Mord am Haff - Frauke Scheunemann - E-Book

Mord am Haff E-Book

Frauke Scheunemann

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Beschreibung

Rasante Mörderjagd auf der Sonneninsel Usedom  Eine Einbruchserie gibt der Polizei auf Usedom Rätsel auf und versetzt die Bewohner zwischen Peenemünde und Ahlbeck in Aufregung. Selbstverständlich will Radioreporterin Franziska Mai etwas zur Auflösung der Diebstähle beitragen und wittert außerdem Stoff für ihre Sendung bei Bäderland-Radio, dem kleinen Ostsee-Lokalsender. Kommissar Kay Lorenz belächelt derweil Franzis Versuche, den Tätern eine Falle zu stellen - bis der Einbruch in einer Luxus-Feriensiedlung ein Todesopfer fordert. Nun ist Kay doch auf Franzis Hilfe angewiesen, denn diese ist ihm einen entscheidenden Schritt voraus und jagt bereits ihrer ersten Spur nach …  Der zweite Fall für Radioreporterin Franziska Mai und Kommissar Kay Lorenz

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Seitenzahl: 399

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Frauke Scheunemann

Mord am Haff

Ein Usedom-Krimi

 

 

Über dieses Buch

 

 

Mörderjagd auf der Sonneninsel Usedom

 

Eine Einbrecherbande liefert sich ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei auf Usedom, und Radioreporterin Franziska Mai wittert brisanten Stoff für ihre Sendung bei Bäderland-Radio. Kommissar Kay Lorenz belächelt ihren Versuch, den Tätern eine Falle zu stellen, genießt Franzis Gesellschaft aber viel zu sehr, um ihr das zu sagen.

Doch dann fordert der nächste Einbruch in eine Luxus-Feriensiedlung ein Todesopfer, und Mord ist Kays Fachgebiet. Er nimmt die Ermittlungen auf, nur um festzustellen, dass Franzi ihm einen entscheidenden Schritt voraus ist und bereits ohne ihn ihrer ersten Spur nachjagt …

 

Der zweite Fall für Radioreporterin Franziska Mai und Kommissar Kay Lorenz

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Die Sommer ihrer Kindheit verbrachte Frauke Scheunemann bei den Großeltern an der Ostsee und auch später blieb sie dieser Region treu: Ihr Volontariat absolvierte sie beim NDR und war dabei als Radioreporterin in Mecklenburg-Vorpommern unterwegs. Kein Wunder also, dass ausgerechnet die Ostsee in ihrer neuen Serie eine Hauptrolle spielt – nach zahlreichen Bestsellern im Komödienfach ihre Premiere im Kriminalroman. Übung darin hat sie schon: Im Kinderbuch begeistert sie mit ihrer Reihe um Detektivkater Winston kleine Krimifans auf der ganzen Welt. Frauke Scheunemann lebt mit ihrer Familie in Hamburg.

Inhalt

Widmung

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

Perseidenregen

Dank

FÜR BERND

1

»Es ist leider wie immer – die Polizei steht daneben und tut nichts!« Die Stimme der Frau droht sich zu überschlagen, so schrill und hoch ist sie schon. »Warum werden wir Bürger nicht besser vor diesen Verbrechern beschützt? Ich sage nur eins: Grenzen dicht! Dann kommt das ganze Gesocks nicht mehr rüber.« Auch diese Dame klingt sehr aufgebracht, ebenso der nächste O-Ton eines älteren Herrn, den mein Volontär Janis für unsere kleine Radioumfrage eingefangen hat. »Wenn die Polizei nicht in der Lage ist, der Sache Herr zu werden, muss sich niemand wundern, wenn die Menschen die Sache selbst in die Hand nehmen und ihr Eigentum verteidigen!«, »Notfalls mit Gewalt?«, hört man Janis nachfragen. »Notfalls mit Gewalt!«, bestätigt der Mann.

»Puh, also das können wir so nicht senden!«, sage ich. »Den am Ende musst du rausnehmen. Und die mit dem Gesocks am besten gleich mit. Geht ja gar nicht!«

»Wieso? Die sind doch krass authentisch und sagen, was sie denken!«

»Nee, zumindest der Letzte wiederholt, was du vorher gesagt hast.«

»Ich hab das nicht gesagt, ich hab ihn das gefragt!« Janis klingt beleidigt, aber das ist mir egal. Schließlich habe ich hier auch einen Ausbildungsauftrag.

»Wie kommst du überhaupt auf so eine Frage?«, will ich von ihm wissen. »Die Stimmung ist sowieso schon so aufgeheizt, willst du, dass sich die Leute mit Mistgabeln und Baseballschlägern bewaffnet vor ihre Häuser stellen? Oder an die polnische Grenze?«

Janis lacht.

»Natürlich nicht. Ich wollte ein bisschen Leben in die Umfrage bringen.«

»So ein Quatsch. Als Journalist gibst du wieder, was die Leute sagen. Du legst es ihnen nicht in den Mund, mein Lieber!«

»Ja, ja, ja … ich hab schon verstanden. Du willst das übliche langweilige Zeug.« Er seufzt. »Bloß nicht irgendwo anecken. Alles klar. Mach ich dir fertig.« Dann schaut Janis demonstrativ auf die Uhr. »Aber sag mal, wolltest du nicht eigentlich längst beim Zahnarzt sein?«

Ich werfe einen Blick auf mein Handy. 11:40 Uhr. Mist. Janis hat völlig recht. Wenn ich jetzt nicht endlich losfahre, komme ich zu spät. Trotzdem ärgere ich mich über Janis. Der will mich doch nur loswerden, um dann still und heimlich seine reißerische Version der Umfrage bei unserem Nachrichtenredakteur Markus abzugeben und über den Sender zu schicken.

»Seit wann machst du dir eigentlich solche Sorgen um meine Gesundheit?«, frage ich also spitz nach.

Janis grinst.

»Ganz einfach, ich bin abergläubisch. Und dein letzter Arztbesuch hat uns unseren ersten großen Fall beschert.«

Ich gucke verständnislos.

»Hat er?«

»Hat er. Du hattest irgendein Rückenleiden und kamst vom Doc, als Raimund das Aus für Bäderland-Radio verkündete und du die Rettungsidee mit den Problemlösern hattest. Kurz darauf standen wir neben der Leiche von Maik Peters. Erinnerst du dich nicht? Ist keine zwei Monate her.«

Ach, das meint Janis! Den Tag, an dem uns unser Wellenchef Raimund alle in Aufruhr versetzte, hab ich noch genau vor Augen. Im Konferenzraum unseres kleinen Usedomer Radiosenders gab Raimund bekannt, dass ein großer Radioverbund uns aufgekauft hätte. Mit einem Schlag hatten wir alle Angst um unsere Jobs. Würde sich Megahit-FM nur unsere Frequenz unter den Nagel reißen und unser Radio selbst dichtmachen? Ich kam damals zwar nicht vom Arzt, sondern vom Krankengymnasten, aber der Rest stimmt: Kurz nach der Katastrophennachricht hatte ich die Idee für eine neue Sendung – einer Sendung, bei der Janis und ich uns um die Sorgen und Nöte unserer Hörer kümmern würden. Meine Hoffnung: Sollten wir mit Die Problemlöser so richtig erfolgreich sein, würden uns auch die neuen Chefs weiterbeschäftigen wollen. Und so kam es dann auch, denn gleich unser erster Fall war sensationell. Gewissermaßen aus Versehen konnten Janis und ich den Mord an dem Usedomer Fischer Maik Peters aufklären, der uns kurz zuvor um Hilfe gebeten hatte. Okay, das gelang uns nicht allein, sondern mit freundlicher Unterstützung der Kriminalpolizei in Gestalt von Kommissar Kay Lorenz. Aber trotzdem waren unsere neuen Chefs so beeindruckt, dass sie das kleine Bäderland-Radio nicht gleich einstampften, sondern im Gegenteil unsere Problemlöser-Reportage auch in allen anderen Sendern des neuen Verbunds ausstrahlten. Also im wahrsten Sinne: Problem gelöst!

