Moralisches Versagen. Psychologische Ursachen und ihre Implikationen für die moralische Praxis - Sven Ahlers - E-Book

Moralisches Versagen. Psychologische Ursachen und ihre Implikationen für die moralische Praxis E-Book

Sven Ahlers

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Beschreibung

Bachelorarbeit aus dem Jahr 2013 im Fachbereich Philosophie - Praktische (Ethik, Ästhetik, Kultur, Natur, Recht, ...), Note: 1,0, Universität Bayreuth (Institut für Philosophie I), Sprache: Deutsch, Abstract: Die vorliegende Arbeit untersucht das Phänomen des moralischen Versagens, welches definiert wird, als das Scheitern eines Individuums gemäß seiner bewusst gehaltenen moralischen Überzeugungen zu handeln. Dazu greift die vorliegende Arbeit auf die Ergebnisse eines Forschungsfelds zurück, das in den vergangenen Jahrzehnten das Interesse unterschiedlicher Disziplinen auf sich zog. So beschäftigen sich u.a. Evolutions-biologen, Kognitionswissenschaftler, Neurowissenschaftler, Sozialpsychologen und vermehrt auch Philosophen mit den Ursprüngen und Mechanismen moralischen Denkens und Handelns – der Moralpsychologie. Im Folgenden wird versucht einen systematischen Überblick über die, für die Untersuchung moralischen Verhaltens, relevante moralpsychologische Forschung zu geben. Dazu wird das komplexe Konstrukt ‚moralisches Verhalten‘ gemäß moralpsychologischer Forschungsschwerpunkte in vier Themenabschnitte unterteilt. Als Ausgangspunkt wird die Bedeutung mentaler Prozesse für moralisches Handeln diskutiert. Dazu wird in Abschnitt 2 zunächst der entwicklungspsychologische Ansatz Lawrence Kohlbergs mit seinem Fokus auf bewusstem moralischem Denken vorgestellt. Kohlbergs Arbeit wird dann in Abschnitt 3 mit der Arbeit Jonathan Haidts konfrontiert, die einen gegensätzlichen Fokus auf unbewusste moralische Intuitionen legt. Anschließend wird darauf aufbauend in Abschnitt 4 die Verbindung zwischen moralischen Überzeugungen und moralischem Verhalten näher betrachtet. Auf Basis der neurowissenschaftlichen Arbeiten Antonio Damasios und seiner Kollegen wird dazu die Natur moralischer Motivation untersucht, wobei insbesondere auf die Rolle moralischer Emotionen eingegangen wird. Unter Einbezug klassischer sozialpsychologischer Studien wird in Abschnitt 5 abschließend der Einfluss moralischer Situationen auf moralisches Verhalten untersucht und die Verbindung zu den vorherigen Ergebnissen diskutiert. In jedem der genannten Abschnitte werden Ursachen moralischen Versagens gesondert identifiziert und im Anschluss Vorschläge diskutiert, wie sich die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten moralischen Versagens mindern lässt.

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Inhaltsverzeichnis

 

1. Einleitung

2. Moralisches Denken

2.1 Der kognitiv-entwicklungspsychologische Ansatz

2.2 Moralisches Versagen und moralische Praxis

3. Moralische Intuitionen

3.1 Social Intutionist Model

3.2 Funktionsweise moralischer Intuitionen

3.2.1 Heuristiken

3.2.2 Priming

3.2.3 Diskussion

3.3 Moralisches Versagen

3.4 Implikationen für die moralische Praxis

4. Moralische Motivation

4.1 Studien über VMPFC-Patienten

4.2 Funktionsweise moralischer Emotionen

4.2.1 Moralischer Ekel

4.2.2 Kulturabhängigkeit moralischer Emotionen

4.2.3 Diskussion

4.3 Moralisches Versagen

4.4 Implikationen für die moralische Praxis

5. Moralische Situationen

5.1 Psychologischer Situationismus

5.2 Moralisches Versagen und moralische Praxis

6. Zusammenfassung

7. Literaturverzeichnis

 

1. Einleitung

 

Im Ort war es völlig still. Die Männer des Reserve-Polizeibataillons 101 kletterten von ihren LKWs und sammelten sich im Halbkreis um Major Wilhelm Trapp, einen dreiundfünzigjährigen Berufspolizisten, den seine Untergebenen liebevoll »Papa Trapp« nannten. […] Trapp war bleich und nervös, hatte Tränen in den Augen und kämpfte beim Reden sichtlich darum, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Das Bataillon stehe vor einer furchtbar unangenehmen Aufgabe, erklärte er mit tränenerstickter Stimme. […] Die Juden hätten den amerikanischen Boykott angezettelt, der Deutschland geschadet habe, soll Trapp der Erinnerung eines beteiligten Polizisten nach gesagt haben. […] Das Bataillon habe nun den Befehl, diese Juden zusammen zu treiben. Die Männer im arbeitsfähigen Alter sollten dann von den anderen abgesondert und in ein Arbeitslager gebracht werden, während die übrigen Juden – Frauen, Kinder und ältere Männer – vom Polizeibataillon auf der Stelle zu erschießen seien. Nachdem Trapp seinen Männern auf diese Weise erklärt hatte, was ihnen bevorstand, machte er ein außergewöhnliches Angebot: Wer von den Älteren sich dieser Aufgabe nicht gewachsen fühle, könne beiseite treten.[1]

 

Nach einer kurzen Bedenkzeit traten nur ein Dutzend der rund 500 Reservepolizisten hervor und gaben ihr Gewehr ab. Im Verlauf des 13. Juli 1942 wurden in dem polnischen Dorf Józefów mindestens 1500 Juden erschossen.[2]

