Mörderisches Dorfleben - Peter Jokiel - E-Book

Mörderisches Dorfleben E-Book

Peter Jokiel

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Beschreibung

Zur Handlung: Psychotherapeut Bosch wird von dem Anwalt Dr. Loßmann beauftragt, seinen Mandanten zu begutachten. Hier handelt es sich um den geistig zurückgebliebenen 21-Jährigen Stefan Kreidlinger. Da die 11-Jährige Laura Grindl verschwunden ist und am Tatort sehr viel Blut sowie Zigarettenkippen von Stefan gefunden wurden, erhebt die Staatsanwaltschaft den Vorwurf der fahrlässigen Tötung. Bosch kann in dem Haftprüfungstermin die Anschuldigung gegen Stefan entkräften und so wird dieser aus der Haft entlassen. Damit ist der Fall jedoch noch nicht ausgestanden. Die Familie ist in ihrem Dorf einem Spießrutenlauf ausgesetzt und benötigt Personenschutz. Ebenso ist Stefan immer noch der Hauptverdächtige, solange der Fall nicht aufgeklärt ist. Da die Mordkommission anfangs schlampig ermittelt, schaltet sich Peter Bosch selbst in dem Fall ein. Als ehemaliger Pressesprecher der Polizei hat er immer noch gute Kontakte, die er nutzten kann. Ebenso hat er seinen guten Freund Dominik, der Ausbilder bei der Polizei ist und auch gerne mal Dienstvorschriften ignoriert. So heiligt bei Beiden der Zweck manchmal auch die Mittel. Schnell ergibt sich eine Spur zu einer Familie in dem Dorf, die anscheinend Geschäfte mit obskuren Holländern macht. Ebenso gibt es einen Onkel der Familie Kreidlinger, der zwar den teuren Anwalt sowie alle anderen Rechnungen bezahlt, jedoch nicht in Erscheinung treten möchte. Hier handelt es sich um einen Politiker aus dem bayrischen Landtag. Es stehen also schnell einige Verdächtige zur Verfügung. Jetzt muss nur noch herausgefunden werden, was mit Laura passiert ist und wer damit zu tun hat. Der Schauplatz der Ermittlungen ist sowohl in dem Dorf Oberglockenbach als auch in Nürnberg. Hier werden natürlich die jeweiligen Örtlichkeiten mit ausführlichen Lokalkolorit beschrieben.

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Peter Jokiel

***

Mörderisches

Dorfleben

Boschs dritter Fall

© 2021 Peter Jokiel

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback:

978-3-347-26984-2

Hardcover:

978-3-347-26985-9

e-Book:

978-3-347-26986-6

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Dies ist der dritte Fall von Peter Bosch.

Diesen Roman gibt es natürlich auch als E – Book, ebenso wie die bereits erschienenen Krimis.

Mord nach W.E.G.

Lasst Blumen morden

Ein Nürnberger Kriminalroman mit bekannten Schauplätzen und natürlich mit Herz, Hirn und Härte.

Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen, wäre rein zufällig und ist natürlich nicht beabsichtigt.

Story und die beschriebenen Personen sind rein fiktiv.

Über eine Bewertung, Kritik oder auch Anregungen, würde ich mich sehr freuen.

Viel Spaß beim Lesen

Ihr

Peter Jokiel

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 – Oberglockenbach

Kapitel 2 – Schoppershof

Kapitel 3 – Eibach

Kapitel 4 – Sündersbühl

Kapitel 5 – Laufamholz

Kapitel 6 – Langwasser

Kapitel 7 – St. Lorenz

Kapitel 8 – St. Jobst

Kapitel 1 – Oberglockenbach

Ich saß auf einer Holzbank vor dem Sitzungssaal und wartete seit über einer Stunde darauf, dass man mich aufrief. Da ich der Letzte war, der in diesem Verfahren gehört wurde, ärgerte ich mich darüber, kein Buch mitgenommen zu haben. Allerdings hatte ich auch nicht gedacht, dass sich die Anhörung so lange hinziehen würde.

Unser Nürnberger Gerichtsgebäude ist nun wirklich in die Jahre gekommen und ich fragte mich, ob diese alte, unbequeme Bank auch schon zu Zeiten der Nachkriegsprozesse hier in diesem Flur gestanden hat. Es hätte mich jedenfalls nicht gewundert.

Bestimmt könnte diese Bank interessante Namen nennen, wer alles schon auf ihr gesessen hatte.

Die Bodenfliesen erinnerten mich an den Charme meiner Grundschulzeit in der Bismarckschule und die Wände hätten auch schon lange mal wieder einen neuen Anstrich vertragen können. Alles hier schrie einfach nach einer dringenden Renovierung.