Seitdem sind Janis und ich ständig auf der Suche nach einem neuen Fall. In letzter Zeit ist uns allerdings eher Kleinkram ins Netz gegangen wie ein entführter Hund in Karlshagen, eingeschmissene Scheiben an der Grundschule in Zinnowitz und gestohlene Goldfische in Heringsdorf. Aber die Story, die wir jetzt am Wickel haben, hat das Potenzial für einen echten Aufreger. Seit ein paar Wochen erhitzt eine Einbruchsserie die Gemüter der Einwohner zwischen Peenemünde und Ahlbeck. Die Diebe kommen in der Nacht und haben sich offenbar auf Einfamilienhäuser spezialisiert. Stets scheinen die Kriminellen genau zu wissen, wann keiner zu Hause ist, dann schlagen sie schnell und erbarmungslos zu und räumen alles raus, was irgendwie wertvoll ist. Touristen, Einheimische – niemand scheint vor ihnen sicher zu sein, die Polizei hat nicht den Hauch einer Spur, geschweige denn eine heiße.

Eigentlich beste Ausgangsvoraussetzungen für Die Problemlöser. Eigentlich. Denn trotz des Aufruhrs hat sich noch niemand direkt an uns gewandt, stattdessen werden die Rufe lauter, dass sich die Bürger von Usedom doch selbst verteidigen sollten. Stichwort Mistgabel. Also müssen Janis und ich nun aktiv werden und uns der Sache annehmen. So kamen wir auf die Idee mit der Umfrage. Um die ich mich nach meinem Zahnarzttermin kümmern werde.

»Weißt du was«, sage ich zu Janis, »die Umfrage kann warten, bis ich wieder da bin. Eine kleine Füllung wird nicht die Welt dauern. Du machst den Beitrag in der Zeit fertig, wie wir ihn besprochen haben, dann höre ich mir das Ganze noch mal an, und wir senden es heute Nachmittag.«

In Janis’ Gesicht ist die Enttäuschung deutlich zu sehen. Ich habe seinen schönen Plan durchkreuzt! Gut gelaunt greife ich mir die Handtasche, die auf unserem gemeinsamen Schreibtisch steht, werfe mein Handy hinein und mache mich auf den Weg.

Im Flur begegne ich meinem Chef Raimund.

»Ah, meine Starreporterin! Sag mal …«

»Hallo, Raimund! Können wir später sprechen? Ich bin auf dem Weg zu einem Termin«, versuche ich, mich schnell davonzumachen.

»Termin? Sehr gut! Hoffentlich bei der Kripo, um denen mal richtig auf den Zahn zu fühlen. Wie kann man nur so unfassbar erfolglos sein? Sieben Einbrüche in Folge und keine einzige verwertbare Spur! Es gab gestern schon eine Mahnwache vor dem Polizeirevier in Heringsdorf, die Leute haben die Schnauze gestrichen voll.« Er schüttelt den Kopf, dann schaut er mich wieder an. »Mit wem sprichst du bei der Kripo? Wieder mit diesem Kay Lorenz?«

»Chef, Lorenz ist bei der Mordkommission, nicht beim Einbruchsdezernat.«

»Egal. Also Franzi – mach sie fertig! Und sag mir gern, welche Ausreden sie diesmal haben. Selbst meine Frau macht sich schon Sorgen, dass wir die nächsten Opfer sind.«

Ich nicke dienstbeflissen.

»Mach ich. Sobald ich vom Zahnarzt komme. Da muss ich jetzt nämlich ganz dringend hin.«

»Bitte? Die Bürger dieser Insel leben in Angst und Schrecken, und du gehst während der Arbeitszeit zum Zahnarzt, anstatt der Polizei mal Dampf zu machen?« Bilde ich mir das ein, oder zittert Raimunds Stimme vor Empörung?

»Also erstens habe ich seit Tagen Zahnschmerzen und zweitens gehe ich in meiner Mittagspause«, verteidige ich mich. Raimund guckt immer noch grimmig. Ich stöhne. Dann muss ich wohl doch mein Ass ausspielen. »Und drittens haben wir eine Mega-Umfrage in der Mache, die die Stimmung auf der Insel sehr gut zusammenfasst.«

Bingo! Raimunds Miene hellt sich deutlich auf.

»Sendet ihr jetzt gleich um zwölf? Na gut. Aber hoffentlich mal ein bisschen zugespitzt und nicht wieder so einen ausgewogenen Krempel.«

»Nein, auf keinen Fall ausgewogen. So richtig schön auf den Punkt. Du wirst dich freuen.«

Raimund nickt zufrieden, dann geht er nach vorne zum Empfang, wo seine Assistentin Sonja sitzt. Ich hingegen stürze zurück in mein Büro.

»Janis«, rufe ich, kaum dass ich durch die Tür bin, »hast du schon neu geschnitten?«

Er schaut mich perplex an.

»Also hast du jetzt Kontrollzwang? Ich mach das schon noch. Hab mir allerdings gerade erlaubt, einen Kaffee zu trinken, du alte Sklaventreiberin!«

»Sehr gut«, seufze ich erleichtert.

»Sehr gut?«

»Ja. Wir senden deine Umfrage genau so, wie sie jetzt ist. Ruf schnell Markus an, dass da doch noch was von uns kommt, und dann lade das Teil hoch, damit er es in die Sendung verschieben kann. Ich muss los!«

*

Kurz nach zwölf stelle ich meinen Panda auf dem Parkplatz von Dr. Wagener in Bansin ab und laufe zu dem grauen Mehrfamilienhaus, in dessen Erdgeschoss sich Wageners Zahnarztpraxis befindet. Ich klingle, der Summer ertönt und schon stehe ich vor dem Empfangstresen. Die Sprechstundenhilfe Frau Malkenthin, eine resolute Dame um die sechzig, sieht mich und schüttelt den Kopf. Was ist denn mit der los? Klar, ich bin zu spät, aber doch nur zwei Minuten.

»Frau Mai, wir haben die ganze Zeit versucht, Sie zu erreichen!«, sagt sie dann vorwurfsvoll.

»Ehrlich?« Sofort wühle ich in meiner Handtasche nach meinem Handy. Tatsächlich. Vier Anrufe in Abwesenheit.

»Tut mir leid, ich hatte mein Handy anscheinend noch lautlos gestellt. Was wollten Sie denn? Hab ich den Termin falsch notiert? Hätte ich früher kommen sollen?«

»Nein, nein, alles gut. Aber leider ist der Doktor nicht da.«

Na großartig. Und dafür kassiere ich einen Anschiss von Raimund!

»Was ist denn mit Dr. Wagener?«, will ich wissen. »Ist er krank?«

»Nein, die Polizei hat vorhin angerufen. Bei ihm ist eingebrochen worden! Dr. Wagener ist sofort losgefahren, wir mussten alle Termine für ihn absagen«, ruft Frau Malkenthin und klingt ernsthaft erschüttert.

»Ehrlich? Das ist ja ein Ding!« Ist es wirklich – mein Zahnarzt ist das jüngste Opfer der Einbruchsserie! Das bietet beste Aussichten auf ein Exklusivinterview. Wobei – eine Sache leuchtet mir nicht ganz ein: »Hat Dr. Wagener denn selbst gar nichts von dem Einbruch bemerkt, oder wieso ist er heute Morgen überhaupt in die Praxis gekommen?«

Frau Malkenthin zieht die Brauen hoch, sie findet meine Frage offenbar ziemlich unangebracht.

