperlichen und emotionalen Folgen von Schwangerschaft und Kindererziehung ein; die Mutterschaft verändert nicht nur den Körper, sondern auch das Gehirn.

Veränderung ist die Konstante im Leben einer Frau, vor allem in der Perimenopause, der Übergangsphase vor dem Ende der Fortpflanzungsfähigkeit, die an die turbulenten Zeiten der Pubertät erinnert. Moody Bitches beleuchtet den biologischen Hintergrund des »Cougar«-Klischees – ältere Frau krallt sich jungen Mann –, beschreibt die Kräuter und Nahrungsergänzungsmittel, die bei Hitzewallungen helfen, und ebnet den Weg für den Frieden und die Freiheit, die auf der anderen Seite des Klimakteriums auf uns warten.

Der dritte Teil, die Überlebenstipps für Zicken, ist eine Anleitung zum Wohlbefinden in jedem Alter. Er beginnt mit einer umfassenden Einführung zu Entzündungen, der Ursache nahezu jeder Erkrankung, einschließlich Depressionen. Stress und Entzündungen sind untrennbar miteinander verbunden, und der Schlüssel zur Bekämpfung von beidem findet sich in einem System, von dem Sie wahrscheinlich noch nie etwas gehört haben, dem endogenen Cannabinoidsystem. Wenn Sie unter starkem Stress beinahe zusammenbrechen, hilft Ihnen Ihr inneres Cannabinoidsystem, wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Selbst wenn Sie noch nie einen Joint geraucht haben, nutzen Ihr Gehirn und Ihr Körper cannabisähnliche Moleküle, um Sie widerstandsfähig gegen Stress zu machen, ähnlich wie Ihr endorphines System auf natürlichem Weg für Schmerzlinderung sorgt. Diese Cannabinoide wirken im Körper entzündungshemmend und entspannend und unterstützen Stoffwechsel, Immunabwehr, Lernprozesse und Wachstum. Vom endogenen Cannabinoidsystem ist in Moody Bitches immer wieder die Rede, weil es praktisch bei allem, was wir tun, eine Rolle spielt, sei es Essen, Schlafen, Sport, Sex, Gebären oder Stillen.

Die in den Überlebenstipps aufgeführten Methoden sind wichtige Instrumente zur Wiederherstellung und Bewahrung Ihrer geistigen und körperlichen Gesundheit; sie sollen Stress und Entzündungen reduzieren und Ihre erstaunlichen körpereigenen Fähigkeiten stärken, die Ihnen zu Lebensfreude verhelfen. Sie werden etwas über natürliche Ernährung erfahren, sodass Sie anfangen können, gesund zu essen, statt Diät zu halten, und über normalen Schlaf, sodass Sie der Zeit, die Ihr Körper braucht, Priorität einräumen können. Erholsamer Schlaf, eine bessere Ernährung und regelmäßiges Kardiotraining bei Sonnenschein könnten Ihren Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer überflüssig machen. Die Überlebenstipps beinhalten außerdem praktische Ratschläge für Ihr Liebesleben, die wirklich funktionieren, und behandeln die wesentlichen Gründe, warum Frauen Schwierigkeiten haben, zum Orgasmus zu kommen. Wenn wir uns in unseren Körper hineinversetzen und ihn genießen, sei es durch Sex, Sport oder die viel beschworene Achtsamkeit, hilft uns das dabei, das Gleichgewicht und die Harmonie zu erreichen, nach der wir alle uns sehnen.

Moody Bitches ruft zu einer neuen Lebensweise auf. Wir leben nicht mehr im Einklang mit der Natur. Ich fürchte, je weiter wir uns von der für uns vorgesehenen natürlichen Art zu leben entfernen, desto kränker werden wir. Unsere Entfremdung ist unsere Krankheit. Wir müssen mit unserem Körper und mit der natürlichen Welt um uns herum wieder in Einklang kommen. Durch die Ablenkungen unseres digitalen Zeitalters ist uns eine Grundwahrheit verloren gegangen: Frische Luft, Sonne und Bewegung verbessern unser Wohlbefinden. Der tägliche Wechsel zwischen hell und dunkel nutzt unserem Schlaf mehr als jede Tablette, das viele Sitzen ist die größte Gefahr für unsere Gesundheit, und wenn wir fast nur noch virtuelle Beziehungen pflegen, lassen wir uns viel entgehen.

Moody Bitches stützt sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse und meine Erfahrungen aus der Arbeit mit meinen Patientinnen. Verständnis ist die Voraussetzung für Gesundheit, und mein Ziel ist es, das Gefühlsleben von Frauen zu entmystifizieren, um den Weg für Veränderungen frei zu machen. Ich spreche als Psychiaterin, als Ehefrau und als berufstätige Mutter von zwei Kindern; die Verordnungen, die ich hier verabreiche, haben mir geholfen und auch meinen Patientinnen.

Unser Körper ist klüger, als wir glauben, und viele der Dinge, die ihn quälen, stehen miteinander in Zusammenhang. Übermedikation hat zu einem Kontrollverlust geführt, und das moderne Leben hat uns dem natürlichen Rhythmus der Erneuerung entfremdet. Es ist nachvollziehbar, wenn jemand auf den vom Menschen verursachten Wahnsinn in dieser Welt mit Frustration und Tränen reagiert; dieses Gefühl von Verzweiflung weist jedoch den Weg zu Gesundheit und Ganzheit. Wir müssen uns auf unser Unbehagen einlassen, statt es zu verdrängen. Sensibel zu sein, uns zu ärgern und unseren Bedürfnissen und Enttäuschungen Ausdruck zu verleihen, verhilft uns zu einem besseren Leben.

Sobald wir auf unseren Körper hören und zu unseren Stimmungen stehen, können wir aktiv werden. Aktiv zu werden könnte beispielsweise bedeuten, ein natürliches Heilmittel auszuprobieren, statt sich wie bisher auf ein verschreibungspflichtiges Medikament zu verlassen. Oder die Forderungen, die wir in unseren vielen Rollen als Frau an uns selbst stellen, einer Prüfung zu unterziehen. Die Antwort wird für jede von uns anders ausfallen. Aber wir alle müssen innehalten und hinhören, wenn wir anfangen, zickig zu werden. Unsere Stimmungen anzunehmen wird uns letzten Endes glücklicher machen.

Wir müssen ganz von vorn anfangen, wieder in Einklang mit unserem Körper kommen und lernen, ihn richtig zu behandeln und die ihm innewohnende Weisheit zu entdecken. Moody Bitches zeigt Ihnen den Weg und gibt Ihnen die nötigen Instrumente an die Hand, damit Sie gut für sich selbst sorgen können.

TEIL 1

Von Natur aus launisch

KAPITEL 1

Die eigenen Launen akzeptieren

Meine Arbeit besteht zum größten Teil aus Einzelgesprächen mit Patienten, daneben wurde ich im Lauf der Jahre aber auch immer wieder als Fachärztin für Psychiatrie zu Fernsehsendungen eingeladen. Kürzlich saß ich nachmittags zusammen mit einer Journalistin im Studio. Vor Beginn der Sendung unterhielten wir uns ein bisschen. Sie machte einen selbstbewussten und energiegeladenen Eindruck und schien mit ihrem Umfeld emotional verbunden. Wir hatten sofort einen Draht zueinander und genossen das leise Geplauder vor einer Sendung; doch dann fiel mir auf, dass ihre Fingernägel abgekaut waren. Als ich sie darauf ansprach, erzählte sie mir, dass ihre Therapeutin ihr schon wiederholt empfohlen habe, etwas zur »Beruhigung der Nerven« zu nehmen, aber sie könne sich mit dem Gedanken nicht so recht anfreunden.

