Mörderisches Windeck - Andreas Zwengel - E-Book

Mörderisches Windeck E-Book

Andreas Zwengel

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Beschreibung

Der Bonner Geschäftsmann Roland Berghoff kaufte vor Jahren in der Gemeinde Windeck eine Villa. Eines Tages wird er dort erschlagen aufgefunden. Einflussreiche Freunde des Toten entsenden daraufhin einen erfahrenen Kommissar, der zusammen mit einer ortsansässigen Polizistin den Fall lösen soll. Doch die Ermittlungen erweisen sich als schwierig, denn jeder, der mit Berghoff zu tun hatte, besaß offenbar auch ein Motiv, ihn zu ermorden. An erster Stelle sein Sohn Finn, der zudem flüchtig ist. Dem Windecker Ländchen stehen unruhige Zeiten bevor. Die Printausgabe des Buches umfasst 248 Seiten. Die Exklusive Sammler-Ausgabe als Taschenbuch ist nur auf der Verlagsseite des Blitz-Verlages erhältlich!!!

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Andreas ZwengelMÖRDERISCHES WINDECK

In dieser Reihe bisher erschienen

3501 Thomas Ziegler Überdosis

3502 Renate Behr Tod am Dreiherrenstein

3503 Alfred Wallon Sprung in den Tod

3504 Ulli B. Entschärft

3505 Udo W. Schulz Unter Blendern

3506 Alfred Wallon Die Escort-Lady

3507 Stephan Peters Die Hexe von Gerresheim

3508 Uwe Voehl Mörderisches Klassentreffen

3509 Andreas Zwengel Mörderisches Windeck

Andreas Zwengel

Mörderisches Windeck

DER REGIONAL-KRIMIRhein-Sieg

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2023 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannUmschlaggestaltung: Mario HeyerTitelbild: Michael KuhnSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-387-2

TAG 3

Das Blaulicht von Polizei und Krankenwagen wanderte über die Fassade der Villa und schuf eine hektische Atmosphäre in der ansonsten ruhigen Nacht. Es war vier Uhr morgens, als sich Hauptkommissar Paul Walden, ein Endvierziger in einem dunklen Anzug, schwerfällig aus seinem Fahrzeug quälte. Eine leichte Rippenprellung zwang ihn momentan zu wohlüberlegten und langsamen Bewegungen. Das zeitlupenartige Aussteigen aus dem SUV verursachte ein Stirnrunzeln bei der Polizistin, die ihn am Tatort erwartete.

„Arbeitsunfall“, erklärte Walden knapp. Gerne hätte er behauptet, es sei die Folge einer wilden Verfolgungsjagd durch die Bonner Innenstadt, bei der er einen halb so alten Parcours-Fan geschnappt hatte. Es wäre weniger peinlich gewesen, als die Wahrheit.

Die Polizistin war höchstens Mitte zwanzig und ziemlich hübsch. Walden überlegte, was sie in die Provinz verschlagen hatte. Entweder stammte sie von hier oder man hatte ihr in der Stadt das Leben zu schwer gemacht. Für eine gutaussehende Frau war dieser Beruf nicht einfach. Nicht nur wegen der Klientel, auch einige der lieben Kollegen leisteten ihren Beitrag. Entweder nahmen sie Frauen in diesem Job nicht ernst oder versuchten, sie ins Bett zu bekommen. Walden hatte Sprüche mitanhören müssen, bei denen Fremdschämen noch seine mildeste Reaktion gewesen war.

„Paul Walden“, stellte er sich vor und streckte ihr die Hand entgegen.

„Nathalie Bellock.“ Falls sie erstaunt darüber war, dass Waldens Scheitel kaum bis zu ihrer Nasenspitze reichte, ließ sie es sich nicht anmerken. Nathalie ergriff seine Hand und schüttelte sie so sehr, dass er schmerzhaft das Gesicht verzog. Erschrocken ließ sie los.

„Was haben wir hier?“, fragte Walden, bemüht um Sachlichkeit.

„Die prominenteste Leiche, die Windeck zu bieten hat.“

Er musterte sie wegen ihres Tonfalls. „Und wohl nicht der beliebteste Einwohner, hm?“

Sie lächelte. „Bei dieser Bezeichnung würden die meisten Leute hier widersprechen.“

„Beliebt?“

„Einwohner. Roland Berghoff war hier bestenfalls ein Wochenendgast.“ Sie wies auf die Villa vor ihnen, die sich erhöht auf einem Hügel befand, abseits des Ortes. „Er hat sich das schönste Haus in der Gegend gekauft und nutzte es kaum. Das haben ihm viele hier übel­genommen. Er hielt sich meist in Bonn auf und interessierte sich kaum für Windeck. Die Einheimischen glaubten, dass er nichts mit ihnen zu tun haben wollte.“

„Was wohl auch zutraf.“

„Ganz sicher sogar“, bestätigte Nathalie.