»Frau Mai, es ist doch nicht bei ihm zu Hause eingebrochen worden, sondern in seinem Ferienhaus in Neu-Zirnow. Die Putzfrau hat es bemerkt, als sie heute das Haus nach Abreise der Feriengäste putzen wollte. Die sind gestern gefahren, und da war alles noch in bester Ordnung. Die Vermietungsagentur hat es der Polizei bestätigt.«

»Zirnow? Ist da nicht schon mal eingebrochen worden?«, frage ich. Frau Malkenthin zuckt mit den Schultern.

»Keine Ahnung.«

Neu-Zirnow ist eine ziemlich noble Ferienhaussiedlung, ganz neue Reetdachhäuser in einer hübschen Gartenanlage, direkt am Haff gelegen. Ich habe mir das Dörfchen mal zusammen mit meinen Eltern angesehen, als sie zu Besuch aus dem Rheinland waren und dort ein Dorffest gefeiert wurde. War eine Werbegeschichte des Bauträgers, aber trotzdem sehr nett. Dass sich mein Zahnarzt da ein Haus gekauft hat, bestätigt allerdings alle meine Vorurteile über seinen Berufsstand, denn nach den ausliegenden Preislisten auf dem Fest sind die Häuser in Neu-Zirnow nicht gerade Schnäppchen.

»Haben Sie die Adresse des Ferienhauses?«, will ich von Frau Malkenthin wissen. Die reißt die Augen auf.

»Wollen Sie etwa hinfahren?«

»Will ich.«

»Aber … er kann Sie dort nicht behandeln. Er hat doch seine Instrumente gar nicht dabei.«

Ich lächle.

»Missverständnis! Diesmal geht es nicht um seinen Job. Sondern um meinen. Ich muss Dr. Wagener dringend sprechen.«

Damit verwirre ich Frau Malkenthin offenbar endgültig. Sie blickt hilflos zwischen mir und ihrem Computer hin und her.

»Hm … ich weiß nicht, ob ich Ihnen seine Adresse einfach so geben kann. Das ist dem Doktor vielleicht gar nicht recht!«

»Kein Problem«, beschließe ich, die Helferin von ihrem Gewissenskonflikt zu erlösen. »Ich werde ihn schon finden. So groß ist die Siedlung nicht. Ich schaue einfach, wo der Polizeiwagen steht.«

2

Mit meiner Einschätzung lag ich ziemlich daneben. Denn es steht nicht ein Polizeiwagen vor dem hübschen weiß geschlämmten Reetdachhaus. Genau genommen sind es fünf Wagen plus ein schwarzer VW-Bus vom Team der Spurensicherung. Auf der Bank vor dem Haus sitzt tatsächlich mein Zahnarzt Dr. Wagener und ist ins Gespräch vertieft mit einer anderen alten Bekannten von mir: Janine Lamott von der Kripo in Anklam. Mit ihr hatte ich schon beim Mord an Maik Peters zu tun. Damals war sie für den Kriminaldauerdienst als erste Kripobeamtin am Tatort, warum sie jetzt hier ist, kann ich mir nicht erklären. Schließlich ist es ein ganz normaler Donnerstagmittag, der KDD als Feuerwehr der Polizei rückt um diese Uhrzeit eigentlich gar nicht aus.

»Hallo, Herr Dr. Wagener, hallo, Frau Lamott«, grüße ich die beiden freundlich, als ich auf sie zugehe. Wagener schaut mich verdutzt an, er braucht einen Moment, um mich zuordnen zu können. Janine Lamott hingegen erkennt mich sofort.

»Hallo, Frau Mai, was machen Sie denn hier?«, fragt sie wenig erfreut. »Das ist ein Tatort, ich hoffe sehr, Sie sind nur zufälligerweise hier.«

Als mein Name fällt, huscht ein Lächeln über das Gesicht von Wagener.

»Ach, Frau Mai, natürlich! Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie nicht gleich erkannt habe! Sie hätten jetzt einen Termin in der Praxis gehabt, richtig? Ich habe es heute früh in der Übersicht gesehen. Leider ist mir dann etwas dazwischengekommen.«

Lamott guckt überrascht.

»Sind Sie etwa deswegen hier?«, fährt sie mich an. Wieso ist die eigentlich so zickig? Hab ich der was getan? Ich bin mir jedenfalls keiner Schuld bewusst.

»Nein, natürlich nicht«, erkläre ich dann. »Aber als mir die Sprechstundenhilfe von Herrn Dr. Wagener erzählt hat, was passiert ist, habe ich beschlossen, mir vor Ort ein Bild von der Lage zu machen. Schließlich berichten wir auch bei Bäderland-Radio über diese beispiellose Einbruchsserie.« Dann grinse ich Lamott an und platziere eine kleine Spitze. »Zumal die Polizei bisher sensationell erfolglos ist, finden Sie nicht?«

Lamott kneift die Augen zusammen und guckt böse, Wagener hingegen nickt eifrig.

»Ja, eine Schande ist das! Jetzt sind es schon acht schwere Einbrüche in nicht mal zwei Monaten, drei davon allein hier in Zirnow. Das ist doch nicht zu fassen. Das ganze Haus haben die Verbrecher mir ausgeräumt, also wenn Sie mal gucken wollen, Frau Mai, dann gehen Sie ruhig rein.«

»Nein, das macht Frau Mai jetzt bitte nicht«, herrscht Lamott uns beide an. »Wie ich schon sagte, das ist ein Tatort, und ich kann nicht erlauben, dass Schaulustige hier herumtrampeln und möglicherweise noch Spuren zerstören.«

»Ich bin keine Schaulustige«, korrigiere ich sie, »ich bin Journalistin und mache hier genauso meinen Job wie Sie. Apropos – warum sind Sie eigentlich hier? Ich dachte, Sie seien beim KDD?«

Janine Lamott schüttelt den Kopf, ihr dunkelbrauner Pferdeschwanz wippt hin und her.

»Ich bin nicht mehr beim KDD. Ich habe letzte Woche die Leitung des Fachkommissariats übernommen, in dem auch die Bandenkriminalität verarztet wird. Deswegen bin ich heute hier. Wir gehen davon aus, dass eine Bande hinter all diesen Einbrüchen steckt.«

»Oh, eine Beförderung! Herzlichen Glückwunsch!«, sage ich. Nun muss sie tatsächlich lächeln.

»Wie man es nimmt. Vielleicht wurde auch nur ein Dummer gesucht, der die Kohlen aus dem Feuer holt. Oder in meinem Fall: eine Dumme.«

»Quatsch«, widerspreche ich. »Sie kennen doch bestimmt den alten Spruch: Wenn du willst, dass über den Job geredet wird, gib ihn einem Mann. Wenn du willst, dass er gemacht wird, frag eine Frau. Das kriegen Sie schon hin!«

Janine Lamott lacht laut.

»Der ist gut, den muss ich mir merken! Momentan bin ich bei dieser Einbruchsserie allerdings auch noch nicht viel weiter als mein Vorgänger. Dabei brauchen wir ganz dringend einen Fahndungserfolg, sonst fliegt uns das Ding hier um die Ohren. Die Usedomer kochen bereits!« Unmerklich schüttelt sie den Kopf, als könne sie nicht glauben, dass die Bürger hier so auf Ergebnisse pochen. Dann schaut sie mich direkt an. »Was sagen denn Ihre Kontakte bisher so, Frau Mai? Sie sind doch bestens vernetzt auf der Insel. Haben Sie vielleicht was läuten hören? Irgendwelche heißen Tipps für die Kripo?«

»Ich bin geschmeichelt, muss aber leider zugeben, dass wir bei Bäderland-Radio auch nicht mehr wissen. Wir haben allerdings gerade eine Umfrage dazu gemacht. Einige unserer Hörerinnen und Hörer vermuten, dass die Einbrecher von jenseits der Grenze kommen und gezielt in Deutschland auf Beutezug gehen. Können Sie diesen Verdacht bestätigen?«

Nur für den Fall, dass Janine Lamott nun etwas überraschend Sensationelles sagt, habe ich mein Handy schon mal als Aufnahmegerät klargemacht und halte es in ihre Richtung. Für spontane Zwecke reicht seine Diktierfunktion vollkommen. Lamott schaut mich überrascht an.

