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Eine Bäckersfrau heiratet den Fleischmeister, heimlich, in Schmargendof
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Seitenzahl: 193
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Inhaltsverzeichnis
Heimliche Hochzeit
Das Theaterleben
Die Hochzeitsreise
Monte Carlo
Wieder zu Hause
Die Bildmaler
Schaulspielkunst von Hildegard
Bildmaler Frank
Beginn der Ehekrisen
Das Bauprojekt
Intrigen
Eifersucht und Streit
Nachricht vom Präsidenten
Das Treffen
Der Kampf
Nach dem Kampf
Die Villa
? Mord?
Ende
Ein großes Aufsehen erregte die Kiezbewohner in Schmargendorf. Der Fleischermeister August Cuno hatte die Bäckersfrau Hildegard Kissinger geheiratet. Das war so schnell gegangen, niemand ahnte etwas. Obwohl viel getratscht wird, jeder vom anderen was weiß, hatten es die beiden geheimgehalten. Somit blieb keine Zeit, sich darauf vorzubereiten, oder vielleicht sogar entgegen zu wirken. Gewisse Einwände wären bestimmt vorher aufgekommen, wie die Frage, ob sie denn überhaupt zusammen passen, oder wie lange wohl die Ehe dauern würde. Die Kissinger, unbegreiflich war es nicht, aber doch hätte man es nicht gedacht, dass sie sich den August Cuno angelt. Sie ist für ihre Art als Schauspielerin bekannt gewesen. Und Cuno, obwohl kein junger Hüpfer mehr, nannte man lächelnd einen „Ehemuffel“. Er ließ sich nicht so leicht um den Finger wickeln und betören, dachte man. Dann fällt er auf so eine Frau herein, die nicht sehr beliebt war. Dass sie nicht dumm war, wusste jeder und dass sie sich den August Cuno einfängt, berechnete sie wohl kühl.
Andere Mütter und deren Töchter im Kiez hatten den Ehemuffel August Cuno nie als Heiratskandidat ins Kalkül gezogen. Selbst während der regelmäßigen Einkäufe in der Fleischerei ist es nicht einer eingefallen, eine Verbindung der eigenen Tochter mit August Cuno in Erwägung zu ziehen. August Cuno steuerte ja schon auf die vierzig zu. Er war zwar ein Charmeur und fiel mit seiner Freundlichkeit auf, aber diese Eigenschaft verschaffte ihm in der Frauenwelt keine Vorteile. Die Begeisterung der im Kiez lebenden Frauen für ihn hielt sich in Grenzen, obwohl ihm seine Erbschaft der Fleischerei Reichtum eingebracht, sein Vermögen sich ständig vermehrte und er auch andere Vorzüge hatte. Seit vielen Jahren war sein Vermögen in aller Munde. Große Aufmerksamkeit erweckten seine Reisen ins In- und Ausland und wurden in der Presse erwähnt, da er junge Talente aus der Kunstszene unterstützte und förderte aufgrund seiner Liebhaberei für alles Schöne. Dies machte ihn zu einem „Weltmann“. Er konnte zu jedem Thema etwas sagen. Man wusste vieles über ihn, aber nicht, dass die flippige Hildegard Kissinger den besonnen August Cuno zu einer Hochzeit verleiten konnte. Aber sie war ja dafür berüchtigt, gern etwas vorzuspielen.
Somit gab es ein großes Aufsehen und Getratsche im Kiez, als man von der Hochzeit erfuhr. Die Schmargendorfer waren schon erbost, nicht Bescheid gewusst zu haben und darauf vorbereitet gewesen zu sein. So etwas sollte hier nicht vorkommen. Also wurde die ganze Angelegenheit eher als Gerücht oder Theater abgetan.
Sonst immer am Puls des Geschehens konnte man sogar das Gras im Umfeld wachsen hören. Und nun hatte man keine Ahnung, nichts drang durch. Die Unwissenheit der Kiezer Bürger wurde auf die Presse geschoben, da sie es nicht für nötig hielt, über diesen „wichtigen“ Mitbewohner gebührend zu berichten. Alle fragten sich, wozu die Presse da sei. Warum war sie bei ihren vielen Recherchen nicht darauf gestoßen. Es musste erst das Ereignis stattfinden, dass alle Kenntnis darüber erhielten.