»Ich wette, dass Ihnen Ihre Nervosität bei der Arbeit von Nutzen ist«, sagte ich. »Sie müssen ständig Augen und Ohren offen halten, um eine gute Story zu erkennen, über die es sich zu berichten lohnt, und ein großes Einfühlungsvermögen besitzen, um in einem Interview die richtigen Fragen zur richtigen Zeit zu stellen. Außerdem vermute ich, dass Sie ein paar zwanghafte Züge haben, die Ihnen dabei helfen, alles im Griff zu haben, leistungsfähig zu bleiben und nicht lockerzulassen.«

Sie sah mich an, als hätte ich einen Blick in ihre Seele geworfen. »Ja«, sagte sie verblüfft. »Ja!«, wiederholte sie. »So bin ich: unruhig und kribbelig. So war ich schon immer. Warum sollte ich meine Persönlichkeit mit Tabletten bekämpfen?«

Ja, warum?

Noch nie haben so viele Frauen Psychopharmaka geschluckt wie heute. Sie schaffen damit eine neue Normalität, die ganz und gar nicht normal ist. Sie widerspricht unserer Biologie. Unser Gehirn ist anders verdrahtet als das von Männern, und unsere Hormone machen uns launischer.

Frauen sind gefühlsbetonter, und das aus gutem Grund. Während der Evolution hat sich das weibliche Gehirn auf eine Weise entwickelt, die Eigenschaften wie Empathie, Intuition, Emotionalität und Sensibilität stärkte.1 Wir kümmern uns um andere und schenken Leben; unsere Fähigkeit, die Bedürfnisse und Stimmungen anderer wahrzunehmen und darauf zu reagieren, spielt eine entscheidende Rolle für unser aller Überleben, sie ist das Fundament für Familie, Gemeinschaft und Beziehungen. Wir müssen es intuitiv ahnen, wenn unsere Kinder in Gefahr sind oder etwas brauchen oder wenn ein Mann in unserer Umgebung möglicherweise böse Absichten verfolgt. Wir ordnen uns unter, wenn das am sichersten ist, aber genauso verteidigen wir mit Zähnen und Klauen jeden, der unter unserer Obhut steht, sei es ein Familienangehöriger oder ein Freund.

Seit jeher hat man von Frauen verlangt, dass sie schwierige Arbeiten verrichten, und unser Körper verfügt dazu über wirksame Mechanismen. Im Alltag kann es jedoch ziemlich anstrengend sein, mit Mechanismen wie Stimmungsschwankungen und erhöhter Sensibilität leben zu müssen. Und als wäre das noch nicht genug, stehen wir, wie die Journalistin im Fernsehstudio, ständig unter dem Druck, unser Gefühlsleben und unsere angeborenen Stärken im Zaum zu halten.

Die Veränderten Staaten von Amerika: Eine Nation, die sich miserabel fühlt

Dass uns unsere Hormone launenhaft machen, ist eine Sache. Eine andere ist es, dass sich die Pharmaindustrie unsere Biologie durch gezielte Werbung zunutze macht. Antidepressiva werden zum überwiegenden Teil an Frauen verkauft, was zur Folge hat, dass Depression als Frauenkrankheit stigmatisiert ist, dass sich Männer seltener behandeln lassen und Frauen dazu ermuntert werden, brav die tägliche Dosis zu schlucken, damit sie für ihre Familie Essen kochen und sich um die Kinder kümmern können. In Frauenzeitschriften und im Fernsehen ist Werbung für Antidepressiva inzwischen gang und gäbe.

Die Zahl der Menschen, die Antidepressiva nehmen, ist in den vergangenen Jahren weltweit kontinuierlich in die Höhe geschossen. Die großen Pharmaunternehmen begannen, direkt an den Verbraucher gerichtete Werbung gezielt zu platzieren. In Amerika kommen den Terroranschlägen vom 11. September eine besondere Bedeutung zu. Die Frauen, die damals in meine Praxis kamen, litten an akuten Angstzuständen und fürchteten um die Sicherheit ihrer Männer, die an der Wall Street arbeiteten, oder um die ihrer Kinder, die downtown in die Schule gingen. Sie waren angespannt, unruhig und klagten über Schlaflosigkeit. Zur gleichen Zeit veröffentlichten die Hersteller eines Paroxetinpräparats eine Anzeige mit einer Frau auf einer überfüllten Straße, die mit zusammengepressten Lippen ihre Handtasche an sich drückt und von Begriffen wie »Schlafstörungen« und »Sorgen« umschwirrt wird. Dazu der Slogan: »Paxil könnte Millionen helfen.« Die Pharmahersteller hatten den 11. September als Marketingchance erkannt.2 Die Firma Glaxo beispielsweise verdoppelte ihren Werbeetat im Oktober 2001 auf 16 Millionen Dollar im Vergleich zu 8 Millionen Dollar im Oktober des Vorjahres.3 Wohlgemerkt, diese Summe gaben sie in einem einzigen Monat für Werbung aus, um all die Frauen zu ködern, die auf einen Terroranschlag mit Angst reagierten, was völlig natürlich ist. Und die Rechnung ging auf. Die Frauen begannen, die Medikamente zu schlucken, und blieben dabei.

Diese Form von Werbung führte bei vielen von uns, vor allem all denen, die in den 1990er-Jahren erwachsen wurden, zu der überzogenen Vorstellung, wir seien Amateurpharmakologen. Wir hatten genug Werbeanzeigen gesehen, um zu wissen, bei welchen Mitteln seltener Nebenwirkungen auftreten, welche die Libido beeinträchtigen (Wellbutrin, ein Antidepressivum, das den Serotoninspiegel nicht steigen lässt) und bei welchen ein erhöhtes Risiko für einen plötzlichen Tod besteht (Abilify, ein bei Depressionen verschriebenes Antipsychotikum, wenn es bei älteren Demenzkranken angewendet wird). Meine Mutter hat oft gesagt: »Halbwissen ist immer gefährlich.« Die Mitglieder der Generation X sind schnell dabei, sich mit Psychopharmaka einzudecken, die sie von Freunden, Ärzten und aus dem Internet beziehen, und sie auch an Freunde und Familienangehörige weiterzuverteilen. Wie einem Bericht der New York Times zu entnehmen ist, »vertrauen sie auf eigene Recherchen und die Erfahrungen anderer, um Problemen wie einer Depression zu Leibe zu rücken […], medizinisches Fachwissen ist in ihren Augen nützlich, aber nicht unbedingt erforderlich«.4

Mittlerweile schluckt buchstäblich jeder Antidepressiva, egal ob Mensch oder Tier. Im Ernst – einer meiner Patienten hat eine untergewichtige Katze, der kürzlich Remeron verschrieben wurde, ein Antidepressivum, das appetitanregend wirken kann. Im heutigen Gesundheitssystem, in dem Versicherungen das Sagen haben, werden Ärzte einen Patienten am schnellsten los, indem sie ihm ein Rezept in die Hand drücken, um dann den nächsten ins Sprechzimmer bitten zu können. Außerdem kommt der Patient auf diese Weise immer wieder, um sich auf bequeme Art Nachschub zu besorgen. Leider bedeuten kürzere Arztbesuche, wie sie inzwischen die Regel sind, dass mehr Zeit dafür aufgewendet wird, Symptome mit Tabletten zu bekämpfen, und weniger Zeit dafür, dem Problem auf den Grund zu gehen, um eine dauerhafte Lösung zu finden. Über gesündere, allerdings auch anstrengendere Behandlungsmethoden wird einfach nicht geredet. Cholesterinsenkende Mittel, sogenannte Statine, sind ein gutes Beispiel dafür. Ein Arzt kann sich zwanzig Minuten lang bemühen, einen Patienten von einer Ernährungsumstellung und mehr Bewegung zur Senkung des Cholesterinspiegels zu überzeugen, oder er kann ihm ein Rezept für Tabletten ausstellen – ganz im Sinne der freundlichen Pharmavertreter, die seine Praxis heimsuchen.