»Wird das jetzt ein Interview?«

Ich lächle und ignoriere diese Frage.

»Wenn Sie etwas Interessantes für unsere Hörerinnen und Hörer zu sagen haben, wäre jetzt die passende Gelegenheit dafür.«

Lamott guckt mich genervt an.

»Haben Sie mich nicht verstanden? Wir haben noch keine wirklich verwertbaren Spuren. Die Täter könnten hier aus der Gegend, aus Polen, aber auch von der Schwäbischen Alb stammen. Wir ermitteln da ganz ergebnisoffen. Und deswegen bin ich hier auf Spurensuche.«

Der O-Ton ist schon mal nicht schlecht, aber nun sagt Janine Lamott nichts mehr, sondern guckt einfach nur böse. Ich lasse mein Handy also wieder sinken.

»Spurensuche ist ein gutes Stichwort. Das ist auch einer der Gründe, warum ich hier bin«, erkläre ich und wende mich wieder an Wagener, der uns die ganze Zeit interessiert zugehört hat. »Würden Sie mir gleich ein Interview geben, Herr Doktor?«

»Selbstverständlich«, antwortet er zackig. »Wenn es der Wahrheitsfindung dient, bin ich immer dabei.«

»Vielen Dank«, sage ich artig. Und dann, ganz mutig, hake ich erneut bei Lamott nach. Schließlich ist sie nicht vor mir geflüchtet – selbst schuld, wenn ich das ausnutze!

»Frau Lamott«, sage ich mit dem freundlichsten Lächeln, das ich gerade unter meinen Gesichtszügen finden kann, »wenn Sie mir doch noch etwas Konkreteres zum Stand der Ermittlungen sagen könnten, wäre das natürlich auch ganz wunderbar.«

Die Brünette überlegt kurz, zu meiner Überraschung nickt sie dann.

»Ja, wir können uns gern nachher unterhalten. Sie geben ja sonst doch keine Ruhe. Ich bin hier noch eine halbe Stunde beschäftigt, aber dann hätte ich Zeit für ein kurzes Interview.«

»Phantastisch!«, freue ich mich. »Dann warte ich so lange. Sagen Sie einfach Bescheid, wann es losgehen kann.«

Sie nickt und geht wieder in das Haus von Wagener zurück, ich bleibe mit dem Zahnarzt vor der Tür stehen. Ich halte ihm mein Handy vor die Nase.

»Herr Dr. Wagener«, beginne ich das Gespräch, »Sie sind das jüngste Opfer einer beispiellosen Einbruchsserie hier auf Usedom. Allerdings ist nicht in Ihrem Privathaus eingebrochen worden, sondern in Ihrem Ferienhaus, richtig?«

»Ja, das stimmt. Bis gestern war es noch an Urlauber vermietet, und heute Nacht haben die Einbrecher zugeschlagen. Ich glaube, die haben das Haus genau beobachtet.«

»Es war aber nicht das erste Mal, dass in dieser Siedlung eingebrochen wurde, oder?«

»Nein, der Einbruch ist schon der dritte hier in Zirnow! Vor fünf Tagen haben sie einer Familie aus NRW die gesamte Ferienkasse, Handys, Laptops, einfach alles geklaut. Und Ende Juni haben sie im alten Teil des Ortes zugeschlagen. Da wusste man allerdings noch nicht, dass sich das zu einer Serie auswachsen würde!«

Das bringt mich zu meiner nächsten Frage.

»Ziemlich ungewöhnlich, dass sich die Verbrecher in Ihrem Fall ein leeres Ferienhaus ausgesucht haben«, wundere ich mich. »Wertvoller Familienschmuck oder große Bargeldmengen im Safe sind doch da nicht zu erwarten.«

»Haben Sie eine Ahnung«, ruft Wagener und klingt fast erbost, »mein Haus ist ja nicht einfach nur ein Ferienhaus, es ist ein Luxusdomizil! Davon gibt es in Deutschland nicht so viele, und wenn überhaupt, dann stehen die meisten auf Sylt, nicht auf Usedom. Aber meine Gäste, die suchen das Besondere. Meine Frau und ich haben das Haus äußerst exquisit eingerichtet. Allein die technischen Raffinessen haben mehrere zehntausend Euro gekostet. Ich erwähne da nur mal eine Stereoanlage vom Feinsten und einen nagelneuen OLED-Fernseher mit einem 88-Zoll-Bildschirm. Und jetzt – alles weg! Die Diebe wussten wirklich genau, was sie hier wollten. Sie haben das Haus ganz gezielt ausgeräumt. Eine echte Katastrophe!«

»Das ist natürlich schlimm«, pflichte ich ihm bei. »Aber war das Haus denn nicht besonders gesichert, wenn es so wertvoll eingerichtet war?«

»Natürlich hat das Haus eine Alarmanlage mit Bewegungsmelder und allem Drum und Dran. Ich kann mir deshalb überhaupt nicht erklären, wie das passieren konnte. Dabei hat Herr Hahn mir nach dem Einbruch letzte Woche noch versichert, dass die Sicherheitsvorkehrungen in der Siedlung noch mal verschärft werden.«

»Wer ist Herr Hahn?«, frage ich nach.

»Herr Hahn leitet den Sicherheitsdienst von Neu-Zirnow, die Alarmanlage ist direkt mit seinem Dienst verbunden. Er und seine Mitarbeiter sollten also eigentlich dafür sorgen können, dass so etwas wie heute Nacht nicht passiert.«

»Haben Sie vielleicht seine Telefonnummer?«

Wagener überlegt kurz.

»Ich müsste in meinen Unterlagen zu Hause nachgucken. Da habe ich sie bestimmt irgendwo. Sonst fragen Sie Frau Meyer, die Assistentin der Geschäftsführung hier. Die müsste sie Ihnen geben können.« Er wirft einen Blick auf seine Uhr. »So, ich muss wieder in die Praxis, damit nicht noch mehr Termine ausfallen. Rufen Sie am besten auch gleich mal Frau Malkenthin an, damit sie Ihnen einen neuen Termin geben kann. Wenn sie bei mir so schnell keine Lücke im Kalender findet, empfehle ich Ihnen meine neue Assistenzärztin. Die hat heute leider frei, aber ab morgen ist sie wieder da. Eine sehr fähige Kollegin.«

Er verabschiedet sich und geht zum Parkplatz, wo ein Porsche Panamera parkt. Warum habe ich eigentlich Politikwissenschaften und nicht Zahnmedizin studiert? Ach richtig, ich hatte einen Abischnitt von 3,7.

»So, Frau Mai, was möchten Sie denn von mir wissen?«

Janine Lamott ist aus dem Haus gekommen und steht wieder neben mir.

»Natürlich im Wesentlichen, ob die Kripo schon eine heiße Spur hat«, erwidere ich und bringe mein Handy in Stellung.

»Nein, leider nicht«, antwortet Lamott. »Die Einbrecher gehen bisher äußerst professionell vor. Es gibt kaum verwertbare Spuren am Tatort, auch wenn die Kriminaltechnik hier exzellente Arbeit leistet.«

»Und deswegen gehen Sie davon aus, dass all diese Einbrüche zusammenhängen?«

»Ja«, bestätigt sie. »Es gibt zwischen den verschiedenen Einbrüchen so viele Gemeinsamkeiten, dass wir glauben, es handelt sich um eine Serie.«

»Nämlich?«, hake ich nach. Lamott lacht.

»Ich kann Ihnen hier aus ermittlungstaktischen Gründen kein Täterwissen verraten, Frau Mai! Aber so viel schon: Es wurde bisher nur in Einfamilienhäuser eingebrochen, die Bewohner waren nie zu Hause und es gibt eine gewisse Übereinstimmung bei der Beute.«

»Aha«, rate ich, »also überwiegend teure Technik.«

»Dazu kann ich Ihnen leider nichts sagen«, erwidert Janine Lamott.