Schon seltsam, was einem alles durch den Kopf geht, wenn man nur lange genug Zeit hat oder, eben wie ich, auf etwas warten musste.

Gerade als ich mir zum wiederholten Mal meine Unterlagen durchlesen wollte, obwohl ich alles längst auswendig kannte, öffnete sich die Tür des Sitzungssaals und ein Gerichtsdiener rief mich auf.

Ich hatte bereits einige Gerichtsgutachten erstellt und wusste genau, was mich erwartete und welche Fragen man mir stellen würde.

Dennoch war es heute anders.

Nicht nur, dass der Fall diesmal eine ganz andere Bedeutung hatte, sondern ich traf wieder auf Oberstaatsanwalt Kirchner.

Als ich vor zwei Jahren den Polizeidienst verlassen hatte, war er nicht ganz unbeteiligt an meinem Entschluss gewesen. Damals hatte er mit verschiedenen Dienstaufsichtsbeschwerden und sogar einem Ermittlungsverfahren gegen mich gedroht, obwohl ich am Ende sogar einen Serienmörder stellen konnte.

Mit Abstand betrachtet, hatte er sogar Recht.

Ich hatte wirklich alle Register gezogen und das Gesetz mehr als nur gebeugt. Aber ich musste damals auch die Unschuld von meinem Freund Heinz beweisen und da waren Dienstvorschriften zweitrangig gewesen. Mein Freund war zu jenem Zeitpunkt Hauptverdächtiger in einem Mordfall und die Indizien waren mehr als erdrückend.

Nur durch Zufall konnten wir den wahren Täter verhaften. Jedenfalls war ich mit meiner Kündigung eventuellen Anklagen gegen mich zuvorgekommen.

Seitdem hatte ich Herrn Kirchner nicht mehr gesehen, bis heute.

Als ich den Gerichtssaal betrat, sah ich eine Handvoll Personen die alle auf der rechten Bank, auf den Zuschauerplätzen, saßen. Da es sich um einen nicht öffentlichen Haftprüfungstermin handelte, musste es sich also um Zeugen handeln, die ihre Aussage bereits hinter sich hatten und nun gespannt auf den Ausgang des Verfahrens warteten.

Ich kannte niemanden von denen persönlich, jedoch war mir klar, dass es sich um Ermittlungsbeamte und Forensiker handeln musste. Wahrscheinlich war auch ein Pathologe unter ihnen. Zwar wurde keine Leiche gefunden, allerdings fand man so viel Blut am Tatort, dass man von einem Tötungsdelikt ausgehen musste. Auf der linken Seite saßen Herr und Frau Kreidlinger. Ich hatte sie letzte Woche während einer Sitzung mit ihrem Sohn kennengelernt. Es war beiden anzusehen, wie sehr sie unter der ganzen Sache litten und dennoch fest hinter ihrem Sohn standen. Sie hatten mit Stefans Behinderung schon mehr als genug zu leisten, aber jetzt sollte ihr Sohn die elfjährige Laura umgebracht haben. Das war mehr als Eltern verkraften können. Sie wollten und konnten es einfach nicht glauben.

Allerdings waren sie damit nicht allein, ich konnte es mir auch nicht vorstellen.

Ich setzte mich an den Zeugentisch, der in der Mitte des Raumes stand.

Den Vorsitz hatte Richterin Stechtel. Ich kannte sie flüchtig aus einer früheren Verhandlung und war wieder einmal mehr als erstaunt über ihr jugendliches Aussehen. Sie war schätzungsweise erst Ende zwanzig, was sie damit zu einer der jüngsten Richterinnen weit und breit machen dürfte. Was mir allerdings auch sagte, wenn jemand in so jungen Jahren beruflich schon so weit gekommen ist, war er oder sie auch außergewöhnlich gut in seinem Job.

„Guten Tag Herr Bosch, Sie sind heute hier als Gutachter zum Haftprüfungstermin von Herrn Stefan Kreidlinger. Bevor wir beginnen, bitte ich Sie um Ihre Personalien für das Protokoll“, wurde ich aufgefordert.

Ich wandte mich an den Gerichtsschreiber und nannte meinen Namen, Adresse und meinen Beruf, Psychologischer Psychotherapeut.

Als dieser meine Angaben aufgeschrieben hatte, warf ich einen Blick auf den Tisch links von mir, an dem Dr. Loßmann und sein Mandant saßen.

Stefan Kreidlinger war einundzwanzig Jahre alt und überragte seinen Verteidiger um einen Kopf. Er lächelte mich freundlich an. Es war ein unschuldiges Lächeln und jeder, der ihn ansah, wusste instinktiv, dass dieser Mensch nie etwas Böses hätte tun können.