„Wer hat die Leiche gefunden?“

„Mein Kollege und ich. Ein Spaziergänger hat gestern Nacht Schreie aus der Villa gehört.“

„Also nur ein Ohrenzeuge, kein Augenzeuge.“

Nathalie nickte. „Der Zeuge besitzt kein Handy, deshalb musste er erst in den Ort laufen, um uns zu verständigen.“

„In der Zeit ist der Täter verschwunden.“

„Irgendwann vor unserem Eintreffen um Nulldreißig. Wir fanden die Tür offen und den Hausherrn tot im Flur. Anschließend haben wir das zuständige Kriminal­kommissariat verständigt und bekamen kurz darauf mitgeteilt, dass Sie unterwegs seien.“

Walden wies auf den hell erleuchteten Hauseingang, wo zwei Mitarbeiter des Erkennungsdienstes arbeiteten. „Sollen wir?“

„Sie sind ziemlich schnell hier eingetroffen. Von Bonn aus, meine ich“, sagte Nathalie, als sie die Villa betraten.

„Man hat mich sofort losgeschickt, als die Meldung kam. Die Nachricht von Berghoffs Tod muss sich schnell herumgesprochen haben. Mächtige Männer haben mächtige Freunde.“

„Aber auch mächtige Feinde. Wo ist der Rest Ihrer Leute?“

„Ich bin die Vorhut.“

Nathalie blieb an der großen Zwischentür stehen. „Ich beneide Sie nicht um Ihre Aufgabe, Herr Haupt­kommissar.“

Sie duckten sich unter dem rot-weißen Absperrband hindurch und bedienten sich aus den bereitstehenden Boxen mit Einweghandschuhen und Schuhüberziehern.

„Nennen Sie mich Paul. Das ist einfacher, wo wir doch in nächster Zeit viel miteinander zu tun haben.“

„Wie ist das gemeint?“ Nathalie blickte auf, nachdem sie die Plastikhandschuhe über ihre Hände gestreift hatte.

„Sie werden mir doch bei der Lösung des Falls helfen, Frau Kollegin?“

„Sehr gerne. Und: Nathalie.“

Er nickte. „Ich möchte hier keine Kompetenz­streitigkeiten, Nathalie. Auch wenn Sie das Gefühl haben, hier übergangen zu werden.“

„Ich verstehe das schon. Jemand mit Einfluss hat Sie geschickt, weil es sich um eine wichtige Persönlichkeit handelt. Ich habe kein Problem damit, Hilfe anzunehmen, wenn es der Aufklärung des Falles dient.“

Sie war wirklich hübsch und das Interessante daran war, dass Walden nicht sagen konnte, ob sie geschminkt war. Nicht, ohne sie genauer anzusehen, was zu auffällig gewesen wäre. „Sie können nur profitieren“, versprach er. „Berghoff hatte einflussreiche Freunde und die möchten, dass der Fall schnell geklärt wird. Die machen oben Druck und der wird nach unten weitergegeben, bis er bei mir ankommt. Aber sobald wir den Fall gelöst haben, wird das auch Ihre Karriere beflügeln.“

Nathalie lächelte. „Sie brauchen mich nicht zu überreden. Ist ja nicht so, als könnte ich mich hier vor interessanten Fällen nicht retten.“

„Sie stammen aus Windeck?“

„Geboren, aufgewachsen und aller Voraussicht nach, werde ich hier wohl auch als hoffentlich sehr alte Frau sterben.“

„Hoffen wir mal das Beste.“ Walden ließ ihr mit einer angedeuteten Verbeugung den Vortritt.

Drinnen lag die Leiche ausgestreckt auf dem Bauch. Mitten im hallenartigen Eingangsbereich am Fuß der ­breiten Holztreppe. Der Körper war abgedeckt, doch die Blut­flecken, die das Tuch durchdrungen hatten, vermittelten einen Eindruck von den Verletzungen, die es verbarg.

Walden grüßte die Kollegen und nickte einem von ihnen bestätigend zu, damit er das Tuch von der Leiche hob. Der Erkennungsdienst hatte die Leiche erstaunlicherweise bereits vollständig entkleidet, um nach weiteren Wunden außer den offensichtlichen zu suchen. Es war kaum genug vom Schädel übrig, um ihn noch als solchen zu bezeichnen. Langsam ging der Haupt­kommissar um die Leiche herum, während er aufmerksam dem Bericht des Fachmanns lauschte. Die Todesursache hatte den Fachmann vor kein großes Rätsel gestellt. Berghoff war an zahlreichen Schlägen auf den Hinterkopf gestorben.

Walden sah Nathalie fragend an und wies dabei mit dem Daumen hinter sich zu einem stark übergewichtigen Mann im Jogginganzug, den er sicher nicht zum Joggen trug. Der Mann saß auf einer Stufe der breiten Holztreppe die zu den oberen Zimmern führte.