»Brauchen Sie auch nicht. Das hat mir Dr. Wagener eben erzählt.«

Ein tiefer Seufzer entfährt Frau Lamott.

»Können wir unser Gespräch ab hier vertraulich führen?«, will sie dann wissen. Dass Interviews auf einmal zu sogenannten Gesprächen »unter drei« werden, ist im Reporteralltag nicht ungewöhnlich. Es gibt immer mal wieder Interviewpartner, die Journalisten neben der offiziellen Antwort auch noch Hintergrundinformationen geben wollen, aber eben nur, wenn diese vertraulich behandelt werden. Natürlich muss man sich als Reporter nicht darauf einlassen. Das hätte allerdings zur Folge, dass so manche wichtige Quelle sofort versiegt. Also lächle ich Janine Lamott an und nicke.

»Natürlich, wenn Sie es möchten.«

Sie grinst.

»Okay, also off the record kann ich Ihnen bestätigen, dass in allen Fällen vor allem sehr teure Technik gestohlen wurde. Daneben gibt es aber noch eine zweite Kategorie, auf die sich die Einbrecher spezialisiert zu haben scheinen: wertvolle Kunstgegenstände.«

Ich ziehe die Augenbrauen hoch.

»Kunst? Verzeihen Sie, dass ich so blöd nachfrage, aber gibt es denn auf Usedom wirklich so viele Sammler?«

»Ich bin auch überrascht, aber: ja. Offensichtlich gibt es auf Usedom genug Leute, die viel Geld in Kunst investieren. Und irgendwie hat diese Bande sie aufgespürt. Der Schaden geht schon in die Millionen.«

»Wow!«, entfährt es mir. »Das wusste ich nicht. Danke für die Info!«

»Wie gesagt: extrem vertraulich. Wenn ich das morgen im Radio höre, komme ich persönlich vorbei und drehe Ihnen den Hals rum.« Wieder dieses Grinsen. Ein bisschen seltsam ist sie schon, die Frau Kommissarin.

»Schon klar«, entgegne ich. »Was mich in diesem Zusammenhang noch interessiert: Warum haben Sie mir das erzählt?«

»Sagen wir mal so: Es ist ein Zeichen meines guten Willens. Ein Vertrauensvorschuss. Vielleicht berichten Sie mir irgendwann auch mal von Ihren Rechercheergebnissen, wir könnten sicher beide davon profitieren, wenn wir uns auf dem Laufenden halten.« Sie macht eine Pause und lächelt versonnen. »Wie bei dem Fall Peters. Ihre Zusammenarbeit mit Kay Lorenz war doch sehr erfolgreich, nicht?«

»Stimmt«, bestätige ich, denn das war sie in der Tat. Janine Lamott mustert mich.

»Haben Sie eigentlich noch Kontakt zu Kay?«

»Äh, ja, also unregelmäßig, aber ja«, stottere ich, völlig überrascht von dieser Frage. »Warum?«

»Ach, nur so.«

In diesem Moment kommt ein junger Mann in einem weißen Schutzanzug aus dem Haus und läuft direkt auf die Kommissarin zu.

»Janine, kommst du mal kurz?«, spricht er sie an.

»Sofort«, antwortet sie ihm, dann dreht sie sich wieder zu mir.

»Sie sehen, ich werde gebraucht. Ich gebe Ihnen meine neue Karte, Sie können mich gern jederzeit anrufen.« Sie reicht mir eine Visitenkarte. »Noch einen schönen Tag«, verabschiedet sie sich dann und folgt dem Mann in Weiß in das Haus.

Ich sinniere noch einen Moment, warum sich Lamott nach Lorenz erkundigt hat, dann steige ich in meinen Panda und fahre zurück nach Heringsdorf.

3

»Wie finden wir heraus, wo eingebrochen wurde?«, überlege ich laut, als ich kurze Zeit später wieder an meinem Schreibtisch in der Redaktion Platz genommen habe. Janis, der mir genau gegenübersitzt, legt den Kopf schief, bevor er antwortet.

»Na, wie schon? Wie echte Journalisten? Mit Recherche? Du könntest zum Beispiel die letzten Ausgaben des Usedom Kuriers lesen. Ich glaube, die haben über jeden Einbruch sehr detailliert berichtet.«

»Haha, sehr witzig! Ich meine eher, wie kommen wir an die Kontaktdaten der Einbruchsopfer? Adressen, Telefonnummern, so etwas.« Ungeduldig trommle ich mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte. »Wir müssen jetzt mal richtig ran, sonst wird Raimund ungemütlich. Außerdem suche ich nach Verbindungen zwischen den einzelnen Einbrüchen, und da hat mir Janine Lamott schon einen entscheidenden Tipp gegeben.«

»Wer war das noch mal?«, überlegt Janis laut.

»Die Kommissarin vom Kriminaldauerdienst. So eine Jüngere mit langen braunen Haaren«, helfe ich ihm auf die Sprünge.

»Ach, die! Ja, scharfes Teil. Hübsches Gesicht und Top-Figur!«, erinnert sich Janis nun für meinen Geschmack eine Spur zu lebhaft.

»Also sooo gut sieht die nun auch wieder nicht aus«, motze ich. »Ganz hübsch, ja, aber nicht Miss World.«

»Eifersüchtig?«, erkundigt sich Janis.

»Quatsch! Warum sollte ich?«

»Weiß nicht. Du klangst irgendwie so. Obwohl du dazu überhaupt keinen Grund hast.«

Hm, stimmt schon. Kann mir eigentlich egal sein, ob er Janine Lamott heiß findet oder nicht. Aber komischerweise bin ich schlecht gelaunt.

»Ich glaube, ich habe einfach Hunger«, mutmaße ich.

»Ach genau. Du darfst jetzt wahrscheinlich zwei Stunden nichts essen, oder?«

»Ich war gar nicht beim Zahnarzt«, bringe ich meinen Voli auf den neuesten Stand. »Bei dem ist nämlich auch eingebrochen worden, und er hat meinen Termin abgesagt. Ich habe ihn daraufhin am Tatort besucht.«

»Was für ein cooler Zufall! Dann haben wir doch endlich ein Opfer für ein erstes Interview«, freut sich Janis.

»Genau. Gab es eigentlich irgendwelche Reaktionen auf deine Umfrage?«, erkundige ich mich.

»Welche Umfrage?«

Ich muss lachen. Hat Janis die etwa vergessen?

»Na, deine Umfrage wegen der Einbrüche natürlich. Darüber haben wir doch vorhin gesprochen, und du durftest sie heute Mittag senden.«

»Ach so, die meinst du«, sagt Janis und klingt dabei ziemlich zerstreut. »Ja, seit die über den Sender gegangen ist, gab es schon viel Zustimmung per Mail und in den Sozialen Medien, aber es hat sich niemand gemeldet, bei dem selbst eingebrochen wurde.«

»Kein Problem. Wir haben ja jetzt Dr. Wagener. Er war sichtlich erschüttert von dem Einbruch. Vor Ort bin ich dann auch über Janine Lamott gestolpert, die die Ermittlungen leitet. Sie hat mir im Vertrauen erzählt, dass bei allen Einbrüchen bisher teure Technik und wertvolle Kunst gestohlen wurde. Spuren gibt es aber leider so gut wie keine.«

Janis pfeift durch die Zähne.

»Okay, dann sind also echte Profis am Werk. Zumal du für Kunst vermutlich auch Profis auf der Hehlerseite brauchst, sonst wirst du den Krempel ja nicht los.«

Recht hat er, mein Auszubildender. Und das bringt mich zu meinem nächsten Punkt.