Frauen sind besonders empfänglich für Überverschreibungen. Zahlreiche Statistiken zeigen, dass Ärzte Frauen eher Psychopharmaka verschreiben als Männern,5 vor allem Frauen zwischen fünfunddreißig und vierundsechzig, die häufig über Unruhe, Schlafprobleme, sexuelle Störungen oder Antriebslosigkeit klagen. Neulich fragte mich eine unter nervöser Unruhe leidende Patientin, ob sie vielleicht mal Risperdal, ein Antipsychotikum, nehmen sollte, ihrer Kollegin habe es bei Angstattacken geholfen. Risperdal wurde ursprünglich zur Anwendung bei Schizophrenie entwickelt, aber Menschen mit Schizophrenie machen lediglich ein Prozent der Weltbevölkerung aus. Offensichtlich ist es einträglicher, 50 Prozent der Bevölkerung als Zielgruppe ins Visier zu nehmen: Frauen. Ein genialer Schachzug der Pharmaindustrie.

Damit will ich nicht sagen, dass der Einsatz von Psychopharmaka grundsätzlich kontraproduktiv ist. Aber Menschen, die diese Medikamente eigentlich gar nicht brauchen, schlucken sie, während bei anderen, die tatsächlich an psychischen Erkrankungen leiden, diese weder diagnostiziert noch behandelt werden, und zwar häufig aufgrund sozioökonomischer Faktoren.6 Zweifellos müssen Ärzte mitunter schwerere Geschütze auffahren. Eine wochenlang anhaltende vegetative Depression, bei der man es nicht schafft, aus dem Bett zu kommen, zu duschen oder zu essen, überwindet man nicht einfach, indem man Selbstanalyse betreibt. Bei manischen Phasen, in denen man mehrere Tage hintereinander nicht schlafen kann, ist ein Stimmungsstabilisierer notwendig.

Die kosmetische Psychopharmakologie hat Ähnlichkeit mit der kosmetischen Chirurgie. Wenn sich immer mehr Frauen Brustimplantate einsetzen lassen, kommt sich der Rest von uns flachbrüstig vor. Genauso verhält es sich, wenn immer mehr Frauen zu Antidepressiva und Mitteln gegen Angstzustände greifen. Plötzlich ist man eine Außenseiterin, weil man im Gegensatz zu den Freundinnen nichts »zur Beruhigung« oder zur Stimmungsaufhellung nimmt, um mit den Widrigkeiten des Alltags fertigzuwerden. Immer mehr Frauen fühlen sich schlecht und greifen zu Psychopharmaka, die sie dann viel länger schlucken, als es jemals beabsichtigt war. Und trotzdem geht es ihnen nicht zwangsläufig besser.

Dafür gemacht, launisch zu sein

Das Innenleben von Frauen ist komplex und unterliegt ständigen Veränderungen. Zwischen unseren Neurotransmittern und unseren Hormonen – vor allem Östrogen – bestehen komplizierte Verbindungen. Wenn der Östrogenspiegel sinkt, wie bei PMS, nach einer Geburt oder in der Perimenopause, geht für gewöhnlich auch die Stimmung in den Keller. Ein fluktuierender Östrogenspiegel macht uns emotionaler und bewirkt, dass wir schneller weinen oder sogar zusammenbrechen, wenn wir überfordert sind. Überall in unserem Gehirn befinden sich Östrogenrezeptoren, die unsere Stimmung und unser Verhalten beeinflussen, und es finden komplexe Interaktionen zwischen Östrogen und Serotonin statt, dem Neurotransmitter, der eine entscheidende Rolle bei Angstzuständen und Depressionen spielt. Obwohl es sich etwas komplizierter verhält, als ich es hier darstelle, ist es hilfreich, sich Östrogen und Serotonin als Gespann vorzustellen.7 Wenn der Spiegel des einen hoch ist, dann gilt das für gewöhnlich auch für den des anderen. Das hat nichts mit Einbildung zu tun. In welcher Phase Ihrer Fortpflanzungsfähigkeit Sie sich jeden Monat und im Lauf Ihres Lebens befinden, hat entscheidenden Einfluss darauf, wie Sie sich fühlen.

Man kann sich Serotonin als »Wohlfühl«-Hormon vorstellen. Zu viel davon und nichts vermag einem etwas anzuhaben, zu wenig und alles wird zum Problem, das gelöst werden muss. Wenn der Serotoninspiegel niedriger ist, zum Beispiel bei PMS, erhöht sich die emotionale Sensibilität.8 Es fehlt uns an einem Schutzpolster, und wir haben schlechtere Laune, sind reizbarer und unzufriedener. Die gebräuchlichsten Antidepressiva, die auch zur Behandlung von Angstzuständen eingesetzt werden, sind Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs). Diese Mittel (z. B. Fluoxetin und Paroxat) blockieren im Gehirn den natürlichen Rücktransport von Serotonin in die Nervenzelle, sodass mehr davon zum nächsten Neuron gelangen kann. Wenn Ihr Serotoninspiegel ständig künstlich auf einem hohen Niveau gehalten wird, laufen Sie Gefahr, die emotionale Sensibilität einzubüßen, die Sie zu einem unverwechselbaren Individuum macht. Wahrscheinlich brechen Sie im Büro nicht mehr so schnell in Tränen aus oder kauen sich nicht mehr die Nägel ab, aber dafür fällt es Ihnen schwerer, emotional zu reagieren und sich auf andere Menschen einzulassen, vor allem sexuell.

SSRIs haben nicht nur Einfluss auf das Verhalten, sie verändern auch die Wahrnehmung der Umgebung. Wenn das Gehirn von einem »Wohlfühl«-Hormon überschwemmt wird, strengt man sich dann noch groß an, etwas zustande zu bringen? In höheren Dosen führen SSRIs mitunter zu Apathie und Desinteresse. Betroffene berichten von allgemeiner Antriebslosigkeit.9 Wenn eine meiner Patientinnen anfängt, immer gleichgültiger zu werden und auf alles mit einem »Ist mir egal« reagiert, ist das für mich ein Zeichen, dass sie womöglich eine zu hohe Dosis nimmt und es an der Zeit ist, die Glückspillen zu reduzieren. Selbstzufriedenheit und Apathie können katastrophale Auswirkungen auf Familie, Privatleben und Beruf haben.

Wenn eine Patientin mit einer schweren Depression oder mit Angstattacken zu mir kommt, mag es zunächst die beste Behandlungsmethode sein, einen SSRI zu verschreiben, doch es ist in der Regel keine Dauerlösung. Mitunter ist es vielleicht schwierig, mit einer großen Gefühlstiefe zurechtzukommen, aber sie ist andererseits auch ein wirksames Instrument bei der Arbeit und zu Hause, und sie ist wichtig für unsere innere Weiterentwicklung. Wir sind von Natur aus äußerst anpassungs- und reaktionsfähig, und das zu akzeptieren, ist der erste Schritt, um letztlich selbst über unser Innenleben und unsere Gesundheit zu bestimmen.

