Turm der Dämonen - Georgia Wingade - E-Book

Turm der Dämonen E-Book

Georgia Wingade

0,0

Beschreibung

Es ist der ganz besondere Liebesroman, der unter die Haut geht. Alles ist zugleich so unheimlich und so romantisch wie nirgendwo sonst. Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen, Vampire und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen ziehen uns wie magisch in ihren Bann. Moonlight Romance bietet wohlige Schaudergefühle mit Gänsehauteffekt, geeignet, begeisternd für alle, deren Herz für Spannung, Spuk und Liebe schlägt. Immer wieder stellt sich die bange Frage: Gibt es für diese Phänomene eine natürliche Erklärung? Oder haben wir es wirklich mit Geistern und Gespenstern zu tun? Die Antworten darauf sind von Roman zu Roman unterschiedlich, manchmal auch mehrdeutig. Eben das macht die Lektüre so fantastisch... Sein Blick war während des Sturzes nach oben gewandert, das Gemäuer des Turmes entlang. Und da! In einer der schmalen Fensternischen glaubte er ein Licht aufflackern zu sehen, einen bläulich zuckenden Lichtschein, der – einem Irrlicht gleich – hin und her flackerte, um abrupt zu verlöschen und sogleich wieder aufzuflammen. Das Ganze war absolut gespenstisch, insbesondere, da der Schein der Abendsonne verloschen war und dem sanften Anthrazit der Nacht Platz gemacht hatte. Er stemmte sich hoch und achtete darauf, seine linke Hand nicht zu belasten. Es tat höllisch weh, er merkte, wie das Gewebe anschwoll. Er musste die Verletzung möglichst rasch mit einem schmerzlindernden und abschwellenden Gel behandeln. Sein Rückzug vom Turm geschah mit aller Vorsicht, denn noch einmal wollte und durfte er nicht stürzen. Immer wieder schaute er sich um, doch außer einem einmaligen Aufflackern des bläulichen Lichts konnte er nichts mehr bemerken. Die schmale Sichel des Mondes begleitete ihn ...Der Turm stand einsam mitten im Wald am Rande der Stadt, gerade so als sei er herrenlos; sozusagen verlassen von seinen Erbauern und Besitzern. Schwere Quader aus dunklem Basalt, offenbar behauen in mühsamer Handarbeit, waren aufeinander geschichtet worden, um das Bauwerk in die Höhe zu treiben. Seine drei, scharf voneinander durch eine quer geschichtete Lage flacherer, schieferartiger Steine getrennten Stockwerke verjüngten sich nach oben.Obwohl der Turm massig und trotzig dastand, die Eichen ringsum vermochte er nicht zu beeindrucken. Sie überragten ihn um Etliches und sahen fast mitleidig auf seine oberste Plattform herab, die aussah, als sei die Spitze abgesägt worden. So vermittelte der Turm den Eindruck, als sei er nicht ganz fertig gebaut worden, als habe man während der Bauarbeiten einfach damit aufgehört. Eigentlich wirkte er dabei nicht wie eine Ruine, vielmehr wie unvollendet, also nicht ganz fertig gebaut.Jeder der den Turm sah – der Förster, ein Wanderer, die Pilz- und Kräutersammler –, jeder hatte spontan den Eindruck, ein unbewohntes Gebäude mit winzigen Fensterluken vor sich zu haben; doch das war ein grundlegender Irrtum, der auf Augenschein beruhte. Denn hier gab es sehr wohl Bewohner, die freilich ein Dasein besonderer Art pflegten.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 132

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Moonlight Romance – 4 –

Turm der Dämonen

Da ist der Teufel mit im Spiel!