Er saß einfach nur da und lächelte verträumt.

„Herr Bosch, Sie sind heute hier, um uns etwas über den psychischen Zustand von Herrn Kreidlinger zu erklären. Wie Sie ja wissen, erhebt die Anklage die Anschuldigung der fahrlässigen Tötung der elfjährigen Laura Grindl, für die Herr Kreidlinger in dringendem Tatverdacht steht. Können Sie uns etwas über die allgemeine psychische Verfassung des Angeklagten sagen?“, fragte mich die Richterin.

„Ich konnte Herrn Kreidlinger in der Forensischen Abteilung der Psychiatrischen Klinik in Erlangen besuchen und habe, neben seiner bereits offenkundig mentalen Retardierung, weitere Verhaltensauffälligkeiten festgestellt. Die geistige Behinderung von Stefan Kreidlinger ist in einem Stadium, die ihn zwar an der Welt teilhaben lässt, er jedoch von einem immer gleichen Gemütszustand abhängig ist. Das bedeutet konkret, dass er ein stark ritualbezogenes Verhalten hat. Er ist nur schwer in der Lage, mit neuen Situationen umzugehen. Jede Art von Veränderung in seinem Tagesablauf führt für ihn unmittelbar zu Stress. Dies bedeutet zum Beispiel, dass er immer einem bestimmten Verhaltensmuster folgt und davon auch nicht abweichen kann. Allein die Unterbringung in einer für ihn fremden Umgebung war nur zu bewältigen, da es erlaubt wurde, dass seine Mutter mit in der Klinik sein durfte und in seinem Zimmer mit schlafen konnte. Ansonsten wäre eine medikamentöse Behandlung unumgänglich gewesen“, beendete ich meine Ausführung.

„Vielen Dank Herr Bosch. Fragen an den Zeugen?“

Frau Stechtel richtete die Frage an Verteidigung und Staatsanwalt.

„Herr Bosch, Sie haben meinen Mandanten soweit ja begutachtet. Zu welchem Schluss sind Sie gekommen? Halten Sie es überhaupt für möglich, dass Herr Kreidlinger die ihm vorgeworfene Tat begangen haben könnte?“, fragte mich Dr. Loßmann.

„Ich habe Herrn Kreidlinger zweimal in der Klinik besucht und konnte mir einen guten Eindruck über ihn und seine Verhaltensauffälligkeiten machen. Ebenso konnte ich einen Test bezüglich seiner mittelgradigen Intelligenzminderung durchführen. Für ein fundiertes Gutachten würde ich jedoch mehrere Gespräche mit Herrn Kreidlinger benötigen. Dies nur noch einmal zur Klarstellung. Allerdings kann ich Ihnen jetzt schon sagen, dass der Angeklagte nicht über die notwendigen Eigenschaften verfügt, um die ihm vorgelegte Tat auszuführen. Wie ja bereits dargelegt, ist sein tägliches Handeln von immer gleichen Abläufen abhängig. Ich mache es Ihnen an einem Beispiel deutlich. Wir alle haben immer den gleichen Weg, z.B. von zu Hause aus zur Arbeit. Ohne zwingenden Grund nimmt keiner von uns einen Umweg. Wenn jedoch morgen auf ihrem Weg ins Büro die Straße gesperrt ist und Sie eine Umleitung fahren müssen, ist dies für Sie ärgerlich, aber kein Problem. Anders als für Ihren Mandanten. Er kann weder mit plötzlichen Ereignissen umgehen, noch eine spontane Reaktion auf ein solches zeigen. Es ist für ihn nicht möglich, logisch oder planhaft zu handeln. Wenn sein Weg oder seine Straße wegen Baumaßnahmen gesperrt werden würde, wäre es für ihn allein unmöglich, selbständig einer Umleitung zu folgen. Sein ganzes Handeln ist auf ein bestimmtes Verhaltensmuster ausgelegt und er ist nicht in der Lage, davon abzuweichen. Schon aus diesem Grund ist es für Herrn Kreidlinger undenkbar, jemandem zu schaden, oder gar zu töten, und dann die Leiche auch noch zu vergraben oder zu verstecken. Ohne Zweifel leidet Stefan Kreidlinger an einem frühkindlichen Autismus.“

„Vielen Dank Herr Bosch. Keine weiteren Fragen, Frau Vorsitzende“, sagte Dr. Loßmann.

Richterin Stechtel erteilte jetzt der Staatsanwaltschaft das Wort. Herr Kirchner erhob sich von seinem Platz und sah mich durchdringend an. Er kam ohne Umschweife direkt zur Sache und befragte mich in einer Tonart, die gleich wieder meinen Blutdruck steigen ließ.