Auf Gefühle programmiert

Da das weibliche Gehirn eine andere Entwicklung durchläuft als das männliche, gibt es wesentliche Unterschiede, wie Frauen und Männer mit Gefühlen umgehen und darüber sprechen.10 Im Mutterleib verläuft bei allen Embryos die Entwicklung in den ersten acht Wochen gleich, aber sobald bei den männlichen Embryonen die Hoden ihre Funktion aufnehmen, tritt eine Veränderung ein. Sobald Testosteron ins Spiel kommt, bewirkt ein Anstieg der männlichen Sexualhormone, dass in den Kommunikationszentren viele Zellen absterben und sich mehr Neuronen bilden, die für Aktivität, Aggression und Sexualtrieb verantwortlich sind. Diese Bereiche nehmen im Gehirn von Männern zweieinhalbmal so viel Platz ein wie bei Frauen.

In der Pubertät, wenn mehr Sexualhormone freigesetzt werden, finden im Gehirn dann weitere Veränderungen statt, die die Unterschiede zwischen den Geschlechtern verstärken.11 Bei der Entwicklung des weiblichen Gehirns werden mehr Raum und mehr Gehirnzellen für Sprache, Gehör und Erinnerung reserviert. Unser Gedächtniszentrum, der Hippocampus, ist größer als der von Männern. Möglicherweise spiegelt sich darin ein evolutionärer Vorteil wider, was die Erinnerung an emotionale Ereignisse und das Verhalten potenzieller Partner betrifft, insbesondere daran, was sie tun wollten und was dann tatsächlich geschehen ist.12 Unsere Erinnerungen haben Einfluss auf unsere Gefühle. Der Hippocampus kann die empfindlichen Reaktionen der Amygdala, des Gehirnbereichs, der für Angst, Aggression und Wut zuständig ist, ausgleichen.13 Die Amygdala von Männern ist größer und hat Rezeptoren für Testosteron.14 Haben Sie sich jemals gefragt, warum Sie manchmal ausrasten, sich dann aber auch schnell wieder beruhigen, während solche Gefühle bei Ihrem Mann nachwirken? Möglicherweise tragen der größere Hippocampus und die kleinere Amygdala dazu bei, dass Frauen ihre Gefühlsausbrüche besser unter Kontrolle bekommen als Männer, vor allem, wenn Furcht oder Aggression mit im Spiel ist. Mag sein, dass wir zunächst sehr emotional reagieren, doch dann reißen wir uns dank des Hippocampus wieder zusammen.

Nun leben wir allerdings nicht in einer Welt, die solchen Verhaltensreaktionen gegenüber nachsichtig ist. In akuten Stresssituationen erhöht sich die Aktivität der Amygdala, und die des Hippocampus nimmt ab, ein Grund dafür, warum man in Panik gerät und das Erinnerungsvermögen beeinträchtigt ist, wenn man unter Druck steht.15 Das größte Problem ist chronischer Stress, durch den der Hippocampus nicht nur in seiner Funktion nachlässt, sondern auch Gehirnzellen vernichtet werden.16 Der Hippocampus atrophiert, kann nicht mehr beruhigend auf die außer Kontrolle geratene Amygdala einwirken, und in der Folge werden alle Reaktionen auf Stressoren verstärkt.17 Das ist bei posttraumatischen Belastungsstörungen zu beobachten, und es trifft auf jeden Menschen zu, der permanent unter Stress steht.18

Intuitiv die Motive und Gefühle anderer zu erfassen, ist ein wichtiger Teil sozialer Kompetenz, eine Fähigkeit, die automatisch und unbewusst eingesetzt wird und als durch und durch weibliche Eigenschaft gilt.19 Je besser wir die Erregungssignale unseres Körpers wahrnehmen (zum Beispiel unseren Herzschlag spüren), desto besser können wir unsere Empfindungen und die anderer einschätzen.20 Die Insula, von der man annimmt, dass sie für Selbstwahrnehmung, Empathie und zwischenmenschliche Erfahrungen zuständig ist, hilft uns, andere zu verstehen, und ist bei Frauen deutlich größer.21 Sie hilft uns nicht nur dabei, »Bauchgefühle« zu verarbeiten, um herauszufinden, was wir und andere emotional verspüren, sie versetzt uns auch in die Lage, körperliche Empfindungen wahrzunehmen und zu erkennen.22 Diese sogenannte »weibliche Intuition« hat Frauen in ihrer traditionellen Rolle als nährende und sorgende Mutter gute Dienste geleistet. Dank der Fähigkeit, die Gefühle und Bedürfnisse anderer intuitiv zu erfassen, konnten sie besser einschätzen, ob ein Mann möglicherweise gewalttätig wird oder seine Kinder im Stich lässt oder ob ein Kind, das noch nicht sprechen kann, Hunger oder Schmerzen hat.

Männer sind aufgrund ihrer Physis nicht so sensibel wie Frauen. Frauen verfügen über mehr Schaltkreise im Gehirn, die nicht nur Sprache und Gefühlsäußerungen steuern, sondern auch die Fähigkeit, emotionale Nuancen wahrzunehmen und zu spüren, was andere empfinden.23 In Anbetracht dieser geschlechtsspezifischen Unterschiede bei empathischen Fähigkeiten beruht es vermutlich nicht auf Einbildung, wenn Sie denken, dass Ihr Freund gefühlskalt ist (man bezeichnet das als Alexithymie) und noch viel weniger in der Lage ist, darüber zu sprechen. Testosteron beeinträchtigt die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und intuitiv ihre Gefühle zu erfassen, indem man ihnen in die Augen blickt.24 Ob jemand die Bedürfnisse anderer wahrnimmt oder nicht, hat Einfluss darauf, wie fürsorglich er ist, ein Grund dafür, warum man ihn für selbstsüchtig halten könnte.

Frauen nehmen Konflikte intensiver wahr als Männer, und sie setzen ihnen mehr zu. Zweifellos ist das zum Teil angelerntes Verhalten, da man Mädchen häufiger als Jungen sagt, sie sollen nicht streiten, aber es gibt auch eine starke biologische Komponente. Wenn Männer bedroht werden, dann schaltet ihr Körper in den »Kampf oder Flucht«-Modus, und er setzt Adrenalin frei, um die Muskeln mit Energie zu versorgen. Bei Frauen löst ein hoher Stresslevel eher die sogenannte »Tend and befriend«-Reaktion aus, das Bedürfnis, zu beschützen und eine freundschaftliche Beziehung herzustellen. Frauen neigen in Notsituationen dazu, Gemeinschaften zu bilden, ihre Stärke zu bündeln und enger zusammenzurücken, um ihre Kinder und sich selbst zu schützen. Oxytocin, das Hormon, das bei Frauen nach dem Orgasmus und beim Schmusen oder Stillen freigesetzt wird, fördert ein prosoziales, vertrauensvolles, Testosteron dagegen ein aggressives, konkurrierendes Verhalten.25 Sowohl bei Männern als auch bei Frauen lässt ein hoher Testosteronspiegel den Oxytocinspiegel sinken und umgekehrt, das heißt, es findet ein Austausch zwischen Aggression und Verbündung statt. Die Ausschüttung von Oxytocin hat bei Frauen eine stärkere Wirkung als bei Männern, es fördert Hilfsbereitschaft und Verbundenheit. Außerdem hilft es ihnen zu erkennen, wer zu ihrem sozialen Umfeld, ihrem Stamm gehört und wer nicht.26 In einer feindlichen Umgebung27 oder in einem Umfeld, in dem keine Unterstützung zu erwarten ist, kann Oxytocin die Stressreaktionen verstärken bis hin zur Aggression gegenüber Fremden.28 So hat man beispielsweise einen Zusammenhang zwischen Oxytocinspiegel und mütterlicher Aggression bei der Verteidigung des Nachwuchses festgestellt.29