 

In seiner sorgsam recherchierten Fallstudie über die Männer des Reserve-Polizeibataillons 101 kommt der Historiker Christopher Browning zu dem Schluss, dass es sich bei den Männern, die am 13. Juli das Angebot ihres sichtlich verzweifelten Majors ausschlugen, nicht um überzeugte Antisemiten oder abgestumpfte Tötungsmaschinen handelte. Das Bataillon setzte sich aus Männern um die 40 Jahre zusammen, die für die Wehrmacht als untauglich befunden wurden und bislang keinerlei militärische Auseinandersetzung erlebt hatten.[3]Die prägenden Jahre ihrer Sozialisation lagen aufgrund ihres Alters vor der NS-Zeit. Zudem kamen sie aus Hamburg, das unter den deutschen Großstädten am wenigsten nationalsozialistisch geprägt war und aus einer Schicht, der eine antinationalsozialistische Kultur zu Eigen war.[4]Nach den ersten Erschießungen fingen viele der Männer an zu weinen, übergaben sich oder zeigten andere Anzeichen starker psychischer Belastung. Zahlreiche baten um Ablösung oder versuchten sich anderweitig der Teilnahme an weiteren Exekutionen zu entziehen.[5]

 

Unterstellt man auf Basis der Charakterisierung Brownings, dass diese ganz normalen Männer auch ganz normale Moralvorstellungen besaßen, die das willkürliche Töten von Zivilisten missbilligten, so kann man das Verhalten der Reservepolizisten als moralisches Versagen bezeichnen. Wie ist das moralische Versagen fast aller Männer des Reserve-Polizeibataillons 101 zu erklären? Kann derartiges moralisches Versagen verhindert werden?

 

Um dieses Phänomen strukturiert bearbeiten zu können, ist es nötig den Begriff des moralischen Versagens zunächst einzugrenzen. Im Folgenden wird moralisches Versagen definiert als das Scheitern eines Individuums gemäß seiner bewusst gehaltenen moralischen Überzeugungenwerdengungenen Gründensie als nicht gewollt betrachtet.n

 

 für moralisches Versagen abzuleiten und ugungen und Verhalten, und dzu handeln.Moralische Überzeugungen werden hierbei als generelle Überzeugungen darüber verstanden, ob eine spezifische Handlung aus moralischer Sicht gebilligt oder abgelehnt werden sollte; wobei außer Acht gelassen wird, wie diese Überzeugungen erworben wurden. Sie sind bewusst gehalten, wenn das Individuum selbst davon ausgeht, dass es über sie verfügt und sie Geltung für das eigene Handeln besitzen.

 

Um moralisches Versagen, wie es hier umrissen wurde, zu untersuchen greift die vorliegende Arbeit auf die Ergebnisse eines Forschungsfelds zurück, das in den vergangenen Jahrzehnten das Interesse unterschiedlicher Disziplinen auf sich zog. So beschäftigen sich u.a. Evolutionsbiologen, Kognitionswissenschaftler, Neurowissenschaftler, Sozialpsychologen und vermehrt auch Philosophen mit den Ursprüngen und Mechanismen moralischen Denkens und Handelns – der Moralpsychologie.

 

Im Folgenden wird versucht einen systematischen Überblick über die, für die Untersuchung moralischen Verhaltens, relevante moralpsychologische Forschung zu geben. Dazu wird das komplexe Konstrukt ‚moralisches Verhalten‘ gemäß moralpsychologischer Forschungsschwerpunkte in vier Themenabschnitte unterteilt.

 

Als Ausgangspunkt wird die Bedeutung mentaler Prozesse für moralisches Handeln diskutiert. Dazu wird in Abschnitt 2 zunächst der entwicklungspsychologische Ansatz Lawrence Kohlbergs mit seinem Fokus auf bewusstem moralischem Denken vorgestellt. Kohlbergs Arbeit wird dann in Abschnitt 3 mit der Arbeit Jonathan Haidts konfrontiert, die einen gegensätzlichen Fokus auf unbewusste moralische Intuitionen legt. Anschließend wird darauf aufbauend in Abschnitt 4 die Verbindung zwischen moralischen Überzeugungen und moralischem Verhalten näher betrachtet. Auf Basis der neurowissenschaftlichen Arbeiten Antonio Damasios und seiner Kollegen wird dazu die Natur moralischer Motivation untersucht, wobei insbesondere auf die Rolle moralischer Emotionen eingegangen wird. Unter Einbezug klassischer sozialpsychologischer Studien wird in Abschnitt 5 abschließend der Einfluss moralischer Situationen auf moralisches Verhalten untersucht und die Verbindung zu den vorherigen Ergebnissen diskutiert. In jedem der genannten Abschnitte werden Ursachen moralischen Versagens gesondert identifiziert und im Anschluss Vorschläge diskutiert, wie sich die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten moralischen Versagens mindern lässt.

 

2. Moralisches Denken

 

Im Rahmen der kognitiven Wende[6] startete Lawrence Kohlberg 1958 ein Forschungsprogramm, das den Bereich der Moral in den kommenden Jahren als eigenständiges Forschungsfeld der Psychologie etablieren sollte. Kohlberg war aus entwicklungspsychologischer Sicht vor allem an dem Phänomen moralischen Denkens interessiert, welches er als den bewussten Prozess der Nutzung gewöhnlicher moralischer Sprache verstand.[7]

 

2.1 Der kognitiv-entwicklungspsychologische Ansatz