„Sie sagen also hiermit, Herr Kreidlinger kann Laura nicht umgebracht haben, da er außer Stande wäre, ihre Leiche verschwinden zu lassen. Selbst wenn ich ihre Einschätzung zu dem Gemütszustand des Angeklagten bedingt teilen würde, so ist es dennoch möglich, dass er unter bestimmten Situationen auch spontan und impulsiv handeln könnte? Das ist doch richtig, Herr Bosch?“

„Durchaus Herr Oberstaatsanwalt. Natürlich wäre auch er zu impulsiven Handlungen fähig, nur würde sich dies in seinem Wesen widerspiegeln. Wenn ihn ein Ereignis unvorbereitet trifft, ist er nicht in der Lage, logisch darauf zu reagieren. Er kann ohne eingehende Hilfe von Vertrauenspersonen weder mit Abweichungen seines Tagesablaufes umgehen noch kann er diese verbergen. Er ist psychisch nicht in der Lage, Emotionen zu kontrollieren oder zu unterdrücken. So wie er nicht im Voraus planen kann, ebenso wenig ist er in der Lage, eine Reihe aus logischen Handlungen durchzuführen. Das bedeutet, selbst wenn er aus einer Stresssituation heraus eine spontane Reaktion auf ein Ereignis zeigt, so kann er daraus keine weiterführende Handlung oder eine logische Konsequenz ableiten. Ein Beispiel. Jeder von uns hat als Kind schon einmal etwas kaputt gemacht. Ich erinnere mich noch, als ich beim Ballspielen im Haus meiner Großmutter leider eine Blumenvase abschoss. Um nicht erwischt zu werden, habe ich die Scherben aufgekehrt und in den Mülleimer geworfen. Den Müllbeutel habe ich natürlich auch gleich in der Tonne entsorgt und soweit alle Spuren meiner Tat beseitigt. Ich wurde dennoch erwischt, aber mit fünf Jahren hielt ich mich damals für ziemlich clever. Natürlich könnte es Stefan Kreidlinger auch passieren, dass er eine Vase kaputt macht. Allerdings bliebe er vor den Scherben stehen, da er nicht wüsste, wie er mit der Situation umgehen sollte. Die wahrscheinlichste Reaktion von Herrn Kreidlinger wäre, wenn er versucht, die Scherben der Vase wieder zusammenzukleben. Seine Gedankenwelt würde sich in dem Moment nur um die Vase drehen und nicht um die daraus entstehenden Konsequenzen. Was für uns offensichtlich und logisch ist, kann Herr Kreidlinger weder ableiten noch schlussfolgern. Zudem würde man jede Störung oder Abweichung, in seinem Verhalten erkennen. Zum einen an seinem Gemütszustand und zum anderen an den Bildern, die er malt. Dies ist auch keine Einschätzung, sondern eine Diagnose, Herr Kirchner. Dies ist natürlich ebenso in der aktuellen ICD Version nachzulesen“, gab ich zur Antwort und unterstrich damit nochmal meine Ausführung.

Im ICD-Katalog werden die Klassifikationen von Krankheiten aufgeführt. Der Hinweis darauf betonte erneut meine professionelle Einschätzung. Normalerweise lasse ich nicht den Klugscheißer heraushängen, aber Herr Kirchner hatte eine Art an sich, die mich einfach zur Weißglut brachte.

Ich bewahrte aber weiterhin die Ruhe und wartete auf die Reaktion des Staatsanwaltes. Natürlich blieb die nicht lange aus.

„Wie erklären Sie sich dann den Umstand, dass man Zigarettenstummel am mutmaßlichen Tatort gefunden hat, die laut DNA-Analyse wahrscheinlich von Herrn Kreidlinger stammen? Ebenso hat er bereits in der Vernehmung zugegeben, schuld am Verschwinden von Laura zu sein. Da wir aufgrund der Menge des Blutes, das man am Tatort gefunden hat, daraus schlussfolgern müssen, dass die elfjährige Laura Grindl nicht mehr lebt, gehen wir von einer spontanen Tötung im Affekt aus. Ob der Tatverdächtige die Leiche selbst versteckt hat oder vielleicht einen Helfer hatte, werden die weiteren Ermittlungen noch zeigen.“

Herr Kirchner redete sich in Rage und ich hatte das Gefühl, dass er keinen großen Wert auf meine Antwort legte. Wenn er einmal eine Meinung von etwas hatte, war es fast unmöglich, ihn umzustimmen. Für ihn war der Fall klar. Die elfjährige Laura war verschwunden und mit aller Wahrscheinlichkeit nach tot.