„Doktor Hiller hat den örtlichen Notdienst“, sagte Nathalie. „Er hat den Tod festgestellt.“

„Wofür man kein Medizinstudium braucht“, sagte der Arzt und zog sich ächzend am Treppengeländer hoch. „Wer immer Berghoff getötet hat, konnte ihn wirklich nicht leiden. Das war kein eiskalt ausgeführter Mord, sondern eindeutig etwas Persönliches. Derjenige muss einen richtigen Hass auf ihn gehabt haben, um sich so ins Zeug zu legen. Ich würde behaupten, da hat sich jemand abreagiert, bei dem sich eine Menge aufgestaut hat. So wie bei einem ungeliebten Sohn.“

„Nur die Fakten bitte“, ermahnte Nathalie den Arzt.

„Das ist eine durchaus naheliegende Vermutung“, beschwerte der sich.

Nathalie seufzte. „Möglich. Aber da Finn etwas mit deiner Tochter hatte und die beiden nicht als Freunde auseinander gegangen sind, bist du nicht ganz unvoreingenommen.“

Doktor Hiller grummelte. „Meine Arbeit hier ist dann wohl getan“, sagte er und watschelte zur Haustür.

„Ich wusste sofort, dass sich Ihr Hintergrundwissen bezahlt machen wird“, sagte Walden und nickte zufrieden. Er wandte sich an den Kollegen vom Erkennungsdienst. „Was könnte die Tatwaffe gewesen sein?“

„Da kommt praktisch jeder stumpfe Gegenstand in Frage. Ich gehe davon aus, dass der Mörder sie mitgenommen hat.“

„Nur, weil sie nicht neben der Leiche liegt?“, fragte Walden. „Ich fürchte, etwas mehr Mühe werden wir uns bei der Suche schon geben müssen.“ Er wandte sich an Nathalie. „Wie viele Kollegen können Sie aufbringen, um das Gelände abzusuchen?“

„Zwei Kollegen. Und eine Kollegin.“

Er lächelte. „Entschuldigung. Mein alter Gender-Defekt.“

Nathalie mochte den kleinen Kerl. Er war nur knapp mittelgroß, versuchte aber nicht, seine bescheidene Größe durch eine straffe Körperhaltung zu kaschieren. Statt­dessen hielt er seinen Kopf immer leicht zur Seite geneigt, als würde er bestimmte Details prüfend betrachten.

Der leitende Erkennungsdienstler räusperte sich. „Der Täter wollte nicht, dass es schnell ging, sonst hätte er sich zuerst den Kopf vorgenommen. Stattdessen hat er ihm die Kniegelenke zertrümmert. Er hat das Opfer durchs Haus kriechen lassen und dabei immer wieder auf ihn eingeschlagen. Es ist ziemlich gut zu erkennen, an welcher Stelle im Erdgeschoss er sich welchen Teil des Körpers vorgenommen hat.“

„Bis zu der Stelle hier, wo er ihm den Rest gab.“

„Ja. Das Opfer ist flach über den Boden gekrochen. Gehen war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Der Täter stand breitbeinig über ihm und hat durchgezogen. Wie ein Golfer.“

Walden blickte auf.

Der Erkennungsdienstler zuckte mit den Schultern. „Sorry, blöder Witz. Ein Schlag traf seitlich den Kopf und hat dem Opfer wahrscheinlich das Bewusstsein geraubt. Danach erfolgte die Zerstörung des Schädels.“

„Von einem Mann?“

„Oder einer sehr starken Frau. Auf jeden Fall steckte ordentlich Schmackes hinter den Schlägen.“

„Schmackes?“

„Ich will es mal so ausdrücken: Unser Täter wollte ganz sicher gehen. Nicht mal bei The walking dead geht man so sicher. Sorry, noch ein blöder Witz. Wir haben hier eine deutliche Lücke im Spritzmuster des Blutes. Da muss der Täter gestanden haben.“

„Und er muss eine ordentliche Ladung abbekommen haben.“

„Richtig. Leider haben wir keine Fußabdrücke mit Blutflecken und auch keine verteilten Tropfen. Das bedeutet, der Mörder hat keine wasserabweisende Kleidung getragen. Das Blut, das ihn getroffen hat, wurde vom Stoff aufgesogen.“

„Wo befand sich Berghoff, als er angegriffen wurde?“

„Im Wohnzimmer an seiner kleinen Hausbar. Er hatte sich gerade einen Drink gemacht, als er den ersten Schlag erhielt. Rücken oder Kniekehlen, jedenfalls ging er zu Boden. Glas und Karaffe sind direkt daneben auf dem Boden zerplatzt und er hat den Whiskey über den Boden verteilt, als er davonkroch. Das meiste ist noch an seinen Hosenbeinen.“

Walden und Nathalie blickten ins Wohnzimmer, wo Markierungen die einzelnen Stationen kennzeichneten.