Mädchen bilden Gruppen und erhalten die soziale Harmonie aufrecht, oft mithilfe von Sprache.30 Die durch Klatsch und verbale Vertrautheit erzeugte Verbundenheit führt zum Ausstoß von Dopamin, einem der Glückshormone des Gehirns, und Oxytocin. Bei pubertierenden Mädchen setzt Östrogen die Produktion von Dopamin und Oxytocin in Gang.31 In der Mitte des Zyklus erreicht der Spiegel beider Hormone seinen Höchststand, genauso wie das Mitteilungsbedürfnis und der Wunsch nach Intimität. Während Frauen Probleme für gewöhnlich mit Freundinnen besprechen, neigen Männer dazu, sich mit ihren Problemen allein auseinanderzusetzen, nonverbal.32 Man könnte sagen, darin spiegelt sich das Verhältnis zwischen Oxytocin und Testosteron wider. Testosteron verringert das Bedürfnis, mit anderen zusammen zu sein und zu reden. Jungen beziehen ihr Selbstwertgefühl nicht aus Beziehungen, sondern aus ihrer Unabhängigkeit. Jungen sind nicht so mitteilsam und lassen sich von Konflikten und Konkurrenzkämpfen bei Weitem nicht so leicht aus der Bahn werfen. Das ist ein Teil ihrer Persönlichkeit und, was vielleicht genauso wichtig ist, der Persönlichkeit, die von ihnen erwartet wird.

Die Verbindungen zwischen den Gehirnbereichen, in denen Emotionen verarbeitet werden, sind bei Frauen aktiver und weitläufiger.33 Bei Frauen sind neun Bereiche für diese Funktion zuständig, bei Männern dagegen nur zwei. Außerdem findet im Gehirn von Frauen häufiger eine bilaterale Verarbeitung von Emotionen statt, von der linken zur rechten Hemisphäre und umgekehrt, sodass eine Verbindung zwischen den analytischen und den emotionalen Bereichen hergestellt wird, während Männer dabei eher in einer der beiden Hirnhälften bleiben.34 Man könnte also sagen, dass Frauen ihr ganzes Gehirn benutzen, Männer dagegen oft nur die Hälfte. Frauen scheinen multitaskingfähiger zu sein als Männer.35 Männer haben nicht nur größere Schwierigkeiten damit, verschiedene gleichrangige Aufgaben unter einen Hut zu bekommen, sie sind außerdem langsamer und nicht so gut organisiert wie Frauen, wenn sie dabei hin- und herwechseln.

Das Gehirn von Männern hat mehr Verbindungen im Cerebellum oder Kleinhirn, das für die Koordination von Bewegungen zuständig ist, Männern bleibt deshalb vielleicht weniger Zeit zwischen Sehen und Handeln als Frauen.36 Bei motorisch- und räumlich-kognitiven Aufgaben schneiden Männer oft besser ab als Frauen, Frauen sind wiederum schneller, wenn es um emotionale Identifikation und logisches Denken geht.37 Außerdem sind Frauen besser als Männer darin, den »verlegten Schlüssel« wiederzufinden;38 vielleicht ist das der Grund, warum ihre Familien sie dauernd fragen, wo etwas ist, und, wichtiger noch, warum sie es wissen. Weil Männer vor allem Jäger waren und Frauen Sammlerinnen, war es von entscheidender Bedeutung, dass diese sich daran erinnerten, wo sie das letzte Mal gute Nahrung gefunden hatten.

Nun ist bei einer Diskussion über die Unterschiede zwischen den Geschlechtern natürlich eine gewisse Vorsicht angebracht, weil sich auch innerhalb jedes Geschlechts eine große Bandbreite an Unterschieden findet und weil Erziehung und Kultur fast genauso stark zu Buche schlagen wie die Biologie. Zwischen unseren natürlichen Fähigkeiten und dem Verhalten, das man uns beibringt, findet ein Wechselspiel statt, und deshalb kann man beides nicht strikt voneinander trennen. Bislang gibt es nur wenige Fallstudien zu Kindern, die mit uneindeutigen Genitalien auf die Welt kommen und entgegen ihres Genmaterials entweder als Jungen oder als Mädchen großgezogen werden. Dennoch können wir eines daraus lernen: Der Einfluss der Biologie ist nicht zu unterschätzen. Wie angriffslustig wir in einem spontanen Basketballspiel sind (oder ob wir uns überhaupt auf ein spontanes Basketballspiel einlassen), wird oft stärker durch das Verhältnis zwischen dem Testosteron und dem Östrogen in unserem Körper bestimmt als durch irgendetwas, das uns unsere Eltern beigebracht haben.

Die Kehrseite intensiven Fühlens

Zwar hat die Natur Frauen mit einer Reihe von Merkmalen – von Gehirnstrukturen bis zu Hormonen – ausgestattet, die ihnen in ihren traditionellen Rollen als Nährende und Sorgende von Nutzen sind, aber es gibt auch eine Kehrseite. Die gleichen Merkmale machen sie unter Umständen auch anfälliger für Depressionen und Angsterkrankungen. Bei Kindern gibt es hinsichtlich der Häufigkeit depressiver Störungen keinen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen. Im Erwachsenenalter ist die Wahrscheinlichkeit, an einer Depression zu erkranken, bei Frauen doppelt so groß wie bei Männern,39 und die Wahrscheinlichkeit, dass eine Angststörung wie Panikattacken oder allgemeine Unruhe bei ihnen diagnostiziert wird, ist sogar bis zu viermal so groß.40

Das Risiko nimmt mit Beginn der Pubertät zu, und es endet im sechsten Lebensjahrzehnt mit dem Ende des Hormonzyklus.41 Obwohl das häufigere Auftreten von Depressionen bei Frauen auch auf gesellschaftliche Faktoren wie den Druck, einem bestimmten Körperbild zu entsprechen, eine größere Bereitschaft, bei psychischen Problemen Hilfe zu suchen, oder eine diagnostische Voreingenommenheit bei Ärzten zurückzuführen ist, gibt es deutliche Hinweise darauf, dass der Geschlechtsunterschied bei Stimmungsstörungen zu einem großen Teil im Zusammenhang mit Hormonen steht.42

Manche Frauen sind anfälliger für Hormonschwankungen als andere. Es gibt eine bestimmte Gruppe von Frauen, bei denen ein erhöhtes Risiko einer hormonell bedingten Depression zu bestehen scheint, das heißt, ihre Stimmungsschwankungen werden durch einen veränderten Hormonspiegel hervorgerufen, wie er vor der Menstruation oder nach einer Geburt auftritt.43 Wenn eine Frau an PMS leidet, dann ist sie wahrscheinlich auch anfälliger für eine postpartale Depression oder Stimmungskrisen während der Perimenopause. Manche Frauen reagieren besonders empfindlich auf diese hormonellen Veränderungen,44 andere sind glücklicherweise widerstandsfähiger, wofür vermutlich unter dem Einfluss eines wechselnden Östrogenspiegels stehende Gene verantwortlich sind.45 Die gute Nachricht: Wenn der Hormonspiegel stabil ist, zum Beispiel in der Postmenopause, besteht kein erhöhtes Risiko für Depressionen.46 Nach der Menopause nimmt das Risiko ab, genauer gesagt in den beiden Jahren nach der letzten Menstruation, wenn im Körper allmählich wieder Ruhe einkehrt.47 Die Beobachtung, dass die Jahre nach der Menopause für viele Frauen sowohl beruflich als auch privat die beste Zeit ihres Lebens sind, trifft durchaus zu.