Zwar waren immer noch Suchmannschaften in der Gegend des Dorfes unterwegs und drehten jeden Stein um, allerdings erwartete niemand, das Kind noch lebend zu finden. Bei solchen Tragödien braucht man innerhalb von vierundzwanzig Stunden einen mutmaßlichen Verdächtigen, sonst zerreißt einen die Presse sprichwörtlich in der Luft. Und leider passte Stefan Kreidlinger nur zu gut ins Bild.

Ein geistig zurückgebliebener Einundzwanzigjähriger mit Verhaltensstörungen, der im Verhör auch schon ein Schuldeingeständnis abgegeben hatte.

Noch dazu wurden DNA–Spuren am Tatort gefunden, die wahrscheinlich ihm zuzuordnen waren.

Für die Staatsanwaltschaft und die Bevölkerung war der Fall damit klar. Obwohl Herr Kirchner nicht wirklich an einer Antwort von mir interessiert war, wollte ich dennoch etwas erwidern.

„Ich kann Ihnen nicht sagen, wie die Zigarettenkippen von dem Angeklagten an den möglichen Tatort gekommen sind. Jedoch ist es ausgeschlossen, dass Herr Kreidlinger jemals dort geraucht hat. Wie ich bereits ausführte, leidet er unter einer ausgeprägten ritualbezogenen Verhaltensstörung. So hat er einen für ihn festen Platz, an dem er manchmal raucht. Der befindet sich in einem Schuppen neben der Garage an seinem Elternhaus. Er hat sich seinen Raucherplatz selbst ausgesucht und eingeprägt. Unter keinen Umständen würde er davon abweichen. Ich gehe davon aus, dass die Ermittlungen dies ebenso ergeben haben. Des Weiteren ist es bestimmt kein Geheimnis für die Nachbarn, wenn nicht sogar für das ganze Dorf, wo Herr Kreidlinger immer zum Rauchen hingeht. Und um die von Ihnen genannte Aussage in dem Verhör richtig einschätzen zu können, müsste ich mir die Aufzeichnung dazu erst ansehen.“

„Ich brauche Sie ja wohl nicht daran zu erinnern, dass Sie kein Kriminalbeamter mehr sind und wir hier keine neuen Theorien von Ihnen benötigen, Herr Bosch“, raunzte er mich in einem sehr sarkastischen Ton an.

„Aus diesem Grund halte ich mich in meinen Ausführungen auch nur an Fakten, Herr Oberstaatsanwalt“, gab ich in der gleichen Art zurück.

Jetzt schaltete sich Richterin Stechtel ein und dankte mir für meine Erläuterung und Einschätzung über den Gemütszustand von Stefan Kreidlinger. Nachdem niemand mehr eine Frage an mich hatte, wurde ich aus dem Zeugenstand entlassen.

Ich stand auf und setzte mich auf die leere Zuschauerbank auf der linken Seite. Schon allein deshalb, um meine Unterstützung für die Familie Kreidlinger zu unterstreichen und auch ein wenig aus Trotz, nahm ich demonstrativ gegenüber von den Zeugen der Anklage Platz, die alle rechts saßen.

Richterin Stechtel fragte die Anwälte nach weiteren Beweisen oder Anträgen. Nachdem keine neuen Zeugen aufgeführt und keine zusätzlichen Anträge mehr gestellt wurden, hatte die Staatsanwaltschaft das Wort.

Oberstaatsanwalt Kirchner beantragte die Aufrechterhaltung des Haftbefehls gegen Stefan Kreidlinger wegen des dringenden Tatverdachts der fahrlässigen Tötung der kleinen Laura Grindl.

Eine Mordanklage kam deswegen nicht in Frage, da aufgrund von Stefans Zustand weder von Heimtücke noch von Vorsatz auszugehen war.

Er fasste seine Indizienkette in einer arroganten Selbstsicherheit zusammen, dass einem schlecht werden konnte. Seine Anschuldigungen gegen Stefan Kreidlinger rasselte er förmlich herunter, als ob er noch dringend wohin müsste und er hier nur seine Zeit vergeuden würde. Ich fragte mich, ob er überhaupt an der Wahrheit interessiert war oder einfach nur seinen Willen durchsetzen wollte. Nachdem er fertig war, erteilte die Richterin dem Verteidiger Dr. Loßmann das Wort.