„Er ist nochmal auf die Beine gekommen, bevor sich der Täter seine Kniescheiben vorgenommen hat.“

„Schrecklich“, sagte Nathalie, die den Fehler beging, sich den Vorgang allzu plastisch vorzustellen. Einschließlich der Gefühle und Schmerzen des Opfers zu diesem Zeitpunkt.

Walden bedankte sich bei seinem Kollegen und wandte sich Nathalie zu. „Gibt es noch etwas über den Toten zu wissen, das ich nicht von Google erfahren kann? Laut Internet war er nirgendwo beliebt. Und nach allem, was ich gelesen habe, war er das auch nicht ohne Grund. Aber es scheint Berghoff nicht gestört zu haben.“

Nathalie nickte. „Ich glaube, er mochte es, gefürchtet zu werden. Wer weiß, vielleicht verschaffte es ihm auch einen Kick, von allen gehasst zu werden.“

„Menschlich gesehen war er also kein Verlust“, schloss Walden.

„Manche Leute wird die Identität des Mörders nur interessieren, um ihm einen Dankesbrief zu schicken.“

„Dann hoffe ich mal, die Dankbarkeit geht nicht so weit, dass jemand den Mörder deckt.“ Walden zog eine Schachtel Zigaretten aus der Innentasche seines Jacketts und wies mit dem Kinn nach draußen. Sie entsorgten am Eingang die Einweghandschuhe und die Plastiküberzieher für ihre Schuhe.

Vor der Tür zündete sich Walden eine Zigarette an und blickte über den abschüssigen Park, bis Nathalie neben ihn trat. Er hielt ihr die Packung hin, aber sie lehnte ab.

„Können Sie mir Verdächtige im Ort nennen?“, erkundigte er sich bei der Polizistin.

Sie nickte so heftig, dass ihr Pferdeschwanz wippte. „Oh ja, mehr als genug.“

TAG 1

Finns Frühstück auf der Polizeiwache in Eitorf bestand aus eingeschweißten Sandwiches von der Tankstelle und einem extrem dünnen Kaffee, der ihm in einer angestoßenen Schalke-Fan-Tasse serviert wurde. Der Beamte betonte, dass dieser spezielle Service nur seiner persönlichen Freundlichkeit entsprang und keineswegs Standard auf dieser Dienststelle war.

„Für eine positive Bewertung hätten Sie auch noch eine Paracetamol springen lassen müssen“, sagte Finn wenig beeindruckt.

Der Polizist lachte gutmütig, ließ aber durchblicken, dass Finn sein Frühstück gerne vor der Tür einnehmen konnte.

Finn nahm einen Schluck Kaffee und verzog das Gesicht. „Ungenießbar“, lautete sein Urteil. Er stellte die volle Tasse auf der Bank ab. Dann erhob er sich und entsorgte die Sandwiches mit einem gezielten Wurf in einem Papierkorb.

„Arroganz ist ein Bumerang“, sagte der Beamte und wandte sich mit einem gleichgültigen Schulterzucken seinen Papieren zu. Er war zu lange in diesem Job, um sich noch über unverschämtes Verhalten aufzuregen. Außerdem wusste er zu viel über Finn Berghoff, um überrascht zu sein. Wirklich überrascht wäre er nur, wenn dieses kleine Arschloch nicht dauerhaft im Gefängnis landete, bevor es zwanzig war. Laut Geburtsdatum blieben ihm dafür noch acht Monate.

„Kann ich gehen?“, fragte Finn gereizt.

„Ich bitte darum.“ Der Polizist drehte sich mit seinem Schreibtischstuhl zu ihm herum und betrachtete ihn über den Rand seiner Lesebrille. „Es gab keine Anzeige. Muss toll sein, wenn der Papa alles für einen regelt.“

Finn ballte die Fäuste. „Sie können den Posten als sein Sohn gerne haben“, zischte er. „Vielleicht adoptiert er sie ja.“ Es kam noch wütender heraus, als er es beabsichtigt hatte.

Polizeiobermeister Claus erkannte, dass bei dieser Vater-Sohn-Beziehung so einiges im Argen lag.

Als Finn aus der Polizeiwache trat, stand er für einen Moment geblendet im hellen Sonnenlicht und wusste nicht so recht, was er nun tun sollte. Der Verkehr floss an ihm vorüber, doch niemand hielt an. Warum auch? Finn rechnete nicht damit, dass sein Vater ihn abholte. Er würde wie immer keine Zeit haben, das war nichts Neues. Vielleicht würde er jemanden schicken, um ihn abzuholen. Sein Vater, der Geschäftsmann, der seinem miss­ratenen Sohn aus unerfindlichen Gründen noch immer half. Weil Finn das Einzige war, was ihm außer seinem Geld noch blieb. Und es war dieses Geld und das unentwegte Streben danach, das die unüberbrückbare Kluft zwischen ihnen aufgetan hatte.