Das verheirate Paar trat nach der Trauung, im Rathaus Schmargendorf, sofort eine Reise an. Auch das wusste keiner. Man zweifelte wieder an der Pressearbeit und konnte annehmen, dass wenn eine Revolution oder Krieg ausbräche, auch erst danach berichtet würde. Die Schmargendorfer fanden sich im Recht, wenn sie forderten, alles über alle zu erfahren, hauptsächlich, wenn es sich um Personen der Öffentlichkeit handele. Sie wollten unterhalten werden und sich nicht unwissend gegenübertreten. Frau Hildegard Kissinger und Herr August Cuno waren geflüchtet und nun auf Hochzeitsreise und die Kiezbewohner standen nun vor vollendeten Tatsachen.
Die Aufregung blieb nicht ohne Folgen. Die Presse berichtete endlich über die Ereignisse, verspätet. Jetzt wurden alle Begebenheiten beide betreffend veröffentlicht; wie sie sich kennen- und lieben lernten, Lebensläufe, Ziele und dergleichen. In den nächsten Tagen waren die Blätter ausreichend gefüllt. Wobei stets auf eine warmherzige Berichterstattung geachtet wurde. Man schrieb auch, dass bei einer öffentlichen Hochzeit doch zu viel Trubel entstanden wäre……
Unweit vom Rathaus gibt es einen wunderschönen Platz, den Kolberger Platz. Dort traf man sich, um sich über Geschehnisse im Kiez auszutauschen. Die Kinder spielten vergnügt auf dem Rasen und die Erwachsenen standen in Gruppen oder Paaren zusammen. Diese Treffen fanden bei schönem Wetter bis in die Abendstunden statt und die Sonne am Horizont majestätisch versank. Während dieser gemeinsamen Zeit betätigte man sich auch sportlich, ohne andere Personen zu belästigen. Alle hatten immer viel Spaß. Natürlich war zu jener Zeit die Hochzeit August Cunos und Hilde Kissingers Gesprächsthema Nummer eins, was noch Tage anhielt. Einige spielten die Hochzeit nach und taten dabei sehr geheimnisvoll. Einer aus diesem Kreise spielte die unwissende Presse und stolzierte wie „Hans Guck in die Luft“ herum und tat seine bisherige Unwissenheit kund. Die meisten Anwesenden amüsierten sich darüber, aber andere wurden darüber wütend. Da vieles tänzelnd nachgespielt wurde, überwog aber das Amüsante. Es gab Bewohner, die als Richter auftraten und die Vermählten „verurteilten“. Man empfand es als skandalös. Herr Cuno, sonst ein Meister des tadellosen Verhaltens, war für die jüngeren Männer im Kiez stets ein Vorbild und jetzt eine Enttäuschung. Einigkeit bestand darin, dass neben der unverständlichen Verheimlichung der Hochzeit, Herr Cuno und Frau Kissinger nicht zusammen passten. Sie dachten dem August Cuno eine andere Dame aus der Runde zu, wie zum Beispiel Uschi von Zunft. Sie war eine Dame von früherem Adel, die aber nach Meinung der Schmargendorfer auch das besondere Etwas besaß. Uschi von Zunft, eine Frohnatur, wurde sehr oft gemieden, weil sie etwas „laut“ in ihrer Stimmlage war. Das schreckte vielleicht Herrn August Cuno davon ab, sie als Ehefrau in Erwägung zu ziehen.
Frau Uschi von Zunft ihrerseits gab während der Gespräche laut von sich: „August Cuno ist alt genug, um selber zu entscheiden, welche Frau die richtige für ihn ist.“
In diesem Augenblick stieß sie einer der jungen Männer aus der Gemeinschaft von hinten an. Mit großer Mühe konnte sie sich halten und fiel aber nicht um. Damit war der beabsichtigte tiefe Fall auf den Boden abgewendet worden. Mit ihrer sehr hohen berühmten schrillen Stimme schrie sie den Mann an:
„Hey junger Mann, sie haben es wohl sehr eilig?“
„Junge Männer haben es immer eilig“, erwiderte er und lief weiter. Diese Antwort machte Frau Uschi von Zunft sehr wütend. Zumal sich die herumstehende Menge heimlich amüsierte. Man mochte diesen schrillen Ton von Uschi von Zunft nicht. Unterstützung bekam die Zunft aber von der wohlhabenden Greta von Ferbellin, auch von früherem Adel. Sie hatte drei Töchter. Begleitet wurde sie von ihnen und vom Weinhändler Erwin Schlottermann, der vier Weinläden sein Eigen nannte. Weinhändler Schlottermann, eigentlich ein enger Freund vom August, tat als wüßte er auch nichts von der Hochzeit und hatte nur ein Achselzucken übrig. Frau Greta von Ferbelin nahm das mit viel Freude auf, denn sie war eigentlich nicht scharf auf Herrn Cuno. Frau Greta von Ferbellin mit ihren Töchtern beteiligte sich wenig an den Diskussionen und verließ recht schnell den Kolberger Platz Richtung heimwärts.