Um es noch einmal zu wiederholen, vermutlich gibt es evolutionäre Gründe für den Zusammenhang zwischen Stimmungsschwankungen und Hormonschwankungen. In der ersten Hälfte des Zyklus bis zum Eisprung herrscht ein positiver Gemütszustand (Euthymie genannt) vor, der eine Frau dazu veranlasst, sich einen Partner zu suchen und sich schwängern zu lassen. Die durch Progesteron verursachte gedämpftere Stimmung in der zweiten Zyklushälfte trägt insofern zum Schutz der befruchteten Eizelle bei, als sich die Frau passiver und vorsichtiger verhält und gefährliche Situationen meidet. In der zweiten Zyklushälfte steigt der Progesteronspiegel an, umso mehr, wenn eine Befruchtung stattgefunden hat. Progesteron ist das Hormon, das für den Erhalt der Schwangerschaft sorgt. Es spielt außerdem eine Rolle bei PMS, postpartalen Depressionen und Dysthymie, einer chronischen depressiven Verstimmung.48 Das vermehrte Auftreten von Depressionen und Angstattacken während der Schwangerschaft (vor allem im ersten Drittel) und in der unmittelbaren postpartalen Phase fällt in eine kritische Zeit, in der das Überleben des Kindes davon abhängen kann, dass die Mutter vorsichtig ist und sich von anderen abgrenzt.49 Wenn Frauen ein solches Verhalten entwickeln, sei es, um wertvolle Energie zu sparen oder um gefährlichen Situationen aus dem Weg zu gehen, geben sie die entsprechenden Merkmale an ihre Nachkommen weiter.50 Darwin lebe hoch.

Ängstliche und depressive Verhaltensweisen haben in unserem Genpool Tausende von Jahren überlebt, weil sie mit Anpassung verbunden sind. Sie verschaffen uns einen Vorteil, der entscheidend für unser Überleben und das unserer Nachkommen ist. Eine vorsichtige, eifrige Sammlerin findet nicht nur mehr Nahrung, sie kehrt außerdem sicher nach Hause zurück. Und sie schützt auch ihre Kinder vor Gefahren. Ebenso zieht sich eine depressive Frau nach einem erfolglosen Unterfangen, sei es bei der Suche nach Nahrung oder nach einem Partner, schneller zurück und spart ihre Energie. Das könnte die Ursache für saisonale affektive Störungen sein, die zu einer Verringerung von Energie und Motivation führen, wenn der Nachschub an Nahrung am geringsten ist.

Wenn sich Frauen bedroht fühlen, dann hilft ihnen Östrogen, »ihren Mann zu stehen«, Widerstandskraft zu entwickeln und sich nicht unterkriegen zu lassen.51 In dieser Hinsicht wirkt Östrogen tatsächlich als Stresshormon. Das beruht unter anderem auf einem Anstieg des Serotoninspiegels, der dabei hilft, standhaft und ruhig zu bleiben und eher rational als emotional zu handeln.52 Bei einem höheren Östrogenspiegel nimmt auch die Aktivität von Serotonin zu.53 Ein steigender Östrogenspiegel regt die Produktion von Serotonin an und führt außerdem zur Bildung von Serotoninrezeptoren (5-HT2A).54 Aber wie bei den meisten Vorgängen im Körper gilt auch hier, was steigt, muss irgendwann wieder fallen. Der natürliche Vorgang, bei dem Stress zu einer verstärkten Östrogenausschüttung führt,55 hat einen eingebauten Stoppmechanismus, der den Serotoninspiegel anschließend wieder auf ein normales Niveau senkt.

Die Verabreichung von Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern ist die gebräuchlichste Behandlungsmethode bei Depressionen und Angstzuständen, aber wenn bei Einnahme von SSRIs der Serotoninspiegel ausgeglichen ist, dann bleibt dieses natürliche An- und Abschwellen von Serotonin als Reaktion auf den Östrogenspiegel aus. Man verhält sich vernünftiger und reagiert weniger emotional. Östrogenschwankungen helfen uns, unsere Sensibilität zu bewahren, SSRIs beeinträchtigen sie.

Frauen leiden, wie bereits dargelegt, häufiger an Depressionen als Männer, und dabei spielt Östrogen eine entscheidende Rolle. Östrogen beeinflusst die Wirkung von Serotonin im Gehirn. Frauen sind empfänglicher für Veränderungen des Serotoninspiegels und reagieren stärker auf Medikamente, die den Serotoninspiegel verändern. Das ist ein Grund dafür, warum Frauen mitunter mehr unter den sexualitätseinschränkenden Nebenwirkungen von SSRIs leiden als Männer.56 In welcher Phase Ihres Zyklus oder Ihrer Perimenopause Sie sich gerade befinden, hat Auswirkungen auf Ihre Stimmung, darauf, wie reizbar, empfindlich oder impulsiv Sie sind, da all das von Serotonin beeinflusst wird. Wie Sie im nächsten Kapitel sehen werden, ist es normal, dass der Östrogenspiegel in verschiedenen Phasen des Zyklus niedriger ist und Sie sich miserabel fühlen, weil Ihr Serotoninspiegel nachzieht. Aber das ist etwas ganz Natürliches und geht wieder vorbei. Deshalb müssen Sie nicht gleich tagtäglich ein Antidepressivum schlucken, um Ihre Stimmungstiefs zu überdecken.

Bei Menschen mit schweren Depressionen können SSRIs wahre Wunder bewirken, und ich muss zugeben, dass meine Patienten von der Wirkung begeistert sind, zumindest am Anfang, aber sie können das Gefühlsleben auch stark beeinträchtigen. Für gewöhnlich dämpfen SSRIs eher negative Gefühle, als dass sie positive Gefühle verstärken. Jemand, der SSRIs nimmt, hüpft also wahrscheinlich nicht mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht durch die Gegend, aber er ist nicht traurig und reizbar und sieht nicht alles grau in grau. Patienten berichten bei der Einnahme von SSRIs außerdem seltener von vielen anderen menschlichen Zügen: der Fähigkeit zu weinen, Ärger, Rücksichtnahme auf die Gefühle anderer, erotischen Träumen, Kreativität, Überraschung, Zorn, Gefühlsäußerungen und Kummer.57

Eine gute alte Freundin erzählte mir, wie es war, als sie das erste Mal Fluoxetin verschrieben bekam. »Es hat mir viel von meinen empathischen Fähigkeiten genommen. Schon als Kind ging es mir schlecht, wenn es jemand anderem schlechtging. Ich bin einfach so. Beim Ostereiersuchen habe ich immer die anderen Kinder die Eier finden lassen, weil ihnen offenbar mehr daran lag als mir. Ich erinnere mich, dass ich, als ich anfing, Fluoxetin zu nehmen, eine Frau weinen sah und dachte: ›Sieht so aus, als hättest du ein Problem. Na, ich möchte nicht in deiner Haut stecken.‹ So denkt doch nur ein totaler Egoist!« SSRIs nehmen Einfluss auf die Verarbeitung von Gefühlen und reduzieren das Einfühlungsvermögen.58 Das hat unter Umständen katastrophale Auswirkungen auf die Fähigkeit, ein Kind großzuziehen oder Beziehungen zu pflegen.