„Vielen Dank Frau Vorsitzende. Es ist immer wieder bedauerlich, dass sich die Staatsanwaltschaft selten die Zeit für gründliche Ermittlungen nimmt. Wie leider auch in diesem Fall. Zum einen finde ich es höchst skandalös, meinen Mandanten ohne Rechtsbeistand einem Verhör zu unterziehen. Noch dazu jemanden mit einer offenkundigen geistigen Behinderung. Hierzu wird noch eine Beschwerde an die Anwaltskammer durch meine Kanzlei folgen. Somit beantrage ich die Aussagen meines Mandanten zu streichen und unbeachtet zu lassen. Des Weiteren sprach die Staatsanwaltschaft selbst von einer Wahrscheinlichkeit, was die DNA-Analyse der Zigarettenkippen betrifft und somit nicht hundertprozentig meinem Mandanten zuzuordnen sind. Und nur weil die Zigarettenmarke, die am Tatort gefunden wurde, mit der Marke, die mein Mandant raucht, übereinstimmt, würde ich hier noch von keinem Beweis sprechen. Die Zeugenaussage des Forensikers hat ja gezeigt, wie schwer die Analyse der Kippen am mutmaßlichen Tatort war. Durch den einsetzenden Regen und andere Kontaminierungen ist es nicht mehr möglich, mit eindeutiger Sicherheit zu sagen, ob es sich tatsächlich um die Zigaretten von Herrn Kreidlinger handelt. Hier sind also mehr als nur berechtigte Zweifel gegeben. Zum Schluss haben wir noch die Einschätzung durch Herrn Bosch, bezüglich des psychologischen Profils meines Mandanten. Auch hier haben wir gehört, wie es um das Verhaltensmuster und den Gemütszustand von Herrn Kreidlinger steht. Ich glaube, es ist unnötig, dies nochmal zu wiederholen. Jedenfalls kann ich keine Beweislage durch die Staatsanwaltschaft erkennen und beantrage die sofortige Entlassung meines Mandanten aus der Psychiatrischen Klinik“, beendete Dr. Loßmann seinen Vortrag.

Die Richterin dankte den Anwälten und unterbrach die Sitzung für fünfzehn Minuten.

Ich nutzte die Pause und ging zu Stefan Kreidlinger. Er lächelte mich an und sofort war jedem klar, dass er weder wusste, was hier vor sich ging noch konnte er irgendwelchen Ausführungen folgen. Ihm war nur wichtig, dass seine Eltern bei ihm waren.

Sie waren sein Anker und nur bei ihnen hatte er die Geborgenheit, die er brauchte. Ich sprach kurz mit Stefan und seiner Familie und beglückwünschte Dr. Loßmann zu seinem Schlussplädoyer.

Es war alles gesagt und mehr konnte keiner von uns beitragen, um Stefan zu helfen.

Jetzt konnten wir nur noch hoffen.

Die fünfzehn Minuten waren schon lange um und von Richterin Stechtel war keine Spur zu sehen. Ich ging mir im Flur etwas die Füße vertreten und verpasste dadurch die Wiederaufnahme des Verfahrens. Zu spät sah ich, wie sich die Tür des Gerichtssaales wieder schloss. Da ich es unangemessen fand, nachträglich den Raum zu betreten, blieb ich im Flur und setzte mich wieder auf die harte Holzbank.

Es dauerte nochmal zwanzig weitere Minuten, bis sich die Tür des Sitzungssaales wieder öffnete und die Menschenmenge herausströmte. Zuerst kam die kleine Gruppe, die ich als Ermittlungsbeamte und Kollegen einstufte, auf mich zu und ging wortlos an mir vorbei. Kurz dahinter sah ich schon Stefan Kreidlinger mit seinen Eltern, gefolgt von Dr. Loßmann. Offensichtlich war kein dringender Tatverdacht mehr gegeben und Stefan durfte wieder nach Hause.

Grinsend blieb er vor mir stehen.

„Vielen Dank, Herr Bosch, dass ich wieder daheim schlafen darf. Da wird meine Mama bestimmt froh sein“.

Stefan war sichtlich glücklich und erleichtert, ebenso wie seine Eltern. Er ging mir mit seinen einen Meter und achtzig Zentimeter etwas über die Schulter, war schlaksig und hatte langes rabenschwarzes Haar. Was ihn aber auszeichnete, waren seine braunen Augen, mit denen er jeden Menschen mit einer Mischung aus Neugier und vollkommener Unschuld ansah. Für mich war es einfach unmöglich, dass Stefan etwas mit Lauras Verschwinden zu tun haben könnte.

„Keine Sorge Stefan, es wird sich bestimmt alles aufklären. Hauptsache ist, du bist wieder bei deinen Eltern“, gab ich zur Antwort.

Seine Mutter ergriff meine Hand und flüsterte mir mit tränenerstickter Stimme ein Danke zu. Sein Vater stand daneben, blickte mich wortlos an und nickte mir zu. Dennoch sah ich die Sorgen, die ihm im Gesicht standen. Nicht nur der Dreitagesbart und die eingefallenen Wangen, ließen ihn mehr als mitgenommen aussehen.