Georgia Wingade

Sein Blick war während des Sturzes nach oben gewandert, das Gemäuer des Turmes entlang. Und da! In einer der schmalen Fensternischen glaubte er ein Licht aufflackern zu sehen, einen bläulich zuckenden Lichtschein, der – einem Irrlicht gleich – hin und her flackerte, um abrupt zu verlöschen und sogleich wieder aufzuflammen. Das Ganze war absolut gespenstisch, insbesondere, da der Schein der Abendsonne verloschen war und dem sanften Anthrazit der Nacht Platz gemacht hatte. Er stemmte sich hoch und achtete darauf, seine linke Hand nicht zu belasten. Es tat höllisch weh, er merkte, wie das Gewebe anschwoll. Er musste die Verletzung möglichst rasch mit einem schmerzlindernden und abschwellenden Gel behandeln. Sein Rückzug vom Turm geschah mit aller Vorsicht, denn noch einmal wollte und durfte er nicht stürzen. Immer wieder schaute er sich um, doch außer einem einmaligen Aufflackern des bläulichen Lichts konnte er nichts mehr bemerken. Die schmale Sichel des Mondes begleitete ihn ...

Der Turm stand einsam mitten im Wald am Rande der Stadt, gerade so als sei er herrenlos; sozusagen verlassen von seinen Erbauern und Besitzern. Schwere Quader aus dunklem Basalt, offenbar behauen in mühsamer Handarbeit, waren aufeinander geschichtet worden, um das Bauwerk in die Höhe zu treiben. Seine drei, scharf voneinander durch eine quer geschichtete Lage flacherer, schieferartiger Steine getrennten Stockwerke verjüngten sich nach oben.

Obwohl der Turm massig und trotzig dastand, die Eichen ringsum vermochte er nicht zu beeindrucken. Sie überragten ihn um Etliches und sahen fast mitleidig auf seine oberste Plattform herab, die aussah, als sei die Spitze abgesägt worden. So vermittelte der Turm den Eindruck, als sei er nicht ganz fertig gebaut worden, als habe man während der Bauarbeiten einfach damit aufgehört. Eigentlich wirkte er dabei nicht wie eine Ruine, vielmehr wie unvollendet, also nicht ganz fertig gebaut.

Jeder der den Turm sah – der Förster, ein Wanderer, die Pilz- und Kräutersammler –, jeder hatte spontan den Eindruck, ein unbewohntes Gebäude mit winzigen Fensterluken vor sich zu haben; doch das war ein grundlegender Irrtum, der auf Augenschein beruhte. Denn hier gab es sehr wohl Bewohner, die freilich ein Dasein besonderer Art pflegten.

Und diese Bewohner wollten nichts weiter, als in Ungestörtheit die Zeit zu verbringen. Bis es soweit war, aus diesem Dasein auszubrechen. Hin zu einem neuen Sein. Ein spirituelles Sein, das Ziel aller wandernden Seelen.

*

Als der Motor des Kleinwagens zu stottern begann, hatte Susi Wolff gerade Bayreuth verlassen, wo sie in einem Buchladen aktuelle Neuerscheinungen begutachtet hatte. Sie war eine begeisterte Leserin von Sachbüchern historisch-sozialer Natur und immer auf der Suche nach Regionalliteratur, die das Fichtelgebirge und seine Bewohner – Tiere und Menschen – zum Thema hatten. Nachdem sie die Antiquariate abgeklappert hatte, wo sie relativ preiswert hatte einkaufen können, musste sie sich nun neue Bücher im Buchladen besorgen; leider zu einem Preis, für den ihr Geldbeutel manches Mal zu schwach bestückt war.

Sie war an diesem Samstag Mitte Juni zeitig aus Marktredwitz losgefahren und hatte in der Festspielstadt in einer bürgerlichen Gaststätte so früh am Tage zu Mittag gegessen, dass ihr noch genügend Zeit blieb für ihre Jagd nach einschlägigen Neuerscheinungen.

Seit gut zweieinhalb Monaten war sie nun in der Privatbank Dr. Reiser & Compagnon zu Marktredwitz angestellt und fühlte sich in dem Städtchen alles in allem sehr wohl. Ihre kleine Wohnung, von der Bank gestellt, lag zentral und war mit dem 70 Quadratmetern groß genug für ihre bescheidenen Ansprüche und ihre Schätze, hauptsächlich Bücher.