Die anderen Leute fanden aber kein Ende und zerrissen sich weiter den Mund wegen der unsäglichen Hochzeit. Wahrscheinlich gönnten die Leute der Kissinger den Cuno nicht. Mit ihrer schrillen Stimme rief Frau Zunft: „Besonders scharfsinnig ist der August noch nie gewesen.“ Aus ihr sprach augenscheinlich der pure Neid.
„Ich bitte sie“, äußerte eine sich nähernde Dame“, „er ist nicht mehr so jung und vielleicht hatte er Torschlusspanik. Ich bin bereits Großmutter und verstehe vieles“.
Es war Frau Tölzer, bekannt nur dadurch, dass sie sehr abgeschieden lebte. Aber heute befand sie sich mit auf dem Kolberger Platz und beteiligte sich an den Diskussionen, die geführt wurden. Durch ihre Äußerung bemerkte sie schnell, dass sie sich selber alt gemacht hatte. Und weil jeder wusste, dass die Zunft fünf Jahre älter war als sie, spürte man, dass die beiden Damen jetzt eine Fehde hätten. Demzufolge wurde festgestellt, dass ja Herr August Cuno und Frau Zunft gar nicht zusammen passten, obwohl sie immer versucht hatte, August Cuno alt zu machen.
„Jetzt wird die Geschichte mit der Hochzeit zu einem Roman, dazu noch zu einem schlechten“, stellte einer der umherstehenden Herren fest, die die ganze Zeit zum Zuhören verdonnert waren.
„Ich sehe dabei nichts Romanhaftes“, entgegnete Frau Uschi von Zunft. Sie setzte noch einen darauf: „Solche Ereignisse sind doch hier im Kiez sehr alltäglich.“
„Ach nicht doch“, wehrte Gräfin von Ferbellin kurz vorm Gehen ab.
„Aber so was von alltäglich“, konterte Uschi von Zunft mit scharfer Betonung. Und damit hatte sie Gräfin von Ferbellin einen Seitenhieb verpasst. Es wusste jeder, dass sie einen Bruder hatte, der mit einer Tänzerin verheiratet gewesen ist. Deren Ruf war über den Kiez hinaus sehr negativ. Insgeheim freute sie sich, dass man dies auch als alltäglich ansah und nicht groß drüber redete.
„Herr August Cuno hat sich mit dieser Heirat nicht bedacht verhalten“ meinte eine andere im Kreise stehende Dame und setzte noch nach: „Die Hildegard Kissinger wird hier im Kiez keiner mehr kontaktieren wollen.“
„Ich werde sie aber aufsuchen“ erklärte Frau Uschi von Zunft mit kräftiger Stimme. Damit verärgerte sie den ganzen Kreis. Und jedem, der sagte, dass August Cuno dumm war, die Kissinger zu heiraten, sagte sie widerspenstig:
„Jeder hat ein Recht und die Freiheit, eine Dummheit zu begehen. Wer von den Anwesenden hat nicht schon mal eine begangen.“
„Schönes Recht“ schrie einer aus der Gruppe im Hintergrund.
Frau Uschi von Zunft antwortete: „Das dürfte wohl in diesem Fall so gewesen sein. Herr Cuno ist eben auf eigene Gefahr die Ehe mit Frau Kissinger eingegangen, ohne zu wissen, dass es eine Dummheit ist.“
Mittlerweile ließ das schöne Wetter nach - es wurde kalt, regnerisch und ein scharfer Wind wehte plötzlich - damit konnten keine weiteren Diskussionen über das leidige Thema entstehen. Den anwesenden jungen Männern waren die Ausführungen der Damen schon lange zu viel. Auf einmal löste sich der Kreis nach und nach auf und die redeführenden Damen standen völlig allein da. Einzelne Paare waren schon auf einen gebührenden Abstand gegangen.