Es ist völlig in Ordnung, zu weinen und wütend zu werden

Antidepressiva können als unterstützende Maßnahme bei einer Psychotherapie oder für eine Veränderung des Lebensstils eingesetzt werden, und sobald sich eine gewisse Routine eingestellt hat, kann und sollte man, wenn es geht, das Medikament ausschleichen.59 Wenn man sich das Bein bricht, läuft man ja auch nicht bis in alle Ewigkeit mit einem Gips und Krücken herum. Bevor man sich ein Leben lang SSRIs verschreiben lässt, sollte man darüber nachdenken, welche Gefühlsvielfalt man damit möglicherweise aufgibt.

Meine Patienten berichten beispielsweise: »Mir war klar, dass etwas nicht stimmte. Ich hätte traurig sein sollen, aber ich konnte einfach nicht weinen.« Weinen hat nicht nur mit Traurigkeit zu tun. Wenn wir frustriert sind, wenn wir wütend sind, wenn wir Zeuge einer Ungerechtigkeit werden, wenn uns das Leiden anderer Menschen tief berührt, dann weinen wir. Und manche Frauen haben näher am Wasser gebaut als andere. Das ist ganz normal. So sind wir eben, und es bedeutet nicht, das wir schwach sind oder über mangelnde Selbstbeherrschung verfügen.

Weinen erlaubt uns, das, was wir empfinden, ganz intensiv zu empfinden, und dann wieder nach vorne zu blicken. Es ist eine Art Crescendo, das auf natürliche Weise zu einem Nachlassen der Intensität führt. Die meisten Frauen betrachten dieses intensive Fühlen als Geburtsrecht, aber wenn Ihnen Weinen zuwider ist oder wenn Sie frustriert sind, weil es Ihnen die Kehle zuschnürt und Sie kein Wort rausbekommen, habe ich hier zwei Tricks für Sie, die ebenso gut wirken wie ein Medikament. Stellen Sie im Geist eine Liste mit Reimwörtern auf oder ziehen Sie fortlaufend sieben von hundert ab. Wenn die Blutzufuhr zu den emotionalen Bereichen gedrosselt und zu den rational-verbalen oder mathematischen Bereichen umgeleitet wird, hat das auf die meisten Menschen eine beruhigende Wirkung. (Sie müssen nur daran denken, es zu tun, das heißt, Sie müssen darauf vertrauen, dass sich Ihr Hippocampus gegen Ihre Amygdala durchsetzt.)

Es gibt Zeiten, in denen es, sagen wir mal, unpassend ist zu weinen, aber daneben gibt es auch Zeiten, in denen es von Vorteil ist. Tränen zuzulassen kann wichtig für die Kommunikation mit dem Partner sein. Ein deutliches Zeichen, dass wir aufgebracht sind, ist vielleicht genau das, was er braucht.60 Frauen nehmen in neun von zehn Fällen subtile Zeichen der Traurigkeit bei anderen wahr. Männer sind eher in der Lage, Wut und Aggression zu erkennen; nur in vier von zehn Fällen liegen Männer richtig, wenn sie herauszufinden versuchen, ob ihre Partnerin traurig ist. Wenn sie den Wurf einer Münze vorhersagen würden, wäre die Erfolgsquote höher. Auch das ist ein Grund, warum Sie Ihre Gefühle äußern sollten, statt zu erwarten, dass Ihr Partner an Ihrem Gesichtsausdruck oder Ihren Handlungen erkennt, wie es Ihnen geht. Männer sind einfach nicht so geschaffen, dass sie Emotionen intuitiv erfassen, so wie Frauen es tun. Und in der Familie kann es gut sein, wenn Ihre Kinder sehen, dass Sie weinen, vor allem, wenn sie Sie zuvor durch ein leichtsinniges oder gedankenloses Verhalten erschreckt oder verletzt haben. Tränen können der Lektion, was sie mit ihrem Verhalten anderen antun, Nachdruck verleihen.

Allerdings lässt sich nicht bestreiten, dass wir Probleme mit unseren Tränen haben. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, wie oft Frauen sich dafür entschuldigen, dass sie weinen? Das liegt zum einen daran, dass Männer mit offen gezeigten Gefühlen nicht besonders gut umgehen können, und deshalb werden Frauen darauf sozialisiert, diese unter Verschluss zu halten. Zum anderen stehen Gefühle dem forschen Vorwärtsstreben im Weg, das in unserer Gesellschaft gutgeheißen wird. Wenn wir unsere Gefühle unter Verschluss halten, haben wir jedoch das Problem, dass wir damit etwas unterdrücken, was wir brauchen, was unsere Familien und unsere Partner brauchen und was die Welt braucht.

Traurig zu sein kann uns dabei helfen, das eigene Leben mit einem klareren Blick zu sehen. Deprimierte Menschen verschließen nicht länger die Augen vor unangenehmen oder schmerzhaften Dingen. SSRIs können zu Behäbigkeit führen, wenn aktives Handeln erforderlich wäre, sei es, um einen gewalttätigen Ehemann zu verlassen oder einen langweiligen Job zu kündigen. Medikamente können eine schlimme Situation erträglicher machen und die Notwendigkeit einer Veränderung verschleiern. Einer Studie zu medikamentös behandelten Frauen zufolge »führten diese Patientinnen weiterhin ein dysfunktionales Leben, und ihre Bereitschaft zu größeren Veränderungen schien in dem Maß abzunehmen, in dem eine Besserung der depressiven Symptome eintrat«.61 In solchen Situationen können die Symptome einer Depression, so unangenehm sie auch sein mögen, der Anstoß sein, aktiv zu werden.

Es gibt noch etwas zu bedenken: Wenn man seine Gefühle unterdrückt, fühlt man sich letztlich elend.62 Vor allem unterdrückter Ärger spielt eine entscheidende Rolle bei Depressionen.63 Menschen, die eine Depression durchgemacht haben, zeigen eine größere Neigung, ihren Ärger im Zaum zu halten; sie haben Angst davor, ihn zu äußern, und glauben, sie müssten ihre Gefühle verstecken, um ihre Beziehungen nicht zu gefährden.64 Patienten mit einer Depression empfinden mehr Ärger als die Probanden in der Kontrollgruppe,65 je größer der Ärger, desto stärker die Depression.66

In meiner Praxis habe ich häufig mit solchen Fällen zu tun. Viele meiner Patientinnen wissen nicht, wie sie ihrem Ärger auf eine gute Art und Weise Luft machen sollen, und der unterdrückte Ärger trägt nicht nur zu ihrer Depression bei, sondern führt auch zu anderen Krankheitssymptomen, davon bin ich überzeugt. Sie haben als junge Mädchen nicht gelernt, dass es in Ordnung ist, wütend zu sein, und sie haben keine Erfahrung im Umgang mit diesem Gefühl. Nette kleine Mädchen beschäftigen sich nur mit netten Dingen. Aber wenn wir nicht einmal wissen, dass wir wütend sind, können wir auch nicht mit der dafür verantwortlichen Person reden oder das Problem auf andere Weise angehen. Wir weinen, wir essen, wir trösten uns mit tausenderlei Dingen. Stattdessen sollten wir unseren Ärger zulassen, uns darüber klar werden, woher er rührt, unsere Kräfte sammeln und uns dann der Situation stellen und ein Gespräch suchen. Einmal rief mich eine meiner Patientinnen in Tränen aufgelöst aus ihrem Büro an und erklärte mir, sie müsse ihre SSRI-Dosis erhöhen, man dürfe sie in der Arbeit nicht weinen sehen. Nachdem wir gemeinsam analysiert hatten, warum sie so außer sich war (ihr Chef hatte sie vor versammelter Mannschaft heruntergemacht), kamen wir zu dem Schluss, dass hier ein vernünftiges klärendes Gespräch vonnöten war und nicht noch mehr Tabletten.