„Herr Bosch, kann ich Sie bitte kurz sprechen?“, fragte mich Dr. Loßmann plötzlich und zog mich ein paar Schritte von der Familie weg. Mit gedämpfter Stimme erklärte er mir sein Anliegen.

„Herr Bosch, vielen Dank für Ihre Aussage und Ihre Beurteilung. Dies hat uns hier sehr geholfen. Ich bin Ihnen wirklich dankbar, dass Sie den Auftrag so schnell übernehmen konnten. Allerdings fürchte ich jetzt noch um die Sicherheit meines Mandanten, solange der Fall nicht aufgeklärt ist. Wie mir Herr Kreidlinger Senior mitteilte, ist während der letzten Abende das Haus der Familie mit üblen Parolen beschmiert worden. Es wurden Scheiben eingeworfen und das Auto demoliert. Wie Sie ja wissen, wohnt die Familie in Oberglockenbach, einem sehr überschaubaren Dörfchen und da ist die Stimmung gegen meinen Mandanten sehr gereizt.“

Ich konnte mir die Situation gut vorstellen. Gerade in einem so kleinen Ort, können die Gemüter schon mal überkochen.

„Lassen Sie mich raten, Sie waren schon bei den zuständigen Ermittlungsbeamten und die haben Sie abblitzen lassen. Die sehen keine akute Gefährdungslage für die Familie Kreidlinger, geben die Sachbeschädigung aber selbstverständlich an die Kollegen weiter“, antwortete ich.

„Das war so ziemlich der Originalton und ich hatte nicht den Eindruck, als würde sich überhaupt jemand darum kümmern wollen“, meinte Dr. Loßmann.

„So leid es mir tut, aber da ich nicht mehr bei der Polizei bin, kann ich mich nicht in die Ermittlungen einschalten. Allerdings bin ich ja von Natur aus der kommunikative Typ und wollte sowieso Stefan nach Hause begleiten. Vielleicht kann ich mich ja ein wenig umhören und mir ein Bild von dem Dörfchen machen“, bot ich an.

„Vielen Dank, allerdings löst das noch nicht die Bedrohungslage gegen die Familie.“

In der Stimmlage des Anwaltes war die Ernsthaftigkeit der Situation deutlich zu hören.

„Jetzt mal im Klartext, Herr Dr. Loßmann. Ich bin Psychotherapeut und kein Personenschützer. Noch dazu kann einer allein nicht die Sicherheit für eine ganze Familie übernehmen. Schon gar nicht rund um die Uhr. Wenn Sie wirklich die Notwendigkeit für professionelle Bodyguards sehen, wird das noch dazu nicht billig“, erklärte ich ihm.

„Wollen Sie damit sagen, Sie könnten mir jemanden empfehlen?“, fragte er.

„Ich kann zumindest jemanden anrufen und fragen. Wie gesagt, es wird nicht billig, aber dafür garantiere ich Ihnen den denkbar bestmöglichen Schutz für die Familie.“

„Sollten Sie das organisieren können, Herr Bosch, wird jeder Preis akzeptiert. Sie müssen wissen, der Onkel meines Mandanten ist in der Politik tätig. Er bezahlt in diesem Fall die Rechnungen, möchte jedoch nicht in Erscheinung treten. Bis jetzt hat die Presse noch keine Ahnung davon bekommen und es wäre schön, wenn das so bleiben würde“, klärte er mich auf.

Jetzt war die Katze aus dem Sack.

Ich hatte mich schon die ganze Zeit gefragt, wie sich die Familie Kreidlinger einen Anwalt vom Kaliber eines Dr. Loßmann leisten konnte.

Für mich war damit die Sache erstmal geklärt. Es gab also einen Onkel der anscheinend nicht in Erscheinung treten wollte. Stellte sich nur die Frage, ob dieser Onkel generell das Licht der Öffentlichkeit scheute oder ob es einen anderen Grund für seine Zurückhaltung gab. Aber das war im Moment nicht mein Problem. Ich musste jetzt erst einmal klären, ob Dominik Zeit hatte, um auf die Familie aufzupassen. Außerdem brauchten wir für einen Rundumschutz auf jeden Fall mehr Leute. Ich dachte da an ein paar Schüler meines Freundes. Angesichts des lukrativen Nebenverdienstes durfte es kein Problem sein, ein paar Polizeischüler dafür begeistern zu können. Sowas hatten wir früher schon gemacht.