»Genau deswegen will ich mit den Opfern sprechen. Ich will wissen, wie die Bande ihre Einbruchstour geplant hat. Schließlich hängt ja nicht in jedem Haus zwischen Peenemünde und Ahlbeck ein Picasso an der Wand. Die müssen das also vorher gecheckt haben, und wir sollten schnellstens herausfinden, wie. Am besten wäre es, wenn wir möglichst viel über die Einbrüche in Erfahrung bringen könnten.«

»Also keine späte Mittagspause für dich?«, erkundigt sich Janis mitfühlend.

»So sieht es aus.«

»Du Arme! Dann nimm wenigstens den hier.« Er reicht mir einen Apfel über den Tisch. Ich bedanke mich und beiße hinein. Aua!

»Scheiße, tut das weh!«, jaule ich auf und lasse den Apfel in meinen Schoß fallen. »Ich brauche wirklich einen neuen Termin beim Zahnarzt! Und zwar gleich morgen, über das Wochenende halte ich das nicht aus.«

Janis wirft mir einen mitleidigen Blick zu und schiebt unser gemeinsames Telefon auf meine Schreibtischseite.

»Hier«, sagt er dann. »Oder soll ich für dich telefonieren?«

»Nee, geht schon. Hab die Nummer im Handy gespeichert.« Ich suche den Kontakt und habe kurz darauf Frau Malkenthin am Telefon.

»Hallo, hier ist Franzi Mai auf der Suche nach einem schnellen Ersatztermin«, erkläre ich mein Anliegen. »Die Schmerzen sind schon ziemlich unangenehm, noch heute oder spätestens morgen wäre ein Termin also gut.«

»Hallo, Frau Mai, ich schau gleich mal«, verspricht die Helferin, und ich höre, wie die Tastatur ihres Rechners klappert.

»Gleich morgen früh könnte ich Ihnen einen anbieten. Allerdings nicht beim Doktor, sondern bei seiner neuen Assistentin. Ist das für Sie in Ordnung?«

Für den Bruchteil einer Sekunde überlege ich, dass es natürlich enorm praktisch wäre, Wagener während des Behandlungstermins noch etwas ausquetschen zu können, aber dann fängt mein Backenzahn wieder an, wie wild zu pochen, und ich rufe mir ins Gedächtnis, dass ich mit einer Kiefersperre vermutlich sowieso keine besonders eloquente Interviewerin wäre.

»Morgen früh passt super«, antworte ich also. »Um wie viel Uhr?«

»7:30 Uhr«, antwortet Frau Malkenthin.

»Tipptopp, ich werde pünktlich da sein«, verabschiede ich mich. »So, das wäre geklärt. Dann mal los mit unserer Recherche. Hast du schon gegoogelt, in welchen Orten die Einbrüche bisher stattgefunden haben?«, will ich von Janis wissen.

»Klar. Bisher einer in Bansin, einer in Zinnowitz, einer in Ahlbeck und jetzt drei in Zirnow.«

»Da fehlen noch zwei«, stelle ich fest. »Es sind bisher acht Brüche.«

»Hm. Okay, dann muss ich noch mal tiefer graben. Vielleicht finde ich dabei auch die vollständigen Namen der Opfer heraus.«

»Mach das. Ich werde mir nachher Katja schnappen, die weiß bestimmt mehr.« Meine Freundin und Vermieterin Katja ist zwar selbst keine geborene Usedomerin, aber seit hundert Jahren mit Manni, dem Inselgewächs, verheiratet. Gemeinsam betreiben sie den Inseltreff, eine urige Kneipe in Bansin, die eine Einheimischenquote von mindestens 85 Prozent aufweist und daher auch eine super Informationsquelle für Usedomer Innereien ist. »Aber vorher rufe ich Kay Lorenz an und fühle dem mal ein bisschen auf den Zahn.«

»Warum das denn?«, wundert sich Janis. »Der ist doch bei der Mordkommission. Oder ist er strafversetzt worden und bearbeitet jetzt stinknormale Einbrüche?«

»Nichts von alledem. Aber so groß ist die Polizeiinspektion in Anklam nicht. Dass Janine Lamott nun die Ermittlungen leitet, wird er mitbekommen haben und die Hintergründe dazu sicher auch.« Außerdem, füge ich in Gedanken hinzu, würde ich sowieso gern mal wieder mit Kay telefonieren, und das ist doch eine gute Gelegenheit dafür.

»Lorenz«, meldet sich seine dunkle Stimme schon nach dem ersten Klingelton.

»Hallo, Kay, hier ist Franzi.«

»Franzi!« Er scheint sich über meinen Anruf zu freuen. »Das ist aber nett, dass du dich mal meldest!« Okay, er freut sich wirklich! »Was gibt’s?«

»Och, nichts Besonderes«, schwindle ich. »Ich habe heute nur deine Kollegin Lamott getroffen, und da musste ich an dich denken.«

Ein tiefes Seufzen am anderen Ende der Leitung.

»Also bist du auch an dieser unsäglichen Einbruchsgeschichte dran?«

»Na ja, ich bin Lokaljournalistin, da bleibt das nicht aus.«

»Stimmt. Ich für meinen Fall bin sehr froh, dass ich mit der Geschichte nichts zu tun habe. Die Ermittlungen verlaufen ja bisher etwas … äh … schleppend.«

»Ja, das sagte deine Kollegin auch.«

»Ach, Janine wird das schon machen, sie ist eine fachlich ausgezeichnete Kollegin. Ist gut, dass sie die Leitung übernommen hat.«

Ich überlege kurz, ob es schlau ist, Lorenz nun direkt um weitere Infos anzuhauen, entscheide mich aber dagegen. Erstens ist Kay Lorenz wirklich kein Plaudertäschchen, der einem mal eben zwischen Tür und Angel alles erzählt, was er so weiß. Zweitens würde ich Kay gern wiedersehen, denn obwohl ich mich während unseres ersten Falls ziemlich mit ihm in der Wolle hatte, ist er irgendwie ein cooler Typ. Und davon gibt es in meinem näheren Umfeld nicht so furchtbar viele. Also bin ich mal ganz mutig.

»Lust, heute Abend was mit mir trinken zu gehen?«

Kurze Pause, Kay denkt offensichtlich nach.

»Gern. Aber nur unter einer Bedingung.«

»Die wäre?«

»Wir reden nicht den ganzen Abend über die laufenden Ermittlungen meiner Kollegen.«

»Wie kommst du nur darauf? Das war nie meine Absicht!«, rufe ich empört.

Er lacht.

»Ja, ja. Also acht Uhr?«

»Gerne. Inseltreff oder Detroit-Bar?«

»Detroit-Bar.«

»Bis später«, flöte ich und lege gutgelaunt auf.

Janis wirft mir einen spöttischen Blick zu.

»Knallharte Recherche, was?«

»Selbstredend alles im Dienste der guten Sache«, versichere ich ihm. »Auch schon was Neues herausgefunden?«

»Na logo! Auf Facebook gibt es eine Gruppe mit dem schönen Namen Usedomer, wehrt euch!. Da geht es hoch her wegen der Einbrüche, und auch eines der Opfer ist sehr aktiv. Monika Ahrens heißt die Dame, ich habe ihr mal eine Freundschaftsanfrage geschickt. Vielleicht nimmt sie an, dann haben wir einen direkten Draht. Ich habe nämlich Hinweise, dass es neben der offiziellen Gruppe, in der hauptsächlich gemeckert wird, noch eine verborgene Gruppe gibt, in der die Gespräche aus der anderen Gruppe fortgesetzt werden. Da wäre ich natürlich gern dabei. Aber dafür muss ich vermutlich von einem Mitglied in die geheime Gruppe eingeladen werden.«

»Sehr gute Arbeit, Janis! Kannst du mir bitte die Artikel, die du über die Einbrüche gefunden hast, ausdrucken? Ich nehme sie mit zu Katja und Manni und horche mal, was der Inselfunk so spricht.«

»Mach ich. Die zwei anderen Einbrüche waren übrigens in Koserow und Heringsdorf. Also schon eher die großen, touristischen Orte. Bis auf Zirnow. Das fällt etwas aus der Reihe.«

Ich schüttle den Kopf.