Wenn man sich die Arbeitsbeurteilungen von Frauen ansieht, tauchen immer wieder bestimmte Begriffe auf, zum Beispiel autoritär, schroff, überkritisch und aggressiv.67Dies gilt, wenn sie sich in Führungspositionen befinden; wenn die Frauen dagegen Einspruch erheben, fallen Begriffe wie emotional und irrational. Männer werden dazu aufgefordert, sich am Arbeitsplatz energischer durchzusetzen, bei Frauen ist das nicht so. Es ist interessant, dass SSRIs aggressives Verhalten, mangelnde Impulskontrolle und Reizbarkeit mildern und gleichzeitig Kooperationsbereitschaft und affiliatives Verhalten fördern.68 Untersuchungen an Primaten zeigen, dass SSRIs das Dominanzverhalten verstärken69 und so den Status eines Tieres in der Hierarchie verbessern.70 Mag sein, dass sie Frauen dabei helfen, an ihrem Arbeitsplatz besser klarzukommen und vielleicht sogar weiterzukommen, aber zu welchem Preis?

Ich stelle bei meinen Patientinnen immer wieder eine gewisse Unsicherheit fest, wenn es darum geht, sich durchzusetzen. »Ich denke, vielleicht«, ist die Standardformel, mit der eine Frau einen Satz beginnt, auch wenn sie verdammt gut weiß, dass sie recht hat. Wir drucksen herum, als wären wir nicht ganz sicher, während wir auf unser Bauchgefühl vertrauen und klipp und klar sagen sollten, was wir meinen. Mir hat man als Teenager auf teils direkte, teils indirekte Weise beigebracht, meine Überlegungen so zu verpacken, dass man sie als Vorschlag oder persönliche Meinung auffassen kann und nicht als Feststellung von Tatsachen. Ich werde meiner Tochter nicht beibringen, vor jeder Äußerung ihr Selbstwertgefühl herunterzuschrauben. Kleine Mädchen brauchen so viel Selbstvertrauen wie nur möglich. Im späteren Leben ist es wesentlich einfacher, die Kanten zu glätten, als Selbstachtung aufzubauen. Und Mädchen, die an ihrem Durchsetzungsvermögen und an ihrem Selbstwertgefühl festhalten, werden seltener zu depressiven Frauen heranwachsen.71

Das H-Wort

Im neunzehnten Jahrhundert war Hysterie etwas, das man ausschließlich bei Frauen diagnostizierte; unter ihr wurde eine Vielzahl von Beschwerden subsumiert, die nicht unmittelbar zu kurieren waren.72 Zu dieser Zeit gab es praktisch nur männliche Ärzte, und sie fassten die unterschiedlichsten körperlichen und psychischen Symptome von Frauen unter dem Oberbegriff Hysterie zusammen, der sich aus dem griechischen Wort für Uterus ableitete, hystera. Zu den diagnostischen Kriterien gehörten Unpässlichkeit, Kopfschmerzen, Reizbarkeit, Nervosität, Schlafstörungen, Erschöpfung, verminderte Libido, erhöhte Libido, Wassereinlagerungen und letzten Endes jedes Verhalten, das gesellschaftlich unerwünscht war, zum Beispiel die Forderung nach dem Wahlrecht für Frauen. Eine Methode zur Behandlung von Hysterie bestand darin, die Patientin zum Orgasmus zu bringen,73 bei einer anderen, der Klitoridektomie, wurde auf operativem Weg die Klitoris entfernt; Letzteres wurde bis in die 1920er-Jahre praktiziert.74

Heutzutage hat Hysterie eine enger gefasste Bedeutung: sie bezeichnet exzessive Gefühlsäußerungen, insbesondere von Gefühlen wie Verzweiflung oder Panik. Wenn eine Frau in den Augen eines Mannes unkontrollierbar ist oder sich unpassend verhält, bekommt sie zu hören, sie sei hysterisch, womit man ihr im Grunde das Recht abspricht, so zu empfinden oder so zu handeln, weil es nicht mit dem übereinstimmt, wie ein Mann empfinden oder handeln würde. Man darf dabei nicht vergessen, dass viele Jungen beim Heranwachsen den Emotionen ihrer Mütter ausgeliefert sind und deshalb als erwachsene Männer die Emotionalität von Frauen fürchten. Das könnte ein Grund dafür sein, warum manche Ärzte so schnell bereit sind, jegliche Gefühlsäußerungen bei ihren Patientinnen zum Verstummen zu bringen, und am einfachsten geht das mit einem Griff zum Rezeptblock.

Der Begriff Hysterie wird in der Medizin zwar nicht mehr offiziell verwendet, dafür wird jedoch immer häufiger die »Frauenkrankheit« Fibromyalgie diagnostiziert. Zu deren Symptomen zählen unklare Muskelschmerzen, Gelenkbeschwerden und Erschöpfung. Zufälligerweise werden derzeit zur Behandlung von Fibromyalgie Antidepressiva angewendet. Epidemiologische Studien zeigen, dass auf jeden Mann, bei dem die Diagnose auf chronische Schmerzen oder Fibromyalgie lautet, drei Frauen mit dieser Diagnose kommen.75 Die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Mann Fibromyalgie diagnostiziert wird, ist also um einiges geringer, selbst wenn er die gleichen Symptome hat.76

In meiner Praxis erzählen mir meine Patientinnen oft von Fehldiagnosen. Sie berichten ihren männlichen Ärzten von ihren körperlichen Beschwerden, und diese qualifizieren sie schnell als hysterisch ab, obwohl sie es nicht laut aussprechen, wenn sie klug sind. »Sie leiden einfach nur unter Stress«, heißt es dann gern, oder die Diagnose lautet auf Fibromyalgie, die man dann praktischerweise mit den gleichen Medikamenten behandelt, als würden die Frauen »einfach nur unter Stress« leiden – mit Antidepressiva. Im Lauf der Jahre hatte ich einige Patientinnen, bei denen fälschlicherweise Fibromyalgie diagnostiziert worden war, obwohl sie tatsächlich an Lyme-Borreliose, Lupus, einer Schilddrüsenunterfunktion, rheumatischer Arthritis oder, in einem Fall, an Eierstockkrebs litten.

Die Sensibilität von Frauen erstreckt sich auch auf die Physis; unser Körper empfindet mehr Schmerz als der eines Mannes.77 Zahlreiche Laboruntersuchungen bestätigen, dass Frauen eine niedrigere Schmerzgrenze als Männer haben, Schmerz intensiver wahrnehmen und weniger tolerant gegenüber künstlich erzeugtem Schmerz sind.78 Infolge ihrer neurologischen Besonderheiten, insbesondere der aktiveren Insula, nehmen Frauen körperliche Schmerzen außerdem eher wahr.79 Wir besitzen mehr Serotoninrezeptoren, um Schmerz zu verarbeiten, und die beiden Hormone Östrogen und Progesteron haben Einfluss auf Endorphinausschüttung und Opioidrezeptoren und führen zu einem stärkeren Schmerzempfinden.80

Es ist wichtig, zu wissen, dass es auch Auswirkungen auf unsere Schmerzempfindlichkeit hat, in welcher Phase unseres Menstruationszyklus wir uns gerade befinden.81