Wenn man bedenkt, dass die Zeitung am Morgen die Nachricht von der Hochzeit erst verbreitet hatte, fanden die Diskussionen am Nachmittag des gleichen Tages doch recht schnell statt, auch wenn das Wetter nun nicht mehr so schön war.
Ein Freundeskreis August Cunos setzte sich sogar am Abend noch in einem Restaurant zusammen. Sie nahmen zum gleichen Thema einzeln Stellung. Man fand schnell eine gleiche Meinung, die lautete: „August Cuno sei ein Trottel und Esel.“ Aber solche Ereignisse seien schon immer vorgekommen. Damit war es besiegelt und man ging zum traditionellen Kartenspielen über.
August Cuno ging leidenschaftlich gern ins Theater. Mit einigen Schauspielern war er schon befreundet. Nach vielen Vorstellungen saß Cuno sehr lange in der Theaterkantine mit dem Schauspielerensemble zusammen. Dabei ging es meistens sehr lustig zu und Alkohol spielte immer eine Rolle. Es wurde viel über das Weltgeschehen geredet und natürlich auch über die Vorstellung. Cuno war stets besonnen, teilweise schweigsam, aber ab und zu lachte er über gemachten Späße. Ansonsten hatte er Vergnügen an den regen Gesprächen der Anwesenden und versuchte immer wieder, die frivole Stimmung aufzunehmen. Unvernunft konnte er aber nicht ertragen und über sich ergehen lassen. Am Ende beglich Cuno stets die Rechnung. Wenn es dann zum Aufbruch kam, waren alle erstaunt, dass die Zeche schon bezahlt gewesen ist. Nach den vielen Zusammenkünften überraschte es dann keinen mehr, wer bezahlt hatte, man nahm es gelassen und erleichtert hin.
Hinter August Cunos Rücken diskutierten die Schauspieler aber auch darüber, warum er die Hildegard Kissinger heiratete. Eigentlich war die eine oder andere Schauspielerin auch geneigt, mit Cuno zusammenzukommen, wohlwissend, dass es sich um eine gute Partie handelte. Dazu kam das Unverständnis für die Geheimniskrämerei wegen der Hochzeit. Selbst die engen Freunde aus dem Schauspielerkreis schockierte die Neuigkeit. Denen hätte sich August Cuno unbedenklich anvertrauen können.
Zu den engen Freunden gehörte auch der Hauptdarsteller Fred von Stein, der schon viele Theater auf der Welt gesehen hatte. Er fühlte sich von August betrogen und hatte wenig Verständnis für sein Handeln. Wie gut wäre es gewesen, wenn er die Schauspielerin mit dem lieblichen Namen Maria, intern auch genannt die „Großzügige“, ehelichte. Da sich Fred von Stein als Führer des Ensembles fühlte, wobei er auch als väterlicher Freund fungierte, hätte er Cuno sicher gern beraten. Aber Cuno wollte ja unbedingt Hildegard Kissinger, die Bäckersfrau. Sie war Fred wohl bekannt, da sie in ihrer Freizeit auch in einigen Stücken mitwirkte. Wahrscheinlich entsprach sie nicht seinem Geschmack bzw. meinte er, dass sie nicht die richtige für August sei.
Bei den Zusammenkünften des Ensembles nach den Vorstellungen ist Hildegard auch oft dabei gewesen. Dort muss sie ihre Fühler nach August ausgestreckt haben.
Während eines dieser Treffen der Schauspieler sagte Fred von Stein, dass er ihn, wenn er vom Vorhaben Augusts gewusst, trotz seiner Vorbehalte umarmt und der Braut gratuliert hätte. Dann wären an Freds Freund Dieter, einem Journalisten, auch interessante Informationen diesbezüglich ergangen, um dieses Ereignis in einer schönen Kolumne anzukündigen und nicht erst im Nachhinein darüber zu berichten. Dieter hätte alles versucht, an der Trauung teilzunehmen, um ergreifende Momente zu dokumentieren. Dies bedauerte Fred von Stein sehr, nicht nur im eigenen Interesse, sondern auch im Interesse des Brautpaares. Nun wurde seine Mithilfe nicht in Anspruch genommen. Dabei hätte er alles dafür getan, den gemeinsamen Gang der beiden ins rechte Licht zu setzen. So bleibt ein fader Beigeschmack und Unverständnis, vor vollendete Tatsachen gestellt worden zu sein.