Dominik ist als Ausbilder für polizeiliches Einsatzverhalten zuständig und könnte diesen Job gleichzeitig als Training für seine Jungs und Mädels nutzen. Und eine kleine Truppe aus angehenden Polizisten, die von meinem Freund im Nahkampf trainiert werden, waren als Schutz für die Familie Kreidlinger absolut perfekt. Also rief ich gleich mal bei Dominik an und erklärte ihm, worum es ging.

„Tut mir leid, Peter. Gestern habe ich den Einsatzbefehl für München bekommen. Ich fahre mit meiner Gruppe für drei Tage zum Training mit dem SEK. Wir müssen in zwei Stunden los. Aber wenn du willst, schicke ich dir jemanden, der mich vertritt.“

Dominik war hörbar in Eile und fasste sich dementsprechend kurz. Dennoch erkannte er genauso wie ich die Notwendigkeit zum Schutz der Familie und hatte eine Alternative parat. Mein Freund schlug mir zu meinem Erstaunen vor, Viktor zu engagieren.

Damit habe ich jetzt nicht gerechnet.

Ich lernte ihn vor zwei Jahren kennen, als ich mit Dominik zusammen ein obskures Wettbüro dicht gemacht hatte. Damals hatte Viktor für einen serbischen Kleinganoven gearbeitet. Aber als wir uns dann eingeschaltet hatten, zog er sich zurück und hielt sich im Hintergrund. Dominik und Viktor kannten sich schon lange und haben eine gemeinsame Vergangenheit, von der mir mein Freund im Vertrauen erzählte.

Ich wusste noch nicht genau, was ich von Viktor halten sollte, wollte aber auch nicht vorschnell über ihn urteilen. Dominik hielt ihn für zuverlässig und ebenso fähig, diesen Job zu übernehmen. Sonst würde er ihn nicht vorschlagen. Also stimmte ich zu. Zum einen vertraute ich Dominik vollkommen und zum anderen konnte ich mir so ein objektives Bild von Viktor machen. Ich ließ mir die Telefonnummer geben und rief bei Viktor an. Zu meinem Erstaunen wusste er genau, wer ich war und ich erklärte ihm mein Anliegen. Er nannte mir seinen Tagespreis und sagte zu, in zwei Stunden am Haus der Familie Kreidlinger zu sein. Er stellte keine Fragen über den Fall oder über die Familie. Ich sagte ihm, dass der Anwalt eine Gefährdung für seinen Mandanten und dessen Familie sah, die Polizei allerdings eine andere Sichtweise hatte.

Er versprach mir, dass es zu keiner weiteren Gefährdung mehr kommen würde. Und so, wie ich ihn damals kurz kennengelernt hatte, neigte ich dazu, ihm zu glauben.

Somit war alles geklärt und ich gab Dr. Loßmann Bescheid, dass er sich keine Sorgen mehr um seinen Mandanten machen musste.

Er war sichtlich erleichtert und bedankte sich bei mir. Wir wandten uns wieder der Familie Kreidlinger zu und Dr. Loßmann informierte die Eltern über die kommende Schutzmaßnahme. Der Vater machte einen zweifelsohne befreiten Eindruck, während die Mutter irritiert wirkte. Die Familie tat mir wirklich leid. Innerhalb von wenigen Tagen wurde ihre Welt auf den Kopf gestellt. Was vorher noch nach einem Hollywoodstreifen klang, war plötzlich Realität. Das Verschwinden der kleinen Laura, die Polizeiermittlungen, der Tatvorwurf gegen ihren Sohn Stefan und jetzt kamen auch noch Fremde, die sie vor ihren Nachbarn und allen anderen Dorfbewohnern schützen sollten. Das alles war nun wirklich nicht leicht zu verkraften. Allerdings hielten sie sich mehr als tapfer und dafür gebührte ihnen alle Hochachtung. Jedenfalls nahm ich mir vor, der Familie zu helfen, so gut ich konnte.

Zusammen verließen wir das Gerichtsgebäude. Draußen verabschiedete sich Dr. Loßmann von uns. Ich ging mit der Familie zum Parkplatz und wir liefen auf meinen BMW zu. Herr Kreidlinger war mit einem Leihwagen gekommen. Er erzählte mir, dass sein eigenes Auto noch in der Werkstatt war. Die eingeworfene Frontscheibe musste ersetzt werden, sowie die Beulen repariert und die Schmierereien, nach Möglichkeit, entfernt werden.

Er hatte einen Skoda und parkte nur drei Wagen hinter mir. Als wir auf mein Cabriolet zugingen, hob Spenser neugierig den Kopf. Es war ein sonniger Tag und für Anfang Mai auch schon richtig warm. Ich hatte das Verdeck meines Wagens offengelassen und Spenser hatte es sich auf der Rückbank gemütlich gemacht.