Und tatsächlich hielt ein schwarzer Mercedes kurz vor ihm in einer Parkbucht. Das Fahrerfenster glitt herab. Die Frau am Steuer gehörte zu den attraktivsten, die Finn kannte. Sie lächelte ihn freundlich an. „Hallo, Finn. Entschuldige die Verspätung.“

„Hallo, Viona“, sagte er, ohne besondere Freude zu zeigen. Nicht wegen ihr, denn er freute sich immer, sie zu sehen. Er wollte nur nicht zugeben, dass er sich jemand anderen erhofft hatte. „Du bist hier um mich abzuholen“, stellte er fest. Was hatte er auch erwartet? Sein Vater delegierte unangenehme Aufgaben meistens. Finn wollte eine bissige Bemerkung machen, doch dann ließ er es bleiben. Sie hatte es nicht verdient, dass er seine Wut an ihr ausließ. „Vielen Dank, muss nicht sein.“

„Das wird aber ein langer Fußmarsch bis nach Hause“, sagte Viona und lachte. Damit hatte sie gerechnet.

„Was für ein Zuhause?“, platzte er heraus. „Unter einem Zuhause verstehe ich einen Ort, an dem man sich länger als ein paar Stunden in der Woche aufhält. Also, was soll ich da, wenn ich eh die meiste Zeit alleine bin? Wenn er mich sehen will, dann kann er zu mir kommen, das heißt, wenn es sein Terminkalender zulässt. Du weißt doch am besten Bescheid. Hat er in dieser Woche irgendwann zwei Stunden Zeit für seinen Loser-Sohn?“

„Finn, bitte!“

„Entschuldige.“ Er riss sich zusammen. Sie hatte seine Wut wirklich nicht verdient.

„Hast du irgendwelche Probleme, bei denen ich dir helfen könnte?“

„Nein“, behauptete er trotzig.

„Auch nicht mit Motorradfahrern?“

Widerwillig trat ein Lächeln auf sein Gesicht. „Dir entgeht wohl überhaupt nichts?“

„Das ist mein Job“, sagte sie und lächelte ebenfalls.

Genau das war es, was Finn so störte. Viona war nur ein paar Jahre älter als er, aber sie behandelte ihn wie ein kleines Kind. Sie sah in ihm keinen Mann, sondern den kleinen Sohn ihres Auftraggebers. Bestenfalls betrachtete sie sich als seine große Schwester.

„Ich habe den Biker entschädigt und eine Anzeige abgewehrt“, erklärte sie.

Er nickte. Kein Wort des Dankes kam ihm über die Lippen, als wäre es selbstverständlich, dass sie seine ­Probleme so schnell und effizient löste.

„Irgendwann gerätst du an jemanden, der sich nicht mit Geld beruhigen lässt. Dann wird es zur Anklage kommen.“

Finn schnaubte. „Vielleicht wäre das die Anwesenheit meines Vaters wert.“

„Tust du es deshalb? Um seine Aufmerksamkeit zu erlangen? Oder um ihn zu bestrafen?“

Finn brummte vor sich hin.

„Zugegeben, genau das war meine Vermutung. Es ist bloß so … klischeehaft.“

„Er hat mich nach hier in den Dschungel abschoben“, sagte Finn barsch.

„Nicht grundlos. Du hast in Bonn ziemlich viele Leute verärgert.“

„Ist wohl eine Familientradition.“

„Und du hast deinen Vater oft genug in Verlegenheit gebracht.“

„Klar bist du auf seiner Seite, schließlich bezahlt er dich.“ Finn reagierte häufig so heftig, um die Menschen auf Abstand zu halten.

Doch Viona kannte ihn schon zu lange, um sich davon noch abschrecken zu lassen. Er war einsam, traurig und wütend. Und das schon viele Jahre lang. Die einzige Person, die daran etwas ändern könnte, ließ stattdessen von ihr Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke für den eigenen Sohn besorgen. „Das sind Fakten“, erklärte sie geduldig, ersparte ihnen beiden aber, Beispiele aufzuzählen. „Kann ich dich jetzt nach Hause fahren?“

„Der Bahnhof ist nicht weit.“ Dann wurde sein Blick gnädiger. „Du musst doch bestimmt noch genug andere Sachen für ihn erledigen.“

Sie antwortete nicht, aber das war auch nicht nötig. „Versprich mir, dass du dich bei deinem Vater meldest“, sagte sie durch das offene Fenster. „Er macht sich Sorgen.“

Finn senkte den Kopf. „Ich kann ja verstehen, dass du ihn in Schutz nimmst. Aber du kannst das doch nicht wirklich glauben. Mein Vater ist ein Arschloch und niemand kann mich mehr vom Gegenteil überzeugen. Und du hast es eigentlich nicht nötig, für ihn zu lügen.“ Er sah sie an und zwang sich zu einem schwachen Lächeln. „Aber ich danke dir, dass du hier warst.“

Viona winkte zum Abschied und fuhr los.