Dazu kam eine kleine Sammlung von Siebdrucken und anderen Druckgrafiken; sie alle hatten zum Thema den Baum in all seinen Erscheinungsformen: Im eigentlichen Wald, aber auch freistehend auf der Wiese, neben dem Feld zusammen mit einem Marterl, oder als Baumgruppe. Dabei waren ihr alle Bäume gleich wichtig, jeder hatte seine Persönlichkeit, die je nach Alter bereits mehr oder weniger stark ausgeprägt war. Und da das ihrer Meinung nach einfach mit dazu gehörte, bemühte sie sich, schon von weitem in der freien Natur, aber auch in den Gärten, zu erkennen, ob es sich um eine Birne, eine Kirsche oder um eine Esche handelte. Manchmal freilich stand sie zunächst vor einem Rätsel, wenn sie etwa einen Nadelbaum entdeckte, der so gar nicht in die heimische Waldlandschaft zu passen schien. So hatte sie erst kürzlich am Waldrand unweit des Schneekopfes einen Mammutbaum aufgespürt. Die Frage, wie er dahin gekommen sein mochte, war freilich nicht zu beantworten.

Die markanten Silhouetten sagten viel aus über das Wesen der Bäume, ihr Alter und die vergangenen Jahre, ob sie nun günstig für den Wuchs waren oder eher nicht. Sie hatte sich schon einmal überlegt, ob sie als Kandidatin in einer Fernsehshow auftreten sollte – dieses Thema war so diffizil, es dürfte wenige geben, die sich darin wirklich gut auskannten.

Jedes Blatt dieser Sammlung zeitgenössischer Künstler hatte sie sich quasi vom Munde abgespart, hatte oft auf aufwendigere Kleidung verzichtet, um sich den begehrten Druck leisten zu können. Einige dieser Grafiken waren inzwischen von erheblichem Wert, hatten eine grandiose Wertsteigerung erfahren wie etwa eines ihrer Lieblingsmotive: Eine in hellem Blau gehaltene Wolkenlandschaft über einem alleinstehenden Baum auf weiter kahler Fläche – sie hatte sofort erkannt, dass es sich um eine Wildkirsche, eine sogenannte Vogelkirsche, handeln musste. Der Künstler, Arnd Maibaum, hatte eine besondere Beobachtungsgabe; trotz aller Abstrahierung und Reduzierung der Details war alles Wesentliche auf dem Blatt festgehalten worden. Ein Meisterwerk in ihren Augen!

Auch bei dieser Einkaufstour hatte sie nicht widerstehen können und ein Blatt eines ihr bis dato unbekannten Künstlers erworben: Rainer Schorm hieß er, und seine Grafik zeigte eine phantastische Landschaft, angesiedelt in einem ungenannten Land, dominiert von einer gewaltigen Eiche, die ihre Zweige weit über den Himmel spannte. Das Ganze in hellen, fast grellen Farben, die aber in einer seltsam berührenden Harmonie zueinanderpassten. Gewiss war das eine gewagte Komposition, aber sie war gelungen.

Sie hatte das Blatt einfach kaufen müssen; der schicke Mantel, den sie in dem Modegeschäft in Bayreuth erblickt und den sie eigentlich hatte erwerben wollen, hatte warten müssen. Der Kauf eines solchen Kunstwerkes ging einfach vor, mochte sie auch so manche ihrer Kolleginnen in der Bank für verrückt erklären.

Nun aber verweigerte ihr alter VW seine Dienste, war einfach stehen geblieben. Als sie den ADAC anrief, erhielt sie zur Antwort, es könne eine halbe bis eine ganze Stunde dauern, ehe der Pannendienst bei ihr sein würde. Also musste sie warten. Sie saß im Auto und blätterte in den erstandenen Büchern, als es an die Scheibe klopfte.