Erst die Schauspielerin Maria glättete die Wogen beim aufgewühlten Ensemble. Sie hatte an diesem Abend die Jungfrau von Orleans gespielt, dazu noch hinreißend. Davon war sie noch so beseelt und in Hochstimmung. Und auch die anderen ließen sich vom nachwirkenden Zauber und Feuer der Dichtung hinreißen und wurden plötzlich milde gestimmt.
Einer warf in die Runde: „Ihr Lieben, die Kissinger hat doch richtiges Glück, den Cuno geheiratet zu haben.“
Jetzt war die richtige Stimmung eingetreten. Der Ärger und Verdruss löste sich in Nu auf. Die Gespräche wurden plötzlich in eine positive Richtung gelenkt. Man kam zu der Erkenntnis, dass sie schließlich eine Theaterfamilie seien. Sie fühlten sich als Kinder der Schauspielkunst, die sich untereinander nur Gutes wünschen.
Ein anderes gemeinsames Verweilen nach der Vorstellung in der Kantine verlief länger als gewohnt und war lebhafter als sonst. Der Bildermaler Frank ist an diesem Tag unter Ihnen gewesen. Man kannte ihn, weil er auch zu den engen Freunden August Cunos zählte.
Auf ein Mal platzte die Bombe, Frank war bei der Hochzeit dabei gewesen sei. So konnte er über die heimliche Hochzeit einiges berichten und fügte gleich hinzu, Brautführer der Hildegard Kissinger gewesen zu sein. Damit wurde er schon sehr frühzeitig eingeweiht, sollte aber das Geheimnis bewahren. Seine Ausführungen nahmen die Anwesenden interessiert auf. Es kam nicht zu Zwischenrufen oder Nachfragen. Dieses Ensemble ließ nicht so leicht etwas aus der Bahn werfen, davor schützte sie die Schauspielkunst. Sie waren unbefangen genug, beiden das Glück zu gönnen.
„Bei der ganzen Geschichte“, fügte Frank hinzu, „bin ich sehr froh gewesen, August Cuno und Hildegard Kissinger direkt zu diesem Schritt beglückwünschen zu können.“
Nachdem sich die Theatergesellschaft keine weiteren Gedanken mehr machte, flachten die Diskussionen sehr schnell ab.
Einmal erhielt Hildegard Kissinger in der Theatergarderobe nach der Vorstellung eine Karte und ein Etui mit einem funkelnden Brillanten von Gerd Füllig, einem Finanzbeamten vom Finanzamt Wilmersdorf. Auf der Karte stand mit Bleistift gekritzelt, sie möchte ihn bitte nach der Vorstellung zum Essen begleiten, welches in großer Gesellschaft stattfände. Die Gesellschaft war unterstrichen, um die Einladung möglichst unverfänglich erscheinen zu lassen. Hildegard überlegte eine Weile und ließ durch den Boten verkünden, dass sie mitginge.
Hildegard kleidete sich rasch um. Aber dann überlegte sie kurz und verlangsamte die Prozedur der Ankleidung. Ihre Freundin, Schauspielerin Maria, kam herein und mahnte zur Eile. Solche Zeitverzögerungen war sie gar nicht von Hildegard gewohnt.
„Es ist spät, Hilde“, drängte Maria, „wir müssen uns beeilen, sonst schließen die uns ein und wir müssen hier übernachten.“
„Ist es kalt draußen, Maria?“ Fragte Hildegard.
„Oh sehr! Wir haben einen ordentlichen Dezemberfrost. Deine Pelzjacke wird dir gut tun. Es ist sehr kalt!“
„Das ist genau richtig, Maria.“
„Warum soll das richtig sein, wenn es draußen kalt ist?“ Fragte Maria verwundert.
„Weil, lies das“ und gab Maria die Karte vom Gerd Füllig.
„Ich verstehe die ganze Sache nicht“, sagte Maria, nachdem sie die Karte nur mit Hilfe einer Brille lesen konnte.
„Nun, weil Gerd Füllig schon seit einer Stunde vor seinem Auto am Bühneneingang wartet. Das ist doch sehr hübsch, dass der jetzt draußen friert, nicht wahr?“
„Man muss ihn wegschicken“, sagte Maria.