*

Viona hielt auf dem Parkplatz seitlich dem Bahnhof Schladern und stieg aus dem Mercedes. Ihr Ziel war das im Bahnhof integrierte Café. Wo bis in die späten Siebzigerjahre literweise Bier getrunken wurde, gab es jetzt Frühstück und nachmittags Törtchen. Im Innenraum hechelte ein überforderter Azubi grußlos an ihr vorbei. Vor der Kuchentheke standen zwei Frauen im Gespräch vertieft. Doch sofort drehten sich die Köpfe der beiden zu ihr. Unverhohlene Neugier auf den Gesichtern.

„Guten Morgen“, grüßte Viona und wollte an ihnen vorbei. Sie bemerkte, dass die zwei Frauen vor ihr auf eine Gesprächsabwechslung warteten.

„Sie wünschen bitte“, fragte die Verkäuferin hinter der Theke.

„Oh, ich kann warten, bedienen Sie ruhig erst die Damen.“

„Wir haben Zeit“, versicherte eine der beiden Kundinnen das ohnehin Offensichtliche. Sie waren alle im etwa gleichen Alter und wirkten total entspannt.

„Danke sehr“, sagte Viona und trat näher an die Theke. „Ich suche einen gewissen Wilko Lennart. Er soll sich morgens hier aufhalten“

„Sie meinen unseren Hotelier“, stellte die Verkäuferin fest und warf ihren Kundinnen verschworene Blicke zu. „Der sitzt hinten an seinem Stammplatz um die Ecke.“

„Er könnte natürlich genauso gut in seinem eigenen Hotel sitzen“, meinte eine der Frauen.

„Da wäre genug Platz“, stimmte die andere zu.

„Aber was soll er da, wenn er eh keine Gäste hat?“

„Immerhin hat er Geld, um sich hier den teuren Kaffee zu kaufen.“

„Moment mal“, empörte sich die Verkäuferin. „Du kannst ja mal versuchen, für das Geld bei Starbucks einen Kaffee zu bekommen.“

Keine Gehässigkeit, eher gutmütiger Spott, mit einer Spur von Bedauern. Viona hatte den Eindruck, die Frauen mochten den Mann, den sie suchte.

„Möchten Sie etwas trinken?“, fragte die Verkäuferin.

„Einen Milchkaffee für mich und für ihn nochmal, was er hatte.“

„Er hatte schon zwei Kaffee. Er trinkt nie mehr als zwei.“

„Was würden Sie dann empfehlen?“, fragte Viona.

„Er mag kalten Kakao“, sagte die Frau neben ihr.

Die Verkäuferin nickte zustimmend. „ Gehen Sie rüber, ich bringe alles.“

Viona bedankte sich und ging in den rückwärtigen Teil des Cafés. Früher befand sich hier ein Aufenthaltsraum der Bahnbediensteten. Direkt anliegend ein kleiner Raum, der mit gemütlichen Polstermöbeln eingerichtet war. Zwei große Fenster, mit Blick auf den Bahnsteig, boten ausreichend Licht für Wilko Lennart, der allein saß und in einem Buch las.

Viona blieb neben dem Tisch stehen und wartete, bis er auf sie aufmerksam wurde. Sie kannte sein Foto von der Homepage seines Hotels, aber das war wohl schon etwas älter. Er musste fast Mitte Dreißig sein. Sein schwarzes Haar trug er inzwischen länger und nicht mehr so ordentlich, außerdem verzichtete er auf tägliche Rasuren. Auf der Homepage des Hotels sah er aus wie Keanu Reeves an einem mittelguten Tag, aber als er nun zu ihr aufblickte, wirkte er wie John Wick am Ende eines Films. Dann lächelte er und gewann deutlich an Attraktivität.

„Guten Morgen, Herr Lennart. Mein Name ist ...“, wollte sie sich vorstellen.

„Viona Waltz“, ergänzte er. „Sie sind die Privat­sekretärin von Roland Berghoff.“

Sie sah ihn überrascht an. „Kennen wir uns schon?“

„Noch nicht persönlich.“ Er legte sein Buch zur Seite. „Was kann ich für Sie tun, Frau Waltz?“

Viona setzte sich. „Im Gegenteil, ich möchte etwas für Sie tun.“

„Lassen Sie mich raten. Sie sollen mir im Auftrag von Finns Vater eine Stellung in einer seiner Firmen anbieten, weil ich seinem Sohn geholfen habe.“

„Dicht dran. Darf ich mich setzen und ihnen alles erzählen?“

Wilko wies auf den freien Platz vor sich. „Natürlich, entschuldigen Sie, ich war in letzter Zeit zu selten ­Gastgeber.“

„Davon habe ich gehört.“ Sie nahm Platz und schlug die Beine übereinander. Er bemühte sich, nicht allzu auffällig hinzusehen, aber Viona stellte fest, dass ihm der Anblick gefiel.