Sie schrak aus ihrer Versunkenheit auf und erblickte ein junges männliches Gesicht, das sie durch das Fenster anlächelte. Sie kurbelte die Scheibe herunter, denn einen elektrischen Fensterheber besaß ihr angejahrtes Töfftöff noch nicht.

»Hallo«, sagte das fremde Gesicht. »Ich bin Harry. Kann ich Ihnen helfen?«

Sie erwiderte das Hallo und stieg aus. »Mein Käfer will nicht mehr. Verstehen Sie etwas von Autos.«

»Oh, nein, bitte nicht. Ein Auto ist für mich ein Gebrauchsgegenstand, ich bin schon froh, wenn ich es ohne Beanstandungen durch den Verkehr bekomme.«

Er deutete hinter ihren VW, wo sein unwesentlich jüngerer Japaner wartete. »Immerhin, der meine läuft noch. Wo müssen Sie hin?«

»Nach Marktredwitz.« Sie antwortete zögernd, denn wer wollte schon in diese gottverlassene Gegend mitten im Fichtelgebirge.

»Fein!«, sagte er zu ihrer Überraschung. »Das ist auch mein Ziel. Sagen Sie dem ADAC Bescheid, damit er Ihren Wagen dorthin abschleppt, am Ortseingang ist eine Werkstatt. Morgen, nein halt!, am Montag können Sie sich dann darum kümmern. Ich hoffe, es ist nichts Gravierendes!«

Gesagt, getan. Innerhalb von noch nicht einmal zehn Minuten saß Susi im Wagen des freundlichen jungen Mannes, nachdem sie ihre Einkäufe umgeladen hatte. Jetzt erst dachte sie daran, sich dem netten Helfer vorzustellen.

»Susanne Wolff, genannt Susi. Ich bin erst seit kurzem in Marktredwitz. Arbeite in der Bank.«

Harrys Blicken konnte man entnehmen, dass ihm gefiel, was er da neben sich sah. Diese Susi war von mittlerer Größe, hatte ein offenes, klares Gesicht mit hellwachen Augen. Ihre dunkelblonden, offenbar nicht getönten Haare trug sie kurz geschnitten; die Stupsnase gab dem Gesicht etwas Vorwitzig-Freches. Ein erfrischendes Gesicht und – vermutlich – ein erfrischendes Wesen. Kurz: Sie gefiel ihm.

Umgekehrt war Susi durchaus angetan von dem, was sie sah. Harald Schmitt, so hatte er sich kurz präsentiert, Student der Volkskunde, auf der Jagd nach Material für seine Doktorarbeit über »Mythen deutscher Mittelgebirge, dargestellt am Beispiel des Fichtelgebirges«.

Harry war von schlanker, eher leptosomer Gestalt, sein Körper schien kein Gramm Fett zu besitzen, alles sah nach Sehnen und Muskeln aus. Seine wenig geordneten Haare bildeten einen wilden Schopf in Dunkelbraun, seine ebenso braunen Augen beobachteten offensichtlich scharf und genau, sein Gesicht strahlte eine gewisse Ruhe aus, die trotz seiner lediglich 26 Jahre auf eine gewisse charakterliche Reife schließen ließ.

Dass er mit seinem Studium eventuell später nur schwer einen Job finden würde, schien ihn nicht zu stören. Nun, dachte Susi, nur wer an sich glaubt, kann so etwas durchziehen. Und auch nur dann ergibt sich auch eine berufliche Perspektive.

Die Fahrt verlief problemlos, die beiden hatten ein unverbindliches, die gegenseitige Sympathie aber förderndes Gespräch über dies und das; als Harry die junge Bankangestellte vor dem Haus absetzte, in dem sich ihre Wohnung befand, war sowohl für ihn als auch für sie sonnenklar, dass man sich wiedersehen wollte. Der gegenseitige Austausch der Handy-Nummern war da eine Selbstverständlichkeit. Obwohl Harry anbot, Susis Einkäufe noch nach oben zu tragen, lehnte sie diese Hilfestellung ab; das ging ihr denn doch etwas zu schnell.