„Oh, nein, Maria, ich fahre ja mit ihm, ich bin doch zum Essen eingeladen.“
„Hildchen, mach keine Dummheiten, die Leute reden dann wieder.“
„Das machen sie sowieso. Das bin ich gewöhnt, und ich mache mir nichts daraus. Sie können mir nichts nachsagen, was sie nicht genau wissen.“
„Aber Du wirst doch nicht?“
„Was denn nicht, Maria?“
„Nichts, verzeih.“
„Den Gerd Füllig fürchte ich nicht! Also du fährst jetzt allein nach Hause.“
„Gut, aber ich gehe nicht schlafen. Du sollst noch zu mir kommen. Ich warte mit einem Tee auf dich.“
„Du wartest mit einem Tee, wenn ich zum Essen in einer großen Gesellschaft eingeladen bin?“
„Ich warte dennoch, denn du bleibst eh nicht dort.“ Sie kannte Hildegard wahrscheinlich schon etwas.
Mit diesen Worten knöpfte Maria den obersten Knopf an Hildegards Pelzjacke zu, dann hastete sie schnell aus der Garderobe, um selber für sich einen Fahrer anzurufen, der sie dann zu ihrer Wohnung fahren sollte.
Der Fahrer, der Maria nach Hause fuhr, war ein Busfahrer. Denn allein traute sie sich nicht, in ein Taxi zu steigen. Zudem waren ihre Mittel begrenzt.
Inzwischen beeilte sich Hildegard noch immer nicht. Der Gedanke, dass sich ihr glühender Verehrer da draußen in der Winterkälte etwas abkühlte, schien ihr offenbar Spaß zu bereiten. Als sie endlich auf die Straße hinaustrat, konnte der junge Gerd Füllig seine Ungeduld nicht unterdrücken, aber sein Unmut legte sich schnell, als er Hildegard heraus kommen sah. Dieser Anblick überwältigte ihn sehr, so eine Schönheit dache er. Hildegard sah in ihrer Pelzjacke und keckem Pelzkäppchen doch zu reizend und sexy aus.
„Gott sei Dank“, rief Gerd bei ihrem Anblick aus.
„Es hat etwas länger gedauert“, sagte Hildegard unschuldig.
„Etwas?“
„Du Armer! Du hast wohl recht gefroren?“
„Dafür ist jetzt der Sonnenschein aufgegangen“, erwiderte Gerd galant.
„Dann möchtest du wohl, daß wir uns in deinen Wagen setzen, mein Herr.
Damit wir endlich gegen die kalte Nachtluft geschützt sind?“ Fragte Hilde.
„In den Wagen?“, erwiderte Gerd.
„Natürlich! Wohin denn sonst? Steig nur schon ein“, meinte Hilde.
„Nach dir, meine Schönheit“, und Gerd öffnete ritterlich die hintere Wagentür.
„Nein“, sagte Hildegard, „ich werde vorne einsteigen.“
Gerd Füllig zeigte sich sehr überrascht. Er widersprach nicht und ließ es geschehen.
„Ich werde selber fahren, mein Herr“, bestimmte Hildegard.
So war es nicht gedacht, aber Gerd musste sich wohl beugen. Besser so, als gar nicht, schoss es Gerd durch den Kopf. Hildegard stieg vorne ein und Gerd setzte sich neben sie. Schon fuhr sie mit einem Tempo los, dass es Gerd die Sprache verschlug. Auf der Straße befindliche Passanten blieben erstaunt stehen und blickten ängstlich hinterher. Eine Frau am Steuer, die so rasant fuhr, war ungewöhnlich.
Wenige Minuten nach dem Start peilte Hildegard mit kurzen Bremsvorgängen einen Parkplatz an, genau vor dem Restaurant, welches Ihr vorher als Endziel benannt wurde. Hildegard und Gerd stiegen aus. Sie warf ihm die Autoschlüssel zu und wartete, bis er das Auto verschlossen hatte.
Der Eingang des Restaurants war hell erleuchtet. Hilde hakte sich bei Gerd ein und sie gingen hinein. Drinnen wurden sie schon voller Ungeduld erwartet und von der Gesellschaft herzlich empfangen. Es folgte eine lange Begrüßung jedes Einzelnen.