Die Verkäuferin brachte zwei Tassen auf einem Tablett.

„Das habe ich nicht bestellt“, sagte Wilko sofort.

„Ich übernehme das“, erklärte Viona.

Die Verkäuferin stellte die Tassen vor ihnen ab. Hinter ihr rutschten plötzlich die beiden Frauen von vorne in eine Sitzecke, so als hätten sie das von Anfang an vorgehabt. Die Verkäuferin blieb lächelnd an ihrem Tisch stehen und hielt das Tablett locker nach unten. Sie wartete offensichtlich, dass die Gäste ihr Gespräch fortsetzten.

„Vielen Dank“, sagte Viona und hob ihre Tasse.

„Ich werd dann mal wieder“, murmelte die Verkäuferin enttäuscht und ging wieder nach vorne.

Wilko wusste nicht, was dieser Besuch sollte, aber Besuche bedeuteten für ihn in der Regel nichts Gutes. Meist waren es Leute, die Geld von ihm wollten. Geier, die nicht abwarten konnten, ihm sein Hotel zu entreißen. Aber selten waren es so hübsche Geier.

„Sie haben eingegriffen, als sich Finn Berghoff mit zwei betrunkenen Bikern angelegt hat“, sagte Viona.

„Biker“, wiederholte Wilko amüsiert. „Ein Zahnarzt und ein Lehrer aus Koblenz, die sich am Wochenende in Lederfummel schmeißen und die Landstraßen unsicher machen.“

„Jedenfalls sollen Sie Finn rausgehauen haben.“

„Ich habe beruhigend eingewirkt und konnte die Situation deeskalieren.“

„Das habe ich anders gehört.“

„Hier wird viel erzählt.“

„Die Knöchel ihrer rechten Hand sind aufgeschürft und der Zahnarzt muss angeblich die Dienste eines Kollegen in Anspruch nehmen.“ Sie lächelte. „Ich habe diesen Hell’s Angel der Kieferorthopädie übrigens inzwischen kennengelernt. Ein unangenehmer Mensch. Er ist der Meinung, den Kampf gewonnen zu haben. Also moralisch gesehen, weil er sich wie ein intelligentes und zivilisiertes Wesen benommen hat.“

Wilko hob überrascht die Augenbrauen. „Wann genau?“

„Ja, das dachte ich mir schon. Er machte den Eindruck eines Großmauls, das sofort den Schwanz einzieht, wenn sein Gegenüber nicht kuscht. Zuerst tat er so, als müsse ich ihm dankbar sein, weil er mein großzügiges Entschädigungsangebot annahm, und dann wollte er sich auch noch mit mir verabreden.“

Wilko verdrehte demonstrativ die Augen.

„Solche Leute besitzen meist ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein.“

Wilko grinste. „Und was wollen Sie nun von mir?“

„Ihre Dienste.“

„Als was?“, fragte Wilko überrascht.

„Herr Berghoff möchte ihnen eine Anstellung als Leibwächter für seinen Sohn anbieten.“

„Was? Hat er denn wirklich einen nötig?“

„Das wissen Sie besser als ich.“ Sie nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. „Was halten Sie von Finn?“

„Ein bockiger, überheblicher kleiner Wichser, der eine Menge Probleme schafft.“ Wilko sah sie an. „Und ich soll den Babysitter für ihn spielen.“

„So haben wir uns das gedacht.“

„Aber ich mag ihn nicht einmal.“

„Warum haben Sie ihm dann geholfen?“

„Ich habe nicht darüber nachgedacht, sondern nur reagiert.“

„Sie werden gut dafür bezahlt. Ich habe mich über Sie informiert, Sie brauchen Geld. Und zwar viel und dringend.“

„Das ist ein offenes Geheimnis. Hat Berghoff denn keine andere Aufgabe für mich? Irgendwas Gewöhnliches.“

„Momentan nur diese. Hervorragend bezahlt.“

„Was ich über Finn gehört habe, reicht aus, um zu wissen, dass es kein leichtverdientes Geld wird.“

„Tut mir übrigens leid um Ihr Hotel.“

„Das war ein langer, schleichender Prozess und hatte so gar nichts vom Abreißen eines Heftpflasters.“

„Sitzen Sie deshalb hier im Café?“

„Hier kann ich in Ruhe lesen, aktuell habe ich wirklich viel Freizeit.“

„Wie lange können Sie sich noch halten?

„Momentan habe ich noch ein kleines Arrangement, das mich vor dem völligen Ruin bewahrt. Aber das ist keine Perspektive. Ich dachte, das wissen Sie alles?“

„Ich weiß, dass es nicht gut um Ihr Hotel steht, aber das jetzt klingt doch eher verheerend. Allerdings wirken Sie dabei noch recht entspannt auf mich. Sie sitzen hier und lesen in aller Seelenruhe.“ Viona überlegte. Dieser Mann ruhte auf seltsame Weise in sich, man konnte ihn nicht nach den üblichen Maßstäben bewerten. Immer höher, immer weiter, immer mehr war eindeutig nicht seine Lebensdevise.