*

Alois Pierbichler fühlte eine seltsame Unruhe in sich, eine Unruhe, die er sonst an sich nicht kannte. Irgendetwas lag in der Luft, so kam es ihm vor, etwas Seltsam-Unbekanntes würde geschehen, das spürte er. Doch was es war, konnte er nicht lokalisieren.

Anna, seine Frau, die sehr wohl merkte, dass ihren Mann irgendetwas beschäftigte, wusste aber andererseits, dass nichts besser wirkte als ein Gang an der frischen Luft.

»Warum nimmst du nicht Hasso und drehst deine Runde im Wald?«, fragte sie den 76-jährigen, der auf ihren Vorschlag sofort positiv reagierte.

Das war es. Er musste in den Wald. Pierbichler war mit einem Mal felsenfest davon überzeugt, dass seine Anwesenheit am Turm gefragt war. Er spürte eine heimliche Unruhe, die ihn immer befiel, wenn etwas Unerwartetes, etwas Neues oder etwas bekanntermaßen Unangenehmes zu erwarten war. Manchmal freilich erwies sich diese Unruhe als unnötig, denn es geschah nichts weiter; oft genug freilich wurde bewiesen, dass ein Grund zur Beunruhigung vorlag.

Seit nunmehr 15 Jahren, also seit seiner Pensionierung als Postbeamter, war er ehrenamtlicher Hüter des einsamen Turmes im Wald, verantwortlich dafür, dass er nicht beschädigt wurde und niemand sich an diesem Gemäuer in irgendeiner Weise zu schaffen machte. Dem Landesamt für Denkmalkunde erstattete er alle drei Monate Bericht, über eventuelle Vorkommnisse oder Auffälligkeiten rund um den Turm.

»Turm der Dämonen« nannten die Leute in Marktredwitz das alte Gemäuer, Leute, die keine Ahnung davon hatten, was dieser Turm eigentlich bedeutete. Denn er war ein historisches Dokument jener Zeiten im Dreißigjährigen Krieg, als auch hier in der waldreichen Gegend die Soldateska hauste und viele unschuldige Frauen und Kinder zu ihren Opfern wurden.

Alois Pierbichler hatte sich in seiner Freizeit schon frühzeitig mit den damaligen Geschehnissen des 17. Jahrhunderts beschäftigt – er wusste Bescheid, ganz im Gegensatz zu den anderen, die von den Dämonen in dem Turm faselten. Schwätzer waren das, die überall etwas hineingeheimnissten.

Nach gut einer halben Stunde sah der Postpensionär den Turm schon von weitem. Umrahmt von den alten Eichen und einigen anderen nachgewachsenen Laubbäumen wie Ebereschen und Birken, stand das Gemäuer trutzig auf der kleinen Anhöhe, als wollte es die Umgebung überwachen.

Wie immer während seines Waldspazierganges, hatte Pierbichler Hasso von der Leine gelassen, folgte dieser doch aufs Wort, auch wenn der zuständige Revierförster schon mehrfach gedroht hatte, den Schäferhundrüden abzuschießen, sollte er ihn beim Wildern erwischen. Doch Alois Pierbichler sah keine Gefahr, denn Hasso folgte aufs Wort, zumindest ihm, denn bei Anna war er sich dessen nicht so sicher.

Auffällig war, dass Hasso – was er noch nie gemacht hatte – den Turm in lauernder Haltung umkreiste. Und das mehrfach, wobei er auf Pierbichlers Pfiffe einfach nicht reagierte – ein Verhalten, wie es Herrchen von seinem geliebten Hasso nicht kannte. Schließlich ließ er sich unmittelbar vor der verrammelten Tür nieder, hechelte kurz, ehe der den Kopf wachsam auf die Vorderpfoten legte. Offenbar in Beobachtung der Dinge, die da eventuell passieren konnten.