Alle, die an einem langen luxuriös gedeckten Tisch beisammen saßen, boten einen festlichen Anblick. Etwa ein dutzend Männer in allen Altersklassen, darunter auch August Cuno, der Bildermaler Frank, und ebensoviele Damen waren anwesend. An jedem Hals der anwesenden Damen funkelten besondere Schmuckstücke. Hier wurde schnell klar, welches Klientel sich eingefunden hatte….
Hildegard erhob den Arm, um den Lärm, mit dem man sie begrüßte, ein zudämmen. Als das nicht half, rief sie laut in das Getöse: „Ich möchte etwas sagen!“
Die Damen, Ballerinen und Schauspielerinnen des Theaters, aber mit geringen Gagen, und die Männer, darunter der Charakterschauspieler Fred von Stein, wurden neugierig und verschafften sich gemeinsam Ruhe.
„Hört, hört!“ Schrieen sie und es wurde still.
„Der Gerd Füllig,“ begann Hildegard, noch immer an der Tür stehend, „scheint versprochen und gewettet zu haben, dass er mich hierher bringen werde.“
„War doch eine gute Idee!“ Beteuerte Gerd, die Hand aufs Herz legend.
„Es scheint so“, fuhr Hildegard fort. „Nun, ich bin keine Spielverderberin und hier bin ich.“ Es erklang stürmischer, minutenlanger Applaus.
„Bravo, bravo, ein Hoch“, riefen die Damen sehr laut.
„Aber“ fuhr Hildegard fort, sich speziell an die Ballerinen wendend. „Hört, hört, meine Damen, sie werden es zugeben müssen, dass ich in diese Gesellschaft nicht hinein gehöre.“
Das führte zu großer Empörung aller Anwesenden. Es war doch unerhört, was sich die Kissinger einbildete und herausnehme. Der allgemeinen Entrüstung stand aber Hildegard sehr unerschrocken gegenüber.
„August Cuno“, nahm sie wieder das Wort an sich. „Sie gehören eigentlich auch nicht dazu. Wollen sie mich nach Hause bringen, sonst tut’s wohl der geschätzte Bildermaler Frank?“
Beide Herren sprangen sofort auf, um sich der Kissinger zur Verfügung zu stellen. Aber August Cuno winkte Frank ab und stand im selben Augenblick schon neben der Kissinger.
„Wir können gehen“, sagte Hildegard, „Gerd Füllig widmet sich eh den ‚Schönsten und Billigsten‘ hier im Saale.“ Dann langte sie in die Tasche ihrer Pelzjacke und warf den Brillanten, den sie von Gerd bekommen hatte, durch die Luft in den Saal. Diese klirrten auf den Boden, dabei rief sie verhöhnend:
„Noch einen schönen Abend, liebe Herrschaften“, und verschwand mit August nach draußen.
„Das war ein göttlicher Abgang“, rief August ihr zu.
Draußen angekommen wollte August mit Hildegard schnell das Auto besteigen, um loszufahren, aber Hildegard legte ihre Hand auf Augusts Arm und sagte: „Wollen wir nicht zu Fuß gehen?“
„Wie du es möchtest“, erwiderte August und reichte Ihr den Arm. Dem Fahrer im Auto teilte er mit, er möchte im gebührenden Abstand folgen.
„Hildegard“, sprach August Hildegard an. „Du hast mich im Saal vor allen Menschen sehr förmlich mit sie angesprochen, das war gegen unsere Vereinbarung, oder gilt die Vereinbarung nicht mehr?“
„Sie gilt, mein lieber August, für dich und auch für Frank. Ansonsten schäme ich mich für einige Freundschaftsbekenntnisse….. Es ist seinerzeit die Idee von Gerd Füllig gewesen und er war so furchtbar gerührt, als wir sein Jubiläum feierten und Brüderschaft tranken, was ich auch mit anderen tat.
Dies bereue ich heute und wollte dich nicht mit denen gleichstellen.“
„Recht hast du Hilde. Ich danke dir, hast dich heute eigentlich noch sehr zurückhaltend der Gesellschaft gegenüber benommen!“
„Ich hätte vielleicht nicht hinein gehen sollen, aber ich habe in meinem Leben schon einige Dummheiten gemacht, dass es auf diese nicht mehr ankommt.“
„Das war nicht dumm, was du getan hattest, Hilde.“
Inzwischen waren sie schon ein ganz schönes Stück des Heimweges gegangen.
Noch einige Minuten und sie kamen am Haus an, in dem Hildegard wohnte.