„Also gut, das hier ist kein Speed-Dating“, sagte Wilko schließlich. „Sie wissen viel über mich und die Fakten sind wenig beeindruckend für eine Frau wie Sie.“

„Na sehen Sie, jetzt wissen Sie auch schon etwas über mich.“

Wilko lächelte. „Was genau erwartet Ihr Arbeitgeber von mir? Wie sieht die Stellenbeschreibung aus?“

„Finn hat sehr viel Zeit zur Verfügung, um Mist zu bauen, deshalb brauchen wir jemanden, der über ebenso viel Zeit verfügt.“

„Wow.“

„Ich stelle nur Tatsachen fest.“

„Dann halten Sie mich nicht für einen arbeitsscheuen Tagedieb?“

„Ich bin tolerant gegenüber alternativen Lebensstilen.“

Wilko lachte auf. „Blödsinn.“

„Gut, seien wir ehrlich, ich halte Sie nicht unbedingt für einen geschäftstüchtigen Hotelier.“

„Das könnte ich Ihnen schon eher abnehmen.“

„Sie kommen jeden Morgen hierher, um einen Kaffee zu trinken und zu lesen.“

„Nur an den Tagen, an denen ich keine Übernachtungsgäste habe.“

„Schön, dann sind Sie ja täglich an der frischen Luft.“

„Autsch. Sie sind doch nicht extra so früh aufgestanden, um einen Loser zu demütigen?“

„Sie haben ein altes Hotel geerbt, nichts daran getan und wundern sich, dass die Gäste ausbleiben und Sie ­pleitegehen?“

„Das stimmt nicht ganz.“

„Ach nein?“

Wilko nickte. „Ich wundere mich nicht darüber.“

Ihre Mundwinkel zuckten, aber sie verkniff sich ein Lächeln. Sie wollte unbedingt professionell und geschäftsmäßig bleiben. „Das war fies, tut mir leid. Ich habe es wie eine Charakterschwäche klingen lassen.“

„Ich kann gut verstehen, wenn jemand so denkt. Und ich habe schon schlimmere Urteile gehört“, sagte Wilko und das traf zu. Besonders in Bezug auf das Hotel. Wilko hätte gerne schon viel früher versucht, einen Käufer zu finden, doch zu Lebzeiten seiner Eltern war dies nicht möglich gewesen. Es hätte ihnen das Herz gebrochen. Sie hatten nie über finanzielle Probleme gesprochen und erfolgreich ihre Augen vor der Realität verschlossen. Also erbte Wilko ein hochverschuldetes Hotel ohne Zukunftschancen, doch in den Augen der meisten Windecker hatte er den traditionsreichen Familienbetrieb innerhalb weniger Jahre in den Ruin getrieben. So wollten es die Bekannten seines Vaters sehen und nichts würde dieses Bild ändern. Selbst, wenn sie die Wahrheit kannten, und wahrscheinlich taten sie das. Es würde nämlich bedeuten, dass früher nicht alles besser war.

„Wann würde denn dieses Arbeitsverhältnis beginnen?“

„Jetzt sofort.“ Viona schaute aus dem Fenster. „Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Finn heute hier aus dem Zug aussteigt. Sie könnten ihm zufällig begegnen.“

„Eher unwahrscheinlich, und muss Berghoff meine Anstellung nicht absegnen?“

„Er hat Sie selbst vorgeschlagen. Davon abgesehen verlässt er sich auf mein Urteil.“

„Gut für Sie.“

„Ich habe drei Semester Psychologie studiert und besitze auch so etwas wie natürliche Menschenkenntnis.“

„Weshalb haben Sie aufgehört?“

„Mit dem Studium? Ich wollte mir nicht den Rest meines Lebens die Probleme anderer Leute anhören müssen.“

„Das nenne ich mal eine ehrliche Antwort. Was genau tun Sie für Berghoff?“

„Ich höre mir seine Probleme an und löse sie.“

Wilko grinste und nickte. „Es ist wohl besser, wenn Finn nichts von meiner Anstellung erfährt.“

„Auf jeden Fall. Sein Vater hat ihm bisher alles gekauft. Wenn er jetzt noch heimlich Freunde kauft, wird das schlimm enden. Finn hasst seinen Vater. Zumindest glaubt er das. Aber er will vor allem dessen Aufmerksamkeit und Anerkennung. So wie alle Söhne.“

„Unglaublich, was man in drei Semestern Psychologie so alles mitnimmt.“

„Sie würden sich wundern, was ich Ihnen alles über sich sagen könnte.“

„Kommt jetzt so ein Sherlock-Holmes-Moment? Woher weiß ich, dass Sie nicht einfach auf meinem Facebook-­Profil geschnüffelt haben?

---ENDE DER LESEPROBE---