Pierbichler war irritiert. Was war los mit Hasso? Und was war anders an diesem Turm, den er schon so oft gesehen hatte? Seinerseits umrundete er nun das Gebäude, ohne dass ihm an dem Gemäuer irgendeine Änderung aufgefallen wäre.

Daraufhin richtete er sein Augenmerk auf die Umgebung und entdeckte endlich eine Variante des bisherigen Anblicks: Eine der mächtigen Eichen, die rings um den Turm herumstanden, war dabei umzufallen, drohte zusammenzubrechen, offenbar von innen heraus ausgehöhlt – vielleicht angefault. Oder aber ein Baumschwamm hatte sich ins Holz gesetzt. Der mächtige Stamm neigte sich in Richtung des Turms und drohte auf ihn draufzustürzen.

Pierbichler griff zum Handy. Manchmal hatte man von hier aus keinen Empfang, es gab ein temporäres Funkloch, doch diesmal gelang die Verbindung. Der Revierförster bedankte sich für die Information und versprach, einen Trupp Waldarbeiter zu schicken, die sich des maladen Baumes annehmen würden.

Zufrieden steckte der Postbeamte a. D. sein Handy weg. Er hatte im Sinne seines Ehrenamtes gehandelt, der Turm würde unbeschadet bleiben. Dennoch spürte er eine wachsende Unzufriedenheit, eine Sorge, mit dem Gebäude könnte etwas nicht stimmen, oder aber, es würde etwas Schreckliches geschehen. Er meinte, eine Stimme im Kopf zu vernehmen, die ihn mit leiser, kaum wahrnehmbarer Stimme vor einer zukünftigen Katastrophe warnte.

Unsinn!, sagte er sich, da ist nichts. Und das mit dem Baum ist auch geregelt. Er pfiff Hasso, der nun wieder folgsam angetrottet kam und setzte seinen Waldspaziergang fort.

Es war so schön hier! Er atmete tief die würzige Luft ein. Vielleicht sollte er doch öfter hier vorbeischauen …

*

Pater Anselmus vom Kloster Sankt Ludwigstein war verwirrt. Vor einigen Jahren war er eingesetzt worden als Verwalter des ziemlich verwahrlosten Klosterarchivs und hatte seit einiger Zeit begonnen, die Bestände des Archivs systematisch zu ordnen. Das war eine Heidenarbeit, denn in den Räumen lag alles ziemlich wahllos durcheinander. Lediglich die Regale mit den Gesangbüchern und den verschiedenen Ausgaben der Heiligen Schrift, in Griechisch, Latein oder auch in deutscher Übersetzung, waren einigermaßen anschaulich gefüllt.

Nachdem er zunächst versucht hatte, eine Ordnungssystematik für die Bücher, Dokumente und sonstigen Bestände zu erstellen, nach der er eine übersichtliche und arbeitserleichternde Gliederung in den zwei Archivzimmern vornehmen wollte, war er nun dabei, sich selbst eine grobe Übersicht über das Vorhandene zu verschaffen.

Dabei war es unumgänglich, in die dickleibigen Schwarten, die gebräunten Pergamente, die von Feuchtigkeit und Staub angefressenen Dokumente hineinzuschauen, um deren Inhalte zu ergründen, nach denen sie sortiert werden mussten. Das brauchte Zeit und er kam nur sehr langsam voran, was andererseits den Vorteil hatte, dass er deswegen nicht zu den unumgänglichen täglichen Verrichtungen für die Allgemeinheit im Kloster herangezogen werden konnte.

Seit nunmehr zwei Tagen hatte er sich in einer dickleibigen Chronik festgelesen, die sich seltsamerweise »Chronologia regionalis futurae mysterica« nannte, ein Titel, mit dem er zunächst rein gar nichts hatte anfangen können. Doch je mehr er sich darin vertiefte, umso mehr wurde er gefangen genommen vom Inhalt des Buches. Einem ungewöhnlichen Inhalt, wie er sehr schnell feststellen musste.