»Würde ich so nicht sagen. In Zirnow ist nur einmal im alten Dorfkern eingebrochen worden, aber zweimal in dieser neuen Ferienhaussiedlung. Du weißt schon, Stichwort Luxus-unter-Reet, nicht Omma-ihr-klein-Häuschen.«

»Als Einbrecher würde ich es genauso machen. Also da reinmarschieren, wo was zu holen ist. Ich denke, in meiner Genossenschaftswohnung in Ückeritz bin ich safe. Vor allem, wenn die wissen, was man bei Bäderland-Radio als Volontär verdient.« Janis schnieft theatralisch, ich muss lachen.

»Du Armer! Ich lade dich morgen zum Mittagessen ein. Vorausgesetzt, ich kann dann wieder kauen.«

Nachrichtenredakteur Markus kommt in unser Büro geschlendert. Er ist unser chronischer Gute-Laune-Bär, was man vielleicht auch sein muss, wenn man hauptberuflich das Elend der Welt verkündet. Selbst der schlimmste Mordfall entlockt ihm noch ein Lächeln, weil er vermutlich im selben Moment nur daran denkt, dass er die Nachrichten nun mit einer spannenden Meldung aufmachen kann. Eine Berufskrankheit also, und zwar keine schöne!

Gerade als Markus an unserem Tisch angekommen ist, knurrt mein Magen so laut, dass es nicht zu überhören ist.

»Hunger, Frau Kollegin?«, erkundigt sich Markus prompt.

»Ja«, bestätige ich. »Ich kann momentan aber leider keine feste Nahrung zu mir nehmen, weil mein Backenzahn streikt. Gott sei Dank habe ich morgen früh einen Zahnarzttermin, danach werde ich wieder wie gewohnt zuschlagen.«

»Aha. Ich dachte schon, du machst eine Diät.«

Markus wirft mir einen schwer zu deutenden Blick zu.

»Nein, auf gar keinen Fall. Ohne Essen bin ich ungenießbar, nachher kündigt Janis noch!«, beende ich das Thema. »Was führt dich zu uns?«

»Ich wollte euch ein kleines Feedback auf die Knallerumfrage von Janis geben, nachdem ich vorhin Sonja am Empfang vertreten habe. Ich habe einige der Anrufe entgegengenommen, die eure Umfrage betrafen.«

»Aha.« Mehr fällt mir dazu nicht ein. Worauf will Markus hinaus?

»Ich sag’s mal so«, fährt er fort. »Da habt ihr ganz schön Öl ins Feuer gegossen.« Auf einmal guckt Markus nicht mehr so gut gelaunt wie sonst, mir schwant Böses. »Nieder mit dem Polackenpack! war noch eine der freundlicheren Meinungsäußerungen. Ein Teil unserer Hörerschaft scheint fest davon überzeugt zu sein, dass die Einbrecher östlich von Usedom residieren, und konnte sich ganz hervorragend mit der Dame aus der Umfrage identifizieren. Also ob das schlau von euch war, das so zu senden, weiß ich nicht.«

Oh, nein – ich hab’s ja geahnt! Hätte ich mich doch bloß nicht so von Raimund unter Druck setzen lassen.

»Tut mir leid, Markus. Da sind wir wohl über das Ziel hinausgeschossen«, entschuldige ich mich und widerstehe der Versuchung, alles auf Raimund zu schieben. Bringt ja auch nichts, schließlich habe ich den Beitrag freigegeben. »Komisch nur, dass wir gar keine bösen Mails bekommen haben«, wundere ich mich laut. »Normalerweise werden die Leute da noch viel drastischer als am Telefon.«

Janis hüstelt.

»Ein paar böse Mails waren schon dabei«, sagt er dann. »Nicht Hunderte. Aber so zwei oder drei schon. Vielleicht auch eher zehn bis fünfzehn.«

Ich fahre zu ihm herum.

»Wie bitte? Warum hast du mir nichts davon erzählt? Du hast lediglich erwähnt, dass es viel Zustimmung gab.«

»Tja, das war ein bisschen untertrieben«, murmelt Janis schuldbewusst. »Ich dachte, die Aufregung wird sich auch wieder legen, und ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst.«

Mannomann, der tickt doch wohl nicht richtig!

»Aber ich habe gar keine bösen Mails in unserem Postfach gesehen. Wo sind die denn alle?«, hake ich nach.

»Ich habe einen Extraordner dafür angelegt«, gibt Janis zu.

»Wie bitte? Du hast die Mails vor mir versteckt?«, rege ich mich jetzt richtig auf. Er nickt stumm und schiebt einen Papierstapel auf meine Seite des Tisches.

»Hier. Die schlimmsten habe ich ausgedruckt.«

Ich überfliege die ersten drei, dabei wird mir heiß und kalt. Radikale, ausländerfeindliche Beschimpfungen, natürlich alle anonym, springen mir entgegen, es scheint, als habe jemand einen Kübel Hass über unserem E-Mail-Postfach ausgekippt.

»Das ist ja schlimm!«, reagiere ich geschockt.

»Es tut mir echt leid! Ich hätte die Umfrage so nicht zusammenschneiden sollen«, sagt Janis kleinlaut.

»Nein, ich bin deine Ausbilderin. Ich hätte es so nicht senden lassen dürfen, egal, was Raimund sagt.«

»Was hat denn Raimund damit zu tun?«, erkundigt sich Markus interessiert.

»Ach, der wollte, dass wir mal richtig draufhauen. Ich wollte das nicht so groß machen, weil ich schon geahnt habe, dass das hier«, ich deute auf die ausgedruckten Mails, »passieren könnte. Aber dann fand Raimund, dass wir das bei den Problemlösern zum Topthema machen sollten, und ich hatte nichts anderes, was ich ihm stattdessen hätte anbieten können. Also bin ich eingeknickt«, gebe ich zu.

»Dann hattest du wohl mit deiner ersten Einschätzung recht«, grinst Markus. Schön, dass wenigstens einer seine gute Laune wiedergefunden hat!

»Aber jetzt ist der Zug durch den Bahnhof, das Thema klebt wie Kacke an unseren Hacken, und wir müssen uns drum kümmern«, resümiere ich. »Vielleicht können wir mit sachlicher Information etwas gegensteuern. Ich hoffe es jedenfalls.«

»Dabei wünsche ich viel Glück«, sagt Markus und trabt wieder aus unserem Büro. Als er draußen ist, atme ich tief durch und lege den Stapel mit Hass-Mails auf die Seite.

»Sehen wir mal das Positive«, sage ich so dynamisch, dass Janis ganz verschreckt guckt.

»Und das wäre?«

»Wir haben endlich wieder ein Thema, das ein richtiger Insel-Aufreger ist! Und wir sind hautnah dabei und können aus erster Hand berichten. Immerhin habe ich gerade das letzte Opfer interviewt.«

»Aha.« Janis sieht nicht überzeugt aus, also rede ich weiter.

»Und genau deswegen produziere ich jetzt einen Beitrag über den neuen Einbruch in Zeglin und bleibe dabei ganz sachlich. Wenn ich Gas gebe, kann Markus den noch in die nächsten Nachrichten mit reinnehmen. Das bringt mit Sicherheit kein anderes Medium hier auf Usedom, ich war nämlich die einzige Journalistin vor Ort. Du wirst sehen: Brandaktuelle Berichterstattung und ein sachlicher Ton müssen sich überhaupt nicht ausschließen. Im Gegenteil!«

»Wenn du meinst.«

»Ja, meine ich. Dann ist deine Umfrage schnell vergessen. Ich kann das Geschehen ein bisschen neutraler einordnen, und trotzdem sieht Raimund, dass wir dranbleiben. Eine klassische Win-win-Situation.«

Janis seufzt.

»Okay, Win-win klingt natürlich gut. Aber wie willst du das hinkriegen?«

»Wirst du schon sehen. Ich habe dafür heute zufälligerweise den perfekten O-Ton abgestaubt. Die Kommissarin ist nämlich im Gegensatz zu den fleißigen Mailschreibern überhaupt nicht davon überzeugt, dass die Bande aus Polen kommt. Ich mach mich gleich mal an die Arbeit!«

4

Nach einem langen Tag im Sender haben Katja und ich es uns in einem Strandkorb auf der Terrasse des Inseltreffs gemütlich gemacht. Die abendliche Sommersonne scheint auf unsere Füße, auf der Korbablage hat jede von uns ein Glas Weinschorle stehen – optimale Arbeitsbedingungen also. Interessiert schaut sich Katja die Liste der Einbruchsopfer an, die ich mit Hilfe von Janis’ Rechercheergebnissen erstellt habe.

»Die meisten sagen mir nichts, fürchte ich. Aber hier: Die Schusters aus Heringsdorf, die kenne ich natürlich. Manni und René haben mal zusammen auf der Werft in Wolgast gearbeitet.« Sie fährt mit dem Zeigefinger an den Namen entlang. »Monika Ahrens. Die sagt mir auch irgendwas. Und zwar nichts Positives. Aber was bloß?« Sie denkt weiter nach. »Genau! Die hat mal auf dem Amt in Ahlbeck gearbeitet, da ist sie aber dann achtkant rausgeflogen, als aufkam, dass bei ihr Baugenehmigungen gegen kleine oder größere Aufmerksamkeiten deutlich zügiger über die Bühne gingen als üblicherweise.«

»Echt? Ich dachte immer, der öffentliche Dienst in Deutschland ist völlig unbestechlich!«, sage ich überrascht.

»Nä, also Monika Ahrens hat sich damals richtig was eingesteckt, munkelt man. Es war gar nicht so leicht, ihr alle Fälle nachzuweisen, aber einem richtig großen Verfahren ist sie zuvorgekommen, indem sie eine hohe Strafe bezahlt hat.«

Ich überlege. Teure Technik und Kunstwerke, obwohl die Frau ihren Job verloren hat? Schon ein bisschen seltsam.

»Kennst du jemanden, der Kontakt zu ihr hat?«, frage ich Katja. Die zuckt mit den Schultern.

»Muss ich Manni fragen. Was möchtest du denn noch über sie wissen?«

»Ich versuche herauszufinden, ob es ein Schema bei all den Einbrüchen gab, ein Muster, nach dem die Einbrecher vorgegangen sind. Es scheint, dass die sich auf wenige, sehr teure Einrichtungsgegenstände spezialisiert haben, und ich wüsste gern, wie sie herausgefunden haben, bei wem solche Sachen zu holen sind.«

»Also ich weiß nicht«, überlegt Katja, »wenn ich das richtig erinnere, ist Monika Ahrens immer noch arbeitslos. Ich kann mir nicht vorstellen, dass bei der noch so viel zu holen ist. Aber wie gesagt: Ich frage Manni.« Sie nimmt einen Schluck Schorle, wirft dann wieder einen Blick auf die Liste und tippt auf einen der Namen.

»Baginski, Zinnowitz«, liest sie laut vor. »Bestimmt Dieter Baginski. Das ist schon ein anderes Kaliber. Bauunternehmer. Und zwar sehr erfolgreich.«

»So weit war ich auch schon«, erkläre ich Katja. Es ist ja nicht so, dass ich noch gar nicht recherchiert hätte. »Aber weißt du noch irgendetwas über ihn, das mir Google nicht sagen kann?«

Katja zieht die Nase kraus. Das macht sie gerne, wenn sie nachdenkt.

»Baginski hat ein Riesenhaus in Zinnowitz«, sagt sie dann. »Ach was, kein Haus – ein Anwesen! Die Villa Abendrot. Als wir noch den Partyservice hatten, waren wir ein paarmal dort.«

»Ihr hattet mal einen Partyservice? Das wusste ich gar nicht.« Katja und Manni sind offenbar sehr vielseitig veranlagt.

»Na ja, ich habe anfangs die Ferienwohnungen alleine gemacht. Da hatten wir den Treff noch nicht, der jetzige Gastraum war einfach das Frühstückszimmer für Feriengäste. Dann machte die Werft dicht, und Manni hatte ziemlich viel Zeit. Wir haben also umgebaut, die Kneipe eröffnet und in den ersten Jahren auch Partys beliefert. Wir mussten ja irgendwie die Pacht stemmen, und so viele Stammgäste, wie wir heute haben, hatten wir anfangs nicht. Wir haben das ganz bodenständig aufgezogen, nicht Canapés und so ein Chichi, sondern belegte Brötchen, Gulaschkanone oder auch mal ein schönes Spanferkel vom Metzger unseres Vertrauens zubereitet. Unsere Spezialität waren Themenabende, zum Beispiel Oktoberfest. Mit Deko und allem Drum und Dran. Ich habe den Service im Dirndl gemacht, und Manni stand in Lederhosen hinter der Zapfanlage.« Sie schaut verträumt in die Ferne. »Das waren schöne Jahre. Als die Kneipe besser lief, haben wir eine Zeitlang beides gemacht, aber das wurde uns dann doch zu anstrengend.«

Ich versuche, mir Manni, das norddeutsche Urgestein, in Lederhosen vorzustellen. Es gelingt mir nicht. Also steuere ich wieder auf unser Ausgangsthema zu.

»Aber noch mal zurück zu Baginski. Meinst du, dass er Kunstsammler ist?«

Katja lacht.

»Wie kommst du denn darauf?«

»Reine Neugier. Ist doch ein schönes Hobby, wenn man Kohle hat.«

»Ich habe von Kunst keine Ahnung, aber ein paar Schinken hingen da schon an den Wänden. Ob das echte Gemälde oder einfach Drucke waren, kann ich aber nicht beurteilen.«

Da geht es ihr wie mir. Ich gehe zwar gelegentlich gern ins Museum, aber eine Kunstkennerin bin ich nun wirklich nicht. Macht aber nichts, denn alles, was ich brauche, ist die Telefonnummer von Dieter Baginski. Den Rest kann er mir dann selbst erklären.

»Hast du seine Nummer noch?«

»Glaube nicht«, bedauert Katja. »Wir machen ja schon ewig keinen Partyservice mehr, ich habe die alten Unterlagen vermutlich schon weggeschmissen. Aber den findest du über Google. Baginski Bau in Zinnowitz.«

»Die Firma schon, klar. Aber ich hätte gern seine private Telefonnummer, und die wollte seine Sekretärin Janis auch nicht geben, als er seinen ganzen Charme hat spielen lassen.«

»Oje, du meinst also, ich soll diesen sehr gemütlichen Ort verlassen und nach der Nummer suchen? Und riskieren, dass in der Zeit meine Weinschorle warm wird?«

»Exakt. Den Platz halte ich dir frei, und in die Schorle kannst du doch einen Eiswürfel reinschmeißen«, grinse ich. Katja wirft mir von der Seite einen Blick zu, aber dann reckt und streckt sie sich und steht auf, um ins Haus zu gehen.

»Manni?«, höre ich sie drinnen nach ihrem Mann rufen. »Haben wir noch irgendwo die Kundenkartei von unserem Partyservice?«

Ein unverständliches Brummeln ist die Antwort. Schwer zu sagen, ob das ein Ja oder Nein sein sollte, aber als Katja nach zehn Minuten wieder vor dem Strandkorb auftaucht, hat sie einen großen Karteikasten unter dem Arm.

»Hier«, sagt sie und klingt selbst überrascht, »Manni hat das alte Schätzchen tatsächlich aufbewahrt. Wir sind erst relativ spät auf Computer umgestiegen, und ich hätte gedacht, er hat den ganzen alten Bürokrempel entsorgt. Hat er aber nicht. Den